14. Lektion - lectio quarta decima (quattuordecim 14)


Inhalt:


Einleitung

Mit einigen weiteren Gedichten werden wir heute Catull verabschieden.

Das erste Gedicht, Carmen 13, ist an Fabullus gerichtet, der mit Veranius in Spanien gedient hatte. Obgleich der junge Catull aus einer vermögenden Familie stammte, war er in Rom wohl nicht immer voll mit Geld ausgestattet. Das Einzige, was er zur Dinnerparty beisteuern konnte, waren wohlriechende Salben, mit denen die Römer sich reichlich einzureiben pflegten; es gab ja noch keine Sprays.

Cênâbis bene, mî Fabulle, apud mê
paucîs, sî tibi dî favent, diêbus,
sî têcum attuleris bonam atque magnam
cênam, nôn sine candidâ puellâ
et vînô et sale et omnibus cachinnîs.
haec sî, inquam, attuleris, venuste noster,
cênâbis bene; nam tuî Catullî
plênus sacculus est arâneârum.


sed contrâ accipiês merôs amôrês
seu quid suâvius êlegantiusve est:
nam unguentum dabo, quod meae puellae
dônârunt Venerês Cupîdinêsque;


quod tû cum olfaciês, deôs rogâbis,
tôtum ut tê faciant, Fabulle, nâsum.

Du wirst gut speisen, mein Fabullus, bei mir in wenigen Tagen, wenn die Götter dir wohlwollen,
falls du mitbringst ein gutes und reichliches
Dinner, nicht ohne ein hübsches Mädchen,
Wein, Witz und jede Art Lachen.
Wenn du, sag ich, all dieses mitbringst, mein reizender Freund, wirst du gut speisen; denn dein Catull hat seinen Beutel voll von Spinnweben.
Dafür wirst du erhalten reine Zuneigung
oder, was köstlicher und feiner ist:
eine Salbe werde ich nämlich stiften, die meinem Mädchen schenkten Liebesgöttinnen und der Liebe Götter;

wenn du die riechst, wirst du die Götter anflehen, Fabullus, daß sie dich ganz zur Nase machen.

 

Vokabeln

cênô 1 speisen
faveô, fâvî, faustum, favêre + Dat. begünstigen, geneigt machen
vandidus 3 strahlend weiß, hübsch
sâl,salis m, n Salz, Witz
ad-ferô = afferô, attulî, allâtum, affere herbeitragen
cachinnus, î m Lachen, Gelächter
venustus 3 schön, anmutig, reizend, ein von Catull gern gebrauchtes Adjektiv und wohl von Venus abgeleitet
venustâs, âtis Anmut, Charme
sacculus, î m Geldbeutel, Säckchen
arânea, ae f Spinnweb
contrâ hier Adv. im Gegenzug, andererseits
merus 3 rein; seu = sîve oder wenn
unguentum, î n Salbe, Salböl
dô, dedî, datum, dare geben (Präs.: dô, dâs, dat, damus, datis, dant; das Futur dabô ich werde geben wird hier wegen des Versmaßes mit kurzem o verwendet.)
Venerês Cupîdinêsque gehört zu Catulls Liebesvokabular. Venus, eris Göttin der Liebe,
Cupîdô, inis m (Amor) Sohn der Venus, entspricht dem griechischen Eros und wird wie dieser oft im Plural gebraucht und dargestellt. Wahrscheinlich mußten Venus und ihr Sohn im Plural auftreten, weil sonst die allgegenwärtige Liebe garnicht vollgültig dargestellt werden konnte.
dônârunt = dônâvêrunt 3.Pl.Ind.Perf.Akt. sie haben geschenkt
quod ... olfaciês = cum tû id olfaciês; 2.Sg.Ind.Fut.Akt. von olfaciô, fêcî, factum, facere riechen
nâsus, î m Nase

Carmen 5

Vîvâmus, mea Lesbia, atque amêmus,
rûmôrêsque senum sevêriôrum
omnês ûnius aestimêmus assis!
Sôlês occidere et redîre possunt;
nôbîs cum semel occidit brevis lûx,
nox est perpetua ûna dormienda.
Dâ mî bâsia mîlle, deinde centum;
dein mîlle altera, dein secunda centum;
deinde ûsque altera mîlle, deinde centum.


Dein, cum mîlia multa fêcerîmus,
conturbâbimus illa, nê sciâmus,
aut nê quis malus invidêre possit,
cum tantum sciat esse bâsiôrum.

Wir wollen leben, Lesbia, und lieben,
alles Gerede gestrenger Greise
soll uns keinen Pfennig wert sein
!
Sonnen können unter- und aufgehen;
wenn unser kleines Licht einmal untergeht,
müssen wir eine endlose Nacht schlafen.
Gib mir tausend Küsse, dann hundert;
dann wieder tausend, dann die zweiten hundert;
dann bis zu den nächsten tausend, dann hundert.
Darauf, wenn wir viele Tausende gemacht haben, werden wir sie (derart) durcheinander bringen, daß wir (ihre genaue Zahl) nicht kennen, damit kein böser Mensch sein Auge auf uns werfen kann, da er die Gesamtzahl (3300) der Küsse kennt.


Vokabeln
Wiedereinmal möchte ich Sie auf die Verwandtschaft zwischen Latein und einer der romanischen Sprachen hinweisen. Die erste Zeile kann auf Spanisch lauten:
vivamos, Lesbia mía, y amémonos, was offenbar nicht weit vom Lateinischen entfernt ist.
In der letzten Lektion hatten wir den ersten Vers bei den Übungen zur Grammatik schon besprochen, schauen wir ihn uns nochmals an:

vî-vâ-mus, me-a Les-bi-(a), at-qu(e) a-mê-mus
¾ ¾ | ¾ È È | ¾ È | ¾ È | ¾ È
und zum Vergleich ein Vers aus der Widmung an Cornelius Nepos:

Cui do-no le-pi-dum no-vum li-bel-lum

¾ ¾ | ¾ È È | ¾ È | ¾ È | ¾ È
Also wieder ein Hendekasyllabus, ein Elfsilbler.
Hinzugefügt habe ich noch die Trennstriche für die fünf Füße. Meist ist auch der fünfte Fuß ein Spondeus, so daß wir als normales Schema des Hendekasyllabus haben:

Spondeus | Daktylus | Trochäus | Trochäus | Spondeus

Die Silben -mus und Les- sind positionslang, zwei Elisionen treten auf.
Wir wollen leben, meine Lesbia, und lieben!
vîvâmus und amêmus 1.Pl.Konj.Präs.Akt. wir mögen leben und laßt uns lieben
rûmôrês und omnês gehören zusammen
ûnius assis aestimare wertschätzen + Gen. des Wertes (Genitivus pretii) eines Asses.
Die Münzeinheit as, assis m war in der Kaiserzeit nur noch Pfennige wert.
cum semel wenn, sobald einmal
nobis una nox perpetua dormienda est uns bleibt nur der Schlaf einer endlosen Nacht
bâsium, iî n Kuss ist eigentlich kein ursprünglich lateinisches Wort, Catull hat es in die Poesie eingeführt
fêcerîmus 1.Pl.Ind.Fut.IIAkt. wir werden gemacht haben ist in der Prosa fêcerimus
invidêre
scheel ansehen, beneiden. Die Kenntnis eines bestimmten Namens oder einer genauen Zahl verleiht einem Menschen, der über den Bösen Blick verfügt, Macht über andere Personen.
In vielen primitiven Gesellschaften wählt ein Mann einen Geheimnamen, den er nie offenbaren wird. Einen Feind zu verspeisen bedeutet auch, seinen Namen zu übernehmen. Der Besitz vieler Namen macht mächtig.

Wahrscheinlich war Catull nur ein Spielzeug in der Hand der leichtfertigen, unersättlichen Lesbia-Clodia. Als sie sich schließlich mit Catulls Freund Caelius einließ, waren Catulls Liebesleiden wohl unerträglich geworden. Andererseits aber gingen ihm die Augen auf, und er fand die Kraft, sich von der treulosen Schönen (oder umgekehrt) zu trennen. Von Caelius wurde Lesbia recht bald durchschaut und ordnungsgemäß verlassen.
In ihrer verständlichen Wut stachelte sie ihren Bruder, den seit 59 v.Chr. Volkstribunen Clodius Pulcher, auf, gegen Caelius einen Rechtsstreit anzuzetteln.

Das war aber auch das Ende für Sie selbst, denn Caelius hatte in Cicero einen Freund und rücksichtslosen Anwalt. Nach dem Prozeß verschwand Clodia spurlos. Nachzulesen sind Ciceros wenig feinen Attacken gegen sie in seiner Rede Pro Caelio. Aber auch Clodius sollte seine Genugtuung haben: auf seinen Antrag hin wurde Cicero 58 v.Chr. verbannt, allerdings bereits ein Jahr später ehrenvoll zurückgerufen.

Catull schloß sich im Frühjar 57 v.Chr. der Begleitmannschaft des Prätors C. Memmius Gemellus an, der eine militärische Mission in der Provinz Bithynien, am Südufer des Schwarzen Meeres gelegen, zu erledigen hatte. Nicaea war die -im Sommer unerträglich heiße- Hauptstadt Bithyniens.
Er hielt es ein Jahr lang dort aus, dann verließ er das Land, das er nie lieben lernte. Er segelte -auf eigener Jacht?- auf der Rückreise hinab bis Rhodos, besuchte Athen und gelangte schließlich wieder zurück in seine Heimatstadt Verona. In der Nähe, ca. 30 km entfernt, liegt der See Benacus, der Gardasee, an dessen Südufer -auf der Halbinsel Sirmione- seine Familie (oder er selbst?) eine Villa hatte.
In seinem Gedicht auf Sirmio, carmen 31, drückt er seine überschwengliche Freude darüber aus, die Halbinsel und die Villa wiederzusehen: Salve, o venusta Sirmio! heißt es in Vers 12. Man muß das auf Italienisch hören, um etwas von der Schönheit des Lateinischen zu erahnen: O mia bella Sirmio, salve!

Carmen 31
Paene însulârum, Sirmio, însulârumque
ocelle,quâscumque in liquentibus stâgnîs
marîque vastô fert uterque Neptûnus,

quam tê libenter quamque laetus invîsô,
vix mî ipse crêdêns Thyniam atque Bithynos
liquisse campôs et vidêre tê in tûtô!

o quid solûtîs est beâtius cûrîs,
cum mêns onus reponit, ac peregrîno
labôre fessî venîmus larem ad nostrum
dêsîderâtôque acquiêscimus lectô?

hoc est, quod unum est pro labôribus tantîs.
Salve, o venusta Simio, atque ero gaudê
gaudente, vôsque, Lydiae lacûs undae!
ridête, quidquid est domî cachinnôrum.
Von Halbinseln, Sirmio, und Inseln
das Juwel, und von allen die in klaren Seen und weitem Meer der eine oder der andere Neptun trägt,
wie gerne und wie freudig erblicke ich dich,
kaum kann ich glauben, Thynia und die Ebenen Bithyniens verlassen zu haben und dich in Ruhe betrachte
!
Was ist beglückender als abgeworfene Sorgen, wenn der Geist die Last ablegt und wir müde vom auswärtigen Dienst zum eigenen Herd zurückkommen und auf dem ersehnten Bett zur Ruhe kommen.

Das allein wiegt so viele Mühen auf.
Sei gegrüßt, du schönes Sirmio, und erfreue dich an deines Herren Freude, auch ihr, ihr lydischen Wellen des Sees
!
Lachen sollen alle Gelächter, die sich zu Hause befinden.

Erklärungen:
paene însula = paenînsula Halbinsel (wörtl. Fastinsel)
ocellus, î m Deminutiv zu oculus, also Äuglein, Goldapfel, Juwel
liquêre flüssig, klar sein
stâgnum, î n stehendes Gewässer, See
uterque Neptûnus jeder der beiden Neptune, d.h. es gibt einen Neptun (Gott) der Seen, Süßwasser, und einen des Meeres, Salzwasser.
in-vîsere erblicken
Thynia n der Küste Bithyniens; die Thyni und die Bithyni waren zwei Volksstämme Bithyniens.
linquere = relinquere verlassen
in tûtô in Sicherheit, an sicherer Stelle; tûtum, î n Sicherheit
solûtîs cûrîs Ablativus comparationis (Abl. des Vergleichs).
Bei Komparativen steht statt quam + Nom. (od. Akk.) häufig ein Ablativ. Vgl. unten Grammatik.(quid beatius est quam cura soluta);
solvô, solvî, solûtum, solvere
lösen, abzahlen, ablegen
cûra, ae f Sorge
peregrînus 3 fremd, ausländisch, Fremder, Ausländer
fessus 3 müde
lâr, laris m (meist Plural Larês, ium) der Lar, die Laren, Gott (heiten) des Hauses, Herd, vergötterte Seelen der Verstorbenen, Gottheiten der Kreuzwege und Straßen
ac-quiêscô, quiêvî, quiêtum, quiêscere zur Ruhe kommen, ausruhen
dê-sîderâre sich sehnen nach, wünschen, verlieren, vermissen
desîderâtô lectô Ablativus loci (Abl. des Ortes) auf die Frage wo?
hoc est, quod unum est pro labôribus tantîs das ist es, was das Einzige ist für soviele Mühen
d.h. das alleine macht die Mühen wett.
Catull spricht von lydischen Wellen weil die Ureinwohner der Gegend um den Gardasee angeblich Etrusker waren, von denen man annahm, daß sie aus Lydien (heutige Türkei) kamen.
quidquid est cachinôrum domî was auch immer an Gelächter im Hause ist
Wenn Sie sich den Aufbau der Verse ansehen, werden Sie feststellen, daß am Versende
È ¾ | ¾ ¾ oder È ¾ | ¾ È steht. Die Betonung (der Iktus) liegt auf der drittletzten und auf der vorletzten Silbe. Dadurch wird der Vers schleppend, oder wie man sagt hinkend. Man nennt das Versmaß daher Hinkiambus oder griechisch Choliambus. Nehmen wir als Beispiele die beiden ersten Verse, in denen ich auch die positionslangen Silben mit ^ markiert habe.
Im ersten Vers gibt es zwei Elisionen und die letzte Silbe ist kurz, d.h. der letzte Fuß ist ein Trochäus ( ¾ È ):

paen(e) însulârûm, Sîrmi(o), însulârûmque:
paen(e) în
su lâ
rûm Sîr
mi(o) în
su lâ
rûm que
¾ ¾
È ¾
¾ ¾
È ¾
È ¾
¾ È

In der zweiten Zeile sehen wir am Versende einen Spondeus ( ¾ ¾ ):

ocêlle quâscûmqu(e) în liquêntibûs stâgnîs
oc êl
le quâs
cûm qu(e) în
li quên
ti bûs
stâg nîs
¾ ¾
È ¾
¾ ¾
È ¾
È ¾
¾ ¾

Beim lauten Lesen spüren Sie, daß das Versende verzögert wirkt.

Normalerweise hat ein Jambus seine Betonung (seinen Iktus) auf der zweiten Silbe des Versfußes. Bemerkenswert ist beim Hinkiambus, daß der letzte Fuß, der ein Spondeus oder ein Trochäus sein kann, seinen Iktus auf der ersten Silbe hat. Das ist es, was das Hinken hervorruft.
Damit das mit dem Hinken auch wirklich funktioniert, muß der fünfte Fuß immer ein Jambus sein.

Erlaubte Abweichungen sind folgende: Im 1., 3. und 4. Fuß können statt Jamben (È ¾ ) auch Spondeen (¾ ¾ ) stehen, im letzten Fuß ist ein Trochäus (¾ È ) oder ein Spondeus erlaubt.

Grob gesagt ist der Hinkiambus ein jambischer Senar, 12.Lektion, in dem der letzte Fuß umgedreht wurde, d.h. um vor dem Versende eine Bremse zu haben, wurde aus dem letzten Jambus ein Trochäus gemacht.
 

Ein weiterer Grund, um an der Bithynien-Expedition teilzunehemen, war wohl auch der Wunsch, seinem in der Troas (Gebiet des alten Troja) verstorbenen Bruder letzte Ehren zu erweisen. Sein Carmen 101 ist seinem geliebten Bruder gewidmet.

Carmen 101

Multâs per gentês et multa per aequora vectus
adveniô hâs miserâs, frâter, ad înferiâs,
ut tê postrêmo dônârem mûnere mortis
et mûtam nêquîquam adloquerer cinerem,
quandôquidem fortûna mihî têtê abstulit ipsum,
heu miser indignê frâter adêmpte mihî.
Nunc tamen intereâ haec, prîscô quae môre parentum
trâdita sunt trîstî mûnere ad înferiâs,
accipe frâternô multum mânantia flêtû,


atque in perpetuum, frâter, avê atque valê.

Durch viele Völker und viele Meere gereist,
komme ich, Bruder, zu diesen armseligen Beerdigungsriten,
um dich zu beschenken mit den letzten Totengaben und vergeblich zur stummen Asche zu sprechen,
da das Schicksal dich selbst mir nahm,
ach, unglücklicher Bruder, ungerecht von mir genommen.
Doch jetzt, indessen, nimm diese an, die
nach alter Sitte der Vorfahren
dargebracht wurden als traurige Gaben für das Totenritual, triefend von vielen brüderlichen Tränen,
und für immer, Bruder, grüße ich dich und auf Wiedersehen.


Vokabeln

aequor, oris n ebene Fläche, die See
vehô, vêxî, vectum, vehere forttragen, fortbewegen, fahren, segeln
înferiae, ârum f Totenopfer
postrêmus, a, um hinterster, letzter, geringster
mûnus, eris n Geschenk, Abgabe, letzter Liebesdienst
mûtus 3 stumm, still
nêquîquam Adv. vergeblich
ad-loquor = al-loquor anreden, ermahnen, trösten
cinis, cineris m, f (Leichen) Asche
quandôquidem da; mihî hat langes i wegen des Metrums; têtê ist emphatisch für tê; heu ach
miser, misera, miserum elend, unglücklich
indignê Adv. ungerechterweise, schmachvoll
adimô, adêmî, adêmptum, adimere wegnehmen, der Vokativ adêmpte gehört zu frâter
inter-eâ
Adv. inzwischen, indessen
prîscus 3 alt, altehrwürdig
haec Akk.Pl.Neutr. ist Objekt zu accipe, mânantia (Part. von mânô 1 strömen, triefen) bezieht sich auf haec. Die Totengaben waren Wein, Milch und Honig.

 

zurück


Grammatik

Steigerung (Komparation ) der Adjektive

Wir beginnen dieses Kapitel mit Auszügen aus einigen Cicero-Briefen:

Wir sehen, wie sehr der Lateiner es liebte, gesteigerte Adjektive (und Adverbien) zu benutzen.
Nun haben wir uns bereits in der 5.Lektion mit der Steigerung (Komparation) von Adjektiven beschäftigt und die Formen von Komparativen und Superlativen immer wieder benutzt. Aber was hindert uns, die Angelegenheit nochmals aufzurollen, vielleicht gibt es doch noch einiges hinzuzufügen. Rollen wir also auf!

In der 5.Lektion stand u.a. folgende Frage:

Können Sie vermuten, wie man die Steigerung eines Adjektivs durchführt? Einfach!

1. Nimm den Genitiv des Adjektivs: sapient-is
2. Ersetze den Genitivausgang durch -ior (beim Neutrum -ius)=> Komparativ
3. Ersetze den Genitivausgang durch -issimus => Superlativ


An dieser Wahrheit hat sich bisher nichts geändert: Der Komparativ wird gebildet, indem man -ior (m/f) bzw. -ius (n) an den Wortstock des Adjektivs hängt.

(Den Wortstock des Adjektivs erhalten wir dadurch, daß wir im Singular den Genitivausgang -i bzw. -is abstreifen.
Beispiele:
longus lang hat den Genitiv long-î; also lautet der Wortstock: long- . Bei pulcher schön lautet der Genitiv pulchr-î, also ist der Wortstock: pulchr-.
Die Komparative heißen long-ior,-ius länger und pulchr-ior, -ius schöner. Beachten wir auch, daß das Bildungselement des deutschen Komparativs -er ist.)

Der Komparativ wird nach der konsonantischen Deklination dekliniert, oder genauer: die Komparative sind Adjektive zweier Endungen nach der dritten Deklination.

Für das Adjektiv longus, a, um lang schauen wir uns einmal die komplette
Deklination des Komparativs an:

 

Singular

Plural

m

f

n

m

f

n

Nom.

longior

longior

longius

longiôrês

longiôrês

longiôra

Gen.

 

longiôris

   

longiôrum

 

Dat.

 

longiôrî

   

longiôribus

 

Akk.

longiôrem

longiôrem

longius

longiôrês

longiôrês

longiôra

Abl.

 

longiôre

   

longiôribus

 


Wie bei den Substantiven der kons. Deklination haben wir im Abl.Sing. den Ausgang -e und im Gen.Plur. -um. Wir sahen in der 7.Lektion, daß die Adjektive der kons. Deklination an diesen Stellen -e und -ium haben, also wieder einmal gut aufpassen!

Eine Ausnahme bildet übrigens plûrês mehr (der Zahl nach), das im Gen. Pl. auf -ium ausgeht: plûrium. Der Positiv, also die Grundform des Adjektivs, heißt multî viele. Eshandelt sich hier um eine Steigerung mit Stammwechsel. Hierhin gehören einige häufig benutzte Adjektive wie bonus, malus usw. Weiter unten stelle ich sie für Sie zusammen.

Normalerweise machen wir mit dem Komparativ genau das, was der Name sagt: comparare vergleichen:

Lesbia pulchrior est quam Sempronia. Lesbia ist schöner als Sempronia.
Vêr pulchrius est quam hiems. Der Frühling ist schöner als der Winter.
Mihi plûrês librî sunt quam tibi. Ich habe mehr Bücher als du.

Oft aber wird garnichts verglichen: Rhenus longior est. Hier wollen wir einfach nur sagen der Rhein ist ziemlich lang, -oder wenn wir unbedingt wollen: Der Rhein ist ein -verglichen mit anderen Flüssen- längerer Fluß.
Aber jedenfalls ist richtig, daß Danuvius longior est quam Rhenus. Die Donau ist länger als der Rhein.

Zu erwähnen ist noch folgende Erscheinung: Oft wird quam als weggelassen und stattdessen das Vergleichsglied in den Ablativ gesetzt. Also statt turris altior est quam mûrus sagt man turris altior est murô. D.h. eigentlich sagt man das nicht, man setzt beim feineren Sprechen gern den Ablativ vor den Komparativ: turris mûrô altior est. Der Ablativ ist die Basis, von der aus man den Nominativ betrachtet. Von der Mauer aus betrachtet ist der Turm höher.
Natürlich hat dieser Ablativ auch eien Namen: Ablativus comparationis. (Im Griechischen ist es der Genitivus comparationis.)

Beispiele:

Lesbia mihi carior est quam vita mea. Lesbia ist mir teurer als mein Leben (würde Catull gesagt haben). Hier sind die beiden Umwandlungsschritte:
1. Lesbia mihi carior est vitâ meâ
2.
Lesbia mihi vitâ meâ carior est. (Abl. comp.)
(
Eigentlich: Lesbia ist mir von meinem Leben aus betrachtet das teurere.)

Nihil amâbilius est quam virtûs (ûtis f). amâbilis, e liebenswürdig, liebevoll
Nichts ist liebenswerter als die Tugend.
1. Nihil amabilius est virtûte
2.
Nihil virtûte amabilius est. (Abl. comp.)

Beim Relativpronomen benutzt man überhaupt nur den Ablativ und nicht quam.
Beispiel: ratiô, quâ nihil est in nôbis dîvînius. Die Vernunft, im Vergleich zu der nichts Göttlicheres in uns ist. (Oder besser: Die Vernunft, das Göttlichste, was wir besitzen.)

Wenn wir aber einfach fragen: Was ist in uns göttlicher als die Vernunft?, so können wir mit quam oder auch mit Ablativ übersetzen:

1. Quid est in nôbis dîvînius quam ratiô? oder
2. Quid est in nôbis ratiône dîvînius? (Abl. comp.)

Hier haben Sie noch die Zusammenstellung der Adjektive, deren Steigerung mit Stammwechsel stattfindet:

Positiv

Komparativ

Superlativ

bonus gut

melior, melius besser

optimus der beste, sehr gut

malus schlecht

peior, peius schlechter

pessimus der schlechteste, sehr schlecht

mâgnus groß

mâior, mâius größer (älter)

mâximus der größte, sehr groß (der älteste)

parvus klein

minor, minus kleiner

minimus der kleinste, sehr klein

multum viel

plûs mehr (Menge, Grad)

plûrimum das meiste, sehr viel

multî viele

plûrês, plûra; Gen. plurium mehr (Zahl)

plûrimî die meisten, sehr viele

 

Mit plûrês mehr (bei zählbaren Dingen) sind verwandt der Komparativ complûrês mehrere und der Superlativ plêrîque die meisten. Im direkten Vergleich steht immer nur plûrês, nie complûrês, welches ein unbestimmtes Zalwort ist.
Beispiele: Mihi plûrês librî sunt quam tibi.
Ich habe mehr Bücher als du. Aber:
Complûrês librî vîdî. Ich habe mehrere Bücher gesehen.

(Man darf natürlich nicht plûrês mit magis verwechseln. Beide werden im Deutschen durch mehr übersetzt, aber man darf nicht übersehen, daß plûrês der Komparativ des Adjektivs multî und magis ein Adverb ist. Beispiel: ego tê magis amô quam tû mê ich leibe dich mehr als du mich.)

Im Spanischen werden Sie größer i.a. mit más grande mehr groß übersetzt finden, im Portugiesischen aber unbedingt mit maior, also nach Art der Lateiner. Wenngleich auch der Spanier den Komparativ mayor kennt, verliert dieser jedoch immer mehr an Bedeutung.
Die Umschreibung mit dem Adverb mehr (span. más, lat. magis), treffen wir bereits im Lateinischen an, und zwar bei Adjektiven, die vor dem Ausgang -us einen Vokal haben, z.B. ardu-us, a, um steil. Der Komparativ heißt magis arduus. Den Superlativ bilden diese Adjektive mit mâximê am meisten, sehr, also der steilste oder sehr steil heißt mâximê arduus.

Folgende Adjektive gehören hierhin: idône-us geeignet, dubi-us zweifelhaft, necessâri-us notwendig und auch piu-us fromm: magis pius frommer, mâximê pius der frommste, sehr fromm.

Nicht dazu gehört aber das Adjektiv antîquus, a, um, es bildet ganz normal antîquior, -ius älter und antîquissimus der älteste, sehr alt. Hier gehört das -u- vor dem -us zum -q- und ist konsonantisch (w). Die Ausprache ist ja auch: an-tî-kwus, an-tî-kwi-or, an-tî-kwis-si-mus.

Über den Superlativ gibt es auch noch etwas zu sagen. Wir treffen ihn typischerweise dann an, wenn drei Personen oder Dinge in Bezug auf eine gemeinsame Eigenschaft miteinander verglichen werden. Vergleichen wir doch mal die Schönheit dreier Frauen:

Sempronia pulchra est. Sempronia ist schön.
Lesbia pulchrior est quam Sempronia. Lesbia ist schöner als Sempronia.
Claudia pulcherrima omnium est. Claudia ist die schönste von allen.

Bei den Adjektiven auf -er geht der Superlativ auf -errimus aus: pulcher => pulcherrimus,
miser
elend => miserrimus, celer schnell => celerrimus der schnellste, sehr schnell

Das Bildungselement des Superlativs ist normalerweise -(is)sim-, das links von sich den Wortstock und rechts die Ausgänge -us, -a, -um der a-o-Deklination hat.
Der Superlativ aller Adjektive wird nach der a-oDeklination dekliniert.

Superlativ: Wortstock + (is)sim + (-us, -a, -um)

Tiberis flûmen latissimum est. Der Tiber ist ein sehr breiter Fluß. (flûmen, inis n)

Auch beim Superlativ muß nicht unbedingt ein Vergleich vorliegen.
Sie könnten z.B. finden, daß Claudia sehr stark und Lesbia sehr klug ist:
Claudia fortissima et Lesbia prûdentissima est.
Oder denken Sie an Ihren Brief, der Cicero so angenehm war, denn er schrieb Ihnen, Richard, doch: Grâtissimae mihi tuae litterae fuêrunt, Ricarde.

Ich muß Sie aber noch auf folgende Besonderheit hinweisen, die die Adjektive auf -ilis betrifft wie facilis leicht, similis ähnlich, humilis niedrig usw.
Sie bilden den Superlativ auf -(il)limus:
facillimus
sehr leicht, simillimus sehr ähnlich, humillimus sehr niedrig

Ausnahme: nôbilis, e edel => nôbilissimus sehr edel

Noch eine Kleinigkeit, weil es unten in der Caesar-Lektüre (Zeile 1) vorkommt. Es gibt einige Komparative und Superlative, die keinen Positiv haben. Genauer, die kein Adjektiv als Positiv haben; bei ihnen übernimmt eine Präposition die Rolle des Positivs.
Z.B. wird von extrâ außerhalb der Komparativ exterior der äußere und der Superlativ extrêmus der äußerste abgeleitet.
Aus prope nahe bei ergibt sich propior der nähere und proximus der nächste.
Nehmen wir noch ein Beispiel:
Aus suprâ oberhalb folgen der Komparativ superior mit den beiden Bedeutungen der obere und überlegen und die beiden Superlative suprêmus der oberste und summus der höchste.
Sie finden eine Liste dieser unvollständigen Steigerung in Ihrer Grammatik, z.B. in KurzGr S.26.

Machen wir Schluß mit einem Hinweis auf eine Stelle in unserer heutigen Bellum- Gallicum-Lesung. Es heißt dort in Zeile 5
Caesar ... quam maximîs potest itineribus in Galliam ulteriôrem contendit. Caesar eilt in möglichst großen Märschen ins jenseitige Gallien.
Die Struktur, die ich erklären will, ist quam + Superlativ + posse. Caesar benutzt sie, um einen möglichst großen Aufwand zu bezeichnen.
Ein paar Zeilen weiter heißt es: ..quam maximum potest militum numerum ... eine möglichst große Anzahl an Soldaten...
Unser möglichst mit dem Positiv wird im Lateinischen also durch quam mit dem Superlativ ausgedrückt.
Manchmal fehlt eine Form von posse, z.B. in einem früheren B-G-Kapitel (I,3,1) Helvetii constituerunt sementes quam maximas facere. Die Helvetier beschlossen, eine möglichst große Aussaat zu machen.

 

Das unregelmässige Verb volô

In der 12.Lektion haben wir die Formen von possum betrachtet, heute ist volô, voluî, velle wollen an der Reihe.
Zunächste einige Sätze, in denen Formen von velle benutzt werden:

Sie sehen, ohne velle wollen ist kein Gespräch zu führen, schon garnicht über Geld. Also schnell die Verbalformen zusammengestellt:

Präsensstamm:

Präsens
Imperfekt
Futur I
Indikativ
Konjunktiv
Indikativ
Konjunktiv
Indikativ
vol-ô
ich will
vî-s
vul-t
vol-u-mus
vul-tis
vol-u-nt
vel-i-m
ich wolle
vel-î-s
vel-i-t
vel-î-mus
vel-î-tis
vel-i-nt
vol-ê-ba-m
ich wollte
vol-ê-bâ-s
vol-ê-ba-t
vol-ê-bâ-mus
vol-ê-bâ-tis
vol-ê-ba-nt
vel-le-m
ich wollte
vel-lê-s
vel-le-t
vel-lê-mus
vel-lê-tis
vel-le-nt
vol-a-m
ich werde wollen
vol-ê-s
vol-e-t
vol-e-mus
vol-e-tis
vol-e-nt

Man kann drei Stämme ausmachen: vel-, vol-, vul- (dabei haben wir vîs nicht berücksichtigt). Der Stamm vel- ist sprachgeschichtlich der ältere, vol- entwickelte sich später daraus, und vul- ist ein Folgeprodukt von vol-, das man auch die o-Stufe nennt. Sie sehen, daß das Imperfekt im Indikativ den Stamm vol- und die charakteristische Silbe -ba- hat. Futur I wird ebenfalls aus dem vol-Stamm entwickelt, dagegen leiten die Konjunktive sich vom alten vel-Stamm ab,
-woran wir sie auch leicht erkennen können! Beachten Sie auch die alte Regel für den Konjunktiv des Imperfekts: Infinitiv + Personalendung (m, s, t, mus, tis, nt).

Die Formen des Perfektstammes leiten sich alle von vol- ab. Der Indikativ Perfekt von velle ist vol-u-î ich habe gewollt. Die von vol-u-î abgeleiteten Tempora werden ganz regelmäßig gebildet, so daß es genügt, nur die 1.Pers.Singular anzugeben:
Perfekt
Indikativ
vol-u-î
ich habe gewollt
 
Konjunktiv
vol-u-erim
ich habe gewollt
Plusquamperfekt
Indikativ
vol-u-eram
ich hatte gewollt
 
Konjunktiv
vol-u-issem
ich hätte gewollt
Futur II
Indikativ
vol-u-erô
ich werde gewollt haben
Infinitiv Perfekt
 
vol-u-isse
gewollt haben


Das Part.Präs. volêns, volentis wollend ist meist Adjektiv und bedeutet dann willig, gewogen

Zu volô gehören zwei Composita, die wir bereits kennen:

nôlô, nôluî, nôlle nicht wollen
mâlô, mâluî, mâlle lieber wollen

Diese Verben sind aus nê-volô und magis volô kontrahiert. Fast alle Formen werden nach dem Muster von velle gebildet, aber zu beachten sind die folgenden Ausrutscher:

nôlô
ich will nicht

nôn vîs

nôn vult

nôlumus

nôn vultis

nôlunt

mâlô
ich will lieber

mâvîs

mâvult

mâlumus

mâvultis

mâlunt


Beispiele:
nôlô multum tempus perdere. Ich will nicht viel Zeit verlieren.
plura scribere nôlô mehr will ich nicht schreiben
errare mâlô cum Platone... ich will lieber mit Plato irren...
nôlêns volêns nicht wollend (oder) wollend oder: nicht wollend wollend

zurück


Übungen zur Grammatik

Hier sind zunächst einige Übungen zu Catull,

versuchen Sie zu übersetzen:

(quadrivium, iî n Kreuzweg, angiportum, î n enges Gäßchen, Seitengasse,
glûbô, psî, ptum, glûbere abschälen, berauben, aussaugen)

Nun zu der Komparation von Adjektiven

Issa est passere nêquior Catullî,
Issa est pûrior ôsculô columbae,
Issa est blandior omnibus puellîs,
Issa est cârior Indicîs lapillîs,
Issa est dêliciae catella Pûblî.

nêquior, ius wertlos, schelmisch
columba, ae f Taube
blandus 3 neckisch, kosend
Indicus 3 aus Indien
lapillus, î Edelstein
catella, ae f Hündchen
Pûblî = Pûbliî (Gen. von Pûblius)

Sie finden sicher schnell heraus, daß es sich um Elfsilbler (Hendekasyllabus) handelt:
Is-s(a) est | pas-se-re | nê-qui |-or Ca |-tul - lî; bis auf nê- sind alle markierten Silben positionslang, denn ihre Vokale stehen jeweils vor mehreren Konsonanten.

Hier noch zwei Sätze zu velle und mâlle:

 

Lösungen:

zurück

 


Lektüre

Als Caesar erfuhr, daß sie vorhatten, durch die römische Provinz zu ziehen, verließ er sofort Rom und erschien eine Woche später bereits vor Genf. So war Caesar.

BG I,6,3-7,3

1

Extrêmum oppidum Allobrogum est proximumque Helvêtiôrum fînibus Genava. Ex eô oppidô pôns ad Helvêtiôs pertinet.

2.

Allobrogibus sêsê vel persuâsûrôs quod nôndum bonô animô in populum Rômânum vidêrentur, exîstimâbant, vel vî coâctûrôs, ut per suôs fînês eôs îre paterentur.

3.

Omnibus rêbus ad profectiônem comparâtîs diem dîcunt, quâ diê ad rîpam Rhodanî omnês conveniant.

4.

is diês erat ante diem quîntum Kalendâs Aprîlês Lûciô Pisône, Aulô Gabiniô cônsulibus.

5.

Caesarî cum id nûntiâtum esset, eôs per provinciam nostram iter facere conârî, mâtûrat ab urbe proficîscî et quam maximîs potest itineribus in Galliam ulteriôrem contendit et ad Genavam pervenit.

6.

Provinciae tôtî quam maximum potest mîlitum numerum imperat (erat omnînô in Galliâ ulteriôre legiô ûna), pontem, quî erat ad Genavam, iubet rescindî.

7.

Ubî dê eius adventû Helvêtiî certiôrês factî sunt, legâtôs ad eum mittunt nobilissimôs civitâtis, cuius lêgâtiônis Nammêius et Vercucloetius principem locum obtinêbant,

8.

quî dîcerent sibi esse in animô sine ullô maleficiô iter per provinciam facere, propterea quod aliud iter habêrent nullum; rogâre, ut eius voluntâte id sibi facere liceat.

 

 

zurück


Übersetzung

wörtliche Übersetzung

1.

Die letzte Stadt der Allobroger ist und die nächste der Helvetier den Grenzen Genf. Aus dieser Stadt eine Brücke zu den Helvetiern führt.

2.

Die Allobroger sie entweder überreden würden, weil noch nicht guter Gesinnung gegen das Volk römische schienen, sie glaubten, oder mit Gewalt zwingen würden, daß durch ihr Gebiet sie ziehen ließen.

3.

Nachdem alle Dinge zum Aufbruch vorbereitet worden waren, einen Tag sie sagen an, an welchem Tag am Ufer der Rhône alle zusammenkommen sollen.

4.

Dieser Tag war der fünfte Tag vor den Kalenden des April, als Lucius Piso und Aulus Gabinius Konsuln waren.

5.

Dem Caesar als dies gemeldet worden war, (daß) sie durch Provinz unsere die Reise zu machen beabsichtigten, er eilt von der Stadt abzureisen und in möglichst großen er kann Märschen in das jenseitige Gallien er eilt und bei Genf er anlangt.

6.

Der Provinz ganzen eine möglichst große er kann der Soldaten Anzahl er legt auf (es war überhaupt im jenseitigen Gallien Legion eine), die Brücke, die war bei Genf, er befiehlt abzureißen.

7.

Sobald von seiner Ankunft die Helvetier benachrichtigt worden sind, als Gesandte zu ihm sie schicken die Vornehmsten der Bürgerschaft, welcher Gesandtschaft Nammeius und Verucloëtius die erste Stelle einnahmen,

8.

die sagen sollten, ihnen sei im Sinne ohne jede Feindseligkeit den Weg durch die Provinz zu machen, weil einen anderen Weg sie hätten keinen; sie bäten, daß mit seinem Willen dies ihnen zu tun erlaubt sei.


freie Übersetzung

Die letzte Stadt der Allobroger und die den Grenzen der Helvetier am nächsten ist Genf.
Von dieser Stadt aus führt eine Brücke zu den Helvetiern. Diese glaubten, daß sie die Allobroger, die den Römern noch nicht freundlich gesinnt zu sein schienen, entweder überreden oder durch Gewalt zwingen würden, ihnen den Durchzug durch ihr Land zu erlauben. Nachdem alles für den Aufbruch vorbereitet war, bestimmten sie einen Termin, an dem sich alle am Ufer der Rhône einfinden sollten.
Dies war der 28. März des Konsulatsjahres des Lucius Piso und Aulus Gabinius
(58 v.Chr.)
Als Caesar gemeldet worden war, daß sie durch die römische Provinz ziehen wollten, beschleunigt er seine Abreise aus Rom, eilt in möglichst starken Tagreisen in die Provinz (nach Gallia ulterior) und trifft vor Genf ein.
Der gesamten Provinz befiehlt er, eine möglichst große Anzahl an Soldaten zu stellen
(im jenseitigen Gallien lag überhaupt nur eine Legion); die Brücke, die es bei Genf gab, läßt er abreißen.
Sobald die Helvetier von seiner Ankunft benachrichtigt worden waren, schickten sie zu ihm die Vornehmsten des Stammes als Gesandte. An der Spitze dieser Gesandtschaft standen Nammeius und Verucloëtius. Diese sollten erklären, sie beabsichtigten, ohne jede Feindseligkeit durch die Provinz zu ziehen, deswegen, weil sie keinen anderen Weg hätten. Sie bäten um seine Einwilligung.

 

zurück


Worterklärungen

Verben

côgere zwingen
videor, vîsus sum, vidêrî scheinen, vidêrentur sie schienen, 3.Pl.Konj.Impf.Dep.
exîstimâre meinen, glauben
mâtûrâre (auch properâre) sich beeilen
patior, passus sum, patî Deponens der 3.Konj. auf -ior leiden, dulden, erlauben
ut paterentur daß sie erlaubten + a.c.i., 3.Pl.Konj.Impf.Dep.
comparâre vorbereiten, comparati erant (3.Pl.Ind.Plqupf.Pass.) sie waren vorbereitet worden
re-scindô, re-scidî, re-scissum, rescindere einreißen, abbrechen
licet es ist erlaubt wird nur unpersönlich gebraucht (Perf. licuit und licitum est)

 

Sonstige Wörter und Erklärungen

Genava Genf; lacus Lemannus Genfer See
= Abl. instrumenti auf die Frage womit? wodurch? von vîs f Kraft, Gewalt
bonô animô esse in ... von freundlicher Gesinnung sein gegen...
ante diem quîntum Kalendâs Aprîlês (A-prî-lês) wird mit a.d.V.Kal.Apr. abgekürzt
quam maximus möglichst groß, quam maxima itinera möglichst große Reisen
iter facere marschieren
mîlitês imperô ich befehle, Soldaten zu stellen
tôtus, tôta, tôtum ganz; im Genitiv lauten alle Formen tôt-îus, im Dativ tôt-î,
im Akkusativ tôt-um,-am,-um und im Ablativ tôt-ô, -â, -ô. Der Genitiv ganz Galliens tôtîus Galliae ist uns schon begegnet.
certiorem facere benachrichtigen (wörtl.: sicherer machen)
maleficium, iî n Übeltat, Feindseligkeit
ullus 3 irgendein

Zeile 1

Beide Sätze sind zwar recht einfach zu übersetzen, dennoch wollen wir sie nicht einfach überfliegen. Da steht z.B. im ersten Satz das Subjekt Genava ganz eigenwillig am Satzende, offenbar der besonderen Betonung wegen. oppidum ist Prädikatsnomen zum Verbum est.
Genf ist einerseits die letzte Stadt, andererseit die nächste, d.h. die Superlative extremum und proximum (vgl. Grammatik) sind Attribute zu oppidum. Allobrogum ist Genitivattribut zu oppidum.
Von dem Attribut proximum ist schließlich der Dat. Pl. finibus abhängig. (spr. pro-xi-mum-kwe)
Bei Satz 2 ist zu bemerken, daß ex den Ablativ regiert: eô oppidô mit als Ablativ Sg. Neutr. von is, ea, id. Das Verb pertinêre bedeutete bisher meist gehören, in der Wendung pôns pertinet bedeutet es sich erstrecken, führen.

Zeile 2

Der HS des Satzgefüges ist (Helvetiis) exîstimabant (ex-î-sti-mâ-bant). Natürlich erwarten wir einen a.c.i., -der auch prompt auftaucht: sêsê (= sê = Helvetios) vel persuâsuros (esse). Dazu gehört als entfernteres Objekt (= Dativ-Objekt, denn persuâdeô regiert den Dativ) Allobrogibus.
persuasur
um esse (und gleich auch coacturum esse) ist der Inf.Präs. der Coniugatio periphrastica, der gleichzeitig als Infinitiv Futur fungiert, wie wir schon in der 11.Lektion sahen.
persuasurum muß sich nach dem Subjekt des a.c.i. richten, das heißt nach dem Akk.Pl.Mask. sêsê (= Helvetios). Daher lautet das fertige Prädikat des a.c.i.: persuasuros esse. Zu exîstimabant gehört aber noch ein zweiter a.c.i.: (sêsê) vel vî coâctûrôs (esse).
Sie glaubten, daß sie die A. entweder
(vel) überreden würden ... oder (vel) durch Gewalt zwingen würden...
Zwischen persuasuros und existimabant hat Caesar noch einen Nebensatz eingeschoben, der den Grund dafür angibt, weshalb die Helvetier glaubten, die A. überreden zu können, wir haben also einen Kausalsatz vor uns. Der Konjunktiv steht bei quod, weil es sich bei dem Grund um eine Vermutung des Subjektes des HS handelt. Schließlich muß noch gesagt werden, was sie wirklich vorhatten: ut per suôs fînês eôs îre paterentur.
Der a.c.i. eos îre hängt von paterentur ab: daß sie ihnen erlaubten, durch ihr (der Allobroger) Gebiet zu ziehen. Klarer wird das Ganze, wenn wir den Nebensatz durch ein Substantiv ersetzen: daß sie ihnen den Durchzug durch ihr Gebiet (Land) erlaubten.

Zeile 3

Der HS (Helvetii) dîcunt wird von einem Abl. absolutus eingeleitet: nachdem alle Dinge zum Aufbruch vorbereitet worden waren... Der von quâ, vgl. 5.Lektion, eingeleitete Relativsatz hat das Prädikat conveniant 3.Pl.Konj.Präs.Akt., das wir hier mit Hilfe von sollen wiedergeben müssen sie sollen zusammenkommen. Es handelt sich um einen Jussiv, erinnern Sie sich? Das steht in der 4.Lektion. Als Muster können Sie sich merken videant consules! die Konsuln sollen sich drum kümmern... In der 4.Lektion erfuhren wir, daß dies maskulin ist, wenn es einen Tag von 24 Stunden meint; bedeutet es einen Termin, so ist es weiblich. Demnach ist diem vor dicunt mit Termin zu übersetzen. Im 4.Satz bedeutet is dies aber einen Tag von 24 Stunden, ein Datum.

Zeile 4

Man erhält das Datum, wenn man vom 1. April (Kalendae Aprîlês) aus 5 Tage rückwärts rechnet. Die Zählung beginnt am 1. April: 1., 31., 30., 29., 28.
Das fragliche Jahr ergibt sich aus der Nennung der beiden Konsuln (im Ablativus absolutus).

Caesar gelang es im Oktober 59, als er selbst Konsul war, für das Jahr 58 zwei seiner Freunde als neue Konsuln wählen zu lassen: Lucius Calpurnius Piso, seit kurzem sein Schwiegervater, Caesar hatte dessen Tochter Calpurnia geheiratet. Aulus Gabinius war ein alter Gefolgsmann des Pompeius. Caesar bereitete zu dieser Zeit bereits seine Gallien-Mission vor und brauchte zu Hause zuverlässige Hintermänner. Dazu gehörte auch Clodius, der Bruder der Catullschen Lesbia-Clodia. Mit Caesars Einwilligung war Clodius kurz zuvor zum Volkstribun gewählt worden. Pompeius heiratete 59 Caesars Tochter Julia, die etwa dreißig Jahre jünger war als er. Crassus, Pompeius und Caesar waren außerdem durch ihr Triumvirat aneinander gebunden, wenigstens Pompeius und Caesar, Crassus hielt sich spürbar zurück. Daß Caesar im Senat und in der römischen Gesellschaft wenige Freunde hatte, kann man sich leicht ausmalen. Vor seiner Abreise nach Gallien war jedenfalls noch manches Band zu knüpfen.

Zeile 5

Hier beginnt der eigentliche Auftritt Caesars, BG I,7,1.
Gleich zu Beginn müssen wir staunen, denn Caesar verfügte offenbar über einen schnellen Geheimdienst mit keltischen Sprachkenntnissen.
Den temporalen Vordersatz sparen wir uns bis zum Schluß auf. Der HS mit Caesar als Subjekt ist zusammengezogen und besitzt drei Verba im Präsens: maturat, contendit, pervenit, also typischer Caesar-Stil: er beschleunigt, eilt und kommt an. proficîscî ist direktes Objekt zu maturat. Die Verwendung des Präsens macht die Schilderung lebhaft. Caesar hätte auch im Perfekt schreiben können: maturâvit, contendit (= Präs.), pervênit.
Beachten Sie auch die beiden et, die die Verben miteinander verbinden: maturat et contendit et pervenit. Im Deutschen setzen wir und nur vor das letzte Verb: und kommt an. Der Lateiner kann die drei Verben aber auch einfach unverbunden, durch Kommata getrennt, nebeneinander schreiben, wie wir ja schon früher bei veni, vidi, vici ich kam, sah und siegte sahen.
maximis itineribus
ist ein Ablativ auf die Frage womit? wodurch?, ein Ablativus instrumenti.
(Der Instrumentalis steht als adverbiale Bestimmung zur Bezeichnung von: Mittel, Ursache, Begleitung und Art und Weise.)
ad Genavam bedeutet in die Gegend von Genf; nach Genf würde einfach Genavam heißen.
Ebenso muß man unterscheiden a Roma aus der Umgegend von Rom und ex urbe Roma aus der Stadt Rom.

Jetzt fehlt noch der Anfang der Periode. Der Konj. Plusquamperfekt nûntiâtum esset beim cum historicum bezeichnet die Vorzeitigkeit: zuerst mußte der Vorgang gemeldet werden, dann erst brach Caesar auf: als Caesar dies gemeldet worden war.... Das Partizip nuntiatum steht im Neutrum, weil es sich auf das Neutrum id bezieht. Der auf den Temporalsatz folgende daß-Satz steht lateinisch im a.c.i. mit eôs als Subjekt und dem Deponens conârî versuchen als Prädikat.

Zeile 6

Die Periode besteht aus zwei beigeordneten Hauptsätzen mit den Präsens-Prädikaten imperat und iubet. Wir wissen, daß iubet nach einem a.c.i. verlangt: pontem rescindî daß die Brücke abgerissen werde. rescindi ist Inf. Präs. Passiv von rescindere.
Beachten Sie, daß im Relativsatz quî erat ad Genavam das Relativpronomen quî im Nominativ steht, das Bezugswort pontem aber im Akkusativ. In der 5.Lektion hörten Sie, daß das Rel.Pron. sich in Genus und Numerus zwar nach seinem Beziehungswort richtet, im Kasus jedoch nach seiner Funktion im Relativsatz -und die ist hier, Subjekt zu sein. Beachten Sie das Imperfekt erat zur Schilderung eines Zustandes.

Der eingeschobene Satz erat ... legiô ûna deutet darauf hin, daß es in der provincia Romana vor Caesars Auftritt offenbar recht ruhig zuging, denn eine Legion waren nur 4000 Mann. Soviele Polizisten benötigt eine heutige Großstadt um bei besonderen Anlässen die Ordnung zu garantieren.
Daß Caesar so ohne weiteres und in wenigen Wochen ein ansehnliches Heer ausheben konnte, ist ebenfalls bemerkenswert. Er erwähnt nicht, daß er in Aquileia, in Norditalien, bereits über drei Legionen verfügt. Die Aushebung von Legionen verlangte eigentlich einen Senatsbeschluß. Aber Caesar wird sich schon zu rechtfertigen wissen.

Zeile 7/8

HS: (helvetii) mittunt, Objekt zu mittunt ist nobilissimos mit dem Gen. Attribut cîvitâtis. Apposition zum Objekt ist legatos als Gesandte.
Im temporalen, passiven Vordersatz ist facti sunt sie sind gemacht worden 3.Pl.Ind.Perf.Pass. Prädikat zum Subjekt Helvetii. certior factus sum ich bin benachrichtigt worden.
ut ... liceat (Konj.Präs.) ist ein Finalsatz, eingeleitet mit ut finale, der von rogare abhängt. Von liceat hängt schließlich der Infinitivsatz id facere dies zu tun ab.
Die relativen Anschlüsse cuius (legationis) und qui (dicerent) erzeugen im Lateinischen eine enge Satzverbindung. Im Deutschen ist es jedoch geschickter, die Rel.-Pronomina in Demonstrativ-Pronomina zu verwandeln. Wir beginnen dann jedesmal einen neuen Satz.

 
zurück


Übungen zur Lektüre

Lösungen:

zurück

 


Anhang

Heute werden wir eine Anekdote aus dem Leben des Kaisers Augustus lesen. Hier sind zunächst einige Lebensdaten:
Name: C. Octavius, nach Adoption durch Onkel C. Iulius Caesar neuer Name:
C. Iulius Caesar Octavianus, seit 16.1.27 Augustus, der Erhabene.
Geb. 23.9.63 v.Chr. in Rom
45 begleitet er Caesar nach Spanien
27.11.43 Triumvirat zusammen mit Antonius und Lepidus.
Nach Ausschaltung des Lepidus und nach dem Seesieg über Antonius am
2.9.31 bei Aktium Alleinherrscher unter scheinbarer Wahrung republikanischer Traditionen.
Gestorben: 19.8.14 n.Chr. in Nola. Der Sterbemonat wurde nach ihm August genannt.

Bei seinem Tod hinterließ Augustus ein Testament, eine Verfügung über seine Bestattung, eine statistische Übersicht über das ganze Reich und eine Verzeichnis seiner Taten, die Res gestae Divi Augusti. 1555 wurde eine Abschrift dieses Verzeichnisses (Index rerum gestarum) in griechischer Sprache -in Marmor gemeißelt- an einem ehemaligen Tempel der Göttin Roma und des Augustus in Ankara (Ankyra) gefunden, daher auch Monumentum Ancyranum genannt.

Der römische Historiker Sueton (70-140 n.Chr., Freund Plinius´ d.J.,) verfaßte eine Biographie des Kaisers.
Im Anhang der nächsten Lektion werden wir einige Zeilen aus dem Index lesen.

Nur einige wenige der unzähligen Briefe, die Augustus geschrieben bzw. diktiert haben muß, sind erhalten, z.B. ein kurzer Brief an seinen heiß geliebten Enkel Gaius Caesar (20 v.Chr.- 4.n.Chr.).

Hier nun die angekündigte Anekdote:

Cum post Actiacam victoriam Octavianus Romam reverterêtur, occurit ei inter gratulantes opifex quidam corvum tenens, quem instituerat haec dicere:
Ave, Caesar, victor imperator.


re-vertor, revertî, reversus, vertere zurückkehren, hier 3.Sg.Konj.Impf.Dep. cum historicum mit Konj.Impf. signalisiert Gleichzeitigkeit, daher: als O. nach R. zurückkehrte, ...
oc-currô, (cu)currî, cursum, currere begegnen, hier Perfekt
opifex, opificis m Handwerker
corvus, î m der Rabe
în-stituô, uî, ûtum, stituere 3 veranstalten, unterweisen, abrichten, hier 3.Sg.Ind.Plqupf.Akt.
victor kann heißen Sieger oder siegreich

Als Oktavian nach dem Sieg bei Aktium nach Rom zurückkehrte, begegnete ihm unter den Gratulanten ein gewisser Handwerker, der einen Raben hielt, den er abgerichtet hatte, folgendes zu sagen: Sei gegrüßt, Caesar, siegreicher Herrscher.

Miratus Caesar officiosam avem viginti milibus nummorum emit. Salutatus similiter a psittaco emi eum iussit. Hoc exemplum sutorem pauperem sollicitavit, ut corvum institueret ad parem salutationem.

mîror, mîrâtus sum, mîrârî sich wundern, anstaunen (+ Akk.) Dep. 1.Konj.
mîrâtus emit = miratus est et emit er hat gestaunt und gekauft
emô, êmî, êmptum, emere kaufen
vîgintî mîlibus Ablativ des Preises (Ablativus pretii), vîgintî 20 ist undeklinierbar
nummus, î m Münze, Sesterz (1/4 Denar)
officiôsus 3 gefällig, dienstfertig
psittacus, î m der Papagei
sûtor, ôris m der Schuster
pâr, aris Adj. ähnlich, gleich

Caesar staunte über den eilfertigen Vogel und kaufte ihn für 20000 Sesterzen. Als er von einem Papagei ähnlich begrüßt worden war, befahl er, ihn zu kaufen.
Dieses Beispiel reizte einen armen Schuster, einen Raben zu der gleichen Begrüßung abzurichten.

Quî impendiô exhaustus saepe ad avem non respondentem dîcere solêbat: opera et impênsa periit! Aliquandô tamen corvus coepit dicere dictam salutationem.

impendium, i n der Aufwand, die Mühe, die Kosten
ex-hauriô, hausî, haustum, ex-haurîre erschöpfen
impênsa, ae f Kosten, Aufwand
aliquandô Adv. einst, einmal
coepiô, coepî, coeptum, coepere anfangen, beginnen, coepî ich habe angefangen

Dieser pflegte durch den Aufwand erschöpft zum nicht antwortenden Vogel oft zu sagen:
Mühe und Kosten sind verloren! Einmal jedoch begann der Rabe, die vorgesprochene Begrüßung auszusprechen.

Hâc salutatiône auditâ Augustus, dum transit, respondit: Satis domî talium salutatorum habeô.
Superfuit corvô memoria, ut et illa, quibus dominum querentem solebat audire, subtexerat:
opera et impensa periit.

hac salutatione audita ist Abl. absolutus;
dum transit während er vorübergeht
supersum, superfuî, superesse übrig sein, noch vorhanden sein
queror, questus sum, querî klagen
quibus ist Abl. instrumenti mit denen
audio te querentem ich höre dich klagen, vgl. 12.Lektion Acc. cum participio
ut et illa (verba) ... Konsekutivsatz: so daß ...
sub-texô, texuî, textum, texere einflechten, texere weben, textilis, e gewebt

Nachdem Augustus dies gehört hatte, sagte er beim Vorübergehen: Zu Hause habe ich genug derartiger Begrüßer. Der Rabe hatte noch Gedächtnis übrig, so daß er auch jene Worte hinzufügte, mit denen er seinen Herren klagen zu hören pflegte: Mühe und Kosten sind verloren.

Ad quod Caesar rîsit emique avem iussit, quantî nullam ante emerat.


rîdeô, rîsî, rîsum, rîdêre lachen
quantî für wieviel, so teuer wie (quantî cônstat haec avis was kostet dieser Vogel? - Est cârissima!)

Caesar lachte hierüber und befahl, den Vogel zu kaufen, so teuer wie er keinen vorher gekauft hatte.

 

zurück

zurück zur Inhaltsseite