Wolfgang Bächler
1925 in Augsburg geboren, war der jüngste Mitgründer
der Gruppe
47. Er galt als einer der Wortführer der Nachkriegsgeneration,
bis er nur noch Gast der deutschen Literaturszene wurde, weil er lange
in Frankreich lebte. Deshalb sind viele seiner Gedichte heute kaum bekannt.
(entnommen: Wolfgang Bächler, Ausbrechen)
Die Sesshaften
Oft beunruhigt sie das Glück,
sesshaft geworden zu sein.
Sie planen Umzüge, Reisen,
wechseln das Stammlokal,
wechseln die Stellung,
den Standpunkt, die Frau.
Sie träumen von fremden Ländern
und hoffen, in anderen Räumen
verändert zu erwachen.
Sie suchen den neuen Spiegel
für ihr altes Gesicht
und sehnen sich manchmal
nach Feuersbrünsten,
ohne versichert zu sein.
|
Weitere:
Eines Nachts
Verschenkt sind die Blumen. Die Vasen
sind tief mit Vergessen gefüllt.
Verrauscht sind die gelben Ekstasen.
Die Fenster sind wolkenverhüllt.
Geruch ist noch da von den Blättern
der Rosen, die ich zerrieb,
und das Rot, das mir auf den Lippen
und zwischen den Fingern blieb.
An der Wand die Kontour eines Hügels
vom eigenen Schatten gestellt
hinter das Schwarz des Flügels,
den Glanz und die Trauer der Welt.
Der Kirschbaum
Durchs Schilfrohr ruft es
der Schwan, der Prophet.
Die Lerchen singen es weiter:
Gott sitzt im Kirschbaum
und entkernt die Kirschen.
Die Stare werfen Schattenfalten
in sein weisses Lichtgesicht.
Der Kirschbaum wandert übers Wasser.
Fische springen durch sein Haar,
Krebse schlüpfen durch die Wurzeln
und der Wind fährt in die Krone.
Gott sitzt rudernd
auf den Ästen,
isst die Kirschen,
spielt mit Kernen,
lässt sich treiben,
hat die Welt vergessen.
Mein Baum
Als ich einschlief, dachte ich,
es wäre eine Bronchitis
oder ich hätte nur zuviel geraucht.
Doch dann wuchs mir
ein Baum aus der Brust,
verzweigte sich, trieb Blätter.
Vögel setzten sich auf die Äste,
fingen zu zwitschern an.
Die Wurzeln umklammerten mein Herz,
drangen ein in seine Kammern.
Es schlug durch den Stamm
hinauf bis in die letzten Zweige.
Mein Blut nährte den Baum,
füllte die Adern der Blätter
und er atmete mit mir aus und ein.
Wie sollte ich je wieder aufstehen können
mit diesem Baum in der Brust?
Wie durch die Türe gehen?
Leichter wächst da mein Baum
durch die Zimmerdecke, durch das Dach.
Ja, nur so kommen wir aus dem Haus.
Ausbrechen
Ausbrechen
aus den Wortzäunen,
den Satzketten,
den Punktsystemen,
den Einklammerungen,
den Rahmen der Selbstbespiegelungen,
den Beistrichen, den Gedankenstrichen
- um die ausweichenden, aufweichenden
Gedankenlosigkeiten gesetzt -
Ausbrechen
in die Freiheit des Schweigens.
Alle Gedichte sind entnommen aus:
Wolfgang Bächler: Ausbrechen
Gedichte aus 30 Jahren
erschienen 1976 in der S. Fischer Verlag GmbH, FfM
ISBN 3 10 003501 1
Literaturhinweise:
Die Zisterne, 1950 Bechtle Verlag Esslingen
Lichtwechsel, 1955 und 1960 Bechtle Verlag München
und Esslingen
Türklingel, 1962 Bechtle Verlag München und
Esslingen
Türen aus Rauch, 1963 Insel Verlag Frankfurt am
Main
Zuletzt bearbeitet am 19.3.1999
Auf dieser Seite hörst du:Claire de Lune (Debussy)