Jehan Alain wurde am 3.2.1911
in St.-Germain-en-Laye geboren. Er war am Conservatoire in Paris Schüler
von George Caussade, Paul Dukas, Jean-Jules Roger Ducasse und ganz wichtig
Marcel Dupré. Von 1935 bis 1939 wirkte er als Organist an St-Nicolas
in Maisons-Lafitte bei Paris. Er fiel am 20.6.1940 in Petit Puys bei Saumur,
Marne-et-Loire durch einen Kopfschuss. Er wurde im zweiten Weltkrieg als
Späher an der fordersten Front eingesetzt, nahm aber seine vaterländische
Pflicht sehr ernst.
Jehan Alain's Orgelwerke,
sie waren der Hauptbestandteil seiner Kompositionstätigkeit, sind
sehr beeinträchtigt von der traditionellen Kontrapunkttechnik, Farbgebung
und Brillianz, sowie vorallem Figuration und Rhythmik. Von 1929 bis 1939
brachte er 93 Opuszahlen heraus. Neben den Orgelwerken komponierte er noch
Chorwerke, Messen, Motetten, Stücke für Klavier und Flöte
und sogar Kammermusik, die aber laut Marie-Claire Alain sehr unbekannt
sind.
Jehan Alain selbst war
ein Lebemann, Witzbold und zugleich introvertiertes Genie. Sein Geniealität
ließ er nur bei Konzerten aufblitzen und verarbeitete sie in den
Orgelwerke, allesamt reine Improvisationen. Wie alle Schüler von Marcel
Dupré ist auch sein Stil sehr sehr schnell, lebendig, teils voller
Innigkeit und Rhythmik. Ein Beispiel dafür sind die "Deux Dances à
Agni Yavisha", dem indischen Feuergott. Der erste Satz zeigt das tänzerische
Thema zu gleichbleibender figurativer Begleitung, im 2. Teil wechseln ein
rasches und ein langsames Motiv fortwährend ab, was den Eindruck erzeugt,
als würde der ruhige Fluß des sakralen Tanzes durch ein ständiges
Aufflackern wilder Emotionen unterbrochen.
Das Stück von Jehan
Alain schlechthin sind die "Litanies". Bekannt auf aller Welt und ein Stück
aus dem Standardrepertoir eines jeden Organisten. Es findet sein Vorbild
in der ständigen Wiederholung derselben Anrufungen einer Litanei.
Durch die immerwährenden Wiederholungen des Themas, die Steigerung
durch Akkordwechsel auf verschiedenen Manualen und am Ende durch die Übernahme
des Themas im Pedal sowie durch die magische Klanglichkeit des Satzes wird
eine förmliche Ekstase erzeugt, die mit einer Orgel noch nie erreicht
worden ist.
Sehr beliebt ist Jehan
Alain als Prüfungsstück an den Hochschulen ("Trois Dance, Scherzo..),
bzw. seine "Litanies" als Schlussstück eines Konzertes oder als Zugabe.
Am 21.5.1999 war seine Schwester
Marie-Clair Alain, zugleich letzte lebende der "Alain-Dynastie", zu Gast
in Aigen/Schlägl im Mühlviertel (Oberösterreich) und hielt
einen Meisterkurs über ihren Bruder, abgeschlossen mit einem Konzert.
Die durchaus noch sehr rüstige Grande Dame erlaubte einer ausgewählten
Gruppe (darunter ich selbst auch :-)))) Einblicke in das Privatleben ihres
Bruders, angefangen von Anekdoten, Briefen zwischen ihm und Verwandten
und Bekannten/Freunden, sowie beachtliche Zeichnungen. In manch freier
Stunde widmete er sich der Zeichenkunst. Ebenso teilte uns Marie-Claire
die Disposition der Alain-Orgel bei ihnen zu Hause mit, die ich natürlich
keinem vorenthalten möchte.
L'Orgue Alain en 1939
Grand-Orgue I
Bourdon 16'
Montre 8'
Flûte harmonique
8'
Prestant 4'
Positif II
Salicional 8'
Cor de nuit 8'
Flûte douce 4'
Gros Nazard 5 1/3'
Octavin (Flûte) 2'
Nazard 2 2/3'
Tierce 1 3/5'
Larigot 1 1/3'
Récit-Solo III
Quintaton 16'
Flûte cônique
8'
Viole de Gambe 8'
Voix céleste 8'
Dulciane 4'
Flûte 4'
Quinte 2 2/3'
Hautbois 8'
Cromorne 8'
Pedal
Soubasse 16'
Bourdon 8'
Bourdon 4'
Cornet III 4'
Traction mécanique,
Tir. GO, Tir. Pos, Tir. Réc., II/I, III/I
Die Orgel wurde von seinem
Vater Albert Alain und seinen Brüdern und ihm selbst in mühesamer
Kleinstarbeit angefertigt. Als Lohn dafür gaben sich angesehene Organisten
die "Türklinke der Alains" in die Hand. Paul Dukas, Jean-Jules Roger-Ducasse,
Marcel Dupré und Olivier Messiaen.
Marie-Claire Alain (1917)
Marie-Claire Alain ist durch
ihre Tätigkeit als Konzertorganistin und Lehrerin, sowie durch ihre
zahlreichen Schallplatten zu einer der bedeutensten Persönlichkeiten
der Orgelwelt geworden. In Paris geboren entstammt sie einer angesehenen
Musikerfamilie. Kurz nach ihrem Abschluss am Pariser Conservatoire National
Supérieur (unteranderm Schülerin von Marcel Dupré),
wo sie vier Erste Preise erwarb, wurde sie bei mehreren internationalen
Wettbewerben augezeichnet.
Auf ihren internationalen
Tourneen hat Frau Alain mehr als 2000 Konzerte gegeben, auch als Solistin
mit Orchester. Sie unterrichtet am Conservatoire National de Région
de Paris und bei vielen Meisterkursen.
Höchst beeindruckend
ist die Liste von über 200 LP's und rund 60 CD's, darunter die berühmten
Gesamteinspielungen mit Werken der Werke von J.S. Bach, Buxtehude, Böhm,
Bruhns, Couperin, Grigny, Daquin, Mendelssohn und Jehan Alain, sowie Orgelkonzerte
von Poulenc, Händel, Haydn, Mozart, Vivaldi u.a. Diese Aufnahmen wurden
mit insgesamt 155 Grand Prix du Disque ausgezeichnet.
Zahlreiche Preise und Ehrungen
wurden ihr zuteil, z.B. Buxtehude-Preis der Stadt Lübeck, Franz-Liszt-Preis
Budapest, Musikpreis der Leonnie-Sonning Stiftung Kopenhagen. Die Grand
Dame der Organisten ist auch Mitglied der Königlichen Musikakademie
Schweden, Dr.h.c. der Colorado State University und der Southern Methodist
University Dallas.
In London war kürzlich
anläßlich ihrer Erato-Discographie zu lesen: "Wenn Marie-Claire
Alain spielt, nimmt der Hörer weder Orgel noch den Interpreten wahr,
nur die Musik...Musik gespielt von einer der Orgellegenden unserer Zeit!"
Konzertprogramm von Marie-Claire Alain, 21. Mai 1999, Aigen/Schlägl (Oberösterreich)
Nicolas de Grigny
Pange lingua
(1672-1703)
Plain-chant
Fugue à 5
Récit du chant de l'hymne précédent
Claude Balbastre
Noel "Où s'en vont ces gais bergers?"
(1737-1799)
César Franck
Trois Pièces
(1822-1890)
Fantaisie en la
Cantabile
Pièce héroique
Alber Alain
Andante en si majeur
(1880-1971)
Carillon sur "Lauda sion"
Jehan Alain
Variations dur un thème de Clément Jannequin
(1911-1940)
2ème Fantaisie
Postlude pour l'office de Complies
Litanies