ÜBERSETZUNGSTHEORIE
 
 


Eigene Übersetzungen
 
 

ÜBERTRAGUNGEN UND PARAPHRASEN AUS DEM ITALIENISCHEN/ TRADUZIONI E PARAFRASI

PARAPHRASEN UND ÜBERSETZUNGEN AUS DEM RUMÄNISCHEN:
 
 

FREUNDE

Tranian Pop Traian (Homepage mit vielen links zur rumänischen Kultur)

Stefan Balan und seine Webzeitschrift "Revista Norii"
 
 

TUDOR ARGHERZI

Nichita Stanescu

Kommentare zu Nichita

Marin Sorescu

Liviu Ioan Stoiciu

Elena Stefoi

Augustin Fratila
 
 

Gefährliche Serpentinen.

Rumänische Lyrik der Gegenwart

Einführung

Zur Internetzeitschrift "Asalt"
 
 

Debüts:

Ecatarina Constantinescu

Byzantinische Ikonen

Theotim von Tomis

Skythischer Mönch

Bischof Komates

Und Zähmer

Der grausamen Hunnen

Mit unsichtbaren Ketten

Aus Gebeten

Der Weg hört das Echo der Hufe

Von Staub und Asche bewegt

Unter den Knieen des Scheiterhaufens

Voller Härte im Feuer

Verwandelt sich die Erde

In ein schöpferisches Lamm
 
 

ADDENDA CORRIGE (zu Gefährliche Serpentinen die fehlenden Lyriker)

 Mircea Tuglea

Ileana Bâja

Aura Christi

Minerva Chira

Paul Daian

Cristian Popescu

Ioan Es.Pop

Constantin Severin

George Grigurcu

Marin Mincu

Cezar Ivanescu

Miron Chiropol

Dan Constantinescu

A.E. Baconsky

Ion Caraion

Ion Negoitescu
 
 
 
 
 
 

AUTORITRATTO DELTRADUTTORE

Da ich mit meiner Muttesprache Deutsch immer zwischen Fremdsprachen gelebt gelebt habe, zuerst in Transsylvanien, wo ich in der alten siebenbürgisch-sächsischen Stadt Sighisoara-Schäßburg geboren wurde, das bis 1919 zur "kaiser-königlichen" Donaumonarchie, dem kafkaesken Kakanien gehört hatte: Ungarisch, Rumänisch, Jiddisch waren die Sprachen des Alltags; dann in Bukarest, wo ich (Germanistik) studiert habe, 10 Jahre Redakteur einer deutschen Zeitschrift gewesen war, und in einer rumänischen Familie gelebt hatte. Hier unterhielten sich bis in meine Träume hinein die Sprachen (und auch die Literaturen) miteinander, und es wäre erstaunlich gewesen, wenn ich in diesem hochsensiblen Zustand, dazu noch in einer Diktatur, mich nicht in die Sprache und in die Übersetzung gerettet hätte; früh schon aus starker innerer Bindung an meine rumänischen Kollegen und ihren Stil (sehr oft des Widerstandes!).

So entstanden vor allem Lyrikübersetzungen der Generationskollegen: Nichita Stánescu, Cezar Baltag, D. Tsepeneag, Nina Cassian, Ion Caraion, G. Mazilescu, G. Pitut, Marin Sorescu, Petre Stoica, Magdalena Constantinescu, Ana Blandiana u.v.a.

Dann die Klassiker der Moderne: Tzara, Eugène Ionesco, Urmuz, Lucian Blaga, Tudor Arghezi (viele "Paraphrasen"), Ion Barbu, Ion Vinea, Virgil Teodorescu u.a. Vor allem auch B. Fundoianu ( den rumänisch-französischen Essayisten und Lyriker, der in Auschwitz umgekommen ist.) In Deutschland habe ich seit meiner Übersiedlung 1969 viel vermittelt und an Anthologien mitgewirkt, bzw. selbst Anthologien zusammengestellt.

Prosa habe ich von Eminescu, Francisc Munteanu und in letzter Zeit von Norman Manea übertragen. Zur Zeit arbeite ich an den Briefen E.M. Ciorans, einer Edition für Suhrkamp in deutscher Sprache. Und dann an Texten Constantin Noicas.
 
 

Extreme Lagen bringen im Schock Erkenntnisgewinn, und wir, einmal davon geprägt, können uns lebenslang nicht mehr entziehen; es ist nicht nur ein Schatzhaus der Sprache und der Erfahrung, es ist ein Mehr an Unentrinnbarkeit: Unter Druck wird erkennbar, was in der Gegenwart verdeckt, Geschichte macht, die neue Bodenlosigkeit, die mit einem, wenn auch Verlorenen umgehen muß.

Schon durch die Diktatur war das "Wohnen kein Ort" mehr: Christa Wolf nannte es für die DDR: "Kein Ort. Nirgends". Verhindertes, vergeudetes Leben. Securitate, Stasi erzeugten einen permanenten Ausnahmezustand; etwas Irres; wo öffentliche Formen zerstört waren, entstand wider staatliche Unterwelten die Solidarität der Angst. Die Revolution 89 hat sie noch radikaler aufgelöst. "Stehende Zeit", Täuschungen des Raumes. Als wäre Realität - das Stück eines irren Poeten, Plagiat, Fälschung gewesen. Doch der Sprachsinn wurde außerordentlich geschärft:

Nur im Negativ, als Paradox war zu sagen, was ist. Sie zeigten und zeigen nun aufs Neue wieder, daß es sich um eine gestundete, künstlich aufgehaltene Zeit gehandelt hat. Wahr sind dagegen Hypostasen des Fremden, wo auch die Sprache sich von Satz zu Satz wundert, daß sie noch da ist, und es sagt.

Noch in Bukarest habe ich eine Anthologie österreichischer Prosa auf Rumänisch in zwei Bänden (1300 Seiten) herausgebracht, die aber auch dm gleichen Prinzip der Sprachspannung und der Interlinearversion diente.

Aus dem Italienischen habe ich recht spät zu übersetzen begonnen, erst ab 1975 ( ich lebe abwechselnd in Stuttgart und in Camaiore/ Lucca seit Mai 1973). 1975 habe ich ein Buch "Sozialisation der Ausgeschlossenen" über die geöffneten Heilanstalten in Italien bei Rowohlt (eine Originalausgabe) aus dem Italienischen herausgebracht. Wieder wollte ich versuchen etwas zu vermitteln: ein Modell zu übertragen. Und laufend habe ich vor allem Lyrik für deutsche Zeitschriften und den Funk übersetzt: Michelangelo, Dino Campana, Giuseppe Ungaretti, Carlo Michelstaedter u.a..

Dann Amelia Rosseli, in letzter Zeit: Sinsigalli, Rebora, Sereni. Fortini, Buffoni

Doch auch jüngere oder unbekannte Kollegen, wenn der "Funke" sprang: Luciano Fintoni, Elisabetta Robert , Maura del Serra, Giuliana Lucchini u.a.

Und ich habe weiter vor, vor allem "Paraphrasen" zu schreiben, auf den Namen nicht zu achten, sondern auf das Gedicht, das mich berührt: wobei mich vor allem Gedichte über die Grenze, an der Grenze, dort, wo das Undenkbare, vor allem die Todeserfahrung in der Metapher gerade noch faßbar, im inneren Takt noch hörbar wird, und aufhorchen läßt.
 
 

Oktober 1996





Mimesis

( Parafrazi, rielaborazione, traduzione)

Meine Gedanken zum Übersetzen gehen von Walter Benjamin aus und von Rudolf Pannwitz: "Jene reine Sprache, die in fremde gebannt ist, in der eigenen zu erlösen, die im Werk gefangene in der Umdichtung zu befreien, ist die Aufgabe des Übersetzers." So daß "die Grenzen des Deutschen erweitert", etwa um das Fremde, hier des Italienischen, erweitert wird. Wie in der Tangente berührt die Über-Setzung das Original nur flüchtig, und im heißen Berührungspunkt, der ein flash sein muß, um dann "nach dem Gesetz der Treue (aber im Innersten der angestoßenen Sprachphantasie) in der Freiheit der Sprachbewegung ihre eigenste Bahn zu verfolgen, um sie als "Bruchstück einer größeren Sprache erkennbar zu machen". So erst wird der sehr unterschiedliche "Gefühlston" der Sprachen, der etwa "Brot", "pane" bestimmt, in jener Ursprache der Phantasie im Geistigen aufgehoben und in-eins-gesetzt.
 
 

Denn so wie ich es auch bei meinen eigenen Gedichten Fragenden immer wieder sage, daß der Text nur der Anstoß sei, ein eigenes Gedicht im Leser in Bewegung zu setzen, so sehe ich (mit Walter Benjamin) auch die Übersetzung, vor allem die "Paraphrase", und lasse mich im flash vom fremden Gedicht "berühren", genau wie auch bei Erregungen in Ausstellungen, oder im Falle der Sixtinischen Kapelle, über die ich viele Bildgedichte geschrieben habe, (drei Bände sind erschienen: "Das Neue Licht Michelangelos" 89-91), so lasse ich diese Erregungen zu emotionalen Assoziationen werden, die ein neues Gedicht entstehen lassen, das dem Original so nahe geht, ja zu Leibe rückt, bis es sich im Leser selbst verändert. Das schafft eine wörtliche Übersetzung nie, die von Konserven ausgeht und solche auch herstellt.

Die wortlose Ursprache ist vielleicht am besten vorstellbar in jener Sphäre, wo alles-eins wird, einer undenkbaren, aber emotional im Sprach-Zwischenraum und dem meta-pherein Mitvibrieren am Rande des Ganz Anderen, der Perspektive etwa der Toten, der wir uns nur intuitiv, wie Rilke etwa in seinen "Duineser Elegien" annähern können.

Bei den vergangenen, also körperlich unerreichbaren Poeten etwa, wie Baudelaire, stehen die Toten noch in den Synästhesien als "Literatur" unbeweint, aber fühlbar da im Zwischenraum der Zeilen, ja, der große Franzose maß an diesem kultischen Element, das ihm das Zeitvergehen erträglicher machte, den Grad des Zeit-Zusammenbruches und seinen eignen, so daß er fast Lust daraus schöpfen konnte, damals. Man kann dieses Zusammenbrechen als Prinzip sogar ins Übersetzen einführen, nämlich alles zuerst auszulöschen und einen neuen kreativen, ja existentiellen Akt zu "be-gehen", was heißt, daß der Gedichtübersetzer nur solche Texte übertragen darf, die ihn zutiefst, also in einer Sprachschicht des Unbewußten berühren, wo alle Sprachen eine sind.
 
 

Dazu aber gehört eine besondere Art von Kraft: Liebe, oder besser, ein Schuldgefühl, wenn diese heute im Alltag nicht so da ist, wie es sein müßte, wenn wir uns an jenem Zustand messen, der jeden Augenblick als intensio, als intensivstes Leben, das vergeht, anpeilt. Im Rumänischen gibt es ein besonderes schönes Wort für Schwäche. "Slab de îngeri." Engelsschwäche. Kein Engel, keine Substanz, kein Gefühl, kein durchwachsenes starkes Leben. An der Wand meines Bukarester Schreibtisches hatte ich eine Abschrift von Korinther 13 angebracht: "Wenn ich mit Menschen- und mit Engelszungen redete, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle." Und wie oft klingt diese Schelle, wenn ich leer bin und ich nur intellektuell oder assoziativ rede. Und lebe.

Ich fand genau diese Stelle auf der Wartburg als Beispiel aus Luthers Bibelübersetzung. Und noch ein wichtiges Wort, das meine Poetik genau wiedergibt: "Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunklen Wort; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ichs stückweise; dann aber werde ich erkennen, gleichwie ich erkannt bin.".

Und beim Schreiben ist es so: Da wir sonst jeden normal gelebten Augenblick im Selbstvergessen verlieren, ist es wie beim Gedichtschreiben selbst auch beim Übersetzen, einen ver-rückten, einen beglückenden ekstatischen Zustand: Im Augenblick des Sturzes (und des Ich-Verlustes, ja, des Sprachverlustets zuerst in der fremden Sprache!) leuchtete es hell auf, wo ein Schrei sein sollte, ist seltsames Glück, ja, Triumph, daß das Sichtbare als Schönheit auch im fremden Wort eingekehrt, besiegt worden war, als "ein Appell," wie Walter Benjamin diese Auferstehung im Selbstauslöschen wunderbar definiert, "Appell zu denen sich zu versammeln, die es früher bewundert haben. Das Ergriffenwerden vom Schönen ist ein ad plures ire, wie die Römer Sterben nannten." Dies Eingedenken, diese correspondences, wie Baudelaire dieses nannte, hat bei jemandem, der zwischen allen (verlorenen) Sprachen und (verlorenen) Ländern lebt, noch den Nebeneffekt, das unwiederbringlich Verlorenes nur als ein Nichts vergangen zu sein scheint, das jenseits des Denkbaren wieder rettbar ist (also sowohl Länder, als auch Sprachen!) Nun rettbar in der fremden Sprache, die es "aufhebt". Das Gewesene, auch vor unserem Leben gewesene, hebt auch im Übersetzen, wie im Gedichteschreiben, die Todesangst auf, da es "gesättigt mit allen Reminiszenzen, die während des Verweilens im Unbewußten in seine Poren gedrungen waren", uns neu berühren, Gegenwart werden kann, wie Benjamin treffend sagt.

Genau dieses heißt es auch, jedes Gedicht nun in die eigene, hier in meinem Fall in die deutsche Sprache (und ihr großes geistiges Erinnerungsgewebe) zu bringen: heißt einen völlig neuen kreativen Akt begehen und nicht ein fast gedanklenloses Abschreiben, wie viele Übersetzungen, eine Mimesis, wie sie Platon wirklich meinte, nicht wie sie etwa B.Auerbach in seinem berühmten Buch vor-schrieb: Daß ich die marxistische Ästhetik mit ihrem primitiven Realismus, ihre Wiederspiegelungstheorie in meiner ehemaligen östlichen Heimat abgelehnt hatte, und in allen heute grassierenden Realismuskonzepten weiter ablehne, geht ja auch in diese Richtung: Es war die falsche Verwendung des alten Begriffes "Mimesis", was keineswegs Realitätsspiegelung heißt, sondern Sichineinssetzen mit der "Ebenbildlichkeit", die "Apriorität des Individuellen" zu entdecken (Omoisis to theo, bei Platon: Angleichung an das Göttliche im Menschen. Dazu gehört, den Schein, das sogenannte "Wirkliche", die Hülle zu zerbrechen, zu entlarven; in der Moderne mit sprachlichen Mitteln; meta-phérein -Metapher- heißt ja hinüber-tragen, anderswohin tragen.) Und genau so im fremden Gedicht diesen Kern zu entdecken, ihn zu enthüllen, die Bilder in die Tiefe führen, wo sie mich berühren, dann erst wieder als neues Sprachbild im Deutschen auftauchen lassen .

Mich haben z.B. die Rilke-Übertragungen von Michelangelos Sonetten sehr angerührt, während mich alle anderen textgenauen "Übersetzungen" völlig kalt ließen! Ebenso Ungaretti von Celan übersetzt, alle anderen waren "textgenau" und hatten doch mit Ungaretti wenig (oder gar nichts) zu tun!

Paraphrase also, sie erlaubt den Berührungsfreiraum, der so ist wie in der Existenz die Zeit: nach Plotin "Zeit ist das Leben der Sele", dieser Freiraum ist also mehr als nur eine "Übertragung", sondern ein Hinübertragen, und so nenne ich meine Übertragungen lieber "Paraphrase"; wobei das griechische "Daneben-reden", nicht das "Danebensein" der Übersetzung heißen soll, sondern wirklich "Hinzufügung zu einer Rede", erweiternde Umschreibung, d.h. abwandelnde Wiedergabe einer Textvorlage. (Vgl, Otto F. Best, Handbuch literarischer Fachbegriffe", 9. Auflage Frankfurt/Main 1980.)

Über die Notwendigkeit der ekstatischen Paraphrase also wäre viel zu sagen, vor allem aber über die Unübersetzbarkeit des Unsichtbaren, das in jedem "guten" Gedicht, auch in der fremden Sprache umkreist wird, sich aber in dem trifft, was wir das "Eine" nennen können, eben nicht das sichtbare "Ding" oder "Wesen".

Moderne Literatur ist undenkbar ohne radikale Sprachskepsis; heute weiß sie mehr denn je davon, daß sich der Baum wundern würde, wüßte er, daß wir ihn "Baum" nennen; und doch glauben wir immer noch daran, wir hätten in diesen vier Buchstaben etwas WIRKLICHES, und wir bilden uns etwas darauf ein, wenn wir "Bewußtsein" oder gar "Gott" sagen. Wittgenstein empfiehlt als Alternative Schweigen, Benjamin die unsichtbare, aber spürbare "Aura" und den "Schock", Joyce die "Epiphania"; und George Steiner meint - weit zurückgreifend - all dies kulminiere in Arnold Schönbergs Oper "Moses und Aaron", dem Aufschrei des Erweckerpatriarchen Moses: "Oh Wort, du Wort, das mir fehlt." Das Fehlende also erst sage aus, was ist.

Ausgerechnet der Stotterer ( der Sprachverhinderte) Moses erhielt am Sinai von dem "Einen Gott" die Tafeln, Mutationen des Namens (JHWH); ein Sinngeflecht, das wie ein "Baum" angeordnet gewesen sein soll, die sogenannte schriftliche Thora - oder die fünf Bücher Mosis SCHRIFT - aber das Sinai-Ereignis ist unbeschreiblich, wie auch die deutsche Bibelübersetzung, viel mehr als jede andere normale Übersetzung, nur eine Annäherung, eine sehr approximative Deutung sein kann, da die hebräischen Worte zugleich auch Zahlen sind, also Ausdruck von Proportionen, das riesige Sinngeflecht eines Gesamtzusammenhanges, das eine Struktur ausdrückt, keine willkürliche, vom Geschehen abgetrennte Wort-Semantik ist.
 
 

April 97
 
 




ÜBERTRAGUNGEN UND PARAPHRASEN AUS DEM ITALIENISCHEN/ TRADUZIONI E PARAFRASI

Leopardi

Campana

Montale

Ungaretti

Rebora

Sinisgalli

Fortini

Sereni

Buffoni

Robert
 
 
 
 
 
 

Giacomo Leopardi

Das Unendliche

Lieb war mir immer dieser einsame Hügel

und diese Hecke wie sie nach allen Seiten

ausschließt vom letzten Horizont den Blick.

Doch sitzend und schauend erfind ich unendliche

Räume jenseits des Zaunes, übersinnliche

Stille und Ruhe vom Grunde des Schweigens,

wo so schnell mein Herz Nichts fürchtet;

hör ich den Wind, der aufrauscht in den Bäumen,

vergleich ich diese Stimmen mit der Stille vom

Grund: mir fällt Ewiges ein

und die toten Jahreszeiten und dieses Jetzt,

Ton der lebenden Zeit. So sinkt mir

der Gedanke weg ins Unendliche:

Schön ist der Untergang in diesem Meer.
 
 
 
 

Dino Campana
 
 

O poesia tu più non tornerai
 
 

O poesia tu più non tornerai

Eleganza eleganza

Arco teso della bellezza.

La carne è stanca, s'annebbia il cervello, si stanca

Palme grigie senza odore si allungano

Davanti al deserto del mare

Non campane, fischi che lacerano l'azzurro

Non canti, grida

E su questa aridità furente

La forma leggera dai sacri occhi bruni

Ondulante portando il tabernacolo del seno:

I cubi degli alti palazzi torreggiano

Minacciando enormi sull'erta ripida

Nell'ardore catastrofico
 
 
 
 
 
 

Dino Campana

O GEDICHT DU WIRST NICHT WIEDERKEHREN

(O poesia tu più non tornerai)
 
 

O Gedicht du wirst nicht wiederkehren

Du elegante Eleganz

Gespannter Bogen der Schönheit

Das Fleisch ist müde

vernebelt das müde Hirn

Palmen grau gefächert

Geruchlos gereiht

Vor der Öde des Meeres

Es sind nicht die Glocken, nein Pfiffe

Zerrissen das Blau

Keine Lieder, Schreie.

Und oben die Ödnis wild

Gewichtslos eine Silhouette

Mit dem Braun zweier Augen geheiligt

Tragen sie fort wie die Wellen Tabernakel der Brust

Kubische Hochhäuser getürmt

An der steilen Kurve

Katastrophaler Erregung.
 
 
 
 

Dino Campana

Bastimento iin viaggio (Già: frammento)
 
 

L'albero oscilla a tocchi nel silenzio.

Una tenue luce bianca e verde cade dall'albero.

Il cielo limpido all'orizzonte, carico verde e dorato dopo la burrasca.

Il quadro bianco della lanterna in alto

Illumina il segreto notturo: dalla finestra

Le corde dall'alto a triangolo d'oro

E un globo bianco di fumo

Che non esiste come musica

Sopra del cerchio coi tocchi dell'acqua in sordina.
 
 
 
 
 
 
 
 

Dino Campana

(Bastimento in viaggio. Già: frammento)

Der Mast vibriert im Tastsinn des Schweigens.

Ein schwaches weißes Licht fällt vom Mast in ein grünes.

Klar Himmel am Horizont lädt Grün und Gold nach dem Sturm.

Weißer Rahmen der Laterne über dem Deck

Beleuchtet Geheimnisse der Nacht: durch ein Fenster -

Taue von oben das goldene Dreieck

Eine rauchweiße Kugel

Die nicht klingt

Über dem Kreis dumpf pochenden Wassers.
 
 
 
 
 
 

Eugenio Montale
 
 

BALLADE IN EINER NERVENKLINIK

GESCHRIEBEN
 
 

Man gräbt in die Not ein Massengrab

und kommt so hinter den Berg

wie ein Komet im August
 
 

Hätten wir uns nur wie er

aufgelöst in klare Luft
 
 

Doch war Nacht noch um uns

und die Schrecken der Körper

als begrüben uns Altane aber auch

letzte Brücken: im Leib wie Jonas

im Wal/ und du im Gips einer Puppe

als ich mich umsah warf mich der Spiegel

an die Wand: todblaß war ich ein Anderer:

deine Kehle deine Brust waren eingegraben
 
 

In deinen Augenhöhlen glänzten

die Tränen Linsen Nebelwand dicker

als das Schildplatt der GläserRahmen

Nachts vor dem Schlaf da nehm ich sie dir ab

und gelegt zu den Ampullen mit Morpium

bist du eins mit ihnen:
 
 

Tiere wie Bilder der Stier im Gott so war

er nicht unserer, sondern Lilienfeuer färbt er

in der Grube mit Zerrisenem und zweigeteilt

(kein Tod macht im Körper frei!)

Sternzeichen anzurufen, Widder, gehörnte

Untiere aber wirklich im Beben und Stoß

im Leib, sie überrannten den letzten Stolz

und das Herz, das dein Husten zermalmte
 
 

Bald ein Zeichen da

die Stunde endgültiger Trennung:

und ich bin jetzt bereit, schon beginnt

die Reue ein düsteres Schluchzen in

Tälern und Schründen:

der andere Notarzt
 
 

Unbeweglich auf dem Nachttisch

eine hölzerne Bulldogge: es käme

auf sie und auf den Wecker an

Phosphor seiner Zeiger dünner Lichtschein

über deinem dämmernden Schlaf
 
 

reicht es aus die schmale jenseitige Pforte

zu sprengen denn draußen ist gehißt

schon rot auf weiß das andere Kreuz
 
 

Und stell mich mit dir der Stimme

beim Einbruch, dem ungeheuren Appell der Toten:

dann wird ununterscheidbar von meinem

das stumme Heulen des hölzernen Hundes.
 
 

(10.10.96)
 
 
 
 
 
 
 
 

Giuseppe Ungaretti

Tutto ho perduto
 
 

Tutto ho perduto dell'infanzia

E non potrò mai piú

Smemorarmi in un grido.
 
 

L'infanzia ho sotterrato

Nel fondo delle notti

E ora, spada invisibile.

Mi separa da tutto.
 
 

Di me rammento che esultavo amandoti,

Ed eccomi perduto

In infinito delle notti.
 
 

Disperazione che incessante aumenta

La vita non mi è piú,

Arrestata in fondo alla gola,

Che una roccia di gridi.
 
 
 
 

Giuseppe Ungaretti

(Tutto ho perduto)

Ich habe alles verloren von der Kindheit

nie mehr werd ich mich vergessen können

im Schrei.
 
 

Begraben die Kindheit

im Abgrund der Nächte

ein Jetzt, unsichtbares Schwert

es trennt mich von allem.
 
 

Noch erinnere ich mich meiner da ich dich liebte

jubelnd und sieh mich nun: verloren

in nächtlichen Unendlichkeiten.
 
 

Es steigt Verzweiflung unaufhörlich hoch

am Leben das Nie ist

in die Kehle gedrückt

ein steinerner Schrei.
 
 
 
 
 
 
 
 

Giuseppe Ungaretti

Ultimi cori per la terra promessa, 1
 
 

Agglutinati all'oggi

I giorni del passato

E gli altri che verranno.
 
 

Per anni e lungi secoli

Ogni attimo sorpresa

Nel sapere che ancora siamo in vita,

Che scorre sempre come sempre il vivere,

Dono e pena inattesi

Nel turbinîo continuo

Dai vani mutamenti.
 
 

Tale per nostra sorte

Il viaggio che proseguo,

In un battibaleno

Esumando, inventando

Da capo a fondo il tempo,

Profugo come gli altri

Che furono, che sono, che saranno.
 
 
 
 

Paraphrasen und Gedichte nach Motiven von Giuseppe Ungaretti
 
 

(Ultimi cori per la terra promessa, 1)
 
 

Vom Heute unablösbar

Vergangenheit Tage und

die kommenden alle.
 
 

Lang der Augenblick

Überraschung: da zu sein.

Daß immer dieses Leben

nachläuft/ das Geschenk

meist eine Qual

und Wirbel Wandel des Umsonst.
 
 

Die Tiefe ein Geschick

hat uns die Folge (diese Pein)

hinab in die Reise grab ich

Zeit aus erfinde sie neu

Flüchtling wie alle die waren

die sind und die kommen werden.
 
 
 
 
 
 

Clemente Rebora

Se Dio cresce
 
 

Se Dio cresce

il diavolo aumenta,

vetta che al cielo più riesce

scavando una voragine tremenda.
 
 

E merito non è, non è peccato,

se in noi le ascese cadon paurose,

come chi sogni, agitato

al senso delle cose.
 
 

Ma chi si sveglia nel gran giorno ha fede:

scorge cader la luce al nostro fondo

per rivelarci il sol che attende

sul culmine del mondo.
 
 
 
 
 
 
 
 

Clemente Rebora

Wenn Gott wächst

(Se dio cresce)
 
 

Wenn Gott wächst,

nimmt der Teufel zu,

gelingt der Gipfel dem Himmel zunächst,

gräbt er dann furchtbar den Abgrund der Ruh.
 
 

Kein Verdienst und keine Schuld ist´s,

wenn der Aufstieg in uns fällt,

erregt die Angst, die du bist,

vom Sinn der Ding träumt und hält.
 
 

Die am Jüngsten Tage erwachen, die glauben!

Licht, das zu uns in die Tiefe fällt,

zu entschleiern den Scheitel der Welt,

wo die Sonne wartet, aufsteigt und hält.
 
 
 
 

(Le Poesie 1913-1957, Milano 1961.

Italienische Lyrik, p. 86)
 
 
 
 

Leonardo Sinisgalli

Vidi le muse
 
 

Sulla collina

Io certo vidi le Muse

Appollaiate tra le foglie.

Io vidi allora le Muse

Tra le foglie larghe delle querce

Mangiare ghiande e coccole.

Vidi le Muse su una quercia

Secolare che gracchiavano.

Meravigliato il mio cuore

Chiesi al mio cuore meravigliato

Io dissi al mio cuore la meraviglia.
 
 
 
 
 
 

Leonardo Sinisgalli

Ich sah die Musen

(Vidi le muse)
 
 

Auf dem Hügel sah ich

Ja ganz sicher Musen

Zwischen den Blättern kauernd,

uns die Stange haltend.

Ich sah also damals die Musen

Zwischen der Breite von Eichen Blättern,

Eicheln verspeisend und Beeren.

Und sah freilich die Musen auf einer Eiche,

hundertjährig rabenkrächzend.

fragte ich mein verwundertes Herz,

und erzählte meinem Herzen

das Wunder.
 
 

(Aus: Poesia 71, p. 24 )
 
 
 
 
 
 

Alfonso Gatto

Pensieri inediti sulla poesia e altro
 
 

Nulla è più solo di un nome, di una storia morta. Ma che serena tristezza camminare per i viali deserti del cimitero di Boulevard Quinet: tra la mamma e il patrigno c'è anche Baudelaire, in una tomba piccola come quelle d'un bambino.
 
 
 
 

Alfonso Gatto
 
 

(Paraphrase und Variation nach: Pensieri inediti sulla poesia e altro)

Nichts ist einsamer als der Name

Niemand einer toten Geschichte.

Lebend noch und schon eines der Opfer

glücklich die vergangene Zukunft

ja die alte Grenze zu schauen

himmelnd
 
 

Klein bleibt auch Baudelaires Grab in Paris

eine Grube wie ein Tor türgroß nur wie ein

neues Kind und kinderleicht mit dem letzten Atemzug

entkommen wer nur das Loch sieht von

der Seite des Blickes vergißt jeden Ausgang

den die Opfer doch alle genommen
 
 

Einer zitierte Charles in der Kammer noch

wie ein letztes Gebet auf den Lippen schon Rauch.
 
 

Uns aber bleibt nur verspätet zu widerstehen:

die Armut sie gräbt sich nach innen

nur sie erreicht noch den Ausgang

im letzten Verzicht fest zu schließen

die gierigen Lippen
 
 

Erinnert den Sinn Tod von damals

atmend erstickt im Müll.
 
 

(Poesia, 94, p. 15)
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

Franco Fortini
 
 

L'esame
 
 

Mi presento all'esame. Non ricordo più nulla.

Le cose che avevo credute non le credo più.

Come posso difendere, maestri, le mie tesi?

Esaminatore, di chi sono le parole che dico?
 
 
 
 
 
 
 
 

Franco Fortini
 
 
 
 

Prüfung

(L´ esame)
 
 

Ich stelle mich der Prüfung. Und weiß nichts mehr.

Was ich bisher glaubte, glaube ich nicht mehr.

Wie, meine Lehrer, kann ich noch meine Thesen verteidigen?

Ihr Prüfer, vom wem sind die Worte, die ich sage?
 
 
 
 
 
 

Vittorio Sereni
 
 

Ahimè come ritorna
 
 

Ahimè come ritorna

sulla frondosa a mezzo luglio

collina d'Algeria

di te nell'alta erba riversa

non ingenua la voce

e nemmeno perversa

che l'afa lamenta

e la bocca feroce
 
 

ma rauca un poco e tenera soltanto...
 
 

(Saint-Cloud, luglio 1944)
 
 
 
 
 
 

PARAPHRASEN
 
 

Für

Vittorio Sereni

[ Totenstimme. Nach dem Motiv von: Ahimè come ritorna]
 
 

Ach, wie er hier wiederkehrt

auf den gewendeten Blätten sein Reichtum

mitten im Juli algerische Hügel erinnert

auch deiner im hohen Gras verkehrt

geschrieben, gesagt die Stimme Nie

und nicht unschuldig oder pervers

wie sie flimmernde Hitzeschleier beklagt er

wild gräbt sich durch der Mund

nur etwas heiser doch zärtlich

am Ende
 
 

Saint-Cloude, Juli 1944
 
 

(Poeti italiani, Mondadori, 1978 p. 755)
 
 
 
 

Franco Buffoni
 
 

Vittorio Sereni
 
 

Il sentiero scendeva sulla fronte d Armio,

Lago d'inverno stropicciato solo.

Se ne andava con profondi squarci

Nel ritratto d'acqua dell'acqua che indossava

E il suo cavallo sollevava onde di polvere

Nello sguardo semplice del cielo.

I pini salivano nel buio

- ripeteva a nascondersi

tra stelle decenti

coi soli sorrisi -

E adesso erano proprio tutti uguali.
 
 
 
 
 
 
 
 

Franco Buffoni

Vittorio Sereni
 
 

Ein Pfad im Abstieg auf der Stirn des Armio

Wintersee allein zerstäubt getäuscht

Verschwand und hinterließ die tiefen Schneisen

Im Bild des Wassers: er im Wasserkleid

Und im Naturblick eines Himmel-Spiegels

In Wellen Wasserstaub stieg auf: Galopp des Pferdes

Die Pinien stiegen noch ins Dunkel hoch

- Immer wieder ein Versteck

zwischen den Sternen leidlich

still ists allein ein reines Lächeln -

Jetzt waren sie wirklich alle gleich.
 
 

(ADIDAS, 1993, p. 44)
 
 
 
 
 
 
 
 

Franco Buffoni

O da un Sant'Antonio paralizzato
 
 

O da un Sant'Antonio paralizzato

Picchiato dai diavoli del Sassetta

Lo stantio fetore di bontà

A contrastare l'allegria dei diavoli

La loro vanità. Poi il viso a terra

Volge piano il santo e gli occhi

Rassegnati ma non vinti

Sono quelli in preghiera di una foto

Di Lager. Sono quelli che avevo da bambino.
 
 
 
 

Le morti
 
 

Le morti sono capricciose non arrivano

Quando le desideri o le aspetti,

Imprevedibili balzano sui tram

E sono già arrivate

Oppure ai capolinea se li lasciano

Partire tutti, irascibili

Fingono di leggere.
 
 
 
 
 
 

Franco Buffoni
 
 

( Le morti)

Die Tode sperren sich sie kommen nicht an,

Wenn du sie ersehnst oder erwartest

Unberechenbar springen sie auf die Trambahnen

Und sind schon angekommen oder

An der Endstation wenn sie alle aussteigen lassen,

Täuschen sie zornig vor zu lesen.
 
 
 
 
 
 

( O Sant´Antonio)

Oder ein gelähmter Heiliger Antonius

Verprügelt von den Teufeln des Sassetta

Der ranzige Leichengeruch der Güte

als Kontrast zur Fröhlichkeit der Teufel

Schnellerer Nichtigkeit Kontur. So schlägt

Der Heilige langsam seine Augen nieder

Resignierte aber nicht besiegte Augen sind

Augen im Gebet auf einem Lagerfoto.

Es sind die Blicke meiner Kinderaugen.
 
 

(Poesia 96. p. 44, 45)
 
 
 
 
 
 

Elisabetta Robert
 
 

NOSTRA SIGNORA DI LOURDES
 
 

Während sich die Augen senken

und die Lippen das Wort fürchten
 
 

hebst Du

Mutter der Mütter

die Gesichter
 
 

Das dauernde Wunder wird erneuert
 
 

(Vivere significa, p. 42)
 
 
 
 

IM ANFANG WAR DAS WORT

(In principio era il Verbo)
 
 

Im Anfang

das Wort.

Am Ende war

das Schweigen.
 
 

(Vivere significa, p. 43)
 
 
 
 

Elisabetta Robert

Nostra Signora di Lourdes
 
 

Mentre gli occhi s'abassano

e le labbra temonno le parole,

Tu,

Madre delle Madri

sollevi i volti...

Si rinnova il miracolo perpetuo.
 
 
 
 

In principio era il Verbo
 
 

In principio

era il Verbo.

Alla fine

fu il Silenzio.
 
 

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PARAPHRSEN UND ÜBERSETZUNGEN AUS DEM

RUMÄNISCHEN:
 
 
 
 

TUDOR ARGHERZI
 
 

ERINNERUNG UND LETZTER PSALM MIT ARGHEZI

( Übertragung und Paraphrase )

Für M.

Trennung
 
 

Als ich fortging, da schlug im Nebel die letzte Uhr

reimlos an und so langsam, daß die Zeit vorbei

an der Stunde kaum mehr verging. Und beide

hörten wir den ersten Schlag der sich

im langsamen November verlor.
 
 

Vielleicht schlägt jetzt noch immer

unaufhörlich jene Sekunde von damals, vielleicht

ist sie sofort verstummt und wartet,

daß sie endlich ankommt die alte

Umarmung, von neuem, ankommt

jetzt, wie sie war,

und Tränen gefrorene tauen

im grauen Bahnhof neu.
 
 

Mit diesen Zeigerzungen,

blaß ist das Ziffernblatt,

verfolgte uns der Blick, wie

aus dem Fenster matt, ein Haus

leer klingender Zimmer,

ein Lichtstrahl nur im Glas,

der unser Elend sah und alles,

was nachher geschah.
 
 

Hast du entsagt und leidest nicht

an einer Zeit, die ständig älter ist,

und träumst du noch, wenn jeder Tag

an deiner Lampe seine Augen schließt?

Und auf die Fenster fallen schon

nicht mehr wie einst Schneeflocken ins Bekannte,

die Sekunde, für dich, du wartest

immer noch auf jenen Schlag der letzten Stunde.
 
 

So nehme ich dich nicht

aus. Du Alter, ein Abteil nur

und deiner Frau mit bloßen Füßen.

So gehe ich mit meiner jetzt zu Fuß

mit dir, weil ich den Boden nicht mehr hab,

zum Schlafen und zum Grüßen.

Der Untergang ist dir noch fremd,

was fest steht hast du noch an dir

getragen, von vielen Mündern

in dem Buch die Bücher. Und hebt

mich auf zum Fliegen das Papier,

dann kein zu kleiner Tod, hier einer

mit allen gesungen: mit dir.
 
 

*

ZUR GEISTERBEICHTE. Siebenbürgen

( Arghezi, Übertragung und Paraphrase )
 
 

Welch dichte Nacht, welch Dunkel fällt!

Es schlug jemand an den Grund der Welt.

Ists Jemand oder ein Schein, wer geht

dort ohne Licht, ohne Mond, ohne Mund,

und schlägt sich an den Pappeln wund?

Wer geht da ohne Laut, ohne Schritt,

wie eine irrende Seele zu Dritt? Wer da? So

antworte mir, woher du bist, durch welche Tür

du kamst, in unseren Raum spurlos Verwirrende?

Bist du es Mutter? Ich habe Angst.

Wars dir zu eng in der Erde, bevor du kamst?

Niemand mehr ist hier. Und alle sind fort.

Alle haben sich schlafen gelegt, mit

dir zu nächtigen, sind alle für immer

gestorben. Auch Burkusch hat sich

auf die Schnauze gelegt, und ist in die Erde

gegangen. Vertrocknet ist der Mais,

verdorrt der Maulbeerbaum, und das Basilienkraut

wie Gras, vom Dachsims, den sonst der Mond beschienen,

verschwanden die Nester der Schwalben,

die Tauben sind fort, die Bienenstöcke leer,

die Speicher sind öde und tot die Pappeln,

ziegelrot, schief die Wände, und

der Zaun zum Nachbarn ist zerbrochen.

Nichts ist mehr so, wie es war.
 
 

Es ist lang her, du schliefst ein, Tudor,

du mit allem, Bilder und Betten schliefen,

Riegel, Haken halten nicht mehr, und es

strömt aus eurer Welt herein, da alles

vergangen ist und doch noch kein

Ende. Horch, dort weint noch jemand,

ist es der Engel, er wartet auf uns, wir

kehren noch heim, Tudor, wie John Donne,

die arme Seele.
 
 

Wer ging durch den Garten, blieb

dort stehn? Was willst du? Und wer bist du,

sag, daß du so stumm und ungesehen wie ein Hieb,

ein Phantom, so durch die Nacht gehst, ungeschehen, hier

wohnt doch niemand seit zwanzig Jahren...und ich bin

verstreut zwischen Dornen und Steinen.
 
 

Werweißwersein so könntest du heißen,

der niemals war, was ist: als alles An-sich

zu reißen, mich im Dunkel anstarrt transparent

und Jetzt meine Gedanken alle denkt.
 
 

He! Wer geht dort um im schwarzen Rock,

wer kratzt in die Mauer

mit seinem Fleisch ein Loch?

Mit seinem Finger wie ein Nagel,

als wären die Wunden Hauer.

Wer steht da fremd zu Haus

vor der Tür, so arm und so mager?

Und bitter wie von Asche ist die Zunge,

Bin zu schwer, um zu gehn, bin beklommen,

ich habe großen Durst, Nachbar, öffne

mir, ich bin dem Kreuz entkommen.

DEINE SPRACHE ist klein, wie das Herz

eines Kindes, und wie die Suche klingt

sie vertraut und rein, hat die Form voller

Zärtlichkeit, Diminutive verloren.
 
 

*

Ohne dich wie du Ihn umgabst

mich mit zärtlichem Dunkel der Erde,

Wort unausgesprochen mich berührt, deine

wie tsärünä, prünz oder cinä.
 
 

Alte Gebete wie ohne Wort gesagt,

diese aber stellen sich herzein

fast schon der Erde, wo du

einfach und ohne Gedanken immer

wirst sein.

Denn ich verlange Nichts von dir, und nichts

erinnert, in deiner Ewigkeit

bin ich noch keine Stunde weit.

Wie ein Unendliches suche ich

das Land, Dann bricht die Träne

das Krystall, und strömt.
 
 

Und das Gebet ist NIE Gebet

der Mensch vielleicht nicht menschenmöglich

und brennt doch mich an jedem Tag als Zeit

verzehrend in die Eine-Richtung

ein Stummer, wer verstummt in dem,

was ich noch nennen will, nicht nennen mag.
 
 

Dies hier, ungereimt, dein Gesicht

das Zuhausegesicht, das vergeht,

die Stelle vertretend, ich zärtlich

dein Auge, Worte, nein ungehaucht

auf Erden weiter, alles zu spät.

Auch er kommt nur zu jenem Ort, jene

Stelle, wo du im Augenblick warst,

nicht mehr bist, Liebesworte,

alte flüsternd, draga mea, draga

und alles vergangen, was war nun

für immer vergißt.
 
 

Jene Stelle, lichtbetont

man sagt, unhörbar Klingen, vergeblich

ruf ich dich an: so zeig dich, bitte,

sauer nur das Warten, alt geworden

und ohne Gesicht.
 
 

SCHWER DAS HERZ wie Erde rieche ich

den Thymian wieder, im Kinderbuch einst,

Gott war noch eins. Und möchte

es wieder erwandern,

Vers du, erweins.
 
 
 
 
 
 

Die Toten

(Nach Tudor Arghezi)
 
 

Die Toten steigen aus

unter der Glocke am Totenhaus,

Zehn ihre Zahl,

Schulter an Schulter und fahl.
 
 

In Särgen zu zweit,

ohne Mutter, Kreuz und Christenheit,

sind sie zusammen

ins mondene Eis gegangen.
 
 

Aus der Anwesenheit zehn gestrichen,

ins Weltall entwichen,

mit den Händen gefaltet,

den nackten Leib gestaltet.
 
 

Vor Hunger jetzt satt,

und kältestarr den Frost vergessen,

blaue Male, die jeder hat,

werden im Himmel geheilt und vermessen.
 
 

Wird sie der Pförtner, er hält

sie auf am Gewölbe mit Stöcken,

tot scheint auch das Pferd gestellt,

und der Mann auf den Böcken.
 
 

Gute Fahrt ins Massengrab,

die beste Erde, die es je gab,

wie die Herren, die euch verdorben

und der Pfarrer an dem ihr gestorben.

Achtet im Irren

euch nicht zu verwirren,

denn Morgen oder schon heute Abend

kehrt ihr zurück ins Licht

zum Jüngsten Gericht.
 
 
 
 

JENSEITSSTUNDE
 
 

Im Himmel schlägt jetzt

eine Stunde aus Bronze und Eisen; zuletzt

in einem Stern

schlug eine aus Samt,

das aber sehr fern.
 
 

Hanfstunde schlägt

vom Turm der Burg , die Runde

Und eine Leinen Stunde

die Späteste schlägt
 
 

sie zerreißt hier

die Stunde aus Papier
 
 

Und neben dem Fürsten Epitaph

gräbt eine Stunde aus Staub das Grab
 
 

Heute Nacht aber, Schwester schlug

keine Stunde, als wärs nun genug.
 
 

*
 
 

ES GEHT UMS LEBEN was bleibt,

so in letzter Zerstörung, fern glänzend

und eisig der letzte Punkt.

Man stelle sich vor, Flecken für

Flecken, angesammelt so nähe ich hier

buchstabengenau und unsinnig

Naht für Naht das Zerfetzte,

den kleinen Mantel des Lebens:

aus/ dem, was nie sein wird.
 
 
 
 
 
 

VERSTECKSPIEL

Meine Lieben, einmal werd ich's spielen,

Dieses Spiel, das seltsam ist.

Ich weiß nicht wann es sein wird, Vater,

Doch es wird ganz sicher einmal sein.

Einmal vielleicht, wenn es dämmert.
 
 

Es ist ein schlaues Spiel der Alten

mit den Kindern, wie ihr, mit Mädchen wie du,

ein Spiel der Knechte und ein Spiel der Herren,

ein Spiel der Vögel, der Blumen und Hunde,

und jeder spielt es gut.
 
 

Wir werden uns ganz sicher immer lieben,

bei Tisch werden wir versammelt sein,

und unter dem Sternenzelt des Herrn.

Doch eines Tages wird das Bein schwer,

die Hand ungelenk, das Auge trüb,

und die Zunge verquollen.
 
 

Das Spiel beginnt langsam wie ein Hauch.

Ich werde lachen und werde schweigen,

ich werde mich auf die Erde legen.

Ich werde dort schweigen,

vielleicht gleich dort neben dem Baum.
 
 

Dies ist das Spiel der Heilgen Schriften.

Dies hat auch unser Herr Jesus einmal gespielt,

und andere voller Hitze, Kälte und Zittern

fanden aus frommem Schaudern zu seinen Regeln.
 
 

Nehmt es euch nicht allzusehr zu Herzen,

wenn man mich aus euren Armen reißt,

und mich Männer zu begraben scheinen,

es ist ein Spiel, das man das "Sterben" heißt.
 
 

Seht auch Lazarus ist auferstanden,

seid nicht zu bekümmert, wartet doch,

so als wäre nichts geschehen,

nichts neues und seltsames war zu sehen,

werds erinnern, denn als Kinder spielten wir es noch.

Alle werden einmal auferstehen und wiederkommen,

eines Tags nach Hause zu dem Kind,

und zur Frau, die weint und spinnt,

zu dem Vieh und zu den Blumen,

wie gute Wirte, die am Leben sind.
 
 

Ihr wachst dann weiter, alles bleibt beim Alten,

gesund und flink, und niemals krank,

wie wir es schon seit vielen Jahren halten.

Vorläufig, ihr meine Kleinen, wirds passieren,

fehlt euch Vater einen Monat lang.
 
 

Und später immer mehr verspäten,

verschiebt von einmal auf das andere Mal,

und Vater wird dann keine Kraft mehr haben,

zu Fuß zu schaffen, diesen langen Weg der Zeit,

aus jener andern Welt.
 
 

Ihr seid dann groß geworden,

habt euch eingerichtet,

seid vielleicht Gelehrte,

Mutter hat zu stricken angefangen,

Vater kehrt nicht mehr zurück.
 
 

Meine Kinder, meine lieben Kleinen,

dieses ist das Spiel,

man spielts zu zweit, zu dritt,

und manche müssen weinen,

hols der Teufel, dieses Spiel,

denn keiner kehrt zurück.
 
 
 
 

 Nichita Stanescu (1933-1983)
 
 

Der kampf jakobs mit dem engel

Oder über die idee des "DU"
 
 

Was so weit von mir ist

Und so nah

Nennt sich "du"
 
 

Sieh ich bin erwacht/ um mich schlagend

"du" lid schlugst mich auf

 du hand

du fuß schlugst um dich

und obwohl ich da lag lief ich

rings um meinen namen lief ich.

Nur zu meinem namen sage ich nicht "du"

Der rest sogar meine seele

Ist ein "du"

Du seele.

II

"Hast gelacht"

Ich zögerte und sagte:

"Hab nicht gelacht". Denn ich hatte ja angst,

er aber sagte: "doch du hast gelacht".

Es ist wahr der name

Stützt sich wie ein stab

Auf meinen leib

Warf sich ihm entgegen

Jenem ohne namen

Jenem der nur leib ist

Gegen das "du"

Leib aller namen

Gegen das "du"

Vater aller namen.
 
 

Doch er

Als die morgenfrühe kam

Hat nicht mehr an mich gedacht

hat mich vergessen.

III

Ändere deinen namen sagte er zu mir

Und ich antwortete ihm: ich bin mein name.
 
 

Ändere deinen namen sagte er zu mir

Und ich antwortete ihm

Du willst ich soll ein anderer sein

Du willst ich soll nicht mehr sein

Du willst ich soll sterben

Um nicht mehr zu sein.

Wie soll ich meinen namen ändern?
 
 

IV

Er sagte zu mir:

du bist auf meinen knieen geboren.

Ich kenne dich seit deiner geburt.

Hab keine angst vor dem sterben

Erinnere dich wie du warst

Vor deiner geburt.

So wirst du sein auch nach deinem tod

Ändere deinen namen.
 
 

V

"hast geweint". Ich zögerte und sagte:

"ich habe nicht geweint". Denn ich hatte angst.

Und er dachte nicht mehr an mich

Er vergaß mich.
 
 

VI
 
 

Ich bin nichts als mein name.

Der rest ist "du" hab ich zu ihm gesagt.
 
 

Er hat mich nicht gehört denn er

Dachte was anders.
 
 

Weshalb er wohl damals gsagt hat:

"hast mit dem wort selbst gekämpft

und hast es besiegt!"
 
 

ob er wohl selbst das wort war?
 
 

Ist der name das wort?

… er der nnichts als "du" ist

du und du und du

jener der meinen namen umgibt?
 
 

Zeichen 2

Sie legte ihre zarte kindersohle

Auf meinen nacken zu boden geworfen und zu einem wolf gmacht.

Und da träumte ich in dieser sekunde

Wie alle köpfe der geköpften

Zurückspringen in die körbe aufgesetzt

Auf die roten hälser die wieder weiß werden –

So aus allen zeiten und wetter

Springen alle köpfe

der geköpften

kleben wieder auf der schnittstelle der roten hälser

die bleich werden

oho oho

sie trat mit ihrer kindersohle auf meinen nacken

als ich verdämmerte schlief und wolf
 
 

Nichita Stãnescu

Elf elegien

Nachdichtung von Dieter Schlesak
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

Die zweite elegie. getica

für Vasile Pârvan

In jedes astloch setzte man einen gott.

Wenn ein stein zersprang wurde geschwind ein gott gebracht.

Wenn eine brücke brach

vertrat ein gott den leeren übergang

Wenn auf der straße gruben entstanden

brachte man schnell einen gott um ihn auf die straße

zu setzen.

Schneide dich nicht in den finger oder in den fuß

nicht absichtlich und nicht aus versehen!

Sie werden dir die wunde mit einem gott verbinden

daß an jeder stelle

ein gott sei von ihnen eingesetzt

daß zwang sei sich ihm zu beugen ihm

dem verteidiger aller dinge die innen sich von sich

selber scheiden.

Hüte dich verliere dein auge nicht

gleich werden sie dir die augenhöhle

mit einem gott vermauern

der nun als steinbild in den höhlen aufsteht.

Wir aber müssen die seelen kreisend

aus dem lob bewegen.

auch du wirst ihn wie fremde

in alle deine hymnen tragen und deine seele

versetzen.
 
 
 
 
 
 

Die dritte elegie

Schauen mangelnde zeit und wieder schauen

I Schauen
 
 

Wenn du erwachst

wird dir klar wie weit du gehen kannst:
 
 

Das innere auge wird ganz plötzlich leer

wie ein tunnel der blick

wird eins mit dir.
 
 

Sieh, wie weit der blick reichen kann

wenn er erwacht:
 
 

Ganz plötzlich wird er leer

ein bleirohr durch das

nur noch die bläue reist.
 
 

Sieh bis wohin es reichen kann

das erwachte blau:
 
 

Plötzlich wird es leer von innen

wie eine arterie ohne blut

durch das die rinnenden schlaflandschaften

durchscheinen.
 
 

II Zeitkrise
 
 

O blitzschlag der trauer grünes insekt

sanfte eier im geplatzten mark des meteors

aus meinen bedeckten handflächen

tritt so eine neue gegend hervor.
 
 

Das zimmer rinnt durch die fenster aus

ich kann es nicht halten in meinen geöffneten augen

ein krieg blauer engel mit elektrisch geladenen lanzen

findet statt in meiner iris.
 
 

Bis aufs blut vermischt mit den dingen

versuch ich ihre hast einzudämmen

doch die dämme brechen und sie fließen

zu anderen ordnungen und anderen dingen.
 
 

Blitzschlag der trauer es bleibt die sphärische leere:

Die sphären haben mich eingekreist

Aus ihrer mitte ein punkt nach dem anderen

öffnet sich

im auge der stirne der schäfen und finger.
 
 
 
 

III Schauen
 
 

plötzlich ein schreien der lüfte ...

sie schütten ihre vögel auf meinem rücken aus

sie haken sich ein in die wirbelsäule

und in meine schulter und kein ort bleibt für sie frei
 
 
 
 

und es haken sich die anderen tiere

in den rücken der riesenvögel

wie zuckende lange

wasserplanzenseile:

ich kann nicht aufrechtfstehn

bin hingeschlagen auf fluoreszierende steine

ich halte mich fest am pfeiler einer brücke

über nicht existierende wasser gespannt.

Im vogelfluß sieh wie sich einhakt

mit dem schnabel aufgeregt einer in den andern
 
 

fließt mir nun den rücken hinab

in richtung eines eisigen meeres

das ungeschwärzt blieb.

Sterbender vogelfluß auf dir

werden barbaren ihre spitzen kähne richten

zu immer nördlicheren immer weiteren

unbewohnten gegenden.
 
 
 
 

IV Zeitkrise
 
 

Als wäre eine grabstatt aufgebrochen

und als fließe auf dem fluß

sein eigenes geheimnis
 
 

Doch eher hält

er uns fest der blick

an seinem ende wie früchte
 
 

Und saugt uns aus soweit er kann

als zeige er uns

die engel der bäume und die engel

ganz anderer aussichten
 
 

doch die bäume sehn uns

und wir sehen sie nicht.
 
 

Als sei ein blatt gebrochen

Und es fliese aus ihm

Eine lache grüner augen.
 
 

Eingeholt wie früchte hängen wir

Am anderen ende eines blickes

Der an uns saugt.
 
 
 
 

V Schauen
 
 

blitzartig ist erhellt eine welt

schneller noch als die zeit des buchstaben a

ich wußte nur soviel: sie existiert

obwohl das sehn hinter den blättern sie gar nicht sah.
 
 

ich fiel zurück in den menschlichen zustand

so schnell daß ich mich daran verletzte und matter

mit schmerzen am eigenen körper

mich wunderte daß ich ihn noch hatte.
 
 

ich zog meine seele nach allen seiten auseinander

mit ihr zu füllen die röhren der arme und

die große kugel über der schulter

sowie auch die andern gestalten und
 
 
 
 

stand angespannt da

zu erinnern jene blitzartig erkannte welt

die mich mit diesem körper bestraft

der sich nur langsam sprechend in sich hält.

Doch erinnern konnte ich nichts.

nur soviel - berührt zu haben

das ganz andere den andern den andernort

die mich erkennend verstossen haben.
 
 

Die schwerkraft des herzens rief

die summen von begriffen und sinnen

dauernd zurück, die sogar dich mein gedanke

zum knecht wie magneten bestimmen.
 
 

Die fünfte elegie

La tentation de la réalité
 
 
 
 

Nein ärger nie weil äpfel sind nie

ärger an äpfeln an blättern daß überhaupt blätter sind an schatten daß schatten ist am vogel daß ein vogel ist, hatten doch äpfel schatten blätter vögel plötzlich großen ärger mit mir. Seht mich nun gehen zum tribunal der schatten äpfel und vögel

runde tribunale lufttribunale

zerbrechlich und kühl.

So wurde ich dann verurteilt für nichtwissen zeitmord hast und für trägheit,

das urteil

liegt vor in der sprache der kerne.

Die anklageschrift trägt ein siegel der vogeleingeweide,

kühle graue haft für mich bestimmt.

So stehe ich denn mit entblößtem kopfe versuche zu entziffern was mir hier noch zusteht

für ignoranz ...

und ich kann nicht kann

nichts

entziffern und dieser geistes zustand er selbst

ist mir böse, verurteilt mich unentziffernbar

perpetuum mobile meiner erwartung, anstrengung des sinnes

in sich selbst, bis sie endlich

annimmt die gestalten der äpfel

blätter vögel

und schatten.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

Die sechste elegie
 
 

ich steh zwischen zwei idolen und kann keines wählen

und steh zwischen zwei idolen

und sprühregen fällt

und kann nicht wählen und warte

im regen erstarren zu holz die idole und ich stehe

und kann nicht wählen zwischen zwei scheiten

holz und es fällt der sprühregen und ich kann

im faulenden regen nicht wählen und steh

und es zeigen die beiden hölzer vom regen

gebleichte rippen und ich steh zwischen zwei

pferdegerippen und kann nicht wählen kann nicht

im sprühregen wählen der aufweicht die erde unter den weissen skeletten und ich kann

nicht wählen und steh

zwischen zwei kuhlen und sprühregen

fällt und das regenwasser nagt an der erde

mit hungernden zähnen und ich steh

in den händen die schaufel zwischen zwei kuhlen und kann im regen nicht wählen: und wähle die erste die ich ausfüllen werde

mit regenbenagter gelber erde.
 
 








Die siebente elegie


Realitätsentscheid
 
 
ich lebe im namen der blätter ich habe

nervengefäße der blätter und wechsle

ihr grün und ihr gelb und laß mich sterben

vom herbst. Im namen der steine lebe ich und 1asse mich quadern in wege von rasenden rädern verletzt.

Ich lebe im namen der äpfel und habe

sechs kerne gespuckt dem jungen mädchen

zwischen den zähnen

und die gedanken fliegen zu

in trägen tänzen aus ebonit:

langsam. Im namen von schindel

und ziegel leb ich die arme im mörtel erstarrt

in jeder hand webe ich zeit umfange

mögliches eigelb atmender wesen. Niemals

werde ich heilig sein. Denn allzusehr habe

ich die starken bilder

anderer konkreter formen in mir.

Und so bleibt keine zeit

an das eigene leben zu denken. Hier bin ich.

Ich lebe im namen der pferde und wiehere.

Und setze hinweg

über holzweg und holzschlag. Ich lebe

im namen der vögel, vor allem im namen

des fluges.

Ich glaube, ich habe schon flügel

doch die bleiben unsichtbar. Alles für diesen

flug. Alles

zu stützen. Das was IST

an das kommende.
 
 

Ich strecke eine hand aus und an stelle

der finger wachsen fünf hände

die haben anstelle

der finger fünf hände

die haben anstelle

der finger fünf hände.
 
 
 
 

Alles um zu umarmen alles

im einzelnen,

um zu ertasten ungeborene blicke aussichten

zu ritzen bis aufs blut

mit einer anwesenheit.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

Die achte elegie, Hyperboreeana
 
 

I
 
 

Als sie die feste beschaffenheit

meiner art sah sagte sie: laß uns fliehen

nach Hyperborea damit du von mir lebendig

geboren wirst auf schnee wie die hirschkuh

laufend gebärt röhrend mit eisigen lauten hängt sie

an borealischen planeten.
 
 
 
 

Ins eis mit uns in die käIte! entkleiden

will ich meinen körper mit einem kopfsprung

ins kalte wasser nackter gefühle stürzen

die begrenzt sind

von den meerestieren.
 
 
 
 

Anschwellen wird der ozean anschwellen

bis jedes seiner moleküle rund sein wird wie

ein elchauge

oder

noch größer als groß

wie der tranige leib eines wals wird er sein.
 
 
 
 

Kopfspringen in dieses vergrößerte wasser

mich anschlagen an brownischer aussieht,

verzweifelt anhaltende regung - so werde

ich rasend im zickzack schwimmend getroffen

bald: von riesigen finstern eismolekülen

adepten des herkules.
 
 
 
 

Wir haben keine kraft zu ertrinken zu

gehn und zu fliegen -

nur der zickzack der zickzack der zickzack

als sei ich in ein farnkraut gestiegen

das himmelt und fliegendes schicksal zeigt.
 
 
 
 

Nach hyperborea sollten wir gehen

damit du von mir lebendig

geboren wirst auf schnee wie die hindin

laufend gebärt und schreiend zerrissen wird

von des himmels zwölfendern, auf gesprungenem eisberg unter den nördlichen himmeln blau violett.
 
 

II
 
 

Sie ziindete plötzlich ein licht

das aus der gegend ihrer knie kam vertikal

unter dem roten hut sich drehte

unberührt virginal.
 
 
 
 

Und warf mir ein buch an die knöchel

mit kuneifomen zeichen.

Engel dünn wie gepreßite blunien

zerbarsten auf der plattformfielen wie lichte leichen.
 
 
 
 

Engel, von buchstaben angeschwärzte

zwischen der obern und unteren seite.

Durchsichtig mager dürstend

mit entsetzlich scharfer schneide.
 
 
 
 

Um mir die blicke abzuschneiden

die ohne meinen willen mir gewachsen waren

männliche toga, harte traurigkeiten.

befestige ich mit eis spangen.
 
 
 
 

In Hyperborea, sagte sie mir –

und wir umfaßten des andern nacken,

wir müssen mit dem Iahmen rechten arm

unter das eis in den strudel.
 
 
 
 

Tödliche zone, Hyperborea

wo riesige gehirne sind:

hier werden sie geboren die kinder aus stein

stein für heilige, niemals ein kind.
 
 
 
 

Schwarz und weiß Hyperborea,

die aus gold und silber sind:

offenbarung, trauer und nichtoffenbarung;

deine läufer sind schafe, blind.
 
 
 
 

III
 
 

Und sie hebt plötzlich den kopf:

über ihr rasen weiße kugeln

und die wolken verstreun sich in grünlichen streifen.
 
 

Es zeigt sich eine sphäre mit gebirgig großen dunkelheiten, wo die vögel ihre schnäbel

eingeschlagen und mit f'Iügelschlägen diese sphäre um ihre eigne

achse bewegen.
 
 
 
 

Hier wird das ideal des fluges erfüllt.

Man sieht wie störche in die felsen

eingeschlagen sich langsam bewegen. Und die

großen adler deren köpfe in die felsen eingegraben ohren-

betäubend mit den flügeln schlagen.

Wie um den größten vogel

mit eisigblauem schnabel

sich langsam bewegt

mit den vier Jahreszeiten die sphäre.

Sicherlich wurde hier das ideal des flugesd erfüllt

Und es wird noch ein heftigeres ideal prophezeit

Von einer grünlichen krone der luft.



 
 
 
 
 
 

Die elegie des eies, die neunte



 
 

Im schwarzen ei das mich wärmen soll

wenn in mir flugerwarten ist

steht eins am andern flügeltoll –

die selbstin an das selbst gepreßt.

Flügelgefühl rinnt den rücken hinab

der augensinn sucht den augenort

ihr meine großen finsternisse

du ekel einer versteinten geburt.

Auf mir sitzt ein gedankenmund

ein muttertier mich auszubrüten,

alles was da ist wird rund

wärme und feste zu hüten.

Springt aus mir eine art von schnabel

gleichzeitig nach süd und nord

weigert sich als obelisk zu sterben

gekrümmtes rückgrat totes wort.

Zerbrechen meiner verbrannten schale

die wie an mein herz geklebt

vielleicht bleibt doch noch unversehrt

das gefühl wenn man zum erstenmal geht. Zerspringen der schwarzen schalen oho!

nun bin ich größer und unausgeflogen

doch immer an jenes wohin gebunden

und ringsum ist der himmel gezogen.
 
 
 
 

Meine blicke stoßen hervor irreal

rechts links nach oben und unten: sehn

königstiere laufend gebären

wissend wie man in den tod geht - schön.

Berühr irisierend die knochenfeder

konkaves eischwarz blank,

es springen blitzend die schwarzen schalen, von neuem bin ich sehr schlank.

In ein ei nun gesperrt viel größer als groß

von größern gedanken gebrütet als groß

halb eigelb halb vogel –

verbotenen schrittes, halb spiel und halb regdl.

O Riesenei gebrüllte silbe

die sich in entwurzdltem wachstum gespürt,

ganz ohne decke: stalaktitenmilde

verführt.

Konzentrische eier schwarz und zerbrochen

einzeln und zusammen erbrochen,

vogelkücken aus dem fliegen verstoßen –

von ei zu ei durchsterbend und

aus der mitte der erde bis zum Alkor

in rhythmisch zerdehntem echomund.,

Das "selbst" versucht aus dem "selbst' sich zu lösen das aug aus dem auge so leer,

das selbst auf dem selbst einsam zu dösen

wie ein schwarzes schneien leicht-schwer.

Aus einem ei in ein andres viel größer

unendlich wirst du geboren

aus ungeborenen flügeltoren.
 
 

aus jedem schlaf

kann jeder erwachen doch niemand

erwacht aus

des lebens schwarzen schalen.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

Die zehnte elegie
 
 

Ich bin
 
 
 
 
 
 

Ich bin krank es tut weh ein wundmal

vom laufenden pferdehuf getreten.

Unsichtbares sinnesorgan

wird seinen namen verspäten

das unauge und das nichtgehör

untastsinn ungeschmack ungeruch

zwischen finger und zunge

zwischen augen und trommeIfeIl

mit dem abend geichzeitig schwanden.

Zuerst kommt ein blick dann pause

doch gibt’s kein aug für dies kommen,

dann kommt ein geruch und dann stille

doch gifbt´s keinen sinn für das kommen

schmecken und feuchtes schwingen

und wieder abwesenheit,

im trommlfell unterbrochen

bewegungen der ellipse dunkelheit.

Dann rühren tasten und gleiten

an einem großen wellenbrecher,

winter der bewegung vereist

die eingeschneiten Oberflächen.

Doch krank bin ich krank

von etwas zwischen gehör und auge,

von einer art ohr einer art iris,

die noch nie in die zeit sprang.

Mein körper - ein ast ohne blätterwerk

elchischer astleib

in freier luft sicht kahlend doch nur

nach den gesetzen des knochenscheits.

Bedingungslos zurückgelassen

blieben die zarten gebeine der sphäre

als ob zwischen aug und gehör zunge und geruch

die schweigemauer ausgespannt wäre.

Krank bin ich krank von mauern

krank von ihren steinernen trümmern,

von trommelfellaugen von tastgerüchen,

bin luftzertreten

von abstrakten tieren.

Sie fliehen verschreckt vor abstrakten jägern,

von einem abstrakten hunger verschreckt,

in ihren mägen regt sich immer

ein hunger abstrakt, versteckt.

Sie traben über die nackten organe,

nackt, ohne nerven und augen und felle

dem kosmischen nichts ausgesetzt

und gottes willkür und quellen.

0 schräges ausgedehntes organ, organ

versteckt im begriff wie ein ärmlicher strah1

in der sphäre wie das fersenbein

in der achillesferse die getroffen war

vom tödlichen sinnesorgan: pfeil.

Organ wie aus strengen steinernen körpern, gewöhnt nur zu sterben in sich eingezogen und

hinausgestoßen verströmt.
 
 

Oh, sieh von einer wunde krankgemacht

eingebildete wunde zwischen Polarstern Kanopus Arkturus und der Kassiopeia am nächtlichen himmel ich sterbe an einer wunde die

nicht raum fand in meinem leib

taugtlich für alle arten von wunden

in worten vergeudet den strahlzoll zahlend

der anwesenden zoll zeit.

Siehe ich bin über steine gespannt

und ich stöhne und mir sind ausgebrochen

die augen die sinnesorgane und der große

meister ist irr, denn er leidet

am universum. Es schmerzt

daß der apfel apfel sein muß, ich bin

sehr krank von kernen und krank von kieseln

krank von rädern von sprühregen, flecken

von meteoren und zelten: ich bin.
 
 
 
 

Von rappen geweidet meine grasorgane erdolcht ist mein sinnesorgan: der stier

vom blitz aus toreadorischen sinnen

als arenadreizack ein abstraktes tier.

Das wolkenorgan ist mir geschmolzen

gefallen in rasendem tropenregen

und vom wintersinnesorgan löst sich

mein ganz gewordenes leben.

Mich schmerzt der gehörnte der oger das verb

es schmerzt das kupfer die wolfsmilch es schmerzt

der hund der hase der gelbe elch

der baum das brett und die verzierung es schmerzt

im atomkern ein zentrum und es schmerzt

wie adam und lehm und wie blanke rippen

die grenze aus leib die mich schmerzt die mich hält entfernt von den andern hinter gottes rücken:

mich schmerzt das kranke tier der mensch,

eine wunde die ich auf der schüssel trage

wie den tod des heiligen Johannes im tanz einer hymnischen frage.

Ich kann nicht ertragen das unsichtbare

das unhörbare und das unschmeckbare

das geruchlose das nicht faßbar ist nicht

eingehirnt eng und ohne gewicht

im denkskelett ich in der weltsicht der menge

die duldet nicht andern tod als den selbst-

erfundenen tödlichen tod - er geschehe.

Nicht vom lied bin ich krank

bin krank von geöffneten türen bin

krank von der eins

der welt die kann ich nicht teilen bin krank

kann nicht teilen die welt in zwei

blaue brüste zwei brauen zwei ohren

zwei fersen in zwei laufende

füße die

nicht bleiben. Ich kann nicht

teilen die eins in zwei augen in zwei schon

verirrte, zwei trauben zwei brüllende tiere

in zwei märtyrer die auf dem holzstoß ruhn.
 
 






Die elfte elegie



Eingehn in die arbeiten des früh jahrs
 
 

I

Größer das herz als der leib

schnellt es von allen seiten zugleich

und rückwärts zerschellend von allen seiten

kommt es über ihn wie

zerstörende lavafluten
 
 

du größerer inhalt als jede form,

siehe die selbst er kenntnis, siehe

weshalb sich materie in schmerzen gebärt

aus sich selbst um dann sterben zu können.

Nur der stirbt der sich selbst erkennt

und es gebärt sich nur der

der selbst für sich zeugt.
 
 
 
 

Ich müßte laufen rief es in mir

doch dann müßte ich die seele erst wenden

den unbeweglichen ahnen zu die

wie knochenmark sich zurückgezogen

in ihre beinernen türme

unbewegt und genau

den dingen gleich die wir ans ende bringen.


Laufen kann ich denn sie sind in mir.

Und laufen werde ich denn nur

was in sich selbst unbewegt ist

kann sich bewegen,

nur wer einsam ist in seinem selbst

wird begleitet und weiß daß ein herz

wenn es fest ist noch stärker zerschellt

bis in die eigenste

mitte oder

oder gebrochen in viele planeten wird es sich erobern lassen von Lebewesen und von pflanzen
 
 
 
 

oder es wird dann hinter einem fremden brustkorb kalt stehen und begraben wie unter pyramiden.
 
 
 
 

II
 
 
 
 

Einfach ist alles so einfach

daß es unverständlich wird,
 
 
 
 

nahe ist alles so nahe daß

es sich langsam zurückzieht

bis hinter die lider

und man es nicht mehr sieht.



 
 

Alles ist so vollkommen

im früh jahr

daß ich es nur erkenne,

wenn ich es mit einem ich umgebe

wie den aufwuchs des grases, bezeugt

von den wort mündern gesprochen

bezeugt von dem mund des herzens von den herzen und ihren kernen.

Jeder in sich selbst ist unbewegt wie

die kerne der erde die um sich sammeln

unendlich viele arme der schwerkraft.
 
 
 
 

Alles an sich ziehend alles und gleich zeitig alles in starke umarmung ziehend alles

was durch die arme hervortritt: bewegung.
 
 
 
 

III
 
 

Laufen werde ich also nach allen seiten zugleich

meinem eigenen herzen folgend gleich

den kampfwagen die

nach allen seiten zugleich gezogen werden

von rudeln wildgepeitschter pferde.
 
 

IV
 
 

Rasen bis der fortgang jeden lauf,

ihn und mich überholen wird,

er entfernent sich von mir genau wie

schalen sich von dem samen lösen, bis

der lauf in sich selbst ein-

geht und

hält. Ich aber werde zusammen-

brechen auf der schale wie der mann unter dreißig der in sich die geliebte erwartet.
 
 

V
 
 

Und wenn es mißlingt daß der große

lauf mich überholt wenn er sich

bewegt in sich selbst und dann hält im stehen

wie stein vielleicht wie

quecksilber hinter glas

erkenne ich mich im spiegel

in sämtlichen dingen umarme mit mir

alle dinge zugleich sie

aber werfen mich zurück denn alles

was in mir ding war ist in die dinge

zurückgegangen.
 
 
 
 

VI
 
 
 
 

Hier bin ich

bleibe was ich schon war

mit einsarnkeitswimpeln mit schildern aus eis,

zurück zu mir selbst geht mein lauf

und von überall reiß ich mich ab im fortgehn

reiß mich alb aus dem vormirsein aus dem hintermir- sein von rechts und von links von über mir und aus dem untermirsein von überall und schenk mich ins überal1sein reicher und reichere gedächtniszeichen: dem himmel

gestirne,

der erde lüfte,

dem schatten äste mit blättern.
 
 
 
 

VII
 
 

... Seltsamster leib asymetrischet leib hier

in sich selbst erstaunt wenn die

sphären kommen.
 
 
 
 

Vor der sonne schattenstehend erstaunt

wartend mit geduld daß dem licht

ein körper wachse nach maß.
 
 
 
 

VIII
 
 

Sich stützen auf den eigenen grund

da du samenkom bist wenn der winter

seine knochen dehnt hier weiß und lang

und das frrühjahr aufsteht.
 
 
 
 

Sich stützen auf das eigne land

wenn du allein bist,

ungeliebter

und du vergehst oder wenn

der winter verwest, in seinen sphären

sich früh jahr bewegt aus sich selbst

gleich herzen

zu ihren rändern.
 
 
 
 

Gereinigt eingehn

in die bäuerliche arbeit des früh jahrs

dem samen sagen daß er same sei dem boden seinen eignen namen.
 
 
 
 

Wir aber sind vor allem

der same, wir sind

die ringsumgesehenen zu gleicher zeit

als wohnten wir wirklich in einem auge

als wären wir ein feld dem

statt gräser blicke wachsen wir

und wir mit uns

plötzlich unserem harten fast metallischen selbst

mähn die wesen daß sie nun seien

wie alle anderer sachen und dinge

die um uns sind

und die wir

im herzwerk geboren haben
 
 
 
 

Vor allem aber sind wir

die samenkerne wie wir uns vorbereiten

uns zu stürzen in etwas anderes ...

viel höheres etwas anderes ...

das den namen früh jahr trägt ...

Im innern der dinge immer

im innern al1er dinge sein.
 
 
 
 

Same zu sein und sich zu stützen

auf den eigenen boden.
 
 
 
 
 
 

© Dieter Schlesak 1969, 1997, 2001
 
 

Neue Fassung von 11 ELEGIEN. Zweisprachige Ausgabe. Nachdichtungen und Nachwort Dieter Schlesak, Literaturverlag, Bukarest 1969
 
 

Die Zweite und die Dritte elegie, sowie "Der weltblenden-mensch" sind in meiner Anthologie "Gefährliche Serpentinen, rumänische Lyrik der Gegenwart," Druckhaus Galrev , Berlin 1997

erschienen
 
 
 
 


 
 

Beim Wiedersehen mit meinem toten Freund Nichita Stánescu

und seiner Elf Elegien/ unsprezece elegii

Er sagte es und gab

mir die Versuche ein, und sagte es,

daß dort sein Wort

hinüber sei und nun bei ihm

geborgen und verborgen sei in Einem
 
 

"Und jetzt begraben wir in mir den Baum.

Und jetzt begraben wir in mir den Kinderadler, diesen Armen.

Und jetzt begraben wir in mir, begraben wir in mir

jetzt alles, was ich noch erinnern kann.

Und jetzt begraben wir in mir ihn selbst den Herrn...

Und bin dann so von Mal zu Mal noch weniger zu sehn.

Und jetzt begraben wir in mir

das Schweigen: werde ich begraben,

das eures ist und eines andern/ der ich einmal war."
 
 

Und redet weiter von der Liebe, redet

kein Wort, dies hier, dies war ihm alles feind,

was nicht die Liebe war in Ihm

war nur das Fehlende im Tode

jetzt vereint:
 
 

"... warum sollte ich noch denken -

und warum sollte ich in Worten denken

- und warum sollte ich in Worten an dich denken,

warum?

Denn meine Arme dachten doch mit ihren Armen

an dich,

mein Licht, es dachte doch mit ihrem Licht

an dich (...)

Sag, warum sollte ich noch denken ...

sag, warum sollte ich so nur in Worten

an dich denken,

Warum?"
 
 

Dann sagt er, jetzt,

Die letzte Elegie, die Elfte,

sag, willst du die jetzt noch hören?

Ich höre ja,

die Zeit fällt so in mir zusammen:

Nun gut so hör mir zu

ich bin ja wirklich da und rede:
 
 

"Das Herz ist größer als der Leib,

so schnellt es vor aus allen Seiten

zugleich,

schnellt es dann vor und stürzt von allen Seiten

auf ihn ein,

ein Feuer, ein Lavaregen...
 
 

Es stirbt ja nur, wer um sich selber weiß,

es wird nur der geboren, der

sein eigener Zeuge ist.
 
 

Nur wer in sich ganz einsam ist,

wird hier begleitet; und weiß, daß nur ein Herz,

das sich nicht zeigt, im Scheitern stärker

zustürzt seiner eigenen

Mitte ..."

Nichit Stánescu
 
 

Die dritte Elegie
 
 

V Contemplare
 
 

Blitzartig ist erhellt eine Welt

schneller als die Zeit des Buchstaben A.

Ich wußte nur soviel: sie existiert

obwohl das Sehn hinter den Blättern sie gar nicht sah.
 
 

Ich fiel zurück in den menschlichen Zustand

so schnell daß ich mich daran verletzte und matter

mit Schmerzen am eigenen Körper

mich wundernd daß ich ihn hatte.
 
 

Ich zog meine Seele nach allen Seiten auseinander

mit ihr zu füllen die Röhren der Arme und

die große Kugel über der Schulter

sowie auch die andern Gestalten. Im Grund
 
 
 
 

stand ich angespannt da

zu erinnern jene blitzartig erkannte Welt

die mich mit diesem Körper bestraft

der sich nur langsam sprechend in sich hält.

Doch erinnern konnte ich nichts.

Nur soviel - berührt zu haben

das Ganz Andere den Andern den Andernort

die mich erkennend verstoßen haben.
 
 

Die Schwerkraft des Herzens rief

die Summen von Begriffen und Sinnen

dauernd zurück, die sogar dich mein Gedanke

zum Knecht wie Magneten bestimmen.
 
 

(Dieter Schlesak, 6/69,97)
 
 

Dieter Schlesak

TOTENGESPRÄCH MIT DEM ALTEN FREUND NICHITA

Glaub mir, es sind Fiktionen über meinen Ursprung: Rom. Romanisch. Romänisch: Hier. Schatten, der zwischen die Ochsen fiel, das bist DU. Von Schatten zu Schatten gegangen über einem Abgrund: moment securitatae. Und noch ein anderer Spagat hin zum Deutschen: Metaphysik, über das Braune vergangen.
 
 

Die Anti-Metapher, Nichita, du zerfetzt das Bild, wenn es Idylle werden will, hinauf bis zu Ihm, ein Gruß aus dem Abgrund wird dicht gemacht im Ich: Herr der Erfahrung, Herr der Sinne - Metonymie. Noch schöner wärs, ja, Tote begegnen sich!
 
 
 
 

Marin Sorescu (1936-1996)

Mysteriöses Verschwinden (Misterioasá disparitie)
 
 

Was ist denn der Tod anderes

als ein mysteriöses Verschwinden der Dinge?
 
 

Ihm kommt als erstes die Pelzmütze abhanden.

Sie bedeckte den Kopf, er legte sie auf den Stuhl

Doch sie liegt jetzt nicht mehr auf dem Stuhl.

Suche nur - und auch der Stuhl ist nicht mehr da!

Legte er sie auf das Bett? Doch wo ist das Bett?

Hing er sie an die Türklinke? ( den wunderbaren Kleiderhaken!)

Doch auch du, Klinke, auch du, Tür - seid nun verloren im Nichts.

So wächst ringsum die Leere...
 
 

Und das wiederholt sich nun Tag für tag ...

Jedoch nicht in einer so starken Wiederholung

Denn manchmal erscheint die Mütze. Sie erscheint wieder.

Und er findet sich wieder plötzlich mit ihr auf dem Kopf
 
 

Er setzt sich auf den Stuhl. Öffnet die Tür,

legt die Hand auf die Klinke.

Die Dinge sind alle brav an ihrem Ort.

Sie lassen sich berühren. Gekitzelt und kitzeln ihn

am ´Nabel´ der Finger. Ich kichere. Es kichert.

Dieses Kommher der Materie! Salz des Lebens!

Bis wann denn noch erschrocken:

- Frau, die Mütze!

Oder: Weißt du nicht, wohin ich die Brille gelegt habe?

- Wieder fängst du damit an?

-Ich fange nicht an, ich mach weiter.
 
 

Was ist der Tod denn anderes

als ein mysteriöses Verschwinden der Dinge?
 
 

Liviu Ioan Stoiciu (1950)

Mit den zwischen uns getauschten leibern
 
 

Kirschen-frauen erblüht zu füssen die

abgefallenen blumenblätter … geliebte hast du jetzt nicht

das gefühl

der vollendung unter allen kirschen-frauen? unseren

seelen ist es jetzt gelungen durchs sieb

der ordnung durchzuschüpfen … komm
 
 

tauschen wir bis morgen unsere leiber:

wir angehalten neben diesen barken

am fluss-

ufer

Vergessen. und hingegeben beide dem

"anormalen zustand" tauber

übergabe

wenn letzte lampen an den barken jetzt

verlöschen und letzte kerzen an der bergesspitze

wo unsere eltern wohnen ausgehn wiederholen wir

nur in gedanken und unendlich oft: in

unseren seelen ist ein tief verschwiegener

riss.
 
 

ein riss seit hierher wir gekommen sind voll

scham und splitternackt ein-

balsamiert zu werden? Ein-

balsamiert die kirschen-frauen

mit kalk den stamm die rinde dann zuerst

im frühjahr: in jenem Rhythmus

einer auferstehung zyklisch…

so liegen wir

im blühen

einer neben dem andern nach

einer liebesnacht verlorene blumenblätter

im sarg und kaum berührt

mit ausgetauschten leibern auch

am anfang jener andern welt
 
 
 
 

Elena Stefoi (1954)

Nichts wie verschoben (Nimic decât amânare)
 
 

(Von Berlin nach Königsberg)
 
 

Zusatz: Weiter und immer

weiter/ Orte: Weiß und Kant-ig

vergangen -

um zu Sein?
 
 

Rein und strahlend schuldig doch selbstsicher

das heilige Modell nähert sich

dem heftigen Atem der Katastrophe

und der Wortstreit: du hättest ihn gerne beschrieben

dauert Ja nicht ewig.
 
 

Vergeblich beobachtest du

alles was du begreifst

es ist nur soviel wie ein Satzzeichen

bemerken kann das

- jedem zu Diensten - irgendwo zufällig eingesetzt

in einen wesentlichen Satz und in einer von Niemandem

und niemals gelernten Sprache

die du als Spinne erinnerst

hängend in einem Winkel der Decke:

versponnen im letzten Netz
 
 

Wen aber soll dies kümmern daß du so dein Leben

einsetzt nur/ um es zu verschieben/ für bessere Zeiten?
 
 

Berlin 27 Aug. 1995
 
 

(Dieter Schlesak, 6/97)
 
 
 
 

Überwachte Beziehungen mit dem Tode/

Supravegheate raporturi cu moartea
 
 

für Carmen Francesca Banciu
 
 

Die Retina beherrscht die Finsternis besser als gestern

die Zunge im Mund liegt dem Schrecken der Nicht

Sehenden näher - auf einem geschmükten Floß

verschwunden zwecks eines primitiven Rituals im Offenen

Grenzen zwischen dem Vorher und dem Jetzt/ Nachher
 
 

(Was sich verändert hat, hat es sich etwa nur verändert

damit jeder in der Mannschaft des Todes lebe?)
 
 

Wir verstecken uns im Keller nähern das Zündholz

der letzten Stufe und verweigern ängstlich

den finalen Vertrag davon überzeugt: er sei schon entziffert

aufgesetzt und vervielfältigt von einigen Geheimdiensten.
 
 

Berlin 26. August 1995
 
 

(Dieter Schlesak, 6/97)
 
 
 
 

Augustin Frátilá (1953)
 
 

Bibliothek.

(Paraphrase)
 
 

Die wahre Fülle

liegt unerschöpflich in der Leere.

Lao-tse

Bibliothek, die mir das Leben nahm: ich - atmend

und schon tot:

sehr müd in dieser Irrfahrt

jahrelang von einem Ende

meiner Blutbahn hin zum andern

mit meiner Liebsten

dragam

Albia

Pausenlanges Schweigen

ist ein Herzstoß. Er fehlte hier

der langen Heimkehr; die Rückkehr

war sehr müde und sehr arm - der Weg

er hatte seinen hohen Preis: Das Leben!

Ich konnte Ihn in mir

nicht wachsen lassen, Ihn nicht erhalten - und

gab ihn dem Tod, weil Er der Tod ist ... Ein Jetzt

das in mir ruht; so stehe ich und schau nach außen,

den Träumen nach:

Ein Adler der zuerst den Löwen aus-

nimmt, erspürt die Schwarze Katze Nacht der Hosentasche

und wie der Glanz des schwarzen Fells

vor Angst verlöscht/ Eins wird mit dieser Finsternis,

das Kind versteckt sich in der Kindheit - sieh,

es sind nun Sie - Sie suchen mich

von Zeit zu Zeit, Sie sehn mich schweigend an; und Sie

verschwinden kurz vor dem Erwachen;

mich sehn jetzt nur die frischen Ameisenhaufen, Krater

der Maulwürfe Augen der Dunkelheit ...

der Schmerz ist zu ertragen, welch eine Qual! Ertrage

den Schmerz immer besser; denke sogar:

Ihre Wiederkehr würde mich verwirren, jetzt, daheim:

soviele Jahre vergeudet, soviel an Versöhnung fleißig

zusammengetragen, soviele Lügenbücher,

die Ihr Verschwinden zelebrieren! Nein -

ausgerechnet jetzt, jetzt nachdem ich mir aufgebaut habe

eine solide Trauer; aus der trocknen Haut des Wortes `Liebe`

(und ich habe dir doch gesagt, du sollst achtgeben

während meiner Abwesenheit, und dieses Wort darf nicht verkommen,

sich balgen gar mit anderen Wörtern, hab´s dir doch gesagt!) und schuf

drei Visionen, drei Fenster - denn in Richtung Norden

ließ ich zu riesige Flügel adlerartige Himmelsfrequenz

zehn Fundamente kindlicher Leucht Türme genau an der Kreuzung

wartend "auf jenen der sich niemals verirrt" ... und dies bleibt

Jetzt und nur noch: dies:

wenn ich die Augen schließe

tritt hier Niemand mehr ein ...
 
 

Ich, ein Berufseinsamkeitler hier, ich

werd mich im dolce far niente und

taugenichtsartig auf dem Rücken

meiner Erinnerung und Selbst verbrennen

im Tode lachend: Nichts als

mit mir Selbst zu hadern

im Abgrund

der Geister im Keller der Glorien- und

der Heiligenscheine erhöhnt?
 
 

Den Letzten den Vers

werd ich anstecken können

um bei seinem Schein

zu schreiben

den nächsten den allernächsten Vers ...
 
 

Von jetzt an

Nie

mehr ein Flüchtling

zu Sein...
 
 

(Dieter Schlesak, 6/97)
 
 
 
 
 
 

Ballade

(Nach Augustin Frátilá)

Heep,Heep,Uriah!

Heep, Heep, Uriah!
 
 

Und ich kam an zur Nacht

- spät.

Mitten in dieser Irrfahrt besetzt

alle Stühle, das Vorzimmer, die Küche,

die Tafelnden tot, und erwarteten Ihn,

den SOHN.

Auf der Couch ausgestreckt der VATER; auf dem

Teppich geblieben: offen: der Sarg - Kein

Platz außer am Boden da unten

das Offene:

"- Wieder verspätet!" (Ich verspätete Immer!) konnte es

lesen auf dem Nachttisch-Spiegel

mit Atemhauch zart das Warmgeschriebene ...
 
 

Er hatte den besten Anzug an

die neuen Schuhe - ich aber löschte

eilig

das eben Gelesene, und reinigte den Boden

das Linoleum, die Klinke, und

machte mich aus dem Staub...
 
 

"Dady, dady come and see, look

what I have found!" rief Melinda: so schließ

doch die Tür, hör´n wir Blues, ja? Blues um uns

zu erinnern, ja? Wir waren so krank - und ER

ja Er nahm´s Akkordeon ( Marke Weltmeister), spielte`

n´Ländler steierisch, dann "Kukuruzbrechen"

ab oder besser´n Jazz? Viel Jazz hörn, Ja?

Nur um uns zu erinnern: Schlawiner! - Er

wartete immer bis Mutter einschlief, schlich in die Küche

sein ganzes Wesen vibrierte im Kitzel:

heimlich sich einen Kaffee zu kochen ...
 
 

Und doch Melinda Mädchen ist´s leichter

den Blues zu erinnern so komm doch und setz

einen Blues auf: ja hol mir, zum Teufel,

endlich den Pfropfen Blut aus den Ohren ...
 
 

(Dieter Schlesak, 6/97)
 
 
 
 

 Gefährliche Serpentinen.

Rumänische Lyrik der Gegenwart
 
 
 
 
 
 

Rede auf der Leipziger Buchmesse 1998

Meine Damen und Herren,

 eine von mir zusammengestellte Anthologie rumänischer Poesie "Gefährliche Serpentinen", Brancusis (rum.Brâncu?is) Unendliche Säule, das zentrale rumänische Symbol, auf dem Umschlag, möchte ich Ihnen vorstellen; diese Sammlung mit über hundert rumänischen Lyrikern der Gegenwart, übersetzt von rumäniendeutschen Kollegen, liegt seit einigen Tagen beim Druckhaus Galrev vor.

Es ist eine Art Hommage an die rumänische Dichtung.

Die Anthologie stellt vier Generationen vor: die Generation 60, die 1960 zu veröffentlichen begann, dann die Generationen 70, 80 und 90, die bisher jüngste. Die Kraftlinien der Einflüsse werden zurückverfolgt bis zu älteren Autoren der rumänischen Avantgarde, die übrigens auch Paul Celan beeinflußt hatten. Im Zentrum steht die "Generation 80", zu der Mircea Cartarescu und Marta Petreu gehören, die heute hier lesen werden.

Die Auflösung der Grenzen "alter" Geschichte nach Auflösung der System- und Stacheldraht- Zäune gibt den Blick auf ein totales Endspiel, und zugleich auf eine andere, die Grenze des "Ganz Anderen" frei. Und, so Heiner Müller.: "...wenn die Chancen vertan sind, beginnt, was Entwurf einer neuen Welt war, anders neu: als Dialog mit den Toten." Millionen Opfer der Diktaturen. Tod und Transzendenz in einem geschichtlich-posthumen Kontext, der einen Gegenwarts-Stil erst möglich macht.

Er zeichnete sich schon bei der Generation 60, bei Marin Sorescu (1936-1997)oder Nichita Stanescu (1933-1983) ab. Auch Ana Blandiana, die heute hier lesen wird, gehört dazu. Tauwetter 1960/61, dann 1965, als Ceausescu, aus Machtkalkül in der Literatur Stilvielfalt zuließ. Damals erarbeiteten diese "Waisenkinder des Klassenkampfes" unter Druck eine subtile, sprachgeschärfte, spannungsgeladene Poetik der Innenwelträume.

Innerlichkeit war ein Politikum sondergleichen. So bei Nichita Stánescu, dem wichtigsten Lyriker der Sechziger, sein Gedicht im metasprachlichen Raum und die Grenze zum Numinosen offen, wo auch die Toten (ähnlich wie bei Rilke oder Celan) ansprechbar werden. ("In mir, schau her, sind alle meine Toten /erwacht/ und alle Toten meiner Toten/ und alle Freunde und Verwandten/ der Toten meiner Toten." Nuancenreiche lyrische Sprache, Destillate unter starkem Druck, Sprach-Innenräume als letzte Zuflucht des Geistes. Allerdings auch eine Entlarvungs-Aktion; der verhüllende Schleier der Worte wurde von den gebrannten Kindern der Diktatur (überfüttert mit Ideologie-Parolen) als Trug gesichtet: "Blitzartig ist erhellt eine Welt/ schneller als die Zeit des Buchstaben A."... "stand ich angespannt da/ zu erinnern jene blitzartig erkannte Welt/ die mich mit diesem Körper bestraft/ der sich nur langsam sprechend in sich hält."

Stánescus Gedicht hat die Jüngeren beeinflußt, dies Auflösen (über das Wort) in ein eigenes, bewußtgewordenes Körpergefühl. Körpergefühl ist extrem wichtig bei den Jüngeren der Generation 80: Körperdasein als nüchterne hirnsyntaktische Allegorie.

Dagegen scheint Sprache ein machtgeschütztes Abziehbild zu sein. So Mircea Cártárescu: Beim Schreiben fahre sofort "in den den Füllhalter führenden Finger wie in einen Handschuh eine fremde Klaue..." Und: "Als Leser kommt nur noch der Tod in Frage". Die Generation 80, so einer ihrer Poeten, wird von der Wirklichkeit "hypnotisiert", "von der Unmenge natürlicher Poesie, die ihr entströmt". Diese Dichtung sei "überraschend irdisch", und die "Banalität empfange täglich Visiten der Poesie"; das "Weltall" sei städtisch geworden, und die Ekstase "aus den Innenräumen auf die Straße hinausgetreten". Die Trennung zwischen Ich und Welt wird illusorisch, es gäbe "neue Masken" und Gefäße für das nicht direkt Sagbare: Bei Mircea Cartarescu und der Generation ´80 ist die Poesie das wirkliche JETZT, wie in der Quantenphysik, der beobachteten Momentaufnahme eines Schnittes durch den Weltaugenblick. Z.B. Galaxien als Kapitale von jenseits der eingeengten Lebensgrenze - "nur sie noch bringen uns, Milliarden Jahre verspätet/ Nachrichten aus der Urstadt, der Kapitale./ Wir alle, ausnahmslos alle werden sie dereinst sehen: Die Hauptstadt/ werden abstreifen das speckige Nervenjackett, die Lavallière der Adern/ und gläsern, das Gehör hinter uns werfend wie einen azurnen Schleier,/ die Geschmackspapillen verbrennend,/ werden wir die neue Mode annehmen ..."

Der Alltag, das Rätsel des wirklich gelebten Augenblicks als Ganzes wird zum Gedicht. Kosmos und Alltag dominiert, weil die genaue Wahrnehmung dieses Wirklichen von der Diktatur gefürchtet wurde, ihr ganzes Parolenarsenal und die ideologischen Abgedroschenheiten dienten nur zur Täuschung und zur Verhüllung des Elends.

Neben der Generation sechzig war es der schon zur Legende gewordene letzte Surrealist Gellu Naum geb. 1915, der die Achtziger beeinflußte. Er spricht von der "Pornographie der Macht" wider das Mirakel des Lebens, gegen die Liebe, das Genie des Femininen. Alle Ismen, Ideologie und auch die Literarthure und die "Pohesie" verhindern das Mirakel des Daseins, das von einem andern "Plan" gelenkt wird, als dem Bekannten, gar einem System: "Mein freund der tote maler/ ruft mich (spielt keine rolle)/ aus seinem mund kommen gemalte buchstaben .../ unterm arm hält er das fürchterliche buch/ es ist in jener/ sprache geschrieben/ die wir in gedanken sprechen ..." Es gehört zum undurchschaubaren Beziehungsnetz kosmischer Größe, das sich wie ein momentaner Querschnitt in unserer Sphäre zeigt - in "aktiver Erwartung", im freien Spiel der Bedeutungen, wenn das ans Geheimnis angekoppelte Unbewußte, berührt wird. Naum sucht aber dies Geheimnis nicht verquast, sondern urban und surreal mit Mitteln eines sarkastischen und ironischen Bewußtseins.

Ähnlich hielt es der zu den Sechziger gehörende Marin Sorescu (1936-1997). Daher hat er auch die Jüngeren beeinflußt: "jedes Wort vermeidend,/ das ... Buchstaben enthielt." Erstaunlich viel Sinn im ironischen Spiel mit dem Banalen und dem Nichtverfügbaren, wider das verhaftete Leben, Zellenschrecken des Jahrhunderts. Als Heilung: Kraft des Zufalls, des Unvorhersehbaren, das Sorescu schlau dem Plansystem entgegenstellte: Der von ungefähr dort um die Ecke: Der von ungefähr sitzt am Kommandopult auf dem die Anzeige fehlt. .../ (es) kommt dann alles unvermeidlich/ haargenau und so als hätte/ der von ungefähr es so gewollt.

Das Unvorzubestimmen - Feind des geschlossenen Systems, das dies schließlich entropisch erledigt. Tu, was geschieht.

Nicht weit von dieser Sicht entfernt ist Ana Blandiana. Ihr erscheint die antitotalitäre Offenheit als ethische Kategorie der "Reinheit" und "Lauterkeit", die sie (nicht nur im Gedicht) immer wieder erörtert. Diese tätige Öffnung scheint sie zur Dissidentin, zur Bürgerrechtlerin vorbestimmt: sie hatte Publikationsverbot (ihre Verse transportierten Brisantes zwischen den Zeilen, wie dieses Samisdat-Gedicht: "Ich glaube wir sind ein Volk von Pflanzen/ Wer hat schon einen Baum gesehen/ der sich aufbäumt?") Leise, verhalten Töne, Metapher des Schlafes, des Vegetalen, Sicherheit im Ei, in der Nuß, im Haus aus gestörtem Harmoniebedürfnis.

Im Mai 1990 konnte sie noch vom Balkon der Bukarester Universität Tausenden von Studenten, die gegen Iliescu protestierten, zurufen, "Wir sind kein Volk von Pflanzen." Später mußte sie es wohl wieder zurücknehmen.

Ein Vorbild für die jüngere Generation ist auch die Real-Poesie Petre Stoicas, denn Stoica strebt eine Inventaraufnahme des Zufälligen an, um das "Prosaische" lyrikfähig zu machen, die Wunder des Alltags. Das hintergründige Mitdenken eines Gesetzes von Zufall und Offenheit, ähnlich wie Sorescu, wider das Festgelegte. Im Gedicht "Option" heißt es: " uns mahnend daß es an der Zeit sei/ noch ein Glas zu leeren auf das Recht das heilige/ für eine bestimmte Jahreszeit zu optieren." Jedem dieses Recht der freien Wahl!

1971 führte Ceausescu eine neue restriktive Kulturpolitik ein. Der "Opportunismus" der Generation ´70, die weniger klingende Namen hervorgebracht hat, ist die Konsequenz der neuen Kältewelle. Mircea Dinescu war die große Ausnahme. Er hat seiner Haltung - in saloppen und sarkastischen Versen versteckt - zu einer großen Wirkung verholfen. Er attackierte jene, die angeberisch das Absolute wie eine Fahne vor sich her trugen, entlarvte es als falsche Ewigkeit, und die rote Ideologie, als deren Bastard, fiel gleich mit in diese Falle. Daher das Erfrischende seiner Poesie. Er war eine Art Vorläufer der Achtziger, denn bei jedem Vers schien er sich zu fragen: ist Poesie unter diesen Umständen in denen wir leben müssen, überhaupt noch möglich? Und jedesmal gibt Dinescu eine bejahende Antwort - nämlich durch das Gedicht selbst. Das unerträglich Wirkliche der umgebenden Finsternis und Kälte ließ ihn nicht ruhen ("Guillotine, die wie eine Geige mir am Nacken sang"). Die drei F: frig, foame, fric?(Kälte, Hunger, Angst) bedingten in den achtziger Jahren alles und jeden. "Beschütze mich, herr vor denen, die mein bestes wollen, vor den flotten burschen, die einen allemal fröhlich verpfeifen, vor dem priester mit dem tonbandgerät unter der soutane ..."

Zur Generation Siebzig gehört auch Grete Tartler. Sie ist Botschafterin Rumäniens in Dänemark. und gehört zu den vielen starken Frauen wie Ana Blandiana, Elena Stefoi und Marta Petreu. Grete Tartler ist Orientalistin und Musikerin. In ihrem Gedicht wird die Welt wie ein Musikinstrument behandelt, zum Klingen gebracht: "Der Fahrstuhl// Du trittst ein in dieses Musikinstrument -/ die Luft.../ Die Bewegung/ des Fahrstuhls wie die eines Pendels. " Und auch der Hinwendung zum Offenen, "Tu, was geschieht" "Der oberste Schaltknopf fehlt", Heimkehr ist Nie: Ost-Schicksal: "Auch morgen könnte ein Sturm/ die Decke des Käfigs wegblasen -/ dann/ darfst du dich nicht mehr/ an die engen Wände klammern."

Diese Wände und MAUERN sind nach dem blutigen Dezember 89 explodiert. Poeten standen damals ganz vorn. Einige wurden verhaftet, gefoltert und mit dem Tode bedroht. Ein Kapitel der Anthologie ist diesem nationalen Komplex und der Erinnerung an die Toten gewidmet.

Auffallend ist die "Freimütigkeit" dieser Generation, die unbelastet von Zwängen und Ängsten offen und selbstverständlich auch der Securitate gegenübertreten konnten, ja Forderungen stellten. Eigentlich war der Geist dieser Generation schon "posttotalitär" - luzide, skeptisch, ironisch, der Glaube an große Entwürfe, Ideen, Utopien war zerbrochen. Ironie, Mündlichkeit, Humor, das Komische, das Absurde, der Alltag zieht sie an. Und das Zufällige, ja der gelebte Moment als Mirakel, eine Art Lupe, der "monströse Blick":

Doch nach 89 enttäuschten die meisten Achtziger. Die "Religion des Textes und der ästhetischen Wahrheit" waren wichtiger als Widerstand gegen die Iliescu- Realität. Und auch sie, wie die andern, hatten gelogen, esopische Literatur geschrieben, sich moralisch im Kommunismus infiziert, und einige waren wohl auch Spitzel gewesen. (Keiner weiß Genaues: Die Dossiers sind nicht wie in der ehemaligen DDR freigegeben worden.) Freilich: alle rumänischen Literaten sind Zeugen ihres posthumen Zustandes, mit ihrem bisherigen Werk, ihren bisherigen Plänen, es gab die bisherige Realität nicht mehr, Stoff auch der Texte. Alles war Geschichte geworden. Drastisch bringt Mircea Cartarescu den neuen Zustand auf den Punkt : "Ach, meine Welt ist versunken! Meine Welt gibt es nicht mehr, meine elende Welt, in der ich etwas bedeutet hatte. Ich, Mircea Cártárescu, bin in der neuen Welt niemand es gibt hier 1038 Mircea Cártárescus ..."

"Ich habe New York und Paris gesehen, San Francisco und Frankfurt/ ich war an Orten, von denen ich nicht zu träumen wagte./ Ich kehrte mit einem Stapel Fotos zurück/ und mit dem Tod in der Brust." Der Westen.

Doch es ist eine Öffnung ins Ganze ("Alles"), wenn das eingeredete fiktive Ich verschwindet und das Unvorhergesehene möglich wird in dieser Öffnung, entsteht eine Art "enzyklopädisches" Poem. So heißt ein Gedichtband von Cartarescu auch "Totul" (Alles).- Das lange Gedicht wird bevorzugt, weil "so viel wie möglich von den Wundern dieses Universums" aufgenommen werden soll.

Die gesamte Diskussion um die Generation 80 wurde - vielleicht um an den Westen anzuknüpfen - im Rahmen einer Postmoderne-Debatte geführt; sie begann schon ca. ab 1986. Ihr Hauptinhalt: Öffnung als Basisgedanke! Es war anfangs eine Art Widerstand gegen das totalitär geschlossene System. Nach 89 aber hatte niemand mehr Lust zu solchen Diskussionen, hautnah war die "Realität" allen auf den Leib - auch auf den der Gedichte gerückt. "Einer, der hundert Jahre lang tiefgefroren war,/ öffnet die Augen und entscheidet sich fürs Sterben". Das Gefühl, alles sei gescheitert, auch die Leistungen des vergangen Jahrzehnts, überwog; es blieb nichts als Depression.

Erst ab 1995/96 begann wieder eine neue Debatte. Jetzt gab es schon Texte der "neuen Zeit", die aber mit nichts vergleichbar waren, was im Westen geschrieben wurde und wird ("Grüß schön! Europa ist auf dem anderen Schiff." heißt es bei Mircea Dinescu); viele Texte nach 89 erscheinen wie ein Akt der Verzweiflung auch angesichts der neuen parasitären "Freiheit" und Bindungslosigkeit, die umschlägt in nichts als levantinisches Chaos und in Brutalität. Galgenhumor wird notwendig, weil nichts mehr geht, geht alles, weil nichts mehr zählt, zählt alles; zugleich ist es die Chance einer Öffnung, indem man sein Ich, seine bisherigen Sicherheiten aufgibt, das Ludische gegen die Logik ausgespielt; der Zweifel allein zählt, die Ironie, die Skepsis: "hier und jetzt, ja, hier in nächster Nähe/ so daß man's mit dem Finger berühren kann/ und auf die Wunde sich legen", schreibt. Marta Petreu in: Dies Jahrhundert: Doch was östlich nun umgesetzt wird, ist auch die Angst und zugleich die Befreiung vom eigenen Minderwertigkeitskomplex, der "Westangst" wie in Mircea Cártárescu langem Poem: Der Westen. Oder in Dinescus Versen: "Gegen Abend wenn die Barbaren aus dem Westen zurückkehren, rittlings auf Begriffen, als Abgesandte großer Salamifabriken..." Es ist Befreiung durch Ironie von der okzidentalen Kapital- Zivilisations- und Kulturmaschine, ja von der Institution des Wortes: die neue, andere Sicherheit liegt jenseits des Wortes; es ist eine Wiederaufnahme der antiliterarischen Haltung aus den achtziger Jahren nun in erlittener Reife: Ein ganzes Kapitel der Anthologie ist ihm gewidmet: "... denn nur was kein Gedicht ist, kann noch als Poesie bestehen..." Dazu Cartarescu: Wir haben große Literatur gemacht und begreifen jetzt, daß sie gerade deshalb nicht über die Schwelle kommt,/ weil sie groß ist, / zu groß, erstickend in ihrem Fett...."

Katastrophe der rumänischen Identität in posttotalitärer Zeit, Masken und Karneval des "Übergangs". Amphibienseelen und neue Mafioten. Ein levantinisches Chaos auch der Institutionen von der Kirche über die Presse bis zur Regierung und dem Parlament. Diese Rest-"Seele" ist alles andere als "schön". Sie ist nach all den Erfahrungen des Grauens vergiftet, gequält und verletzt, und als Motto dazu ließe sich das alte Liebes-Gebot völlig umkehren in: "Hasse deinen Nächsten wie dich selbst". Wut-Energien bis in die Liebesbeziehungen hinein: "Zwischen dir und mir ist eine Wand aus Eis", "Wo bist du Herr? Deine frigiden Evas/ irren durch den Herbstschlamm/ Quasseln auf der Schwelle zum Nichts." "Mein Fleisch, das mich verschlingt.// Abgrund und Schatten. Ja, Schneide. Beben." Schreibt Marta Petreu, die zur Generation achtzig gehört. Sie gehört ebenfalls zu den starken Frauen nach 1989. Gottesflüche: Oder Skepsis und Verzweiflung auch bei ihr: "Ich bin müde, müde bin ich letzte/ Kreatur der Schöpfung, letzte Utopie von Gott" ; "fürchte mich im Dunkeln vor dem morgigen Tag": Kein Wunder, "Draußen" erwartet die Patienten wie überall im Osten eine wilde und rohe Geld- und Ellenbogen-Gesellschaft, die man keine zivile nennen kann. Bei Dinescu heißt es längst: "Willkommen, Konsumgesellschaft,/ entjungfere auch du uns, nimm auch du uns/ von vorn, drechsle uns aus den Nierensteinen/ ein paar Glückswürfel. Ab heute reden wir/ den Arsch nicht mehr mit Genosse/ sondern mit Herr an". Oder: "Nimm und probier. Wir sind auf dem richtigen Weg: Auch in Deutschland gehen die Uhren verkehrt."

Auch von den ganz Jungen kommen scharfe Töne, und von den Frauen, wie wir sahen.

Krisen kündigen meist einen radikalen Umbruch an. Neue, diesmal unsichtbare Grenzen, nicht nur einen gewendeten Eisernen Vorhang. Neue Grenzöffnungen scheinen bevorzustehen. Die Generation 90, die Jüngsten, sehen nur noch den Untergang der alten Welt, der wir noch angehören: so bei Stefan Doru D?ncu?: "die ganze menschengattung ist ein schwarzes loch/ es wartet - jeder im zwischenraum der eigenen chromosomen - füll ihn aus - Herr." - "mein Engel starb an AIDS, Herr/ schick mir einen andern..." - "Schlaf in Frieden, Herr, niemand ist unversehrt geblieben".-

Ihr Lachen ist trocken, sarkastisch. Und doch kommt jetzt eine Art poesia metafisica. Das letzte Kapitel dieser Anthologie, "Grenzgänge und Totengespräche" ist nicht zufällig das längste. Es wird eine schwierige, fast unüberwindliche Grenze in Bewußtsein und Sprache erkennbar! Schon von Stánescu und der Avantgarde geahnt. So Gellu Naum: der an dieser Grenze die Toten sprechen läßt: "wir haben gänge zu euch geschaufelt unsre münder/ mit erde verschlossen/ geliebte ihr habt keine ahnung/ wir kommen in verbänden wir die einzigen die euch nicht/ vergessen haben ... " Mircea Eliades Nachfolger, Ioan Petre Culianu, gleichaltrig mit den Achtzigern, mit einigen von ihnen befreundet, spricht von Intertextualität extramundanen Reisen, Welten der Transzendenz und der Poesie: Nahtoderlebnisse und Bewußtseinserweiterung, Drogen, Parapsychologie, Neue Physik und Paraphysik, und der großen Literatur von Huxley bis Borges. Zeit, die Sprachgrenze zu überschreiten. Die Generation achtzig hat das erkannt. Welt ist Projektion, "die Sichtbarkeit der Seele ist der Körper", Durchdringung und Transparenz im Gedicht, besonders schön in Kapitel "Lacrimae rerum" der Anthologie. Diese Erkenntnis der Projektion war bei Stanescu da, sie ist erkennbar bei Ana Blandiana: "Alles ist zugleich ich selbst./Gebt mir ein Blatt, das mir nicht gleicht,/Helft mir ein Tief finden,/ Das nicht mit meiner Stimme klagt./Mein Schritt zerteilt die Erde, ich sehe/ Tote mit meinem Antlitz sich umarmen/ Und andre Tote zeugen./ Warum so viele Bindungen an diese Welt".

Die Achtziger, oft Rationalisten und westlich-antireligiös, haben sich jetzt diesem Grenzgang angenähert. Bedingung, daß die metaphysische Poesie nicht ärarisch, gar orthodox-kitschig wird, Rückfall in peinliche Vernebelung durch kirchlich-liturgische Formeln, wie bei vielen Rumänien heute im quälenden Vakuum einer Übergangsgesellschaft, ist das klare Bewußtsein einer großen Mutation, Entdeckungen der Neuen Physik und Biologie. Diese Lyrik kommt aus einer Zukunft, die noch aussteht.

Die Geschichte der Außenwelt ist okzidental, sie hat das Sagen, die Macht. Doch die langsame Umwandlung des Außen, heute bis zum Äußersten getrieben, schlägt um (Cyberspace, Quantenphysik als Wahrnehmungs-Modell einer grandiosen Immaterialisierung der Welt). Simultane Ebenen umgeben uns.

Die Antwort der Poeten: Gattungen werden wie die Wahrnehmungsgrenzen zum Zusammenfließen gebracht und vermischt; die Autoren äußern sich auf mehreren Ebenen. Ein neuer Stil, der Physik, dann die Traumata und Verletzungen der brutalen geschichtlichen Erfahrung, östliche Weisheit und die Wahrnehmung der Zukunft voraussetzt. Ein hochkonzentrierter alexandrinischer Gedichttyp enzyklopädischer Poesie ist entstanden. Einige der Achtziger schreiben Romane. Bei Cártárescu eine Art science-fiction, vor allem der neue Roman-Zyklus "Orbitor": ein Anschluß an Zukünftiges, an das, was Literatur einmal sein wird, bereitet sich vor - "virtuelles" Schreiben: eine Art Brückenbau in andere, in Zukunfts- und Transzendenz-Räume im Sinne des US- Romansciers Thomas Pynchon oder William Gibsons "Neuromancer". Was sich als "postmodern" im Westen oft als reines formales Affentheater aufspielt, ist bei den Rumänen eine Art erlittener "Hyperrealismus", jedoch urban und gereinigt von autochthonem Mief. Erst diese Generationen 80 und 90 versuchen durchzusetzen, was an der Zeit ist: eine Revolution des Subjekts (1989 hatte die gleichen Grundvoraussetzungen): alle Mauern, auch die der Wahrnehmung und der Sprache zu öffnen, zu durchstoßen, allein der Einzelne ist dazu fähig, da das sogenannte Wirkliche nichts ist, als der Zwang zu einem tödlichen kollektiven Alptraum.
 
 

Wie nicht anders zu erwarten (bei dieser Riesenaufgabe,) fehlen eine ganze Reihe wichtiger Lyriker in  meiner Anthologie; hier eine erste Fassung notweniger Ergänzungen, die ich als work in progress fortführen werde; sie kann und wird nie vollständig sein können, denn die rumänische Lyrik lebt und schreibt sich selber fort, immer neue Talente tauchen auf und zeugen vom Reichtum dieser Poesie:
 
 

ADDENDA CORRIGE (zu Gefährliche Serpentinen die fehlenden Lyriker)

ADDENDA CORRIGE
 
 

Mircea Tuglea (1974)

Bleib

Auch ich wollte ja ein gedicht schreiben wie

jeder langhaar-teenie über

die fleischeslust über frau tod

mit kupferfarbenem sex und rötlichem haar

als es sich auf die linke schulter setzte

ein schattengespenst von mensch und das schrie

laß es sein Mirciulica zum teufel mit der

frau tod die hat diese schwarzen brüste die

kotzt mich an hab euch über bis zur decke

zum himmel euch dichter vor allem die jungen

mit eurem gebrabbel komm

trinken wir doch lieber einen Likör.
 
 
 
 

OK du schattengespenst eines lesers

wir gehen in die pinte und fressen uns an

halt du nur ganz links: und wir steigen raus

aus diesem gedicht hier und was frau tod betrifft

wir sind doch noch jung, was

hat die mit uns; der teufel weiß es, sagt er,

und plötzlich da vor unsrer nase: eine

gußeiserne dame mit herab gezogenem schleier

übers gesicht ja weiß der teufel

ist doch die gattin mit dem bösen maul

wo treibst du dich herum fehlgeburt und abschaum

sagt sie anstatt zu hause zu sein sagt sie

und was dich betrifft, Mircea,

du bleibst!
 
 
 
 

Jason freundchen, werd dir sagen

true stories wie die nacht mit

menstrual geschmack sich jetzt

auf die stadt läßt geh duschen

reib spar nicht mit handtüchern

den körper so frisch streck ihn

aus mit grazie im bett und dann

liest du mich stell mich vor

im schatten der nachtslampe
 
 

Ileana Bâja

TRISTIA. ALLES WARTET
GESCHRIEBEN ZU SEIN DAMIT ES SEI

als wäre es getauft am rande

des weissen blattes

Tristia Tristia

deine nackten füsse

in diesem noch unangetasteten

schnee (Musik Musik

Musik)
 
 

alles ist aus papier sagte ich

und alles aber auch wirklich

alles

wartet darauf geschrieben

zu sein

damit es sei

sogar der tod

sogar er.
 
 
 
 

Aura Christi (1967)

NUR DU, BESTIE... (Numai tu, bestie)

Nur du meine tiefste Bestie

berührst die Fernen und saugst

den wildesten Nektar

Aus schmerzlicher Kälte.
 
 

Nur du Himmel angespannt

Der die Frühe umfaßt legst

ihn Tag für Tag neben mich nieder.
 
 

Meine Einsamkeit zerfällt so zu Asche und Staub!

War sie in mir oder war sie nun außer mir?

Ich weiß es nicht mehr!
 
 

Wo war dieses Leben als ich es noch suchte im Gedicht

Im Buch ... und weiß von der Angst meiner Hände

Daß du nicht mehr neben mir liegst. Und weiß

Von der Angst meines Blutes dich nie mehr zu sehn.

Ich weiß wie wir dem Irrsinn verfielen und

Niemand niemand niemand uns aufhalten konnte
 
 

Doch wir sahen uns an. Nur wir sahen uns wirklich

Und zwischen uns zweien gabs nur eine gemeinsame Haut

Und teilten die Hände die Augen Brauen und Ringe

Vermischten uns nahmen uns verwechselten uns ganz

Wie es bei Vögeln geschieht die nicht unterscheiden

Den Flug vom Fall teilten wir den Schlaf und die längst

vergangenen Jahrhunderte und alle kommenden schon.

Die Umgebung um uns war so irr und verworren

Doch wir beide schwebten von Anfang an schon

In einem tief in uns vergrabenen Himmel, Geliebter!!!
 
 

Cristian Popescu (1959-1995)

Aus: Die familie Popescu

dana popescu

Dieses poem über meine schwester dana ist das einzige abwesende poem

* Es mögen viele popescus auf dieser welt sein doch noch viel mehr popescus gab es und wird es auf der anderen welt geben. dort und nur dort wird sich mein buch des wahren erfolgs erfreuen. schön große und gutgewachsen verehrerinnen rinzen sich mir im traum zu. zur großmutter kommen alle engel mit zerfetzten flügeln und sie reißt sich je ein weißes und langes haar aus (es reicht bis zur erde) um die engelflügel zu flicken. Alle tanten dort oben bringen mein gesicht aus reinstem porzellan ein nippesbaby mit hoher stirn zur welt und legen es aufs nachtskästchen meiner irdischen verehrerinnen allhier. Und alle warten auf mich. Machen mir mut. Wagen Prognosen. Und wetten.
 
 

Ioan Es. Pop (1958)

Aus: Die Stadt

Die gesetze der stadt besagen daß die vergangenheit ständig verbrannt werden muß dieses jedoch nicht etwa um die zukunft zu vergrößern sondern sie auf das maß des alltags zu begrenzen. Zuviel an zukunft nützt nur übertriebene erwartungen die schließlich zu uneingeschränktem lebensfieber führt. zukunft jedoch einzusperren heißt den tod und die angst auf ein erträgliches maß zu reduzieren: leben auf kleiner flamme heißt zugleich den tod zu halbieren.


Minerva Chira

ICH GEHE (Pasesc)

Ich folge den spuren

Eines schwarzen fußes

Als nichtblinde

Dem schlaflosen NEIN

Das sich einem abgrund

An die brust wirft

Unstumm

Wiederhallt der name

Auf der zunge der verurteilten

Untaub
 
 

ELTERN (Parinti)

Die mauern schreien wege

Die erde setzt sich

Die treppen geben konturen

Der morgendämmerung

Die erde setzt sich

Das geicht ist die Karte

Der stadt new york

Im jahre 7000

Die erde hat sich nicht gesetzt

(dieter schlesak)


Paul Daian (1954)

ZYANKALI MAUERN*

(Fragment)
 
 

der fünfte tag des tages

Tätowiertes blut zeichen: entfremdung. ich

kann mein gesicht nicht mehr von der wand lösen. ge-

schwärzter spiegel. kälte. kosmischer marsch des hirns.

kupfersieg geschwärzt grüßt das weiße jod. kadaver

von einem raum in den andern. tür die klemme (stazá). ich

schreibe und atme. die kranke kriecht auf allen vieren

ihr brennt der rücken in der zeit in der sie das kalte

getränk schlürft. sie verfault unter meinen sohlen

und schreit, steigt wie auf eine waffe hoch. ich aber

steh weit weg in den letzten morgen des tages.
 
 

* Daian ist Patient (schizophren). Arbeitete in der Morgue von Bukarest.
 
 
 
 

Constantin Severin (1952)

Mauer und das Neutrino

"Im Wahn werden wir

wieder in die Natur eingehn"

Mihai Eminescu
 
  6 oh frau sogar der tod

hat ein gedächtnis der runden formen

im rausch des fernrohrs

kappt das meer den grünen wahnsinn

der astronomen
 
 

der wind epidermis der angst

und maximale gewächse der Einsamkleiten

das leben ist nichts als chirurgie

am auge eines helden

und auf der straße beobachten die blinden

psycho analytische oberflächen der dinge
 
 

20

alter du hast deine finger

vergessen in einem stein

seinem schatten

ihre spitzen berühren

seerosen sterne

auf der feurigen straße

die melancholische zunge

eines feurzeugs
 
 

24

mir waren gegeben zu hören

gegeben zu sehen

eklipsen

zwischen der musik

und dem grenzen losen auge

der blinden

too young i died

for he blindness

of life
 
 

45

geliebte verwende

die krone des baumes

als königliche krone

wahnsinn des frühjahrs

frühjahr die königin

die jugend ein veilchen

mit leuchtenden

nerven
 
 

46

das licht ist die maske sämtlicher toten
 
 

George Vulturescu (1951)

Traktat über das Blinde Auge

IV (psalm)

Bis Dein auge mich erreicht

Durchdringt es alle wirbel der welt

Und zögert manchmal

Verspätet sich zwischen gräsern

Und bäumen zerfleddert

Zwischen felsentrümmern

Oder setzt sich

Verwundet stammelnd

in die nester der vögel

Du blickst mich nicht an Blindes Auge

Du bedeckst mich
 
 

Das agonische schreiben

XII.

Johannes:

Ich sah in einem zimmer der stadt

eine nackte frau. Sie hatte vor sich

ein leeres glas. Sie starrte es stundenlang an

wie einen in tausend stücke

zersplitterten spiegel sie konnte

ihr bild daraus nicht mehr befreien ...

Joachim:

Du kannst dich nicht verstellen: aus den reflexen

Des spiegels befreist du dich niemals schwimmend

Du befreist dich nur durch einen tödlichen sprung

Wie delphine auf dem trocknen

Und du bist jetzt am ufer des agonischen poems:

Du wirst ihm begegnen ... sehr bald ...
 
 
 
 
 
 

Gheorghe Mocuta (1953)

Warnung: la vie est brève

Ich weiß nicht wie die anderen sind

ich jedoch

wenn ich mich vor meine

schreibmaschine setze

macht mein herz

vor freude einen satz

und die hand zuckt seufzt dehnt

sich dem fell-idenen körper der geliebten

entgegen dem vor geschriebenen leben mit

velinenem geschmack

das leben ist schön und es lohnt

sich Es zu leben

wer trinkt vergeudet es

das leben ist wichtig

verdient es in reinschrift

zu erscheinen und alle wollen

ein fetzchen davon und

Es lohnt sich es ...

(la vie est brève

un peu de rêve

un peu d´ amour

et puis bonjour)
 
 
 
 
 
 

Petru Iliesu (1951)

Rumänien. Post scriptum

Rumänien, sieh hier einen Traum, der mich verfolgt:

Es geschah, daß ich nachts auf die Straße ging und nichts wiedererkannte, was ich sah

'drückende Hitze und schneidende Kälte',

'Feuer und Schwefel und sengend heißer Wind', standen in die Mauern geritzt

während die Reliquien der Heiligen in der Luft schwebten

die Augen bedeckt, gekrümmt, stöhnend, abgewandt
 
 

Es geschah, daß ich, von Hunger und Durst ausgezehrt,

die Hand ausstreckte

doch zwischen meinen Fingern

zerrann der rote Staub der Gemäuer wie in einer Sanduhr, und mir entglitten

die langen blutigen Seidentücher einer Generation

die erblindet ist, Rumänien,

für Volk und Vaterland,

Haß ausübend, Rumänien, Haß verkörpert als Element der kosmischen Harmonie,

unter den Fußsohlen 'unser tägliches Brot' zermalmend;

zermahlenes Glas, Glut und Bruchstücke rotglühenden Eisens, Rumänien

Haufen schuldiger Blätter tanzen kreiselnd auf den Straßen

heften sich klebrig an die Lippen

und deine zerfransten Flaggen schlängeln sich einem schmeichelnd um die Schenkel
 
 

Es geschah, daß ein markerschütternder Schrei und ein Glockenschlag

den Spiegel zersplittern ließen, Rumänien,

denn ich versuchte, Rumänien, mit dem Spiegel

den giftigen Atem des Teufels abzuwehren

der durch die Chromosomen der Nation geistert

und der nichts anderes ist als das Glucksen von Legionen von Advokaten, Zöllnern und

Polizisten, die an deinen Wurzeln nagen, Rumänien

denn ich versuche, mit dem Spiegel, der mit den Exkrementen der Gesetze beschmiert ist

die endlosen Gerichtskorridore abzuwehren

( auf deren Ruinen die neuen Regierungsviertel entstehen

- eine postrevolutionäre Kopie Ceau?istischer Grandeur, Rumänien

- die nostalgische Versammlung leidenschaftlicher Verbrennungsabfälle die uns zum Halse rauskommt

- die Umstülpung der Speiseröhre

- ein von Geschwüren zerfressener Magen der die letzte Intimität des

'politischen Menschen' antastet, Rumänien )

Also - damals - in dem Spiegel nämlich - sah ich

Stapel von Büchern einstürzen

unter der Moral idealistischer Dummheit:

als ob Poesie etwas im kümmerlichen Bewußtsein des Lesers verändern könne...

Und ich sah den Leser verrecken

und die Kadaver von Lesern

Epochen einbalsamierend

erstochen wie Lämmer, in den Bauch, Rumänien
 
 

Und ich sah den Sprößling des DEMOS

wie er linkisch in die Zirkustrompete blies, und neben ihm sah ich das Gebet der Poesie

welches das Gebet des Wortes ist wie auch das Gebet der Essenz unseres Blutes

Rumänien

Und ich sah, daß DEMOS die Poesie nicht braucht

Und darum sagte ich:

DEMOS ist eine Pumpe die dem Zweck dient die Därme deiner neuen Regierung zu füllen in der 'niemand über dem Gesetz steht',

Rumänien,

- Siehe da die Logik von der Immunität der Parlamentarier

siehe ein neues Handwerk rentabel und geschützt

das der Demokratie alle schmutzigen Spuren verwischt
 
 

DEMOS ist ein Rülpser der Demografie der den Planeten mit menschlichen Würmern überschwemmt

DEMOS ist der Spiegel für die fehlende Weisheit des Poeten

es seift die Schlinge ein für die letzten überlebenden hellen Geister der Sintflut öffentlicher Frechheit

Rumänien!

- dein politisches Gequatsche raubt uns den Augenblick den du nicht gegeben hast!

- dein stolzer, kostbarer Blick stinkt nach einer wohlbekannten Krankheit...

- gieriges Schmatzen in den Kiefern der 'besseren Leute' vergällt uns den Schlaf!

Rumänien,

auf Schritt und Tritt stößt du auf einen Zöllner der dir seine Zähne in die

Halsschlagader bohrt

man hört unter deinem Kopfkissen das höllische Ticken der Maschinen der Angst

das Wiehern Ceau?istischer Phantome, Kleiderrascheln, das Hin- und Her der Schmugglerführer

den Markt der Gauner der sich über die Städte ausbreitet wie Lepra

die Ballade kollektiver Dummheit und einen Kanon von Aggressivität

der das öffentliche Chaos beschützt und erhält
 
 

Rumänien

Du solltest die GmbHs der Rechte sehen, die an allen Ecken fett erblühen

dann würdest du verstehen, wie man mit ein wenig Geld

einen 30-jährigen Prozeß veranstalten kann der ganze Generationen in Atem hält
 
 

Du solltest auch die GmbHs der medizinischen Fakultäten sehen, die an den Ecken des Dollars erblühen

dann würdest du verstehen, wie man mit dem richtigen Geld

von Examen zu Examen bis hinauf ins Instrumenten-Exportlabor klimmen kann
 
 

Du solltest die GmbHs der Universitäten der Neuen Epoche sehen, die an den

Ecken der Peripherie erblühen

du würdest dann verstehen, wie man mit nur etwas mehr Geld

aus einem einfachen Funktionär mindestens einen Doctor Honoris Causa machen kann

Und dann solltest du die GmbHs der GmbHs sehen, die an den Ecken der Finanzbehörden erblühen

du würdest verstehen, wie man mit einer Menge Geld

eine ganze Stadt haben kann, die auf den Bauwerken ihrer Administration ruht

auf Gebäuden die sich über den Gemeindeämtern erheben neben denen die Gebäude der Landtagsämter thronen über den Gebäuden die auf dem Parlament errichtet sind welche fußen auf den Gebäuden der sozialen Einrichtungen

auf dem Privatkabinett des Präsidenten

über dem gebrauchten Portrait des Königs

sowie Gebäude über dem Dampfbad in dem sich der Palast der Massenmedien befindet der wiederum gebaut ist auf dem Keller mit der Staatsreserve die sich über den Altersheimen erhebt welche auf der Vakuumpumpe stehen

die unser Blut durch die Heizungsrohre preßt
 
 

Oh welche Errektion!!!
 
 

Bei jedem Schritt triffst du auf den Ameiseneifer der gekauften Intellektuellen und auf das Klingeln des Silbers in den Westentaschen derer die dich verkauft haben, Gramm für Gramm,

Rumänien

von einer Hand zur andern und zurück, Rumänien

und zurück, von einer Hand zur andern
 
 

Die Kasinos und die Universitäten der Außenbezirke und die neue HighSociety

werden zu dieser Stunde voller Ungeduld erwartet: von Taschenspielern

vom Klappern hölzerner Zungen und von

sich häutenden stinkenden doppelkinnigen

Leitern eines Ausgezeichneten Kollektivs

und Vollendern der Geschichte,

Rumänien,

deine ganze Geschichte steht im Zeichen von Coca-Cola-Vierteln

und virtuosen Bissen aus einem winzigen Hamburger

- Slalom durch die ungezählten Träume der Demokratie,

durch Reklame für Ausflüsse

und Waschpulver des endlosen Imperiums kafkaesker Vertretungen deren Türen dir immer alle offen stehen
 
 

Rumänien,

die Dämonen deiner Verwaltung beißen sich in den Schwanz

wie Schlangen -

ihre Eier der Unsterblichkeit sammeln kosmische Energie

und spritzen diese in die Schwarzen Löcher des nationalen Universums

dort wo die Generationen der Aufopferung enden

und unsere Existenz Sinn erhält
 
 

Deine Prozessionen der Totengräber die von allen Zäunen grinsen

eingedickt im Butterfaß der Geschichte zu einer wohlbekannten

Freudian'schen Kompensation, Rumänien

blödes Lachen vor Fotoapparaten

endloses Händeschütteln vor Kameras

ein grotesker Tanz

- Anzug und Krawatte - Zeremonie der Uniformen und die Erscheinung Portraits tragender Rumänien,

in deinem Namen: 'Mit guten Taten wie im Bösen: Mein Land!'

Rumänien, deine Gabe riecht nach ewigem Versprechen

Rumänien, vielleicht bist du das Nirwana

wir wissen ja, daß es das Nirwana gibt

als Monopol der vaterländischen Geographie

und dann habe ich gesagt:
 
 

Und dann habe ich gesagt:
 
 

Von euch ist die Rede in dieser Stunde der Dichtung in deren Angesicht ihr nie mehr sein werdet als doppelkinnige Scheißer die uns armen Schreiberlingen in den Taschen schnüffeln,

Herren Halsabschneider

ein Steuerpult welches uns steuert, uns rekrutiert

um uns in der Nationalflagge begraben zu können

letztere - ein Stoff für Bermudas, ein Beilstiel oder telegener Menstruationstampon
 
 

Und dann habe ich gesagt:

Ich habe gesehen daß die Erde euch gehört, Herren Halsabschneider

DEMOS gehört euch und selbst das miserable Restchen Zukunft

und auch die letze Seite die noch geschrieben werden muß ehe die ganze Welt zu einem immensen Bildschirm wird in dessen Schatten wir uns im Schlamm verbuddelt haben um anonym am Rande der Geschichte zu vergehen
 
 

Und dann habe ich noch gesagt:

Vor wem schützt du dich eigentlich, Rumänien mit Angriffshubschraubern, ultraintelligenten Radargeräten und den subtilen Kommandos der kleinen fliegenden Dämonen?
 
 

Und weiter habe ich gesagt:

Auf deinem Schädel roden die kleinen grünen Raupen der Armee und die fetten

Kommissionen des Patriotismus

Auf deinem eingezogenen Bauch schneidet die vergessene liberale Schnalle ins Fleisch

Unter deinen ungewaschenen Achselhöhlen wuchern die Domänen der Sozialdemokratie

Auf deinem gekrümmten Rücken erstreckt sich die Krätze-Ernte der RechtenLinken

Auf deiner in allen Farben tätowierten Brust häutet sich die LinkeRechte

Deine gerissenen Sohlen triefen vom Eiter der städtischen Bauern die aufblühen wie kleine feuerrote Fäustchen

Aus deinem Hintern strömen wellenschlagend die stinkenden Fronten der Kakerlaken sich dick und fett in demokratische Windeln ergießend

Hinterm Nacken hegst du ganze Zuchtfarmen der Brüder im schwarzen Frack

von Abzeichen - und Signaltonsammlern

und elitären Kolonien glorreicher Untertanen mit Schaum vor dem Mund

An deinem Handgelenk schaukelt das Gold der professionellen Gewerkschaften

zwanzigtausend Sohlenabtreter für die Menschenrechte
 
 

Die UFOs der NSOs der Seiltänzer

und die bodenlosen Weinkrüge

aus denen die zarte Seele unserer Vorfahren tropft
 
 

während ein Schritt gelingt und ein anderer

ausgleitet den müden revolutionären Furz auslösend

mit dem uns Europa

die Nasenlöcher verstopft
 
 

während dein Sozialvertrag

nichts anderes bedeutet als

Beitrag beim Dokter, Kontribution bei der Polizei, Côte de Honore beim Advokaten, Interessenzahlung beim Beamten im öffentlichen Dienst

und 'Steuerbeitrag' auf die Türme des Stadtarchitekten
 
 

Rumänien, ein neuer Sieg!

Eine neue Diktatur der Opfer.

Ein Frieden!

Noch ein Frieden!

Ein ... neuer Frieden!
 
 

Rumänien, DU BIST FREI!

kannst rufen: Bürger, Eigentum des Staates du bist

FREI, GESCHÜTZT, VERSICHERT und RESPEKTIERT

( - eine neue WC-Papierreklame

- strahlende Zahnprotesen für Politiker und Ehegatten

- Schalmeienklang mit dem man in den Talkshows die Ohren kitzelt ...)

Bürger: LIEBE ZUM VATERLAND, AUFOPFERUNG, AHNENFOLGE und RUF DER GESCHICHTE

Bürger, Du hast sieben Leben für das Vaterland

und DANACH siebenundsiebzig für dich selbst
 
 

Bürger, dir versagen die Nerven, sei stark!

Sei effizient, Bürger!

Sei nützlich, Bürger!

Sei fröhlich, Bürger!

Sei bereit, Bürger!

Sei einsichtig, Bürger!
 
 

VERRECKE, ZUM TEUFEL, beizeiten, BÜRGER!
 
 

Rumänien, hier ein Fragment der jüngsten Parlamentsdebatten

Rumänien, hier ein neues Fragment der jüngsten Parlamentsdebatten

´Jede Ideologie ist relativ; absolut ist nur das Leid, das Menschen u.a. einander zufügen.'

Oh Rumänien, wehe den Entkommenen!
 
 

Rumänien, hier ein Traum der mich verfolgt:

Es geschah daß ich nachts auf die Straße ging und nicht wiedererkannte was

ich sah

- um mich herum wurde es finster, pfeifender Wind zerstreute eine bleiche Wolke Sterne, in der Ferne kreuzten sich galaktische Bahnen

- im Schein ihres phosphoreszierenden Flimmerns

bei Nebel und ätzenden Geräuschen

sah ich wie die überlangen schmalen Schatten einer langen Reihe Blinder

ineinander verschlungen

auf die Milchstraße zutrieben

jenseits meines Gesichtsfeldes

jenseits des Randes der Welt

Vom Ende bis zum Beginn

Von Beginn an bis zum Ende
 
 

Einer aber mit einer einzigen Hand blies in ein geborstenes Horn

ein anderer in eine zerbrochene Flöte

einer mit einer einzigen Hand läutete die Glocken

ein anderer aber schlug eine riesige Trommel

einer mit einer einzigen Hand zog die Harmonika

ein anderer strich mit der Wange über eine Geige

einer mit einer einzigen Hand schleppte

hinter sich eine Zymbel her

ein anderer aber die Haut eines Esels

die mit Wasser gefüllt war

sie stöhnte

greinte

miaute

pfiff

und

zischte zwischen den Zähnen

auf denen ich, Allmächtiger Gott,

die Spur meines Kusses entdeckte
 
 

- Darauf folgte ein schreckliches Blitzen und dann ein Erwachen

- Und darauf nichts, nur

siehe ...

... wahrhaftig ein lächerlicher Traum

Rumänien, es war als ob ich der Erzengel Exterminator wäre und das Schicksal sei daß die Erinnerung an deine Taten in Worte brennt ...
 
 

Rumänien, es geschah daß ich eine Art Epilog schreiben mußte

während mein Gaumen klebte meine Lippen trocken waren meine Augen trüb und mir der Kopf dröhnte

während mir der morgige Tag durch den Kopf kreiselt wie eine eiserne Kugel voll und schwer

während mein Kopf zwischen den Schultern kreiselt wie eine eiserne Kugel trunken benommen

während die Welt mit uns durch die Zeiten kreiselt wie eine eiserne Kugel rostig schlecht
 
 

Rumänien, es geschah daß ich eine Art Epilog schreiben mußte

während mein Gaumen klebte meine Lippen trocken waren meine Augen trüb und mir der Kopf dröhnte

Rumänien, es geschah daß ich mich danach sehnte ein Vater Unser zu sagen und dieses Vater Unser klang etwa so:

Vater Unser der du bist im Himmel

im Wasser

in der Luft

und also auch

auf der Erde
 
 

Durch die Heiligkeit deines Namens:

erwecke unser Auge das dich sucht
 
 

Dein Reich sei in uns

wie auch dein sanfter Wille zum Guten
 
 

Gib uns heute die Kraft

uns zu nähren mit dem tag-täglichen Brot deines Körpers
 
 

Hilf uns uns selbst unsere Sünden zu vergeben

wie auch unsere unruhigen Ängste vor unseren Schuldigern
 
 

Hilf uns Erlösung zu erfahren

indem wir Frieden schließen mit uns selbst
 
 

Ohne welches die Wirrnis des Bösen herrscht

Gieße über uns aus die Kraft zuzugeben
 
 

Schenke uns deine Vergebung

Wie auch unseren Schuldigern
 
 

Denn dein Reich ist für uns da

deine Herrlichkeit zu unserem Verständnis

deine Allmacht aber

um unsere Ohnmacht auf die Probe zu stellen

die dann

Stärke

sein wird ...
 
 

in Ewigkeit ...

Amen.

Rumänien, es geschah daß ich mich danach sehnte zu sagen ... Unser Vater.

(1999)


Übersetzung aus dem Rumänischen: Patricia Paufler





George Grigurcu (1944)

Ein blinder Tag

eine verwundete Woche

ein hinkender Monat

ein taubstummes Jahr
 
 

vergeblich schrie ich ihm ins Ohr

Sätze in seiner eigenen Sprache

die ich/ der Letzte

kaum lernte!
 
 
 
 
 
 

Marin Mincu (*1944)
 
 

LIEBESGEDICHTE
 
 

Aus: Über die Zerbrechlichkeit des Lebens (Despre fragilitatea vietii)
 
 

MÜDIGKEIT

Wie müde ist

Die Erde in mir Mutter

Du zerreißt mir das Herz

Damit ich erwache

Wenn ich dabei bin

einzuschlafen
 
 

Auf einer Grenz

Furche den Kopf

So schlafe

Ich wie ein Stein

Entschlafe

Wie ein Vogel

Und schlafe

Wie ein Bär

Im Winter

Wenn du mich rufst

Winde ich mich stumm

Aus den Fängen des Schlafes
 
 

Wie müde ist

Die Erde in mir Mutter
 
 
 
 

Aus: die storchenjäger (vânãtorii de berze)

 1

eine gleichgültige sonne liegt

flüssig über der Materie

und es regnet befruchtend mit eiern

wortschwellennah

bläst die faulige luft

vogelnester auf bis sie platzen

verspritzt die eier

auf den boden fett von rotem kaviar

eiergestank heimlicher gedanken

seit neun monaten

regnet es immerfort

eier
 
 

2

los kommt doch zur storchenjagd

hört diese vereinzelte stimme

sie verderben uns das gras der dächer

verstopfen uns den rauchfang mit reisig

scheißen ohne scham

und furcht

ins innere der häuser

ihre flaumen schneien ins bettzeug

erdrücken den hechelnden atem

kitzeln unsere nasenlöcher

ersticken mann und frau

spionieren uns nach beim kindermachen
 
 

Aus: beute des realen (prada realului)

 11

hinter der schreibmaschine

ist sie zurückgeblieben die spur

ein fingerabdruck

auf dem revolverabzug

nichts bleibt außer

dem wortwind

wind

...ind

d
 
 

 Aus:nachmittag in einem hotelzimmer

(Un pomeriggio in una stanza d´albergo)

für Stefania

 1. Wie immer
 
 

ich bin in diesem fremden zimmer mit dir

du bist 2000 kilometer weit entfernt

ich versteh nicht was geschehen ist

warum ich jetzt plötzlich erwacht bin

du warst doch da und wir sprachen

wie immer über wichtige dinge

und was sich so einreiht in den redefaden

(jenen den ich schreibe und den ich lebe)

dich gibt es wenn ich zu dir spreche

und ich wende mich um damit ich dich sehe

wo bist du warum hast du das zimmer verlassen

sicher gibt es dich noch/ irgendwo

am rand meiner wörter in ihrer umgebung

ich glaube nicht daß du

zu weit weg gegangen bist die luft vibriert noch

und dein körperabdruck im kissen

ist ein tiefes nest ich strecke die hand aus

das linnen ist heiß vor präsenz

und verbrennt mich

vielleicht hat dich der italienische straßenkrach

hörbar von der terrasse her/ vertrieben
 
 

4. reif

 was tust du warum verspätest du dich

jetzt in diesem innenraum

ich weiß nicht ob es tag ist oder nacht

ich warte auf dich

daß du endlich kommst ich

liege ausgestreckt da und rühre mich nicht

um die von dir

geatmete luft

nicht zu verderben

und tauche in dies dunkel ein

das süß ist wie ein mutterleib

wie gut und wieviel

leinenfrische atmet hier kühl das

rascheln jungfräulicher

blätter ein weiß des

ungeschriebenen buches

und ich lasse mich fallen

ins geheimnis des völlig gelöstseins

(nein wir dürfen uns im gedicht

nie überfluten lassen von gefühlen)

und ich konzentriere mich auf den rembrandtnebel

auf meinem gesicht

und liege unbeweglich da

das innere feuer im dritten auge

gerichtet auf das überraschende geräusch

deiner schritte/ im reif des Erinnerns

und warte daß die mauer unseres vergessen

die jetzt

wuchs zwischen uns

einreißt
 
 

7. umriß

meine liebe

du bist wirklich anwesend

der duft deines zerbrechlichen wesens

bleibt in diesem hotelzimmer

und auf der terrasse von wo du die landschaft betrachtest

mit soviel zärtlichkeit und mit der zärtlichkeit meiner

worte ganz süß und ausgebreitet

auf einer träumenden luft

im trägen

umriß eines

schläf-

rigen

dis

kurs

Es
 
 

 Aus: die kälte kommt! (vine frigul!)

  für Ion Gheorge

"woher kommst du denn eisscholle und

was willst du denn von mir?"
 
 

2. mich hat das gefühl für wärme

verlassen so wie dich das gefühl für frauen verläßt

es ist mir ganz unmöglich mich daran zu gewöhnen:

es drängt sich heiß an mich

dringt ein in meine rechte hüfte schmiegt sich dort ein

dringt ein ins böse fleisch das es nicht will

zerrt an den fußknöcheln unsanft und

kitzelt mich/ doch bin nicht ich es der hier lacht ich versteh nicht

warum es lacht ich bin jetzt weit von mir entfernt

und beobachte nun die distanz

ein warmer leib ach gott wie warm er ist

ja wäre er nicht so warm

dann würde ich dies eis das mich verliebt umfängt

nicht fühlen weils mich umgibt mit soviel zärtlichkeit
 
 

6. eishauch dein atem wenn du küssend meine lippe beißt

ich fühle wie sich deine zähne bohren in mein fleisch

wie sideral der riß im fleisch

ach reißend dieser spalt in meinem fleisch

und das intakte hymen das vom drang des blutes reißt

im sog einer lunaren flut

und dies papier der jungfräulichkeit

nun im papierkorb landet:
 
 

du wurdest besucht vom goldregen

der die göttervergewaltigung gar segnet

neckend nackte idee in sich zu ruhn

in sich das letzte

selbst des selbst zu tun
 
 

Aus: die gymnastische übung (probã de gimnasticã)

 ein immerwährender zustand

  für Lucian Blaga
 
 

marin mincu ist im wartestand

ein aufgerissenes auge demoliert voll wut

die chemische struktur der gegenstände

befreit die elemente endlich wieder
 
 

zwischen voll und leer

der sogenannten interstitiellen falten

faßt seine hand nun frisch hindurch

ein raucheichhörnchen zwischen seine zweige
 
 

zwischen den ästen des realen hier im überfluß

die sperlingin dann blätter und die wörter

so ausgetobt rãsfãts dezmãts geaalte uniforme formen

gestolzte praxis hoher semnifikanten
 
 

die sprache der poesie entdecken die hand

entsichert an dem abzug deiner schreibmaschine

um zu erschießen deinen langerwarteten vers

den einzigen der dir noch wehtat
 
 

marin mincu sitzt da vorgeneigt

zwischen den formen des zustandes "real"

und dem bösesten malignen zustand

und den heilt kein spital.
 
 
 
 

 Aus: Ich träumte daß ich träumte ein engel zu sein

(Am visat cã visez cã sunt un înger)
 
 

solange sie lebte konnte ich keine andere frau wirklich lieben

es war wie eine nabelschnur zwischen uns so abstrakt wie rein

unzugänglich jeder profanierung des gefühls sie erwartete mich

voller spannung zu hause umarmte mich voller ängstlichkeit

indem sie mir in die augen sah konnte sie in mir lesen bis

in die perfidesten falten meines ich und dann war ein leuchten

um ihre gestalt und eine tiefe erotische ausstrahlung umgab sie

wenn sie schwanger war und sofort lud sich mein wesen neu auf

mit hemmungsloser vitalität und ich beruhigte mich entspannte

meine nerven atemlos vor freude und güte
 
 

(aus dem italienischen und rumänischen von dieter schlesak)
 
 
 
 

Zur Lyrik Marin Mincus Marin Mincus Werk nimmt eine Sonderstellung in der rumänischen Lyrik und Essayistik ein:

Man könnte Mincu auch einen "Zwischenschaftler" nennen, er hat lange Jahre in Italien gelebt, war Professor an der Uni in Florenz, und hat die italienische Semiotik, deren bekanntester Vertreter Umberto Eco ist, mit entwickelt. Wissenschaftlich-linguistische Erfahrungen, aber auch sein Leben zwischen Ost und West haben sein Werk geprägt. Seine Sprach- und Literaturforschungen, Gedichte und seine Prosa, zuletzt ein fiktives "Tagebuch Draculas" und eines von Ovid sind in Italien und Rumänien erschienen.

Eine erstaunliche Symbiose zwischen westlicher Wissenschaft und östlich-rumänischer Natur des Elementaren und Vegetalen zeichnet diese Lyrk aus, und diese abgründige Spannung rührt an den Nerv unserer Zeit, ergibt einen apokayptischen Ton, da auf diese Weise die aus den Fugen geratene Welt unserer Zivilsation nochmals zutiefst und schmerzlich messbar geworden ist. Im Zentrum der Gedichte steht das lyrische Ich in einer Krisensituation, spiegelt aber auch eine Selbstreferenz, in der sich die Sprache über das "unglückliche Bewußsein" selbst spiegelt, und im Verschwinden des Ich durch Formstrenge heilt.

Doch es ist keine experimentelle Lyrik, obwohl Mincu sich als "Textproduzent" und "Textualist" sieht, im Gegenteil, Mincu gelingt das Kunststück, seine Tiefenstrukturen im Alltäglichen zu finden, im Realen, dem er zugleich den Sinn und das Geheimnis wiedergibt.

Ein Hauch des absoluten Gedichts und seiner Form geht durch diese Verse; das Thema Liebe verbindet am besten Alltag und (Sprach-)Transzendenz in einer poetischen Synthese; je ein Gedicht aus seinen bisher wichtigsten lyrischen Werken wurde hier ausgewählt, und alle bezeugen, daß die "Hirnsyntax" semiotischer Prozesse als Hintergrundbewegung dieser Verse zum Eros des Einen führen, daß auch "semiotische" (also Zeichen-) Kunst nichts anderes als eine "Sublimierung des Eros" ist.

DS
 
 

Marin Mincu, geboren 1944, Universitätsprofessor, Autor und Literaturforscher, Semiologe.

Zuletzt erschienener Gedichtband "Am visat cã visez cã sunt înger" (Ich träumte, daß ich träumte ein Engel zu sein), 1998. Und eine große Anthologie "Poezia românã actualã," 3 Bände 1998, 1999. "Avangara literarã româneascã" 2 Bände, 1999. Einenen Sammelband eigener Lyrik "Vine frigul!" (Der Frost kommt!), 2000
 
 
 
 

?erban Foar?ã

Envoyé

Stehn die schuhe in den stelagen

Auf dem besternten grund

Verpackt ist die verpackung

In einer andern verpackung verpackt
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

Cezar Ivãnescu (1941)
 
 

Als sie mich gebar, meine mutter,

auf einem tisch, ausgestreckt, schrecklich

litt sie;

doch auf einem andern tisch

lag meine mutter, der tod*,

nackt, ausgestreckt, lächelnd,

so schön war meine mutter, der tod.

sie lächelte, weil

ich, ihr kind zur welt kam,

ohne dass sie litt!

 rum. moartea= weibl.
 
 

Miron Chiropol (1936?)

Der bräutigam

rein bin ich wie der winter doch grün

strahle ich aus dem brunnen tief und rinne

so über dein gesicht es trinkt mich aus dein mund

der dir die augen schließt.
 
 

du weißt es nicht doch ich umarme dich

wie eine sonne steh ich fallend schon am mittagshimmel

die dich umarmt.

und so umarmt dich auch der ferne wald

mit den vertrauensfesseln und dem gebleichten wind.

und blätter kleiden dich in neue kleider

die fester sind als alle leiber und der samen

flüsterndes wort im ohr/ hörst du

die liebe der eiche sie vertritt die namenlosen

des waldes bäume stehen wie kinder der wald

mit seiner quellenseele.

überall in seiner lichtung sind

die starklebendigen wesen schmerzender nacktheit.
 
 
 
 

Dan Constantinescu (1929)

Anders

jeder laut baut bögen

jeder schritt läßt brunnen rinnen

jeder fernblick schließt das blickfeld
 
 

jedes wort es

kommt dann geht es

ferne
 
 

jede hand schreibt silben

auf

jede stirn

berührt der windhauch

ein immer jede

träne taucht.
 
 
 
 

Nacht

Flamme nur flamme.

In der morgenröte singt

eine handvoll asche.
 
 

A.E. Baconsky (1925-1977)
 
 

Hallelujah

Herr des traumes, das blut

hat kein gift mehr – die guillotine

köpft kadaver

ein NEIN vielleicht ein NEIN

wäre noch zu sagen

in dieser leeren kirche

hier wo un-unterbrochen

ein tonband predigt
 
 
 
 

Wer ohren hat zu hören …

Es war mein wille: zu brennen mich zu erheben zu lieben zu zerstören

es war mein wille: zu weinen zu kämpfen zu töten –

gibt es vielleicht ein land eine zeit ein anderes ufer?…

eine mauer ist überall eine mauer.

Wenn ich gehe hinterlasse ich als erbe

Eine lange spur von blut von schlacke von rauch –

Die wenigen die mich erreichen wreden

Tragen schon heute mein brandmal.
 
 

Vergiftet euer fleisch! Aus dem einbalsamaierten kadaver

Wächst keine ähre keine blume keine weide!

Horch! Die geschichte brüllt in der ferne –

Wer ohren hat zu hören der höre! …

(Max Demeter Peyfuß)
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

Ion Caraion (1923-1986)
 
 

DAS VERFAULTE MEER

Wir werden euch quälen wir werden euch töten

Dann werden wir getötet und es darf gelacht werden

Wir sind jetzt alt genug und verschlagen genug

Daß es uns kalt läßt

Alles ist wahr die Lüge ist wahr

Alles ist Lüge die Wahrheit lügt

Die Finsternis kommt von alleine.
 
 

(Erschienen in Correscpondances, Lausanne, 3/1983)
 
 

MENSCHEN

Früchte, erschienen im Kosmos,

einmal und nie wieder.
 
 

SCHREI IM STUNDENGLAS

Belügen mich

Warme Nächte,

eingehalten hatte der Herbst,

den Kopf aufgestützt in den Händen,

ein Silbergefäß

aus dem tropfte Wein.

Andere Augen gebt mir,

und die Erinnerung, - ganz anders.
 
 

ARCHAISCHE RENNBAHN

Das Schicksal ist wie ein Gesicht

Jenseits

Der Wäsche auf der Leine

Ein Mädchen mit blassen Augen

Zwischen Kühen und Hemden

Auf einem Himmel aus Gras

Liest

Sie

Tolstoi

Das flüssig gewordene Erstaunen des Morgens stockt

Die Grillen aus Krieg und Frieden

Springen durch die Seele die darunter fault

Das Feld geht in mich ein mit Blumenkohl und Nüssen

Die Dinge gehn auf und Durst dringt in den Mund

In die verschwwindeden Ereignisse aber steigt der Raum ein.

(Aus: Hommage a Ion Caraion, Lausanne 1984)
 
 

Epitaph

Geh deiner wege. Frag nicht klopfe nicht.

Deine seele ist schon lange auf der straße

Und niemand empfüängt dich als gast.

Du wanderer aus vier großen wüsteneien

Der tod hat gastrecht hier in deinem haus.

Und nur ein vogelschatten schwebt

An jedem abend über diesem stein.

Darunter gehn ideen aus und ein.
 
 

Ion Negoitescu (1921-1993)
 
 

August 1921

8

Vielleicht glaubst du nicht sondern komponierst nur deine stimme

ohne zu vergessen daß langsam diese wendekreise enden

wie ungedacht timid wenden wir die worte

und als der morgen kam sagt ich mir laß doch jetzt den andern

ein blasseres lächeln hätte keinen platz im herzen

und sinnlos gar so überheblich wär die neue anstrengung

zeitlarven flüssig leicht durchziehen sie

noch nicht den leib die eigenliebe nicht

berühren uns kindlich diese schuld hier aufzulösen

als käm die tapfere auflösung aus andern saiten