5. Lektion - lectio quinta (quinque 5)


Inhalt:


Einleitung

Bei Eutropius fallen die Berichte über die Regierungszeit der Könige allzu dünn aus. Wenn Sie sich vollständiger informieren wollen, so müssen Sie sich bei Livius (59-17) umsehen, der im ersten Buch seines Geschichtswerks Ab urbe condita (Geschichte seit Gründung der Stadt Rom bis 9 v.Chr.) die Anfänge der römischen Geschichte mit milchiger Fülle (lactea ubertas) beschreibt. Da sein Latein für uns aber noch zu schwierig ist, können Sie sich vorläufig nur auf eine Übersetzung stützen.
Ein sehr gut lesbares Taschenbuch (Insel Taschenbuch 466) von W. Fietz, Sagen der Römer, fußt ganz auf den antiken Quellen, vor allem eben auf Livius, und ist bestens zur Lektüre zu empfehlen.
Auch im Internet finden Sie Ab urbe condita, z.B. auf Englisch unter http://etext.lib.virginia.edu

Sehr empfehlenswert wegen seiner Exaktheit, leichten Lesbarkeit -und Kürze!- ist das dtv-Taschenbuch Das frühe Rom und die Etrusker von dem verstorbenen Professor für Altertumswissenschaften an der Universität von St. Andrews (Schottland) Robert M. Ogilvie, (dtv 4403). Von ihm gibt es auch einen großen Livius-Kommentar zu den Bänden 1-5. Wichtig ist auch sein Buch über die römischen Götter The Romans and their Gods, das auf deutsch unter dem Titel ...und bauten die Tempel wieder auf (dtv 4427) erschienen ist.

Im Internet finden Sie unter http://home.t-online.de/home/eg.gottwein/LatLektReges.htm eine für den Unterricht aufbereitete Darstellung der Regierungszeit der sieben Könige von E.Gottwein - mit Vokabeln und Kommentaren!

In den Übungssätzen gebe ich Ihnen gelegentlich weitere Informationen zur Zeit der Könige. Schauen wir uns aber an dieser Stelle den ersten Teil eines etwas längeren Zusatzes zum Lebenslauf des Tarquinius Priskus an, der ein fähiger, ehrgeiziger Mann mit recht zweifelhaftem Charakter gewesen sein muß, der aber das Glück hatte, eine noch ehrgeizigere Frau, Tanaquil, gehabt zu haben. Wir betrachten heute nur einen Satz:

Ancô Mârciô rêgnante Lucius Tarquinius Priscus, filius Dêmarâtî Corinthiî, Tarquiniîs, ex urbe
Etrûriae, cum uxôre, cui nômen Tanaquil erat, Romam commigravit.

Der Satz ist gewaltig zusammengestückelt und verlangt einige Erklärungen.
Versuchen Sie doch wie üblich zuerst Prädikat und Subjekt zu finden.
Prädikat: commigravit er ist ausgewandert; es ist ein Verb der 1. Konj. com-migrô ich wandere, ich (ver) ziehe (Sie haben gewiß von Migrationsbewegungen gehört).
Subjekt: Lucius Tarquinius Priscus.
Der freigeborene Römer hatte drei Namen, z.B. Marcus Tullius Cicero. Marcus ist der Vorname (praenomen), Tullius der Geschlechtsname (nomen gentilicium oder kurz: nomen) und Cicero der Zuname (cognomen). Bei Lucius Tarquinius Priscus ist Lucius der Vorname, Tarquinius der Geschlechtsname und Priscus der Zuname. Die Tochter Ciceros hieß Tullia, denn die Töchter erhielten den Geschlechtsnamen des Vaters. Entsprechend war Julia die Tochter des Gaius Julius Caesar. (Gaius erat praenomen, Iulius erat nomen et Caesar erat cognomen.)
Apposition zum Subjekt L.T.P. ist fîlius D.C. Der Korinther Demaratus ist lateinisch Demaratus Corinthius. Auf die Frage woher? stehen Städtenamen im Ablativ. Da Tarquinii ein Plurale tantum ist, heißt aus Tarquiniî Tarquiniis (spr. Tar-kwi-ni-îs). Entsprechend heißt Athenîs aus Athen (oder in Athen), Româ aus Rom (aber: â Româ aus der Umgegend von Rom). Zur Ortsbestimmung Tarquiniîs gehört die Apposition ex urbe Etruriae. Hier ist Etruriae Genitivattribut zum Ablativ urbe. Die Landschaft Etruria entspricht etwa der heutigen Toscana.
Ein weiterer Ablativ mit cum, cum uxore, bezeichnet die Begleitung und heißt daher ablativus sociativus. uxor, uxôris die Gattin.
Relativsatz: Der mit cui (Dativ des Rel.Pron. quî) eingeleitete Relativsatz ist eine nähere Bestimmung zu uxore: der der Name Tanaquil war, besser: die Tanaquil hieß.
Zeitbestimmung durch Ablativus absolutus: Die Wendung Ancô Mârciô rêgnante, deren syntaktische Funktion die eines Adverbiale ist, könnten wir auch mit Ancô Marciô rêge als Ankus Marcius König war wiedergeben.
regnante ist der Abl. Sing. von regnans, regnantis regierend (Partizip Präsens von rêgnâre regieren). Die Zeitangabe geschieht hier also durch den Ablativ eines Nomens mit einem Partizip.
Die im Ablativ stehende Partizipial-Konstruktion Ancô Mârciô rêgnante ist ein selbständiges Satzglied, grammatisch völlig losgelöst vom Rest des Satzes. Man nennt sie entsprechend Ablativus absolutus. Im Deutschen übersetzen wir den Ablativus absolutus durch einen Nebensatz, z.B.: unter der Regierung des Ankus Marcius. Zu beachten ist, daß das Partizip Präsens im Abl. abs. einen Vorgang beschreibt, der gleichzeitig zum Vorgang abläuft, der vom regierenden Verb, commigravit, beschrieben wird. Man sagt, daß das Partizip Präsens das Zeitverhältnis der Gleichzeitigkeit ausdrückt.
Endlich kommen wir zur Übersetzung unseres Satzes:

Unter der Regierung des Ankus Marcius wanderte Lucius Tarquinius Priskus, der Sohn des Korinthers Demaratus, aus Tarquinii, einer Stadt Etruriens, mit seiner Gattin, die Tanaquil hieß, nach Rom aus.

 

Ein Wort zur Technik des Übersetzens. Gewiß ist Ihnen schon aufgefallen, daß der Lateiner es liebt, seine Gedanken in komplizierten Satzgefügen mit den verschiedensten Arten von Nebensätzen auszudrücken. Im Deutschen mögen wir das garnicht, wir versuchen, Nebensätze zu umgehen, und gestalten unsere Sätze beiordnend, nicht unterordnend. (Ob die Römer im Alltag ebenfalls in kompliziert verschachtelten Nebensätzen kommunizierten, ist natürlich eine andere Frage.)
In der Umformung der lateinischen Unterordnung in deutsche Beiordnung -unter Wahrung von Inhalt und logischem Zusammenhang der Teilaussagen- besteht die ganze Kunst des Übersetzens. Den Vortrag eines Redners der klassischen Zeit, etwa eines Cicero, simultan in eine andere Sprache zu übersetzen, wäre wohl nur wenigen Dolmetschern gelungen. Andererseits könnte man sich fragen, ob die Römer nicht auch bedeutendere Beiträge zu den Wissenschaften geleistet hätten, wenn Sie weniger Zeit auf die Verschachtelung von Nebensätzen verwendet hätten.

Oft hat man den Eindruck, als ob ein lateinischer Satz eine Art verknäuelter Bindfaden ist, den man zuerst einmal glattstreichen muß. Man könnte dies das Linearisien des Satzes nennen. Gelegentlich spricht man auch von der direkten Konstruktion. Nehmen wir als kleines Beispiel den dritten Satz vom Anfang der ersten Rede Ciceros gegen den Verschwörer Catilina.

Quem ad finem sese effrenata iactabit audacia?

Abgesehen von den unbekannten Wörtern erschwert auch der verschränkte Satzbau das Verständnis. Wir bringen den Satz zunächst in die Form der direkten Konstruktion:

Ad quem finem Bis zu welchem Punkt (Ende, Ziel)

audacia effrenata sese iactabit? (deine) Kühnheit ungezügelte sich sie wird brüsten?

Nach dieser Aufräumarbeit brauchte ich Ihnen nichtmal mehr die Vokabeln anzugeben. Aber seien wir nett: sêsê ist nur ein verstärktes sê, und sê iactâre heißt sich brüsten, prahlen.
frênum ist der Zügel, und ef-frênâtus 3 ungezügelt, zügellos.

Sie fragen mich vielleicht, was Cicero wohl so schön an diesem Herumschieben der Wörter fand? Ut vêra dîcam, nesciô. Um die Wahrheit zu sagen, ich weiß es nicht. Damals war das halt schick. Natürlich konnten die Lateiner sich diese Freiheiten nur leisten, weil in ihrer Sprache jedes Wort in seiner Bedeutung und Funktion durch die Gestalt i.a. eindeutig festgelegt wird- d.h. durch die eindeutige Bezeichnung der Kasus durch Endungen -und nicht etwa durch seine Position im Satz. Die wenigen Stellungsregeln bedeuten kaum eine Einschränkung. (Sie wissen, daß in der Regel das Adjektiv hinter dem Substantiv und das Verb am Satzende steht.)


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Grammatik

Gleich werden wir uns erneut mit den Anwendungen des Konjunktivs beschäftigen.
Bevor wir das tun, will ich kurz den Fall des Irrealis wiederholen, von dem wir in der letzten Lektion sprachen. Wir sahen, daß es einen Irrealis der Gegenwart und einen der Vergangenheit gibt:
Si plueret (pluisset), terra madêret (maduisset) wenn es regnete (geregnet hätte), würde die Erde naß sein (naß geworden sein). plueret ist Konj. Imperf., pluisset ist Konj. Plqupf. von
pluere regnen, pluit es regnet; madeô, maduî, madêre naß sein; madidus, a, um naß, feucht,
(also etwa so, wie wenn etwas madig ist).

Die Imperfekt-Formen kennzeichnen den Irrealis der Gegenwart, die Plusquamperfekte den Irrealis der Vergangenheit.
Hier ist noch ein Beispiel:

Sî rêx essêm, diê ac nocte dormîrem Wenn ich König wäre, schliefe ich Tag und Nacht.
(Imperfekt). Statt diê ac nocte könnte man auch sagen: omnî tempore allzeit.

Sî rêx fuissem, diê ac nocte dormîvissem Wenn ich König gewesen wäre, hätte ich Tag und Nacht geschlafen. (Plusquamperfekt)

 

cum in der Bedeutung mit (Präposition) hat nichts zu tun mit der Konjunktion cum, die in einer Erzählung meist die Bedeutung als, nachdem, da, weil usw. hat.

Bei der Erzählung vergangener Ereignisse stoßen wir häufig auf die Konstruktion
cum... Konjunktiv Plusquamperfekt Aktiv (Konj. Plqupf. Akt) oder Konjunktiv Imperfekt Aktiv (Konj. Impf. Akt.).

Dieses spezielle cum wird cum historicum genannt.

(Den Konjunktiv Plusquamperfekt Aktiv erkennen wir an -isse-, das zwischen Perfekt-Stamm und Endung tritt. Das Infix -isse- ist entstanden aus der sog. Perfekterweiterung -is- und dem Moduszeichen -se.)

Hier sind einige Beispiele:

cum aperuisset (
3.P.Sg.Konj.Plqupf.Akt.) als er geöffnet hatte
cum confugissent (3.P.Sg.Konj.Plqupf.Akt.) als sie sich geflüchtet hatten
cum conspexisset als er erblickt hatte
cum bellum renovâssent = renovâvissent als sie den Krieg erneuert hatten (Kurzform)
cum issent als sie gegangen waren, issent ohne cum heißt sie wären gegangen.
(cum irent -Konj.Impf.Akt. als sie gingen)
cum luxisset als es Tag geworden war

 


Ich sehe Caesar tanzen: videô Caesarem saltâre
Ich höre die Mutter über Latein diskutieren: audiô mâtrem dê linguâ Latinâ disputâre

In beiden Sätzen fällt auf, daß wir sowohl im Deutschen als auch im Lateinischen nach den beiden Verben der Sinneswahrnehmung (verba sentiendî) einen Akkusativ mit Infinitiv
(accûsâtîvus cum înfînîtîvô, a. c. i.) benutzen. Der Akkusativ ist in beiden Fällen das Subjekt der durch den Infinitiv ausgedrückten Handlung. Wir nennen den Akkusativ des a. c. i. daher Subjektsakkusativ. Im Deutschen bevorzugen wir i.a. einen von daß eingeleiteten Nebensatz, d.h. statt ich sehe Caesar tanzen sagen wir lieber: ich sehe, daß Caesar tanzt. Nun ist Caesar das Subjekt des Nebensatzes, also Nominativ, und der Infinitiv hat sich in das finite Verb tanzt verwandelt. Unter einem verbum fînîtum versteht man eine die Person ausdrückende Verbform, eine sogenannte Personalform des Verbs. Der Infinitiv drückt keine bestimmte Person aus, er ist daher ein verbum înfînîtum (= Nominalform des Verbs).
(Zu den Nominalformen zählen wir noch das Gerundium, Supinum, die Partizipien und das Gerundivum.) Griechisch-Lernende finden dieses Thema im 10. Kapitel behandelt.

Der a. c. i. steht auch nach Verben des Sagens (dîcere) und Glaubens, Denkens (putâre, crêdere) sowie nach unpersönlichen Ausdrücken (z.B. cônstat es steht fest, appâret es ist offenbar, opus est, necesse est, oportet es ist nötig usw.).
Bei
necesse est und oportet kann auch der Konjunktiv stehen.

Thales prîmum aquam putâvit omnium rêrum esse prîncipium Thales hielt zunächst das Wasser für den Urgrund (das Prinzip) aller Dinge. (putâre 1. Konj. meinen, glauben, halten für)
prîmum zuerst (zuerst...dann prîmum...deinde; quam prîmum so bald als möglich; prîmum omnium zuallererst)

In den Trägersatz Thales putavit ist der a.c.i.-Satzteil primum aquam omnium rerum esse principium eingebettet. Der a.c.i.-Satzteil enthält eine einfache Aussage mit eigenem Subjekt (Subjektsakkusativ, aquam) und eigenem Prädikat (Infinitiv, principium esse).
Das Prädikatsnomen steht ebenfalls im Akkusativ.
(Bei dem ersten Übersetzungsversuch werden Sie vielleicht zunächst einen daß-Nebensatz formulieren, etwa so: Thales meinte zunächst, daß das Wasser der Urgrund aller Dinge sei.
Sie sollten aber immer versuchen, das daß wieder loszuwerden. Hier gelang dies mit dem Austausch von meinte gegen halten für. Das Thema a.c.i. finden Sie in KurzGr auf den Seiten 84-88 dargestellt.
Merken Sie sich einfach: Den a.c.i. benutzen Sie dann, wenn im Deutschen ein daß-Satz steht oder stehen kann, der eine Tatsache oder einfache Aussage bezeichnet.

Wichtig ist folgender Fall: Der a.c.i. steht bei est + Prädikatsnomen:

Vêrîsimile est frâtrem hodiê ad mê ventûrum esse. Es ist wahrscheinlich, daß mein Bruder heute zu mir kommen wird.
(ventûrum esse ist der Infinitiv Futur Aktiv von venîre. Weiter unten sprechen wir darüber!)

Der a.c.i. vertritt in diesem Satz die Stelle des Subjekts. Denn man kann im daß-Satz fragen Was ist wahrscheinlich? Antwort: Das Kommen meines Bruders.

fâma est tê domum redisse. Es geht das Gerücht, du seist nach Hause zurückgekehrt.

Wieder können Sie fragen Was meint das Gerücht? Antwort: Deine Rückkehr nach Hause.
Der a.c.i. spielt also erneut die Rolle eines Subjekts.

Merken wir uns, daß dies bei est + Prädikatsnomen immer der Fall ist.

Bei den Verbis sentiendi und declarandi wird der a.c.i. aber als Objekt gebraucht. Denn man kann fragen: wen oder was sehe bzw. höre ich? oder auch was sage, denke, glaube ich?

Statt noch viel zu erklären gebe ich Ihnen lieber einige

Beispiele:

videô panthêram appropinquâre. nôlô feram mê mordêre. Ich sehe, daß der Panther sich nähert. Ich will nicht, daß das wilde Tier (die Bestie) micht beißt.
(Es kann nicht heißen ich will nicht, daß ich die Bestie beiße, denn nach nôlô steht der a.c.i. nur dann, wenn der abhängige Satz ein neues Subjekt hat. Ich will die Bestie nicht beißen heißt: nôlô feram mordêre.
Aber: nôlô feram mordêre (also mit a.c.i.!). Ich will nicht, daß du die Bestie beißt. Vgl. auch: vôlô id facere. Ich will es tun. Aber: vôlô tê id facere (also a.c.i.!). Ich will, daß du es tust.)
Merken:
Auch nach vôlô ich will, nôlô ich will nicht, mâlô ich will lieber und cupiô ich begehre steht der a.c.i., wenn im deutschen Nebensatz mit daß ein neues Subjekt eintritt.
(Bei passivischem Infinitiv steht auch bei gleichem Subjekt ein a.c.i., vgl. später.)

volô tê mênsam pônere ad cênam. Ich möchte, daß du den Tisch deckst fürs Abendessen.

nôlô tê multum tempus ibî perdere. Ich will nicht, daß du dort viel Zeit verlierst.
tempus, temporis n Zeitspanne

Kein Zweifel kann aufkommen bei Beispielen wie sciô tê ventûrum esse. Ich weiß, daß du kommen wirst. Oder scîs mê ventûrum esse. Du weißt, daß ich kommen werde. In diesen Fällen haben regierender Satz und a.c.i.-Satz verschiedene Subjekte.

Einige unbestimmte Ausdrücke:

opus est tê noctû dormîre (mê novam togam emere, eam vîgintî dênâriôs pendere). Es ist nötig, daß du nachts schläfst (daß ich eine neue Toga kaufe, daß sie 20 Denare zahlt.)

lectio quînta brevem esse oportet. Die fünfte Lektion muß kurz sein. (oportet es ist nötig)

cônstat exercitâtionês ad salûtem discipulôrum inventâs esse. Es steht fest, daß die Übungen zum Wohl der Schüler erfunden sind.

pâcem cônstat bellî esse optâbilem fînem. Es steht fest, daß der Friede das wünschenswerte Ende des Krieges ist.

Verben wie iubeô befehlen, veranlassen und prohibeô verbieten haben ebenfalls den a.c.i. bei sich. Auch in diesen Fällen stehen -oder können stehen- im Deutschen daß-Sätze.

iubê pictôrês parietês âtriî triclîniîque pingere. Sieh zu (veranlasse), daß die Maler die Wände des Atriums und des Eßzimmers streichen (bemalen). paries, ietis m die Wand (3.Lektion)

Mâter prohibet mê leônês necâre. Die Mutter verbietet (läßt nicht zu), daß ich Löwen töte.

In den folgenden Beispielen brauchen wir den Infinitiv Perfekt und den Infinitiv Futur von esse: Perfekt: fuisse gewesen sein; Futur: futurus, -a, -um esse (=fore) sein werden.

Orpheum poetam docet Aristoteles numquam fuisse. Aristoteles lehrt, daß der Dichter Orpheus niemals gelebt hat.

Nimis (zu sehr) mê timidum fuisse cônfiteor. Ich bekenne, daß ich zu scheu gewesen bin.
côn-fiteor, côn-fessus sum, côn-fitêrî (Deponens, ein aktives Verb in passiver Gestalt, später mehr!) ich gestehe, bekenne. Das Confiteor ist das offizielle Sündenbekenntnis im (lateinischen) kath. Gottesdienst: ich bekenne...

Istôs grassâtôrês crâs apud nôs futûrum esse gaudêmus. Wir freuen uns, daß diese Unholde morgen bei uns sein werden.
crassâtor, ôris m Wegelagerer, Unhold, hoodlum

spêrô vigilês mox (bald) ventûros esse. Ich hoffe, daß die Polizei bald kommen wird.
vigil, vigilis m die Wache, Polizei; vigilês ist hier Akk.Pl.
Wenn Sie weibliche Polizisten erwarten, so sagen Sie selbstverständlich:
spêrô eâs mox venturâs esse. Ich hoffe, daß sie bald kommen werden.
Der Infinitiv Futur I kann umschrieben werden mit fore (= Inf. Fut. von esse) ut mit folgendem Konjunktiv Präsens oder Imperfekt: sperô fore ut vigilês mox veniant.
fore ut übernimmt demnach die Rolle unseres daß. (vigilês ist hier Nom.Pl.)

Der Infinitiv Perfekt Aktiv hängt -isse an den Perfekt-Stamm mâns-.
Der Inf.Perf.Akt. wird benutzt, wenn der vom a.c.i. geschilderte Vorgang vorzeitig zum Geschehen des regierenden Satzes ist.
Der Infinitiv Futur Aktiv wird mit dem Partizip Futur Aktiv -lernen wir noch kennen- und esse gebildet:
vocâtûrus, -a, -um esse rufen werden (wollen), audîtûrus, -a, -um esse hören werden
Der Inf.Fut.Akt. wird benutzt, wenn der vom a.c.i. geschilderte Vorgang nachzeitig zum Geschehen des regierenden Satzes ist, vor allem nach Verben des Hoffens und Versprechens (Schwörens).


Beispiele:

Nun einige Beispiele zur indirekten Rede. (Alle Aussagesätze der indirekten Rede stehen im a.c.i., alle Aufforderungssätze der indirekten Rede stehen im Konjunktiv.)

dîcit ventûrum esse. Er sagt, daß er selbst kommen werde.
(ventûrum esse ist der Infinitiv Futur Aktiv von venîre. Unten in den Übungen zum a.c.i. erkläre ich das! Hier steht das rückbezügliche Pronomen, Reflexivpronomen, , weil das Subjekt im übergeordneten Satz mit dem Subjekt des Nebensatzes übereinstimmt.
Hätte es heißen sollen: er sagt, daß er (ein anderer) kommen werde, so hätten wir im Lateinischen schreiben müssen: dîcit eum venturum esse.
Zu den Pronomen vgl. KurzGr S. 28)

amîcae dîcunt ventûrâs esse. Die Freundinnen sagen, daß sie (selbst) kommen werden.
amîcae dîcunt eâs ventûrâs esse. Die Freundinnen sagen, daß sie (die anderen Mädchen) kommen werden.

Helvetiî dixêrunt sê ita patribus suîs didicisse. Die Helvetier sagten, daß sie (es) so von ihren Vätern gelernt hätten. didicisse = Infinitiv Perfekt Aktiv zu discô ich lerne.

Hier sind noch zwei berühmte Beispiele:

Schließlich wollen wir uns einmal anschauen, auf wieviele Arten sich ein a.c.i. ins Deutsche übertragen läßt. Sie werden erstaunt sein, daß es nicht nur die beiden Möglichkeiten gibt, die wir bisher meist benutzt haben. Hier ist der Satz, den wir übersetzen wollen:

Sôcratem omnium Athêniênsium probissimum fuisse exîstimô. (ex-îstimô schätzen, halten für, glauben; probus 3 tüchtig, rechtschaffen, probissimus (Superlativ) am rechtschaffensten)

  1. Ich glaube, daß Sokrates der rechtschaffenste von allen Athenern gewesen ist.
  2. Ich glaube, Sokrates ist der rechtschaffenste aller Athener gewesen.
  3. Sokrates ist, wie ich glaube, der rechtschaffenste a. A. gewesen.
  4. Meiner Meinung nach ist S. d. r. a. A. g.
  5. Von Sokrates glaube ich, daß er d. r. a. A. gewesen ist.

Bei allen fünf Varianten, kamen wir nicht ohne gewesen ist aus. (Hätte Sokrates selbst gesprochen, etwa so: me omnium Atheniensium probissimum fuisse existimo,
so hätten wir, da zweimal das gleiche Subjekt auftritt, mit einem Infinitiv übersetzen können: Ich bin der Meinung, der rechtschaffenste aller Athener gewesen zu sein.)
In der 3. Varianten benutzen wir einen eingeschobenen Vergleichssatz, was den Inhalt der Behauptung stärker hervorhebt. Dasselbe gilt für den vierten Satz, in dem wir das Hauptverb in die adverbiale Bestimmung Meiner Meinung nach umgeformt haben.
Gegner von daß-Sätzen werden die Versuche 1 und 5 sicherlich ablehnen. Vielleicht enthält Satz 4 die beste aller fünf Übersetzungen.
Üblicherweise hält man Sôkratês, is m nicht für den r. a. A., sondern für den weisesten aller Athener: sapientissimus omnium Athenesium.
sapiêns, sapientis
weise, sapientior weiser. Die Grundform sapiêns heißt Positiv des Adjektivs.

Können Sie vermuten, wie man die Steigerung eines Adjektivs durchführt? Einfach!

1. Nimm den Genitiv des Adjektivs: sapient-is
2. Ersetze den Genitivausgang durch -ior => Komparativ (fürs Neutrum -ius)
3. Ersetze den Genitivausgang durch -issimus => Superlativ

Kleiner Grammatik-Dialog

Sie erinnern sich an Donatus? Im Anhang der 4.Lektion lernten wir seine Ars minor kennen. Als die Rede vom Verb war, fragte Donat: Verbum quid est? Was ist ein Verb?
Jetzt fragen wir mal nach einem Adjektiv, vgl. bei Donatus Dê nômine, gleich am Anfang:

Adiectîvum quid est? Was ist ein Adjektiv?
Pars ôrâtiônis est quae nôminî adiicitur. Es ist eine Wortart, die einem Nomen hinzugefügt wird.
ad-iciô, iêcî, iectum, adicere hinzufügen
Quot gradûs comparâtiônis sunt adiectîvîs? Wieviele Grade des Vergleichs besitzen die Adjektive?
Três gradûs comparâtiônis. Drei Grade des Vergleichs.
Quî? Welche?
Positîvus, ut doctus; comparâtîvus, ut doctior; superlâtîvus, ut doctissimus. Der Positiv, wie gelehrt; der Komparativ, wie gelehrter; der Superlativ, wie am gelehrtesten.
Quot terminâtiônês sunt adiectîvîs, gradûs positîvî?
Wieviele Endungen besitzen Adjektive im Positiv? (des positiven Grades)
Três.
Quae?
Masculîna, ut doctus; fêminîna, ut docta; neutra, ut doctum. Maskulina, wie gelehrt; Feminina, wie gelehrt; Neutra, wie gelehrt (doctus magister, docta Musa, doctum vulgus, î n Volk)
Dâ comparâtîvum hûius adiectivî! Gib den Komparativ von diesem Adjektiv!
Masculîna et fêminîna doctior; neutra doctius.
Sôlum duae terminâtiônês sunt adjectîvîs in gradû comparâtîvô?
Nur zwei Endungen haben die Adjektive im Komparativ?
Ita: -ior et -ius. Ja.
Dîc terminâtiônês superlâtîvî! Nenne die Endungen des Superlativs!
us, a, um; sîcut in gradû positîvô. us, a, um; ebenso wie im Positiv.

John C. Traupman hat die schwer verdauliche Ars minor des Donat in seinem Conversational Latin, Bolchazy-Carducci Publishers, Inc., Wauconda, Illinois, 2. Ed. 1998, in bewundernswerte Grammatik-Dialoge verwandelt. Wenn Ihnen die englische Sprache nicht ganz fremd ist, so kaufen Sie sich dieses Werk unbedingt. Ich selbst finde immer wieder neue Anregungen darin.

Ich möchte nochmals auf das Adjektiv doctus zu sprechen kommen. Sie finden es in Wendungen wie:
litterîs (Abl.) Graecîs doctus in den giechischen Wissenschaften bewandert.
ûsû doctus durch die Erfahrung (ûsus, ûs m Gebrauch, prakt. Erfahrung) belehrt.

Die Wissenschaft wird mit dem Plural litterae f bezeichnet. Den Akk. Pl. litterâs finden Sie etwa in
tê litterâs doceô ich lehre dich die Wissenschaften, (oder die Wissenschaft)
Cato senex ipse fîlium litterâs docuit Cato unterrichtete als Greis persönlich seinen Sohn in den Wissenschaften.

Sie sehen, daß nach doceô ein doppelter Akkusativ steht: wen? fîlium, was? littertâs.
Die Person, die man in etwas unterrichtet, sowie der Gegenstand, den man unterrichtet, stehen beide im Akkusativ. Im Deutschen ist es in diesem Falle ebenso.

Und jetzt noch einen schönen a.c.i. :

Litterâs in Graeciâ per saecula floruisse cônstat. Es steht fest, daß die Wissenschaften über Jahthunderte hin in Griechenland blühten. flôreô, uî, - , florêre blühen.
Der Ausdruck per omnia saecula saeculôrum ist Ihnen sicherlich bekannt: durch alle Jahrhunderte, d.h. in Ewigkeit.

 

In der Lektüre treffen wir heute erneut auf Nebensätze, die mit einem Relativpronomen beginnen, auf sogenannte Relativsätze. Bei genauerem Hinsehen, finden Sie aber, daß die Relativpronomen in den Verschiedensten Formen benutzt werden. In der 3. Zeile der Lektüre finden Sie z.B. quî der, welcher. In der 4. Zeile steht erneut quî, diesmal aber offenbar als Plural die, welche. In der 5. Zeile finden wir den Dativ cui (einsilbig sprechen: kui) dem, welchem und den Akkusativ Feminin quam welche, die.
Nach welchem Kriterium hat man das Relativpronomen auszuwählen?

Antwort: Seiner Funktion gemäß, die es im Relativsatz ausübt, unter Berücksichtigung von Genus und Numerus seines Beziehungswortes, das sich außerhalb des Relativsatzes befindet.

Das ist zwar die Wahrheit, aber, was bedeutet das? Sie werden gleich fast alles verstehen, vorher jedoch brauchen wir eine Tabelle mit den Relativpronomen.

(Auch im Internet finden Sie alle Pronomina in Tabellenform zusammengestellt, z.B. in
http://www.ilinks.net/~jim/pronouns.htm, leider haben diese Tabellen keine Längenbezeichnungen- und pronouns klingt garnicht deutsch.)

Relativ-Pronomen: quî, quae, quod der, die, das (welcher, welche, welches)

Singular

Plural

Nom.

quî

quae

quod

quî

quae

quae

Gen.

cuius

cuius

cuius

quôrum

quârum

quôrum

Dat.

cui

cui

cui

quibus

quibus

quibus

Akk.

quem

quam

quod

quôs

quâs

quae

Abl.

quô

quâ

quô

quibus

quibus

quibus

 

quôcum

quâcum

quôcum

quibuscum

quibuscum

quibuscum


Viele dieser Formen kennen wir bereits, -aber schön ist es, sie mal alle beisammen zu sehen, nicht wahr? Und noch eine feine Sache: Die römischen Grammatiker, gut wie sie waren, hatten beschlossen, die Singular-Tabelle auch für die Frage-Fürwörter, Interrogativ-Pronomina, zu verwenden, wenn sie adjektivisch benutzt werden, also für Fragen wie: quî puer bonus est?
Welcher Junge ist gut? oder quae puella nôn vult cubitum îre? Welches Mädchen will nicht schlafen gehen? In diesen Sätzchen sind die Interrogativ-Pronomina Attribute zu den Substantiven puer und puella.
Von diesem attributiven (adjektivischen) Gebrauch haben wir das substantivische Interrogativ-Pronomen quis? wer? und quid? was? zu unterscheiden, etwa in dem Satz quis hanc rem stupidam scrîpsit? Wer hat diesen Blödsinn geschrieben? oder quid hodiê agitis? Was macht ihr heute? (Antwort: Magistrum ad cênam vocâbimus. Discipulî bonî saepe, oft, magistrôs ad cênam vocant. Wir werden den Lehrer zum Abendessen einladen. Gute Schüler laden die Lehrer oft zum Dinner ein. Lehrer müßte man sein!)
In dem Satz quis est quî tê vocâvit? wer ist es, der dich eingeladen hat? haben Sie das substantivische Interrogativ-Pronomen quis zusammen mit dem Relativpronomen quî.

Als Zugabe erhalten Sie jetzt noch die Tafel der

Interrogativ-Pronomen:

 

substantivisch

adjektivisch

 

quis?
wer?
m/f

quid?
was?
n

quî?
welcher?

quae?
welche?

quod?
welches?

Nom.

quis

quid

quî

quae

quod

Gen.

cuius

 

wie

 

Dat.

cui

Relativ-Pronomen

Akk.

quem

quid

     

Abl.

â quô

     
 

quôcum

     



Das substantivische Fragepronomen hat für Mann und Frau nur eine Form: quis? Das ist natürlich fein durchdacht, denn wenn Sie etwa fragen quis vocâvit? wer hat gerufen? oder quis satis habet? wer hat genug? wissen Sie natürlich nicht, ob es sich um eine Frau oder um einen Mann handelt. Bei quis nôn habet tunicam? wer hat keine Tunica? ist die Sache schon klarer,
und bei der Frage quis est hic puer quî têcum est? wer ist der Junge, den du bei dir hast? sind wir fast sicher, welches Geschlecht quis hat. At hodiê etiam puellae gerunt comam curtam.
Aber heutzutage tragen auch die Mädchen das Haar kurz...
quis fragt eigentlich immer nach dem Namen: quis puer? wie heißt der Knabe? Das adjektivische qui fragt immer nach der Beschaffenheit, Eigenschaft: qui puer? was für ein Knabe?

Alles klar? Dann können wir ja zu den Relativpronomen übergehen.


Fêmina, quam in convîviô vîdî, erat Daphnê.
Die Frau, die ich auf der Party sah, war Daphne.

Diesem aufschlußreichen Sätzchen wollen wir uns auf verschiedene Arten nähern.

  1. Wir haben ein Satzgefüge aus dem Hauptsatz die Frau ist Daphne und dem Gliedsatz (Nebensatz) die ich auf der Party sah.
  2. Die Frau ist Subjekt des HS. Aber: das Rel. Pron. die ist nicht das Subjekt des Gliedsatzes, das ist vielmehr ich. Das Rel. Pron. die ist das Objekt des Nebensatzes.
    (Im Englischen wird man oft fälschlich hören the woman, who I saw... Natürlich muß hier wie im Lateinischen der Akkusativ stehen, also whom: the woman, whom I saw...Im Englischen könnte man sogar das Rel. Pronomen weglassen -im Lateinischen eine Unmöglichkeit!-, man könnte sagen the woman I saw...)
  3. Das Satzglied Die Frau wird durch den sogenannten Gliedteilsatz die ich auf der Party sah erweitert.
    Der Gliedteilsatz hat zu seinem Beziehungswort (hier Frau) dasselbe Verhältnis wie ein Adjektiv zu seinem Beziehungswort. Betrachten Sie das folgende
    Beispiel: Die
    kluge Frau und Die Frau, die klug ist.
    Der Gliedteilsatz die klug ist erfüllt dieselbe Aufgabe wie das Adjektiv kluge: beide sind nähere Bestimmungen eines Beziehungswortes, beide erfüllen die syntaktische Funktion eines Attributs. Weil es sich um ein Attribut in Form eines Nebensatzes handelt, nennt man den Gliedteilsatz auch Attributivsatz.

    Gliedteilsätze sind Attributivsätze. Gliedteilsätze, die von einem Relativpronomen eingeleitet werden, heißen Relativsätze.

Relativsätze sind die einzige Gliedteilsatzart, die sich auch auf ein Fürwort (Pronomen) beziehen kann, z.B. Ich spreche mit dem, der gestern auf der Party war.
Das Pronomen ist in diesem Fall ein hinweisendes Fürwort.

Kurz: Relativsätze sind nähere Bestimmungen von Nomina oder Pronomina und funktionieren daher wie Adjektive. Sie antworten auf die Frage was für ein?

Für den Umgang mit Relativsätzen haben Sie die folgende Regel zu beachten:

Gebrauch des Relativums (Relativ-Pronomen)

  1. Das Relativ-Pronomen richtet sich im Genus und Numerus nach seinem Beziehungswort.
  2. Der Kasus des Relativ-Pronomens richtet sich nach seiner Funktion im Relativsatz.

 

In unserem einleitenden Beispiel Fêmina, quam in convîviô vîdî, erat Daphnê hat das Relativ- Pronomen die Funktion eines direkten Objekts (wen oder was sah ich auf der Party?).
Auch in den folgenden Beispielen tritt das Relativ-Pronomen als Objekt auf:

Relativ-Pronomen als Objekt:

Relativ-Pronomen als Subjekt:

Oben hatten wir bereits, ohne es zu merken, einen Satz, in dem das Rel.-Pron. Subjekt des Nebensatzes ist:
Quis est hic puer, quî têcum est? oder Quis est haec puella, quae têcum est?

Hier folgen noch einige Beispiele, in denen das Rel. Pron. Subjekt des Nebensatzes ist:

In anderen Fällen kann das Rel.-Pron. die Rolle eines indirekten Objekts spielen:
Flûmen, cui vetus nômen erat Albula, hodiê Tiberis vocâtur. Der Fluß, der den alten Namen Albula hatte, wird heute Tiber genannt. (wörtlich: dem der alte Namen A. war)

Im folgenden Beispiel steht das Relativ-Pronomen im Genitiv und hat die Funktion eines Genitiv-Attributs zu einem Nomen im Relativsatz:

Fêmina, cuius tunicam aspersî, perîrâta erat. Die Frau, deren Kleid ich bespritzt habe, war wütend. Ego eam ad fullônicam (lavandâria) atullî. Ich habe sie (nicht die Frau!) zur Reinigung gebracht.
cuius ist Genitiv-Attribut zu tunicam, denn man fragt wessen Tunica (Kleid) habe ich bespritzt.

Das Perf. atullî gehört zum unregelmäßigen Verb af-ferrô ich bringe hin, ich trage herbei.
Seine Stammformen sind: af-ferô, attulî, allâtum, afferre. Durch den häufigen Gebrauch ist dieses wichtige Verb schrecklich unregelmäßig geworden!
Sie werden es durch häufigen Gebrauch lernen, -schneller geht es aber, wenn Sie es sich einfach merken -z.B. durch Auswendiglernen.

(Eine große Hilfe zum Lernen von Stammformen ist der Stammformtrainer ("Zettel-Kasten") in

http://www.ph-erfurt.de/~lingua/renzi/latein/ZKONLINE/index.htm

Ich hatte Sie in der letzten Lektion in der Einleitung bereits auf die interaktiven Übungen von
U. Renziehausen hingewiesen. Gehen Sie hin und üben Sie fleißig!)

a-spergô, ersî, ersum, aspergere bespritzen (Bei der Aspersion werden Sie mit Weihwasser bespritzt! Dispersion ist die Zerstreuung, z.B. von Licht oder von Flüssigkeiten.)
îrâtus 3 zornig, wütend, per-îrâtus ganz wütend.

Sie kennen sicher das Quorum bei Abstimmungen. Es handelt sich um die Stimmen, deren Zahl, quôrum numerus, für eine Beschlußfähigkeit erforderlich ist. Den Genitiv-Plural quôrum erleben Sie im folgenden Satz, in dem er Genitiv-Attribut zu adventû (Abl.) ist. adventus, ûs m die Ankunft.

Rômânî, quôrum adventû adversâriî valdê (
sehr) territî (Terror) erant, castra ante oppidum mûnîvêrunt. Die Römer, durch deren Ankunft die Gegner sehr erschreckt worden waren, schlugen vor der Stadt ein befestigtes Lager auf.
mûniô, îvî, îtum, mûnîre
befestigen, absichern; castra mûnîre ein befestigtes Lager aufschlagen.

Wir werden später wieder von Relativsätzen zu sprechen haben, denn sie treten in den verschiedensten Formen auf, etwa zusammen mit einem a.c.i. :

Orpheus, quem Aristoteles nunquam fuisse docet, a multîs colitur.
Orpheus, von dem Sokrates lehrt, daß er nie gelebt habe, wird von vielen verehrt.
colô, coluî, cultum, colere verehren (Kult)


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Übungen zur Grammatik

Versuchen Sie zu übersetzen

Einige Übungen zum A.c.I.:

Übungen zum Relativ-Pronomen

Lösungen:

Relativ-Pronomen:

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Lektüre

Über die Herkunft des Servius Tullius, des sechsten Königs der Römer, des Vaters der Servianischen Verfassung, gibt es zwei Sagen, die Eutropius zu Beginn der heutigen Lektüre, Kap. 7, in einem Satz zusammenfügt. Nach der einen Überlieferung soll er der Sohn des Servius Tullius, des letzten Herrschers der von Tarquinius Priscus eroberten Stadt Corniculum gewesen sein. Seine Mutter, die zunächst als Sklavin nach Rom verschleppt wurde, fand Gnade und Freundschaft der Königsgemahlin Tanaquil. Nach einer anderen Sage war er der Sohn einer Magd (= serva, daher der Name Servius) mit Namen Ocrisia, die in Rom in königlichen Diensten stand. Ein Wunder bezeugte die göttliche Herkunft des Knaben und ebnete ihm seine Karriere am Königshof. Er sollte einmal der Nachfolger des Tarquinius werden.
Servius Tullius war zweifellos einer der bedeutendsten römischen Könige.

Servius Tullius ließ bei Patriziern und Plebejern eine Vermögensschätzung durchführen und teilte das Volk in fünf Klassen ein. Zu den vier schon bekannten Hügeln Roms bezog er noch den Viminal, Quirinal und den Esquilin in die Stadt ein (Siebenhügelstadt). Die Mauer, die Tarquinius begonnen hatte, ließ er fertigstellen und mit einem Graben umgeben. Nach dem Vorbild des Artemis-Tempels in Ephesus ließ er auf dem Aventinus einen Diana-Tempel bauen.

Nach einer Regierungszeit von 44 Jahren wurde er von Tarquinius Superbus, Sohn des Tarquinius Priscus, der ihm als 7. und letzer römischer König folgen sollte, getötet. Die grausame Tat wurde von Tullia, einer Tochter des Servius Tullius geplant und fortwährend angemahnt. Die menschliche "Größe" dieser Tochter offenbart sich zum Schluß des Dramas nochmals, als sie mit ihrem Wagen über die Leiche ihres Vaters fährt.
Dies geschah in der Cyprischen Gasse, die zum Andenken an Tullias Tat später Frevelgasse genannt wurde.
Wie immer ist Livius die unerschöpfliche Quelle, vgl. I, 39 ff. Er ist übrigens nicht geneigt, die zweite Version der Geburt des Servius Tullius zu akzeptieren, d.h. er hält es für unwahrscheinlich, daß er der Sohn einer einfachen Magd war.

Eutropius [7]

1.

Post hunc Servius Tullius suscepit imperium, genitus ex nobili femina,
captiva tamen et ancilla.

2.

Hic quoque Sabinos subegit, montes tres, Quirinalem, Viminalem, Esquilinum, urbi adiunxit, fossas circa murum duxit.

3.

Primus omnium censum ordinavit, quî adhuc per orbem terrarum incognitus erat.

4.

Sub eô Roma habuit octoginta tria (LXXXIII) mîlia civium Romanôrum cum illîs, quî in agrîs erant.

5.

Occîsus (spr. ok-kîßus) est scelere generî suî Tarquiniî Superbî, fîliî eius rêgis, cui ipse successerat, (spr. suk-kesserat) et fîliae, quam Tarquinius habêbat uxorem.

 

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Übersetzung

wörtliche Übersetzung

1.

Nach diesem Servius Tullius er hat übernommen die Herrschaft, geboren von einer edlen Frau, Gefangene jedoch und Magd.

2.

Dieser auch die Sabiner er hat unterworfen, Berge drei, den Quirinal, den Viminal, den Esquilin der Stadt er hat hinzugefügt, Gräben um die Mauer er hat gezogen.

3.

Zuerst aller eine Schätzung er hat eingerichtet, die bisher durch den Erdkreis unbekannt war.

4.

Demnach Rom hat gehabt achtzig drei tausend der Bürger der Römer mit jenen, die in den Feldern (d.h. außerhalb der Stadt) wohnten.

5.

Er wurde ermordet durch das Verbrechen des Schwiegersohns seines des Tarquinius Superbus, des Sohnes desjenigen Königs, dem selbst er war nachgefolgt, und der Tochter, die Tarquinius hatte zur Frau.

 

freie Übersetzung

Nach diesem übernahm Servius Tullius die Herrschaft, Sohn einer Magd, einer gefangenen Adligen.
Er unterwarf die Sabiner, fügte der Stadt drei Berge hinzu: den Quirinal, den Viminal und den Esquilin und zog Gräben um die Stadtmauer.
Zuerst von allen richtete er eine Schätzung ein, was bisher auf der Welt nicht bekannt war.
Demnach hatte Rom 83000 römische Bürger gehabt, eingerechnet die, die auf dem Land wohnten.
Er wurde durch das Verbrechen seines Schwiegersohnes Tarquinius Superbus, des Sohnes desjenigen Königs, dem er selbst nachgefolgt war, und seiner Tochter, die mit Tarquinius verheiratet war, ermordet.

 

 

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Worterklärungen

Verben

subigô, subêgî, subâctum, subigere zwingen, unterwerfen
dûcô, dûxî, ductum, dûcere ziehen, führen
ôrdinô, âvî, âtum, ôrdinâre ordnen, einrichten, regeln
oc-cîdô, cîdî, cîsum, cîdere niederschlagen, töten
suc-cêdô, essî, cessum, suc-cêdere nachfolgen

Sonstige Wörter und Erklärungen

genitus, a, um geboren
captîvus 3 kriegsgefangen
ancilla, ae f Magd
fossam dûcere einen Graben ziehen;
circum = circâ + Akk. Adv. ringsum
cênsus, ûs m Vermögensschätzung, Volkszählung, Steuereinschätzung
in-cognitus 3 unbekannt, nicht erkennbar (denken Sie an inkognito reisen)
ad-hûc Adv. bis jetzt, bisher
per orbem terrarum auf dem Erdkreis (per + Akk. In dem Satz ... per fîliôs trucîdâtus est
(er) ist von den Söhnen getötet worden steht per zur Angabe der Mittelsperson auf die Frage durch wen?)
Adv. daselbst, solange (wir kennen schon das Verbum ich gehe)
ist hier ersichtlich der Ablativ von is (cênsus), abhängig von sub unter
mîlia, ium n tausend (duo mîlia 2000, tria mîlia 3000; duo mîlia passuum 2 röm. Meilen =
2x1.5 km, Genitiv: trium mîlium für alle drei Geschlechter, Abl.: tribus mîlibus ebenfalls m,f,n
ager, agrî m Feld, Acker, im Plural bedeutet es den Gegensatz zur Stadt: auf dem Land
scelere Abl. Sing. von scelus, eris n das Verbrechen. Dieser Ablativ antwortet auf die Frage wodurch?
habeô tê uxorem ich habe dich als Frau, habeô tê amicum ich habe dich als Freund

Erklärungen zur Übersetzung

Das Prädikat des ersten Satzes ist sus-cêpit er hat übernommen 3.Sing.Ind.Perf.Akt.
von sus-cipere, 4.Lektion.
genitus ex nôbilî fêminâ ist Apposition zu Servius Tullius, captîva tamen et ancilla ist Apposition zu fêmina. Merke: ex mê natus (genitus) mein Sohn. Bei dieser adverbialen Bestimmung handelt es sich um den Ablativus separativus oder genauer um den Ablativus originis.
Der zweite Satz zeigt mal wieder die beliebte Reihung von drei kurzen Sätzen (man könnte von einem grammatischen Dreisatz sprechen), die wir schon in der 3.Lektion, Lektüre, Zeile 11, kennenlernten. Dem Subjekt hic werden drei finite Verben (Verba fînita) zugeordnet: subêgit, adiunxit (spr. ad-jungxit) und dûxit. Beachten Sie, daß das gemeinsame Subjekt an die Satzspitze gestellt wird. Ein Satz, der ein Subjekt und mehrere Prädikate hat, wird zusammengezogener Satz genannt.
Sabinôs ist Akkusativ-Objekt (= direktes Objekt) zu subêgit (wen hat er unterworfen), montês três (oder três montês) ist direktes Objekt, urbî ist indirektes Objekt (Dativ-Objekt) zu adiunxit.
fossâs
ist dir. Obj. zu dûxit, und circum murum antwortet auf die Frage wo zog er den Graben? Antwort: um die Mauer. Dies ist eine zusammengesetzte Ortsbestimmung, die der Bedeutung nach einem Adverb entspricht. Man nennt sie daher eine adverbiale Bestimmung des Ortes.
Der dritte Satz ist eine Periode (Satzgefüge) aus einem Hauptsatz und einem Relativsatz. Das Subjekt des H.S., Servius Tullius, ist nicht explizit angegeben, es muß ergänzt werden. Primus müssen wir mit zuerst übersetzen.
Primus omnium (Gen. Pl. von omnis, e) zuerst von allen.
Das Relativpronomen (Relativum) quî (spr. kwî) ist männlich, weil es sich auf cênsus, ûs m bezieht. (Das weibl. Relativum im Nominativ ist quae, sächlich: quod). Auf das maskuline quî bezieht sich auch das Prädikat des Relativsatzes incognitus erat. incognitus hat sich im Genus, Numerus und Kasus nach quî gerichtet. Über den Gebrauch des Relativpronomens schauen Sie sich bitte den letzten Abschnitt oben in der Grammatik an.

Beim fünften Satz steht der Abl. Sing. von scelus das Verbrechen auf die Frage wodurch.
Für deutsches Verständnis hätte der Satz lauten sollen: scelere Tarquiniî Superbî, generî suî, filiî eius rêgis, cui ipse s., et fîliae, quam T.h.u., occîsus est.
Tarquiniî Superbî, generî suî, filiî eius rêgis
sind lauter Genitive im Sing.
eius rêgis, cui desjenigen Königs, welchem; successerat er war nachgefolgt 3.Sing. Ind. Plqupf.Akt. von succêdere.
Das Plusquamperfekt Aktiv wird ganz einfach gebildet: schieben Sie zwischen den Perfekt-Stamm, cess-, und die Endung, m, s, t, mus, tis, nt, einfach das Bildungselement -era- ein. Also in unserem Fall: sucess-era-t.
Vgl. oben in der Grammatik die Erklärungen zu den Relativsätzen

 

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Übungen zur Lektüre

Bitte übersetzen Sie:

Lösungen:

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Anhang

Am Ende der Einleitung zur 4.Lektion hatten wir den Satz übersetzt Tunc coepit dêtestârî, et iurare quia non novisset hominem. Dann begann er zu fluchen und zu schwören, daß er den Menschen nicht kenne.
Sie finden diesen Satz im Neuen Testament, NT, im Matthäus-Evangelium, genau in Mt 26,74. Die in Mt 26,69-78 geschilderte Petrus-Episode zeigt einen fast allzumenschlichen Apostel. Jesus hatte sich offenbar nicht die mutigsten Mitstreiter ausgewählt.
Sie werden sehen, daß dieser Textausschnitt von Ihnen bereits bewältigt werden kann.
Die unregelmäßige Deklination von Iesus lernten wir in der 4. Lektion kennen.

  1. Petrus vêrô sedêbat forîs in âtriô: et accessit ad eum una ancilla, dicens:
    vêrô
    Adv. aber, jedoch, tatsächlich
    forîs Adv. draußen
  2. Et tû cum Iêsû Galilaeô eras.
    At ille negâvit coram omnibus, dicens:
    Nescio quid dîcis.
    Iesus Galilaeus Jesus der Galiläer; vgl. Sie Demaratus Corinthius in der Einleitung.
    côram +
    Abl. im Beisein; at aber, dagegen
  3. Exeunte autem illô ianuam, vidit eum alia ancilla, et ait hîs, qui erant ibî:
    Et hic erat cum Iesu Nazarenô.
    Et iterum negavit cum iuramento:

    Quia non nôvî hominem.
    Der Ablativ illô und das Partizip exeunte bilden zusammen einen ablativus absolutus
    mit der Bedeutung bei seinem Herausgehen oder als er hinaus ging. Entsprechend bedeutet vere ineunte beim Kommen des Frühlings oder bei Frühlingsanfang.
    iânua,ae f (spr. jâ-nu-a) Tür, Eingang, Zugang
    alius, a, ud ein anderer
    nôscô, nôvî, nôtum, nôscere kennen lernen; im Perfekt bedeutet es kennen: nôvî ich kenne, eigentlich ich habe kennen gelernt, d.h. ich kenne. Wir sind schon mehrmals ôdî ich habe mich erzürnt = ich hasse begegnet.
  4. Et post pusillum accessêrunt quî stâbant, et dixêrunt Petrô:
    Verê et tu ex illîs es: nam et loquêla tua manifestum te facit.
    Tunc coepit detestarî, et iurare

    quia non novisset hominem.
    pusillus 3 winzig, gering
    stô, stetî, stâtûrus, statum, stâre stehen (stâbant 3.Pl.Ind.Impf.Akt. sie standen)
    Bekannt ist Ihnen vielleicht das oftmals vertonte Stabat mater es stand die Mutter. Es handelt sich dabei um die Anfangsworte eines Marienhymnus aus dem 13.Jhd (von Jacopone Todi). Hier sind ein paar weitere Worte: Stabat mater dolorosa iuxta crucem lacrimosa, dum pendebat Filius. Es stand die schmerzensreiche Mutter neben dem Kreuz, tränenreich, während ihr Sohn hing.
  5. Et continuô gallus cantavit.
    Et recordatus est Petrus verbî Iesu, quod dixerat:
    Prius quam gallus cantet, ter me negâbis.
    dixerat 3.Sing.Ind.Plqupf.Akt. er hatte gesagt
    cantet 3.Sing.Konj.Präs.Akt. er singe
    negâbis 2.Sing.Ind. Fut.I.Akt. du wirst verleugnen (negâre nein sagen)
  6. Et êgressus forâs, flêvit amarê.
    êgredî
    hinausgehen (Deponens, vgl. später), êgressus Part.Perf.Pass. hinausgegangen, nachdem er hinausgegangen war
    forâs
    vor die Tür
    fleô, êvî, êtum, flêre weinen (flennen)
    amarê Adverb zu amârus 3 bitter (Die Adverbien der Adjektive der -î, -â und -o-Stämme
    werden gebildet, indem man den Genitivausgang des Adjektivs durch ersetzt.)

Übersetzung:

  1. Petrus aber saß draußen im Hof. Da Trat eine Magd zu ihm und sagte (sagend):
  2. Auch du warst mit diesem Jesus aus Galiäa zusammen. Doch er leugnete es vor allen und sagte: Ich weiß nicht, was du sagst.
  3. Un als er zum Tor hinaus ging, sah ihn eine andere Magd und sagte zu denen, die dort waren: Der war mit Jesus von Nazaret zusammen. Wieder leugnete er und schwor:
    Ich kenne den Menschen nicht.
  4. Kurz darauf näherten sich die Herumstehenden und sagten zu Petrus:
    Es ist wahr, auch du bist einer von ihnen, denn deine Sprache (Dialekt) verrät dich.
    Dann begann er zu fluchen und zu schwören, daß er den Menschen nicht kenne.
  5. Gleich darauf krähte der Hahn, und Petrus erinnerte sich des Wortes Jesu, das er gesprochen hatte (erinnerte sich an das, was Jesus gesagt hatte):
    Ehe der Hahn kräht wirst du mich dreimal verleugnen.
  6. Nachdem er hinausgegangen war, weinte er bitterlich.

 

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