BASTA ! 2 / 96 - Seite 12 - Über den Tellerand

Japans Neue Linke

Von Andreas Hippin

Wer hat sie nicht gesehen, die Bilder verschiedenfarbig behelmter Demonstranten, die sich in Japan unter Zuhilfenahme zwei Meter langer Kanthölzer Straßenschlachten mit der Polizei liefern? Insbesondere durch den Kampf gegen den Bau des Flughafen Narita, aber auch durch versuchte Anschläge auf den Tennoo hat sich die Neue Linke Japans weltweit bekannt gemacht.

Erschienen bei der renommierten Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde Ostasiens e.V. in Hamburg liegt nun erstmals ein deutschsprachiges Standardwerk zum Thema Neue Linke in Japan vor, geschrieben von Claudia Derichs, die derzeit in Duisburg eine Professur im FB1 Politische Wissenschaft vertritt.

Es handelt sich dabei um eine präzise Analyse der Programmatik, der Organisationsstruktur und der Aktionen der Neuen Linken, die der Frage nachgeht, ob es sich bei Japans Neuer Linken um eine soziale Bewegung handelt, und versucht, Gründe für ihren Niedergang zu benennen.

»Neue Linke« ist nicht gleich »Neue Linke«. Spricht man in der Bundesrepublik im Zusammenhang mit der 68er-Studentenbewegung von einer Neuen Linken, so entstand die japanische bereits 1957 in scharfer Abgrenzung zu den etablierten linken Parteien (SPJ, KPJ) und deren Gewerkschaftsbewegungen. Dafür wurde sie von der KPJ, die sich bis heute angesichts des eigenen Niedergangs an jeder Niederlage der Konkurrenz erfreut, als »trotzkistisch« bekämpft.

Dabei entwickelte die japanische Neue Linke zunächst eine enorme Schlagkraft. So gelang es z.B. Mitgliedern des Studentenverbandes Zengakuren am 27.11.1959 im Rahmen einer Demonstration gegen den japanisch-amerikanischen Sicherheitsvertrag zusammen mit anderen Demonstrationsteilnehmern, das Parlamentsgebäude zu stürmen, obwohl die Pläne zu dieser Aktion von der SPJ an die Polizei verraten worden waren.

Im weiteren Verlauf der Geschichte der japanischen Neuen Linken kam es zu einer ähnlichen Zersplitterung in sektenähnliche Gebilde (sekuto) wie hierzulande. Zahlreiche Lehnwörter aus dem Deutschen haben dabei Einzug ins Vokabular der »Neuen Linken« gefunden, z.B. Sprechchor supurehikooru, Massenstreik massensutoraiki. Der Bund revolutionärer Kommunisten nannte sich »Bund«: bunto.

Die späteren Auseinandersetzungen um den richtigen Weg zur Revolution zwischen den bunto-Splittergruppen nahmen drastische Formen an: Angehörige der jeweils »feindlichen« Fraktion wurden kurzerhand ermordet, wie z.B. Nobuyoshi Honda, der Generalsekretär der Kernfraktion Chuukaku-ha. Zwischen 1968 und 1975 soll die Zahl der Verletzten durch interfraktionelle Gewalt uchi geba den Polizeiweißbüchern zufolge bei 500 pro Jahr gelegen haben. 46 Mitglieder der Fraktion Revolutionärer Marxisten Kakumaru wurden von der Chuukaku ermordet, 23 vom Verein Revolutionärer Arbeiter Kakurookyoo/Kaihoo-ha. 15 Mitglieder der Chuukaku und Kakurookyoo/Kaihoo-ha wurden Opfer der Kakumaru.

Die Militarisierung der Neuen Linken ausgehend von militanten Aktionsformen über die Aufstellung nicht-öffentlicher Kampfeinheiten bis hin zur Zusammenarbeit der Roten Armee Japans rengoo sekigun mit der Volksfront für die Befreiung Palästinas PFLP, die im Massaker auf dem israelischen Flughafen Lod 1972 gipfelte, wird akribisch dargestellt.

Die daraus resultierenden Anforderungen an Disziplin und Opferbereitschaft der Mitglieder führte schließlich zur Selbstisolation der Neuen Linken, die von einer tatsächlichen sozialen Bewegung, deren Ziele zum Teil auf Sympathien in der Bevölkerung stießen - insbesondere ihre anti-amerikanische Rhetorik - zum quasi-institutionellen Gebilde am Rande der Gesellschaft degenerierte. Heute erschöpfen sich ihre Aktivitäten im Organisationshandeln.

Die von der Autorin durch teilnehmende Beobachtung erarbeitete Fallstudie über die Sekte Senki Kyoosandoo (Kriegsflaggenfraktion - Bund der Kommunisten) zeigt, wie wenig sich das Leben der Aktivisten sich vom Leben der Mitarbeiter einer ganz gewöhnlichen japanischen Firma unterscheidet. Besonders aufschlußreich ist dabei die Diskussion über die Rolle der Frau. Zunächst wurde seitens der in den 80ern neu hinzugekommenen Frauen die Überwindung des traditionellen Rollenverhaltens gefordert, das sich innerhalb der »revolutionären« Sekten ebenso fand wie in der japanischen Gesellschaft als Ganzem. Dabei beriefen sich die Frauen u.a. auf Simone de Beauvoirs »Das andere Geschlecht«. Kaoru Morishita schrieb dazu u.a.:

»Die Form der `Mutter´ in der bestehenden Gesellschaft ist absolut zu negieren, denn das ist bloßes Mutterdasein, ausgeprägt in und sogar gefordert etwa von den diversen unpolitischen, ökologischen Strömungen der heutigen Zeit. So etwas beschwört keinen Vorwärts-, sondern einen Rückwärtstrend und fördert nur das `mütterliche Image´, wie man in zahlreichen Bürgerinitiativen beobachten kann.«

Bald wurden sie aber wieder auf die Parteilinie zurückgedrängt, die ihnen zwar Führungspositionen, aber keine neue Rolle zugestand.

Gerade ein Randthema wie dieses bietet die Möglichkeit, sich der japanischen Gesellschaft einmal aus einem völlig anderen Blickwinkel zu nähern und dabei doch konstante Verhaltensmuster zu entdecken. Darüber hinaus ist es interessant für jene, die hierzulande die gesellschaftlichen Verhältnisse radikal verändern wollen. Wurden doch in Japan unter völlig anderen kulturellen und historischen Voraussetzungen durchaus ähnliche Erfahrungen gemacht.

Claudia Derichs (1995). Japans Neue Linke. Soziale Bewegung und außerparlamentarische Opposition, 1957-1994. Hamburg: MOAG. 312 S. DM 78,00.


Dieser Artikel erschien in dem Duisburger Studierendenmagazin BASTA !

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