Kurzprosa von Günter Eich
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UNPASSEND

Gedanken kann man entlassen, Gefühle sterben, Meditationen bleiben und breiten sich aus. Deshalb wird man dicker, ich jedenfalls. Die Beine schwellen an, der Bauch, die Ohren werden größer, der Schädel wird schwer. Man muß den Kopf stützen, die Bandscheiben sinken ein und schaffen es nicht. Und niemand erfindet eine Kopfstütze. (Leseknochen sind nicht das, was ich meine. Die Erfindung des Lesens ist an mir verloren gegangen. Ich meine den Menschen in stehendem oder sitzendem Urzustand.)
Es bleibt nichts übrig als den Kopf mit den Händen zu stützen. Eine Geste, die mir immer öfter unterläuft. Eine Geste, die einen verstimmt. Wie wenig paßt der Kopf in die Hände. Das ist nicht vorgesehen.
IMAGINÄRER BRIEF

Mein lieber alter Elefant, gute Nachrichten! Das Gepäck hat sich vrekleinert, die großen Schränke konnte ich alle verkaufen und auch das Parkett ist verheizt. Im Frühjahr werden wir auch die Öfen abstoßen, wir haben einen freudigen Winter vor uns, mit Gelächter und Bucheckern. Der Vogelbeerschnaps ist nicht gemeldet, wir gehen nicht aus den Höhlen, warten bloß auf das Wachsen unserer Haare, Schwester Rosamunde macht schöne Flechtarbeiten daraus. Du weißt, ich bin kiesätig, halte mich kaum mit Hülsenfrüchten auf, habe aber jetzt ein schönes Buch über Esau, mit Rezepten und theologischen Querfragen, das würde Dir auch Spaß machen. Es hat einer in unserer Sprache geschrieben.
Natürlich machen wir uns Sorgen um dein linkes Elfenbein. Haben die Splitterungen nachgelassen? Eine Mischung von Whisky und Schmerztabletten hat mir neulich geholfen, als ich Schmerzen an den Versfüßen hatte. Wir hoffen doch, daß Du es nichz mehr nötig hast. Du kannst es aber auch sonst nehmen, es macht gerade so aufsässig wie man es braucht.
Du fehlst uns, dein Rüssel fehlt uns und dein Schachverstand. Ich spiele jetzt manchmal Philidor, ich weiß, gilt als minderwertig, aber es gibt zementierte Stellungen, wie ich sie liebe. Du suchst ja immer Kombinationen, mein Alter. Ich meine, es müßte den richtigen Zug geben, und find eihn nicht.
In Terracotta waren wir auch ein paarmal, ist aber nicht mehr wie früher. Zuviel seltener Käse, zuviel Rotwein mit Kerzenbeleuchtung. Mein lieber Elefant, Du weißt, daß ich diese Zeilen schreibe, um über das Wichtigste nichts zu sagen, und du weißt, was es ist. Sei umarmt.
SPÄSSE

Wie bitter eine Rheumasalbe ist, erfährt man selten. Ins Lot gebracht wird die sache dadruch, daß die Autobahnen normalen Verlehr melden. Ich habe kein Auto, esse keine Rheumasalbe.
Aber ich tue so.
Wie soll man fortfahren? Mit dem Auto, das ich habe? Mit der Rheumasalbe, die mir zu bitter ist? Oder einfacher mit dem Rheuma, das ich nicht habe? Das Bessere von der Welt ist abgeschöpft, wir wünschen uns gegenseitig guten Appetit. Das dauert noch.
Inzwischen schreibt das ältere Volk an das jüngere. Die Briefe kommen nicht an, weil sie nicht abgeschickt werden oder das Porto fehlt. Das ist ein Spaß.
Nach der Brühe werden die Briefe des jüngeren Volks an das ältere vorgelesen. Auch ein Spaß, hauptsächlich wegen der Alliteration. Das war im Althochdeutschen. Auch damals brachten einem Briefe nichts ein. Hie Heinz und Hans, hie Kurt und Klein. So haben wir immer neue Späße, selbst im Mittelhochdeutschen.
Das Neuhochdeutsche ist eine Rheumasalbe. Ich tue mir gefühlsfreudige Watte in die Ohren, höre von allem, wie es schmeckt. Schickt mir einen Spaß ohne Porto, geschickt oder ungeschickt, wir lesen ihn im ersten Nachmittag. Ehrenwort.
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