Interfaces - Cyborgs R Us?


"Das Netz ist mein Gehirn"
-J. P. Barlow, Interview in Zeit Punkte 5/96



Wenn man Cyberspace als den Raum betrachtet, der entsteht, wenn Menschen mit Hilfe ihrer Rechner zueinander in Kontakt treten, und wenn man weiter davon ausgeht, daß diese Welt primär in den Köpfen der beteiligten User entsteht, stellt sich die Frage nach dem Interface, nach der Schnittstelle Mensch-Maschine neu.

Wenn diese Welt, die mit Hilfe des Computers erschaffen wird, zunächst im Kopf der Nutzer, beziehungsweise, noch komplexer, in den Köpfen beliebig vieler Nutzer entsteht, dann ist die Schnittstelle Mensch-Computer nicht mehr so eindeutig an Bildschirm und Tastatur festzumachen. Damit steht ebenfalls fest, daß Interface mehr bedeutet, als GUI allein: ein Mensch denkt sich etwas aus, vermittelt dies mit Hilfe seines eigenen Rechners über den IRC-Server an die anderen Menschen im Channel, es erscheint auf deren Bildschirm und wird in deren Kopf prozessiert und in die bereits erschaffene Channelwelt integriert, weiterverarbeitet, kommentiert. Gleichzeitig wird das Ergebnis all dieser Prozesse im Channel (auf dem Bildschirm) gesammelt und verbal dargestellt, und die Nutzer bewegen, agieren, manövrieren innerhalb des Channels. McLuhan (1964) folgend könnte man sagen, daß der Rechner hier eine "extension of man" darstellt, und wenn man das Modell weiter auslegt, könnte man sogar von einer "extension of the mind" - oder sogar 'of minds' im Plural - sprechen .(Mc Luhan spricht a.a. O. von einer elektronischen Erweiterung des ZNS.)

Das Interface ist dann nicht länger physisches Objekt, nicht länger Keyboard oder Bildschirm, oder die Kombination von beidem, sondern vielmehr eine Metapher für das, was zwischen dem Nutzer, der physisch vor dem Rechner sitzt, und dessen Selbst sozusagen "durch seine Finger fließt irgendwohin in die Welt" und eben dieser Welt -sei es ein anderer Rechner oder eine oder mehrere Personen - vermittelt:

"An interface is a metaphor. We used to think of it as a physical object, a keyboard...but interfaces are metaphors, and they stand in for absent structures and the absence is the important word there, they're ABSENT structures. They're not where you could see them. It doesn't even mean that they are inside the machine, but they're in an elsewhere, they're in a virtual location. You can call that 'location' cyberspace or you can call it symbolic exchange -- there are lots of words that you can use for interfaces."(Stone, Interview for Mondo2000)

Dieser Gedanke - die Idee, daß das Interface sich irgendwo im Cyberspace befindet, wobei der Cyberspace eine Kokreation des menschlichen Gehirns in nicht trennbarer Zusammenarbeit mit der Maschine ist - impliziert ein neues Verhältnis zwischen Mensch und Maschine, eine neue Sicht beider sich gegenüberstehenden Pole und letztlich deutet er auch bereits ein neues Verständnis des Begriffes 'Selbst' an.

In den frühen Jahren aufkeimender Computerkultur, den späten siebziger und frühen achtziger Jahren, die geprägt waren von einer mechanistischen Sicht dessen, was Computer sind, was sie sein können und bedeuten, schreckte man eher davor zurück, den Computer mit dem menschlichen Hirn zu vergleichen, da die Maschine ja kein Bewußtsein, keine wirkliche Intelligenz habe. Computer taten das, was man ihnen befahl, nicht mehr und nicht weniger. Im Prinzip waren sie, von diesem Standpunkt aus gesehen, dumme Maschinen, Werkzeug, komplexer zwar und elektronisch, aber doch nicht wesentlich andersartig als ein Toaster oder eine Waschmaschine, und das war gut so.

Man betonte die Begrenztheit von Computern, um die Überlegenheit menschlichen Denkens zu unterstreichen, und die Anhänger der Künstlichen Intelligenz waren eher kuriose Ausnahmeerscheinungen denn ernstzunehmende Wissenschaftler. Weizenbaum (1976), der Entwickler des berühmten Simulationsprogrammes für psychotherapeutische Gespräche ELIZA, argumentierte, daß, nur weil man sich mit einem Computerprogramm über ein Stück von Shakespeare unterhalten kann, dies noch lange nicht bedeutet, daß das Programm dieses Shakespearestück verstanden hat . Und obwohl Weizenbaum ELIZA geschaffen hatte, war er beunruhigt von dem Effekt den dieses Programm auf seine Benutzer hatte : er fürchtete, die Begeisterung, mit der sich Menschen mit ELIZA unterhielten, sei ein Zeichen dafür, daß die Menschen den Sinn für die Besonderheit des Menschen selbst verloren hatten. In dem Maße, wie die Grenze zwischen Mensch und Maschine undeutlicher wurde, wuchs die Angst davor, diese 'heilige' Grenze zu verletzen . Dies zeigte sich besonders deutlich in der Diskussion um computerbasierte Psychotherapie, die mit ELIZA begann und bis heute andauert.

Während der achtziger Jahre wuchs jedoch die Akzeptanz bestimmter kognitiver und verhaltenspsychologischer Modelle und mit dem Konzept der Verhaltenstherapie, der Idee, ein 'falsches' in einer Persönlichkeit integriertes Programm durch ein anderes, besseres zu ersetzen, also sozusagen einen Teil der Persönlichkeit neu zu programmieren, änderte sich auch die Sicht des Menschen als ganzes und man Ähnlichkeiten zwischen ihm und dem Cpomputermodell. Die Akzeptanz von Ideen und Modellen, die von Parallelen zwischen Computern und Menschen ausgingen, wuchs.

Die Idee einer wirklich intelligenten Maschine war - und ist - jedoch für viele Menschen ein Affront gegen ihr Selbstverständnis und ihr Menschenbild (Turkle 1995). Dennoch haben sich im Laufe der Zeit die Menschen verschiedene Wege und Strategien zurechtgelegt, mit dieser Idee zurechtzukommen. Die wachsende Präsenz von Computern im Alltag zeitigt sicher einen gewissen Gewöhnungseffekt. Manche Menschen projizieren, an die Grundidee von ELIZA angelehnt, bestimmte Absichten und Komplexitäten in ein Programm hinein, behandeln es also fast wie einen anderen Menschen (dieses Verhalten wird von den Programmdialogen unterstützt) . Wieder andere betrachten Maschinenintelligenz als einen nur kleinen Teil des Gesamtkomplexes Intelligenz , und sind aufgrund dessen weniger beunruhigt, weil sie den Computer als weit entfernt von komplexer, umfassender menschlicher Intelligenz begreifen, oder als Ergänzung, Erweiterung und Stütze menschlicher Intelligenz, die bestimmte Prozesse des Denkens erleichtert, vereinfacht, oder dem Nutzer sogar abnimmt. Wie auch immer wir mit den Maschinen zurecht kommen, sie prägen uns, und sie spiegeln uns auch wieder, in der Art, wie wir sie sehen und mit ihnen umgehen.

Mit den Netzwerken und den allgemeinen Fortschritten in der Computerentwicklung, etwa auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz aber auch mit den Simulationen und der Erfahrung des Cyberspace, bieten sich neue Metaphern und Modelle für das menschliche Denken und das menschliche Selbst an. HTML zum Beispiel als assoziativ strukturiertes, vernetztes Wissen wird als den Strukturen menschlichem Denken näher als linearer Text verstanden.

Und während Kasparow von Deep Blue, IBMs Hochleistungsrechner, geschlagen wird (im Mai 1997), und die Debatte über die Möglichkeit von intelligenten Maschinen neuen Zündstoff erhält, während die Propheten der Artificial Intelligence (AI) zu Interviews gebeten werden, um herauszufinden, ob mit Deep Blue bereits die Grenze zu echter Intelligenz von Maschinen überschritten wurde, oder nicht, sprechen andere Autoren bereits vom Menschen als Cyborg . Diese gehen nicht länger vom Konkurrenzkampf Mensch gegen Maschine aus. Nicht der Mensch der von der Maschine übertrumpft wird, ist ihr zentraler Gedanke, sondern vielmehr die Beziehung des Menschen zur Maschine selbst, die Idee eines Menschen, der mit der Maschine zu einer Art synergetischer Einheit verschmilzt, die in dieser Co-Existenz besser, leistungsfähiger, flexibler, sogar kreativer ist, als beide Elemente allein, indem er sie als Erweiterung seines Gehirnes begreift und benutzt, als 'extension of the mind'. Auf den so manchem Zeitgenossen Schauer einjagenden science fiction-Begriff Cyborg kann man bei dieser Diskussion getrost verzichten, doch das Konzept selbst leuchtet durchaus ein und bietet ein anwendbares Modell für das, was geschieht, wenn Menschen sich mit Hilfe ihres Rechners zum Beispiel im Cyberspace bewegen.

Die Frage nach der möglichen, menschlicher Intelligenz vergleichbaren Intelligenz von Computern, vermag zum jetzigen Zeitpunkt, auch nach dem Duell Kasparow gegen Deep Blue niemand so recht zu beantworten. Es existieren dazu einen Reihe von Theorien, von Weizenbaum, der noch immer auf der Einmaligkeit des Menschseins beharrt, bis zu Minsky, der in Interviews schon mal äußert, sein Traum sei es mit Hilfe der KI unsterblich zu werden. Erst langfristig wird sich zeigen, wer hierbei letzlich recht behält.

Die Frage aber 'wo ist das Interface?' bleibt letztlich ebenso unbeantwortbar wie die Frage 'was ist das Interface?' . Wichtig ist jedoch für das Verständnis des Verhältnisses zwischen Mensch und Maschine, daß wir begreifen, daß das Interface mehr bedeutet, als die technische Eingabe-Ausgabeeinheit Bildschirm und Keyboard. Selbst wenn man den Computer nur als hochelaboriertes Werkzeug betrachtet ist er doch von Grund auf ganz andersartig, als die bisherigen "extensions of man". Frühere Werkzeuge waren Verlängerungen der Arme und Ergänzungen der Hände, sie waren Ergänzungen oder Verlängerungen des Körpers, und selbst die Schrift, die erstmals das Gehirn ergänzte, diente lediglich der Ergänzung der Gedächtnisfunktion - der Computer aber ist erstmals ein Werkzeug, das zu nichts anderem dient, als unser Gehirn zu stützen, indem es uns bestimmte Operationen abnimmt, erleichtert, oder erst ermöglicht, und zwar über die Erweiterung der Speicherkapazität hinaus.

Vielleicht entspringt auch - unter anderem - daraus die besondere Art und Weise, in der der Computer uns dazu bringt, ihn auf andere Weise wahrzunehmen, als andere Werkzeuge, ihn zu personalisieren, fasziniert von ihm zu sein, ihm große Teile unseres Lebens anzuvertrauen . Akzeptiert man, daß der Computer eine solche, besondere Maschine ist, insofern als er eine Maschine ist, die wir sozusagen mit unseren Gehirnen - oder wie Stone und andere betonen, mit unserer Persönlichkeit , unserem Selbst - koppeln und mit der wir, mittels unseres Verstandes und unserer Emotionen, einen geradezu intimen Umgang pflegen, indem wir mit seiner Hilfe in Kontakt zu anderen Menschen treten, arbeiten, spielen, dann wird dies deutlich: das Interface, die Grenze oder Schnittstelle der Einheit Mensch-Maschine kann im Zeitalter der virtuellen Räume nicht länger als mechanisch-elektronische allein betrachtet werden, denn dies hieße den Phänomenen der sich gegenseitig ergänzenden Interaktion zwischen Mensch und Computer (und Mensch) nicht gerecht zu werden; vielmehr müßte die Sicht des Interfacebegriffes um die psychologische Dimension erweitert werden.

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