Die Marquesas - seit Gauguin eine Südsee-Idylle

Wildromantische Inseln im Herzen Polynesiens

«Zum Glück besitzen wir hier ein wertvolles Kapital», sagt Bürgermeister Rauzy Guy, «die beiden berühmtesten Künstler Polynesiens schlafen bei uns.» Die sind zwar tot und liegen auf dem Friedhof von Atuona, dem Hauptort der Insel Hiva Oa, was der Legendenbildung nur förderlich ist. Der belgische Chansonnier Jacques Brel und der französische Impressionist Paul Gauguin fanden in Atuona ihre letzte Ruhe. Gauguin war 1901 auf seiner steten Suche nach dem vollkommenen Tropenidyll auf diese Insel im Archipel der Marquesas gekommen, wo er eine seiner glücklichsten und produktivsten Zeiten verbrachte. Doch die aus Frankreich mitgeschleppte Syphilis rang ihn nieder, und wegen seines ausschweifenden Lebens, das er mit seiner Geliebten Vaeoho in der «maison de jouir» führte, handelte er sich den Zorn der Behörden ein, die ihn unmittelbar vor dem Tode zu Gefängnis verurteilten.

Fast alle der bloss etwa 1100 Touristen, die jährlich die 1700 Kilometer von Papeete entfernten Marquesas besuchen, pilgern an die unscheinbaren Gräber von Brel und Gauguin. Vor Gauguins nachgebautem «Freudenhaus» in Atuona rostet Brels Privatflugzeug, und das Museum ist dem berühmten Maler gewidmet. Doch kein Original des Meisters, der für seine Werke zu seiner Zeit kaum Käufer fand, ziert die Wände, sondern lediglich Kopien der betörend schönen Südseeszenen, geschenkt ausgerechnet vom Commissariat à l'Energie Atomique, dessen Nuklearversuche dem Tourismus in Französisch-Polynesien so herbe Rückschläge eingebrockt haben. Den Namen Gauguins führt auch die beste Pension in Atuona. Hier essen die Gäste am Tisch von Albertina und André Teissier. Familiär wirkt hier alles, die Preise, der Umgang, die Freundlichkeit. Auf den Marquesas grüsst jedermann auf der Strasse auch die Fremden. Kaum zu fassen, dass 1559 der Spanier Alvaro de Mendana, als er die Inseln entdeckt und nach der Marquesa von Mendoza benannt hatte, 200 dieser freundlichen Menschen umbrachte, einfach um die Polynesier vorab einzuschüchtern.

Die 8000 Marquesianer betrachten ihre zehn Inseln, von denen sechs bewohnt sind, als das Herz Polynesiens. Archäologische und linguistische Forschungen unterstützen ihren Anspruch. Von diesen Inseln aus erfolgte die Besiedlung Hawaiis und der Gesellschaftsinseln, zu denen auch Tahiti gehört und die viel später als Sprungbrett für jene Polynesier dienten, die Neuseeland erschlossen. Ostwärts segelten Marquesianer bis zu den Osterinseln, wohin sie auch ihre Steinmetzkunst brachten. Die zahlreich auf den Marquesas anzutreffenden «Tikis», die alten Steinfiguren, dienten den Osterinsulanern als Inspiration für ihre noch grösseren Statuen. Von den Marquesas aus soll auch die Revitalisierung der polynesischen Kultur ausgehen, wie viele Insulaner stolz glauben. Sie nennen ihre Inseln wieder «Te fenua enata» - Land der Menschen. In jedem Dorf gibt es Ruderklubs für Pyrogen, die traditionellen polynesischen Auslegerboote. In dieser Sparte gehören die Marquesianer bereits zu den Meistern im pazifischen Raum. Und zahlreiche Vereine wetteifern mit der Aufführung der alten polynesischen Tänze. Immer mehr junge Frauen und Männer lassen sich wieder tätowieren. Nachdem zunächst deftige Seefahrermotive die Körper eher entstellten als schmückten, verwenden die Jungen jetzt die Vorlagen aus wissenschaftlichen Werken, wie sie etwa Karl von Steinem 1897 niedergeschrieben hatte. Die katholische Kirche hatte Tätowierungen verboten, weil bei Brandmarkungsfesten zuweilen auch Menschenfleisch verzehrt worden war.

Auf der landschaftlich spektakulären Insel Ua Pou, die von besonders eindrücklichen Vulkansäulen überragt wird, lebt Julien Tissot, dessen Vorfahre aus dem Schweizer Jura als Missionar hergekommen war. In sein Heimatdorf Hakamaii führt keine Strasse, wie alle Inseln der Marquesas ist auch Ua Pou stark zerklüftet, so dass Boote die bevorzugten, aber teuren Verkehrsmittel sind. Der Grossvater liegt im Garten begraben; dort wächst ein stattlicher Baum mit Brotfrüchten. Die grossen, grünen Früchte werden geröstet, dann zusammen mit Wasser und Kokosmilch zu einem schmackhaften Brei namens Kaku zerstampft. Dies geschieht bevorzugt in einer Holzschale mit ausgeprägt phallischen Griffen. Roher Thunfisch, in Kokosmilch und Limonen mariniert, gehört zu jedem polynesischen Mahl, wie es die Tissots immer häufiger zubereiten, seit sie die Traditionen wieder wichtiger nehmen. Auf so abgelegenen Inseln wie Ua Pou kommen auch Reisende in den Genuss solcher einheimischen Delikatessen.

Die Marquesas fallen unter den Inseln Französisch-Polynesiens nicht nur kulturell auf, sie sind auch von einzigartiger Schönheit. Ihr Ursprung ist vulkanisch, aber sie sind nicht von Atollen umgeben, sondern ragen steil aus dem Meer empor. Das macht die Marquesas auch für Taucher äusserst interessant: es gibt viele Höhlen und Hammerhaie, und Mantas kommen ganz nah heran. Wegen der starken Landschaftskammerung lebten früher die Bewohner jeden Tales für sich, ein Austausch war sogar auf derselben Insel fast nur per Boot möglich. Heute benutzen auch die Einheimischen oft den Helikopter; von Touristen wird der teure Spass gern benutzt, um spektakuläre Landschaftsaufnahmen zu machen. Zu Fuss nehmen viele Ausflüge, zum Beispiel zu über 300 Meter hohen Wasserfällen, einen vollen Tag in Anspruch. Wo es Strassen gibt, sind sie nicht befestigt. Alleine die 50 Kilometer vom Flughafen auf der Hauptinsel Nuku Hiva in den Hauptort Taiohae verschlingen im Land-Rover zwei Stunden. Zwischen den meisten Inseln existiert ein spärlicher, teurer Flugbetrieb. Ein früher Import hat zu einer weiteren Eigenheit der Marquesas geführt: Missionare holten im letzten Jahrhundert Pferde aus Südamerika. Deren wild lebende Nachkommen bevölkern mit Ziegen heute Inseln wie Ua Huka in so grosser Zahl, dass die Erosion zum grössten ökologischen Problem geworden ist.

Einige der interessantesten Inseln sind nur mit dem Schiff zu erreichen und bilden deshalb selten ein Ziel von Touristen. Fatu Hiva, am Südende des Archipels, gehört dazu. Thor Heyerdahl hat unter dem Namen dieser Insel ein Buch verfasst, das den (nicht geglückten) Versuch eines Lebens zurück in der Natur beschreibt. Um das einfache polynesische Leben kennenzulernen, bieten sich aber auch viele kleine Orte an, die besser erreichbar sind. Auf der Hauptinsel Nuku Hiva könnte dies der Ort Taipivai sein, dessen polynesische Sitten anno 1842 Herman Melville in seinem vielbeachteten Buch «Typee» festhielt. Oder Hatiheu an der Nordostküste Nuku Hivas, wo Yvonne in der nach ihr benannten Pension die paar Gäste auf unvergleichliche Art verwöhnt. Von Hatiheu aus führt ein Saumweg an die Bucht von Anaho, eine der schönsten dieser Inselwelt. Hier gibt es eine einfache Übernachtungsmöglichkeit. Aber auf den Marquesas spricht man bereits von der touristischen Erschliessung solch verträumter Ecken. Viele Marquesianer glauben, dass sie die Abwanderung der jungen Generation nach Tahiti nur aufhalten können, wenn ihre Inseln stärker erschlossen werden. Im nächsten Jahr soll der Flughafen von Nuku Hiva so ausgebaut werden, dass er auch aus Hawaii direkt anfliegende Maschinen aufnehmen kann. Deborah Kimitete vom Syndicat d'initiative in Taiohae weiss, dass jährlich 6 Millionen Touristen nach Hawaii kommen. «Keine Angst wir wollen nicht alle hierher holen. Nur ein paar mehr als jetzt.»

Oswald Iten

Informationen

Tahiti Tourisme, D-61348 Bad Homburg, Tel. (0049-6172) 21 0 21, Fax 25 5 70. Hotel Nuku Hiva Village, Taiohae, Tel. (00689) 92 01 94, Fax 92 06 18. Reisebüro Inselträume, 9050 Appenzell, Tel. (071) 787 37 66, Fax 787 48 30.

Flüge: Nach Papeete mit Air New Zealand via Frankfurt oder Air France, AOM und Corsair via Paris. Mit Air Tahiti weiter nach Taiohae, Atuona, Ua Pou und Ua Huka (Airpass erhältlich).

MARQUESAS HOMEPAGE

MARQUESAS ISLANDS