19.
Lektion - lectio undevicesima (undeviginti 19)
Zuerst gebe ich Ihnen einen wirklich guten Ratschlag:
Perfer et obdûrâ: labor hîc tibi prôderit ôlim.
Von den sechs großen Poeten der klassischen Epoche der römischen Literatur (Catull, Vergil, Horaz, Tibull, Properz, Ovid) fällt Leben und Werk des Publius Ovidius Nâsô (43 v.Chr. - 17/18 n.Chr.), kurz Ovid, fast ganz in die Regierungszeit des Augustus.
Ovid beginnt seine Dichter-Karriere mit den Amores, die er mehrfach überarbeitete und später von ursprünglich fünf auf nur drei Bücher beschränkte. Die Ur-Amores gingen verloren. Die ersten Gedichte dieser sich über ca. 15 Jahre hinziehenden Sammlung schrieb Ovid mit etwa 18 Jahren. Als er die uns erhaltene zweite Auflage abschloß, etwa 10 v.Chr., waren seine großen Dichterkollegen bereits alle tot. Diese Liebesgedichte spiegeln sicherlich den auch damals schon recht freien Umgang mit Dingen der Liebe im vor- und außerehelichen Bereich recht getreu wider. (Dagegen ist es keineswegs geklärt, wie weit sie autobiographische Informationen enthalten.)
Die sexuelle Großzügigkeit, mit der die römische Gesellschaft das Dasein würzte, entsprach aber überhaupt nicht den Bestrebungen des Kaisers Augustus, der alle derartigen Aktivitäten auf den häuslichen Rahmen beschränkt wissen wollte.
Mit dem Abschluß der Amores legte Ovid sein Thema aber nicht zu den Akten; etwa um das Jahr 1 v.Chr. legte er seine Erfahrungen in einem Lehrbuch der Liebeskunst nieder, in der Ars amatoria oder Ars amandi. Für das römische Publikum erneut ein literarischer Leckerbissen, für Augustus ein erneuter Schock, den er nicht vergessen wird.
Vielleicht wollte Ovid mit den nun folgenden Metamorphoses (Verwandlungen) dem Kaiser einen Gefallen tun. Er bearbeitet darin etwa 250 mythische Verwandlungsgeschichten. Mit den Fasti, in denen er Feste sowie altrömische Kulte und Bräuche beschreibt, unterstützt er sogar die Religionspolitik des Kaisers. (fâstus 3 kommt im Sing. in dies fastus Gerichtstag vor; im Plural sind die fâstî Gerichtstage, bedeuten aber auch Kalender, in dem Feste, Opfer usw. verzeichnet sind.)
Aber das Unheil wurde damit nicht aufgehalten. Das lag nicht zuletzt an den Problemen, die Augustus im eigenen Haus hatte und für die Ovid mitverantwortlich war.
Dichter |
Lebensdaten |
Werke |
Daten aus der Geschichte |
Catull |
84 v.Chr. - 55 v.Chr. |
Carmina |
63 Verschwörung Catilinas |
Vergil |
70 v.Chr. - 19 v.Chr. |
Eklogen, Georgica Aeneis |
49-45 Bürgerkrieg |
Horaz |
65 v.Chr. - 8 v.Chr. |
Epoden, Satiren, Oden, Episteln |
15. März 44 |
Tibull |
50 v.Chr. - 17 v.Chr. |
Elegien, Liebesdichtung |
31 Seesieg Octavians bei Actium über Antonius |
Properz |
50 v.Chr. - 16 v.Chr. |
Elegien, Liebesdichtung |
28 Octavian wird Erster Bürger (Princeps) |
Ovid |
43 v.Chr. - 17 n.Chr. |
Amores, Ars amandi, Heroidenbriefe, Fasti, Metamorphosen, |
14 n.Chr. Augustus verstorben |
Es ist sicher richtig, daß jedes Zeitalter seine eigene Ovid-Interpretation hat. Vielleicht war Ovid für Augustus in erster Linie kein Dichter, sondern ein Sittenverderber, der genau das Gegenteil von dem propagierte, was er selbst anstrebte, nämlich moralische Sauberkeit in allen Lebenslagen. Auch Augustus' Tochter Julia hatte ihre ganz persönliche Ovid-Interpretation, und Augustus schickte sie 2 v.Chr. in die Verbannung auf eine karge Felseninsel; sie wurde niemals begnadigt. Unter strenger Bewachung hielt Julia das einsame Leben auf der Insel einige Jahre aus -und starb. Was konnte Ovid für sich erwarten? -vor allem, nachdem er vielleicht Liebesgefährte von Julias Tochter geworden war, die ebenfalls Julia hieß und ebenfalls von Augustus gnadenlos verbannt wurde. Augustus entfernte den Dichter aus Rom und schickte ihn 8 n.Chr. nach Tomi ans Schwarze Meer. Ovid wurde aber nicht exiliert, sondern nur relegiert. Er behielt bei dieser feineren Behandlung Vermögen und römisches Bürgerrecht.
Der Poet stand sein einsames Leben in Tomi (heute Constanza in Rumänien) durch, verwahrloste nicht wie Julia, sondern schuf die Tristia-Traurigkeiten, die "erschütterndste Sehnsuchtslyrik der Antike", wie Reinhard Raffalt sie einmal genannt hatte. Es sah so aus, als ob Augustus den Dichter zurückrufen wollte, aber da kam des Kaisers Tod im Jahr 14 n.Chr. dazwischen. Der Stiefsohn Tiberius, der Augustus auf dem Kaiserstuhl folgte, beließ Ovid, wo er war, und wo er vier Jahre später -etwa 18 n.Chr.- starb.
Ovid entstammte keiner armen Familie, sie war begütert und gehörte dem Ritterstand an. Sein Vater schickte ihn zur Ausbildung nach Rom und sogar nach Athen. (Auch Horaz wurde von seinem -allerdings nicht reichen- Vater als Knabe nach Rom gebracht, um Unterricht in den Wissenschaften zu erhalten, vgl. Satire 1, 6, 71 ff. )
In Tristia IV,10 schildert der einsame alte Mann am Schwarzen Meer recht ausführlich sein Leben, eine literarhistorische Einmaligkeit. Nie zuvor hatte ein Autor seine Vita in dieser Ausführlichkeit für die Nachwelt aufgezeichnet.
Wir lesen aus den Tristia jetzt den Beginn von Ovids Schilderung seiner Jugend. In der kommenden Lektion werden wir einen Abschnitt aus den Metamorphosen studieren.
Ovid
(Tristia IV 10, 3-26)
Sulmo mihi patria est, gelidîs ûberrimus undîs, nec stirps prima fui; genito sum fratre creatus, |
Sulmo ist meine Heimat, sehr reich an kalten Wassern, |
Sulmo
Hauptstadt der Paeligner, 90 Meilen östlich von Rom, heute Sulmona, im Apennin.
Lûcifer amborum natalibus affuit idem: prôtinus excolimur tenerî cûrâque parentis at mihi iam puero caelestia sacra placebant, |
Derselbe Morgenstern war an beider Geburtstag zugegen :Ein Tag wurde mit zwei Kuchen gefeiert. Wir werden sogleich unterrichtet, und sind noch jung; durch Fürsorge des Vaters gehen wir zu Männern Roms, die wegen ihrer Kunst berühmt sind. Der Bruder neigte schon als Kind zur öffentlichen Rede, |
Lûcifer
Saepe pa | tër dï | xït: || studi | üm quod in | ûtile| tëmptâs?
scribere temptabam verba solûta modîs.
sponte suâ carmen numerôs veniebat ad aptôs, |
Oft sagte der Vater: welch unnützes Studium (Beschäftigung) betreibst du? Von seinen Worten ließ ich mich beeinflussen, ließ den Helikon ganz hinter mir, Ganz von selbst kam das Gedicht ins passende Metrum, |
Helicone (Abl.). Der Berg Helikon in Böotien galt als Musenberg.
verba solûta modîs Wörter gelöst von Metren (also Prosa)
modus, î Maß, Takt, Metrum (modîs ist Abl. separationis)
sponte suâ von sich alleine (spontan)
numerôs ... ad aptôs in die passenden Metren
(Unbedingt sollten Sie bei Gelegenheit die restlichen 104 Verse der 10. Elegie des 4. Buches lesen. Ovid erwähnt darin auch seine Dichterkollegen Properz, Horaz, Vergil u.a.)
Skandierung
Jetzt möchten Sie natürlich die Distichen skandieren, -wer könnte Ihnen das verdenken?
Ich werde Ihnen nun ein Rezept zeigen, nach dem Sie jedes Distichon skandieren können, selbst wenn die naturlangen Silben nicht gekennzeichnet sind. Sie bedienen sich einfach der Methode, mit der auch Sherlock Holmes fast immer Erfolg hatte: think!
Einzige Voraussetzung ist die Annahme, daß auch der Dichter sich an die Spielregeln gehalten hat und keine metrischen Fehler beging oder sich sonstige naturwidrige Mätzchen erlaubte.
Beginnen wir mit dem zweiten Distichon:
editus hic ego sum, nec non, ut tempora noris,
cum cecidit fato consul uterque pari.
Zuerst der Hexameter:
1. Silbentrennung:
e-di-tus hic e-go sum, nec non, ut tem-po-ra no-ris,
2. Positionslängen bestimmen, d.h. Vokale vor mehreren Konsonanten aufsuchen und mit ¨ markieren -wenn Elisionen vorhanden sind, ebenfalls festlegen-:
e-di-tus hic e-go süm, nëc non, üt tëm-po-ra no-ris,
3. Hexameterdefinition anwenden: Der letzte Fuß eines Hexameters muß immer aus den beiden letzten Silben bestehen, und davor muß ein Daktylus stehen:
e-di-tus hic e-go süm, nëc non, üt | tëm-po-ra | nô-ris,
(Das o in no- muß, das i in -ris kann lang sein. Mit Hilfe einer Konjugationstafel finden wir, daß das Verb nôverîs = nôrîs lautet.)
4. Abschlußarbeiten: Die ersten sechs Silben bilden zwei Daktylen, also müssen das e in editus und das i in hic lang sein. Die beiden nächsten vier Silben bilden zwei Spondeen, also muß o in non lang sein; Cäsur eintragen:
ê-di-tus | hîc e-go| süm,|| nëc | nôn, üt | tëm-po-ra | nô-rîs,
Pentameter:
1. Silbentrennung:
cum ce-ci-dit fa-to con-sul u-ter-que pa-ri.
2. Positionslängen (und Elisionen) markieren:
cüm ce-ci-dït fa-to côn-sul u-tër-que pa-ri. (Das o in consul steht vor -ns, es ist daher lang.)
3. Pentameterdefinition (die letzten 7 Silben bilden 2 Daktylen und eine kurze oder lange Endsilbe. Die Silbe links von der Diärese muß lang und betont sein.):
cüm ce-ci-dït fa-| tô ||côn-sul u-|tër-que pa-|ri. (Das o in fato muß lang sein.)
4. Abschluß (auch das a in fato muß lang sein, weil sich sonst kein Spondeus ergibt):
cüm ce-ci-|dït fâ-| tô ||côn-sul u-|tër-que pa-|rî.
Daß das i in der Endsilbe lang sein muß, kann man mit Hilfe der Grammatik erschließen, denn es ist Attribut zu fâtô, steht also im Ablativ. (pâr, paris Adj. gepaart, ähnlich, gleich)
Für das erste Distichon finden Sie;
Sül-mo mi-|hî pa-tri-|ä (e)st,|| ge-li- |dîs û-|bër-ri-mus | ün-dîs,
(Das Schluss-i in mihi ist hier lang. Man liest patriast.)
mi-li-a | quî no-vi-|ês || dïs-tat ab | ür-be de-| cem.
Das achte Distichon besprachen wir ja schon in der 17. Lektion- Ihnen bleibt also nur noch wenig zu tun.
Hier sind einige nützliche Internet-Seiten:
http://www.fotomr.uni-marburg.de/ovidserv/Text/Lat_txt.htm Lat. Text der Metamorphosen
http://www.fh-augsburg.de/~harsch/ovi_m000.html ebenfalls lat. Text der Metam. (verweist aber auf Perseus)
http://www.phil.uni-erlangen.de/~p2latein/ovid/start.html#einzel Literatur zu Ovid
http://patriot.net/~lillard/cp/ovid.html Gesamtwerk auf Latein
http://gutenberg.aol.de/ovid/metamor/metamor.htm (Voss-Übertragung)
Textauswahlen mit Kommentaren für die Schule gibt es natürlich auch, z.B.
1. Ovidius, Text-Auswahl von Dr. E. Bernert, Verlag Schöningh, Paderborn
(Die Texte, die wir besprechen werden, finden Sie auch in dieser Auswahl.)
Es gibt auch einen ausführlichen Kommentarband.
2. ratio Band 15: Ovid, bearb. von K. Benedicter, F. Maier, E. Rieger, C.C. Buchners Verlag, Bamberg. (Dieser Band enthält auch Vokalbeln und Kommentare.)
Deponentia der
e-KonjugationDamals, als sie die 9. Lektion durcharbeiteten, stießen Sie mit bewegter Anteilnahme auf die Dêpônentia der a-Konjugation, und seit der Zeit hat sich da nichts mehr getan. Die Deponentia sind Verba, die passive Form und aktive Bedeutung haben. Demnach werden die Deponentia der a-Konjugation genauso konjugiert wie laudor.
Die Deponentia der e-Konjugation sind weniger zahlreich, vermutlich sind uns bisher nicht mehr als fünf begegnet. Sie werden wie moneor ich werde ermahnt konjugiert.
Muster-Beispiel: vereor, veritus sum, verêrî fürchten
Hier sind nun einige Konjugationsbeispiele:
verêtur
3.S. Ind.Präs.Dep. er fürchtetDa es im Passiv keine Imperative gibt, muß das Deponens eigene Imperativ-Formen bilden.
Imperativ Präsens:
verê-re! fürchte! (bitte nicht mit einem Infinitiv Aktiv verwechseln!)
verê-minî! fürchtet! (die Form stimmt überein mit 2.Pl.Ind.Präs.Dep.!)
Imperativ Futur:
verêtor du sollst fürchten! er soll fürchten!
verêminî ihr sollt fürchten! (wie 2.Pl.Imp.Präs.)
verentor sie sollen fürchten!
Infinitive:
Präsens: verêrî fürchten
Perfekt: veritum (a, um) esse gefürchtet haben
Futur: veritûrum (a, um) esse fürchten werden (aktive Form und aktive Bedeutung!)
Participia:
Praesens: verêns, Gen. verentis fürchtend; einer, der fürchtet (aktive Form u. akt. Bed.!)
Perfekt: veritus gefürchtet habend; einer, der gefürchtet hat (das PPD hat aktive Bedeutung!)
Futur: veritûrus einer, der fürchten will oder wird (aktive Form und aktive Bedeutung!)
Gerundivum:
verendus einer, der gefürchtet werden soll oder muß; ein zu fürchtender
(Das Gerundivum ist die einzige aktive Form mit passiver Bedeutung!)
Gerundium: (Das Gerundium bildet aktive Formen mit aktiver Bedeutung.)
Genitiv: verendî des Fürchtens
Dativ: verendô dem Fürchten
Akkusativ: ad verendum zum Fürchten
Ablativ: verendô durch das Fürchten
Supinum: (aktive Form und aktive Bedeutung)
veritum um zu fürchten (Sup. I)
veritû zu fürchten (Sup. II)
Wollen Sie üben, so benutzen Sie doch die folgenden Deponentien der e-Konjugation:
mereor, meritus sum, merêrî
verdienen, sich verdient machen
Auch die Deponentia der i-Konjugation, wie partîrî teilen, bieten keine Geheimnisse; wir werden sie später einmal extra behandeln. Gleich werden wir auch zwei Beispiele der 3. Konj. betrachten.
Erwähnen muß ich nun doch, daß es auch Verben gibt, die sich nur teilweise wie Deponentien verhalten, es sind die verba sêmidêpônentia (sêmi halb). Es handelt sich dabei um Verben, die im Präsensstamm aktive Formen haben, im Perfektstamm aber passivisch sind.
In den Übungen benutzen wir côn-fîdô, fîsus sum, cônfîdere vertrauen, also ein Verb, das ein passivisches Perfekt hat; alle Formen, die nicht vom Perfektstamm abgeleitet werden, sind aktivisch. Es handelt sich bei diesem Verb um ein Semideponens der dritten Konjugation.
Umgekehrt hat aber revertor, revertî, revertî zurückkehren (3. Konj.) passive Formen im Präsensstamm und aktive im Perfektstamm (revertor ich kehre zurück, revertî ich bin zurückgekehrt).
Weitere Beispiele:
cônfîdimus
wir vertrauen (1.Pl. Ind. Präs. Dep.)cônfîsus esset
er hätte vertraut (3.Sing. Konj. Plqupf. Dep.)revertimur
wir kehren zurück (1.Pl. Ind. Präs. Dep.)Unregelmäßigkeiten bei Nomina und bei der Deklination.
Der häufige Internet-Befall von sich wild vermehrenden Viren beunruhigt uns auch vom Sprachlichen her. Denn der eine sagt das Virus, der andere aber der Virus. Was stimmt?
Ein Blick ins lateinische Wörterbuch belehrt uns: trotz des Ausgangs -us, -î (Nom. und Gen. Sing.) ist vîrus, î Schleim, Gift ein Neutrum. Die Sprechweise der Virus ist demnach falsch, es ist höchstens umgangssprachlich erlaubt.
Auch der Vulgus ist eigentlich nur Neutrum: vulgus, î n das gemeine Volk, dagegen ist plebs, plêbis weiblich. Dieses Wort ist aber auch weiblich unter der Gestalt plêbês, êî. Eine ähnliche Doppelform gibt es auch für die Materie, das Material. Neben mâteria, ae f gibt es nämlich auch mâteriês, êî f.
Daß der Apfelbaum, mâlus, î, weiblich ist, liegt einfach daran, daß Bäume immer weiblich sind. Das gilt demnach auch für cedrus, î die Zeder, ulmus, î die Ulme, die Rüster und quercus, ûs die Eiche. (Diese sind sogar im Deutschen weiblich! Beachten Sie bitte, daß quercus nicht zur zweiten Deklination gehört; sie gehört -wie auch pînus, ûs- zur vierten.) Auch humus, î der Erdboden ist weiblich.
Neben diesen Sonderbarkeiten, die das Geschlecht der Nomina betreffen, gibt es auch solche, die sich auf die Deklination beziehen. Da gibt es Wörter, die nur im Singular vorkommen, singulâria tantum, z.B. aurum, î n das Gold (aber auch im Deutschen gibt es dazu keinen Plural, etwa Gölder oder ähnlich), oder solche, die nur im Plural existieren -plûrâlia tantum-, wie lîberî, ôrum m die Kinder.
Bei anderen Wörtern fehlen einige Kasus, sie heißen Dêfectîva, z.B. gibt es einen Genitiv opis der Macht, der Hilfe und dazu den Akkusativ opem und den Ablativ ope, aber ein Nominativ oder ein Dativ ist nicht vorhanden. Damit man das Wort im Wörterbuch führen kann, hat man den künstlichen Nominativ ops gebildet. Der Plural existiert in allen Kasus: opês, opum, opibus, opês, opibus. Bedeutng: Mittel, Vermögen, Reichtum.
(In der Weinberggeschichte der 18. Lektion sahen wir, daß es die Bedeutung von dîvitiae, ârum hat. Dieses Wort gehört im übrigen zu den Pluralia tantum.)
Nomina, die keine Kasusbildung haben, heißen Indêclînâbilia. Wir wissen bereits, daß die Kardinalzahlen ab 4 nicht deklinierbar sind. Auch die Pronomina tot so viele und quot wie viele werden nicht dekliniert. Undeklinierbar sind auch die Neutra fâs das göttliche Recht (fâs omne alles Recht), nefâs das Unrecht, die Sünde (tantum nefâs solches Unrecht) und nihil nichts. (Wenn man zu nihil einen Genitiv braucht, so benutzt man nûllîus reî; als Dativ bzw. Ablativ werden nûllî reî bzw. nûlla rê verwendet.)
Es lohnt nicht, sich alle Ausnahmen zu merken; es reicht sicher, zu wissen, daß es sie gibt. Jede Grammatik führt sie auf -und natürlich werden Sie darüber stolpern, wenn Ihnen eine begegnet.
Versuchen Sie zu übersetzen
Lösungen:
Drei Viertel der Helvetier hatte bereits die Saône überquert, das restliche Viertel -der tigurinische Volksstamm- wurde von Caesars Truppen fast gänzlich niedergemacht. Mit dieser Tat rächte Caesar den römischen Staat und auch den Großvater seines Schwiegervaters, der von den Tigurinern in einer Schlacht getötet worden war. (Vgl. BG I, 7)
BG I, 12
1. |
Flûmen est Arar, quod per fînês Haeduôrum et Sequanôrum in Rhodanum influit incrêdibilî lênitâte, ita ut oculîs, in utram partem fluat, iûdicârî nôn possit. |
2. |
id Helvetii ratibus et lintribus iunctîs trânsîbant. |
3. |
ubi per explôrâtôrês Caesar certior factus est, três iam copiârum partês Helvetios id flûmen trâdûxisse, quartam ferê partem citrâ flumen Ararim reliquam esse, de tertiâ vigiliâ cum legiônibus tribus ê castrîs profectus ad eam partem pervênit, quae nôndum flumen trânsierat. |
4. |
eôs impedîtôs et inopinantes aggressus magnam eôrum partem concîdit; reliquî fugae sêsê mandârunt atque in proximâs silvâs abdidêrunt. |
5. |
is pâgus appellabâtur Tigurînus; nam omnis cîvitâs Helvêtia in quattuor pâgôs divîsa est. |
6. |
hic pâgus ûnus, cum domô exîsset, patrum nostrorum memoriâ, L. (ûcium) Cassium cônsulem interfêcerat et êius exercitum sub iugum mîserat. ( spr. ex-îs-set) |
7. |
ita sîve câsû sîve cônsiliô deôrum immortâlium, quae pars cîvitâtis Helvêtiae însîgnem calamitâtem populô Rômânô intulerat, ea prînceps poenâs persolvit. |
8. |
quâ in rê Caesar nôn sôlum pûblicâs, sed etiam prîvâtas iniûriâs ultus est, quod êius sôcerî L. (ûcî) Pisônis avum L. (ûcium) Pisônem lêgâtum Tigurînî eôdem proeliô quô Cassium interfêcerant. |
wörtliche Übersetzung
1. |
Ein Fluß ist der Arar, der durch das Gebiet der Häduer und Sequaner in die Rhône hineinfließt (mit) unglaublicher Langsamkeit, so daß (mit) den Augen, in welchen Teil er fließt, geurteilt werden nicht kann. |
2. |
Diesen die Helvetier auf Flößen und Kähnen verbundenen überschritten. |
3. |
Sobald durch Kundschafter Caesar benachrichtigt worden ist, (daß) drei schon der Truppen Teile die Helvetier (über) diesen Fluß hinübergeführt hätten, der vierte ungefähr Teil diesseits des Arar übrig geblieben sei, um die dritte Nachtwache mit Legionen drei aus dem Lager aufgebrochen seiend zu dem Teil er gelangte, der noch nicht den Fluß überschritten hatte. |
4. |
Diese behindert und ahnungslos angegriffen habend einen großen derselben Teil er hieb nieder; die übrigen der Flucht sich anvertrauten und in die nächsten Wälder (sich) verbargen. |
5. |
Dieser Gau (Volksstamm) hieß der tigurinische; denn der ganze Staat helvetische in vier Gaue ist geteilt. |
6. |
Dieser Gau eine, als von Hause ausgezogen war Väter unserer Zeit, den Lucius Cassius den Konsul hatte getötet und dessen Heer unter das Joch hatte geschickt. |
7. |
So sei es duch Zufall, sei es durch den Ratschluß der Götter unsterblichen, welcher Teil des Staates helvetischen gewaltiges Unglück dem Volke römischen zugefügt hatte, dieser zuerst Strafe zahlte. |
8. |
Welcher in Sache Caesar nicht nur öffentliche, sondern auch persönliche Beleidigungen rächte, weil seines Schwiegervaters Lucius Piso Großvater, Lucius Piso den Legaten, die Tiguriner in demselben Treffen, in dem den Cassius, getötet hatten. |
freie Übersetzung
Es gibt einen Fluß Arar, der durch das Grenzgebiet der Häduer und Sequaner mit unglaublicher Langsamkeit in die Rhône fließt. Mit den Augen kann man nicht unterscheiden, in welche Richtung er fließt. Die Helvetier uberquerten ihn auf Flößen und zusammengekoppelten Kähnen. Dieser eine Stammesteil war zur Zeit unserer Väter aus seiner Heimat aufgebrochen, hatte den Konsul Lucius Cassius getötet und sein Heer unter das Joch geschickt. |
Sonstige Wörter und Erklärungen
Arar, is m
ist der Fluß, der heute Saône heißt. Der Akk. lautet Arim. (Zur i-Dekl. gehören auch Tiberis, is m Tiber, Albis, is m Elbe, Neâpolis, is f Neapel usw.)
( Im Internet finden Sie unter dem Gopher:
gopher://wiretap.area.com/00/Library/Classic/Latin/Libellus/holmes1%09%09%2B
einen älteren Kommentar zu Caesars De bello Gallico von Holmes, ursprünglich bei Oxford University Press, 1914 erschienen:
Holmes, T. Rice. C. Iuli Caesaris Commentarii Rerum in Gallia Gestarum VII /
A. Hirti Commentarius VIII., Oxford University Press, 1914.
Zur Frage der Vigil finden Sie dort folgenden -leicht kryptischen- Eintrag:
{\bf de tertia vigilia} is generally explained as meaning `in the third watch' ({\it Th.l.L.,} v, 64, with which cf. {\it Cl. Ph.,} 1913, pp. 7--13), though Caesar sometimes writes {\it tertia vigilia,} \&c., without {\it de.} I am not quite sure that de does not mean `just after' (the beginning of the third watch). See the note on ii, 7, \S 1. For military purposes the Romans divided the period between sunset and sunrise into four watches of equal length, the third of which began at midnight.)
fugae sê mandâre
die Flucht ergreifenZeilen 1/2
Obgleich die Periode leicht zu übersetzen ist, hat sie grammatisch doch einige bemerkenswerte Züge. Zunächst einmal besteht der HS nur aus den drei Worten flûmen est Arar es gibt einen Fluß Arar. flûmen, inis ist Neutrum, daher stehen anschließend quod und id.
Der Relativsatz quod ... lênitâte drückt aus, daß der Arar Grenzfluß zwischen dem Gebiet der Häduer und dem der Sequaner war. Der Ablativ incrêdibilî lênitâte bezeichnet die Art und Weise des Fließens (Ablativus modi; id incrêdibile est das ist ja unglaublich, 9. Lektion). Das Adverb ita so weist auf den folgenden Konsekutivsatz hin, der von ut + Konj. eingeleitet wird (das Prädikat ist der Konj. Präs. possit, 12. Lektion). oculîs ist Ablativus instrumenti.
in utram partem fluat (Konj. Präs.) ist ein indirekter Fragesatz -daher der Konjunktiv fluat. (Sie erinnern sich, daß bei der indirekten Rede stets der Konjunktiv steht? 4./12. Lektion.
Auch indirekte Fragesätze stehen im Konjunktiv.)
ratibus ac lintribus ist wieder ein Ablativus instrumenti. (Vielleicht merken Sie sich: pedibus (lintribus, ratibus, navibus) flumen transire zu Fuß (mit Kähnen, Flößen, Schiffen) den Fluß überqueren.)
Zeile 3
Nach ubi steht Indikativ Perfekt (16. Lektion): certior factus est (wird im Deutschen durch Plusquamperfekt wiedergegeben) sobald Caesar von seinen Kundschaftern benachrichtigt worden war. Hierauf folgen zwei a.c.i. -Konstruktionen: Helvetios ... traduxisse daß die Helvetier hinübergeführt hätten und quartam partem ... reliquam esse daß der vierte Teil übrig geblieben sei.
Das Objekt zu traduxisse ist tres partes -mit dem Attribut copiarum.
Im Lateinischen läßt man den Nenner weg, wenn er um Eins größer ist als der Zähler. Demnach bedeutet tres partes 3/4, quattuor partes = 4/5, quinque partes = 5/6 usw.
Quarta pars
bedeutet 1/4. Id flumen ist ein Ortsakkusativ und iam schon ist eine adverbiale Bestimmung der Zeit.Zeilen 4/5
Die Periode besteht aus zwei, durch Semikolon getrennten, Satzgliedern.
1. Satzglied: Am besten verbindet man das Partizip Perf. aggresus angegriffen habend und das Hauptverb concîdit er schlug zusammen durch eine Beiordnung: (Caesar) eôs aggressus (est) et magnam partem eôrum concîdit Caesar griff sie an und schlug einen großen Teil von ihnen nieder. Zu aggressus gehört eôs sie als Objekt, zu concîdit gehört als Objekt magnam partem eôrum.
Die beiden näheren Bestimmungen zu eos, nämlich impedîtôs und inopinantês, drücken wir am besten durch einen Relativsatz aus.
2. Satzglied: Hier ist zunächst die Kurzform mandârunt -anstelle von mandavêrunt- zu erwähnen. Bei abdidêrunt sie haben sich verborgen (Perf.) steht der Akkusativ proximâs silvâs. Es wird also wohin? gefragt, nicht -wie im Deutschen- wo?, was mit proximîs silvîs zu beantworten wäre. In diesem Zusammenhang ist aber auch an die Flucht in die Wälder gedacht, was ja automatisch den Akkusativ nach sich zieht..
Der Ort des Zusammentreffens ist durch Ausgrabungen gut dokumentiert. Man fand Waffen und viele Skelette von Frauen, Männern und Kindern. Der bereits übergesetzte Teil der Helvetier konnte dem Überfall wohl nur untätig zuschauen.
Die Tiguriner wohnten in der Nähe des heutigen Zürich.
Zeile 6
HS.: hic pâgus ûnus ... interfêcerat et ... mîserat dieser eine Stammesteil (Gau) hatte ... getötet und ... geschickt. Es handelt sich um einen zusammengezogenen Hauptsatz mit zwei Prädikaten im Plusquamperfekt.
NS.: Den mit cum + Konj. (cum historicum, hier mit Plqupf., da Vorzeitigkeit geschildert wird) eingeleiteten Temporalsatz übersetzen wir mit nachdem er aus seiner Heimat (von Hause) ausgezogen (aufgebrochen) war oder mit Hilfe eines Substantivs: nach dem Auszug aus der Heimat. Auch eine Beiordnung wäre möglich: er war aus der Heimat ausgezogen, hatte ... getötet und ... geschickt.
Im Jahr 107 v. Chr. schlugen die Tiguriner das römische Heer. Der damalige Konsul Lucius Cassius und der Großvater von Caesars Schwiegervater, Lucius Piso, wurden in dieser Schlacht getötet. Vgl. BG, Buch I, 7, wo von dieser Niederlage bereits die Rede ist.
Zeile 7
Persolvit
ist Hauptverb, princeps poenâs persolvit er büßte als erster. princeps der erste wird hier adverbial übersetzt: zuerst, als erster. quae pars ..., ea = ea pars, quae...Zeile 8
HS.: Caesar ... ultus est Caesar hat gerächt (Perf. Dep.). quâ in rê = hâc in rê ist ein relativer Anschluß bei dieser Sache, hierbei. Von quod weil wird ein Kausalsatz eingeleitet.
NS.: Tigurînî ... interfêcerant die Tiguriner hatten getötet, und zwar den Lûcium Pisônem lêgâtum. Dazu gehört die Apposition avum êius ( = Caesaris) socerî Lûcî Pisônis den Großvater seines Schwiegervaters Lucius Piso. (Caesar hatte 59 v.Chr. Calpurnia, die Tochter des Lucius Calpurnius Piso -58 v.Chr. Konsul- geheiratet. L.C. Piso war ein erbitterter Gegner Ciceros. Erinnern Sie sich, daß Substantive auf -ius den Vokativ auf -î bilden? Also ist Lûcî der Vokativ von Lûcius.)
Lösungen:
Nach dem berühmten Plinius-Brief (X, 96) zur Christenfrage und der Antwort des Kaisers (X, 97) wollen wir heute die erste lateinisch geschriebene Märtyrerakte lesen. Es handelt sich um ein stilistisch überarbeitetes Gerichtsprotokoll über die Verurteilung von 12 nordafrikanischen Christen am 17. Juli 180. Das Protokoll trägt den Titel Passio Sanctorum Scillitanorum. Diese Christen stammten aus Scili (oder Scilli bzw. Scillium). Dieser numidische Ort lag in der Nähe Karthagos, die genaue Lage ist jedoch unbekannt. Geführt wurde der Prozeß von dem Prokonsul Publius Vigellius Saturninus. Der Wortführer der angeklagten Christen hieß Speratus. Das Protokoll besteht aus 17 Paragraphen.
praebeô, buî, bitum, praebêre
hinhalten, darbieten, gewähren, unterstützenNatürlich waren die religiösen Kulte der Römer nicht simpel. Vielleicht meinte Saturninus aber allein den Kaiserkult. Auch für einen Christen war es Pflicht, für das Wohl des Kaisers zu beten; ein Schwören beim Genius des Kaisers war jedoch undenkbar. Unter Genius einer Person, z. B. eines pater familias, war die Macht zu verstehen, die sie verkörperte.
Der abundant formulierte Ausdruck quod et vos quoque facere debetis will einfach sagen:
auch ihr seid verpflichtet, das zu tun.
Der Prokonsul Saturninus sagte: " Auch wir verehren die Götter, und unsere Verehrung ist schlicht, und wir schwören beim Genius unseres Herrn, des Kaisers, und beten für sein Heil, was auch ihr zu tun verpflichtet seid.
sî ... praebueris (
Ind. Fut. II)..., dîcô (Ind. Präs.)...Wenn du mir ruhig zuhören wirst, sage ich dir das Geheimnis der Einfachheit.
initiâre
einweihen (z.B. in mysteriîs); mala Negatives, üble Dinge, NachteiligesSperatus sagte
: Eine Befehlsgewalt dieser Welt erkene ich nicht an; sondern ich diene vielmehr jenem Gott, den keiner der Menschen gesehen hat, noch mit diesen Augen sehen kann. Ich habe nicht gestohlen, sondern, wenn ich etwas kaufe, bezahle ich die Steuer, weil ich meinen Herrn anerkenne, den Herrscher über Könige und Völker.dê-sinô, siî, situm, dê-sinere
aufhören, ablassen vonDer Prokonsul Saturninus sagte zu den anderen
: "Laßt ab davon, daß dies eure Überzeugung sei!" Speratus sagte: "Die Überzeugung, jemanden umzubringen und ein falsches Zeugnis zu sagen, ist schlecht!"Der Prokonsul Saturninus sagte
: "Beteiligt euch nicht an diesem Wahnsinn!"Donata sagte
: "Ehre dem Kaiser als Kaiser; dieFurcht aber Gott."Der Prokonsul Saturninus sagte zu Speratus
: "Beharrst du darauf, Christ zu sein?"Der Prokonsul Saturninus sagte
: "Wollt ihr Zeit zum Nachdenken haben?"capsa, ae f
Kapsel, Kästchen, BücherbehälterDer Prokonsul Saturninus sagte: "Was sind das für Sachen in eurem Kästchen?"
Speratus sagte: "Bücher und Briefe des Paulus, eines gerechten Mannes."
mora, ae f
Aufschub, Rast, Pause
Der Prokonsul Saturninus sagte: "Ihr sollt einen Aufschub von 30 Tagen haben und euch bedenken."
Speratus sagte abermals: " Ich bin ein Christ"; und alle stimmten mit ihm überein.
Speratus sagte
: "Wir sagen Gott Dank."Eine sententia, ein Urteil, muß (durch einen praecô, ônis m Ausrufer) öffentlich bekannt gemacht werden.
Der Prokonsul Saturninus ließ durch einen Herold verkünden
: " Ich habe angeordnet, daß Speratus, Nartzalus, Cittinus, Veturius, Felix, Aquilinus, Laetantius, Ianuaria, Generosa, Vestia, Donata und Secunda (zur Hinrichtung) abzuführen sind."Alle sagten
: "Gott sei Dank."
Über dem Grab der heiligen Scilitaner wurde eine Kirche gebaut, in der später auch Augustinus mehrfach predigte.