10. Lektion - lectio decima (decem 10)


Inhalt:


Einleitung

Wir feiern das 500. Jahr der "Entdeckung" Brasiliens durch die Portugiesen. Sieht man einmal von der schwierigen Frage ab, was denn da eigentlich zu feiern ist, bleibt doch die Tatsache, daß es sich bei diesem Ereignis im Grunde um eine Fortsetzung von Caesars gallischen Operationen gehandelt hatte. Denn was er schließlich erreichte, war der Beginn der Romanisierung Galliens. Die iberische Halbinsel wurde ihrerseits unter römischen Schutz genommen, wobei die beschützten Völker ihre sozio-kulturellen Fundamente neu definieren mußten. Das taten 1500 Jahre später dann auch die amerikanischen Indios.
Sie ließen sich davon "überzeugen", daß sie auf ihre kulturellen Errungenschaften zu verzichten hätten -und ließen sich romanisieren. Noch vor wenigen Jahren -vielleicht auch heute noch- hatten kolumbiansiche Schulkinder auf die Frage: Was verdanken wir Spanien? zu antworten: unsere Religion, unsere Kultur und unsere Rasse, -Dinge also, die zum größten Teil von Rom ausgingen. Was aber die kolumbianische Rasse ist, dürfte sehr schwer zu bestimmen sein. Ein Gleiches gilt für ganz Südamerika.
Die brasilianischen Indios, die Tupinambá, brachten es wenigstens fertig, zweihundert Jahre lang ihre Sprache beizubehalten, und die Portugiesen waren gezwungen, dieses Tupi zu lernen, wenn sie sich mit ihren zahlreichen Kindern und Frauen verständigen wollten. Heute spricht man hier einen Lateinableger, das Brasilianische, der in Portugal nur mit Mühe verstanden wird. Dagegen ist das südamerikanische Spanisch problemlos auch in Spanien zu verstehen, teilweise sogar in USA, wo sich die Romanisierung fortzusetzen scheint.
Und Caesar war einer der ersten, der diese Art von Globalisierung in die Wege leitete.

Nunc ad prôpositum revertâmur nun zurück zum Thema.
revertor, revertî, reversus, revertî zurückkehren (Dep. 3.Konj.)

In der letzten Lektion habe ich Ihnen von der Freude beim Wiederholen grammatischer Zusammenhänge gesprochen. Seien Sie froh, und wiederholen Sie heute mal was, z.B. den Irrealis. Wissen Sie noch, 4.Lektion? Zur Belohnung erzähle ich Ihnen dann auch was Neues.

Der Satz paene cecidî (cadô, cecidî, câsûrus, cadere fallen) beinahe wäre ich gefallen beschreibt das Fallen als nicht realisiert (als irrealen Vorgang). Im Deutschen drücken wir dies mit Hilfe eines Konjunktivs aus (man könnte vom irrealen Konjunktiv sprechen), der Lateiner benutzt den Modus des Indikativs (cecidî 1.S.Ind.Perf.Akt. ich bin gefallen), und drückt die Tatsache, daß sich das Fallen nicht realisiert hat, mit Hilfe des Adverbs paene fast, beinahe aus.
Nun haben wir aber in der 4.Lektion gesehen, daß auch der Lateiner den irrealen Konjunktiv in einem HS benutzt, wenn im Nebensatz eine irreale Bedingung steht (also bei einem irrealen Bedingungssatz).
Wir betrachten nochmals die Fälle des Irrealis der Gegenwart und der Vergangenheit.:

N.S.: Sî hoc dîcerês wenn du dies sagen würdest (aber du sagst es nicht),
H.S.: errârês würdest du irren (du irrst also auch nicht).
Dies war ein Irrealis der Gegenwart. In beiden Sprachen muß der Konjunktiv des Imperfekts stehen.

N.S.: sî tacuissês wenn du geschwiegen hättest (aber du hast es nicht getan),
H.S.: philosophus mânsissês wärest du ein Philosoph geblieben (damit ist es jetzt aus). Gemeint ist natürlich: wenn du den Mund gehalten hättest, würdest du jetzt keinen Ärger haben.
Sowohl im Lateinischen als auch im Deutschen benutzen wir beim Irrealis der Vergangenheit den Konjunktiv Plusquamperfekt.
(taceô, tacuî, tacitum, tacêre
schweigen; maneô, mânsî, mânsum, manêre bleiben)

Die Konjunktive des Imperfekts und Plusquamperfekts drücken im lateinischen Bedingungssatz aus, daß etwas nicht geschehen kann. Im Deutschen schließt die sprachliche Formulierung nicht aus, daß es nicht doch sein könnte: es wäre durchaus denkbar, daß du dies sagen würdest oder daß du schweigen würdest.

In diesen Fällen reden wir nicht vom Irrealis, sondern vom Möglichkeitsfall, vom Potentialis.

N.S.: sî hoc dîcâs (dixerîs) wenn du dies sagen solltest (es ist denkbar),
H.S.: errês dürftest du dich irren.

Im Deutschen umschreiben wir den Potentialis gerne mit sollte, möchte oder könnte.
Im Lateinischen steht beim Potentialis der Gegenwart der Konjunktiv Präsens, für die Vergangenheit der Konjunktiv Perfekt.

Jetzt haben wir vom Irrealis und vom Potentialis gesprochen, wie sieht es denn mit dem Realis aus? Hier handelt es sich um nüchterne, objektive Feststellungen: falls A zutrifft, dann folgt B:
sî hoc dîcit, mentitur (mentior, mentîtus sum, mentîrî lügen Dep. 4.Konj.) wenn er das sagt, lügt er. Im Bedingungs-und im Folgesatz steht der Indikativ Präsens.
sî viam rectam sequor, nôn errô wenn ich dem rechten Weg folge, gehe ich nicht in die Irre
sî hoc dixit, mentîtus est wenn er das gesagt hat, hat er gelogen (Ind.Perfekt)

Im sogenannten futurischen Fall (Realis) steht im Lateinischen im Bedingungs-und im Folgesatz der Indikativ Futur I oder II. Im Deutschen benutzen wir im Bedingungssatz den Ind. Präs., im Folgesatz den Ind. Futur:

sî hoc dîcet, mentiêtur wenn er das sagt, wird er lügen
sî hoc dixerit, mentîtus erit wenn er dies sagt (sagen wird), wird er gelogen haben (hat er gelogen)

Da wir jetzt so gut drauf sind, wollen wir auch noch schnell das Auftreten des Konjunktivs bei ut und cum wiederholen, denn Caesar spart in der Lektüre garnicht damit.

  1. Das Final-ut (ut fînâlis; fînis Zweck, Absicht, Ziel) steht in Finalsätzen, also in Nebensätzen, die eine Absicht oder ein Begehren ausdrücken. Im Deutschen leiten wir einen Absichtssatz mit damit oder um zu ein (ich tue das, damit ich ich stark werde oder ich tue das, um stark zu werden). Einen Begehrsatz leiten wir mit daß oder zu ein (ich wünsche, daß du den Mund hältst oder ich bitte dich, den Mund zu halten).
    Finalsätze, die Begehrsätze sind, sind Objektsätze (wen oder was begehre ich?), vgl. 20. Lektion, Einleitung.

    ut finalis
    steht immer mit dem Konjunktiv, dem coniûnctîvus fînâlis.

    Beispiel:
    lêgâtî missî sunt, ut pâcem peterent Gesandte wurden geschickt, um um Frieden zu bitten. Dieser Satz könnte Ihnen bekannt vorkommen, denn in der vorigen Lektion stand er unter Anmerkung 1 beim Supinum. In dieser 9.Lektion ging es darum zu zeigen, daß ein Supinum auf verschiedene Arten ersetzt werden kann. Heute benutzen wir ihn, um zu zeigen, daß man im Lateinischen Zweck oder Absicht einer Handlung auf (wenigstens) fünf verschiedene Arten ausdrücken kann. Wir brauchen nur die fünf Sätze der vorigen Lektion zu wiederholen:

    Gesandte wurden geschickt, um um Frieden zu bitten können wir auf folgende Arten ausdrücken:

    lêgâtî missî sunt, ut pâcem peterent (Finalsatz)
    lêgâtî missî sunt pâcem petîtum (Supinum auf um nach einem Verb der Bewegung)
    l.m.s., quî pâcem peterent (finaler Relativsatz)
    l.m.s. ad pâcem petendam (
    Gerundiv nach ad)
    l.m.s. pâcis petendae causâ (causâ + Gerundiv).
  2. (petô, tîvî, petîtum, petere erbitten)

  3. Das Folge-ut (ut cônsecûtîvus; cônsecûtiô Folge) steht in Konsekutivsätzen, also in Nebensätzen, die eine Folge ausdrücken. Im Deutschen leiten wir einen Folgesatz mit so daß oder daß ein (der Wind blies sehr stark, so daß ich den Hut in der Hand hielt oder der Wind blies so stark, daß mir der Hut vom Kopf flog)

    ut cônsecûtîvus steht immer mit dem Konjunktiv, dem coniûnctîvus cônsecûtîvus.

    Im übergeordneten Hauptsatz wird i.a. durch ein Adverb (ita, sic, tam...) oder ein Adjektiv (talis, tantus, tot) auf den Konsekutivsatz hingewiesen.

    Beispiel:
    Nêmô tam prûdêns est, ut omnia sciat niemand ist so klug, daß er alles weiß.
  4. cum mit Konjunktiv übersetzen wir mit
    als beim cum histôricum oder narrativum (konj. Temporalsatz)
    da, weil
    beim cum causale (Kausalsatz)
    obwohl, obgleich
    beim cum concessivum (Konzessivsatz)
    während beim cum adversativum (Adversativsatz od. Gegensatz-Satz)

    Beispiele:

    Caesar, cum Rubiconem trânsisset, hostis iûdicâtus est. Als Caesar den Rubico überschritten hatte, wurde er zum Staatsfeind erklärt.
    Helvêtiî, cum Sêquanîs persuâdêre nôn possent, lêgâtôs ad Dumnorîgem Haeduum misêrunt. Da die Helvetier die Sequaner nicht überreden konnten, schickten sie Gesandte zu dem Häduer Dumnorix.
    Sôcratês, cum ê carcere effugere posset, tamen nôluit. Obgleich Sokrates aus dem Gefängnis entfliehen konnte, wollte er es trotzdem nicht. carcer, eris m Kerker, carcer pûblicus Staatsgefängnis
    Fîlia sêdula est, cum fîlius piger sit. Die Tochter ist fleißig, während der Sohn faul ist.

Wir finden gelegentlich auch Fälle, in denen ut und cum mit dem Indikativ benutzt werden. Es handelt sich dann i.a. darum, daß der Autor ein Geschehen als Tatsache bezeichnen will. Der Konjunktiv, und das besagt schon sein Name, coniungere verbinden, will vor allem Gedankenverbindungen zum Ausdruck bringen, die den Autor oder auch die dargestellte Person betreffen.

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Grammatik

Heute gibt's nicht viel Neues: Wir werden einige Beispiele zu den Demonstrativ-Pronomen betrachten und ein paar Übungen zu den Themen der Einleitung machen. Aber vielleicht werden Sie bei der Wiederholung sagen: Das ist ja was ganz Neues, das hatten wir ja noch garnicht! Vielleicht haben Sie sogar recht. Wie dem auch sei, wichtig ist nur, daß es nützt. Horaz meinte, daß man das Nützliche mit dem Angenehmen verbinden müsse:

ûtile dulcî miscêre das Nützliche zum Angenehmen (bei) mischen.

haec puella mihi placuit dieses Mädchen hat mir gefallen
hâs pictûrâs vîdî ich habe diese Bilder gesehen
istum acusâbô ich werden den Kerl anklagen
ubi terrârum est ista urbs? wo in der Welt ist diese (verflixte) Stadt?
interdum istae rês quidem molestae sunt zuweilen sind diese Dinge schon lästig
(interdum Adv. zuweilen, quidem Adv. allerdings)
quâlis homô est illa? was ist sie für eine Person?
quid nômen eî est? wie heißt sie?
illud cônsilium ûtile fuit jener Rat ist nützlich gewesen
ego amô illud iucundum nihil agere ich mag diese angenehme Nichts-Tun (dolce far niente)
ipsô factô durch die Tatsache selbst
nôsce tê ipsum! erkenne dich selbst! (nôscô, nôvî, nôtum, nôscere erkennen, erfahren)
ipsîus rêgis fîlia capta est die Tochter des Königs selbst ist gefangen genommen worden
ego ipse exspectâbô diem comitiâlem antequam ego cônstituam ich selbst werde warten bis zum Wahltag, bevor ich entscheiden werde.
(quandô est comitiâlis diês? wann ist der Wahltag?
cônstituô, cônstituî, cônstitûtum, cônstituere entscheiden; antequam ehe, bevor)

Hier sind jetzt einige Seneca-Sätze aus Briefe an Lucius über Ethik, auf die wir in einer späteren Lektion noch ausführlicher zurückkommen werden. Die folgenden Sätze können Sie als Mustersätze für eigene Formulierungen benutzen!

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Übungen zur Grammatik

Versuchen Sie zu übersetzen

Lösungen:

 

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Lektüre

BG 1,2,4-5

1.

Hîs rêbus fîêbat, ut et minus lâtê vagârentur et minus facile fînitimîs bellum inferre possent;

2.

quâ ex parte hominês bellandî cupidî magnô dolôre afficiêbantur.

3.

Prô multitûdine autem hominum et prô glôriâ bellî

4.

atque fortitûdinis angustôs sê fînês habêre arbitrâbantur,

5.

quî in longitûtinem mîlia passuum ducenta quadrâgintâ,

6.

in lâtitûdinem centum octôgintâ patêbat.

 

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Übersetzung

wörtliche Übersetzung

1.

Durch diese Dinge es geschah, daß einerseits weniger weit sie schweiften umher,
andererseits weniger leicht den Nachbarn Krieg hineintragen sie konnten;

2.

in dieser Hinsicht Menschen des Kriegführens begierig mit großem Schmerz sie wurden erfüllt.

3.

Für die Menge aber der Menschen und für den Ruhm des Krieges

4.

und der Tapferkeit enge sie Grenzen haben sie glaubten,

5.

die in Länge tausend der Schritte zweihundert vierzig,

6.

in Breite hundert achtzig sie erstreckten sich.

 

freie Übersetzung

Daher kam es, daß sie einerseits weniger weit umherzogen, andererseits die Nachbarn weniger leicht bekriegen konnten; in dieser Hinsicht wurden die kriegslustigen Menschen mit großem Schmerz erfüllt.
Für die Menschenzahl aber und für den durch Krieg und Tapferkeit erworbenen Ruhm glaubten sie ein zu enges Gebiet zu haben, das sich 360 km in die Länge und 270 km in die Breite erstreckt.

 

 

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Worterklärungen

Verben

Caesar benutzt Imperfekte, um die Situation der Helvetier (Zustandschilderung) darzustellen.
fîêbat, vagârentur, possent, afficiêbantur, arbitrâbantur, patêbat.

vagârentur
3.Pl.Konj.Impf.Dep. daß sie umherschweiften
af-ficiô, fêcî, fectum, afficere
erfüllt werden, erleiden, ergriffen werden (dolore affici von Schmerz ergriffen werden); afficiêbantur 3.Pl.Ind.Impf.Pass.
spr. af-fi-ki-ê-ban-tur, jedes der beiden f muß ausgesprochen werden!
spr. fî-ê-bat, du-ken-ta
arbitror, arbitrâtus sum, arbitrârî glauben, beobachten, meinen;
arbitrâbantur 3.Pl.Ind.Impf.Dep. sie glaubten
pateô, patuî, patêre sich erstrecken, offenbar sein (patet es ist offenbar)

Sonstige Wörter und Erklärungen

hîs rêbus Abl. Pl. (abl. causae) von haec rês diese Sache
et ... et
sowohl ... als auch; einerseits ... andererseits
lâtê ist Adverb zu lâtus 3 breit, weit
(Sie wissen, daß viele Adverbien von Adjektiven abgeleitet werden. Adjektive vom Typ clarus, a, um verwandeln dabei -us in ê, d.h. man hängt an den Wortstock clar- das Suffix ê. Das Adverb semper immer gehört zu denen, die nicht auf ein Adjektiv zurückgehen. Adjektive der 3.Dekl. hängen meist -iter an den Wortstock: fortis tapfer > fort-iter. Das zu facilis leicht gehörende Adverb gehört zu den besonderen Adverbien, es heißt facile.)
fînitimîs bellum înferre die Nachbarn bekriegen (den Nachbarn den Krieg hineintragen)
quâ ex parte in dieser Hinsicht = hâc (eâ) ex parte; es handelt sich wieder um eine relativische Anknüpfung wie früher im BG 1,1,4: quâ dê causâ.
bellandî cupidus kriegslustig, bellandî ist der Gen. eines von cupidî abhängigen Gerundiums
fortitûdô, inis f Stärke, Mut
angustus 3 eng
longitûdô, inis f Länge, lâtitûdô, inis f Breite
glôria fortitûdinis der durch Tapferkeit erworbene Ruhm (wörtl. Ruhm der Tapferkeit).
Es handelt sich -wie auch bei cupiditâs bellandî Gier nach dem Kampf = Kampfsucht- um einen Genitivus obiectivus.

Der Plural mîlia von mîlle tausend verlangt den Gen.Pl. des Substantivs, das gezählt wird:
duo mîlia passuum zwei röm. Meilen = 2 x 1,5 km
Der römische passus, ûs ist etwa doppelt so groß wie ein gewöhnlicher Schritt.
mîlle passûs sind eine römische Meile = 1,5 km. Das Gebiet war also etwa 360 km x 270 km groß.

 

Erklärungen zur Übersetzung

Zeile 1

ut steht zweimal mit Konjunktiven: vagârentur, possent. Es handelt sich um zwei durch et ...et verbundene Konsekutivsätze, die nach einem unpersönlichen Ausdruck des Geschehens stehen: hîs rêbus fiêbat so geschah es (so kam es).

Daher kam es, daß sie einerseits weniger weit umherzogen, andererseits die Nachbarn weniger leicht bekriegen konnten;

Zeile 2

in dieser Hinsicht wurden die kriegslustigen Menschen mit großem Schmerz erfüllt.

Zeilen 3/4

Das Hauptverb ist arbitrâbantur sie glaubten; was glaubten Sie? Der a.c.i. sê angustôs fînês habêre daß sie enge Grenzen haben gibt darauf die Antwort. Sie erinnern sich sicher, daß deutsche daß-Sätze oft durch den a.c.i. (accusativus cum infinitivo) übersetzt werden.
Für die Menschenzahl aber und für den durch Krieg und Tapferkeit erworbenen Ruhm glaubten sie ein zu enges Gebiet zu haben,

Zeilen 5/6

Der von quî (Grenzen) eingeleitete Relativsatz gibt die ungefähren Maße des Gebietes an, das die Helvetier bewohnten.

das sich 360 km in die Länge und 270 km in die Breite erstreckte.

 
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Übungen zur Lektüre

Lösungen:

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Anhang

Heute wollen wir wie angekündigt eine Fabel von Phaedrus lesen.

Fabeln wurden schon erzählt, bevor man überhaupt schrieb. Die ältesten schriftlich fixierten Fabeln stammen von Hesiod (ca. 700 v.Chr.) und Archilochos (ca. 650 v.Chr.). Die erste Fabelsammlung stammt von Aesop (ca. 550 v.Chr.), der angeblich ein phrygischer Sklave gewesen war. Phaedrus (15 v.Chr. -50 n.Chr.) adaptierte viele aesopische Fabeln für die lateinische Sprache und dichtete neue hinzu. Bekannt wurden später auch die Nachdichtungen des Avianus (ca. 400 n.Chr.) -und aus neuerer Zeit vor allem die Fabeln von Jean de La Fontaine (1621-1695).
Zur Geschichte und zur Theorie der Fabel finden Sie zahllose Veröffentlichungen im Internet. Die Fabeln des Phaedrus, von denen wir einige lesen werden, gibt es im Original und in Übersetzungen in verschiedene Sprachen. Wenn Sie bei ALTAVISTA.COM das Suchwort Fabeln + Phaedrus anklicken, erhalten Sie eine unglaubliche Zahl von Einträgen: mehr als
1 700 000. Die Fabel ist demnach weit davon entfernt auszusterben.
Wenn Sie allerdings anfangen, das Material zu sichten, reduziert sich das Angebot beträchtlich. Zu den bleibenden Seiten gehört z.B. http://www.ipa.net/%7Emagreyn/index.html.
Dort klicken Sie die Datei Phaedr1[1] an und entpacken sie - z.B. mit einem der mitgelieferten "Entpacker". Sie erhalten Fabeln des Phaedrus auf Latein. Jedes Wort wird nach Doppelklick übersetzt (leider ins Englische). Eine eigene Schaltfläche führt Sie zu einem grammatischen Kommentar. Diese ausgezeichnete Arbeit stammt von Mark Reynolds, von dem noch weitere Texte an der erwähnten Stelle angeboten werden, z.B. Somnium Scipionis, eine bekannte Cicero-Schrift, die wir später ebenfalls lesen werden. Aber schauen Sie sich auch andere Seiten an, z.B. http://www.users.comcity.de/~lukrez/Phaedrus/phaedrus.html , in der Sie neben den lateinischen Phaedrus-Fabeln auch die Fabel vom Wolf und dem Lamm in verschiedenen Übersetzungen (besser Versionen) finden können. (Äsopische Fabeln - Nachdichtungen, Begleittexte, Bilder )

 

lateinischer Text mit wörtlicher Übersetzung

Lupus et agnus

Facile est opprimere innocentem.

Ad rîvum eundem lupus et agnus venerant,
sitî compulsî;

superior stabat lupus,
longêque inferior agnus.
Tunc fauce improbâ latrô incitatus, iûrgiî causam intulit.

"Cûr, inquit, turbulentam fêcisti mihi aquam bibenti?"
Lâniger contra timens:
"Quî possum, quaesô, facere quod quereris, lupe?
A tê dêcurrit ad meôs haustûs liquor."

Repulsus ille veritâtis vîribus:

"Ante hôs sex mênsês", ait, "maledixisti mihi."

Respondit agnus: "Equidem natus non eram."

"Pater hercule tuus", ille inquit, "maledixit mihi."

Atque ita correptum lacerat, iniusta nece.

Haec propter illôs scripta est hominês fabula,
qui fictîs causîs innocentês opprimunt.

Der Wolf und das Lamm.

Es ist leicht, den Unschuldigen zu unterdrücken.
Zum selben Fluß waren der Wolf und das Lamm gekommen, vom Hunger getrieben.

Weit oben stand der Wolf,
und weiter unterhalb das Lamm.
Dann durch maßlose Freßgier der Räuber angestachelt, zum Streit einen Anlaß er brachte vor.
"Warum, sagte er, machtest du mir das Wasser trüb, als ich trank?"
Das Lamm entgegnete ängstlich:
"Wie kann ich, bitte, machen, das worüber du klagst, Wolf?
Von dir fließt herab zu dem, was ich trinke, die Flüssigkeit ."
Zurückgestoßen jener von der Macht der Wahrheit:
"Vor sechs Monaten", sagt er,"hast du mich beleidigt."
Es antwortet das Lamm:" Freilich war ich nicht geboren."
"Dein Vater, beim Herkules", sagte jener, "hat mich beleidigt."

Und so das ergriffene (Lamm) er zerriß, in unrechtem Tod.

Dies wegen jener geschrieben ist Menschen Fabel, die durch erfundene Gründe Unschuldige unterdrücken.

 

Vokabeln

rîvus, î m Bach, lupus, î m Wolf
vênerant 3. Pl.Ind.Plqupf.Aktiv. sie waren gekommen von veniô, vênî, ventum 4 kommen
sitis, is f Durst, i-Deklination (wie turris, vîs usw.)
sitî compulsî Ablativus causae vom Durst getrieben auf die Frage weswegen?
tunc Adv. damals, dann, hierauf
faux, cis f Freßgier, im-probus 3 böse, maßlos
latrô, ônis m Söldner, Räuber
fauce improbâ incitâtus von maßloser Freßgier angetrieben, wieder Abl. causae.
înferô, intulî, illâtum, înferre hineintragen, anfangen, bellum înferre Krieg anfangen,
causam inferre einen Grund suchen, iûrgium, î n Zank, Streit
bibentî Dat.Part.Präs. (mir, dem Trinkenden)
lâni-ger, era Wolle tragend; lâni-ger, erî m Widder, Lamm
timeô, uî, - ,timêre fürchten; timêns, entis Part.Präs.
quî ? Adv. inwiefern?, quaesô ich bitte (wird eingeschoben)
queror, questus sum, querî (quereris 2.Sing. Präs.) klagen, sich beschweren
haustus, ûs m das Schöpfen, Trinken
correptum (agnum) erfaßt von cor-ripiô, ripuî, reptum, 3 zusammenraffen, gewaltsam ergreifen
lacerô 1 zerreißen, zerfleischen
nex, necis f Mord, Tod
op-primô, essî, pressum 3 niederdrücken, überwältigen

Zum Vergleich übersetze ich Ihnen noch die entsprechende Fabel bei Äsop:

Ein Wolf, der er ein Lamm sah, das in einem Bach trank, suchte einen annehmbaren Grund, um es zu verschlingen.
Daher, obgleich er oben stand, beschuldigte er das Lamm, das Wasser zu trüben und ihn so vom Trinken abzuhalten.
Das Lamm antwortete, daß es nur mit den Spitzen der Lippen trinke, und außerdem könne es das Wasser oberhalb nicht trüben, da es unterhalb stehe.
Der Wolf, in seinem Versuch gescheitert, antwortete
: "Aber im vergangenen Jahr hast du meinen Vater beleidigt." Als das Lamm erklärte, daß es zu der Zeit noch garnicht geboren war, schrie der Wolf es an: "Wenngleich du dich auch mit so großer Leichtigkeit verteidigst, werde ich dennoch nicht darauf verzichten, dich zu verschlingen."

Diese Fabel zeigt, daß bei Menschen, die entschlossen sind, Übles zu tun, nicht einmal eine gerechte Verteidigung etwas ausrichten kann.

 

 

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