ÜBERTRAGUNGEN UND PARAPHRASEN AUS DEM ITALIENISCHEN/ TRADUZIONI E PARAFRASI
PARAPHRASEN UND ÜBERSETZUNGEN AUS DEM RUMÄNISCHEN:
FREUNDE
Tranian Pop Traian (Homepage mit vielen links zur rumänischen Kultur)
Stefan Balan und seine Webzeitschrift
"Revista Norii"
Rumänische Lyrik der Gegenwart
Zur
Internetzeitschrift "Asalt"
Debüts:
Ecatarina Constantinescu
Byzantinische Ikonen
Theotim von Tomis
Skythischer Mönch
Bischof Komates
Und Zähmer
Der grausamen Hunnen
Mit unsichtbaren Ketten
Aus Gebeten
Der Weg hört das Echo der Hufe
Von Staub und Asche bewegt
Unter den Knieen des Scheiterhaufens
Voller Härte im Feuer
Verwandelt sich die Erde
In ein schöpferisches Lamm
ADDENDA CORRIGE (zu Gefährliche Serpentinen die fehlenden Lyriker)
AUTORITRATTO DELTRADUTTORE
Da ich mit meiner Muttesprache Deutsch immer zwischen Fremdsprachen gelebt gelebt habe, zuerst in Transsylvanien, wo ich in der alten siebenbürgisch-sächsischen Stadt Sighisoara-Schäßburg geboren wurde, das bis 1919 zur "kaiser-königlichen" Donaumonarchie, dem kafkaesken Kakanien gehört hatte: Ungarisch, Rumänisch, Jiddisch waren die Sprachen des Alltags; dann in Bukarest, wo ich (Germanistik) studiert habe, 10 Jahre Redakteur einer deutschen Zeitschrift gewesen war, und in einer rumänischen Familie gelebt hatte. Hier unterhielten sich bis in meine Träume hinein die Sprachen (und auch die Literaturen) miteinander, und es wäre erstaunlich gewesen, wenn ich in diesem hochsensiblen Zustand, dazu noch in einer Diktatur, mich nicht in die Sprache und in die Übersetzung gerettet hätte; früh schon aus starker innerer Bindung an meine rumänischen Kollegen und ihren Stil (sehr oft des Widerstandes!).
So entstanden vor allem Lyrikübersetzungen der Generationskollegen: Nichita Stánescu, Cezar Baltag, D. Tsepeneag, Nina Cassian, Ion Caraion, G. Mazilescu, G. Pitut, Marin Sorescu, Petre Stoica, Magdalena Constantinescu, Ana Blandiana u.v.a.
Dann die Klassiker der Moderne: Tzara, Eugène Ionesco, Urmuz, Lucian Blaga, Tudor Arghezi (viele "Paraphrasen"), Ion Barbu, Ion Vinea, Virgil Teodorescu u.a. Vor allem auch B. Fundoianu ( den rumänisch-französischen Essayisten und Lyriker, der in Auschwitz umgekommen ist.) In Deutschland habe ich seit meiner Übersiedlung 1969 viel vermittelt und an Anthologien mitgewirkt, bzw. selbst Anthologien zusammengestellt.
Prosa habe ich von Eminescu, Francisc Munteanu und in letzter Zeit von
Norman Manea übertragen. Zur Zeit arbeite ich an den Briefen E.M.
Ciorans, einer Edition für Suhrkamp in deutscher Sprache. Und dann
an Texten Constantin Noicas.
Extreme Lagen bringen im Schock Erkenntnisgewinn, und wir, einmal davon geprägt, können uns lebenslang nicht mehr entziehen; es ist nicht nur ein Schatzhaus der Sprache und der Erfahrung, es ist ein Mehr an Unentrinnbarkeit: Unter Druck wird erkennbar, was in der Gegenwart verdeckt, Geschichte macht, die neue Bodenlosigkeit, die mit einem, wenn auch Verlorenen umgehen muß.
Schon durch die Diktatur war das "Wohnen kein Ort" mehr: Christa Wolf nannte es für die DDR: "Kein Ort. Nirgends". Verhindertes, vergeudetes Leben. Securitate, Stasi erzeugten einen permanenten Ausnahmezustand; etwas Irres; wo öffentliche Formen zerstört waren, entstand wider staatliche Unterwelten die Solidarität der Angst. Die Revolution 89 hat sie noch radikaler aufgelöst. "Stehende Zeit", Täuschungen des Raumes. Als wäre Realität - das Stück eines irren Poeten, Plagiat, Fälschung gewesen. Doch der Sprachsinn wurde außerordentlich geschärft:
Nur im Negativ, als Paradox war zu sagen, was ist. Sie zeigten und zeigen nun aufs Neue wieder, daß es sich um eine gestundete, künstlich aufgehaltene Zeit gehandelt hat. Wahr sind dagegen Hypostasen des Fremden, wo auch die Sprache sich von Satz zu Satz wundert, daß sie noch da ist, und es sagt.
Noch in Bukarest habe ich eine Anthologie österreichischer Prosa auf Rumänisch in zwei Bänden (1300 Seiten) herausgebracht, die aber auch dm gleichen Prinzip der Sprachspannung und der Interlinearversion diente.
Aus dem Italienischen habe ich recht spät zu übersetzen begonnen, erst ab 1975 ( ich lebe abwechselnd in Stuttgart und in Camaiore/ Lucca seit Mai 1973). 1975 habe ich ein Buch "Sozialisation der Ausgeschlossenen" über die geöffneten Heilanstalten in Italien bei Rowohlt (eine Originalausgabe) aus dem Italienischen herausgebracht. Wieder wollte ich versuchen etwas zu vermitteln: ein Modell zu übertragen. Und laufend habe ich vor allem Lyrik für deutsche Zeitschriften und den Funk übersetzt: Michelangelo, Dino Campana, Giuseppe Ungaretti, Carlo Michelstaedter u.a..
Dann Amelia Rosseli, in letzter Zeit: Sinsigalli, Rebora, Sereni. Fortini, Buffoni
Doch auch jüngere oder unbekannte Kollegen, wenn der "Funke" sprang: Luciano Fintoni, Elisabetta Robert , Maura del Serra, Giuliana Lucchini u.a.
Und ich habe weiter vor, vor allem "Paraphrasen" zu schreiben, auf den
Namen nicht zu achten, sondern auf das Gedicht, das mich berührt:
wobei mich vor allem Gedichte über die Grenze, an der Grenze, dort,
wo das Undenkbare, vor allem die Todeserfahrung in der Metapher gerade
noch faßbar, im inneren Takt noch hörbar wird, und aufhorchen
läßt.
Oktober 1996
( Parafrazi, rielaborazione, traduzione)
Meine Gedanken zum Übersetzen gehen von Walter
Benjamin aus und von Rudolf Pannwitz: "Jene reine Sprache, die in fremde
gebannt ist, in der eigenen zu erlösen, die im Werk gefangene in der
Umdichtung zu befreien, ist die Aufgabe des Übersetzers." So daß
"die Grenzen des Deutschen erweitert", etwa um das Fremde, hier des Italienischen,
erweitert wird. Wie in der Tangente berührt die Über-Setzung
das Original nur flüchtig, und im heißen Berührungspunkt,
der ein flash sein muß, um dann "nach dem Gesetz der Treue (aber
im Innersten der angestoßenen Sprachphantasie) in der Freiheit der
Sprachbewegung ihre eigenste Bahn zu verfolgen, um sie als "Bruchstück
einer größeren Sprache erkennbar zu machen". So erst wird der
sehr unterschiedliche "Gefühlston" der Sprachen, der etwa "Brot",
"pane" bestimmt, in jener Ursprache der Phantasie im Geistigen aufgehoben
und in-eins-gesetzt.
Denn so wie ich es auch bei meinen eigenen Gedichten Fragenden immer wieder sage, daß der Text nur der Anstoß sei, ein eigenes Gedicht im Leser in Bewegung zu setzen, so sehe ich (mit Walter Benjamin) auch die Übersetzung, vor allem die "Paraphrase", und lasse mich im flash vom fremden Gedicht "berühren", genau wie auch bei Erregungen in Ausstellungen, oder im Falle der Sixtinischen Kapelle, über die ich viele Bildgedichte geschrieben habe, (drei Bände sind erschienen: "Das Neue Licht Michelangelos" 89-91), so lasse ich diese Erregungen zu emotionalen Assoziationen werden, die ein neues Gedicht entstehen lassen, das dem Original so nahe geht, ja zu Leibe rückt, bis es sich im Leser selbst verändert. Das schafft eine wörtliche Übersetzung nie, die von Konserven ausgeht und solche auch herstellt.
Die wortlose Ursprache ist vielleicht am besten vorstellbar in jener Sphäre, wo alles-eins wird, einer undenkbaren, aber emotional im Sprach-Zwischenraum und dem meta-pherein Mitvibrieren am Rande des Ganz Anderen, der Perspektive etwa der Toten, der wir uns nur intuitiv, wie Rilke etwa in seinen "Duineser Elegien" annähern können.
Bei den vergangenen, also körperlich unerreichbaren Poeten etwa,
wie Baudelaire, stehen die Toten noch in den Synästhesien als "Literatur"
unbeweint, aber fühlbar da im Zwischenraum der Zeilen, ja, der große
Franzose maß an diesem kultischen Element, das ihm das Zeitvergehen
erträglicher machte, den Grad des Zeit-Zusammenbruches und seinen
eignen, so daß er fast Lust daraus schöpfen konnte, damals.
Man kann dieses Zusammenbrechen als Prinzip sogar ins Übersetzen einführen,
nämlich alles zuerst auszulöschen und einen neuen kreativen,
ja existentiellen Akt zu "be-gehen", was heißt, daß der Gedichtübersetzer
nur solche Texte übertragen darf, die ihn zutiefst, also in einer
Sprachschicht des Unbewußten berühren, wo alle Sprachen
eine sind.
Dazu aber gehört eine besondere Art von Kraft: Liebe, oder besser, ein Schuldgefühl, wenn diese heute im Alltag nicht so da ist, wie es sein müßte, wenn wir uns an jenem Zustand messen, der jeden Augenblick als intensio, als intensivstes Leben, das vergeht, anpeilt. Im Rumänischen gibt es ein besonderes schönes Wort für Schwäche. "Slab de îngeri." Engelsschwäche. Kein Engel, keine Substanz, kein Gefühl, kein durchwachsenes starkes Leben. An der Wand meines Bukarester Schreibtisches hatte ich eine Abschrift von Korinther 13 angebracht: "Wenn ich mit Menschen- und mit Engelszungen redete, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle." Und wie oft klingt diese Schelle, wenn ich leer bin und ich nur intellektuell oder assoziativ rede. Und lebe.
Ich fand genau diese Stelle auf der Wartburg als Beispiel aus Luthers Bibelübersetzung. Und noch ein wichtiges Wort, das meine Poetik genau wiedergibt: "Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunklen Wort; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ichs stückweise; dann aber werde ich erkennen, gleichwie ich erkannt bin.".
Und beim Schreiben ist es so: Da wir sonst jeden normal gelebten Augenblick im Selbstvergessen verlieren, ist es wie beim Gedichtschreiben selbst auch beim Übersetzen, einen ver-rückten, einen beglückenden ekstatischen Zustand: Im Augenblick des Sturzes (und des Ich-Verlustes, ja, des Sprachverlustets zuerst in der fremden Sprache!) leuchtete es hell auf, wo ein Schrei sein sollte, ist seltsames Glück, ja, Triumph, daß das Sichtbare als Schönheit auch im fremden Wort eingekehrt, besiegt worden war, als "ein Appell," wie Walter Benjamin diese Auferstehung im Selbstauslöschen wunderbar definiert, "Appell zu denen sich zu versammeln, die es früher bewundert haben. Das Ergriffenwerden vom Schönen ist ein ad plures ire, wie die Römer Sterben nannten." Dies Eingedenken, diese correspondences, wie Baudelaire dieses nannte, hat bei jemandem, der zwischen allen (verlorenen) Sprachen und (verlorenen) Ländern lebt, noch den Nebeneffekt, das unwiederbringlich Verlorenes nur als ein Nichts vergangen zu sein scheint, das jenseits des Denkbaren wieder rettbar ist (also sowohl Länder, als auch Sprachen!) Nun rettbar in der fremden Sprache, die es "aufhebt". Das Gewesene, auch vor unserem Leben gewesene, hebt auch im Übersetzen, wie im Gedichteschreiben, die Todesangst auf, da es "gesättigt mit allen Reminiszenzen, die während des Verweilens im Unbewußten in seine Poren gedrungen waren", uns neu berühren, Gegenwart werden kann, wie Benjamin treffend sagt.
Genau dieses heißt es auch, jedes Gedicht nun in die eigene, hier in meinem Fall in die deutsche Sprache (und ihr großes geistiges Erinnerungsgewebe) zu bringen: heißt einen völlig neuen kreativen Akt begehen und nicht ein fast gedanklenloses Abschreiben, wie viele Übersetzungen, eine Mimesis, wie sie Platon wirklich meinte, nicht wie sie etwa B.Auerbach in seinem berühmten Buch vor-schrieb: Daß ich die marxistische Ästhetik mit ihrem primitiven Realismus, ihre Wiederspiegelungstheorie in meiner ehemaligen östlichen Heimat abgelehnt hatte, und in allen heute grassierenden Realismuskonzepten weiter ablehne, geht ja auch in diese Richtung: Es war die falsche Verwendung des alten Begriffes "Mimesis", was keineswegs Realitätsspiegelung heißt, sondern Sichineinssetzen mit der "Ebenbildlichkeit", die "Apriorität des Individuellen" zu entdecken (Omoisis to theo, bei Platon: Angleichung an das Göttliche im Menschen. Dazu gehört, den Schein, das sogenannte "Wirkliche", die Hülle zu zerbrechen, zu entlarven; in der Moderne mit sprachlichen Mitteln; meta-phérein -Metapher- heißt ja hinüber-tragen, anderswohin tragen.) Und genau so im fremden Gedicht diesen Kern zu entdecken, ihn zu enthüllen, die Bilder in die Tiefe führen, wo sie mich berühren, dann erst wieder als neues Sprachbild im Deutschen auftauchen lassen .
Mich haben z.B. die Rilke-Übertragungen von Michelangelos Sonetten sehr angerührt, während mich alle anderen textgenauen "Übersetzungen" völlig kalt ließen! Ebenso Ungaretti von Celan übersetzt, alle anderen waren "textgenau" und hatten doch mit Ungaretti wenig (oder gar nichts) zu tun!
Paraphrase also, sie erlaubt den Berührungsfreiraum, der so ist wie in der Existenz die Zeit: nach Plotin "Zeit ist das Leben der Sele", dieser Freiraum ist also mehr als nur eine "Übertragung", sondern ein Hinübertragen, und so nenne ich meine Übertragungen lieber "Paraphrase"; wobei das griechische "Daneben-reden", nicht das "Danebensein" der Übersetzung heißen soll, sondern wirklich "Hinzufügung zu einer Rede", erweiternde Umschreibung, d.h. abwandelnde Wiedergabe einer Textvorlage. (Vgl, Otto F. Best, Handbuch literarischer Fachbegriffe", 9. Auflage Frankfurt/Main 1980.)
Über die Notwendigkeit der ekstatischen Paraphrase also wäre viel zu sagen, vor allem aber über die Unübersetzbarkeit des Unsichtbaren, das in jedem "guten" Gedicht, auch in der fremden Sprache umkreist wird, sich aber in dem trifft, was wir das "Eine" nennen können, eben nicht das sichtbare "Ding" oder "Wesen".
Moderne Literatur ist undenkbar ohne radikale Sprachskepsis; heute weiß sie mehr denn je davon, daß sich der Baum wundern würde, wüßte er, daß wir ihn "Baum" nennen; und doch glauben wir immer noch daran, wir hätten in diesen vier Buchstaben etwas WIRKLICHES, und wir bilden uns etwas darauf ein, wenn wir "Bewußtsein" oder gar "Gott" sagen. Wittgenstein empfiehlt als Alternative Schweigen, Benjamin die unsichtbare, aber spürbare "Aura" und den "Schock", Joyce die "Epiphania"; und George Steiner meint - weit zurückgreifend - all dies kulminiere in Arnold Schönbergs Oper "Moses und Aaron", dem Aufschrei des Erweckerpatriarchen Moses: "Oh Wort, du Wort, das mir fehlt." Das Fehlende also erst sage aus, was ist.
Ausgerechnet der Stotterer ( der Sprachverhinderte) Moses erhielt
am Sinai von dem "Einen Gott" die Tafeln, Mutationen des Namens (JHWH);
ein Sinngeflecht, das wie ein "Baum" angeordnet gewesen sein soll, die
sogenannte schriftliche Thora - oder die fünf Bücher Mosis SCHRIFT
- aber das Sinai-Ereignis ist unbeschreiblich, wie auch die deutsche Bibelübersetzung,
viel mehr als jede andere normale Übersetzung, nur eine Annäherung,
eine sehr approximative Deutung sein kann, da die hebräischen Worte
zugleich auch Zahlen sind, also Ausdruck von Proportionen, das riesige
Sinngeflecht eines Gesamtzusammenhanges, das eine Struktur ausdrückt,
keine willkürliche, vom Geschehen abgetrennte Wort-Semantik ist.
April 97
ÜBERTRAGUNGEN UND PARAPHRASEN AUS DEM ITALIENISCHEN/ TRADUZIONI E PARAFRASI
Das Unendliche
Lieb war mir immer dieser einsame Hügel
und diese Hecke wie sie nach allen Seiten
ausschließt vom letzten Horizont den Blick.
Doch sitzend und schauend erfind ich unendliche
Räume jenseits des Zaunes, übersinnliche
Stille und Ruhe vom Grunde des Schweigens,
wo so schnell mein Herz Nichts fürchtet;
hör ich den Wind, der aufrauscht in den Bäumen,
vergleich ich diese Stimmen mit der Stille vom
Grund: mir fällt Ewiges ein
und die toten Jahreszeiten und dieses Jetzt,
Ton der lebenden Zeit. So sinkt mir
der Gedanke weg ins Unendliche:
Schön ist der Untergang in diesem Meer.
O poesia tu più non tornerai
O poesia tu più non tornerai
Eleganza eleganza
Arco teso della bellezza.
La carne è stanca, s'annebbia il cervello, si stanca
Palme grigie senza odore si allungano
Davanti al deserto del mare
Non campane, fischi che lacerano l'azzurro
Non canti, grida
E su questa aridità furente
La forma leggera dai sacri occhi bruni
Ondulante portando il tabernacolo del seno:
I cubi degli alti palazzi torreggiano
Minacciando enormi sull'erta ripida
Nell'ardore catastrofico
Dino Campana
O GEDICHT DU WIRST NICHT WIEDERKEHREN
(O poesia tu più non tornerai)
O Gedicht du wirst nicht wiederkehren
Du elegante Eleganz
Gespannter Bogen der Schönheit
Das Fleisch ist müde
vernebelt das müde Hirn
Palmen grau gefächert
Geruchlos gereiht
Vor der Öde des Meeres
Es sind nicht die Glocken, nein Pfiffe
Zerrissen das Blau
Keine Lieder, Schreie.
Und oben die Ödnis wild
Gewichtslos eine Silhouette
Mit dem Braun zweier Augen geheiligt
Tragen sie fort wie die Wellen Tabernakel der Brust
Kubische Hochhäuser getürmt
An der steilen Kurve
Katastrophaler Erregung.
Dino Campana
Bastimento iin viaggio (Già: frammento)
L'albero oscilla a tocchi nel silenzio.
Una tenue luce bianca e verde cade dall'albero.
Il cielo limpido all'orizzonte, carico verde e dorato dopo la burrasca.
Il quadro bianco della lanterna in alto
Illumina il segreto notturo: dalla finestra
Le corde dall'alto a triangolo d'oro
E un globo bianco di fumo
Che non esiste come musica
Sopra del cerchio coi tocchi dell'acqua in sordina.
Dino Campana
(Bastimento in viaggio. Già: frammento)
Der Mast vibriert im Tastsinn des Schweigens.
Ein schwaches weißes Licht fällt vom Mast in ein grünes.
Klar Himmel am Horizont lädt Grün und Gold nach dem Sturm.
Weißer Rahmen der Laterne über dem Deck
Beleuchtet Geheimnisse der Nacht: durch ein Fenster -
Taue von oben das goldene Dreieck
Eine rauchweiße Kugel
Die nicht klingt
Über dem Kreis dumpf pochenden Wassers.
BALLADE IN EINER NERVENKLINIK
GESCHRIEBEN
Man gräbt in die Not ein Massengrab
und kommt so hinter den Berg
wie ein Komet im August
Hätten wir uns nur wie er
aufgelöst in klare Luft
Doch war Nacht noch um uns
und die Schrecken der Körper
als begrüben uns Altane aber auch
letzte Brücken: im Leib wie Jonas
im Wal/ und du im Gips einer Puppe
als ich mich umsah warf mich der Spiegel
an die Wand: todblaß war ich ein Anderer:
deine Kehle deine Brust waren eingegraben
In deinen Augenhöhlen glänzten
die Tränen Linsen Nebelwand dicker
als das Schildplatt der GläserRahmen
Nachts vor dem Schlaf da nehm ich sie dir ab
und gelegt zu den Ampullen mit Morpium
bist du eins mit ihnen:
Tiere wie Bilder der Stier im Gott so war
er nicht unserer, sondern Lilienfeuer färbt er
in der Grube mit Zerrisenem und zweigeteilt
(kein Tod macht im Körper frei!)
Sternzeichen anzurufen, Widder, gehörnte
Untiere aber wirklich im Beben und Stoß
im Leib, sie überrannten den letzten Stolz
und das Herz, das dein Husten zermalmte
Bald ein Zeichen da
die Stunde endgültiger Trennung:
und ich bin jetzt bereit, schon beginnt
die Reue ein düsteres Schluchzen in
Tälern und Schründen:
der andere Notarzt
Unbeweglich auf dem Nachttisch
eine hölzerne Bulldogge: es käme
auf sie und auf den Wecker an
Phosphor seiner Zeiger dünner Lichtschein
über deinem dämmernden Schlaf
reicht es aus die schmale jenseitige Pforte
zu sprengen denn draußen ist gehißt
schon rot auf weiß das andere Kreuz
Und stell mich mit dir der Stimme
beim Einbruch, dem ungeheuren Appell der Toten:
dann wird ununterscheidbar von meinem
das stumme Heulen des hölzernen Hundes.
(10.10.96)
Tutto ho perduto
Tutto ho perduto dell'infanzia
E non potrò mai piú
Smemorarmi in un grido.
L'infanzia ho sotterrato
Nel fondo delle notti
E ora, spada invisibile.
Mi separa da tutto.
Di me rammento che esultavo amandoti,
Ed eccomi perduto
In infinito delle notti.
Disperazione che incessante aumenta
La vita non mi è piú,
Arrestata in fondo alla gola,
Che una roccia di gridi.
Giuseppe Ungaretti
(Tutto ho perduto)
Ich habe alles verloren von der Kindheit
nie mehr werd ich mich vergessen können
im Schrei.
Begraben die Kindheit
im Abgrund der Nächte
ein Jetzt, unsichtbares Schwert
es trennt mich von allem.
Noch erinnere ich mich meiner da ich dich liebte
jubelnd und sieh mich nun: verloren
in nächtlichen Unendlichkeiten.
Es steigt Verzweiflung unaufhörlich hoch
am Leben das Nie ist
in die Kehle gedrückt
ein steinerner Schrei.
Giuseppe Ungaretti
Ultimi cori per la terra promessa, 1
Agglutinati all'oggi
I giorni del passato
E gli altri che verranno.
Per anni e lungi secoli
Ogni attimo sorpresa
Nel sapere che ancora siamo in vita,
Che scorre sempre come sempre il vivere,
Dono e pena inattesi
Nel turbinîo continuo
Dai vani mutamenti.
Tale per nostra sorte
Il viaggio che proseguo,
In un battibaleno
Esumando, inventando
Da capo a fondo il tempo,
Profugo come gli altri
Che furono, che sono, che saranno.
Paraphrasen und Gedichte nach Motiven von Giuseppe Ungaretti
(Ultimi cori per la terra promessa, 1)
Vom Heute unablösbar
Vergangenheit Tage und
die kommenden alle.
Lang der Augenblick
Überraschung: da zu sein.
Daß immer dieses Leben
nachläuft/ das Geschenk
meist eine Qual
und Wirbel Wandel des Umsonst.
Die Tiefe ein Geschick
hat uns die Folge (diese Pein)
hinab in die Reise grab ich
Zeit aus erfinde sie neu
Flüchtling wie alle die waren
die sind und die kommen werden.
Se Dio cresce
Se Dio cresce
il diavolo aumenta,
vetta che al cielo più riesce
scavando una voragine tremenda.
E merito non è, non è peccato,
se in noi le ascese cadon paurose,
come chi sogni, agitato
al senso delle cose.
Ma chi si sveglia nel gran giorno ha fede:
scorge cader la luce al nostro fondo
per rivelarci il sol che attende
sul culmine del mondo.
Clemente Rebora
Wenn Gott wächst
(Se dio cresce)
Wenn Gott wächst,
nimmt der Teufel zu,
gelingt der Gipfel dem Himmel zunächst,
gräbt er dann furchtbar den Abgrund der Ruh.
Kein Verdienst und keine Schuld ist´s,
wenn der Aufstieg in uns fällt,
erregt die Angst, die du bist,
vom Sinn der Ding träumt und hält.
Die am Jüngsten Tage erwachen, die glauben!
Licht, das zu uns in die Tiefe fällt,
zu entschleiern den Scheitel der Welt,
wo die Sonne wartet, aufsteigt und hält.
(Le Poesie 1913-1957, Milano 1961.
Italienische Lyrik, p. 86)
Leonardo Sinisgalli
Vidi le muse
Sulla collina
Io certo vidi le Muse
Appollaiate tra le foglie.
Io vidi allora le Muse
Tra le foglie larghe delle querce
Mangiare ghiande e coccole.
Vidi le Muse su una quercia
Secolare che gracchiavano.
Meravigliato il mio cuore
Chiesi al mio cuore meravigliato
Io dissi al mio cuore la meraviglia.
Ich sah die Musen
(Vidi le muse)
Auf dem Hügel sah ich
Ja ganz sicher Musen
Zwischen den Blättern kauernd,
uns die Stange haltend.
Ich sah also damals die Musen
Zwischen der Breite von Eichen Blättern,
Eicheln verspeisend und Beeren.
Und sah freilich die Musen auf einer Eiche,
hundertjährig rabenkrächzend.
fragte ich mein verwundertes Herz,
und erzählte meinem Herzen
das Wunder.
(Aus: Poesia 71, p. 24 )
Alfonso Gatto
Pensieri inediti sulla poesia e altro
Nulla è più solo di un nome, di una storia morta. Ma che
serena tristezza camminare per i viali deserti del cimitero di Boulevard
Quinet: tra la mamma e il patrigno c'è anche Baudelaire, in una
tomba piccola come quelle d'un bambino.
(Paraphrase und Variation nach: Pensieri inediti sulla poesia e altro)
Nichts ist einsamer als der Name
Niemand einer toten Geschichte.
Lebend noch und schon eines der Opfer
glücklich die vergangene Zukunft
ja die alte Grenze zu schauen
himmelnd
Klein bleibt auch Baudelaires Grab in Paris
eine Grube wie ein Tor türgroß nur wie ein
neues Kind und kinderleicht mit dem letzten Atemzug
entkommen wer nur das Loch sieht von
der Seite des Blickes vergißt jeden Ausgang
den die Opfer doch alle genommen
Einer zitierte Charles in der Kammer noch
wie ein letztes Gebet auf den Lippen schon Rauch.
Uns aber bleibt nur verspätet zu widerstehen:
die Armut sie gräbt sich nach innen
nur sie erreicht noch den Ausgang
im letzten Verzicht fest zu schließen
die gierigen Lippen
Erinnert den Sinn Tod von damals
atmend erstickt im Müll.
(Poesia, 94, p. 15)
Franco Fortini
L'esame
Mi presento all'esame. Non ricordo più nulla.
Le cose che avevo credute non le credo più.
Come posso difendere, maestri, le mie tesi?
Esaminatore, di chi sono le parole che dico?
Prüfung
(L´ esame)
Ich stelle mich der Prüfung. Und weiß nichts mehr.
Was ich bisher glaubte, glaube ich nicht mehr.
Wie, meine Lehrer, kann ich noch meine Thesen verteidigen?
Ihr Prüfer, vom wem sind die Worte, die ich sage?
Ahimè come ritorna
Ahimè come ritorna
sulla frondosa a mezzo luglio
collina d'Algeria
di te nell'alta erba riversa
non ingenua la voce
e nemmeno perversa
che l'afa lamenta
e la bocca feroce
ma rauca un poco e tenera soltanto...
(Saint-Cloud, luglio 1944)
PARAPHRASEN
Für
Vittorio Sereni
[ Totenstimme. Nach dem Motiv von: Ahimè come ritorna]
Ach, wie er hier wiederkehrt
auf den gewendeten Blätten sein Reichtum
mitten im Juli algerische Hügel erinnert
auch deiner im hohen Gras verkehrt
geschrieben, gesagt die Stimme Nie
und nicht unschuldig oder pervers
wie sie flimmernde Hitzeschleier beklagt er
wild gräbt sich durch der Mund
nur etwas heiser doch zärtlich
am Ende
Saint-Cloude, Juli 1944
(Poeti italiani, Mondadori, 1978 p. 755)
Vittorio Sereni
Il sentiero scendeva sulla fronte d Armio,
Lago d'inverno stropicciato solo.
Se ne andava con profondi squarci
Nel ritratto d'acqua dell'acqua che indossava
E il suo cavallo sollevava onde di polvere
Nello sguardo semplice del cielo.
I pini salivano nel buio
- ripeteva a nascondersi
tra stelle decenti
coi soli sorrisi -
E adesso erano proprio tutti uguali.
Franco Buffoni
Vittorio Sereni
Ein Pfad im Abstieg auf der Stirn des Armio
Wintersee allein zerstäubt getäuscht
Verschwand und hinterließ die tiefen Schneisen
Im Bild des Wassers: er im Wasserkleid
Und im Naturblick eines Himmel-Spiegels
In Wellen Wasserstaub stieg auf: Galopp des Pferdes
Die Pinien stiegen noch ins Dunkel hoch
- Immer wieder ein Versteck
zwischen den Sternen leidlich
still ists allein ein reines Lächeln -
Jetzt waren sie wirklich alle gleich.
(ADIDAS, 1993, p. 44)
Franco Buffoni
O da un Sant'Antonio paralizzato
O da un Sant'Antonio paralizzato
Picchiato dai diavoli del Sassetta
Lo stantio fetore di bontà
A contrastare l'allegria dei diavoli
La loro vanità. Poi il viso a terra
Volge piano il santo e gli occhi
Rassegnati ma non vinti
Sono quelli in preghiera di una foto
Di Lager. Sono quelli che avevo da bambino.
Le morti
Le morti sono capricciose non arrivano
Quando le desideri o le aspetti,
Imprevedibili balzano sui tram
E sono già arrivate
Oppure ai capolinea se li lasciano
Partire tutti, irascibili
Fingono di leggere.
Franco Buffoni
( Le morti)
Die Tode sperren sich sie kommen nicht an,
Wenn du sie ersehnst oder erwartest
Unberechenbar springen sie auf die Trambahnen
Und sind schon angekommen oder
An der Endstation wenn sie alle aussteigen lassen,
Täuschen sie zornig vor zu lesen.
( O Sant´Antonio)
Oder ein gelähmter Heiliger Antonius
Verprügelt von den Teufeln des Sassetta
Der ranzige Leichengeruch der Güte
als Kontrast zur Fröhlichkeit der Teufel
Schnellerer Nichtigkeit Kontur. So schlägt
Der Heilige langsam seine Augen nieder
Resignierte aber nicht besiegte Augen sind
Augen im Gebet auf einem Lagerfoto.
Es sind die Blicke meiner Kinderaugen.
(Poesia 96. p. 44, 45)
NOSTRA SIGNORA DI LOURDES
Während sich die Augen senken
und die Lippen das Wort fürchten
hebst Du
Mutter der Mütter
die Gesichter
Das dauernde Wunder wird erneuert
(Vivere significa, p. 42)
IM ANFANG WAR DAS WORT
(In principio era il Verbo)
Im Anfang
das Wort.
Am Ende war
das Schweigen.
(Vivere significa, p. 43)
Elisabetta Robert
Nostra Signora di Lourdes
Mentre gli occhi s'abassano
e le labbra temonno le parole,
Tu,
Madre delle Madri
sollevi i volti...
Si rinnova il miracolo perpetuo.
In principio era il Verbo
In principio
era il Verbo.
Alla fine
fu il Silenzio.
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PARAPHRSEN UND ÜBERSETZUNGEN AUS DEM
RUMÄNISCHEN:
ERINNERUNG UND LETZTER PSALM MIT ARGHEZI
( Übertragung und Paraphrase )
Für M.
Trennung
Als ich fortging, da schlug im Nebel die letzte Uhr
reimlos an und so langsam, daß die Zeit vorbei
an der Stunde kaum mehr verging. Und beide
hörten wir den ersten Schlag der sich
im langsamen November verlor.
Vielleicht schlägt jetzt noch immer
unaufhörlich jene Sekunde von damals, vielleicht
ist sie sofort verstummt und wartet,
daß sie endlich ankommt die alte
Umarmung, von neuem, ankommt
jetzt, wie sie war,
und Tränen gefrorene tauen
im grauen Bahnhof neu.
Mit diesen Zeigerzungen,
blaß ist das Ziffernblatt,
verfolgte uns der Blick, wie
aus dem Fenster matt, ein Haus
leer klingender Zimmer,
ein Lichtstrahl nur im Glas,
der unser Elend sah und alles,
was nachher geschah.
Hast du entsagt und leidest nicht
an einer Zeit, die ständig älter ist,
und träumst du noch, wenn jeder Tag
an deiner Lampe seine Augen schließt?
Und auf die Fenster fallen schon
nicht mehr wie einst Schneeflocken ins Bekannte,
die Sekunde, für dich, du wartest
immer noch auf jenen Schlag der letzten Stunde.
So nehme ich dich nicht
aus. Du Alter, ein Abteil nur
und deiner Frau mit bloßen Füßen.
So gehe ich mit meiner jetzt zu Fuß
mit dir, weil ich den Boden nicht mehr hab,
zum Schlafen und zum Grüßen.
Der Untergang ist dir noch fremd,
was fest steht hast du noch an dir
getragen, von vielen Mündern
in dem Buch die Bücher. Und hebt
mich auf zum Fliegen das Papier,
dann kein zu kleiner Tod, hier einer
mit allen gesungen: mit dir.
*
ZUR GEISTERBEICHTE. Siebenbürgen
( Arghezi, Übertragung und Paraphrase )
Welch dichte Nacht, welch Dunkel fällt!
Es schlug jemand an den Grund der Welt.
Ists Jemand oder ein Schein, wer geht
dort ohne Licht, ohne Mond, ohne Mund,
und schlägt sich an den Pappeln wund?
Wer geht da ohne Laut, ohne Schritt,
wie eine irrende Seele zu Dritt? Wer da? So
antworte mir, woher du bist, durch welche Tür
du kamst, in unseren Raum spurlos Verwirrende?
Bist du es Mutter? Ich habe Angst.
Wars dir zu eng in der Erde, bevor du kamst?
Niemand mehr ist hier. Und alle sind fort.
Alle haben sich schlafen gelegt, mit
dir zu nächtigen, sind alle für immer
gestorben. Auch Burkusch hat sich
auf die Schnauze gelegt, und ist in die Erde
gegangen. Vertrocknet ist der Mais,
verdorrt der Maulbeerbaum, und das Basilienkraut
wie Gras, vom Dachsims, den sonst der Mond beschienen,
verschwanden die Nester der Schwalben,
die Tauben sind fort, die Bienenstöcke leer,
die Speicher sind öde und tot die Pappeln,
ziegelrot, schief die Wände, und
der Zaun zum Nachbarn ist zerbrochen.
Nichts ist mehr so, wie es war.
Es ist lang her, du schliefst ein, Tudor,
du mit allem, Bilder und Betten schliefen,
Riegel, Haken halten nicht mehr, und es
strömt aus eurer Welt herein, da alles
vergangen ist und doch noch kein
Ende. Horch, dort weint noch jemand,
ist es der Engel, er wartet auf uns, wir
kehren noch heim, Tudor, wie John Donne,
die arme Seele.
Wer ging durch den Garten, blieb
dort stehn? Was willst du? Und wer bist du,
sag, daß du so stumm und ungesehen wie ein Hieb,
ein Phantom, so durch die Nacht gehst, ungeschehen, hier
wohnt doch niemand seit zwanzig Jahren...und ich bin
verstreut zwischen Dornen und Steinen.
Werweißwersein so könntest du heißen,
der niemals war, was ist: als alles An-sich
zu reißen, mich im Dunkel anstarrt transparent
und Jetzt meine Gedanken alle denkt.
He! Wer geht dort um im schwarzen Rock,
wer kratzt in die Mauer
mit seinem Fleisch ein Loch?
Mit seinem Finger wie ein Nagel,
als wären die Wunden Hauer.
Wer steht da fremd zu Haus
vor der Tür, so arm und so mager?
Und bitter wie von Asche ist die Zunge,
Bin zu schwer, um zu gehn, bin beklommen,
ich habe großen Durst, Nachbar, öffne
mir, ich bin dem Kreuz entkommen.
DEINE SPRACHE ist klein, wie das Herz
eines Kindes, und wie die Suche klingt
sie vertraut und rein, hat die Form voller
Zärtlichkeit, Diminutive verloren.
*
Ohne dich wie du Ihn umgabst
mich mit zärtlichem Dunkel der Erde,
Wort unausgesprochen mich berührt, deine
wie tsärünä, prünz oder cinä.
Alte Gebete wie ohne Wort gesagt,
diese aber stellen sich herzein
fast schon der Erde, wo du
einfach und ohne Gedanken immer
wirst sein.
Denn ich verlange Nichts von dir, und nichts
erinnert, in deiner Ewigkeit
bin ich noch keine Stunde weit.
Wie ein Unendliches suche ich
das Land, Dann bricht die Träne
das Krystall, und strömt.
Und das Gebet ist NIE Gebet
der Mensch vielleicht nicht menschenmöglich
und brennt doch mich an jedem Tag als Zeit
verzehrend in die Eine-Richtung
ein Stummer, wer verstummt in dem,
was ich noch nennen will, nicht nennen mag.
Dies hier, ungereimt, dein Gesicht
das Zuhausegesicht, das vergeht,
die Stelle vertretend, ich zärtlich
dein Auge, Worte, nein ungehaucht
auf Erden weiter, alles zu spät.
Auch er kommt nur zu jenem Ort, jene
Stelle, wo du im Augenblick warst,
nicht mehr bist, Liebesworte,
alte flüsternd, draga mea, draga
und alles vergangen, was war nun
für immer vergißt.
Jene Stelle, lichtbetont
man sagt, unhörbar Klingen, vergeblich
ruf ich dich an: so zeig dich, bitte,
sauer nur das Warten, alt geworden
und ohne Gesicht.
SCHWER DAS HERZ wie Erde rieche ich
den Thymian wieder, im Kinderbuch einst,
Gott war noch eins. Und möchte
es wieder erwandern,
Vers du, erweins.
Die Toten
(Nach Tudor Arghezi)
Die Toten steigen aus
unter der Glocke am Totenhaus,
Zehn ihre Zahl,
Schulter an Schulter und fahl.
In Särgen zu zweit,
ohne Mutter, Kreuz und Christenheit,
sind sie zusammen
ins mondene Eis gegangen.
Aus der Anwesenheit zehn gestrichen,
ins Weltall entwichen,
mit den Händen gefaltet,
den nackten Leib gestaltet.
Vor Hunger jetzt satt,
und kältestarr den Frost vergessen,
blaue Male, die jeder hat,
werden im Himmel geheilt und vermessen.
Wird sie der Pförtner, er hält
sie auf am Gewölbe mit Stöcken,
tot scheint auch das Pferd gestellt,
und der Mann auf den Böcken.
Gute Fahrt ins Massengrab,
die beste Erde, die es je gab,
wie die Herren, die euch verdorben
und der Pfarrer an dem ihr gestorben.
Achtet im Irren
euch nicht zu verwirren,
denn Morgen oder schon heute Abend
kehrt ihr zurück ins Licht
zum Jüngsten Gericht.
JENSEITSSTUNDE
Im Himmel schlägt jetzt
eine Stunde aus Bronze und Eisen; zuletzt
in einem Stern
schlug eine aus Samt,
das aber sehr fern.
Hanfstunde schlägt
vom Turm der Burg , die Runde
Und eine Leinen Stunde
die Späteste schlägt
sie zerreißt hier
die Stunde aus Papier
Und neben dem Fürsten Epitaph
gräbt eine Stunde aus Staub das Grab
Heute Nacht aber, Schwester schlug
keine Stunde, als wärs nun genug.
*
ES GEHT UMS LEBEN was bleibt,
so in letzter Zerstörung, fern glänzend
und eisig der letzte Punkt.
Man stelle sich vor, Flecken für
Flecken, angesammelt so nähe ich hier
buchstabengenau und unsinnig
Naht für Naht das Zerfetzte,
den kleinen Mantel des Lebens:
aus/ dem, was nie sein wird.
VERSTECKSPIEL
Meine Lieben, einmal werd ich's spielen,
Dieses Spiel, das seltsam ist.
Ich weiß nicht wann es sein wird, Vater,
Doch es wird ganz sicher einmal sein.
Einmal vielleicht, wenn es dämmert.
Es ist ein schlaues Spiel der Alten
mit den Kindern, wie ihr, mit Mädchen wie du,
ein Spiel der Knechte und ein Spiel der Herren,
ein Spiel der Vögel, der Blumen und Hunde,
und jeder spielt es gut.
Wir werden uns ganz sicher immer lieben,
bei Tisch werden wir versammelt sein,
und unter dem Sternenzelt des Herrn.
Doch eines Tages wird das Bein schwer,
die Hand ungelenk, das Auge trüb,
und die Zunge verquollen.
Das Spiel beginnt langsam wie ein Hauch.
Ich werde lachen und werde schweigen,
ich werde mich auf die Erde legen.
Ich werde dort schweigen,
vielleicht gleich dort neben dem Baum.
Dies ist das Spiel der Heilgen Schriften.
Dies hat auch unser Herr Jesus einmal gespielt,
und andere voller Hitze, Kälte und Zittern
fanden aus frommem Schaudern zu seinen Regeln.
Nehmt es euch nicht allzusehr zu Herzen,
wenn man mich aus euren Armen reißt,
und mich Männer zu begraben scheinen,
es ist ein Spiel, das man das "Sterben" heißt.
Seht auch Lazarus ist auferstanden,
seid nicht zu bekümmert, wartet doch,
so als wäre nichts geschehen,
nichts neues und seltsames war zu sehen,
werds erinnern, denn als Kinder spielten wir es noch.
Alle werden einmal auferstehen und wiederkommen,
eines Tags nach Hause zu dem Kind,
und zur Frau, die weint und spinnt,
zu dem Vieh und zu den Blumen,
wie gute Wirte, die am Leben sind.
Ihr wachst dann weiter, alles bleibt beim Alten,
gesund und flink, und niemals krank,
wie wir es schon seit vielen Jahren halten.
Vorläufig, ihr meine Kleinen, wirds passieren,
fehlt euch Vater einen Monat lang.
Und später immer mehr verspäten,
verschiebt von einmal auf das andere Mal,
und Vater wird dann keine Kraft mehr haben,
zu Fuß zu schaffen, diesen langen Weg der Zeit,
aus jener andern Welt.
Ihr seid dann groß geworden,
habt euch eingerichtet,
seid vielleicht Gelehrte,
Mutter hat zu stricken angefangen,
Vater kehrt nicht mehr zurück.
Meine Kinder, meine lieben Kleinen,
dieses ist das Spiel,
man spielts zu zweit, zu dritt,
und manche müssen weinen,
hols der Teufel, dieses Spiel,
denn keiner kehrt zurück.
Nichita Stanescu (1933-1983)
Der kampf jakobs mit dem engel
Oder über die idee des "DU"
Was so weit von mir ist
Und so nah
Nennt sich "du"
Sieh ich bin erwacht/ um mich schlagend
"du" lid schlugst mich auf
du hand
du fuß schlugst um dich
und obwohl ich da lag lief ich
rings um meinen namen lief ich.
Nur zu meinem namen sage ich nicht "du"
Der rest sogar meine seele
Ist ein "du"
Du seele.
II
"Hast gelacht"
Ich zögerte und sagte:
"Hab nicht gelacht". Denn ich hatte ja angst,
er aber sagte: "doch du hast gelacht".
Es ist wahr der name
Stützt sich wie ein stab
Auf meinen leib
Warf sich ihm entgegen
Jenem ohne namen
Jenem der nur leib ist
Gegen das "du"
Leib aller namen
Gegen das "du"
Vater aller namen.
Doch er
Als die morgenfrühe kam
Hat nicht mehr an mich gedacht
hat mich vergessen.
III
Ändere deinen namen sagte er zu mir
Und ich antwortete ihm: ich bin mein name.
Ändere deinen namen sagte er zu mir
Und ich antwortete ihm
Du willst ich soll ein anderer sein
Du willst ich soll nicht mehr sein
Du willst ich soll sterben
Um nicht mehr zu sein.
Wie soll ich meinen namen ändern?
IV
Er sagte zu mir:
du bist auf meinen knieen geboren.
Ich kenne dich seit deiner geburt.
Hab keine angst vor dem sterben
Erinnere dich wie du warst
Vor deiner geburt.
So wirst du sein auch nach deinem tod
Ändere deinen namen.
V
"hast geweint". Ich zögerte und sagte:
"ich habe nicht geweint". Denn ich hatte angst.
Und er dachte nicht mehr an mich
Er vergaß mich.
VI
Ich bin nichts als mein name.
Der rest ist "du" hab ich zu ihm gesagt.
Er hat mich nicht gehört denn er
Dachte was anders.
Weshalb er wohl damals gsagt hat:
"hast mit dem wort selbst gekämpft
und hast es besiegt!"
ob er wohl selbst das wort war?
Ist der name das wort?
… er der nnichts als "du" ist
du und du und du
jener der meinen namen umgibt?
Zeichen 2
Sie legte ihre zarte kindersohle
Auf meinen nacken zu boden geworfen und zu einem wolf gmacht.
Und da träumte ich in dieser sekunde
Wie alle köpfe der geköpften
Zurückspringen in die körbe aufgesetzt
Auf die roten hälser die wieder weiß werden –
So aus allen zeiten und wetter
Springen alle köpfe
der geköpften
kleben wieder auf der schnittstelle der roten hälser
die bleich werden
oho oho
sie trat mit ihrer kindersohle auf meinen nacken
als ich verdämmerte schlief und wolf
Elf elegien
Nachdichtung von Dieter Schlesak
Die zweite elegie. getica
für Vasile Pârvan
In jedes astloch setzte man einen gott.
Wenn ein stein zersprang wurde geschwind ein gott gebracht.
Wenn eine brücke brach
vertrat ein gott den leeren übergang
Wenn auf der straße gruben entstanden
brachte man schnell einen gott um ihn auf die straße
zu setzen.
Schneide dich nicht in den finger oder in den fuß
nicht absichtlich und nicht aus versehen!
Sie werden dir die wunde mit einem gott verbinden
daß an jeder stelle
ein gott sei von ihnen eingesetzt
daß zwang sei sich ihm zu beugen ihm
dem verteidiger aller dinge die innen sich von sich
selber scheiden.
Hüte dich verliere dein auge nicht
gleich werden sie dir die augenhöhle
mit einem gott vermauern
der nun als steinbild in den höhlen aufsteht.
Wir aber müssen die seelen kreisend
aus dem lob bewegen.
auch du wirst ihn wie fremde
in alle deine hymnen tragen und deine seele
versetzen.
Die dritte elegie
Schauen mangelnde zeit und wieder schauen
I Schauen
Wenn du erwachst
wird dir klar wie weit du gehen kannst:
Das innere auge wird ganz plötzlich leer
wie ein tunnel der blick
wird eins mit dir.
Sieh, wie weit der blick reichen kann
wenn er erwacht:
Ganz plötzlich wird er leer
ein bleirohr durch das
nur noch die bläue reist.
Sieh bis wohin es reichen kann
das erwachte blau:
Plötzlich wird es leer von innen
wie eine arterie ohne blut
durch das die rinnenden schlaflandschaften
durchscheinen.
II Zeitkrise
O blitzschlag der trauer grünes insekt
sanfte eier im geplatzten mark des meteors
aus meinen bedeckten handflächen
tritt so eine neue gegend hervor.
Das zimmer rinnt durch die fenster aus
ich kann es nicht halten in meinen geöffneten augen
ein krieg blauer engel mit elektrisch geladenen lanzen
findet statt in meiner iris.
Bis aufs blut vermischt mit den dingen
versuch ich ihre hast einzudämmen
doch die dämme brechen und sie fließen
zu anderen ordnungen und anderen dingen.
Blitzschlag der trauer es bleibt die sphärische leere:
Die sphären haben mich eingekreist
Aus ihrer mitte ein punkt nach dem anderen
öffnet sich
im auge der stirne der schäfen und finger.
III Schauen
plötzlich ein schreien der lüfte ...
sie schütten ihre vögel auf meinem rücken aus
sie haken sich ein in die wirbelsäule
und in meine schulter und kein ort bleibt für sie frei
und es haken sich die anderen tiere
in den rücken der riesenvögel
wie zuckende lange
wasserplanzenseile:
ich kann nicht aufrechtfstehn
bin hingeschlagen auf fluoreszierende steine
ich halte mich fest am pfeiler einer brücke
über nicht existierende wasser gespannt.
Im vogelfluß sieh wie sich einhakt
mit dem schnabel aufgeregt einer in den andern
fließt mir nun den rücken hinab
in richtung eines eisigen meeres
das ungeschwärzt blieb.
Sterbender vogelfluß auf dir
werden barbaren ihre spitzen kähne richten
zu immer nördlicheren immer weiteren
unbewohnten gegenden.
IV Zeitkrise
Als wäre eine grabstatt aufgebrochen
und als fließe auf dem fluß
sein eigenes geheimnis
Doch eher hält
er uns fest der blick
an seinem ende wie früchte
Und saugt uns aus soweit er kann
als zeige er uns
die engel der bäume und die engel
ganz anderer aussichten
doch die bäume sehn uns
und wir sehen sie nicht.
Als sei ein blatt gebrochen
Und es fliese aus ihm
Eine lache grüner augen.
Eingeholt wie früchte hängen wir
Am anderen ende eines blickes
Der an uns saugt.
V Schauen
blitzartig ist erhellt eine welt
schneller noch als die zeit des buchstaben a
ich wußte nur soviel: sie existiert
obwohl das sehn hinter den blättern sie gar nicht sah.
ich fiel zurück in den menschlichen zustand
so schnell daß ich mich daran verletzte und matter
mit schmerzen am eigenen körper
mich wunderte daß ich ihn noch hatte.
ich zog meine seele nach allen seiten auseinander
mit ihr zu füllen die röhren der arme und
die große kugel über der schulter
sowie auch die andern gestalten und
stand angespannt da
zu erinnern jene blitzartig erkannte welt
die mich mit diesem körper bestraft
der sich nur langsam sprechend in sich hält.
Doch erinnern konnte ich nichts.
nur soviel - berührt zu haben
das ganz andere den andern den andernort
die mich erkennend verstossen haben.
Die schwerkraft des herzens rief
die summen von begriffen und sinnen
dauernd zurück, die sogar dich mein gedanke
zum knecht wie magneten bestimmen.
La tentation de la réalité
Nein ärger nie weil äpfel sind nie
ärger an äpfeln an blättern daß überhaupt blätter sind an schatten daß schatten ist am vogel daß ein vogel ist, hatten doch äpfel schatten blätter vögel plötzlich großen ärger mit mir. Seht mich nun gehen zum tribunal der schatten äpfel und vögel
runde tribunale lufttribunale
zerbrechlich und kühl.
So wurde ich dann verurteilt für nichtwissen zeitmord hast und für trägheit,
das urteil
liegt vor in der sprache der kerne.
Die anklageschrift trägt ein siegel der vogeleingeweide,
kühle graue haft für mich bestimmt.
So stehe ich denn mit entblößtem kopfe versuche zu entziffern was mir hier noch zusteht
für ignoranz ...
und ich kann nicht kann
nichts
entziffern und dieser geistes zustand er selbst
ist mir böse, verurteilt mich unentziffernbar
perpetuum mobile meiner erwartung, anstrengung des sinnes
in sich selbst, bis sie endlich
annimmt die gestalten der äpfel
blätter vögel
und schatten.
Die sechste elegie
ich steh zwischen zwei idolen und kann keines wählen
und steh zwischen zwei idolen
und sprühregen fällt
und kann nicht wählen und warte
im regen erstarren zu holz die idole und ich stehe
und kann nicht wählen zwischen zwei scheiten
holz und es fällt der sprühregen und ich kann
im faulenden regen nicht wählen und steh
und es zeigen die beiden hölzer vom regen
gebleichte rippen und ich steh zwischen zwei
pferdegerippen und kann nicht wählen kann nicht
im sprühregen wählen der aufweicht die erde unter den weissen skeletten und ich kann
nicht wählen und steh
zwischen zwei kuhlen und sprühregen
fällt und das regenwasser nagt an der erde
mit hungernden zähnen und ich steh
in den händen die schaufel zwischen zwei kuhlen und kann im regen nicht wählen: und wähle die erste die ich ausfüllen werde
mit regenbenagter gelber erde.
Die siebente elegie
nervengefäße der blätter und wechsle
ihr grün und ihr gelb und laß mich sterben
vom herbst. Im namen der steine lebe ich und 1asse mich quadern in wege von rasenden rädern verletzt.
Ich lebe im namen der äpfel und habe
sechs kerne gespuckt dem jungen mädchen
zwischen den zähnen
und die gedanken fliegen zu
in trägen tänzen aus ebonit:
langsam. Im namen von schindel
und ziegel leb ich die arme im mörtel erstarrt
in jeder hand webe ich zeit umfange
mögliches eigelb atmender wesen. Niemals
werde ich heilig sein. Denn allzusehr habe
ich die starken bilder
anderer konkreter formen in mir.
Und so bleibt keine zeit
an das eigene leben zu denken. Hier bin ich.
Ich lebe im namen der pferde und wiehere.
Und setze hinweg
über holzweg und holzschlag. Ich lebe
im namen der vögel, vor allem im namen
des fluges.
Ich glaube, ich habe schon flügel
doch die bleiben unsichtbar. Alles für diesen
flug. Alles
zu stützen. Das was IST
an das kommende.
Ich strecke eine hand aus und an stelle
der finger wachsen fünf hände
die haben anstelle
der finger fünf hände
die haben anstelle
der finger fünf hände.
Alles um zu umarmen alles
im einzelnen,
um zu ertasten ungeborene blicke aussichten
zu ritzen bis aufs blut
mit einer anwesenheit.
Die achte elegie, Hyperboreeana
I
Als sie die feste beschaffenheit
meiner art sah sagte sie: laß uns fliehen
nach Hyperborea damit du von mir lebendig
geboren wirst auf schnee wie die hirschkuh
laufend gebärt röhrend mit eisigen lauten hängt sie
an borealischen planeten.
Ins eis mit uns in die käIte! entkleiden
will ich meinen körper mit einem kopfsprung
ins kalte wasser nackter gefühle stürzen
die begrenzt sind
von den meerestieren.
Anschwellen wird der ozean anschwellen
bis jedes seiner moleküle rund sein wird wie
ein elchauge
oder
noch größer als groß
wie der tranige leib eines wals wird er sein.
Kopfspringen in dieses vergrößerte wasser
mich anschlagen an brownischer aussieht,
verzweifelt anhaltende regung - so werde
ich rasend im zickzack schwimmend getroffen
bald: von riesigen finstern eismolekülen
adepten des herkules.
Wir haben keine kraft zu ertrinken zu
gehn und zu fliegen -
nur der zickzack der zickzack der zickzack
als sei ich in ein farnkraut gestiegen
das himmelt und fliegendes schicksal zeigt.
Nach hyperborea sollten wir gehen
damit du von mir lebendig
geboren wirst auf schnee wie die hindin
laufend gebärt und schreiend zerrissen wird
von des himmels zwölfendern, auf gesprungenem eisberg unter den
nördlichen himmeln blau violett.
II
Sie ziindete plötzlich ein licht
das aus der gegend ihrer knie kam vertikal
unter dem roten hut sich drehte
unberührt virginal.
Und warf mir ein buch an die knöchel
mit kuneifomen zeichen.
Engel dünn wie gepreßite blunien
zerbarsten auf der plattformfielen wie lichte leichen.
Engel, von buchstaben angeschwärzte
zwischen der obern und unteren seite.
Durchsichtig mager dürstend
mit entsetzlich scharfer schneide.
Um mir die blicke abzuschneiden
die ohne meinen willen mir gewachsen waren
männliche toga, harte traurigkeiten.
befestige ich mit eis spangen.
In Hyperborea, sagte sie mir –
und wir umfaßten des andern nacken,
wir müssen mit dem Iahmen rechten arm
unter das eis in den strudel.
Tödliche zone, Hyperborea
wo riesige gehirne sind:
hier werden sie geboren die kinder aus stein
stein für heilige, niemals ein kind.
Schwarz und weiß Hyperborea,
die aus gold und silber sind:
offenbarung, trauer und nichtoffenbarung;
deine läufer sind schafe, blind.
III
Und sie hebt plötzlich den kopf:
über ihr rasen weiße kugeln
und die wolken verstreun sich in grünlichen streifen.
Es zeigt sich eine sphäre mit gebirgig großen dunkelheiten, wo die vögel ihre schnäbel
eingeschlagen und mit f'Iügelschlägen diese sphäre um ihre eigne
achse bewegen.
Hier wird das ideal des fluges erfüllt.
Man sieht wie störche in die felsen
eingeschlagen sich langsam bewegen. Und die
großen adler deren köpfe in die felsen eingegraben ohren-
betäubend mit den flügeln schlagen.
Wie um den größten vogel
mit eisigblauem schnabel
sich langsam bewegt
mit den vier Jahreszeiten die sphäre.
Sicherlich wurde hier das ideal des flugesd erfüllt
Und es wird noch ein heftigeres ideal prophezeit
Von einer grünlichen krone der luft.
wenn in mir flugerwarten ist
steht eins am andern flügeltoll –
die selbstin an das selbst gepreßt.
Flügelgefühl rinnt den rücken hinab
der augensinn sucht den augenort
ihr meine großen finsternisse
du ekel einer versteinten geburt.
Auf mir sitzt ein gedankenmund
ein muttertier mich auszubrüten,
alles was da ist wird rund
wärme und feste zu hüten.
Springt aus mir eine art von schnabel
gleichzeitig nach süd und nord
weigert sich als obelisk zu sterben
gekrümmtes rückgrat totes wort.
Zerbrechen meiner verbrannten schale
die wie an mein herz geklebt
vielleicht bleibt doch noch unversehrt
das gefühl wenn man zum erstenmal geht. Zerspringen der schwarzen schalen oho!
nun bin ich größer und unausgeflogen
doch immer an jenes wohin gebunden
und ringsum ist der himmel gezogen.
Meine blicke stoßen hervor irreal
rechts links nach oben und unten: sehn
königstiere laufend gebären
wissend wie man in den tod geht - schön.
Berühr irisierend die knochenfeder
konkaves eischwarz blank,
es springen blitzend die schwarzen schalen, von neuem bin ich sehr schlank.
In ein ei nun gesperrt viel größer als groß
von größern gedanken gebrütet als groß
halb eigelb halb vogel –
verbotenen schrittes, halb spiel und halb regdl.
O Riesenei gebrüllte silbe
die sich in entwurzdltem wachstum gespürt,
ganz ohne decke: stalaktitenmilde
verführt.
Konzentrische eier schwarz und zerbrochen
einzeln und zusammen erbrochen,
vogelkücken aus dem fliegen verstoßen –
von ei zu ei durchsterbend und
aus der mitte der erde bis zum Alkor
in rhythmisch zerdehntem echomund.,
Das "selbst" versucht aus dem "selbst' sich zu lösen das aug aus dem auge so leer,
das selbst auf dem selbst einsam zu dösen
wie ein schwarzes schneien leicht-schwer.
Aus einem ei in ein andres viel größer
unendlich wirst du geboren
aus ungeborenen flügeltoren.
aus jedem schlaf
kann jeder erwachen doch niemand
erwacht aus
des lebens schwarzen schalen.
Die zehnte elegie
Ich bin
Ich bin krank es tut weh ein wundmal
vom laufenden pferdehuf getreten.
Unsichtbares sinnesorgan
wird seinen namen verspäten
das unauge und das nichtgehör
untastsinn ungeschmack ungeruch
zwischen finger und zunge
zwischen augen und trommeIfeIl
mit dem abend geichzeitig schwanden.
Zuerst kommt ein blick dann pause
doch gibt’s kein aug für dies kommen,
dann kommt ein geruch und dann stille
doch gifbt´s keinen sinn für das kommen
schmecken und feuchtes schwingen
und wieder abwesenheit,
im trommlfell unterbrochen
bewegungen der ellipse dunkelheit.
Dann rühren tasten und gleiten
an einem großen wellenbrecher,
winter der bewegung vereist
die eingeschneiten Oberflächen.
Doch krank bin ich krank
von etwas zwischen gehör und auge,
von einer art ohr einer art iris,
die noch nie in die zeit sprang.
Mein körper - ein ast ohne blätterwerk
elchischer astleib
in freier luft sicht kahlend doch nur
nach den gesetzen des knochenscheits.
Bedingungslos zurückgelassen
blieben die zarten gebeine der sphäre
als ob zwischen aug und gehör zunge und geruch
die schweigemauer ausgespannt wäre.
Krank bin ich krank von mauern
krank von ihren steinernen trümmern,
von trommelfellaugen von tastgerüchen,
bin luftzertreten
von abstrakten tieren.
Sie fliehen verschreckt vor abstrakten jägern,
von einem abstrakten hunger verschreckt,
in ihren mägen regt sich immer
ein hunger abstrakt, versteckt.
Sie traben über die nackten organe,
nackt, ohne nerven und augen und felle
dem kosmischen nichts ausgesetzt
und gottes willkür und quellen.
0 schräges ausgedehntes organ, organ
versteckt im begriff wie ein ärmlicher strah1
in der sphäre wie das fersenbein
in der achillesferse die getroffen war
vom tödlichen sinnesorgan: pfeil.
Organ wie aus strengen steinernen körpern, gewöhnt nur zu sterben in sich eingezogen und
hinausgestoßen verströmt.
Oh, sieh von einer wunde krankgemacht
eingebildete wunde zwischen Polarstern Kanopus Arkturus und der Kassiopeia am nächtlichen himmel ich sterbe an einer wunde die
nicht raum fand in meinem leib
taugtlich für alle arten von wunden
in worten vergeudet den strahlzoll zahlend
der anwesenden zoll zeit.
Siehe ich bin über steine gespannt
und ich stöhne und mir sind ausgebrochen
die augen die sinnesorgane und der große
meister ist irr, denn er leidet
am universum. Es schmerzt
daß der apfel apfel sein muß, ich bin
sehr krank von kernen und krank von kieseln
krank von rädern von sprühregen, flecken
von meteoren und zelten: ich bin.
Von rappen geweidet meine grasorgane erdolcht ist mein sinnesorgan: der stier
vom blitz aus toreadorischen sinnen
als arenadreizack ein abstraktes tier.
Das wolkenorgan ist mir geschmolzen
gefallen in rasendem tropenregen
und vom wintersinnesorgan löst sich
mein ganz gewordenes leben.
Mich schmerzt der gehörnte der oger das verb
es schmerzt das kupfer die wolfsmilch es schmerzt
der hund der hase der gelbe elch
der baum das brett und die verzierung es schmerzt
im atomkern ein zentrum und es schmerzt
wie adam und lehm und wie blanke rippen
die grenze aus leib die mich schmerzt die mich hält entfernt von den andern hinter gottes rücken:
mich schmerzt das kranke tier der mensch,
eine wunde die ich auf der schüssel trage
wie den tod des heiligen Johannes im tanz einer hymnischen frage.
Ich kann nicht ertragen das unsichtbare
das unhörbare und das unschmeckbare
das geruchlose das nicht faßbar ist nicht
eingehirnt eng und ohne gewicht
im denkskelett ich in der weltsicht der menge
die duldet nicht andern tod als den selbst-
erfundenen tödlichen tod - er geschehe.
Nicht vom lied bin ich krank
bin krank von geöffneten türen bin
krank von der eins
der welt die kann ich nicht teilen bin krank
kann nicht teilen die welt in zwei
blaue brüste zwei brauen zwei ohren
zwei fersen in zwei laufende
füße die
nicht bleiben. Ich kann nicht
teilen die eins in zwei augen in zwei schon
verirrte, zwei trauben zwei brüllende tiere
in zwei märtyrer die auf dem holzstoß ruhn.
Die elfte elegie
Eingehn in die arbeiten des früh jahrs
I
Größer das herz als der leib
schnellt es von allen seiten zugleich
und rückwärts zerschellend von allen seiten
kommt es über ihn wie
zerstörende lavafluten
du größerer inhalt als jede form,
siehe die selbst er kenntnis, siehe
weshalb sich materie in schmerzen gebärt
aus sich selbst um dann sterben zu können.
Nur der stirbt der sich selbst erkennt
und es gebärt sich nur der
der selbst für sich zeugt.
Ich müßte laufen rief es in mir
doch dann müßte ich die seele erst wenden
den unbeweglichen ahnen zu die
wie knochenmark sich zurückgezogen
in ihre beinernen türme
unbewegt und genau
den dingen gleich die wir ans ende bringen.
Laufen kann ich denn sie sind in mir.
Und laufen werde ich denn nur
was in sich selbst unbewegt ist
kann sich bewegen,
nur wer einsam ist in seinem selbst
wird begleitet und weiß daß ein herz
wenn es fest ist noch stärker zerschellt
bis in die eigenste
mitte oder
oder gebrochen in viele planeten wird es sich erobern lassen von Lebewesen
und von pflanzen
oder es wird dann hinter einem fremden brustkorb kalt stehen und begraben
wie unter pyramiden.
II
Einfach ist alles so einfach
daß es unverständlich wird,
nahe ist alles so nahe daß
es sich langsam zurückzieht
bis hinter die lider
und man es nicht mehr sieht.
Alles ist so vollkommen
im früh jahr
daß ich es nur erkenne,
wenn ich es mit einem ich umgebe
wie den aufwuchs des grases, bezeugt
von den wort mündern gesprochen
bezeugt von dem mund des herzens von den herzen und ihren kernen.
Jeder in sich selbst ist unbewegt wie
die kerne der erde die um sich sammeln
unendlich viele arme der schwerkraft.
Alles an sich ziehend alles und gleich zeitig alles in starke umarmung ziehend alles
was durch die arme hervortritt: bewegung.
III
Laufen werde ich also nach allen seiten zugleich
meinem eigenen herzen folgend gleich
den kampfwagen die
nach allen seiten zugleich gezogen werden
von rudeln wildgepeitschter pferde.
IV
Rasen bis der fortgang jeden lauf,
ihn und mich überholen wird,
er entfernent sich von mir genau wie
schalen sich von dem samen lösen, bis
der lauf in sich selbst ein-
geht und
hält. Ich aber werde zusammen-
brechen auf der schale wie der mann unter dreißig der in sich
die geliebte erwartet.
V
Und wenn es mißlingt daß der große
lauf mich überholt wenn er sich
bewegt in sich selbst und dann hält im stehen
wie stein vielleicht wie
quecksilber hinter glas
erkenne ich mich im spiegel
in sämtlichen dingen umarme mit mir
alle dinge zugleich sie
aber werfen mich zurück denn alles
was in mir ding war ist in die dinge
zurückgegangen.
VI
Hier bin ich
bleibe was ich schon war
mit einsarnkeitswimpeln mit schildern aus eis,
zurück zu mir selbst geht mein lauf
und von überall reiß ich mich ab im fortgehn
reiß mich alb aus dem vormirsein aus dem hintermir- sein von rechts und von links von über mir und aus dem untermirsein von überall und schenk mich ins überal1sein reicher und reichere gedächtniszeichen: dem himmel
gestirne,
der erde lüfte,
dem schatten äste mit blättern.
VII
... Seltsamster leib asymetrischet leib hier
in sich selbst erstaunt wenn die
sphären kommen.
Vor der sonne schattenstehend erstaunt
wartend mit geduld daß dem licht
ein körper wachse nach maß.
VIII
Sich stützen auf den eigenen grund
da du samenkom bist wenn der winter
seine knochen dehnt hier weiß und lang
und das frrühjahr aufsteht.
Sich stützen auf das eigne land
wenn du allein bist,
ungeliebter
und du vergehst oder wenn
der winter verwest, in seinen sphären
sich früh jahr bewegt aus sich selbst
gleich herzen
zu ihren rändern.
Gereinigt eingehn
in die bäuerliche arbeit des früh jahrs
dem samen sagen daß er same sei dem boden seinen eignen namen.
Wir aber sind vor allem
der same, wir sind
die ringsumgesehenen zu gleicher zeit
als wohnten wir wirklich in einem auge
als wären wir ein feld dem
statt gräser blicke wachsen wir
und wir mit uns
plötzlich unserem harten fast metallischen selbst
mähn die wesen daß sie nun seien
wie alle anderer sachen und dinge
die um uns sind
und die wir
im herzwerk geboren haben
Vor allem aber sind wir
die samenkerne wie wir uns vorbereiten
uns zu stürzen in etwas anderes ...
viel höheres etwas anderes ...
das den namen früh jahr trägt ...
Im innern der dinge immer
im innern al1er dinge sein.
Same zu sein und sich zu stützen
auf den eigenen boden.
© Dieter Schlesak 1969, 1997, 2001
Neue Fassung von 11 ELEGIEN. Zweisprachige Ausgabe. Nachdichtungen und
Nachwort Dieter Schlesak, Literaturverlag, Bukarest 1969
Die Zweite und die Dritte elegie, sowie "Der weltblenden-mensch" sind in meiner Anthologie "Gefährliche Serpentinen, rumänische Lyrik der Gegenwart," Druckhaus Galrev , Berlin 1997
erschienen
Beim Wiedersehen mit meinem toten Freund Nichita Stánescu
und seiner Elf Elegien/ unsprezece elegii
Er sagte es und gab
mir die Versuche ein, und sagte es,
daß dort sein Wort
hinüber sei und nun bei ihm
geborgen und verborgen sei in Einem
"Und jetzt begraben wir in mir den Baum.
Und jetzt begraben wir in mir den Kinderadler, diesen Armen.
Und jetzt begraben wir in mir, begraben wir in mir
jetzt alles, was ich noch erinnern kann.
Und jetzt begraben wir in mir ihn selbst den Herrn...
Und bin dann so von Mal zu Mal noch weniger zu sehn.
Und jetzt begraben wir in mir
das Schweigen: werde ich begraben,
das eures ist und eines andern/ der ich einmal
war."
Und redet weiter von der Liebe, redet
kein Wort, dies hier, dies war ihm alles feind,
was nicht die Liebe war in Ihm
war nur das Fehlende im Tode
jetzt vereint:
"... warum sollte ich noch denken -
und warum sollte ich in Worten denken
- und warum sollte ich in Worten an dich denken,
warum?
Denn meine Arme dachten doch mit ihren Armen
an dich,
mein Licht, es dachte doch mit ihrem Licht
an dich (...)
Sag, warum sollte ich noch denken ...
sag, warum sollte ich so nur in Worten
an dich denken,
Warum?"
Dann sagt er, jetzt,
Die letzte Elegie, die Elfte,
sag, willst du die jetzt noch hören?
Ich höre ja,
die Zeit fällt so in mir zusammen:
Nun gut so hör mir zu
ich bin ja wirklich da und rede:
"Das Herz ist größer als der Leib,
so schnellt es vor aus allen Seiten
zugleich,
schnellt es dann vor und stürzt von allen Seiten
auf ihn ein,
ein Feuer, ein Lavaregen...
Es stirbt ja nur, wer um sich selber weiß,
es wird nur der geboren, der
sein eigener Zeuge ist.
Nur wer in sich ganz einsam ist,
wird hier begleitet; und weiß, daß nur ein Herz,
das sich nicht zeigt, im Scheitern stärker
zustürzt seiner eigenen
Mitte ..."
Nichit Stánescu
Die dritte Elegie
V Contemplare
Blitzartig ist erhellt eine Welt
schneller als die Zeit des Buchstaben A.
Ich wußte nur soviel: sie existiert
obwohl das Sehn hinter den Blättern sie gar
nicht sah.
Ich fiel zurück in den menschlichen Zustand
so schnell daß ich mich daran verletzte und matter
mit Schmerzen am eigenen Körper
mich wundernd daß ich ihn hatte.
Ich zog meine Seele nach allen Seiten auseinander
mit ihr zu füllen die Röhren der Arme und
die große Kugel über der Schulter
sowie auch die andern Gestalten. Im Grund
stand ich angespannt da
zu erinnern jene blitzartig erkannte Welt
die mich mit diesem Körper bestraft
der sich nur langsam sprechend in sich hält.
Doch erinnern konnte ich nichts.
Nur soviel - berührt zu haben
das Ganz Andere den Andern den Andernort
die mich erkennend verstoßen haben.
Die Schwerkraft des Herzens rief
die Summen von Begriffen und Sinnen
dauernd zurück, die sogar dich mein Gedanke
zum Knecht wie Magneten bestimmen.
(Dieter Schlesak, 6/69,97)
Dieter Schlesak
TOTENGESPRÄCH MIT DEM ALTEN FREUND NICHITA
Glaub mir,
es sind Fiktionen über meinen Ursprung: Rom. Romanisch. Romänisch:
Hier. Schatten, der zwischen die Ochsen fiel, das bist DU. Von Schatten
zu Schatten gegangen über einem Abgrund: moment securitatae. Und noch
ein anderer Spagat hin zum Deutschen: Metaphysik, über das Braune
vergangen.
Die Anti-Metapher, Nichita,
du zerfetzt das Bild, wenn es Idylle werden will, hinauf bis zu Ihm, ein
Gruß aus dem Abgrund wird dicht gemacht im Ich: Herr der Erfahrung,
Herr der Sinne - Metonymie. Noch schöner wärs, ja, Tote begegnen
sich!
Mysteriöses Verschwinden
(Misterioasá disparitie)
Was ist denn der Tod anderes
als ein mysteriöses Verschwinden
der Dinge?
Ihm kommt als erstes die Pelzmütze abhanden.
Sie bedeckte den Kopf, er legte sie auf den Stuhl
Doch sie liegt jetzt nicht mehr auf dem Stuhl.
Suche nur - und auch der Stuhl ist nicht mehr da!
Legte er sie auf das Bett? Doch wo ist das Bett?
Hing er sie an die Türklinke? ( den wunderbaren Kleiderhaken!)
Doch auch du, Klinke, auch du, Tür - seid nun verloren im Nichts.
So wächst ringsum die Leere...
Und das wiederholt sich nun Tag für tag ...
Jedoch nicht in einer so starken Wiederholung
Denn manchmal erscheint die Mütze. Sie erscheint wieder.
Und er findet sich wieder plötzlich
mit ihr auf dem Kopf
Er setzt sich auf den Stuhl. Öffnet die Tür,
legt die Hand auf die Klinke.
Die Dinge sind alle brav an ihrem Ort.
Sie lassen sich berühren. Gekitzelt und kitzeln ihn
am ´Nabel´ der Finger. Ich kichere. Es kichert.
Dieses Kommher der Materie! Salz des Lebens!
Bis wann denn noch erschrocken:
- Frau, die Mütze!
Oder: Weißt du nicht, wohin ich die Brille gelegt habe?
- Wieder fängst du damit an?
-Ich fange nicht an, ich mach weiter.
Was ist der Tod denn anderes
als ein mysteriöses Verschwinden
der Dinge?
Mit den zwischen uns getauschten leibern
Kirschen-frauen erblüht zu füssen die
abgefallenen blumenblätter … geliebte hast du jetzt nicht
das gefühl
der vollendung unter allen kirschen-frauen? unseren
seelen ist es jetzt gelungen durchs sieb
der ordnung durchzuschüpfen … komm
tauschen wir bis morgen unsere leiber:
wir angehalten neben diesen barken
am fluss-
ufer
Vergessen. und hingegeben beide dem
"anormalen zustand" tauber
übergabe
wenn letzte lampen an den barken jetzt
verlöschen und letzte kerzen an der bergesspitze
wo unsere eltern wohnen ausgehn wiederholen wir
nur in gedanken und unendlich oft: in
unseren seelen ist ein tief verschwiegener
riss.
ein riss seit hierher wir gekommen sind voll
scham und splitternackt ein-
balsamiert zu werden? Ein-
balsamiert die kirschen-frauen
mit kalk den stamm die rinde dann zuerst
im frühjahr: in jenem Rhythmus
einer auferstehung zyklisch…
so liegen wir
im blühen
einer neben dem andern nach
einer liebesnacht verlorene blumenblätter
im sarg und kaum berührt
mit ausgetauschten leibern auch
am anfang jener andern welt
Nichts wie verschoben (Nimic
decât amânare)
(Von Berlin nach Königsberg)
Zusatz: Weiter und immer
weiter/ Orte: Weiß und Kant-ig
vergangen -
um zu Sein?
Rein und strahlend schuldig doch selbstsicher
das heilige Modell nähert sich
dem heftigen Atem der Katastrophe
und der Wortstreit: du hättest ihn gerne beschrieben
dauert Ja nicht ewig.
Vergeblich beobachtest du
alles was du begreifst
es ist nur soviel wie ein Satzzeichen
bemerken kann das
- jedem zu Diensten - irgendwo zufällig eingesetzt
in einen wesentlichen Satz und in einer von Niemandem
und niemals gelernten Sprache
die du als Spinne erinnerst
hängend in einem Winkel der Decke:
versponnen im letzten Netz
Wen aber soll dies kümmern daß du so dein Leben
einsetzt nur/ um es zu verschieben/
für bessere Zeiten?
Berlin 27 Aug. 1995
(Dieter Schlesak, 6/97)
Überwachte Beziehungen mit dem Tode/
Supravegheate raporturi cu moartea
für Carmen Francesca Banciu
Die Retina beherrscht die Finsternis besser als gestern
die Zunge im Mund liegt dem Schrecken der Nicht
Sehenden näher - auf einem geschmükten Floß
verschwunden zwecks eines primitiven Rituals im Offenen
Grenzen zwischen dem Vorher und
dem Jetzt/ Nachher
(Was sich verändert hat, hat es sich etwa nur verändert
damit jeder in der Mannschaft des
Todes lebe?)
Wir verstecken uns im Keller nähern das Zündholz
der letzten Stufe und verweigern ängstlich
den finalen Vertrag davon überzeugt: er sei schon entziffert
aufgesetzt und vervielfältigt
von einigen Geheimdiensten.
Berlin 26. August 1995
(Dieter Schlesak, 6/97)
Bibliothek.
(Paraphrase)
Die wahre Fülle
liegt unerschöpflich in der Leere.
Lao-tse
Bibliothek, die mir das Leben nahm: ich - atmend
und schon tot:
sehr müd in dieser Irrfahrt
jahrelang von einem Ende
meiner Blutbahn hin zum andern
mit meiner Liebsten
dragam
Albia
Pausenlanges Schweigen
ist ein Herzstoß. Er fehlte hier
der langen Heimkehr; die Rückkehr
war sehr müde und sehr arm - der Weg
er hatte seinen hohen Preis: Das Leben!
Ich konnte Ihn in mir
nicht wachsen lassen, Ihn nicht erhalten - und
gab ihn dem Tod, weil Er der Tod ist ... Ein Jetzt
das in mir ruht; so stehe ich und schau nach außen,
den Träumen nach:
Ein Adler der zuerst den Löwen aus-
nimmt, erspürt die Schwarze Katze Nacht der Hosentasche
und wie der Glanz des schwarzen Fells
vor Angst verlöscht/ Eins wird mit dieser Finsternis,
das Kind versteckt sich in der Kindheit - sieh,
es sind nun Sie - Sie suchen mich
von Zeit zu Zeit, Sie sehn mich schweigend an; und Sie
verschwinden kurz vor dem Erwachen;
mich sehn jetzt nur die frischen Ameisenhaufen, Krater
der Maulwürfe Augen der Dunkelheit ...
der Schmerz ist zu ertragen, welch eine Qual! Ertrage
den Schmerz immer besser; denke sogar:
Ihre Wiederkehr würde mich verwirren, jetzt, daheim:
soviele Jahre vergeudet, soviel an Versöhnung fleißig
zusammengetragen, soviele Lügenbücher,
die Ihr Verschwinden zelebrieren! Nein -
ausgerechnet jetzt, jetzt nachdem ich mir aufgebaut habe
eine solide Trauer; aus der trocknen Haut des Wortes `Liebe`
(und ich habe dir doch gesagt, du sollst achtgeben
während meiner Abwesenheit, und dieses Wort darf nicht verkommen,
sich balgen gar mit anderen Wörtern, hab´s dir doch gesagt!) und schuf
drei Visionen, drei Fenster - denn in Richtung Norden
ließ ich zu riesige Flügel adlerartige Himmelsfrequenz
zehn Fundamente kindlicher Leucht Türme genau an der Kreuzung
wartend "auf jenen der sich niemals verirrt" ... und dies bleibt
Jetzt und nur noch: dies:
wenn ich die Augen schließe
tritt hier Niemand mehr ein ...
Ich, ein Berufseinsamkeitler hier, ich
werd mich im dolce far niente und
taugenichtsartig auf dem Rücken
meiner Erinnerung und Selbst verbrennen
im Tode lachend: Nichts als
mit mir Selbst zu hadern
im Abgrund
der Geister im Keller der Glorien- und
der Heiligenscheine erhöhnt?
Den Letzten den Vers
werd ich anstecken können
um bei seinem Schein
zu schreiben
den nächsten den allernächsten Vers
...
Von jetzt an
Nie
mehr ein Flüchtling
zu Sein...
(Dieter Schlesak, 6/97)
Ballade
(Nach Augustin Frátilá)
Heep,Heep,Uriah!
Heep, Heep, Uriah!
Und ich kam an zur Nacht
- spät.
Mitten in dieser Irrfahrt besetzt
alle Stühle, das Vorzimmer, die Küche,
die Tafelnden tot, und erwarteten Ihn,
den SOHN.
Auf der Couch ausgestreckt der VATER; auf dem
Teppich geblieben: offen: der Sarg - Kein
Platz außer am Boden da unten
das Offene:
"- Wieder verspätet!" (Ich verspätete Immer!) konnte es
lesen auf dem Nachttisch-Spiegel
mit Atemhauch zart das Warmgeschriebene ...
Er hatte den besten Anzug an
die neuen Schuhe - ich aber löschte
eilig
das eben Gelesene, und reinigte den Boden
das Linoleum, die Klinke, und
machte mich aus dem Staub...
"Dady, dady come and see, look
what I have found!" rief Melinda: so schließ
doch die Tür, hör´n wir Blues, ja? Blues um uns
zu erinnern, ja? Wir waren so krank - und ER
ja Er nahm´s Akkordeon ( Marke Weltmeister), spielte`
n´Ländler steierisch, dann "Kukuruzbrechen"
ab oder besser´n Jazz? Viel Jazz hörn, Ja?
Nur um uns zu erinnern: Schlawiner! - Er
wartete immer bis Mutter einschlief, schlich in die Küche
sein ganzes Wesen vibrierte im Kitzel:
heimlich sich einen Kaffee zu kochen ...
Und doch Melinda Mädchen ist´s leichter
den Blues zu erinnern so komm doch und setz
einen Blues auf: ja hol mir, zum Teufel,
endlich den Pfropfen Blut aus den Ohren ...
(Dieter Schlesak, 6/97)
Rumänische
Lyrik der Gegenwart
Rede auf der Leipziger Buchmesse 1998
eine von mir zusammengestellte Anthologie rumänischer Poesie "Gefährliche Serpentinen", Brancusis (rum.Brâncu?is) Unendliche Säule, das zentrale rumänische Symbol, auf dem Umschlag, möchte ich Ihnen vorstellen; diese Sammlung mit über hundert rumänischen Lyrikern der Gegenwart, übersetzt von rumäniendeutschen Kollegen, liegt seit einigen Tagen beim Druckhaus Galrev vor.
Es ist eine Art Hommage an die rumänische Dichtung.
Die Anthologie stellt vier Generationen vor: die Generation 60, die 1960 zu veröffentlichen begann, dann die Generationen 70, 80 und 90, die bisher jüngste. Die Kraftlinien der Einflüsse werden zurückverfolgt bis zu älteren Autoren der rumänischen Avantgarde, die übrigens auch Paul Celan beeinflußt hatten. Im Zentrum steht die "Generation 80", zu der Mircea Cartarescu und Marta Petreu gehören, die heute hier lesen werden.
Die Auflösung der Grenzen "alter" Geschichte nach Auflösung der System- und Stacheldraht- Zäune gibt den Blick auf ein totales Endspiel, und zugleich auf eine andere, die Grenze des "Ganz Anderen" frei. Und, so Heiner Müller.: "...wenn die Chancen vertan sind, beginnt, was Entwurf einer neuen Welt war, anders neu: als Dialog mit den Toten." Millionen Opfer der Diktaturen. Tod und Transzendenz in einem geschichtlich-posthumen Kontext, der einen Gegenwarts-Stil erst möglich macht.
Er zeichnete sich schon bei der Generation 60, bei Marin Sorescu (1936-1997)oder Nichita Stanescu (1933-1983) ab. Auch Ana Blandiana, die heute hier lesen wird, gehört dazu. Tauwetter 1960/61, dann 1965, als Ceausescu, aus Machtkalkül in der Literatur Stilvielfalt zuließ. Damals erarbeiteten diese "Waisenkinder des Klassenkampfes" unter Druck eine subtile, sprachgeschärfte, spannungsgeladene Poetik der Innenwelträume.
Innerlichkeit war ein Politikum sondergleichen. So bei Nichita Stánescu, dem wichtigsten Lyriker der Sechziger, sein Gedicht im metasprachlichen Raum und die Grenze zum Numinosen offen, wo auch die Toten (ähnlich wie bei Rilke oder Celan) ansprechbar werden. ("In mir, schau her, sind alle meine Toten /erwacht/ und alle Toten meiner Toten/ und alle Freunde und Verwandten/ der Toten meiner Toten." Nuancenreiche lyrische Sprache, Destillate unter starkem Druck, Sprach-Innenräume als letzte Zuflucht des Geistes. Allerdings auch eine Entlarvungs-Aktion; der verhüllende Schleier der Worte wurde von den gebrannten Kindern der Diktatur (überfüttert mit Ideologie-Parolen) als Trug gesichtet: "Blitzartig ist erhellt eine Welt/ schneller als die Zeit des Buchstaben A."... "stand ich angespannt da/ zu erinnern jene blitzartig erkannte Welt/ die mich mit diesem Körper bestraft/ der sich nur langsam sprechend in sich hält."
Stánescus Gedicht hat die Jüngeren beeinflußt, dies Auflösen (über das Wort) in ein eigenes, bewußtgewordenes Körpergefühl. Körpergefühl ist extrem wichtig bei den Jüngeren der Generation 80: Körperdasein als nüchterne hirnsyntaktische Allegorie.
Dagegen scheint Sprache ein machtgeschütztes Abziehbild zu sein. So Mircea Cártárescu: Beim Schreiben fahre sofort "in den den Füllhalter führenden Finger wie in einen Handschuh eine fremde Klaue..." Und: "Als Leser kommt nur noch der Tod in Frage". Die Generation 80, so einer ihrer Poeten, wird von der Wirklichkeit "hypnotisiert", "von der Unmenge natürlicher Poesie, die ihr entströmt". Diese Dichtung sei "überraschend irdisch", und die "Banalität empfange täglich Visiten der Poesie"; das "Weltall" sei städtisch geworden, und die Ekstase "aus den Innenräumen auf die Straße hinausgetreten". Die Trennung zwischen Ich und Welt wird illusorisch, es gäbe "neue Masken" und Gefäße für das nicht direkt Sagbare: Bei Mircea Cartarescu und der Generation ´80 ist die Poesie das wirkliche JETZT, wie in der Quantenphysik, der beobachteten Momentaufnahme eines Schnittes durch den Weltaugenblick. Z.B. Galaxien als Kapitale von jenseits der eingeengten Lebensgrenze - "nur sie noch bringen uns, Milliarden Jahre verspätet/ Nachrichten aus der Urstadt, der Kapitale./ Wir alle, ausnahmslos alle werden sie dereinst sehen: Die Hauptstadt/ werden abstreifen das speckige Nervenjackett, die Lavallière der Adern/ und gläsern, das Gehör hinter uns werfend wie einen azurnen Schleier,/ die Geschmackspapillen verbrennend,/ werden wir die neue Mode annehmen ..."
Der Alltag, das Rätsel des wirklich gelebten Augenblicks als Ganzes wird zum Gedicht. Kosmos und Alltag dominiert, weil die genaue Wahrnehmung dieses Wirklichen von der Diktatur gefürchtet wurde, ihr ganzes Parolenarsenal und die ideologischen Abgedroschenheiten dienten nur zur Täuschung und zur Verhüllung des Elends.
Neben der Generation sechzig war es der schon zur Legende gewordene letzte Surrealist Gellu Naum geb. 1915, der die Achtziger beeinflußte. Er spricht von der "Pornographie der Macht" wider das Mirakel des Lebens, gegen die Liebe, das Genie des Femininen. Alle Ismen, Ideologie und auch die Literarthure und die "Pohesie" verhindern das Mirakel des Daseins, das von einem andern "Plan" gelenkt wird, als dem Bekannten, gar einem System: "Mein freund der tote maler/ ruft mich (spielt keine rolle)/ aus seinem mund kommen gemalte buchstaben .../ unterm arm hält er das fürchterliche buch/ es ist in jener/ sprache geschrieben/ die wir in gedanken sprechen ..." Es gehört zum undurchschaubaren Beziehungsnetz kosmischer Größe, das sich wie ein momentaner Querschnitt in unserer Sphäre zeigt - in "aktiver Erwartung", im freien Spiel der Bedeutungen, wenn das ans Geheimnis angekoppelte Unbewußte, berührt wird. Naum sucht aber dies Geheimnis nicht verquast, sondern urban und surreal mit Mitteln eines sarkastischen und ironischen Bewußtseins.
Ähnlich hielt es der zu den Sechziger gehörende Marin Sorescu (1936-1997). Daher hat er auch die Jüngeren beeinflußt: "jedes Wort vermeidend,/ das ... Buchstaben enthielt." Erstaunlich viel Sinn im ironischen Spiel mit dem Banalen und dem Nichtverfügbaren, wider das verhaftete Leben, Zellenschrecken des Jahrhunderts. Als Heilung: Kraft des Zufalls, des Unvorhersehbaren, das Sorescu schlau dem Plansystem entgegenstellte: Der von ungefähr dort um die Ecke: Der von ungefähr sitzt am Kommandopult auf dem die Anzeige fehlt. .../ (es) kommt dann alles unvermeidlich/ haargenau und so als hätte/ der von ungefähr es so gewollt.
Das Unvorzubestimmen - Feind des geschlossenen Systems, das dies schließlich entropisch erledigt. Tu, was geschieht.
Nicht weit von dieser Sicht entfernt ist Ana Blandiana. Ihr erscheint die antitotalitäre Offenheit als ethische Kategorie der "Reinheit" und "Lauterkeit", die sie (nicht nur im Gedicht) immer wieder erörtert. Diese tätige Öffnung scheint sie zur Dissidentin, zur Bürgerrechtlerin vorbestimmt: sie hatte Publikationsverbot (ihre Verse transportierten Brisantes zwischen den Zeilen, wie dieses Samisdat-Gedicht: "Ich glaube wir sind ein Volk von Pflanzen/ Wer hat schon einen Baum gesehen/ der sich aufbäumt?") Leise, verhalten Töne, Metapher des Schlafes, des Vegetalen, Sicherheit im Ei, in der Nuß, im Haus aus gestörtem Harmoniebedürfnis.
Im Mai 1990 konnte sie noch vom Balkon der Bukarester Universität Tausenden von Studenten, die gegen Iliescu protestierten, zurufen, "Wir sind kein Volk von Pflanzen." Später mußte sie es wohl wieder zurücknehmen.
Ein Vorbild für die jüngere Generation ist auch die Real-Poesie Petre Stoicas, denn Stoica strebt eine Inventaraufnahme des Zufälligen an, um das "Prosaische" lyrikfähig zu machen, die Wunder des Alltags. Das hintergründige Mitdenken eines Gesetzes von Zufall und Offenheit, ähnlich wie Sorescu, wider das Festgelegte. Im Gedicht "Option" heißt es: " uns mahnend daß es an der Zeit sei/ noch ein Glas zu leeren auf das Recht das heilige/ für eine bestimmte Jahreszeit zu optieren." Jedem dieses Recht der freien Wahl!
1971 führte Ceausescu eine neue restriktive Kulturpolitik ein. Der "Opportunismus" der Generation ´70, die weniger klingende Namen hervorgebracht hat, ist die Konsequenz der neuen Kältewelle. Mircea Dinescu war die große Ausnahme. Er hat seiner Haltung - in saloppen und sarkastischen Versen versteckt - zu einer großen Wirkung verholfen. Er attackierte jene, die angeberisch das Absolute wie eine Fahne vor sich her trugen, entlarvte es als falsche Ewigkeit, und die rote Ideologie, als deren Bastard, fiel gleich mit in diese Falle. Daher das Erfrischende seiner Poesie. Er war eine Art Vorläufer der Achtziger, denn bei jedem Vers schien er sich zu fragen: ist Poesie unter diesen Umständen in denen wir leben müssen, überhaupt noch möglich? Und jedesmal gibt Dinescu eine bejahende Antwort - nämlich durch das Gedicht selbst. Das unerträglich Wirkliche der umgebenden Finsternis und Kälte ließ ihn nicht ruhen ("Guillotine, die wie eine Geige mir am Nacken sang"). Die drei F: frig, foame, fric?(Kälte, Hunger, Angst) bedingten in den achtziger Jahren alles und jeden. "Beschütze mich, herr vor denen, die mein bestes wollen, vor den flotten burschen, die einen allemal fröhlich verpfeifen, vor dem priester mit dem tonbandgerät unter der soutane ..."
Zur Generation Siebzig gehört auch Grete Tartler. Sie ist Botschafterin Rumäniens in Dänemark. und gehört zu den vielen starken Frauen wie Ana Blandiana, Elena Stefoi und Marta Petreu. Grete Tartler ist Orientalistin und Musikerin. In ihrem Gedicht wird die Welt wie ein Musikinstrument behandelt, zum Klingen gebracht: "Der Fahrstuhl// Du trittst ein in dieses Musikinstrument -/ die Luft.../ Die Bewegung/ des Fahrstuhls wie die eines Pendels. " Und auch der Hinwendung zum Offenen, "Tu, was geschieht" "Der oberste Schaltknopf fehlt", Heimkehr ist Nie: Ost-Schicksal: "Auch morgen könnte ein Sturm/ die Decke des Käfigs wegblasen -/ dann/ darfst du dich nicht mehr/ an die engen Wände klammern."
Diese Wände und MAUERN sind nach dem blutigen Dezember 89 explodiert. Poeten standen damals ganz vorn. Einige wurden verhaftet, gefoltert und mit dem Tode bedroht. Ein Kapitel der Anthologie ist diesem nationalen Komplex und der Erinnerung an die Toten gewidmet.
Auffallend ist die "Freimütigkeit" dieser Generation, die unbelastet von Zwängen und Ängsten offen und selbstverständlich auch der Securitate gegenübertreten konnten, ja Forderungen stellten. Eigentlich war der Geist dieser Generation schon "posttotalitär" - luzide, skeptisch, ironisch, der Glaube an große Entwürfe, Ideen, Utopien war zerbrochen. Ironie, Mündlichkeit, Humor, das Komische, das Absurde, der Alltag zieht sie an. Und das Zufällige, ja der gelebte Moment als Mirakel, eine Art Lupe, der "monströse Blick":
Doch nach 89 enttäuschten die meisten Achtziger. Die "Religion des Textes und der ästhetischen Wahrheit" waren wichtiger als Widerstand gegen die Iliescu- Realität. Und auch sie, wie die andern, hatten gelogen, esopische Literatur geschrieben, sich moralisch im Kommunismus infiziert, und einige waren wohl auch Spitzel gewesen. (Keiner weiß Genaues: Die Dossiers sind nicht wie in der ehemaligen DDR freigegeben worden.) Freilich: alle rumänischen Literaten sind Zeugen ihres posthumen Zustandes, mit ihrem bisherigen Werk, ihren bisherigen Plänen, es gab die bisherige Realität nicht mehr, Stoff auch der Texte. Alles war Geschichte geworden. Drastisch bringt Mircea Cartarescu den neuen Zustand auf den Punkt : "Ach, meine Welt ist versunken! Meine Welt gibt es nicht mehr, meine elende Welt, in der ich etwas bedeutet hatte. Ich, Mircea Cártárescu, bin in der neuen Welt niemand es gibt hier 1038 Mircea Cártárescus ..."
"Ich habe New York und Paris gesehen, San Francisco und Frankfurt/ ich war an Orten, von denen ich nicht zu träumen wagte./ Ich kehrte mit einem Stapel Fotos zurück/ und mit dem Tod in der Brust." Der Westen.
Doch es ist eine Öffnung ins Ganze ("Alles"), wenn das eingeredete fiktive Ich verschwindet und das Unvorhergesehene möglich wird in dieser Öffnung, entsteht eine Art "enzyklopädisches" Poem. So heißt ein Gedichtband von Cartarescu auch "Totul" (Alles).- Das lange Gedicht wird bevorzugt, weil "so viel wie möglich von den Wundern dieses Universums" aufgenommen werden soll.
Die gesamte Diskussion um die Generation 80 wurde - vielleicht um an den Westen anzuknüpfen - im Rahmen einer Postmoderne-Debatte geführt; sie begann schon ca. ab 1986. Ihr Hauptinhalt: Öffnung als Basisgedanke! Es war anfangs eine Art Widerstand gegen das totalitär geschlossene System. Nach 89 aber hatte niemand mehr Lust zu solchen Diskussionen, hautnah war die "Realität" allen auf den Leib - auch auf den der Gedichte gerückt. "Einer, der hundert Jahre lang tiefgefroren war,/ öffnet die Augen und entscheidet sich fürs Sterben". Das Gefühl, alles sei gescheitert, auch die Leistungen des vergangen Jahrzehnts, überwog; es blieb nichts als Depression.
Erst ab 1995/96 begann wieder eine neue Debatte. Jetzt gab es schon Texte der "neuen Zeit", die aber mit nichts vergleichbar waren, was im Westen geschrieben wurde und wird ("Grüß schön! Europa ist auf dem anderen Schiff." heißt es bei Mircea Dinescu); viele Texte nach 89 erscheinen wie ein Akt der Verzweiflung auch angesichts der neuen parasitären "Freiheit" und Bindungslosigkeit, die umschlägt in nichts als levantinisches Chaos und in Brutalität. Galgenhumor wird notwendig, weil nichts mehr geht, geht alles, weil nichts mehr zählt, zählt alles; zugleich ist es die Chance einer Öffnung, indem man sein Ich, seine bisherigen Sicherheiten aufgibt, das Ludische gegen die Logik ausgespielt; der Zweifel allein zählt, die Ironie, die Skepsis: "hier und jetzt, ja, hier in nächster Nähe/ so daß man's mit dem Finger berühren kann/ und auf die Wunde sich legen", schreibt. Marta Petreu in: Dies Jahrhundert: Doch was östlich nun umgesetzt wird, ist auch die Angst und zugleich die Befreiung vom eigenen Minderwertigkeitskomplex, der "Westangst" wie in Mircea Cártárescu langem Poem: Der Westen. Oder in Dinescus Versen: "Gegen Abend wenn die Barbaren aus dem Westen zurückkehren, rittlings auf Begriffen, als Abgesandte großer Salamifabriken..." Es ist Befreiung durch Ironie von der okzidentalen Kapital- Zivilisations- und Kulturmaschine, ja von der Institution des Wortes: die neue, andere Sicherheit liegt jenseits des Wortes; es ist eine Wiederaufnahme der antiliterarischen Haltung aus den achtziger Jahren nun in erlittener Reife: Ein ganzes Kapitel der Anthologie ist ihm gewidmet: "... denn nur was kein Gedicht ist, kann noch als Poesie bestehen..." Dazu Cartarescu: Wir haben große Literatur gemacht und begreifen jetzt, daß sie gerade deshalb nicht über die Schwelle kommt,/ weil sie groß ist, / zu groß, erstickend in ihrem Fett...."
Katastrophe der rumänischen Identität in posttotalitärer Zeit, Masken und Karneval des "Übergangs". Amphibienseelen und neue Mafioten. Ein levantinisches Chaos auch der Institutionen von der Kirche über die Presse bis zur Regierung und dem Parlament. Diese Rest-"Seele" ist alles andere als "schön". Sie ist nach all den Erfahrungen des Grauens vergiftet, gequält und verletzt, und als Motto dazu ließe sich das alte Liebes-Gebot völlig umkehren in: "Hasse deinen Nächsten wie dich selbst". Wut-Energien bis in die Liebesbeziehungen hinein: "Zwischen dir und mir ist eine Wand aus Eis", "Wo bist du Herr? Deine frigiden Evas/ irren durch den Herbstschlamm/ Quasseln auf der Schwelle zum Nichts." "Mein Fleisch, das mich verschlingt.// Abgrund und Schatten. Ja, Schneide. Beben." Schreibt Marta Petreu, die zur Generation achtzig gehört. Sie gehört ebenfalls zu den starken Frauen nach 1989. Gottesflüche: Oder Skepsis und Verzweiflung auch bei ihr: "Ich bin müde, müde bin ich letzte/ Kreatur der Schöpfung, letzte Utopie von Gott" ; "fürchte mich im Dunkeln vor dem morgigen Tag": Kein Wunder, "Draußen" erwartet die Patienten wie überall im Osten eine wilde und rohe Geld- und Ellenbogen-Gesellschaft, die man keine zivile nennen kann. Bei Dinescu heißt es längst: "Willkommen, Konsumgesellschaft,/ entjungfere auch du uns, nimm auch du uns/ von vorn, drechsle uns aus den Nierensteinen/ ein paar Glückswürfel. Ab heute reden wir/ den Arsch nicht mehr mit Genosse/ sondern mit Herr an". Oder: "Nimm und probier. Wir sind auf dem richtigen Weg: Auch in Deutschland gehen die Uhren verkehrt."
Auch von den ganz Jungen kommen scharfe Töne, und von den Frauen, wie wir sahen.
Krisen kündigen meist einen radikalen Umbruch an. Neue, diesmal unsichtbare Grenzen, nicht nur einen gewendeten Eisernen Vorhang. Neue Grenzöffnungen scheinen bevorzustehen. Die Generation 90, die Jüngsten, sehen nur noch den Untergang der alten Welt, der wir noch angehören: so bei Stefan Doru D?ncu?: "die ganze menschengattung ist ein schwarzes loch/ es wartet - jeder im zwischenraum der eigenen chromosomen - füll ihn aus - Herr." - "mein Engel starb an AIDS, Herr/ schick mir einen andern..." - "Schlaf in Frieden, Herr, niemand ist unversehrt geblieben".-
Ihr Lachen ist trocken, sarkastisch. Und doch kommt jetzt eine Art poesia metafisica. Das letzte Kapitel dieser Anthologie, "Grenzgänge und Totengespräche" ist nicht zufällig das längste. Es wird eine schwierige, fast unüberwindliche Grenze in Bewußtsein und Sprache erkennbar! Schon von Stánescu und der Avantgarde geahnt. So Gellu Naum: der an dieser Grenze die Toten sprechen läßt: "wir haben gänge zu euch geschaufelt unsre münder/ mit erde verschlossen/ geliebte ihr habt keine ahnung/ wir kommen in verbänden wir die einzigen die euch nicht/ vergessen haben ... " Mircea Eliades Nachfolger, Ioan Petre Culianu, gleichaltrig mit den Achtzigern, mit einigen von ihnen befreundet, spricht von Intertextualität extramundanen Reisen, Welten der Transzendenz und der Poesie: Nahtoderlebnisse und Bewußtseinserweiterung, Drogen, Parapsychologie, Neue Physik und Paraphysik, und der großen Literatur von Huxley bis Borges. Zeit, die Sprachgrenze zu überschreiten. Die Generation achtzig hat das erkannt. Welt ist Projektion, "die Sichtbarkeit der Seele ist der Körper", Durchdringung und Transparenz im Gedicht, besonders schön in Kapitel "Lacrimae rerum" der Anthologie. Diese Erkenntnis der Projektion war bei Stanescu da, sie ist erkennbar bei Ana Blandiana: "Alles ist zugleich ich selbst./Gebt mir ein Blatt, das mir nicht gleicht,/Helft mir ein Tief finden,/ Das nicht mit meiner Stimme klagt./Mein Schritt zerteilt die Erde, ich sehe/ Tote mit meinem Antlitz sich umarmen/ Und andre Tote zeugen./ Warum so viele Bindungen an diese Welt".
Die Achtziger, oft Rationalisten und westlich-antireligiös, haben sich jetzt diesem Grenzgang angenähert. Bedingung, daß die metaphysische Poesie nicht ärarisch, gar orthodox-kitschig wird, Rückfall in peinliche Vernebelung durch kirchlich-liturgische Formeln, wie bei vielen Rumänien heute im quälenden Vakuum einer Übergangsgesellschaft, ist das klare Bewußtsein einer großen Mutation, Entdeckungen der Neuen Physik und Biologie. Diese Lyrik kommt aus einer Zukunft, die noch aussteht.
Die Geschichte der Außenwelt ist okzidental, sie hat das Sagen, die Macht. Doch die langsame Umwandlung des Außen, heute bis zum Äußersten getrieben, schlägt um (Cyberspace, Quantenphysik als Wahrnehmungs-Modell einer grandiosen Immaterialisierung der Welt). Simultane Ebenen umgeben uns.
Die Antwort der Poeten: Gattungen werden wie die Wahrnehmungsgrenzen
zum Zusammenfließen gebracht und vermischt; die Autoren äußern
sich auf mehreren Ebenen. Ein neuer Stil, der Physik, dann die Traumata
und Verletzungen der brutalen geschichtlichen Erfahrung, östliche
Weisheit und die Wahrnehmung der Zukunft voraussetzt. Ein hochkonzentrierter
alexandrinischer Gedichttyp enzyklopädischer Poesie ist entstanden.
Einige der Achtziger schreiben Romane. Bei Cártárescu eine
Art science-fiction, vor allem der neue Roman-Zyklus "Orbitor": ein Anschluß
an Zukünftiges, an das, was Literatur einmal sein wird, bereitet sich
vor - "virtuelles" Schreiben: eine Art Brückenbau in andere, in Zukunfts-
und Transzendenz-Räume im Sinne des US- Romansciers Thomas Pynchon
oder William Gibsons "Neuromancer". Was sich als "postmodern" im Westen
oft als reines formales Affentheater aufspielt, ist bei den Rumänen
eine Art erlittener "Hyperrealismus", jedoch urban und gereinigt von autochthonem
Mief. Erst diese Generationen 80 und 90 versuchen durchzusetzen, was an
der Zeit ist: eine Revolution des Subjekts (1989 hatte die gleichen Grundvoraussetzungen):
alle Mauern, auch die der Wahrnehmung und der Sprache zu öffnen, zu
durchstoßen, allein der Einzelne ist dazu fähig, da das sogenannte
Wirkliche nichts ist, als der Zwang zu einem tödlichen kollektiven
Alptraum.
ADDENDA CORRIGE (zu Gefährliche Serpentinen die fehlenden Lyriker)
ADDENDA CORRIGE
Bleib
Auch ich wollte ja ein gedicht schreiben wie
jeder langhaar-teenie über
die fleischeslust über frau tod
mit kupferfarbenem sex und rötlichem haar
als es sich auf die linke schulter setzte
ein schattengespenst von mensch und das schrie
laß es sein Mirciulica zum teufel mit der
frau tod die hat diese schwarzen brüste die
kotzt mich an hab euch über bis zur decke
zum himmel euch dichter vor allem die jungen
mit eurem gebrabbel komm
trinken wir doch lieber einen Likör.
OK du schattengespenst eines lesers
wir gehen in die pinte und fressen uns an
halt du nur ganz links: und wir steigen raus
aus diesem gedicht hier und was frau tod betrifft
wir sind doch noch jung, was
hat die mit uns; der teufel weiß es, sagt er,
und plötzlich da vor unsrer nase: eine
gußeiserne dame mit herab gezogenem schleier
übers gesicht ja weiß der teufel
ist doch die gattin mit dem bösen maul
wo treibst du dich herum fehlgeburt und abschaum
sagt sie anstatt zu hause zu sein sagt sie
und was dich betrifft, Mircea,
du bleibst!
Jason freundchen, werd dir sagen
true stories wie die nacht mit
menstrual geschmack sich jetzt
auf die stadt läßt geh duschen
reib spar nicht mit handtüchern
den körper so frisch streck ihn
aus mit grazie im bett und dann
liest du mich stell mich vor
im schatten der nachtslampe
TRISTIA. ALLES WARTET
GESCHRIEBEN ZU SEIN DAMIT ES SEI
als wäre es getauft am rande
des weissen blattes
Tristia Tristia
deine nackten füsse
in diesem noch unangetasteten
schnee (Musik Musik
Musik)
alles ist aus papier sagte ich
und alles aber auch wirklich
alles
wartet darauf geschrieben
zu sein
damit es sei
sogar der tod
sogar er.
NUR DU, BESTIE... (Numai tu, bestie)
Nur du meine tiefste Bestie
berührst die Fernen und saugst
den wildesten Nektar
Aus schmerzlicher Kälte.
Nur du Himmel angespannt
Der die Frühe umfaßt legst
ihn Tag für Tag neben mich nieder.
Meine Einsamkeit zerfällt so zu Asche und Staub!
War sie in mir oder war sie nun außer mir?
Ich weiß es nicht mehr!
Wo war dieses Leben als ich es noch suchte im Gedicht
Im Buch ... und weiß von der Angst meiner Hände
Daß du nicht mehr neben mir liegst. Und weiß
Von der Angst meines Blutes dich nie mehr zu sehn.
Ich weiß wie wir dem Irrsinn verfielen und
Niemand niemand niemand uns aufhalten konnte
Doch wir sahen uns an. Nur wir sahen uns wirklich
Und zwischen uns zweien gabs nur eine gemeinsame Haut
Und teilten die Hände die Augen Brauen und Ringe
Vermischten uns nahmen uns verwechselten uns ganz
Wie es bei Vögeln geschieht die nicht unterscheiden
Den Flug vom Fall teilten wir den Schlaf und die längst
vergangenen Jahrhunderte und alle kommenden schon.
Die Umgebung um uns war so irr und verworren
Doch wir beide schwebten von Anfang an schon
In einem tief in uns vergrabenen Himmel, Geliebter!!!
Aus: Die familie Popescu
dana popescu
Dieses poem über meine schwester dana ist das einzige abwesende poem
Aus: Die Stadt
Die gesetze der stadt besagen daß die vergangenheit ständig verbrannt werden muß dieses jedoch nicht etwa um die zukunft zu vergrößern sondern sie auf das maß des alltags zu begrenzen. Zuviel an zukunft nützt nur übertriebene erwartungen die schließlich zu uneingeschränktem lebensfieber führt. zukunft jedoch einzusperren heißt den tod und die angst auf ein erträgliches maß zu reduzieren: leben auf kleiner flamme heißt zugleich den tod zu halbieren.
ICH GEHE (Pasesc)
Ich folge den spuren
Eines schwarzen fußes
Als nichtblinde
Dem schlaflosen NEIN
Das sich einem abgrund
An die brust wirft
Unstumm
Wiederhallt der name
Auf der zunge der verurteilten
Untaub
ELTERN (Parinti)
Die mauern schreien wege
Die erde setzt sich
Die treppen geben konturen
Der morgendämmerung
Die erde setzt sich
Das geicht ist die Karte
Der stadt new york
Im jahre 7000
Die erde hat sich nicht gesetzt
(dieter schlesak)
Paul Daian (1954)
ZYANKALI MAUERN*
(Fragment)
der fünfte tag des tages
Tätowiertes blut zeichen: entfremdung. ich
kann mein gesicht nicht mehr von der wand lösen. ge-
schwärzter spiegel. kälte. kosmischer marsch des hirns.
kupfersieg geschwärzt grüßt das weiße jod. kadaver
von einem raum in den andern. tür die klemme (stazá). ich
schreibe und atme. die kranke kriecht auf allen vieren
ihr brennt der rücken in der zeit in der sie das kalte
getränk schlürft. sie verfault unter meinen sohlen
und schreit, steigt wie auf eine waffe hoch. ich aber
steh weit weg in den letzten morgen des tages.
* Daian ist Patient (schizophren). Arbeitete in der Morgue von Bukarest.
Mauer und das Neutrino
wieder in die Natur eingehn"
hat ein gedächtnis der runden formen
im rausch des fernrohrs
kappt das meer den grünen wahnsinn
der astronomen
der wind epidermis der angst
und maximale gewächse der Einsamkleiten
das leben ist nichts als chirurgie
am auge eines helden
und auf der straße beobachten die blinden
psycho analytische oberflächen der dinge
20
alter du hast deine finger
vergessen in einem stein
seinem schatten
ihre spitzen berühren
seerosen sterne
auf der feurigen straße
die melancholische zunge
eines feurzeugs
24
mir waren gegeben zu hören
gegeben zu sehen
eklipsen
zwischen der musik
und dem grenzen losen auge
der blinden
too young i died
for he blindness
of life
45
geliebte verwende
die krone des baumes
als königliche krone
wahnsinn des frühjahrs
frühjahr die königin
die jugend ein veilchen
mit leuchtenden
nerven
46
das licht ist die maske sämtlicher toten
George Vulturescu (1951)
Traktat über das Blinde Auge
IV (psalm)
Bis Dein auge mich erreicht
Durchdringt es alle wirbel der welt
Und zögert manchmal
Verspätet sich zwischen gräsern
Und bäumen zerfleddert
Zwischen felsentrümmern
Oder setzt sich
Verwundet stammelnd
in die nester der vögel
Du blickst mich nicht an Blindes Auge
Du bedeckst mich
Das agonische schreiben
XII.
Johannes:
Ich sah in einem zimmer der stadt
eine nackte frau. Sie hatte vor sich
ein leeres glas. Sie starrte es stundenlang an
wie einen in tausend stücke
zersplitterten spiegel sie konnte
ihr bild daraus nicht mehr befreien ...
Joachim:
Du kannst dich nicht verstellen: aus den reflexen
Des spiegels befreist du dich niemals schwimmend
Du befreist dich nur durch einen tödlichen sprung
Wie delphine auf dem trocknen
Und du bist jetzt am ufer des agonischen poems:
Du wirst ihm begegnen ... sehr bald ...
Gheorghe Mocuta (1953)
Warnung: la vie est brève
Ich weiß nicht wie die anderen sind
ich jedoch
wenn ich mich vor meine
schreibmaschine setze
macht mein herz
vor freude einen satz
und die hand zuckt seufzt dehnt
sich dem fell-idenen körper der geliebten
entgegen dem vor geschriebenen leben mit
velinenem geschmack
das leben ist schön und es lohnt
sich Es zu leben
wer trinkt vergeudet es
das leben ist wichtig
verdient es in reinschrift
zu erscheinen und alle wollen
ein fetzchen davon und
Es lohnt sich es ...
(la vie est brève
un peu de rêve
un peu d´ amour
et puis bonjour)
Petru Iliesu (1951)
Rumänien. Post scriptum
Rumänien, sieh hier einen Traum, der mich verfolgt:
Es geschah, daß ich nachts auf die Straße ging und nichts wiedererkannte, was ich sah
'drückende Hitze und schneidende Kälte',
'Feuer und Schwefel und sengend heißer Wind', standen in die Mauern geritzt
während die Reliquien der Heiligen in der Luft schwebten
die Augen bedeckt, gekrümmt, stöhnend, abgewandt
Es geschah, daß ich, von Hunger und Durst ausgezehrt,
die Hand ausstreckte
doch zwischen meinen Fingern
zerrann der rote Staub der Gemäuer wie in einer Sanduhr, und mir entglitten
die langen blutigen Seidentücher einer Generation
die erblindet ist, Rumänien,
für Volk und Vaterland,
Haß ausübend, Rumänien, Haß verkörpert als Element der kosmischen Harmonie,
unter den Fußsohlen 'unser tägliches Brot' zermalmend;
zermahlenes Glas, Glut und Bruchstücke rotglühenden Eisens, Rumänien
Haufen schuldiger Blätter tanzen kreiselnd auf den Straßen
heften sich klebrig an die Lippen
und deine zerfransten Flaggen schlängeln sich einem schmeichelnd
um die Schenkel
Es geschah, daß ein markerschütternder Schrei und ein Glockenschlag
den Spiegel zersplittern ließen, Rumänien,
denn ich versuchte, Rumänien, mit dem Spiegel
den giftigen Atem des Teufels abzuwehren
der durch die Chromosomen der Nation geistert
und der nichts anderes ist als das Glucksen von Legionen von Advokaten, Zöllnern und
Polizisten, die an deinen Wurzeln nagen, Rumänien
denn ich versuche, mit dem Spiegel, der mit den Exkrementen der Gesetze beschmiert ist
die endlosen Gerichtskorridore abzuwehren
( auf deren Ruinen die neuen Regierungsviertel entstehen
- eine postrevolutionäre Kopie Ceau?istischer Grandeur, Rumänien
- die nostalgische Versammlung leidenschaftlicher Verbrennungsabfälle die uns zum Halse rauskommt
- die Umstülpung der Speiseröhre
- ein von Geschwüren zerfressener Magen der die letzte Intimität des
'politischen Menschen' antastet, Rumänien )
Also - damals - in dem Spiegel nämlich - sah ich
Stapel von Büchern einstürzen
unter der Moral idealistischer Dummheit:
als ob Poesie etwas im kümmerlichen Bewußtsein des Lesers verändern könne...
Und ich sah den Leser verrecken
und die Kadaver von Lesern
Epochen einbalsamierend
erstochen wie Lämmer, in den Bauch, Rumänien
Und ich sah den Sprößling des DEMOS
wie er linkisch in die Zirkustrompete blies, und neben ihm sah ich das Gebet der Poesie
welches das Gebet des Wortes ist wie auch das Gebet der Essenz unseres Blutes
Rumänien
Und ich sah, daß DEMOS die Poesie nicht braucht
Und darum sagte ich:
DEMOS ist eine Pumpe die dem Zweck dient die Därme deiner neuen Regierung zu füllen in der 'niemand über dem Gesetz steht',
Rumänien,
- Siehe da die Logik von der Immunität der Parlamentarier
siehe ein neues Handwerk rentabel und geschützt
das der Demokratie alle schmutzigen Spuren verwischt
DEMOS ist ein Rülpser der Demografie der den Planeten mit menschlichen Würmern überschwemmt
DEMOS ist der Spiegel für die fehlende Weisheit des Poeten
es seift die Schlinge ein für die letzten überlebenden hellen Geister der Sintflut öffentlicher Frechheit
Rumänien!
- dein politisches Gequatsche raubt uns den Augenblick den du nicht gegeben hast!
- dein stolzer, kostbarer Blick stinkt nach einer wohlbekannten Krankheit...
- gieriges Schmatzen in den Kiefern der 'besseren Leute' vergällt uns den Schlaf!
Rumänien,
auf Schritt und Tritt stößt du auf einen Zöllner der dir seine Zähne in die
Halsschlagader bohrt
man hört unter deinem Kopfkissen das höllische Ticken der Maschinen der Angst
das Wiehern Ceau?istischer Phantome, Kleiderrascheln, das Hin- und Her der Schmugglerführer
den Markt der Gauner der sich über die Städte ausbreitet wie Lepra
die Ballade kollektiver Dummheit und einen Kanon von Aggressivität
der das öffentliche Chaos beschützt und erhält
Rumänien
Du solltest die GmbHs der Rechte sehen, die an allen Ecken fett erblühen
dann würdest du verstehen, wie man mit ein wenig Geld
einen 30-jährigen Prozeß veranstalten kann der ganze Generationen
in Atem hält
Du solltest auch die GmbHs der medizinischen Fakultäten sehen, die an den Ecken des Dollars erblühen
dann würdest du verstehen, wie man mit dem richtigen Geld
von Examen zu Examen bis hinauf ins Instrumenten-Exportlabor klimmen
kann
Du solltest die GmbHs der Universitäten der Neuen Epoche sehen, die an den
Ecken der Peripherie erblühen
du würdest dann verstehen, wie man mit nur etwas mehr Geld
aus einem einfachen Funktionär mindestens einen Doctor Honoris Causa machen kann
Und dann solltest du die GmbHs der GmbHs sehen, die an den Ecken der Finanzbehörden erblühen
du würdest verstehen, wie man mit einer Menge Geld
eine ganze Stadt haben kann, die auf den Bauwerken ihrer Administration ruht
auf Gebäuden die sich über den Gemeindeämtern erheben neben denen die Gebäude der Landtagsämter thronen über den Gebäuden die auf dem Parlament errichtet sind welche fußen auf den Gebäuden der sozialen Einrichtungen
auf dem Privatkabinett des Präsidenten
über dem gebrauchten Portrait des Königs
sowie Gebäude über dem Dampfbad in dem sich der Palast der Massenmedien befindet der wiederum gebaut ist auf dem Keller mit der Staatsreserve die sich über den Altersheimen erhebt welche auf der Vakuumpumpe stehen
die unser Blut durch die Heizungsrohre preßt
Oh welche Errektion!!!
Bei jedem Schritt triffst du auf den Ameiseneifer der gekauften Intellektuellen und auf das Klingeln des Silbers in den Westentaschen derer die dich verkauft haben, Gramm für Gramm,
Rumänien
von einer Hand zur andern und zurück, Rumänien
und zurück, von einer Hand zur andern
Die Kasinos und die Universitäten der Außenbezirke und die neue HighSociety
werden zu dieser Stunde voller Ungeduld erwartet: von Taschenspielern
vom Klappern hölzerner Zungen und von
sich häutenden stinkenden doppelkinnigen
Leitern eines Ausgezeichneten Kollektivs
und Vollendern der Geschichte,
Rumänien,
deine ganze Geschichte steht im Zeichen von Coca-Cola-Vierteln
und virtuosen Bissen aus einem winzigen Hamburger
- Slalom durch die ungezählten Träume der Demokratie,
durch Reklame für Ausflüsse
und Waschpulver des endlosen Imperiums kafkaesker Vertretungen deren
Türen dir immer alle offen stehen
Rumänien,
die Dämonen deiner Verwaltung beißen sich in den Schwanz
wie Schlangen -
ihre Eier der Unsterblichkeit sammeln kosmische Energie
und spritzen diese in die Schwarzen Löcher des nationalen Universums
dort wo die Generationen der Aufopferung enden
und unsere Existenz Sinn erhält
Deine Prozessionen der Totengräber die von allen Zäunen grinsen
eingedickt im Butterfaß der Geschichte zu einer wohlbekannten
Freudian'schen Kompensation, Rumänien
blödes Lachen vor Fotoapparaten
endloses Händeschütteln vor Kameras
ein grotesker Tanz
- Anzug und Krawatte - Zeremonie der Uniformen und die Erscheinung Portraits tragender Rumänien,
in deinem Namen: 'Mit guten Taten wie im Bösen: Mein Land!'
Rumänien, deine Gabe riecht nach ewigem Versprechen
Rumänien, vielleicht bist du das Nirwana
wir wissen ja, daß es das Nirwana gibt
als Monopol der vaterländischen Geographie
und dann habe ich gesagt:
Und dann habe ich gesagt:
Von euch ist die Rede in dieser Stunde der Dichtung in deren Angesicht ihr nie mehr sein werdet als doppelkinnige Scheißer die uns armen Schreiberlingen in den Taschen schnüffeln,
Herren Halsabschneider
ein Steuerpult welches uns steuert, uns rekrutiert
um uns in der Nationalflagge begraben zu können
letztere - ein Stoff für Bermudas, ein Beilstiel oder telegener
Menstruationstampon
Und dann habe ich gesagt:
Ich habe gesehen daß die Erde euch gehört, Herren Halsabschneider
DEMOS gehört euch und selbst das miserable Restchen Zukunft
und auch die letze Seite die noch geschrieben werden muß ehe die
ganze Welt zu einem immensen Bildschirm wird in dessen Schatten wir uns
im Schlamm verbuddelt haben um anonym am Rande der Geschichte zu vergehen
Und dann habe ich noch gesagt:
Vor wem schützt du dich eigentlich, Rumänien mit Angriffshubschraubern,
ultraintelligenten Radargeräten und den subtilen Kommandos der kleinen
fliegenden Dämonen?
Und weiter habe ich gesagt:
Auf deinem Schädel roden die kleinen grünen Raupen der Armee und die fetten
Kommissionen des Patriotismus
Auf deinem eingezogenen Bauch schneidet die vergessene liberale Schnalle ins Fleisch
Unter deinen ungewaschenen Achselhöhlen wuchern die Domänen der Sozialdemokratie
Auf deinem gekrümmten Rücken erstreckt sich die Krätze-Ernte der RechtenLinken
Auf deiner in allen Farben tätowierten Brust häutet sich die LinkeRechte
Deine gerissenen Sohlen triefen vom Eiter der städtischen Bauern die aufblühen wie kleine feuerrote Fäustchen
Aus deinem Hintern strömen wellenschlagend die stinkenden Fronten der Kakerlaken sich dick und fett in demokratische Windeln ergießend
Hinterm Nacken hegst du ganze Zuchtfarmen der Brüder im schwarzen Frack
von Abzeichen - und Signaltonsammlern
und elitären Kolonien glorreicher Untertanen mit Schaum vor dem Mund
An deinem Handgelenk schaukelt das Gold der professionellen Gewerkschaften
zwanzigtausend Sohlenabtreter für die Menschenrechte
Die UFOs der NSOs der Seiltänzer
und die bodenlosen Weinkrüge
aus denen die zarte Seele unserer Vorfahren tropft
während ein Schritt gelingt und ein anderer
ausgleitet den müden revolutionären Furz auslösend
mit dem uns Europa
die Nasenlöcher verstopft
während dein Sozialvertrag
nichts anderes bedeutet als
Beitrag beim Dokter, Kontribution bei der Polizei, Côte de Honore beim Advokaten, Interessenzahlung beim Beamten im öffentlichen Dienst
und 'Steuerbeitrag' auf die Türme des Stadtarchitekten
Rumänien, ein neuer Sieg!
Eine neue Diktatur der Opfer.
Ein Frieden!
Noch ein Frieden!
Ein ... neuer Frieden!
Rumänien, DU BIST FREI!
kannst rufen: Bürger, Eigentum des Staates du bist
FREI, GESCHÜTZT, VERSICHERT und RESPEKTIERT
( - eine neue WC-Papierreklame
- strahlende Zahnprotesen für Politiker und Ehegatten
- Schalmeienklang mit dem man in den Talkshows die Ohren kitzelt ...)
Bürger: LIEBE ZUM VATERLAND, AUFOPFERUNG, AHNENFOLGE und RUF DER GESCHICHTE
Bürger, Du hast sieben Leben für das Vaterland
und DANACH siebenundsiebzig für dich selbst
Bürger, dir versagen die Nerven, sei stark!
Sei effizient, Bürger!
Sei nützlich, Bürger!
Sei fröhlich, Bürger!
Sei bereit, Bürger!
Sei einsichtig, Bürger!
VERRECKE, ZUM TEUFEL, beizeiten, BÜRGER!
Rumänien, hier ein Fragment der jüngsten Parlamentsdebatten
Rumänien, hier ein neues Fragment der jüngsten Parlamentsdebatten
´Jede Ideologie ist relativ; absolut ist nur das Leid, das Menschen u.a. einander zufügen.'
Oh Rumänien, wehe den Entkommenen!
Rumänien, hier ein Traum der mich verfolgt:
Es geschah daß ich nachts auf die Straße ging und nicht wiedererkannte was
ich sah
- um mich herum wurde es finster, pfeifender Wind zerstreute eine bleiche Wolke Sterne, in der Ferne kreuzten sich galaktische Bahnen
- im Schein ihres phosphoreszierenden Flimmerns
bei Nebel und ätzenden Geräuschen
sah ich wie die überlangen schmalen Schatten einer langen Reihe Blinder
ineinander verschlungen
auf die Milchstraße zutrieben
jenseits meines Gesichtsfeldes
jenseits des Randes der Welt
Vom Ende bis zum Beginn
Von Beginn an bis zum Ende
Einer aber mit einer einzigen Hand blies in ein geborstenes Horn
ein anderer in eine zerbrochene Flöte
einer mit einer einzigen Hand läutete die Glocken
ein anderer aber schlug eine riesige Trommel
einer mit einer einzigen Hand zog die Harmonika
ein anderer strich mit der Wange über eine Geige
einer mit einer einzigen Hand schleppte
hinter sich eine Zymbel her
ein anderer aber die Haut eines Esels
die mit Wasser gefüllt war
sie stöhnte
greinte
miaute
pfiff
und
zischte zwischen den Zähnen
auf denen ich, Allmächtiger Gott,
die Spur meines Kusses entdeckte
- Darauf folgte ein schreckliches Blitzen und dann ein Erwachen
- Und darauf nichts, nur
siehe ...
... wahrhaftig ein lächerlicher Traum
Rumänien, es war als ob ich der Erzengel Exterminator wäre
und das Schicksal sei daß die Erinnerung an deine Taten in Worte
brennt ...
Rumänien, es geschah daß ich eine Art Epilog schreiben mußte
während mein Gaumen klebte meine Lippen trocken waren meine Augen trüb und mir der Kopf dröhnte
während mir der morgige Tag durch den Kopf kreiselt wie eine eiserne Kugel voll und schwer
während mein Kopf zwischen den Schultern kreiselt wie eine eiserne Kugel trunken benommen
während die Welt mit uns durch die Zeiten kreiselt wie eine eiserne
Kugel rostig schlecht
Rumänien, es geschah daß ich eine Art Epilog schreiben mußte
während mein Gaumen klebte meine Lippen trocken waren meine Augen trüb und mir der Kopf dröhnte
Rumänien, es geschah daß ich mich danach sehnte ein Vater Unser zu sagen und dieses Vater Unser klang etwa so:
Vater Unser der du bist im Himmel
im Wasser
in der Luft
und also auch
auf der Erde
Durch die Heiligkeit deines Namens:
erwecke unser Auge das dich sucht
Dein Reich sei in uns
wie auch dein sanfter Wille zum Guten
Gib uns heute die Kraft
uns zu nähren mit dem tag-täglichen Brot deines Körpers
Hilf uns uns selbst unsere Sünden zu vergeben
wie auch unsere unruhigen Ängste vor unseren Schuldigern
Hilf uns Erlösung zu erfahren
indem wir Frieden schließen mit uns selbst
Ohne welches die Wirrnis des Bösen herrscht
Gieße über uns aus die Kraft zuzugeben
Schenke uns deine Vergebung
Wie auch unseren Schuldigern
Denn dein Reich ist für uns da
deine Herrlichkeit zu unserem Verständnis
deine Allmacht aber
um unsere Ohnmacht auf die Probe zu stellen
die dann
Stärke
sein wird ...
in Ewigkeit ...
Amen.
Rumänien, es geschah daß ich mich danach sehnte zu sagen ... Unser Vater.
Ein blinder Tag
eine verwundete Woche
ein hinkender Monat
ein taubstummes Jahr
vergeblich schrie ich ihm ins Ohr
Sätze in seiner eigenen Sprache
die ich/ der Letzte
kaum lernte!
LIEBESGEDICHTE
Aus: Über die Zerbrechlichkeit des Lebens (Despre fragilitatea
vietii)
MÜDIGKEIT
Wie müde ist
Die Erde in mir Mutter
Du zerreißt mir das Herz
Damit ich erwache
Wenn ich dabei bin
einzuschlafen
Auf einer Grenz
Furche den Kopf
So schlafe
Ich wie ein Stein
Entschlafe
Wie ein Vogel
Und schlafe
Wie ein Bär
Im Winter
Wenn du mich rufst
Winde ich mich stumm
Aus den Fängen des Schlafes
Wie müde ist
Die Erde in mir Mutter
Aus: die storchenjäger (vânãtorii de berze)
1
eine gleichgültige sonne liegt
flüssig über der Materie
und es regnet befruchtend mit eiern
wortschwellennah
bläst die faulige luft
vogelnester auf bis sie platzen
verspritzt die eier
auf den boden fett von rotem kaviar
eiergestank heimlicher gedanken
seit neun monaten
regnet es immerfort
eier
2
los kommt doch zur storchenjagd
hört diese vereinzelte stimme
sie verderben uns das gras der dächer
verstopfen uns den rauchfang mit reisig
scheißen ohne scham
und furcht
ins innere der häuser
ihre flaumen schneien ins bettzeug
erdrücken den hechelnden atem
kitzeln unsere nasenlöcher
ersticken mann und frau
spionieren uns nach beim kindermachen
Aus: beute des realen (prada realului)
11
hinter der schreibmaschine
ist sie zurückgeblieben die spur
ein fingerabdruck
auf dem revolverabzug
nichts bleibt außer
dem wortwind
wind
...ind
d
Aus:nachmittag in einem hotelzimmer
(Un pomeriggio in una stanza d´albergo)
für Stefania
1. Wie immer
ich bin in diesem fremden zimmer mit dir
du bist 2000 kilometer weit entfernt
ich versteh nicht was geschehen ist
warum ich jetzt plötzlich erwacht bin
du warst doch da und wir sprachen
wie immer über wichtige dinge
und was sich so einreiht in den redefaden
(jenen den ich schreibe und den ich lebe)
dich gibt es wenn ich zu dir spreche
und ich wende mich um damit ich dich sehe
wo bist du warum hast du das zimmer verlassen
sicher gibt es dich noch/ irgendwo
am rand meiner wörter in ihrer umgebung
ich glaube nicht daß du
zu weit weg gegangen bist die luft vibriert noch
und dein körperabdruck im kissen
ist ein tiefes nest ich strecke die hand aus
das linnen ist heiß vor präsenz
und verbrennt mich
vielleicht hat dich der italienische straßenkrach
hörbar von der terrasse her/ vertrieben
4. reif
was tust du warum verspätest du dich
jetzt in diesem innenraum
ich weiß nicht ob es tag ist oder nacht
ich warte auf dich
daß du endlich kommst ich
liege ausgestreckt da und rühre mich nicht
um die von dir
geatmete luft
nicht zu verderben
und tauche in dies dunkel ein
das süß ist wie ein mutterleib
wie gut und wieviel
leinenfrische atmet hier kühl das
rascheln jungfräulicher
blätter ein weiß des
ungeschriebenen buches
und ich lasse mich fallen
ins geheimnis des völlig gelöstseins
(nein wir dürfen uns im gedicht
nie überfluten lassen von gefühlen)
und ich konzentriere mich auf den rembrandtnebel
auf meinem gesicht
und liege unbeweglich da
das innere feuer im dritten auge
gerichtet auf das überraschende geräusch
deiner schritte/ im reif des Erinnerns
und warte daß die mauer unseres vergessen
die jetzt
wuchs zwischen uns
einreißt
7. umriß
meine liebe
du bist wirklich anwesend
der duft deines zerbrechlichen wesens
bleibt in diesem hotelzimmer
und auf der terrasse von wo du die landschaft betrachtest
mit soviel zärtlichkeit und mit der zärtlichkeit meiner
worte ganz süß und ausgebreitet
auf einer träumenden luft
im trägen
umriß eines
schläf-
rigen
dis
kurs
Es
Aus: die kälte kommt! (vine frigul!)
für Ion Gheorge
"woher kommst du denn eisscholle und
was willst du denn von mir?"
2. mich hat das gefühl für wärme
verlassen so wie dich das gefühl für frauen verläßt
es ist mir ganz unmöglich mich daran zu gewöhnen:
es drängt sich heiß an mich
dringt ein in meine rechte hüfte schmiegt sich dort ein
dringt ein ins böse fleisch das es nicht will
zerrt an den fußknöcheln unsanft und
kitzelt mich/ doch bin nicht ich es der hier lacht ich versteh nicht
warum es lacht ich bin jetzt weit von mir entfernt
und beobachte nun die distanz
ein warmer leib ach gott wie warm er ist
ja wäre er nicht so warm
dann würde ich dies eis das mich verliebt umfängt
nicht fühlen weils mich umgibt mit soviel zärtlichkeit
6. eishauch dein atem wenn du küssend meine lippe beißt
ich fühle wie sich deine zähne bohren in mein fleisch
wie sideral der riß im fleisch
ach reißend dieser spalt in meinem fleisch
und das intakte hymen das vom drang des blutes reißt
im sog einer lunaren flut
und dies papier der jungfräulichkeit
nun im papierkorb landet:
du wurdest besucht vom goldregen
der die göttervergewaltigung gar segnet
neckend nackte idee in sich zu ruhn
in sich das letzte
selbst des selbst zu tun
Aus: die gymnastische übung (probã de gimnasticã)
ein immerwährender zustand
für Lucian Blaga
marin mincu ist im wartestand
ein aufgerissenes auge demoliert voll wut
die chemische struktur der gegenstände
befreit die elemente endlich wieder
zwischen voll und leer
der sogenannten interstitiellen falten
faßt seine hand nun frisch hindurch
ein raucheichhörnchen zwischen seine zweige
zwischen den ästen des realen hier im überfluß
die sperlingin dann blätter und die wörter
so ausgetobt rãsfãts dezmãts geaalte uniforme formen
gestolzte praxis hoher semnifikanten
die sprache der poesie entdecken die hand
entsichert an dem abzug deiner schreibmaschine
um zu erschießen deinen langerwarteten vers
den einzigen der dir noch wehtat
marin mincu sitzt da vorgeneigt
zwischen den formen des zustandes "real"
und dem bösesten malignen zustand
und den heilt kein spital.
Aus: Ich träumte daß ich träumte ein engel zu sein
(Am visat cã visez cã sunt un înger)
solange sie lebte konnte ich keine andere frau wirklich lieben
es war wie eine nabelschnur zwischen uns so abstrakt wie rein
unzugänglich jeder profanierung des gefühls sie erwartete mich
voller spannung zu hause umarmte mich voller ängstlichkeit
indem sie mir in die augen sah konnte sie in mir lesen bis
in die perfidesten falten meines ich und dann war ein leuchten
um ihre gestalt und eine tiefe erotische ausstrahlung umgab sie
wenn sie schwanger war und sofort lud sich mein wesen neu auf
mit hemmungsloser vitalität und ich beruhigte mich entspannte
meine nerven atemlos vor freude und güte
(aus dem italienischen und rumänischen von dieter schlesak)
Man könnte Mincu auch einen "Zwischenschaftler" nennen, er hat lange Jahre in Italien gelebt, war Professor an der Uni in Florenz, und hat die italienische Semiotik, deren bekanntester Vertreter Umberto Eco ist, mit entwickelt. Wissenschaftlich-linguistische Erfahrungen, aber auch sein Leben zwischen Ost und West haben sein Werk geprägt. Seine Sprach- und Literaturforschungen, Gedichte und seine Prosa, zuletzt ein fiktives "Tagebuch Draculas" und eines von Ovid sind in Italien und Rumänien erschienen.
Eine erstaunliche Symbiose zwischen westlicher Wissenschaft und östlich-rumänischer Natur des Elementaren und Vegetalen zeichnet diese Lyrk aus, und diese abgründige Spannung rührt an den Nerv unserer Zeit, ergibt einen apokayptischen Ton, da auf diese Weise die aus den Fugen geratene Welt unserer Zivilsation nochmals zutiefst und schmerzlich messbar geworden ist. Im Zentrum der Gedichte steht das lyrische Ich in einer Krisensituation, spiegelt aber auch eine Selbstreferenz, in der sich die Sprache über das "unglückliche Bewußsein" selbst spiegelt, und im Verschwinden des Ich durch Formstrenge heilt.
Doch es ist keine experimentelle Lyrik, obwohl Mincu sich als "Textproduzent" und "Textualist" sieht, im Gegenteil, Mincu gelingt das Kunststück, seine Tiefenstrukturen im Alltäglichen zu finden, im Realen, dem er zugleich den Sinn und das Geheimnis wiedergibt.
Ein Hauch des absoluten Gedichts und seiner Form geht durch diese Verse; das Thema Liebe verbindet am besten Alltag und (Sprach-)Transzendenz in einer poetischen Synthese; je ein Gedicht aus seinen bisher wichtigsten lyrischen Werken wurde hier ausgewählt, und alle bezeugen, daß die "Hirnsyntax" semiotischer Prozesse als Hintergrundbewegung dieser Verse zum Eros des Einen führen, daß auch "semiotische" (also Zeichen-) Kunst nichts anderes als eine "Sublimierung des Eros" ist.
DS
Marin Mincu, geboren 1944, Universitätsprofessor, Autor und Literaturforscher, Semiologe.
Zuletzt erschienener Gedichtband "Am visat cã visez cã
sunt înger" (Ich träumte, daß ich träumte ein Engel
zu sein), 1998. Und eine große Anthologie "Poezia românã
actualã," 3 Bände 1998, 1999. "Avangara literarã româneascã"
2 Bände, 1999. Einenen Sammelband eigener Lyrik "Vine frigul!" (Der
Frost kommt!), 2000
?erban Foar?ã
Envoyé
Stehn die schuhe in den stelagen
Auf dem besternten grund
Verpackt ist die verpackung
In einer andern verpackung verpackt
Cezar Ivãnescu (1941)
Als sie mich gebar, meine mutter,
auf einem tisch, ausgestreckt, schrecklich
litt sie;
doch auf einem andern tisch
lag meine mutter, der tod*,
nackt, ausgestreckt, lächelnd,
so schön war meine mutter, der tod.
sie lächelte, weil
ich, ihr kind zur welt kam,
ohne dass sie litt!
rum. moartea= weibl.
Der bräutigam
rein bin ich wie der winter doch grün
strahle ich aus dem brunnen tief und rinne
so über dein gesicht es trinkt mich aus dein mund
der dir die augen schließt.
du weißt es nicht doch ich umarme dich
wie eine sonne steh ich fallend schon am mittagshimmel
die dich umarmt.
und so umarmt dich auch der ferne wald
mit den vertrauensfesseln und dem gebleichten wind.
und blätter kleiden dich in neue kleider
die fester sind als alle leiber und der samen
flüsterndes wort im ohr/ hörst du
die liebe der eiche sie vertritt die namenlosen
des waldes bäume stehen wie kinder der wald
mit seiner quellenseele.
überall in seiner lichtung sind
die starklebendigen wesen schmerzender nacktheit.
Anders
jeder laut baut bögen
jeder schritt läßt brunnen rinnen
jeder fernblick schließt das blickfeld
jedes wort es
kommt dann geht es
ferne
jede hand schreibt silben
auf
jede stirn
berührt der windhauch
ein immer jede
träne taucht.
Nacht
Flamme nur flamme.
In der morgenröte singt
eine handvoll asche.
Hallelujah
Herr des traumes, das blut
hat kein gift mehr – die guillotine
köpft kadaver
ein NEIN vielleicht ein NEIN
wäre noch zu sagen
in dieser leeren kirche
hier wo un-unterbrochen
ein tonband predigt
Wer ohren hat zu hören …
Es war mein wille: zu brennen mich zu erheben zu lieben zu zerstören
es war mein wille: zu weinen zu kämpfen zu töten –
gibt es vielleicht ein land eine zeit ein anderes ufer?…
eine mauer ist überall eine mauer.
Wenn ich gehe hinterlasse ich als erbe
Eine lange spur von blut von schlacke von rauch –
Die wenigen die mich erreichen wreden
Tragen schon heute mein brandmal.
Vergiftet euer fleisch! Aus dem einbalsamaierten kadaver
Wächst keine ähre keine blume keine weide!
Horch! Die geschichte brüllt in der ferne –
Wer ohren hat zu hören der höre! …
(Max Demeter Peyfuß)
DAS VERFAULTE MEER
Wir werden euch quälen wir werden euch töten
Dann werden wir getötet und es darf gelacht werden
Wir sind jetzt alt genug und verschlagen genug
Daß es uns kalt läßt
Alles ist wahr die Lüge ist wahr
Alles ist Lüge die Wahrheit lügt
Die Finsternis kommt von alleine.
(Erschienen in Correscpondances, Lausanne, 3/1983)
MENSCHEN
Früchte, erschienen im Kosmos,
einmal und nie wieder.
SCHREI IM STUNDENGLAS
Belügen mich
Warme Nächte,
eingehalten hatte der Herbst,
den Kopf aufgestützt in den Händen,
ein Silbergefäß
aus dem tropfte Wein.
Andere Augen gebt mir,
und die Erinnerung, - ganz anders.
ARCHAISCHE RENNBAHN
Das Schicksal ist wie ein Gesicht
Jenseits
Der Wäsche auf der Leine
Ein Mädchen mit blassen Augen
Zwischen Kühen und Hemden
Auf einem Himmel aus Gras
Liest
Sie
Tolstoi
Das flüssig gewordene Erstaunen des Morgens stockt
Die Grillen aus Krieg und Frieden
Springen durch die Seele die darunter fault
Das Feld geht in mich ein mit Blumenkohl und Nüssen
Die Dinge gehn auf und Durst dringt in den Mund
In die verschwwindeden Ereignisse aber steigt der Raum ein.
(Aus: Hommage a Ion Caraion, Lausanne 1984)
Epitaph
Geh deiner wege. Frag nicht klopfe nicht.
Deine seele ist schon lange auf der straße
Und niemand empfüängt dich als gast.
Du wanderer aus vier großen wüsteneien
Der tod hat gastrecht hier in deinem haus.
Und nur ein vogelschatten schwebt
An jedem abend über diesem stein.
Darunter gehn ideen aus und ein.
August 1921
8
Vielleicht glaubst du nicht sondern komponierst nur deine stimme
ohne zu vergessen daß langsam diese wendekreise enden
wie ungedacht timid wenden wir die worte
und als der morgen kam sagt ich mir laß doch jetzt den andern
ein blasseres lächeln hätte keinen platz im herzen
und sinnlos gar so überheblich wär die neue anstrengung
zeitlarven flüssig leicht durchziehen sie
noch nicht den leib die eigenliebe nicht
berühren uns kindlich diese schuld hier aufzulösen
als käm die tapfere auflösung aus andern saiten