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-Erich Fried:
Die guten Gärtner
Sterbeleben
Aber wieder
Dann wieder
-Günter Eich:
Die Herkunft der Wahrheit
Nachhut
Nicht geführte Gespräche
Neue Postkarten
Wörter

Nachhut

Die Herkunft der Wahrheit

Steh auf, steh auf!
Wir werden nicht angenommen,
die Botschaft kam mit dem Schatten der Sterne.

Es ist Zeit, zu gehen wie die andern.
Sie stellten ihre Straßen und leeren Häuser
unter den Schutz des Mondes. Er hat wenig Macht.

Unsere Worte werden von der Stille aufgezeichnet.
Die Kanaldeckel heben sich um einen Spalt.
Die Wegweiser haben sich gedreht.

Wenn wir uns erinnerten an die Wegmarken der Liebe,
ablesbar auf Wasserspiegeln und im Wehen des Schnees!
Komm, ehe wir blind sind!

Günter Eich
Die Herkunft der Wahrheit bedenken:
ihre mit Sand behafteten Wurzeln,
ihre Fußspur,
die meßbare Bewegung der Luft,
wenn sie als Vogel kam.

Einsichten aus Pervitin.
zum Abflug gesammelt mit den Schwalben.
Fort, fort, in den Abend und übers Gebirge!

Andere, Steinmetzzeichen im Laub,
nur begreiflich dem Schlafe
und eins mit den Scherzen der Großmütter:
Mach die Augen zu,
was du dann siehst,
gehört dir.

Günter Eich

Nicht geführte Gespräche

Neue Postkarten

Wir bescheidenen Übersetzer,
etwa von Fahrplänen,
Haarfarbe, Wolkenbildung,
was sollen wir denen sagen,
die einverstanden sind
und die Urtexte lesen?
(so las einer
aus Eulenspiegels Büchern
die Haferkörner)
Vor soviel Zuversicht
bleibt unsere Trauer windig,
mit Regen vermischt,
deckt die Dächer ab,
fällt über jedes Lächeln,
nicht heilbar.

Günter Eich
                1
Triste Lastwagen und
Restaurants, an die ich nicht glaube.
O liebes Herbstlaub
und der Wind
durch slowenische  Zimmer.

                
2
Sei bedankt, aber verlaß uns.
In den Höhlen der Rattenfänger
waren wir längst.

                
3
Oder, mein Fluß, erklärbar
aus Quellen und Nebenflüssen,
mein Morgengewinn, meine Unruh,
meine Sanduhr über den Ländern.

                
4
Mühlen vermisse ich hier.
Das Wasser träge,
der Wind stockt.
Zeit für Walzwerke,
vielleicht Lehmgruben
und Scheunenbrand,
Hüte für
Kossäten.

                  5

Surinam und die Raupen.
Erinnere dich, Merian
Maria Sybilla,
ich war das rechte
gebogene Nelkenblatt.

Günter Eich

Wörter

Flüsterungen.
Einflüsterungen, Geflüster.
Ich weiß, was ich sage. Nein.
Und ich halte wörter für gefährlich.
Hoffentlich sind sie es.
Du bist kühn. Ich fürchte mich vor Flüsterungen.
Ich auch.
Außer uns beiden niemand. Aber wir zählen nicht.
Möchtest du das?

Dann wieder

Aber wieder

Aber
du bist wiedergekommen
Du
bist wieder
gekommen
Du
du bist
du bist wieder
Ich bin wieder
weil du bist
Du bist  gekommen
du wieder
und immer wieder
wieder du
Du
du
du und ich
immer wieder
und wieder

Erich Fried
Was keiner geglaubt haben wird
was keiner gewußt haben konnte
was keiner geahnt haben durfte
das wird dann wieder
das gewesen sein
was keiner gewollt haben wollte

Erich Fried

Die guten Gärtner

Sterbeleben

Ich sterbe immerzu
und immeroffen
Ich sterbe immerfort
und immer hier
Ich sterbe immer einmal
und immer ein Mal
Ich sterbe immer wieder
Ich sterbe wie ich lebe
Ich lebe manchmal hinauf
und manchmal hinunter
Ich sterbe manchmal hinunter
und manchmal hinauf
Woran ich sterbe?
Am Hass
und an der Liebe
an der Gleichgültigkeit
an der Fülle
und an der Not
An der Leere einer Nacht
am Inhalt eines Tages
immer einmal an uns
und immer wieder an ihnen
Ich sterbe an dir
und ich sterbe an mir
Ich sterbe an einigen Kreuzen
Ich sterbe in einer Falle
Ich sterbe an der Arbeit
Ich sterbe am Weg
Ich sterbe am Zuvieltun
und am Zuwenigtun

Ich sterbe so lange
bis ich gestorben bin
Wer sagt
dass ich sterbe?
Ich sterbe nie
sondern lebe

Erich Fried
Wie schön
dass wir Hand in Hand
in den Garten gehen
und unseren jungen Baum
begießen
und pflegen

Ich klaube Raupen ab
Du bringst ihm Wasser!
Wie grün er wäre
wenn wir ihm nicht
die Wurzel
abgehackt hätten

Erich Fried
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