Max Reger galt als ein
„unmäßiger" Mensch, und so, wie er nach zeitgenössischen
Berichten als Persönlichkeit auftrat, komponierte er seine Musik.
Emotional an alle Grenzen stoßend fordert er von den Interpreten,
den Instrumenten und den Zuhörern alles: Die Interpreten müssen
den vollgriffigen Satz umsetzen in musikalisch nachvollziehbare Strukturen,
die Instrumente müssen Kraft und leiseste Klänge bieten und zu
jeder Zeit den Satz hörbar machen, die Zuhörer müssen sich
emotional auf diese Musik einlassen - ein distanziertes Hören verbietet
sich bei dieser Musik.
Seit die Orgelbewegung
mit dem Neubau vieler Orgeln in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg
flächendeckend wirksam geworden ist, entwickelte Reger sich zunehmend
zu einem „unbeliebten" Komponisten. Dabei wurde und wird er von deutschen
Künstlern viel gespielt. Allerdings ist die Nachkriegsorgel mit ihren
oft wenigen Registern an vielen Manualen für die längeren Werke
Regers zum Hören ungeeignet. Regers Orgelmusik lebt von der Entwicklung.
Der Klang ist ununterbrochen am Wachsen oder Ersterben, das Tempo ist nie
statisch. Bei einer Orgel mit 20 bis 30 Registern ist der Interpret bei
einem geforderten Crescendo sehr schnell im lautesten Bereich seines Instruments.
Denn das zeichnet eine gute Orgel der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts
aus: starkes Pleno, strahlende Mixturen, gesund klingender Baß.
Die Musik Regers
braucht aber nicht das Offene, Starke. Eher will man lange Zeit die Kraft
unterschwellig brodeln hören und weder das ff noch das fff
ist die lauteste Stelle, erst der durch Organo pleno angezeigte
Höhepunkt verlangt alles.
Eine Orgel mit
über 60 Registern entwickelt dann ihre Stärke. Viele verschiedene
Klangfarben im 8’-Bereich verzaubern die Hörer. Man denke nur zurück
an die vielen vergeblichen Versuche, Regers „Wachet auf, ruft und die Stimme"
an einer neobarocken Orgel der 50er und 60er Jahre zu spielen: Der gesamte
Anfang ist ohne streichende 8’-Register weder harmonisch noch motorisch
zu verfolgen gewesen!
Reger selbst fühlte
sich den alten Kompositionsformen, die Bach vorgegeben hat, verpflichtet.
Er komponierte Fugen, die ihrer Natur nach jeder Stimme hörbar sein
sollten. Bei der Interpretation seiner Orgelwerke sollte man berücksichtigen,
daß zu Regers Lebzeiten viele Barockorgeln noch unverändert
standen. Mit wachsendem wirtschaftlichem Wohlstand begannen die Orgelbauer
um 1900 die Instrumente neu zu bauen. Sicherlich wurden Organisten und
Orgelbauer bei dem Entwurf der Disposition und der Entwicklung der Spielhilfen
auch von Max Regers Werken beeinflußt. Doch sollte man immer wieder
probieren, wie Regers harmonische Verläufe mit milden süddeutschen
Prinzipalen des 18. Jahrhunderts gespielt klingen.
Unverwechselbar für die Stücke Regers sind die häufigen Kontraste, das Nebeneinander von Tutti und Pianissimo, die virtuose Brillanz neben der verhaltenen Feierlichkeit und vor allem die zum Teil schwer erfaßbaren Harmonien mit dissonanten Klängen und wohltuenden Apotheosen.
Die Orgelwerke
· Drei Orgelstücke
op.7
· Suite e-Moll
op.16
· Orgelsonaten
fis-Moll op 33 und d-Moll op.60
· Fantasie und
Fuge c-Moll op.29
· Fantasie und
Fuge über den Namen B-A-C-H op.46
· Symphonische
Fantasie und Fuge op.57
· Variationen
und Fuge über ein Originalthema op.73
· Introduktion,
Passacaglia und Fuge e-Moll op.127
· Fantasie und
Fuge d-Moll op.135b
· Sechs Trios
op.47
· Fünf leichte
Präludien und Fugen op.56
· Zwölf
Stücke op.59
· Monologe -
12 Stücke für die Orgel op.63
· Zwölf
Stücke op.65
· Zwölf
Stücke op.80
· Vier Präludien
und Fugen op.85
· Zwei Suiten
g-Moll op.92
· Neun Stücke
für Orgel op.129
· Choralfantasie
„Ein’ feste Burg ist unser Gott" op.27
· Choralfantasie
„Freu dich sehr, o meine Seele" op.30
· Choralfantasie
„Wie schön leucht’ und uns der Morgenstern" op.40/1
· Choralfantasie
„Straf’ mich nicht in deinem Zorn" op.40/2
· Choralfantasie
„Alle Menschen müssen sterben" op.52/1
· Choralfantasie
„Wachet auf, ruft uns die Stimme" op.52/2
Werkinterpretation
· Choralfantasie
„Halleluja, Gott zu loben" op.52/3
· 52 leicht ausführbare
Vorspiele für die Orgel zu den gebräuchlichsten evangelischen
Choräle op.67
· 13 Choralvorspiele
op.79b
· 30 kleine Choralvorspiele
op.135b
· 7 Orgelstücke
op.145
Das Problematische der Erscheinung
Daß die Kunst Max Regers heute mehr als
je stark problematisch erscheint, ist eine bekannte Tatsache. Es
ist zu untersuchen, welche Anlässe vorliegen, daß Regers Schaffen
zu einem Problem geworden, welches die historischen Gründe dieser
Meinung sind, die mit der Zähigkeit einer geschichtlichen Tatsache
auftritt.
Das gesamte Werk Regers gehört, so sagt
man, der absoluten - Musik an, das heißt, jenem Zweige der Tonkunst,
der sich weder bewußt noch unbewußt anderer, literarischer
oder rein dichterischer Vorlagen und Anregungen bedient. Die Spaltung
der musikalischen Produktion in die beiden Begriff e der absoluten Musik
einerseits, der programmatischen oder angewandten Musik andererseits zählt
zu der Methode jener Schlagworte philosophischer Untersuchung man denke
an klassisch und romantisch, an Impression und Expression die mehr Unheil
als Segen stifteten: aus der Unfähigkeit, große Bogen zu überschauen
und intuitiv in jedem einzelnen Falle zu werten, zwangen sie die Ergebnisse
starker und eigenwilliger schöpferischer Persönlichkeiten in
das Bett abstrakter Methodik und schematisierten da, wo es galt, jedes
Schema ängstlich zu vermeiden, jedes Werk für sich als Ausstrahlung
einer ganz bestimmten psychischen Nötigung in das allgemeine Geschehen
einzuordnen. So konnte es kommen, daß diese Methode nur mit
starken Vergewaltigungen anzuwenden war, daß die Musikgeschichte
sich unter ihrer Peitsche darstellt als eine Folge einander ablösender
freundschaftlicher oder feindlicher Richtungen, in denen gekämpft
und gesiegt wurde, nicht um der künstlerischen Einsicht und Sehnsucht
willen, sondern um die Gottheit einer theoretischen Doktrin hochzuhalten.
So fest steht diese These. so innig ist sie dem musikalischen Denken und
Folgern des Musikbeflissenen verhaftet, daß ich die Untersuchung
über das Problem Max Reger gleichsetze einer Untersuchung seiner falschen
oder richtigen Eingliederung in das historische Schema. Es wird sieh
erweisen, ob damit die Lösung der Aufgabe auch nur annähernd
zu erzielen ist.
Ganz allgemein treiben Freundschaft und Feindschaft
folgenden Spitzen zu:
Reger, die große Synthese von Bach und Brahms, weiter die gewaltige Zusammenfassung des polyphonen linearen und liornophonen vertikalen Prinzips zu einer höheren Einheit.