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Prof. Dr. E. Flitner.
M a x W e b e r, Religionssoziologie I. [1]
Vorbemerkung.
Universalgeschichtliche Probleme wird der Sohn der modernen europäischen
Kulturwelt unvermeidlicher- und berechtigterweise unter der Fragestellung
behandeln: welche Verkettung von Umständen hat dazu geführt,
daß gerade auf dem Boden des Okzidents, und nur hier, Kulturerscheinungen
auftraten, welche doch - wie wenigstens wir uns gern vorstellen - in einer
Entwicklungsrichtung von universeller Bedeutung und Gültigkeit lagen
?
Nur im Okzident gibt es “Wissenschaft” in dem Entwicklungsstadium,
welches wir heute als “gültig” anerkennen. Empirische Kenntnisse,
Nachdenken über Welt- und Lebensprobleme, philosophische und auch
- obwohl die Vollentwicklung einer systtematischen Theologie dem hellenistisch
beeinflußten Christentum eignet (Ansätze nur im Islam und bei
einigen indischen Sekten) - theologische Lebensweisheit tiefster Art, Wissen
und Beobachtung von außerordentlicher Sublimierung hat es auch anderwärts,
vor allem: in Indien, China, Babylon, Aegypten, gegeben. Aber: der babylonischen
und jeder anderen Astronomie fehlte - was ja die Entwicklung namentlich
der babylonischen Sternkunde nur um so erstaunlicher macht - die mathematische
Fundamentierung, die erst die Hellenen ihr gaben. Der indischen Geometrie
fehlte der rationale “Beweis”: wiederum ein Produkt hellenischen Geistes,
der auch die Mechanik und Physik zuerst geschaffen hat. Den nach der Seite
der Beobachtung überaus entwickelten indischen Naturwissenschaften
fehlte das rationale Experiment: nach antiken Ansätzen wesentlich
ein Produkt der Renaissance, und das moderne Laboratorium, daher der namentlich
in Indien empirisch - technisch hochentwickelten Medizin die biologische
und insbesondere biochemische Grundlage. Eine rationale Chemie fehlt allen
Kultur-
Vorbemerkung. [2]
gebieten außer dem Okzident. Der hochentwickelten chinesischen
Geschichtsschreibung fehlt das thukydideische Pragma. Macchiavelli hat
Vorläufer in Indien. Aber aller asiatischen Staatslehre fehlt eine
der aristotelischen gleichartigen Systematik und die rationalen Begriffe
überhaupt. Für eine rationale Rechtslehre fehlen anderwärts
trotz aller Ansätze in Indien (Mimamsa - Schule), trotz umfassender
Kodifikationen besonders in Vorderasien und trotz allem indischen und sonstigen
Rechtsbücher, die streng juristischen Schemata und Denkformen des
römischen und des daran geschulten okzidentalen Rechtes. Ein Gebilde
ferner wie das kanonische Recht kennt nur der Okzident.
Aehnlich in der Kunst. Das musikalische Gehör war bei anderen
Völkern anscheinend eher feiner entwickelt als heute bei uns; jedenfalls
nicht minder fein. Polyphonie verschiedener Art war weithin über die
Erde verbreitet, Zusammenwirken einer Mehrheit von Instrumenten und auch
das Diskantieren findet sich anderwärts. Alle unsere rationalen Tonintervalle
waren auch anderwärts berechnet und bekannt. Aber rationale harmonische
Musik: - sowohl Kontrapunktik wie Akkordharmonik, - Bildung des Tonmaterials
auf der Basis der drei Dreiklänge mit der harmonischen Terz, unsre,
nicht distanzmäßig, sondern in rationaler Form seit der Renaissance
harmonisch gedeutete Chromatik und Enharmonik, unser Orchester mit seinem
Streichquartett als Kern und der Organisation des Ensembles der Bläser,
der Generalbaß, unsre Notenschrift (die erst das Komponieren und
Ueben moderner Tonwerke, also ihre ganze Dauerexistenz überhaupt,
ermöglicht), unsre Sonaten, Symphonien, Opern, - obwohl es Programmusik,
Tonmalerei, Tonalteration und Ghromatik als Ausdrucksmittel in den verschiedensten
Musiken gab, - und als Mittel zu dem alle unsre Grundinstrumente: Orgel,
Klavier, Violine: dies alles gab es nur im Okzident.
Spitzbogen hat es als Dekorationsmittel auch anderwärts, in der
Antike und in Asien, gegeben; angeblich war auch das Spitzbogen - Kreuzgewölbe
im Orient nicht unbekannt. Aber die rationale Verwendung des gotischen
Gewölbes als Mittel der Schubverteilung und der Ueberwölbung
beliebig geformter Räume und, vor allem, als konstruktives Prinzip
großer Monumentalbauten und Grundlage eines die Skulptur und Malerei
einbeziehenden Stils, wie sie das Mittelalter schuf, fehlen
Vorbemerkung. [3]
anderweitig. Ebenso aber fehlt, obwohl die technischen Grundlagen
dem Orient entnommen waren, jene Lösung des Kuppelproblems und jene
Art von “klassischer” Rationalisierung der gesamten Kunst - in der Malerei
durch rationale Verwendung der Linear- und Luftperspektive - welche die
Renaissance bei uns schuf. Produkte der Druckerkunst gab es in China. Aber
eine gedruckte: eine nur für den Druck berechnete, nur durch ihn lebensmögliche
Literatur: “Presse” und “Zeitschriften” vor allem, sind nur im Okzident
entstanden. Hochschulen aller möglichen Art, auch solche, die unsern
Universitäten oder doch unsern Akademien äußerlich ähnlich
sahen, gab es auch anderwärts (China, Islam). Aber rationalen und
systematischen Fachbetrieb der Wissenschaft: das eingeschulte Fachmenschentum,
gab es in irgendeinem an seine heutige kulturbeherrschende Bedeutung heranreichenden
Sinn nur im Okzident. Vor allem: den Fachbeamten, den Eckpfeiler des modernen
Staats und der modernen Wirtschaft des Okzidents. Für ihn finden sich
nur Ansätze, die nirgends in irgendeinem Sinn so konstitutiv für
die soziale Ordnung wurden wie im Okzident. Natürlich ist der “Beamte”,
auch der arbeitsteilig spezialisierte Beamte, eine uralte Erscheinung der
verschiedensten Kulturen. Aber die absolut unentrinnbare Gebanntheit unserer
ganzen Existenz, der politischen, technischen und wirtschaftlichen Grundbedingungen
unseres Daseins, in das Gehäuse einer fachgeschulten Beamten organisation,
den technischen, kaufmännischen, vor allem aber den juristisch geschulten
staatlichen Beamten als Träger der wichtigsten Alltagsfunktionen des
sozialen Lebens, hat kein Land und keine Zeit in dem Sinn gekannt, wie
der moderne Okzident. StändischeOrganisation der politischen und sozialen
Verbände ist weit verbreitet gewesen. Aber schon den Ständestaat:
“rex et regnum”, kannte im okzidentalen Sinn nur der Okzident. Und vollends
Parlamente von periodisch gewählten “Volksvertretern”, den Demagogen
und die Herrschaft von Parteiführern als parlamentarisch verantwortliche
“Minister” hat - obwohl es natürlich “Parteien” im Sinn von Organisationen
zur Eroberung und Beeinflussung der politischen Macht in aller Welt gegeben
hat - nur der Okzident hervorgebracht. Der “Staat” überhaupt im Sinn
einer politischen Anstalt, mit rational gesatzter “Verfassung”, rational
gesatztem Recht und einer an rationalen,
Vorbemerkung. [4]
gesatzten Regeln: “Gesetzen”, orientierten Verwaltung durch Fachbeamte,
kennt, in dieser für ihn wesentlichen Kombination der entscheidenden
Merkmale, ungeachtet aller anderweitigen Ansätze dazu, nur der Okzident.
Und so steht es nun auch mit der schicksalsvollsten Macht unsres modernen
Lebens: dem Kapitalismus.
“Erwerbstrieb”, “Streben nach Gewinn”, nach Geldgewinn, nach möglichst
hohem Geldgewinn hat an sich mit Kapitalismus gar nichts zu schaffen. Dies
Streben fand und findet sich bei Kellnern, Aerzten, Kutschern, Künstlern,
Kokotten, bestechlichen Beamten, Soldaten, Räubern, Kreuzfahrern,
Spielhöllenbesuchern, Bettlern: - man kann sagen: bei “all sorts and
conditions of men”, zu allen Epochen aller Länder der Erde, wo die
objektive Möglichkeit dafür irgendwie gegeben war und ist. Es
gehört in, die kulturgeschichtliche Kinderstube, daß man diese
naive Begriffsbestimmung ein für allemal aufgibt. Schrankenloseste
Erwerbsgier ist nicht im mindesten gleich Kapitalismus, noch weniger gleich
dessen “Geist”. Kapitalismus kann geradezu identisch sein mit Bändigung,
mindestens mit rationaler Temperierung, dieses irrationalen Triebes. Allerdings
ist Kapitalismus identisch mit dem Streben nach Gewinn, im kontinuierlichen,
rationalen kapitalistischen Betrieb: nach immer erneutem Gewinn: nach “Rentabilität”.
Denn er muß es sein. Innerhalb einer kapitalistischen Ordnung der
gesamten Wirtschaft würde ein kapitalistischer Einzelbetrieb, der
sich nicht an der Chance der Erzielung von Rentabilität orientierte,
zum Untergang verurteilt sein. - Definieren wir zunächst einmal etwas
genauer als es oft geschieht. Ein “kapitalistischer” Wirtschaftsakt soll
uns heißen zunächst ein solcher, der auf Erwartung von Gewinn
durch Ausnützung von Tausch- Chancen ruht: auf (formell) friedlichen
Erwerbschancen also. Der (formell und aktuell) gewaltsame Erwerb folgt
seinen besonderen Gesetzen und es ist nicht zweckmäßig (so wenig
man es jemand verbieten kann) ihn mit dem (letztlich) an Tauschgewinn -
Chancen orientierten Handeln unter die gleiche Kategorie zu stellen ).
Wo kapitalistischer Erwerb ratio-
Vorbemerkung. [5]
nal erstrebt wird, da ist das entsprechende Handeln orientiert an Kapitalrechnung.
Das heißt: es ist eingeordnet in eine planmäßige Verwendung
von sachlichen oder persönlichen Nutzleistungen als Erwerbsmittel
derart: daß der bilanzmäßig errechnete Schlußertrag
der Einzelunternehmung an geldwertem Güterbesitz (oder der periodisch
bilanzmäßig errechnete Schätzungswert des geldwerten Güterbesitzes
eines kontinuierlichen Unternehmungsbetriebs) beim Rechnungsabschluß
das “Kapital”: d. h. den bilanzmäßigen Schätzungswert der
für den Erwerb durch Tausch verwendeten sachlichen Erwerbsmittel übersteigen
(bei der Dauerunternehmung also: immer wieder übersteigen) soll. Einerlei
ob es sich um einen Komplex von in natura einem reisenden Kaufmann in Kommenda
gegebenen Waren handelt, deren Schlußertrag wiederum in erhandelten
anderen Waren in natura bestehen kann, oder: um ein Fabrikanwesen, dessen
Bestandteile Gebäude, Maschinen, Vorräte an Geld, Rohstoffen,
Halb- und Fertigprodukten, Forderungen darstellen, denen Ver-bindlichkeiten
gegenüberstehen: - stets ist das Entscheidende: daß eine Kapitalrechnung
in Geld aufgemacht wird, sei es nun in modern buchmäßiger oder
in noch so primitiver und oberflächlicher Art. Sowohl bei Beginn des
Unternehmens: Anfangsbilanz, wie vor jeder einzelnen Handlung: Kalkulation,
wie bei der Kontrolle und Ueberprüfung der Zweckmäßigkeit:
Nachkalkulation, wie beim Abschluß behufs Feststellung: was als “Gewinn”
entstanden ist: Abschlußbilanz. Die Anfangsbilanz einer Kommenda
ist z. B. die Feststellung des zwischen den Parteien gelten sollenden Geldwertes
der hingegebenen Güter, - soweit sie nicht schon Geldform haben -,
ihre Abschlußbilanz die der Verteilung von Gewinn oder Verlust am
Schluß zugrunde gelegte Abschätzung; Kalkulation liegt - im
Rationalitätsfall - jeder einzelnen Handlung des Kommendanehmers zugrunde.
Daß eine wirk-
Vorbemerkung. [6]
lich genaue Rechnung und Schätzung ganz unterbleibt: rein schätzungsmäßig
oder einfach traditionell und konventionell verfahren wird, kommt in jeder
Form von kapitalistischer Unternehmung bis heute vor, wo immer die Umstände
nicht zu genauer Rechnung drängen. Aber das sind Punkte, die nur den
Grad der Rationalität des kapitalistischen Erwerbs betreffen.
Es kommt für den Begriff nur darauf an: daß die tatsächliche
Orientierung an einer Vergleichung des Geldschätzungserfolges mit
dem Geldschätzungseinsatz, in wie primitiver Form auch immer, das
wirtschaftliche Handeln entscheidend bestimmt. In diesem Sinne nun hat
es “Kapitalismus” und “kapi-talistische” Unternehmungen, auch mit leidlicher
Rationalisierung der Kapitalrechnung, in allen Kulturländern der Erde
gegeben, soweit die ökonomischen Dokumente zurückreichen. In
China, Indien, Babylon, Aegypten, der mittelländischen Antike, dem
Mittelalter so gut wie in der Neuzeit. Nicht nur ganz isolierte Einzelunternehmungen,
sondern auch Wirtschaften, welche gänzlich auf immer neue kapitalistische
Einzelunternehmungen eingestellt waren und auch kontinuierliche “Betriebe”,
- obwohl gerade der Handel lange Zeit nnicht den Charakter unsrer Dauerbetriebe,
sondern wesentlich den einer Serie von Einzelunternehmungen an sich trug
und erst allmählich innerer (“branchenmäßig” orientierter)
Zusammenhang in das Verhalten gerade der Großhändler hineinkam.
Jedenfalls: die kapitalistische Unternehmung und auch der kapitalistische
Unternehmer, nicht nur als Gelegenheits-, sondern auch als Dauerunternehmer,
sind uralt und waren höchst universell verbreitet.
Nun hat aber der Okzident ein Maß von Bedeutung und, was dafür
den Grund abgibt: Arten, Formen und Richtungen von Kapitalismus hervorgebracht,
die anderwärts niemals bestanden haben. Es hat in aller Welt Händler:
Groß- und Detailhändler, Platz- und Fernhändler, es hat
Darlehensgeschäfte aller Art, es hat Banken mit höchst verschiedenen,
aber doch denjenigen wenigstens etwa unsres 16. Jahrhunderts im Wesen,ähnlichen
Funktionen gegeben; Seedarlehen, Kommenden und kommanditeartige Geschäfte
und Assoziationen, sind auch betriebsmäßig, weit verbreitet
gewesen. Wo immer Geldfinanzen der öffentlichen Körperschaften
bestanden, da erschien der Geldgeber: in Babylon, Hellas, Indien, China,
Rom: für die Finanzierung vor allem der Kriege und des Seeraubes,
für Lieferungen und Bauten
Vorbemerkung. [7]
aller Art, bei überseeischer Politik als Kolonialunternehmer,
als Plantagenerwerber und -betreiber mit Sklaven oder direkt oder indirekt
gepreßten Arbeitern, für Domänen-, Amts- und vor allem:
für Steuerpacht, für die Finanzierung von Parteichefs zum Zwecke
von Wahlen und von Kondottieren zum Zweck vun Bürgerkriegen und schließlich:
als “Spekulant” in geldwerten Chancen aller Art. Diese Art von Unternehmerfiguren:
die kapitalistischen Abeuteurer, hat es in aller Welt gegeben. Ihre Chancen
waren - mit Ausnahme des Handels und der Kredit- und Bankgeschäfte
- dem Schwerpunkt nach entweder rein irrrational - spekulativen Charakters
oder aber sie waren an dem Erwerb durch Gewaltsamkeit, vor allem dem Beuteerwerb
aktuell - kriegerischer oder chronisch - fiskalischer Beute (Untertanen
- Ausplünderung), orientiert.
Der Gründer-, Großspekulanten-, Kolonial- und der moderne
Finanzierungskapitalismus schon im Frieden, vor allem aber aller spezifisch
kriegsorientierte Kapitalismus tragen auch in der okzidentalen Gegenwart
noch oft dies Gepräge und einzelne - nur: einzelne - Teile des internationalen
Großhandels stehen ihm, heute wie von jeher, nahe. Aber der Okzident
kennt in der Neuzeit daneben eine ganz andere und nirgends sonst auf der
Erde entwickelte Art des Kapitalismus: die rational - kapitalistische Organisation
von (formell) freier Arbeit. Nur Vorstufen dafür finden sich anderwärts.
Selbst die Organisation unfreier Arbeit hat ja nur in den Plantagen und,
in sehr begrenztem Maß, in den Ergasterien der Antike eine gewisse
Rationalitätsstufe erreicht, eine eher noch geringere in den Fronhöfen
und Gutsfabriken oder grundherrlichen Hausindustrien mit Leibeigenen- oder
Hörigenarbeit in der beginnenden Neuzeit. Für freie Arbeit finden
sich selbst eigentliche “Hausindustrien” außerhalb des Okzidents
nur vereinzelt sicher bezeugt und die natürlich überall sich
findende Taglöhnerverwendung hat mit sehr wenigen und sehr besonders,
jedenfalls aber: sehr abweichend von modernen Betriebsorganisationen gearteten
Ausnahmen (besonders: Staatsmonopolbetrieben) nicht zu Manufakturen und
nicht einmal zu einer rationalen Lehrorganisation des Handwerks vom Gepräge
des okzidentalen Mittelalters geführt. Die an den Chancen des Gütermarktes,
nicht an gewaltpolitischen oder an irrationalen Spekulationschancen, orientierte,
rationale Betriebsorganisation ist aber nicht die ein-
Vorbemerkung. [8]
zige Sondererscheinung des okzidentalen Kapitalismus. Die moderne rationale
Organisation des kapitalistischen Betriebs wäre nicht möglich
gewesen ohne zwei weitere wichtige Entwicklungselemente: die Trennung von
Haushalt und Betrieb, welche das heutige Wirtschaftsleben schlechthin beherrscht
und, damit eng zusammenhängend, die rationale Buchführung. Oertliche
Trennung der Werk- oder Verkaufsstätten von der Behausung findet sich
auch sonst (im orientalischen Bazar und in den Ergasterien anderer Kulturgebiete).
Und auch die Schaffung von kapitalistischen Assoziationen mit gesonderter
Betriebsrechnung findet sich in Ostasien wie im Orient und in der Antike.
Aber: gegenüber der modernen Verselbständigung der Erwerbsbetriebe
sind das doch nur Ansätze. Vor allem aus dem Grunde, weil die inneren
Mittel dieser Se1bständigkeit: sowohl unsre rationale Betriebs buchführung
wie unsre rechtliche Sonderung von Betriebsvermögen und persönlichem
Vermögen ganz fehlen oder nur in Anfängen entwickelt sind ).
Die Entwicklung hat überall sonst dazu geneigt, Erwerbsbetriebe als
Teile eines fürstlichen oder grundherrlichen Groß- haushalts
(des “Oikos”) entstehen zu lassen: eine, wie schon Rodbertus erkannt hatte,
bei mancher scheinbaren Verwandtschaft doch höchst abweichende, geradezu
entgegengesetzte, Entwicklung.
Ihre heutige Bedeutung aber haben alle diese Besonderheiten des abendländischen
Kapitalismus letztlich erst durch den Zusammenhang mit der kapitalistischen
Arbeitsorganisation er-
Vorbemerkung. [9]
halten. Auch das, was man die “Kommerzialisierung” zu nennen pflegt:
die Wertpapierentwicklung und die Rationalisierung der Spekulation: die
Börse, steht damit im Zusammenhang. Denn ohne kapitalistisch - rationale
Arbeitsorganisation wäre dies alles, auch die Entwicklung zur “Kommerzialisierung”,
soweit überhaupt möglich, nicht entfernt von der gleichen Tragweite.
Vor allem für die soziale Struktur und alle mit ihr zusammenhängenden
spezifisch modern - okzidentalen Probleme. Eine exakte Kalkulation: - die
Grundlage alles andern, - ist eben nur auf dem Boden freier Arbeit möglich.
Und wie - und weil - keine rationale Arbeitsorganisation, so - und deshalb
- hat die Welt außerhalb des modeernen Okzidents auch keinen rationalen
Sozialismus gekannt. Gewiß: ebenso wie Stadtwirtschaft, städtische
Nahrungspolitik, Merkantilismus und Wohlfahrtspolitik der Fürsten,
Rationierungen, regulierte Wirtschaft, Protektionismus und Laissez-faire
- Theorien (in China), so hat die Welt auch kommunistische und sozialistische
Wirtschaften sehr verschiedener Gepräge gekannt: familiär, religiös
oder militaristisch bedingten Kommunismus, staatssozialistische (in Aegypten),
monopolkartellistische und auch Konsumentenorganisationen verschiedenster
Art. Aber ebenso wie - trotzdem es doch überall einmal städtische
Marktprivilegien, Zünfte, Gilden und allerhand rechtliche Scheidungen
zwischen Stadt und Land in der verschiedensten Form gab, - doch der Begriff
des “Bürgers” überall außer im Okzident und der Begriff
der “Bourgeoisie” überall außer im modernen Okzident fehlte,
so fehlte auch das “Proletariat” als Klasse und mußte fehlen, weil
eben die rationale Organisation freier Arbeit als Betrieb fehlte. “Klassenkämpfe”
zwischen Gläubiger- und Schuldnerschichten, Grundbesitzern und Besitzlosen
oder Fronknechten oder Pächtern, Handelsinteressenten und Konsumenten
oder Grundbesitzern, hat es in verschiedener Konstellation überall
längst gegeben. Aher schon die okzidental - mittelalterlichen Kämpfe
zwischen Verlegern und Verlegten finden sich anderwärts nur in Ansätzen.
Vollends fehlt der moderne Gegensatz: großindustrieller Unternehmer
und freier Lohnarbeiter. Und daher konnte es auch eine Problematik von
der Art, wie sie der moderne Sozialismus kennt, nicht geben.
Vorbemerkung. [10]
In einer Universalgeschichte der Kultur ist also für uns, rein
wirtschaftlich, das zentrale Problem letztlich nicht die überall nur
in der Form wechselnde Entfaltung kapitalistisches Betätigung als
solcher: des Abenteurertypus oder des händlerischen oder des an Krieg,
Politik, Verwaltung und ihren Gewinnchancen orientierten Kapitalismus.
Sondern vielmehr die Entstehung des bürgerlichen Betriebskapitalismus
mit seiner rationalen Organisation der freien Arbeit. Oder, kulturgeschichtlich
gewendet: die Entstehung des abendländischen Bürgertums und seiner
Eigenart, die freilich mit der Entstehung kapitalistischer Arbeitsorganisation
zwar im nahen Zusammenhang steht, aber natürlich doch nicht einfach
identisch ist. Denn “Bürger” im ständischen Sinn gab es schon
vor der Entwicklung des spezifisch abendländischen Kapitalismus. Aber
freilich: nur im Abendlande. Der spezifisch moderne okzidentale Kapitalismus
nun ist zunächst offenkundig in starkem Maße durch Entwicklungen
von technischen Möglichkeiten mitbestimmt. Seine Rationalität
ist heute wesenhaft bedingt durch Berechenbarkeit der technisch entscheidender
Faktoren: der Unterlagen exakter Kalkulation. Das heißt aber in Wahrheit:
durch die Eigenart der abendländischen Wissenschaft, insbesondere
der mathematisch und experimentell exakt und rational fundamentierten Naturwissenschaften.
Die Entwicklung dieser Wissenschaften und der auf ihnen beruhenden Technik
erhielt und erhält nun andererseits ihrerseits entscheidende Impulse
von den kapitalistischen Chancen, die sich an ihre wirtschaftliche Verwertbarkeit
als Prämien knüpfen. Zwar nicht die Entstehung der abendländischen
Wissenschaft ist durch solche Chancen bestimmt worden. Gerechnet, mit Stellenzahlen
gerechnet, Algebra getrieben haben auch die Inder, die Erfinder des Positionszahlensystems,
welches erst in den Dienst des sich entwickelnden Kapitalismus im Abendland
trat, in Indien aber keine moderne Kalkulation und Bilanzierung schuf.
Auch die Entstehung der Mathematik und Mechanik war nicht durch kapitalistische
Interessen bedingt. Wohl aber wurde die technische Verwendung wissenschaftlicher
Erkenntnisse: dies für die Lebensordnung unsrer Massen Entscheidende,
durch ökonomische Prämien bedingt, welche im Okzident gerade
darauf gesetzt waren. Diese Prämien aber flossen aus der Eigenart
der Sozialordnung des Okzidents. Es wird also gefragt werden müssen:
aus
Vorbemerkung. [11]
welchenBestandteilen dieser Eigenart, da zweifellos nicht alle gleich
wichtig gewesen sein werden. Zu den unzweifelhaft wichtigen gehört
die rationale Struktur des Rechts und der Verwaltung. Denn der moderne
rationale Betriebskapitalismus bedarf, wie der berechenbaren technischen
Arbeitsmittel, so auch des berechenbaren Rechts und der Verwaltung nach
formalen Regeln, ohne welche zwar Abenteurer- und spekulativer Händlerkapitalismus
und alle möglichen Arten von politisch bedingtem Kapitalismus, aber
kein rationaler privatwirtschaftlicher Betrieb mit stehendem Kapital und
sicherer Kalkulation möglich ist. Ein solches Recht und eine solche
Verwaltung nun stellte der Wirtschaftsführung in dieser rechtstechnischen
und formalistischen Vollendung nur der Okzident zur Verfügung.
Woher hat er jenes Recht ? wird man also fragen müssen. Es haben,
neben anderen Umständen, auch kapitalistische Interessen ihrerseits
unzweifelhaft der Herrschaft des an rationalem Recht fachgeschultem Juristenstandes
in Rechtsptlege und Verwaltung die Wege geebnet wie jede Untersuchung zeigt.
Aber keineswegs nur oder vornehmlich sie. Und nicht sie haben jenes Recht
aus sich geschaffen. Sondern noch ganz andre Mächte waren bei dieser
Entwicklung tätig. Und warum taten die kapitalistischen Interessen
das gleiche nicht in China oder Indien ? Warum lenkten dort überhaupt
weder die wissenschaftliche noch die künstlerische noch die staatliche
noch die wirtschaftliche Entwicklung in diejenigen Bahnen der Rationalisierung
ein, welche dem Okzident eigen sind ?
Denn es handelt sich ja in all den angeführten Fällen von
Eigenart offenbar um einen spezifisch gearteten “Rationalismus” der okzidentalen
Kultur. Nun kann unter diesem Wort höchst Verschiedenes verstanden
werden, - wie die späteren Darlegungen wiederholt verdeutlichen werden.
Es gibt z. B. “Rationalisierungen” der mystischen Kontemplation, also:
von einem Verhalten, welches, von anderen Lebensgebieten her gesehen, spezifisch
“irrational” ist, ganz ebenso gut wie Rationalisierungen der Wirtschaft,
der Technik, des wissenschaftlichen Arbeitens, der Erziehung, des Krieges,
der Rechtspflege und Verwaltung. Man kann ferner jedes dieser Gebiete unter
höchst verschiedenen letzten Gesichtspunkten,und Zielrichtungen “rationalisieren”,
und was von einem aus “rational” ist, kann, vom andern aus betrachtet,
“irrational” sein. Rationalisierungen
Vorbemerkung. [12]
hat es daher auf den verschiedenen Lebensgebieten in höchst verschiedener
Art in allen Kulturkreisen gegeben. Charakteristisch für deren kulturgeschichtlichen
Unterschied ist erst: welche Sphären und in welcher Richtung sie rationalisiert
wurden. Es kommt also zunächst wieder darauf an: die besondere Eigenart
des okzidentalen und, innerhalb dieses, des modernen okzidentalen, Rationalismus
zu erkennen und in ihrer Entstehung zu erklären. Jeder solche Erklärungsversuch
muß, der fundamentalen Bedeutung der Wirtschaft entsprechend, vor
allem die ökonomischen Bedingungen berücksichtigen. Aber es darf
auch der umgekehrte Kausalzusammenhang darüber nicht unbeachtet bleiben.
Denn wie von rationaler Technik und rationalem Recht, so ist der ökonomische
Rationalismus in seiner Entstehung auch von der Fähigkeit und Disposition
der Menschen zu bestimmten Arten praktisch - rationaler Lebensführung
überhaupt abhängig. Wo diese durch Hemmungen seelischer Art obstruiert
war, da stieß auch die Entwicklung einer wirtschaftlich rationalen
Lebensführung auf schwere innere Widerstände. Zu den wichtigsten
formenden Elementen der Lebensführung nun gehörten in der Vergangenheit
überall die magischen und religiösen Mächte und die am Glauben
an sie verankerten ethischen Pflichtvorstellungen. Von diesen ist in den
nachstehend gesammelten und ergänzten Aufsätzen die Rede.
Es sind dabei zwei ältere Aufsätze an die Spitze gestellt,
welche versuchen, in einem wichtigen Einzelpunkt der meist am schwierigsten
zu fassenden Seite des Problems näher zu kommen: der Bedingtheit der
Entstehung einer “Wirtschaftsgesinnung”: des “Ethos”, einer Wirtschaftsform,
durch bestimmte religiöse Glaubensinhalte, und zwar an dem Beispiel
der Zusammenhänge des modernen Wirtschaftsethos mit der rationalen
Ethik des asketischen Protestantismus. Hier wird also nur der einen Seite
der Kausalbeziehung nachgegangen. Die späteren Aufsätze über
die “Wirtschaftsethik der Weltreligionen” versuchen, in einem Ueberblick
über die Beziehungen der wichtigsten Kulturreligionen zur Wirtschaft
und sozialen Schichtung ihrer Umwelt, beiden Kausalbeziehungen soweit nachzugehen,
als notwendig ist, um die Vergleichspunkte mit der weiterhin zu analysierenden
okzidentalen Entwicklung zu finden. Denn nur so läßt sich ja
die einigermaßen eindeutige kausale Zurech-
Vorbemerkung. [13]
nung derjenigen Elemente der okzidentalen religiösen Wirtschaftsethik,
welche ihr im Gegensatz zu andern eigentümlich sind, überhaupt
in Angriff nehmen. Diese Aufsätze wollen also nicht etwa als - sei
es auch noch so gedrängte - umfassende Kulturanalysen gelten. Sondern
sie betonen in jedem Kulturgebiet ganz geflissentlich das, was im Gegensatz
stand und steht zur okzidentalen Kulturentwicklung. Sie sind also durchaus
orientiert an dem, was unter diesem Gesichtspunkt bei Gelegenbeit der Darstellung
der okzidentalen Entwicklung wichtig erscheint. Ein anderes Verfahren schien
bei dem gegebenen Zweck nicht wohl möglich. Aber es muß zur
Vermeidung von Mißverständnissen hier auf diese Begrenztheit
des Zweckes ausdrücklich hingewiesen werden. Und noch in einer anderen
Hinsicht muß wenigstens der Unorientierte vor einer Ueberschätzung
der Bedeutung dieser Darstellungen gewarnt werden. Der Sinologe, Indologe,
Semitist, Aegyptologe wird in ihnen natürlich nichts ihm sachlich
Neues finden. Wünschenswert wäre nur: daß er nichts zur
Sache Wesentliches findet, was er als sachlich falsch beurteilen muß.
Wie weit es gelungen ist, diesem Ideal wenigstens so nahezukommen, wie
ein Nichtfachmann dazu überhaupt imstande ist, kann der Verfasser
nicht wissen. Es ist ja ganz klar, daß jemand, der auf die Benutzung
von Uebersetzungen und im übrigen darauf angewiesen ist, über
die Art der Benutzung und Bewertung der monumentalen, dokumentarischen
oder literarischen Quellen sich in der häufig sehr kontroversen Fachliteratur
zu orientieren, die er seinerseits in ihrem Wert nicht selbständig
beurteilen kann, allen Grund hat, über den Wert seiner Leistung sehr
bescheiden zu denken. Um so mehr, als das Maß der vorliegenden Uebersetzungen
wirklicher “Quellen” (d. h. von Inschriften und Urkunden) teilweise (besonders
für China) noch sehr klein ist im Verhältnis zu dem, was vorhanden
und wichtig ist. Aus alledem folgt der vollkommen provisorische Charakter
dieser Aufsätze, insbesondere der auf Asien sich beziehenden Teile
). Nur den Fachmännern steht ein endgültiges Urteil zu. Und nur
weil, begreiflicherweise, fachmännische Darstellungen mit diesem besonderen
Ziel und unter diesen besonderen Gesichtspunkten bisher nicht vorlagen,
sind sie überhaupt geschrieben worden. Sie sind in einem un-
Vorbemerkung. [14]
gleich stärkerem Maß und Sinn dazu bestimmt, bald “überholt”
zu werden, als dies letztlich von aller wissenschaftlicher Arbeit gilt.
Es läßt sich nun einmal, bei derartigen Arbeiten, ein solches
vergleichendes Uebergreifen auf andere Fachgebiete, so bedenklich es ist,
nicht vermeiden; aber man hat dann eben die Konsequenz eines sehr starken
Resignation in bezug auf das Maß des Gelingens zu ziehen. Mode oder
Literatensehnsucht glaubt heute gern den Fachmann entbehren oder zum Subalternarbeiter
für den “Schauenden” degradieren zu können. Fast alle Wissenschaften
verdanken Dilettanten irgend etwas, oft sehr wertvolle Gesichtspunkte.
Aber der Dilettantismus als Prinzip der Wissenschaft wäre das Ende.
Wer “Schau” wünscht, gehe ins Lichtspiel: - es wird ihm heut massenhaft
auch in literarischer Form auf eben diesem Problemfeld geboten ). Nichts
liegt den überaus nüchternen Darlegungen dieser der Absicht nach
streng empirischen Studien ferner als diese Gesinnung. Und möchte
ich hinzusetzen - wer “Predigt” wünscht, gehe ins Konventikel. Welches
Wertverhältnis zwischen den hier vergleichend behandelten Kulturen
besteht, wird hier mit keinem Wort erörtert. Daß der Gang von
Menschheitsschicksalen dem, der einen Ausschnitt daraus überblickt,
erschütternd an die Brust brandet, ist wahr. Aber er wird gut tun,
seine kleinen persönlichen Kommentare für sich zu behalten, wie
man es vor dem Anblick des Meeres und des Hochgebirges auch tut, - es sei
denn, daß er sich zu künstlerischer Formung oder zu prophetischer
Forderung berufen und begabt weiß. In den meisten andern Fällen
verhüllt das viele Reden von “Intuition” nichts anders als eine Distanzlosigkeit
zum Objekt, die ebenso zu beurteilen ist wie die gleiche Haltung zum Menschen.
Der Begründung bedarf es, daß für die hier verfolgten
Ziele die ethnographische Forschung entfernt nicht so herangezogen ist,
wie es bei deren heutigem Stand für eine
Vorbemerkung. [15]
wirklich eindringende Darstellung insbesondere der asiatischen Religiosität
natürlich unumgänglich wäre. Es geschah dies nicht nur deshalb,
weil menschliche Arbeitskraft ihre Grenzen hat. Sondern vornehmlich schien
es deshalb erlaubt, weil es hier gerade auf die Zusammenhänge der
religiös bestimmten Ethik jener Schichten ankommen mußte, welche
“Kulturträger” des betreffenden Gebiets waren. Um die Einflüsse,
welche deren Lebensführung geübt hat, handelt es sich ja. Es
ist nun völlig richtig, daß auch diese in ihrer Eigenart nur
wirklich zutreffend zu erfassen sind, wenn man den ethnographisch - volkskundlichen
Tatbestand damit konfrontiert. Es sei also nachdrücklich zugestanden
und betont: daß hier eine Lücke besteht, welche der Ethnograph
mit gutem Recht beanstanden muß. Einiges zu ihrer Ausfüllung
hoffe ich bei einer systematischen Bearbeitung der Religionssoziologie
tun zu können. Den Rahmen dieser Darstellung mit ihren begrenzten
Zwecken hätte ein solches Unternehmen aber überschritten. Sie
mußte sich mit dem Versuch begnügen, die Vergleichspunkte zu
unseren okzidentalen Kulturreligionen tunlichst aufzudecken.
Schließlich sei auch der anthropologischen Seite der Probleme
gedacht. Wenn wir immer wieder - auch auf (scheinbar) unabhängig voneinander
sich entwickelnden Gebieten der Lebensführung - im Okzident, und nur
dort, bestimmte Arten von Rationalisierungen sich entwickeln finden, so
liegt die Annahme: daß hier Erbqualitäten die entscheidende
Unterlage boten, natürlich nahe. Der Verfasser bekennt: daß
er persönlich und subjektiv die Bedeutung des biologischen Erbgutes
hoch einzuschätzen geneigt ist. Nur sehe ich, trotz der bedeutenden
Leistungen der anthropologischen Arbeit, z. Z. noch keinerlei Weg, seinen
Anteil an der hier untersuchten Entwicklung nach Maß und - vor allem
- nach Art und Einsatzpunkten irgendwiee exakt zu erfassen oder auch nur
vermutungsweise anzudeuten. Es wird gerade eine der Aufgaben soziologischer
und historischer Arbeit sein müssen, zunächst möglichst
alle jene Einflüsse und Kausalketten aufzudecken, welche durch Reaktionen
auf Schicksale und Umwelt befriedigend erklärbar sind. Dann erst,
und wenn außerdem die vergleichende Rassen - Neurologie und -Psychologie
über ihre heute vorliegenden, im einzelnen vielversprechenden, Anfänge
weiter
Vorbemerkung. [16]
hinausgekommen sind, wird man vielleicht befriedigende Resultate auch
für jenes Problem erhoffen dürfen ). Vorerst scheint mir jene
Voraussetzung zu fehlen und wäre die Verweisung auf “Erbgut” ein voreiliger
Verzicht auf das heute vielleicht mögliche Maß
der Erkenntnis und eine Verschiebung des Problems auf (derzeit noch) unbekannte
Faktoren.
_______________
M a x W e b e r, Religionssoziologie I. [17]
I.
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus ).
I. Das Problem.
Inhalt : 1. Konfession und soziale Schichtung. S. 17. - 2. Der “Geist”
des Kapitalismus. S. 30. - 3. Luthers Berufskonzeption. Aufgabe
der Untersuchung. S. 63.
I.
Ein Blick in die Berufsstatistik eines konfessionell gemischten Landes
pflegt mit auffallender Häufigkeit2) eine Erscheinung zu zeigen, welche
mehrfach in der katholischen Presse und Literatur3) und auf den Katholikentagen
Deutschlands lebhaft er-
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus.
I. [18]
örtert worden ist: den ganz vorwiegend protestantischen Charakter
des Kapitalbesitzes und Unternehmertums sowohl, wie der oberen gelernten
Schichten der Arbeiterschaft, namentlich aber des höheren technisch
oder kaufmännisch vorgebildeten Personals der modernen Unternehmungen
). Nicht nur
I. Konfession und soziale Schichtung. [19]
da, wo die Differenz der Konfession mit einem Unterschied der Nationalität
und damit des Grades der Kulturentwicklung zusammenfällt, wie im deutschen
Osten zwischen Deutschen und Polen, sondern fast überall da, wo überhaupt
die kapitalistische Entwicklung in der Zeit ihres Aufblühens freie
Hand hatte, die Bevölkerung nach ihren Bedürfnissen sozial umzuschichten
und beruflich zu gliedern, - und je mehr dies der Fall war, desto deutlicher,
- finden wir jene Erscheinung in den Zaahlen der Konfessionsstatistik ausgeprägt.
Nun ist freilich die relativ weit stärkere, d. h. ihren Prozentanteil
an der Gesamtbevölkerung überragende Beteiligung der Protestanten
am Kapitalbesitz ), an der Leitung und den oberen Stufen der Arbeit in
den großen modernen gewerblichen und Handelsunternehmungen ), zum
Teil auf historische Gründe zurückzuführen ), die weit in
der Vergangenheit liegen und bei denen die konfesionelle Zugehörigkeit
nicht als Ursache ökonomischer Erscheinungen, sondern, bis zu einem
gewissen Grade, als Folge von solchen erscheint. Die Beteiligung an jenen
ökonomischen Funktionen setzt teils Kapitalbesitz, teils kostspielige
Erziehung, teils, und meist, beides voraus, ist heute an den Besitz ererbten
Reichtums oder doch einer gewissen Wohlhabenheit gebunden. Gerade eine
große Zahl der reichsten, durch Natur oder Verkehrslage begünstigten
und wirtschaftlich entwickeltsten Gebiete des Reiches, insbesondere aber
die Mehrzahl der reichen Städte, hatten sich aber im 16. Jahrhundert
dem Protestantismus zugewendet und die Nachwirkungen davon kommen den Protestanten
noch heute im ökonomischen Kampf ums Dasein zugute. Es entsteht aber
alsdann die historische Frage: welchen Grund
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. I.
[20]
hatte diese besonders starke Prädisposition der ökonomisch
entwickeltsten Gebiete für eine kirchliche Revolution ? Und da ist
die Antwort keineswegs so einfach wie man zunächst glauben könnte.
Gewiß erscheint die Abstreifung des ökonomischen Traditionalismus
als ein Moment, welches die Neigung zum Zweifel auch an der religiösen
Tradition und zur Auflehnung gegen die traditionellen Autoritäten
überhaupt ganz wesentlich unterstützen mußte. Aber dabei
ist zu berücksichtigen, was heute oft vergessen wird: daß die
Reformation ja nicht sowohl die Beseitigung der kirchlichen
Herrschaft über das Leben überhaupt, als vielmehr die Ersetzung
der bisherigen Form derselben durch eine andere bedeutete. Und zwar die
Ersetzung einer höchst bequemen, praktisch damals wenig fühlbaren,
vielfach fast nur noch formalen Herrschaft durch eine im denkbar weitgehendsten
Maße in alle Sphären des häuslichen und öffentliehen
Lebens eindringende, unendlich lästige und ernstgemeinte Reglementierung
der ganzen Lebensführung. Die Herrschaft der katholischen Kirche,
- “die Ketzer strafend, doch den Sül;ndern mild”, wie sie früher
noch mehr als heute war, - ertragen in der Gegenwart auch Völker von
durchaus moderner wirtschaftlicher Physiognomie und ebenso ertrugen sie
die reichsten, ökonomisch entwickelsten Gebiete, welche um die Wende
des 15. Jahrhunderts die Erde kannte. Die Herrschaft des Calvinismus, so
wie sie im 16. Jahrhundert in Genf und Schottland, um die Wende des 16.
und 17. in großen Teilen der Niederlande, im 17. im Neuengland und
zeitweise in England selbst in Kraft stand, wäre für uns die
schlechthin unerträglichste Form der kirchlichen Kontrolle des einzelnen,
die es geben konnte. Ganz ebenso wurde sie auch von breiten Schichten des
alten Patriziats der damaligen Zeit, in Genf sowohl wie in Holland und
England, empfunden. Nicht ein Zuviel, sondern ein Zuwenig von kirchlich
- religiöser Beherrschung des Lebeens war es ja, was gerade diejenigen
Reformatoren, welche in den ökonomisch entwickeltsten Ländern
erstanden, zu tadeln fanden. Wie kommt es nun, daß damals gerade
diese ökonomisch entwickeltsten Länder, und, wie wir noch sehen
werden, innerhalb ihrer grade die damals ökonomisch aufsteigenden
“bürgerlichen” Mittelklassen jene ihnen bis dahin unbekannte puritanische
Tyrannei nicht etwa nur über sich ergehen ließen, sondern in
ihrer Verteidigung ein Heldentum entwickelten, wie gerade bürgerliche
Klassen als
I. Konfession und soziale Schichtung. [21]
solche es selten vorher und niemals nachher gekannt haben: “the last
of our heroisms”, wie Carlyle nicht ohne Grund sagt ?
Aber weiter und namentlich: mag, wie gesagt, die stärkere Beteiligung
der Protestanten am Kapitalbesitz und den leitenden Stellungen innerhalb
der modernen Wirtschaft heute zum Teil einfach als Folge ihrer geschichtlich
überkommenen durchschnittlich besseren Vermögensausstattung zu
verstehen sein, so zeigen sich andererseits Erscheinungen, bei welchen
das Kausalverhältnis unzweifelhaft so nicht liegt. Dahin gehören,
um nur einiges anzuführen, u. a. die folgenden: Zunächst der
ganz allgemein, in Baden ebenso wie in Bayern und z. B. in Ungarn, nachweisbare
Unterschied in der Art des höheren Unterrichts, den katholische Eltern
im Gegensatz zu protestantischen ihren Kindern zuzuwenden pflegen. Daß
der Prozentsatz der Katholiken unter den Schülern und Abiturienten
der “höheren” Lehranstalten im ganzen hinter ihrem Gesamtanteil an
der Bevölkerüng beträchtlich zurückbleibt ), wird man
zwar zum erheblichen Teile den erwähnten überkommenen Vermögensunterschieden
zurechnen. Daß aber auch innerhalb der katholischen
Abiturienten der Prozentsatz derjenigen, welche aus den modernen, speziell
für die Vorbereitung zu technischen Studien und gewerblich - kaufmännischen
Berufen, überhaupt für ein bürgerliches Erwerbsleben bestimmten
und geeigneten Anstalten: Realgymnasien, Realschulen, höheren Bürgerschulen
usw. hervorgehen, wiederum auffallend stärker hinter dem der Protestanten
zurückbleibt ), während diejenige Vorbildung,
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. I.
[22]
welche die humanistischen Gymnasien bieten, von ihnen bevorzugt wird,
- das ist eine Erscheinung, die damit nnicht erklärt ist, die vielmehr
umgekehrt ihrerseits zur Erklärung der geringen Anteilnahme der Katholiken
am kapitalistischen Erwerb herangezogen werden muß. Noch auffallender
aber ist eine Beobachtung, welche die geringere Anteilnahme der Katholiken
an der gelernten Arbeiterschaft der modernen Großindustrie verstehen
hilft. Die bekannte Erscheinung, daß die Fabrik ihre gelernten Arbeitskräfte
in starkem Maße dem Nachwuchs des Handwerks entnimmt, diesem also
die Vorbildung ihrer Arbeitskräfte überläßt und sie
ihm nach vollendeter Vorbildung entzieht, zeigt sich in wesentlich stärkerem
Maße bei den protestantischen als bei den katholischen Handwerksgesellen.
Von den Handwerksgesellen zeigen m. a. W. die Katholiken die stärkere
Neigung zum Verbleiben im Handwerk, werden also relativ häufiger Handwerks
meister, während die Protestanten in relativ stärkerem Maße
in die Fabriken abströmen, um hier die oberen Staffeln der gelernten
Arbeiterschaft und des gewerblichen Beamtentums zu füllen ). In diesen
Fällen liegt zweifellos das Kausalverhältnis so, daß die
anerzogene geistige Eigenart, und zwar hier die durch die religiöse
Atmosphäre der Heimat und des Elternhauses bedingte Richtung der Erziehung,
die Berufswahl und die weiteren beruflichen Schicksale bestimmt hat.
Die geringere Beteiligung der Katholiken am modernen Erwerbsleben in
Deutschland ist nun aber um so auffallender, als sie der sonst von jeher
) und auch in der Gegenwart gemachten Erfahrung zuwiderläuft: daß
nationale oder religiöse Minderheiten, welche als “Beherrschte” einer
anderen Gruppe als der “herrschenden” gegenüberstehen, durch ihren
freiwilligen oder unfreiwilligen Ausschluß von politisch einflußreichen
Stellungen gerade in besonders starkem Maße auf die Bahn des Erwerbes
getrieben zu werden pflegen, daß ihre begabtesten Angehörigen
hier den Ehrgeiz, der auf dem Boden des Staatsdienstes keine
I. Konfession und soziale Schichtung. [23]
Verwertung finden kann, zu befriedigen suchen. So verhielt es sich
unverkennbar mit den in zweifellosem ökonomischen Fortschreiten begriffenen
Polen in Rußland und im östlichen Preußen - im Gegensatz
zu dem von ihnen beherrschten Galizien -, so früher mit den Hugenotten
in Frankreich unter Ludwig XIV., den Nonkonformisten und Quäkern in
England und - last not least - mit den Juden seit zwei Jahrtausenden. Aber
bei den Katholiken in Deutschland sehen wir von einer solchen Wirkung Nichts
oder wenigstens nichts in die Augen Fallendes, und auch in der Vergangenheit
hatten sie im Gegensatz zu den Protestanten weder in Holland noch in England
in den Zeiten, wo sie entweder verfolgt oder nur toleriert waren, irgendeine
besonders hervortretende ökonomische Entwicklung aufzuweisen. Vielmehr
besteht die Tatsache: daß die Protestanten (insbesondere gewisse
später besonders zu behandelnde Richtungen unter ihnen) sowohl als
herrschende wieals beherrschte Schicht, sowohl als Majorität wie als
Minorität eine spezifische Neigung zum ökonomischen Rationalismus
gezeigt haben, welche bei den Katholiken weder in der einen noch in der
anderen Lage in gleicher Weise zu beobachten war und ist ). Der Grund des
verschiedenen Verhaltens muß also der Hauptsache nach in der dauernden
inneren Eigenart und nicht nur in der jeweiligen äußeren historisch
- politischen Lage der Konfessionen gessucht werden ) .
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. I. [24]
Es würde also darauf ankommen, zunächst einmal zu untersuchen,
welches diejenigen Elemente jener Eigenart der Konfessionen sind oder waren,
die in der vorstehend geschilderten Richtung gewirkt haben und teilweise
noch wirken. Man könnte nun bei oberflächlicher Betrachtung und
aus gewissen modernen Eindrücken heraus versucht sein, den Gegensatz
so zu formulieren: daß die größere “Weltfremdheit” des
Katholizismus, die asketischen Züge, welche seine höchsten Ideale
aufweisen, seine Bekenner zu einer größeren Indifferenz gegenüber
den Gütern dieser Welt erziehen müßten. Diese Begründung
entspricht denn auch in der Tat dem heute üblichen populären
Schema der Beurteilung beider Konfessionen. Von protestantischer Seite
benutzt man diese Auffassung zur Kritik jener (wirklichen oder angeblichen)
asketischem Ideale der katholischen Lebensführung, von katholischer
antwortet man mit dem Vorwurf des “Materialismus”, welcher die Folge der
Säkularisation aller Lebensinhalte durch den Protestantismus sei.
Auch ein moderner Schriftsteller glaubte den Gegensatz, wie er in dem Verhalten
beider Konfessionen gegenüber dem Erwerbsleben zutage tritt, dahin
formulTieren zu sollen: “Der Katholik . . . ist ruhiger; mit geringerem
Erwerbstrieb ausgestattet, gibt er auf einen möglichst gesicherten
Lebenslauf, wenn auch mit kleinerem Einkommen, mehr, als auf ein gefährdetes,
aufregendes, aber eventuell Ehren und Reichtümer bringendes Leben.
Der Volksmund meint scherzhaft: entweder gut essen, oder ruhig schlafen.
Im vorliegenden Fall ißt der Protestant gern gut, während der
Katholik ruhig schlafen will )”. In der Tat mag mit dem “gut essen wollen”
die Motivation für den kirchlich indifferenteren Teil der Protestanten
in Deutschland und für die Gegenwart, zwar unvollständig, aber
doch wenigstens teilweise richtig charakterisiert sein. Aber nicht nur
lagen die Dinge in der Vergangenheit sehr anders: für die englischen,
holländischen und amerikanischen
I. Konfession und soziale Schichtung. [25]
Puritaner war bekanntlich das gerade Gegenteil von “Weltfteude” charakteristisch
und zwar, wie wir noch sehen werden, grade einer ihrer für uns wichtigsten
Charakterzüge. Sondern z. B. der französische Protestantismus
hat den Charakter, der den calvinistischen Kirchen überhaupt und zumal
denen “unter dem Kreuz” in der Zeit der Glaubenskämpfe überall
aufgeprägt wurde, sehr lange und in gewissem Maße bis heute
bewahrt. Er ist dennoch - oder, so werden wir weiterhin zu fragen haben:
vielleicht gerade deshalb ? - bekanntlich einer der wichtigsten Träger
der gewerblichen und kapitalistischen Entwicklung Frankreichs gewesen und
in dem kleinen Maßstabe, in welchem die Verfolgung es zuließ,
geblieben. Wenn rnan diesen Ernst und das starke Vorwalten religiöser
Interessen in der Lebensführung “Weltfremdheit” nennen will, dann
waren und sind die französischen Calvinisten mindestens ebenso weltfremd
wie z. B. die norddeutschen Katholiken, denen ihr Katholizismus unzweifelhaft
in einem Maße Herzenssache ist, wie keinem anderen Volke der Erde.
Und beide unterscheiden sich dann nach der gleichen Richtung von der vorherrschenden
Religionspartei: den in ihren unteren Schichten höchst lebensfrohen,
in ihren oberen direkt religionsfeindlichen Katholiken Frankreichs und
den heute im weltlichen Erwerbsleben aufgehenden und in ihren oberen Schichten
vorwiegend religiös indifferenten Protestanten Deutschlands ). Kaum
etwas zeigt so deutlich, wie diese Parallele, daß mit so vagen Vorstellungen,
wie der (angeblichen!) “Weltfremdheit” des Katholizismus, der (angeblichen!)
materialistischen “Weltfreude” des Protestantismus und vielen ähnlichen
hier nichts anzufangen ist, schon weil sie in dieser Allgemeinheit teils
auch heute noch, teils wenigstens für die Vergangenheit gar nicht
zutreffen. Wollte man aber mit ihnen operieren, dann müßten
außer den schon gemachten Bemerkungen noch manche andere Beobachtungen,
die sich ohne weiteres aufdrängen, sogar den Gedanken nahelegen, ob
nicht der ganze Gegensatz zwischen Weltfremdheit, Askese und kirchlicher
Frömmigkeit auf der einen Seite, Beteiligung am kapita-
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. I.
[26]
listischen Erwerbsleben auf der anderen Seite geradezu in eine innere
Verwandtschaft umzukehren sei.
In der Tat ist nun schon auffallend - um mit einigen ganz äußerlichen
Momenten zu beginnen - wie groß die Zahl der Vertreter gerade der
innerlichsten Formen christlicher Frömmigkeit gewesen ist, die aus
kaufmännischen Kreisen stammen. Speziell der Pietismus verdankt eine
auffallend große Zahl seiner ernstesten Bekenner dieser Abstammung.
Man könnte da an eine Art Kontrastwirkung des “Mammonismus” auf innerliche
und dem Kaufmannsberuf nicht angepaßte Naturen denken, und sicherlich
hat, wie bei Franz von Assisi, so auch bei vielen jener Pietisten, sich
der Hergang der “Bekehrung” subjektiv dem Bekehrten selbst sehr oft so
dargestellt. Und ähnlich könnte man dann die gleichfalls - bis
auf Cecil Rhodes herab - so auffallend häufige Erscheinung, daß
aus Pfarrhäusern kapitalistische Unternehmer größten Stils
hervorgehen, als eine Reaktion gegen asketische Jugenderziehung zu erklären
suchen. Indessen diese Erklärungsweise versagt da, wo ein virtuoser
kapitalistischer Geschäftssinn mit den intensivsten Formen einer das
ganze Leben durchdringenden und regelnden Frömmigkeit in denselben
Personen und Menschengruppen zusammentrifft, und diese Fälle sind
nicht etwa vereinzelt, sondern sie sind geradezu bezeichnendes Merkmal
für ganze Gruppen der historisch wichtigsten protestantischen Kirchen
und Sekten. Speziell der Calvinismus zeigt, wo immer er aufgetreten ist
), diese Kombination. So wenig er in der Zeit der Ausbreitung der Reformation
in irgendeinem Lande (wie überhaupt irgendeine der protestantischen
Konfessionen) an eine bestimmte einzelne Klasse gebunden war, so charakteristisch
und in gewissem Sinn “typisch” ist es doch z. B., daß in französischen
Hugenottenkirchen alsbald Mönche und Industrielle (Kaufleute, Handwerker)
numerisch besonders stark unter den Proselyten vertreten waren und, namentlich
in den Zeiten der Verfolgung, vertreten blieben ). Schon
I. Konfession und soziale Schichtung. [27]
die Spanier wußten, daß “die Ketzerei” (d h. der Calvinismus
der Niederländer) “den Handelsgeist befördere” und dies entspricht
durchaus den Ansichten, welche Sir W. Petty in seiner Erörterung über
die Gründe des kapitalistischen Aufschwungs der Niederlande vortrug.
Gothein ) bezeichnet die calvinistische Diaspora mit Recht als die “Pflanzschule
der Kapitalwirtschaft” ). Man könnte ja hier die Ueberlegenheit der
französischen und holländischen wirtschaftlichen Kultur, welcher
diese Diaspora überwiegend entstammte, für das Entscheidende
ansehen, oder auch den gewaltigen Einfluß des Exils und der Herausreißung
aus den traditionellen Lebensbeziehungen ). Allein in Frankreich selbst
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. I.
[28]
stand, wie aus Colberts Kämpfers bekannt ist, im 17. Jahrhundert
die Sache ganz ebenso. Selbst Oesterreich hat - von anderen Ländern
zu schweigen - protestantische Fabrikanten gelegentlich direkt importiert.
Nicht alle protestantischen Denominationen scheinen aber gleich stark in
dieser Richtung zu wirken. Der Calvinismus tat dies anscheinend auch in
Deutschland; die “reformierte” Konfession ) scheint, im Wuppertal ebenso
wie anderwärts, im Vergleich mit anderen Bekenntnissen der Entwicklung
kapitalistischen Geistes förderlich gewesen zu sein. Förderlicher
als z. B. das Luthertum, wie der Vergleich im großen ebenso wie im
einzelnen, insbesondere irn Wuppertal, zu lehren scheint ). Für Schottland
haben Buckle und von den englischen Dichtern namentlich Keats diese Beziehungen
betont ). Noch eklatanter ist, woran ebenfalls nur erinnert zu werden braucht,
der Zusammenhang religiöser Lebensreglementierung mit intensivster
Entwicklung des geschäftlichen Sinnes bei einer ganzen Anzah1 gerade
derjenigen Sekten, deren “Lebensfremdheit” ebenso sprichwörtlich geworden
ist, wie ihr Reichtum: insbesondere den Quäkern und Mennoniten. Die
Rolle, welche die ersteren in England und Nordamerika spielten, fiel den
letzteren in den Niederlanden und Deutschland zu. Daß in Ostpreußen
selbst Friedrich Wilhelm I. die Mennoniten trotz ihrer absoluten Weigerung,
Militärdienst zu tun, als unentbehrliche Träger der Industrie
gewähren ließ, ist nur eine, aber allerdings bei der Eigenart
dieses Königs wohl eine der stärksten, von den zahlreichen wohlbekannten
Tatsachen, die das illustrieren. Daß endlich für die Pietisten
die Kombination von intensiver Frömmigkeit mit ebenso stark entwickeltem
geschäft-
I. Konfession und soziale Schichtung. [29]
lichen Sinn und Erfolg ebenfalls galt ), ist bekannt genug: - man braucht
nur an rheinische Verhältnisse und an Calw zu erinnern -; es mögen
daher in diesen ja nur ganz provisorischen Ausführungen die Beispiele
nicht weiter gehäuft werden. Denn schon diese wenigen zeigen alle
das eine: der “Geist der Arbeit”, des “Fortschritts” oder wie er, sonst
bezeichnet wird, dessen Weckung man dem Protestantismus zuzuschreiben neigt,
darf nicht, wie es heute zu geschehen pflegt, als “Weltfreude” oder irgendwie
sonst im “aufklärerischen” Sinn verstanden werden. Der alte Protestantismus
der Luther, Calvin, Knox, Voët hatte mit dem, was man heute “Fortschritt”
nennt, herzlich wenig zu schaffen. Zu ganzen Seiten des modernen Lebens,
die heute der extremste Konfessionelle nicht mehr entbehren möchte,
stand er direkt feindlich. Soll also überhaupt eine innere Verwandtschaft
bestimmter Ausprägungen des altprotestantischen Geistes und moderner
kapitalistischer Kultur gefunden werden, so müssen wir wohl oder übel
versuchen, sie nicht in dessen (angeblicher) mehr oder minder materialistischer
oder doch antiasketischer “Weltfreude”, sondern vielmehr in seinen rein
religiösen Zügen zu suchen. - Montesquieu sagt (Esprit des lois
Buch XX cap. 7) von den Engländern, sie hätten es “in drei wichtigen
Dingen von allen Völkern der Welt am weitesten gebracht: in der Frömmigkeit,
im Handel und in der Freiheit”. Sollte ihre Ueberlegenheit auf dem Gebiet
des Erwerbs - und, was in einen anderen Zusammenhang gehört, ihre
Eignung für freiheitliche politische Institutionen - vielleicht mit
jenem Frömmigkeitsrekord, den Montesquieu ihnen zuerkennt, zusammenhängen
?
Eine ganze Anzahl möglicher Beziehungen steigen, dunkel empfunden,
alsbald vor uns auf, wenn wir die Frage so stellen. Es wird nun eben die
Aufgabe sein müssen, das, was uns hier undeutlich vorschwebt, so deutlich
zu formulieren, als dies bei der unausschöpfbaren Mannigfaltigkeit,
die in jeder
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. I.
[30]
historischen Erscheinung steckt, überhaupt möglich ist. Um
dies aber zu können, muß das Gebiet der vagen Allgemeinvorstellungen,
mit dem wir bisher operiert haben, notgedrungen verlassen und in die charakteristische
Eigenart und die Unterschiede jener großen religiösen Gedankenwelten
einzudringen versucht werden, die in den verschiedenen Ausprägungen
der christlichen Religion uns geschichtlich gegeben sind.
Vorher aber sind noch einige Bemerkungen erforderlich: zunächst
über die Eigenart des Objektes, um dessen geschichtliche Erklärung
es sich handelt; dann über den Sinn, in welchem eine solche Erklärung
überhaupt im Rahmen dieser Untersuchungen möglich ist.
2.
In der Ueberschrift dieser Studie ist der etwas anspruchsvoll klingende
Begriff: “Geistdes Kapitalismus” verwendet. Was soll darunter verstanden
werden? Bei dem Versuch, so etwas wie eine “Definition” davon zu geben,
zeigen sich sofort gewisse, im Wesen des Untersuchungszwecks liegende Schwierigkeiten.
Wenn überhaupt ein Objekt auffindbar ist, für welches der
Verwendung jener Bezeichnung irgendein Sinn zukommen kann, so kann es nur
ein “historisches Individuum” sein, d. h. ein Komplex von Zusammenhängen
in der geschichtlichen
Wirklichkeit, die wir unter dem Gesichtspunkte ihrer Kulturbedeutung
begrifflich zu einem Ganzen zusammenschließen.
Ein solcher historischer Begriff aber kann, da er inhaltlich sich auf
eine in ihrer individuellen Eigenart bedeutungsvolle Erscheinung bezieht,
nicht nach dem Schema: “genus proximum, differentia specifica” definiert
(zu deutsch: “abgegrenzt”), sondern er muß aus seinen einzelnen der
geschichtlichen Wirklichkeit zu entnehmenden Bestandteilen allmählich
komponiert werden. Die endgültige begriffliche Erfassung kann daher
nicht am Anfang, sondern muß am Schluß der Untersuchung stehen:
es wird sich m. a. W. erst im Lauf der Erörterung und als deren wesentliches
Ergebnis zu zeigen haben, wie das, was wir hier unter dem “Geist” des Kapitalismus
verstehen, am besten - d. h. für die uns hier interessierenden Gesichtspunkte
adäquatesten - zu formulieren sei. Diese Gesichtspunkte wiederum (von
denen noch zu reden sein wird) sind nun nicht etwa die
2. Der “Geist” des Kapitalismus. [31]
einzig möglichen, unter denen jene historischen Erscheinungen,
die wir betrachten, analysiert werden können. Andere Gesichtspunkte
der Betrachtung würden hier, wie bei jeder historischen Erscheinung,
andere Züge als die “wesentlichen” ergeben: - woraus ohne weiteres
folgt, daß man unter dem “Geist” des Kapitalismus durchaus nicht
notwendig nur das verstehen könne oder müsse, was sich uns als
das für unsere Auffassung Wesentliche daran darstellen wird. Das liegt
eben im Wesen der “historischen Begriffsbildung”, welche für ihre
methodischen Zwecke die Wirklichkeit nicht in abstrakte Gattungsbegriffe
einzuschachteln, sondern in konkrete genetische Zusammenhänge von
stets und unvermeidlich spezifisch individueller Färbung einzugliedern
strebt.
Soll gleichwohl eine Feststellung des Objektes, um dessen Analyse und
historische Erklärung es sich handelt, erfolgen, so kann es sich also
nicht um eine begriffliche Definition, sondern vorerst wenigstens nur um
eine provisorische Veranschaulichung dessen handeln, was hier mit dem “Geist”
des Kapitalismus gemeint ist. Eine solche ist nun in der Tat zum Zwecke
einer Verständigung über den Gegenstand der Untersuchung unentbehrlich,
und wir halten uns zu diesem Behufe an ein Dokument jenes “Geistes”, welches
das, worauf es hier zunächst ankommt, in nahezu klassischer Reinheit
enthält und doch zugleich den Vorteil bietet, von aller direkten Beziehung
zum Religiösen losgelöst, also - für unser Thema - “voraussetzungslos”
zu sein:
“Bedenke, daß die Zeit Geld ist; wer täglich zehn Schillinge
durch seine Arbeit erwerben könnte und den halben Tag spazieren geht,
oder auf seinem Zimmer faulenzt, der darf, auch wenn er nur sechs Pence
für sein Vergnügen ausgibt, nicht dies allein berechnen, er hat
nebendem noch fünf Schillinge ausgegeben oder vielmehr weggeworfen.
Bedenke, daß Kredit Geld ist. Läßt jemand sein Geld,
nachdem es zahlbar ist, bei mir stehen, so schenkt er mir die Interessen,
oder so viel als ich während dieser Zeit damit anfangen kann. Dies
beläuft sich auf eine beträchtliche Summe, wenn ein Mann guten
und großen Kredit hat und guten Gebrauch davon macht.
Bedenke, daß Geld von einer zeugungskräftigen und fruchtbaren
Natur ist. Geld kann Geld erzeugen und die Sprößlinge können
noch mehr erzeugen und sofort. Fünf Schillinge umgeschlagen sind sechs,
wieder umgetrieben sieben Schilling drei Pence und so fort bis es hundert
Pfund Sterling sind. Je mehr davon vorhanden ist, desto mehr erzeugt das
Geld beim Umschlag, so daß der Nutzen schneller und immer schneller
steigt. Wer ein Mutterschwein tötet, vernichtet dessen ganze Nachkommenschaft
bis ins tausendste Glied. Wer ein Fünfschillingstück umbringt,
mordet (!) alles, was damit hätte produziert werden können: ganze
Kolonnen von Pfunden Sterling.
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. I.
[32]
Bedenke, daß - nach dem Sprichwort - ein guter Zahler der Herr
von jedermanns Beutel ist. Wer dafür bekannt ist, pünktlich zur
versprochenen Zeit zu zahlen, der kann zu jeder Zeit alles Geld entlehnen,
was seine Freunde gerade nicht brauchen.
Dies ist bisweilen von großem Nutzen. Neben Fleiß und Mäßigkeit
trägt nichts so sehr dazu bei, einen jungen Mann in der Welt vorwärts
zu bringen, als Pünktlichkeit und Gerechtigkeit bei allen seinen Geschäften.
Deshalb behalte niemals erborgtes Geld eine Stunde länger als du versprachst,
damit nicht der Aerger darüber deines Freundes Börse dir auf
immer verschließe.
Die unbedeutendsten Handlungen, die den Kredit eines Mannes beeinflussen,
müssen von ihm beachtet werden. Der Schlag deines Hammers, den dein
Gläubiger um 5 Uhr morgens oder um 8 Uhr abends vernimmt, stellt ihn
auf sechs Monate zufrieden; sieht er dich aber am Billardtisch oder hört
er deine Stimme im Wirtshause, wenn du bei der Arbeit sein solltest, so
läßt er dich am nächsten Morgen um die Zahlung mahnen,
und fordert sein Geld, bevor du es zur Verfügung hast.
Außerdem zeigt dies, daß du ein Gedächtnis für
deine Schulden hast, es läßt dich als einen ebenso sorgfältigen
wie ehrlichen Mann erscheinen und das vermehrt deinen Kredit.
Hüte dich, daß du alles was du besitzest, für dein
Eigentum hältst und demgemäß lebst. In diese Täuschung
geraten viele Leute, die Kredit haben. Um dies zu verhüten, halte
eine genaue Rechnung über deine Ausgaben und dein Einkommen. Machst
du dir die Mühe, einmal auf die Einzelheiten zu achten, so hat das
folgende gute Wirkung: Du entdeckst, was für wunderbar kleine Ausgaben
zu großen Summen anschwellen und du wirst bemerken, was hätte
gespart werden können und was in Zukunft gespart werden kann. . .
.
Für 6 £ jährlich kannst du den Gebrauch von 100 £
haben, vorausgesetzt, daß du ein Mann von bekannter Klugheit und
Ehrlichkeit bist. War täglich einen Groschen nutzlos ausgibt, gibt
an 6 £ jährlich nutzlos aus, und das ist der Preis für
den Gebrauch von 100 £. Wer täglich einen Teil seiner Zeit zum
Werte eines Groschen verschwendet (und das mögen nur ein paar Minuten
sein), verliert, einen Tag in den andern gerechnet, das Vorrecht 100 £
jährlich zu gebrauchen. Wer nutzlos Zeit im Wert von 5 Schillingen
vergeudet, verliert 5 Schillinge und könnte ebensogut 5 Schillinge
ins Meer werfen. Wer 5 Schillinge verliert, verliert nicht nur die Summe,
sondern alles, was damit bei Verwendung im Gewerbe hätte verdient
werden können, - was, wenn ein junger Mann ein höheres Alter
erreicht, zu einer ganz bedeutenden Summe aufläuft.”
Es ist Benjamin Franklin ), der in diesen Sätzen - den gleichen,
die Ferdinand Nürnberger in seinem geist- und giftsprühenden
“amerikanischen Kulturbilde” ) als angeb-
M a x W e b e r , Religionssoziologie I.
2. Der “Geist” des Kapitalismus. [33]
liches Glaubensbekenntnis des Yankeetums verhöhnt - zu uns predigt.
Daß es “Geist des Kapitalismus” ist, der aus ihm in charakteristischer
Weise redet, wird niemand bezweifeln, so wenig etwa behauptet werden soll,
daß nun alles, was man unter diesem “Geist” verstehen kann, darin
enthalten sei. Verweilen wir noch etwas bei dieser Stelle, deren Lebensweisheit
Kürnbergers “Amerikamüder” dahin zusammenfaßt: “Aus Rindern
macht man Talg, aus Menschen Geld”, so fällt als das Eigentümliche
in dieser “Philosophie des Geizes” das Ideal des kreditwürdigen Ehremannes
und vor allem: der Gedanke der Verpflichtung des einzelnen gegenüber
dem als Selbstzweck vorausgesetzten Interesse an der Vergrößerung
seines Kapitals auf. In der Tat: daß hier nicht einfach Lebenstechnik,
sondern eine eigentümliche “Ethik” gepredigt wird, deren Verletzung
nicht nur als Torheit, sondern als eine Art von Pflichtvergessenheit behandelt
wird: dies vor Allem gehört zum Wesen der Sache. Es ist nicht nur
“Geschäftsklugheit”, was da gelehrt wird - dergleichen findet sich
auch sonst oft genug: - es ist ein Ethos, welches sich äußert
, und in eben dieser Qualität interessiert es uns.
Wenn Jakob Fugger einem Geschäftskollegen, der sich zur Ruhe gesetzt
hat und ihm zuredet, das gleiche zu tun, da er nun doch genug gewonnen
habe und andere auch gewinnen lassen solle, dies als “Kleinmut” verweist
und antwortet: “er (Fugger) hätte viel einen andern Sinn, wollte gewinnen
dieweil er könnte” ), so unterscheidet sich der “Geist” dieser Aeußerung
offensichtlich von Franklin: was dort als Ausfluß kaufmännischen
Wagemuts und einer persönlichen, sittlich indifferenten, Neigung geäußert
wird ), nimmt hier den Charakter einer ethischgefärbten Maxime der
Lebensführung an. In diesem spezifischen
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. I.
[34]
Sinne wird hier der Begriff “Geist des Kapitalismus” gebraucht ). Natürlich:
des modernen Kapitalismus. Denn daß hier nur von diesem westeuropäisch
-amerikanischem Kapitalismus die Rede iist, versteht sich angesichts der
Fragestellung von selbst. “Kapitalismus” hat es in China, Indien, Babylon,
in der Antike und im Mittelalter gegeben. Aber eben jenes eigentümliche
Ethos fehlte ihm, wie wir sehen werden.
Allerdings sind nun alle moralischen Vorhaltungen Franklins utilitarisch
gewendet: die Ehrlichkeit ist nützlich, weil sie Kredit bringt, die
Pünktlichkeit, der Fleiß, die Mäßigkeit ebenso, und
deshalb sind sie Tugenden: - woraus u. a. folgen würde, daß,
wo z. B. der Schein der Ehrlichkeit den gleichen Dienst tut, dieser genügen
und ein unnötiges Surplus an dieser Tugend als unproduktive Verschwendung
in den Augen Franklins verwerflich erscheinen müßte. Und in
der Tat: wer in seiner Selbstbiographie die Erzählung von seiner “Bekehrung”
zu jenen Tugenden ) oder vollends die Ausführungen über den Nutzen,
den die strikte Aufrechterhaltung des Scheines der Bescheidenheit, des
geflissentlichen Zurückstellens der eigenen Verdienste für die
Erreichung allgemeiner Anerkennung ) habe,
2. Der “Geist” des Kapitalismus. [35]
liest, muß notwendig zu dem Schluß kommen, daß nach
Franklin jene wie alle Tugenden auch nur soweit Tugenden sind, als sie
in concreto dem einzelnen nützlich sind und das Surrogat des bloßen
Scheins überall da genügt, wo es den gleichen Dienst leistet:
- eine für den strikten Utilitarissmus in der Tat unentrinnbare Konsequenz.
Das, was Deutsche an den Tugenden des Amerikanismus als “Heuchelei” zu
empfinden gewohnt sind, scheint hier in flagranti zu ertappen. - Allein
so einfach liegen die Dinge in Wahrheit keineswegs. Nicht nur Benjamin
Franklins eigener Charakter, wie er gerade in der immerhin seltenen Ehrlichkeit
seiner Selbstbiographie zutage tritt, und der Umstand, daß er die
Tatsache selbst, daß ihm die “Nützlichkeit” der Tugend aufgegangen
sei, auf eine Offenbarung Gottes zurückführt, der ihn dadurch
zur Tugend bestimmen wollte, zeigen, daß hier doch noch etwas anderes
als eine Verbrämung rein egozentrischer Maximen vorliegt. Sondern
vor allem ist das “summum bonum” dieser “Ethik”: der Erwerb von Geld und
immer mehr Geld, unter strengster Vermeidung alles unbefangenen Genießens,
so gänzlich aller eudämonistischen oder gar hedonistischen Gesichtspunkte
entkleidet, so rein als Selbstzweck gedacht, daß es als etwas gegenüber
dem “Glück” oder dem “Nutzen” des einzelnen Individuums jedenfalls
gänzlich Transzendentes und schlechthin Irrationales ) erscheint.
Der Mensch ist auf das
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. I.
[36]
Erwerben als Zweck seines Lebens, nicht mehr das Erwerben auf den Menschen
als Mittel zum Zweck der Befriedigung seiner materiellen Lebensbedürfnisse
bezogen. Diese für das unbefangene Empfinden schlechthin sinnlose
Umkehrung des, wie wir sagen würden, “natürlichen” Sachverhalts
ist nun ganz offenbar ebenso unbedingt ein Leitmotiv des Kapitalismus,
wie sie dem von seinem Hauche nicht berührten Menschen fremd ist.
Aber sie enthält zugleich eine Empfindungsreihe, welche sich mit gewissen
religiösen Vorstellungen eng berührt. Fragt man nämlich:
warumdenn “aus Menschen Geld gemacht” werden soll, so antwortet Benjamin
Franklin, obwohl selbst konfessionell farbloser Deist, in seiner Autobiographie
darauf mit einem Bibelspruch, den, wie er sagt, sein streng calvinistischer
Vater ihm in der Jugend immer wieder eingeprägt habe: “Siehst du einen
Mann rüstig in seinem Beruf, so soll er vor Königen stehen”
). Der Gelderwerb ist - sofern er in legaler Weise erfolgt - innerhalb
der modernen Wirtschaftsordnung das Resultat und der Ausdruck der Tüchtigkeit
im Beruf und diese Tüchtigkeit ist, wie nun unschwer zu erkennen ist,
das wirkliche A und O der Moral Franklins, wie sie in der zitierten Stelle
ebenso wie in allen seinen Schriften ohne Ausnahme uns entgegentritt ).
In der Tat: jener eigentümliche, uns heute so geläufige und
in Wahrheit doch so wenig selbstverständliche Gedanke der Berufspflicht:
einer Verpflichtung, die der Einzelne empfinden soll und empfindet gegenüber
dem Inhalt seiner “beruflichen” Tätigkeit, gleichviel worin sie besteht,
gleichviel insbesondere ob sie dem unbefangenen Empfinden als reine Verwertung
seiner Arbeitskraft oder gar nur seines Sachgüterbesitzes (als “Kapital”)
erscheinen muß: - dieser Gedanke ist es, welcher der “Sozialethik”
der kapitalistischen Kultur charakteristisch, ja in gewissem Sinne für
sie von konstitutiver Bedeutung ist. Nicht als ob er nur auf dem Boden
des Kapitalismus gewachsen wäre: wir werden ihn vielmehr später
in die Vergangenheit zurück zu verfolgen suchen. Und noch weniger
soll natürlich behauptet werden, daß für den heutigen Kapitalismus
die subjektive
2. Der “Geist” des Kapitalismus. [37]
Aneignung dieser ethischen Maxime durch seine einzelnen Träger,
etwa die Unternehmer oder die Arbeiter der modernen kapitalistischen Betriebe,
Bedingung der Fortexistenz sei. Die heutige kapitalistische Wirtschaftsordnung
ist ein ungeheurer Kosmos, in den der einzelne hineingeboren wird und der
für ihn, wenigstens als einzelnen, als faktisch unabänderliches
Gehäuse, in dem er zu leben hat, gegeben ist. Er zwingt dem einzelnen,
soweit er in den Zusammenhang des Marktes verflochten ist, die Normen seines
wirtschaftlichen Handelns auf. Der Fabrikant, welcher diesen Normen dauernd
entgegenhandelt, wird ökonomisch ebenso unfehlbar eliminiert, wie
der Arbeiter, der sich ihnen nicht anpassen kann oder will, als Arbeitsloser
auf die Straße gesetzt wird.
Der heutige, zur Herrschaft im Wirtschaftsleben gelangte Kapitalismus
also erzieht und schafft sich im Wege der ökonomischen Auslese die
Wirtschaftssubjekte - Unternehmer und Arbeiter - deren er bedarf. Allein
gerade hier kann man die Schranken des “Auslese” - Begriffes als Mittel
der Erklärung historischer Erscheinungen mit Händen greifen.
Damit jene der Eigenart des Kapitalismus angepaßte Art der Lebensführung
und Berufsauffassung “ausgelesen” werden, d. h.: über andere den Sieg
davontragen konnte, mußte sie offenbar zunächst entstanden sein,
und zwar nicht in einzelnen isolierten Individuen, sondern als eine Anschauungsweise,
die von Menschengruppen getragen wurde. Diese Entstehung ist also das eigentlich
zu Erklärende. Auf die Vorstellung des naiven Geschichtsmaterialismus,
daß derartige “Ideen” als “Wiederspiegelung” oder “Ueberbau” ökonomischer
Situationen ins Leben treten, werden wir eingehender erst später zu
sprechen kommen. An dieser Stelle genügt es für unseren Zweck
wohl, darauf hinzuweisen, daß jedenfalls ohne Zweifel im Geburtslande
Benjamin Franklins (Massachusetts) der “kapitalistische Geist” (in unserem
hier angenommenen Sinn) vor der “kapitalistischen Entwicklung” da war (es
wird über die spezifischen Erscheinungen profitsüchtiger Rechenhaftigkeit
in Neuengland - im Gegensatz zu anderen Gebieten Amerikas - schon 1632
geklagt), daß er z. B. in den Nachbarkolonien - den späteren
Südstaaten der Union ungleich unentwickelter geblieben war, und zwar
trotzdem diese letzteren von großen Kapitalisten zu Geschäftszwecken,
die Neuengland - Kolonien aber von Predigern und Graduates in
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. I.
[38]
Verbindung mit Kleinbürgern, Handwerkern und Yeomen aus religiösen
Gründen ins Leben gerufen wurden. In diesem Falle liegt also das Kausalverhältnis
jedenfalls umgekehrt als vom “materialistischen” Standpunkt aus zu postulieren
wäre. Aber die Jugend solcher Ideen ist überhaupt dornenvoller,
als die Theoretiker des “Ueberbaues” annehmen und ihre Entwicklung vollzieht
sich nicht wie die einer Blume. Der kapitalistische Geist in dem Sinne,
den wir für diesen Begriff bisher gewonnen haben, hat sich in schwerem
Kampf gegen eine Welt feindlicher Mächte durchzusetzen gehabt. Eine
Gesinnung wie sie in den zitierten Ausführungen Benjamin Franklins
zum Ausdruck kam und den Beifall eines ganzen Volkes fand, wäre im
Altertum wie im Mittelalter ) ebenso als Ausdruck des schmutzigsten Geizes
und einer
2. Der “Geist” des Kapitalismus. [39].
schlechthin würdelosen Gesinnung proskribiert worden, wie
dies noch heute von allen denjenigen sozialen Gruppen regelmäßig
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. I. [40].
geschieht, welche in die spezifisch moderne kapitalistische Wirtschaft
am wenigsten verflochten oder ihr am wenigsten angepaßt
2. Der “Geist” des Kapitalismus. [41].
sind. Nicht etwa deshalb, weil “der Erwerbstrieb” in den präkapitalistischen
Epochen noch etwas Unbekanntes oder Unentwickeltes gewesen wäre -
wie man so oft gesagt hat - oder weil die “auri sacra fames”, die Geldgier,
damals - oder auch heute - außerhalb des bürgerlichen Kapitalismus
geringer wäre als innerhalb der spezifisch kapitalistischen Sphäre,
wie die Illusion moderner Romantiker sich die Sache vorstellt. An diesem
Punkt liegt der Unterschied kapitalistischen und präkapitalistischen
“Geistes” nicht: Die Habgier des chinesischen Mandarinen, des altrömischen
Aristokraten, des modernen Agrariers hält jeden Vergleich aus. Und
die “auri sacra fames” des neapolitanischen Kutschers oder Barcajuolo oder
vollends des asiatischen Vertreters ähnlicher Gewerbe, ebenso aber
auch des Handwerkers südeuropäischer oder asiatischer Länder
äußert sich, wie jeder an sich erfahren kann, sogar außerordentlich
viel penetranter, und insbesondere: skrupelloser, als
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. I.
[42]
diejenige etwa eines Engländers im gleichen Falle ). Die universelle
Herrschaft absoluter Skrupellosigkeit der Geltendmachung des Eigeninteresses
beim Gelderwerb war gerade ein ganz spezifisches Charakteristikum solcher
Länder, deren bürgerlich - kapitalistische Entfaltung - an den
Maßstäben der okzidentalen Entwicklung gemessen - “rückständig”
geblieben war. Wie jeder Fabrikant weiß, ist die mangelnde “coscienziosità”
der Arbeiter ) solcher Länder, etwa Italiens im Gegensatz zu Deutschland,
eines der Haupthemmnisse ihrer kapitalistischen Entfaltung gewesen und
in gewissem Maße noch immer. Der Kapitalismus kann den praktischen
Vertreter des undisziplinierten “liberum arbitrium” als Arbeiter nicht
brauchen, so wenig eir, wie wir schon von Franklin lernen konnten, den
in seiner äußern Gebarung schlechthin skrupellosen Geschäftsmann
brauchen kann. In der verschieden starken Entwicklung irgendeines “Triebes”
nach dem Gelde also liegt der Unterschied nicht. Die auri sacra fames ist
so alt wie die uns bekannte Geschichte der Menschheit; wir werden aber
sehen, daß diejenigen, die ihr als Trieb sich vorbehaltlos hingaben
- wie etwa jener holländische Kapiitän, der “Gewinnes halber durch
die Hölle fahren wollte, und wenn er sich die Segel ansengte” - keineswegs
die Vertreter derjenigen Gesinnung waren, aus welcher der spezifisch moderne
kapitalistische “Geist” als Massenerscheinung - und darauf kommt es an
- hervorbrach. Den rücksichtslosenn, an keine Norm innerlich sich bindenden
Erwerb hat es zu allen
2. Der “Geist” des Kapitalismus. [43]
Zeiten der Geschichte gegeben, wo und wie immer er tatsächlich
überhaupt möglich war. Wie Krieg und Seeraub, so war auch der
freie, nicht normgebundene Handel in den Beziehungen zu Stammfremden, Ungenossen,
unbehindert; es gestattete die “Außenmoral” hier, was imVerhältnis
“unter Brüdern” verpönt war. Und wie, äußerlich, der
kapitalistische Erwerb als “Abenteuer” in allen Wirtschaftsverfassungen
heimisch war, welche geldartige Vermögensobjekte kannten und Chancen
boten, sie gewinnbringend zu verwerten: - durch Kommenda, Abgabenpacht,
Staatsdarlehen, Finanzierung von Kriegen, Fürstenhöfen, Beamten,
- so fand sich auch jene innerliche Abeenteurer - Gesinnung, welche der
Schranken der Ethik spottet, überall. Die absolute und bewußte
Rücksichtslosigkeit des Gewinnstrebens stand oft ganz hart gerade
neben strengster Traditionsgebundenheit. Und mit dem Zerbröckeln der
Tradition und dem mehr oder minder durchgreifenden Eindringen des freien
Erwerbes auch in das Innere der sozialen Verbände pflegte nicht eine
ethische Bejahung und Prägung dieses Neuen zu erfolgen, sondern es
pflegte nur faktisch toleriert, entweder als ethisch indifferent oder als
zwar unerfreulich, aber leider unvermeidlich, behandelt zu werden. Dies
war nicht nur die normale Stellungnahme aller ethischen Lehre, sondern
- worauf es wesentlich mehr ankommt - aauch des praktischen Verhaltens der
Durchschnittsmenschen der präkapitalistischen Epoche: - “präkapitalistisch”
in dem Sinn: daß die rationale betriebsmäßige Kapitalverwertung
und die rationale kapitalistische Arbeitsorganisation noch nicht beherrschende
Mächte für die Orientierung des wirtschaftlichen Handelns geworden
waren. Eben dies Verhalten aber war eines der stärksten innerlichen
Hemmnisse, auf welche die Anpassung der Menschen an die Voraussetzungen
geordneter bürgerlichkapitalistischer Wirtschaft überall stieß.
Der Gegner, mit welchem der “Geist” des Kapitalismus im Sinne eines
bestimmten, im Gewande einer “Ethik” auftretenden, normgebundenen Lebensstils
in erster Linie zu ringen hatte, blieb jene Art des Empfindens und der
Gebarung, die man als Traditionalismus bezeichnen kann. Auch hier muß
jeder Versuch einer abschließenden “Definition” suspendiert werden,
vielmehr machen wir uns - natürlich auch hier lediglich provisorisch
- an einigen Spezialfällen deutlicch, was damit gemeint ist, dabei
von unten: bei den Arbeitern, beginnend.
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. I.
[44]
Eins der technischen Mittel, welches der moderne Unternehmer anzuwenden
pflegt, um von “seinen” Arbeitern ein möglichstes Maximum von Arbeitsleistung
zu erlangen, die Intensität der Arbeit zu steigern, ist der Akkordlohn.
In der Landwirtschaft z. B. pflegt ein Fall, der die möglichste Steigerung
der Arbeitsintensität gebieterisch fordert, die Einbringung der Ernte
zu sein, da, zumal bei unsicherem Wetter, an der denkbar größten
Beschleunigung derselben oft ganz außerordentlich hohe Gewinn- oder
Verlustchancen hängen. Demgemäß pflegt hier durchweg das
Akkordlohnsystem verwendet zu werden. Und da mit Steigerung der Erträge
und der Betriebsintensität das Interesse des Unternehmers an Beschleunigung
der Ernte im allgemeinen immer größer zu werden pflegt, so hat
man natürlich immer wieder versucht, durch Erhöhung der Akkordsätze
die Arbeiter, denen so sich Gelegenheit bot, innerhalb einer kurzen Zeitspanne
einen für sie außergewöhnlich hohen Verdienst zu machen,
an der Steigerung ihren Arbeitsleistung zu interessieren. Allein hier zeigten
sich nun eigentümliche Schwierigkeiten: Die Heraufsetzung der Akkordsätze
bewirkte auffallend oft nicht etwa, daß mehr, sondern: daß
weniger an Arbeitsleistung in der gleichen Zeitspanne erzielt wurde, weil
die Arbeiter die Akkorderhöhung nicht mit Herauf-sondern mit Herabsetzung
der Tagesleistung beantworteten. Der Mann, der z. B. bei 1 Mark für
den Morgen Getreidemähen bisher 2 1/2 Morgen täglich gemäht
und so 2 1/2 Mk. am Tag verdient hatte, mähte nach Erhöhung des
Akkordsatzes für den Morgen um 25 Pfg. nicht wie gehofft wurde, angesichts
der hohen Verdienstgelegenheit etwa 3 Morgen, um so 3,75 Mk. zu verdienen
- wie dies sehr wohl möglich gewessen wäre sondern nur noch 2
Morgen am Tag, weil er so ebenfalls 2 1/2 Mk., wie bisher, verdiente und
damit, nach biblischem Wort, “ihm genügen” ließ. Der Mehrverdienst
reizte ihn weniger als die Minderarbeit; er fragte nicht: wieviel kann
ich am Tag verdienen, wenn ich das mögliche Maximum an Arbeit leiste,
sondern: wieviel muß ich arbeiten, um denjenigen Betrag - 2 1/2 Mk.
- zu verdienen, den ich bisher einnahm und der meine traditionellen Bedürfnisse
deckt? Dies ist eben ein Beispiel desjenigen Verhaltens, welches als “Traditionalismus”
bezeichnet werden soll: der Mensch will “von Natur” nicht Geld und mehr
Geld verdienen, sondern einfach leben, so leben wie er zu leben gewohnt
ist und soviel erwerben, wie dazu erforderlich ist. Ueberall, wo der
I. Der “Geist” des Kapitalismus. [45]
moderne Kapitalismus sein Werk der Steigerung der “Produktivität”
der menschlichen Arbeit durch Steigerung ihrer Intensität begann,
stieß er auf den unendlich zähen Widerstand dieses Leitmotivs
präkapitalistischer wirtschaftlicher Arbeit, und er stößt
noch heute überall um so mehr darauf, je “rückständiger”
(vom kapitalistischen Standpunkt aus) die Arbeiterschaft ist, auf die er
sich angewiesen sieht. Es lag nun - um wieder zu unserem Beispiel zurückzukehren
- sehr nahe, da der Appell an den “Erweerbsinn” durch höhere Lohnsätze
versagte, es mit dem gerade umgekehrten Mittel zu versuchen: durch Herabsetzung
der Lohnsätze den Arbeiter zu zwingen, zur Erhaltung seines bisherigen
Verdienstes mehr zu leisten als bisher. Ohnehin schien
ja und scheint noch heute der unbefangenen Betrachtung niederer Lohn und
hoher Profit in Korrelation zu stehen, alles, was an Lohn mehr gezahlt
wurde, eine entsprechende Minderung des Profits bedeuten zu müssen.
Jenen Weg hat denn auch der Kapitalismus von Anfang an wieder und immer
wieder beschritten, und Jahrhunderte lang galt es als Glaubenssatz, daß
niedere Löhne “produktiv” seien, d. h. daß sie die Arbeitsleistung
steigerten, daß, wie schon Pieter de la Cour - in diesem Punkte,
wie wir sehen werden, ganz im Geist des alten Calvinismus denkend - gesagt
hatte, das Volk nur arbeitet, weil und so lange es arm ist.
Allein die Wirksamkeit dieses anscheinend so probaten Mittels hat Schran-
ken ). Gewiß verlangt der Kapitalismus zu seiner Entfaltung das Vorhandensein
von Bevölkerungsüberschüssen, die er zu billigem Preis auf
dem Arbeitsmarkt mieten kann. Allein ein Zuviel von “Reservearmee” begünstigt
zwar unter Umständen sein quantitatives Umsichgreifen, hemmt aber
seine qualitative Entwicklung, namentlich den Uebergang zu
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. I.
[46]
Betriebsformen, welche die Arbeit intensiv ausnützen. Niederer
Lohn ist mit billiger Arbeit keineswegs identisch. Schon rein quantitativ
betrachtet, sinkt die Arbeitsleistung unter allen Umständen mit physiologisch
ungenügendem Lohn und bedeutet ein solcher auf die Dauer oft geradezu
eine “Auslese der Untauglichsten”. Der heutige durchschnittliche Schlesier
mäht bei voller Anstrengung wenig mehr als zwei Drittel soviel Land
in der gleichen Zeit wie der besser Belohnte und genährte Pommer oder
Mecklenburger, der Pole leistet physisch, je weiter östlich er her
ist, desto weniger im Vergleich zum Deutschen. Und auch rein geschäftlich
versagt der niedere Lohn als Stütze kapitalistischer Entwicklung überall
da, wo es sich um die Herstellung von Produkten handelt, welche irgendwelche
qualifizierte (gelernte) Arbeit oder etwa die Bedienung kostspieliger und
leicht zu beschädigender Maschinen oder überhaupt ein irgend
erhebliches Maß scharfer Aufmerksamkeit und Initiative erfordern.
Hier rentiert der niedere Lohn nicht und schlägt in seiner Wirkung
in das Gegenteil des Beabsichtigten um. Denn hier ist nicht nur ein entwickeltes
Verantwortlichkeitsgefühl schlechthin unentbehrlich, sondern überhaupt
eine Gesinnung, welche mindestens während der Arbeit von der steten
Frage: wie bei einem Maximum von Bequemlichkeit und einem Minimum von Leistung
dennoch der gewohnte Lohn zu gewinnen sei, sich loslöst und die Arbeit
so betreibt, als ob sie absoluter Selbstzweck - “Beruf” - wäre. Eine
solche Gesinnung aber ist nichts Naturgegebenes. Sie kann auch weder durch
hohe noch durch niedere Löhne unmittelbar hervorgebracht werden, sondern
nur das Produkt eines lang andauernden Erziehungsprozesses sein. Heute
gelingt dem einmal im Sattel sitzenden Kapitalismus die Rekrutierung seiner
Arbeiter in allen Industrieländern und innerhalb der einzelnen Länder
in allen Industriegebieten verhältnismäßig leicht. In der
Vergangenheit war sie in jedem einzelnen Fall ein äußerst schwieriges
Problem ). Und selbst heute kommt er wenigstens
I. Der “Geist” des Kapitalismus. [47]
nicht immer ohne die Unterstützung eines mächtigen Helfers
zum Ziele, der, wie wir weiter sehen werden, ihm in der Zeit seines Werdens
zur Seite stand. Was gemeint ist, kann man sich wieder an einem Beispiel
klar machen. Ein Bild rückständiger traditionalistischer Form
der Arbeit bieten heute besonders oft die Arbeiterinnen, besonders die
unverheirateten. Insbesondere ihr absoluter Mangel an Fähigkeit und
Willigkeit, überkommene und einmal erlernte Arten des Arbeitens zugunsten
anderer, praktischerer, aufzugeben, sich neuen Arbeitsformen anzupassen,
zu lernen und den Verstand zu konzentrieren oder nur überhaupt zu
brauchen, ist eine fast allgemeine Klage von Arbeitgebern, die Mädchen,
zumal deutsche Mädchen, beschäftigen. Auseinandersetzungen über
die Möglichkeit, sich die Arbeit leichter, vor allem einträglicher,
zu gestalten, pflegen bei ihnen auf völliges Unverständnis zu
stoßen, Erhöhung der Akkordsätze prallt wirkungslos an
der Mauer der Gewöhnung ab. Anders - und das ist ein für unsere
Betrachtung nicht unwichtiger Punkt - pflegt es regelmäßig nur
mit spezifisch religiös erzogenen, namentlich mit Mädchen pietistischer
Provenienz zu stehen. Man kann es oft hören, und gelegentliche rechnerische
Nachprüfungen bestätigen es ), daß weitaus die günstigsten
Chancen wirtschaftlicher Erziehung sich bei dieser Kategorie eröffnen.
Die Fähigkeit der Konzentration der Gedanken sowohl als die absolut
zentrale Haltung: sich “der Arbeit gegenüber verpflichtet” zu führen,
finden sich hier besonders oft vereinigt mit strenger Wirtschaftlichkeit,
die mit dem Verdienst und seiner Höhe überhaupt rechnet und mit
einer nüchternen Selbstbeherrschung und Mäßigkeit, welche
die Leistungsfähigkeit ungemein steigert. Der Boden für jene
Auffassung der Arbeit als Selbstzweck, als “Beruf”, wie sie der Kapitalismus
fordert, ist hier am günstigsten, die Chance, den traditionalistischen
Schlendrian zu überwinden, infolge der religiösen Erziehung
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. I.
[48]
am größten. Schon diese Betrachtung aus der Gegenwart des
Kapitalismus ) zeigt uns wieder, daß es sich jedenfalls verlohnt,
einmal zu fragen, wie diese Zusammenhänge kapitalistischer Anpassungsfähigkeit
mit religiösen Momenten sich denn in der Zeit seiner Jugend gestaltet
haben mögen. Denn daß sie auch damals in ähnlicher Art
bestanden, ist aus vielen Einzelerscheinungen zu schließen. Der Abscheu
und die Verfolgung, welchen z. B. die methodistischen Arbeiter im 18. Jahrhundert
von seiten ihrer Arbeitsgenossen begegneten, bezog sich, wie schon die
in den Berichten so oft wiederkehrende Zerstörung ihres Handwerkszeuges
andeutet, keineswegs nur oder vorwiegend auf ihre religiösen Exzentrizitäten:
- davon hatte England viel, und Auffalllenderes, gesehen -, sondern auf
ihre spezifische “Arbeitswilligkeit”, wie man heute sagen würde.
Doch wenden wir uns zunächst wieder der Gegenwart und zwar nunmehr
den Unternehmern zu, um auch hier die Bedeutung des “Traditionalismus”
uns zu verdeutlichen.
Sombart hat in seinen Erörterungen über die Genesis des Kapitalismus
) als die beiden großen “Leitmotive”, zwischen denen sich die ökonomische
Geschichte bewegt habe, “Bedarfsdeckung” und “Erwerb” geschieden, je nachdem
das Ausmaß des persönlichen Bedarfs oder das von den Schranken
des letzteren unabhängige Streben nach Gewinn und die Möglichkeit
der Gewinnerzielung für die Art und Richtung der wirtschaftlichen
Tätigkeit maßgebend werden. Was er als “System der Bedarfsdeckungswirtschaft”
bezeichnet, scheint sich auf den ersten Blick mit dem, was hier als “ökonomischer
Traditionalismus” umschrieben wurde, zu decken. Das ist dann in der Tat
der Fall, wenn man den Begriff “Bedarf” mit “traditionellem Bedarf” gleichsetzt.
Wenn aber nicht, dann fallen breite
M a x W e b e r, Religionssoziologie I.
2. Der “Geist” des Kapitalismus. [49]
Massen von Wirtschaften, welche nach der Form ihrer Organisation als
“kapitalistische” auch im Sinne der von Sombart an einer anderen Stelle
seines Werkes ) gegebenen Definition des “Kapitals” zu betrachten sind,
aus dem Bereich der “Erwerbs” - Wirtschaften heraus und gehören zum
Bereich der “Bedarfsdeckungswirtschaften”. Auch Wirtschaften nämlich,
die von privaten Unternehmern in der Form eines Umschlags von Kapital (=
Geld oder geldwerten Gütern) zu Gewinnzwecken durch Ankauf von Produktionsmitteln
und Verkauf der Produkte, also zweifellos als “kapitalistische Unternehmungen”
geleitet werden, können gleichwohl “traditionalistischen” Charakter
an sich tragen. Dies ist im Lauf auch der neueren Wirtschaftsgeschichte
nicht nur ausnahmsweise, sondern - mit stets wiederkehrenden Unterbrechungen
durch immer neue und immer gewaltigere Einbrüche des “kapitalistischen
Geistes” - geradezu regelmäßig der Fall gewesen. Die “kapitalistische”
Form eitler Wirtschaft und der Geist, in dem sie geführt wird, stehen
zwar generell im Verhältnis “adäquater” Beziehung, nicht aber
in dem einer “gesetzlichen” Abhängigkeit voneinander. Und wenn wir
trotzdem für diejenige Gesinnung, welche berufsmäßig systematisch
und rational legitimen Gewinn in der Art, wie dies an dern Beispiel Benjamin
Franklins verdeutlicht wurde, erstrebt, hier provisorisch den Ausdruck
“Geist des (modernen) Kapitalismus” ) gebrauchen, so geschieht dies aus
dem historischen Grunde, weil jene Gesinnung in der modernen kapitalistischen
Unternehmung ihre adäquateste Form, die kapitalistische Unternehmung
andererseits in ihr die adäquateste geistige Triebkraft gefunden hat.
Aber an sich kann beides sehr wohl auseinanderfallen. Benjamin Franklin
war mit “kapitalistischem Geist” erfüllt zu einer Zeit, wo sein Buchdruckereibetrieb
der Form nach sich in nichts von irgendeinem Handwerkerbetrieb unterschied.
Und wir werden sehen, daß überhaupt an der Schwelle der Neuzeit
keineswegs allein oder vorwiegend die kapitalistischen Unternehmer des
Handelspatriziates, sondern weit mehr die aufstrebenden
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. I.
[50]
Schichten des gewerblichen Mittelstandes die Träger derjenigen
Gesinnung waren, die wir hier als “Geist des Kapitalismus” bezeichnet haben
). Auch im 19. Jahrhundert sind nicht die vornehmen Gentlemen von Liverpool
und Hamburg mit ihrem altererbten Kaufmannsvermögen, sondern die aus
oft recht kleinen Verhältnissen aufsteigenden Parvenüs von Manchester
oder Rheinland - Westfalen ihre klassischen Repräsentanten. Und ähnlich
stand es schon im 16. Jahrhundert: die damals neu entstehenden Industrien
sind meist dem Schwerpunkt nach von Parvenüs geschaffen ).
Der Betrieb etwa einer Bank, oder des Exportgroßhandels, oder
auch eines größeren Detailgeschäfts, oder endlich eines
großen Verlages hausindustriell hergestellter Waren sind, zwar sicherlich
nur in der Form der kapitalistischen Unternehmung möglich. Gleichwohl
können sie alle in streng traditionalistischem Geiste geführt
werden: die Geschäfte der großen Notenbanken dürfen gar
nicht anders betrieben werden; der überseeische Handel ganzer Epochen
hat auf der Basis von Monopolen und Reglements streng traditionellen Charakters
geruht; im Detailhandel - und es ist hier nicht von den kleinen kapitallosen
Tagedieben die Rede, welche heute nach Staatshilfe schreien - ist die Revolutionierung,
welche dem alten Traditionalismus ein Ende macht, noch in vollem Gange:
- dieselbe Umwälzung, welche die aalten Formen des Verlagssystems gesprengt
hat, mitdem ja die moderne Heimarbeit nur der Form nach Verwandtschaft
besitzt. Wie diese Revolutionierung verläuft und was sie
2. Der “Geist” des Kapitalismus. [51]
bedeutet, mag - so bekannt ja diese Dinge sind - wiederum an einem
Spezialfall veranschaulicht werden.
Bis gegen die Mitte des vorigen Jahrhunderts war das Leben eines Verlegers
wenigstens in manchen Branchen der kontinentalen Textilindustrie ) ein
für unsere heutigen Begriffe ziemlich gemächliches. Man mag sich
seinen Verlauf etwa so vorstellen: Die Bauern kamen mit ihren Geweben -
oft (bei Leinen) noch vorwiegend oder ganz aus selbstproduziertem Rohstoff
hergestellt - in die Stadt, in der die Verleger wähnten und erhielten
nach sorgsamer, oft amtlicher, Prüfung der Qualität die üblichen
Preise dafür gezahlt. Die Kunden der Verleger waren für den Absatz
auf alle weiteren Entfernungen Zwischenhändler, die ebenfalls hergereist
kamen, meist noch nicht nach Mustern, sondern nach herkömmlichen Qualitäten
und vom Lager kauften oder, und dann lange vorher, bestellten, woraufhin
dann eventuell weiter bei den Bauern bestellt wurde. Eigenes Bereisen der
Kundschaft geschah, wenn überhaupt, dann selten einmal in großen
Perioden, sonst genügte Korrespondenz und, langsam zunehmend, Musterversendung.
Mäßiger Umfang der Kontorstunden - vielleicht 5 - 6 am Tage,
zeitweise erheblich weniger, in der Kampagnezeit, wo es eine solche gab,
mehr, - leidlicher, zur anständigen Lebensführung und in guten
Zeiten zur Rücklage eines kleinen Vermögens ausreichender Verdienst,
im ganzen relativ große Verträglichkeit der Konkurrenten untereinander
bei großer Uebereinstimmung der Geschäftsgrundsätze, ausgiebiger
täglicher Besuch der “Ressource”, daneben je nachdem noch Dämmerschoppen,
Kränzchen und gemächliches Lebenstempo überhaupt.
Es war eine in jeder Hinsicht “kapitalistische” Form der Organisation,
wenn man auf den rein kaufmännisch - geschäftlichen Charakter
der Unternehmer, ebenso wenn man auf die Tatsache der Unentbehrlichkeit
des Dazwischentretens von Kapitalien, welche in dem Geschäft umgeschlagen
wurden, ebenso endlich, wenn man auf die objektive Seite des ökonomischen
Hergangs oder auf die Art der Buchführung sieht. Aber es war
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. I.
[52]
“traditionalistische” Wirtschaft, wenn man auf den Geist sieht, der
die Unternehmer beseelte: die traditionelle Lebenshaltung, die traditionelle
Höhe des Profits, das traditionelle Maß von Arbeit, die traditionelle
Art der Geschäftsführung und der Beziehungen zu den Arbeitern
und dem wesentlich traditionellen Kundenkreise, der Art der Kundengewinnung
und des Absatzes beherrschten den Geschäftsbetrieb, lagen - so kann
man geradezu sagen - dem “Ethos” dieses Kreises von Unternehmern zugrunde.
Irgendwann nun wurde diese Behaglichkeit plötzlich gestört,
und zwar oft ganz ohne daß dabei irgendeine prinzipielle Aenderung
der Organisations form - etwa Uebergang zum geschlossene Betrieb, zum Maschinenstuhl
und dgl. - stattgefunden hatte. Was geschah, war vielmehr oft lediglich
dies: daß irgendein junger Mann aus einer der beteiligten Verlegerfamilien
aus der Stadt auf das Land zog, die Weber für seinen Bedarf sorgfältig
auswählte, ihre Abhängigkeit und Kontrolle zunehmend verschärfte,
sie so aus Bauern zu Arbeitern erzog, andererseits aber den Absatz durch
möglichst direktes Herangehen an die letzten Abnehmer: die Detailgeschäfte,
ganz in die eigene Hand nahm, Kunden persönlich warb, sie regelmäßig
jährlich bereiste, vor allem aber die Quälität der Produkte
ausschließlich ihren Bedürfnissen und Wünschen anzupassen,
ihnen “mundgerecht” zu machen wußte und zugleich den Grundsatz “billiger
Preis, großer Umsatz” durchzuführen begann. Alsdann nun wiederholte
sich, was immer und überall die Folge eines solchen “Rationalisierungs”
- Prozesses ist: wer nicht hinaufstieg,, mußte hinabsteigen. Die Idylle
brach unter dem beginnenden erbitterten Konkurrenzkampf zusammen, ansehnliche
Vermögen wurden gewonnen und nicht auf Zinsen gelegt, sondern immer
wieder im Geschäft investiert, die alte behäbige und behagliche
Lebenshaltung wich harter Nüchternheit, bei denen, die mitmachten
und hochkamen, weil sie nicht verbrauchen, sondern erwerben wollten, bei
denen, die bei der alten Art blieben, weil sie sich einschränken mußten
). Und - worauf es hier vor allem ankommt - es war in solchen Fällen
in der Regel nicht etwa ein Zustrom
2. Der “Geist” des Kapitalismus. [53]
neuen Geldes, welcher diese Umwälzung hervorbrachte - mit wenigen
Tausenden von Verwandten hergeliehenen Kapitals wurde in manchen mir bekannten
Fällen der ganze Revolutianierungsprozeß ins Werk gesetzt -,
sondern der neue Geist, eben der “Geist des modernen Kapitalismus”, der
eingezogen war. Die Frage nach den Triebkräften der Expansion des
modernen Kapitalismus ist nicht in erster Linie eine Frage nach der Herkunft
der kapitalistisch verwertbaren Geldvorräte, sondern vor allem nach
der Entwicklung des kapitalistischen Geistes. Wo er auflebt und sich auszuwirken
vermag, verschafft er sich die Geldvorräte als Mittel seines Wirkens,
nicht aber umgekehrt ). Aber sein Einzug pflegte, kein friedlicher zu sein.
Eine Flut von Mißtrauen, gelegentlich von Haß, vor allem von
moralischer Entrüstung stemmte sich regelmäßig dem ersten
Neuerer entgegen, oft - mir sind mehrere Fälle derart bekannt - begann
eine förmliche Legendenbildung über geheimnisvolle Schatten in
seinem Vorleben. Es ist so leicht niemand unbefangen genug zu bemerken,
daß gerade einen solchen Unternehmer “neuen Stils” nur ein ungewöhnlich
fester Charakter vor dem Verlust der nüchternen Selbstbeherrschung
und vor moralischem wie ökonomischem Schiffbruch bewahren können,
daß neben Klarheit des Blickes und Tatkraft, vor allem doch auch
ganz bestimmte und sehr ausgeprägte “ethische” Qualitäten es
sind, welche bei solchen Neuerungen ihm das schlechthin unentbehrliche
Vertrauen der Kunden und der Arbeiter gewinnen und ihm die Spannkraft zur
Ueberwindeng der ungezählten Widerstände erhalten, vor allem
aber die so unendlich viel intensivere Arbeitsleistung, welche nunmehr
von dem Unternehmer gefordert wird und die mit bequemem Lebensgenuß
unvereinbar ist, überhaupt ermöglicht haben: nur eben ethische
Qualitäten spezifisch anderer Art als die dem Traditionalismus der
Vergangenheit adäquaten.
Und ebenso waren es in der Regel nicht waghalsige und skrupellose Spekulanten,
ökonomische Abenteurernaturen, wie sie in allen Epochen der Wirtschaftsgeschichte
begegnen, oder einfach “große Geldleute”, welche diese äußerlich
unscheinbare und doch für die Durchsetzung des ökonomischen Lebens
mit diesem neuen Geist entscheidende Wendung schufen, sondern in harter
Lebensschule aufgewachsene, wägend und wagend zu-
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. I.
[54]
gleich, vor allem aber nüchtern und stetig, scharf und völlig
der Sache hingegebene Männer mit streng bürgerlichen Anschauungen
und “Grundsätzen”.
Man wird zu glauben geneigt sein, daß diese persönlichen
moralischen Qualitäten mit irgendwelchen ethischen Maximen oder gar
religiösen Gedanken an sich nicht das geringste zu schaffen haben,
daß nach dieser Richtung wesentlich etwas Negatives: die Fähigkeit,
sich der überkommenen Tradition zu entziehen, also am ehesten liberale
“Aufklärung” die adäquate Grundlage einer solchen geschäftlichen
Lebensführung sei. Und in der Tat ist dies heute im allgemeinen durchaus
der Fall. Nicht nur fehlt regelmäßig eine Beziehung der Lebensführung
auf religiöse Ausgangspunkte, sondern wo eine Beziehung besteht, pflegt
sie wenigstens in Deutschland negativer Art zu sein. Solche vom “kapitalistischen
Geist” erfüllte Naturen pflegen heute, wenn nicht gerade kirchenfeindlich,
so doch indifferent zu sein. Der Gedanke an die fromme Langeweile des Paradieses
hat für ihre tatenfrohe Natur wenig Verlockendes, die Religion erscheint
ihnen als ein Mittel, die Menschen vom Arbeiten auf dem Boden dieser Erde
abzuziehen. Würde man sie selbst nachdem “Sinn” ihres rastlosen Jagens
fragen, welches des eigenen Besitzes niemals froh wird, und deshalb gerade
bei rein diesseitiger Orientierung des Lebens so sinnlos erscheinen muß,
so würden sie, falls sie überhaupt eine Antwort wissen, zuweilen
antworten: “die Sorge für Kinder und Enkel” häufiger aber und
- da jenes Motiv ja offenbar kein ihnenn eigentümliches ist, sondern
bei den “traditionalistischen” Menschen ganz ebenso wirkte, - richtiger
ganz einfach: daß ihnen das Geschäft mit seiner steten Arbeit
“zum Leben unentbehrlich” geworden sei. Das ist in der Tat die einzig zutreffende
Motivierung und sie bringt zugleich das, vom persönlichen Glücksstandpunkt
aus angesehen, so Irrationale dieser Lebensführung, bei welcher der
Mensch für sein Geschäft da ist, nicht umgekehrt, zum Ausdruck.
Selbstverständlich spielt die Empfindung für die Macht und das
Ansehen, welches die bloße Tatsache des Besitzes gewährt, dabei
ihre Rolle: wo einmal die Phantasie eines ganzen Volkes in der Richtung
auf das rein quantitativ Große gelenkt ist, wie in den Vereinigten
Staaten, da wirkt diese Zahlenromantik mit unwiderstehlichem Zauber auf
die “Dichter” unter den Kaufleuten. Aber sonst sind es im ganzen nicht
die eigentlich führen-
2. Der “Geist” des Kapitalismus. [55]
den und namentlich nicht die dauernd erfolgreichen Unternehmer, die
sich davon einnehmen lassen. Und vollends das Einlaufen in den Hafen des
Fideikommißbesitzes und Briefadels mit Söhnen, deren Gebarung
auf der Universität und im Offizierkorps ihre Abstammung vergessen
zu machen sucht, wie es der übliche Lebenslauf deutscher kapitalistischer
Parvenü - Familien war, stellt ein epigonenhaftes Décadenceprodukt
dar. Der “Idealtypus” des kapitalistischen Unternehmers ), wie er auch
bei uns in einzelnen hervorragenden Beispielen vertreten war, hat mit solchem
gröberen oder feineren Protzentum nichts Verwandtes. Er scheut die
Ostentation und den unnötigen Aufwand ebenso wie den bewußten
Genuß seiner Macht und die ihm eher unbequeme Entgegennahme von äußeren
Zeichen der gesellschaftlichen Achtung, die er genießt. Seine Lebensführung
trägt m. a.W. oft - und es wird gerade auf die geschichtliche Bedeutung
dieser für uns wichtigen Erscheinung einzugehen sein - einen gewissen
asketischen Zug an sich, wie er ja in der früher zitierten “Predigt”
Franklins deutlich zutage tritt. Es ist namentlich keineswegs selten, sondern
recht häufig bei ihm ein Maß von kühler Bescheidenheit
zu finden, welches wesentlich aufrichtiger ist als jene Reserve, die Benjamin
Franklin so klug zu empfehlen weiß. Er “hat nichts” von seinem Reichtum
für seine Person, - außer: der irrationalen Empfindung guter
“Berufserfüllung”.
Das aber ist es eben, was dem präkapitalistischen Menschen so
unfaßlich und rätselhaft, so schmutzig und verächtlich
erscheint. Daß jemand zum Zweck seiner Lebensarbeit ausschließlich
den Gedanken machen könne, dereinst mit hohem materiellen Gewicht
an Geld und Gut belastet ins Grab zu sinken, scheint ihm nur als Produkt
perverser Triebe: der “auri sacra fames”, erklärlich.
In der Gegenwart, unter unseren politischen, privatrechtlichen und
Verkehrsinstitutionen, bei den Betriebsformen und der Struktur, die unserer
Wirtschaft eigen ist, könnte nun dieser “Geist” des Kapitalismus,
wie gesagt, als ein reines Anpassungsprodukt verständlich sein. Die
kapitalistische Wirtschaftsordnung braucht diese Hingabe an den “Beruf”
des Geldverdienens:
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. I.
[56]
sie ist eine Art des Sichverhaltens zu den äußeren Gütern,
welche jener Struktur so sehr adäquat, so sehr mit den Bedingungen
des Sieges im ökonomischen Daseinskampfe verknüpft ist, daß
von einem notwendigen Zusammenhange jener “chrematistischen” Lebensführung
mit irgendeiner einheitlichen “Weltan-schauung” heute in der Tat gar keine
Rede mehr sein kann. Sie hat es namentlich nicht mehr nötig, sich
von der Billigung irgendwelcher religiöser Potenzen tragen zu lassen
und empfindet die Beeinflussung des Wirtschaftslebens durch die kirchlichen
Normen soweit sie überhaupt noch fühlbar ist, ebenso als Hemmnis,
wie dessen staatliche Reglementierung. Die handelspolitische und sozialpolitische
Interessenlage pflegen dann die “Weltanschauung” zu bestimmen. Wer sich
in seiner Lebensführung den Bedingungen kapitalistischen Erfolges
nicht anpaßt, geht unter oder kommt nicht hoch. Aber das sind Erscheinungen
einer Zeit, in welcher der moderne Kapitalismus, zum Siege gelangt, sich
von den alten Stützen emanzipiert hat. Wie er dereinst nur im Bunde
mit der werdenden modernen Staatsgewalt die alten Formen mittelalterlicher
Wirtschaftsregulierung sprengte, so könnte - wollen wir vorläufig
sagen - das gleiche auch für seine Beziehungen zu den religiösen
Mächten der Fall gewesen sein. Ob und in welchem Sinne es etwa der
Fall gewesen ist, das eben soll hier untersucht werden. Denn daß
jene Auffassung des Gelderwerbs als eines den Menschen sich verpflichtenden
Selbstzweckes, als “Beruf”, dem sittlichen Empfinden ganzer Epochen zuwiderlief,
bedarf kaum des Beweises. In dem in das kanonische Recht übergegangenen,
damals (ebenso wie die Stelle des Evangeliums vom Zins )) für echt
gehaltenen Satz “Deo
2. Der “Geist” des Kapitalismus. [57].
placere vix potest”, der von der Tätigkeit des Kaufmanns gebraucht
wurde, in der Bezeichnung des Gewinnstrebens durch
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. I. [58].
Thomas als turpitudo (mit dem selbst das unvermeidliche und daher ethisch
erlaubte Gewinnmacher belegt wurde), lag, gegen-
2. Der “Geist” des Kapitalismus. [59]
über den radikal antichrematistischen Ansichten ziemlich breiter
Kreise, schon ein hoher Grad von Entgegenkommen der katholischen Doktrin
gegenüber den Interessen der mit der Kirche politisch so eng liierten
Geldmächte der italienischen Städte ). Und auch wo die Doktrin
noch mehr sich akkommodierte, wie namentlich etwa bei Antonin von Florenz,
schwand doch die Empfindung niemals ganz, daß es sich bei der auf
Erwerb als Selbstzweck gerichteten Tätigkeit im Grunde um ein pudendum
handle, welches nur die einmal vorhandenen Ordnungen des Lebens zu tolerieren
nötigten. Einzelne damalige Ethiker vor allem der nominalistischen
Schule nahmen die entwickelten Ansätze kapitalistischer Geschäftsformen
als gegeben hin, und suchten sie als statthaft, vor allem den Handel als
nötig, die darin entwickelte “industria” als legitime Gewinnquelle
und ethisch unanstößig zu erweisen: - nicht ohne Widerspruch,
- aber den “Geist” des kapitalistischenn Erwerbes lehnte die herrschende
Lehre als turpitudo ab oder konnte ihn mindestens nicht positiv ethisch
werten. Eine “sittliche” Anschauung wie die Benjamin Franklins wäre
einfach undenkbar gewesen. Dies war vor allem die Auffassung der beteiligten
kapitalistischen Kreise selbst: ihre Lebensarbeit war, wenn sie auf dem
Boden der kirchlichen Tradition standen, günstigenfalls, etwas sittlich
Indifferentes, Toleriertes, aber immerhin schon wegen der steten Gefahr,
mit dem kirchlichen Wucherverbot zu kollidieren, für die Seligkeit
Bedenkliches: ganz erhebliche Summen flossen, wie die Quellen zeigen, beim
Tode reicher Leute als “Gewissensgelder” an kirchliche Institute, unter
Umständen auch zurück an frühere Schuldner als zu Unrecht
ihnen abgenommene “usura”. Anders standen - neben häretischen oder
als bedenklich angesehenen Richtungen - nur die innerlich von der Tradition
schon losgelösten patrizischen Kreise. Aber auch skeptische und unkirchliche
Naturen pflegten, weil es zur Versicherung gegen die Ungewißheiten
des Zustandes nach dem Tode immerhin besser so war und weil ja (wenigstens
nach der sehr verbreiteten laxeren Auffassung) die äußere Unterwerfung
unter die Gebote der
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. I.
[60]
Kirche zur Seligkeit genügte, sich durch Pauschsummen mit ihr
für alle Fälle abzufinden ). Gerade hierin tritt das entweder
Außersittliche oder geradezu Widersittliche, welches nach der
eigenen Auffassung der Beteiligten ihrem Tun anhaftete, deutlich zutage.
Wie ist nun aus diesem, im günstigen Fall, sittlich tolerierten Gebaren
ein “Beruf” im Sinne Benjamin Franklins geworden? Wie ist es historisch
erklärlich, daß im Zentrum der kapitalistischen Entwicklung
der damaligem Welt, in Florenz im 14. und 15. Jahrhundert, dem Geld- und
Kapitalmarkt aller politischen Großmächte, als sittlich bedenklich
oder allenfalls tolerabel galt, was in den hinterwäldlerisch - kleinbürgerlichen
Verhältnissen von Pennsylvanien im 18. Jahrhundert, wo die Wirtschaft
aus purem Geldmangel stets in Naturaltausch zu kollabieren drohte, von
größeren gewerblichen Unternehmungen kaum eine Spur, von Banken
nur die ersten Anfänge zu bemerken waren, als Inhalt einer sittlich
löblichen, ja gebotenem Lebensführung gelten konnte? -
Hier von einer “Wiederspiegelung” der “materiellen” Verhältnisse in
dem “ideellen Ueberbau” reden zu wollen, wäre ja barer Unsinn. - Welchem
Gedankenkreise entstammte also die Einordnung einer äußerlich
rein auf Gewinn gerichteten Tätigkeit unter die Kategorie des “Berufs”,
demgegenüber sich der einzelne verpflichtet fühlte? Denn dieser
Gedanke war es, welcher der Lebensführung des Unternehmers “neuen
Stils” den ethischen Unterbau und Halt gewährte.
Man hat - so namentlich Sombart in oft glücklichen und wirkungsvollen
Ausführungen - als das Grundmotiv der modernen Wirtschaft überhaupt
den “ökonomischen Ratiorialismus” bezeichnet. Mit unzweifelhaftem
Recht, wenn darunter jene Ausweitung der Produktivität der Arbeit,verstanden
wird, welche
2. Der “Geist” des Kapitalismus. [61]
durch die Gliederung des Produktionsprozesses unter wissenschaftlichen
Gesichtspunkten dessen Gebundenheit an die natürlich gegebenen “organischen”
Schranken der menschlichen Person beseitigt hat. Dieser Rationalisierungsprozeß
auf dem Gebiete der Technik und Oekonomik bedingt nun unzweifelhaft auch
einen wichtigen Teil der “Lebensideale” der modernen bürgerlichen
Gesellschaft: die Arbeit im Dienste einer rationalen Gestaltung der materiellen
Güterversorgung der Menschheit hat den Vertretern des “kapitalistischen
Geistes” zweifellos immer auch als einer der richtungweisenden Zwecke ihrer
Lebensarbeit vorgeschwebt. Man braucht z. B. Franklins Schilderung seiner
Bestrebungen im Dienst der kommunalen improvements von Philadelphia nur
zu lesen, um diese sehr selbstverständliche Wahrheit mit Händen
zu greifen. Und die Freude und der Stolz, zahlreichen Menschen “Arbeit
gegeben”, mitgeschaffen zu haben am ökonomischen “Aufblühen”
der Heimatsstadt in jenem, an Volks- und Handelszahlen orientierten, Sinn
des Worts, den der Kapitalismus nun einmal damit verbindet, - dies alles
gehört selbstverständlich zu den spezifischen und unzweifelhaft
“idealistisch” gemeinten Lebensfreude des modernen Unternehmertums. Und
ebenso ist es natürlich eine der fundamentalen Eigenschaften der kapitalistischen
Privatwirtschaft, daß sie auf der Basis streng rechnerischen Kalküls
rationalisiert, planvoll und nüchtern auf den erstrebten wirtschaftlichen
Erfolg ausgerichtet ist, im Gegensatz zu dem von der Hand in den Mund Leben
des Bauern, dem privilegierten Schlendrian des alten Zunfthandwerkers und
dem “Abenteuerkapitalismus”, der an politischer Chance und irrationaler
Spekulation orientiert war,
Es scheint also, als sei die Entwicklung des “kapitalistischen Geistes”
am einfachsten als Teilerscheinung in der Gesamtentwicklung des Rationalismus
zu verstehen und müsse aus dessen prinzipieller Stellung zu den letzten
Lebensproblemen ableitbar sein. Dabei käme also der Protestantismus
nur insoweit historisch in Betracht, als er etwa als “Vorfrucht” rein rationalistischer
Lebensanschauungen eine Rolle gespielt hätte. Allein sobald man ernstlich
den Versuch macht, zeigt sich, daß eine so einfache Problemstellung
schon um deswillen nicht angeht, weil die Geschichte des Rationalismus
keineswegseine auf den einzelnen Lebensgebieten parallel fortschreitende
Entwicklung zeigt. Die Rationalisierung des Privatrechts z. B. ist, wenn
man
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. I.
[62]
sie als begriffliche Vereinfachung und Gliederung des Rechtsstoffes
auffaßt, in ihrer bisher höchsten Form im römischen Recht
des späteren Altertums erreicht, sie blieb am rückständigsten
in einigen der ökonomisch am meisten rationalisierten Länder,
speziell in England, wo die Renaissance des römischen Rechts seinerzeit
an der Macht der großen Juristenzünfte scheiterte, während
seine Herrschaft in den katholischen Gebieten Südeuropas stets fortbestanden
hat. Die rein diesseitige rationale Philosophie hat im 18. Jahrhundert
ihre Stätte durchaus nicht allein oder auch nur vorzugsweise in den
kapitalistisch höchst entwickelten Ländern gefunden. Der Voltairianismus
ist noch heute Gemeingut breiter oberer und - was praktisch wichtiger ist
- mittlerer Schichten gerade in den rommanisch -katholischen Ländern.
Versteht man vollends unter “praktischem Rationalismus” jene Art Lebensführung,
welche die Welt bewußt auf die diesseitigen Interessen des einzelnen
Ich bezieht und von hier aus beurteilt, so war und ist noch heute dieser
Lebensstil erst recht typische Eigenart der Völker des “liberum arbitrium”,
wie es dem Italiener und Franzosen in Fleisch und Blut steckt und wir konnten
uns bereits überzeugen, daß dies keineswegs der Boden ist, auf
welchem jene Beziehung des Menschen auf seinen “Beruf” als Aufgabe, wie
sie der Kapitalismus braucht, vorzugsweise gediehen ist. Man kann eben
- dieser einfache Satz, der oft vergesssen wird, sollte an der Spitze jeder
Studie stehen, die sich mit, “Rationalismus” befaßt - das Leben unter
höchst verschiedenen letzten Gesichtspunkten und nach sehr verschiedenen
Richtungen hin “rationalisieren”. Der “Rationalismus” ist ein historischer
Begriff, der eine Welt von Gegensätzen in sich schließt, und
wir werden gerade zu untersuchen haben, wes Geistes Kind diejenige konkrete
Form “rationalen” Denkens und Lebens war, aus welcher jener “Berufs” -
Gedanke und jenes, - wie wir sahen, vom Standpunkt der rein eudämonistischen
Eigeninteressen aus so irrationale - Sichhingeben an die Berufs- arbeit
erwachsen ist, welches einer der charakteristischsten Bestandteile unserer
kapitalistischen Kultur war und noch immer ist. Uns interessiert hier gerade
die Herkunft jenes irrationalen Elements, welches in diesem wie in jedem
“Berufs” - Begriff liegt.
3. Luthers Berufskonzeption. Aufgabe der Untersuchung. [63]
3.
Nun ist unverkennbar, daß schon in dem deutschen Worte “Beruf”
ebenso wie in vielleicht noch deutlicherer Weise in dem englischen “calling”,
eine religiöse Vorstellung: - die einer von Gott gestellten Aufgabe
- wenigstens mitklingt und, je nachdr&uuuml;cklicher wir auf das Wort im
konkreten Fall den Ton legen, desto fühlbarer wird. Und verfolgen
wir nun das Wort geschichtlich und durch die Kultursprachen hindurch, so
zeigt sich zunächst, daß die vorwiegend katholischen Völker
für das, was wir “Beruf” (im Sinne von Lebensstellung, umgrenztes
Arbeitsgebiet) nennen, einen Ausdruck ähnlicher Färbung ebensowenig
kennen wie das klassische Altertum ), während es bei
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. I.
[64].
allen vorwiegend protestantischen Völkern existiert. Es zeigt
sich ferner, daß nicht irgendeine ethnisch bedingte Eigenart der
M a x W e b e r, Religionssoziologie I.
3. Luthers Berufskonzeption. Aufgabe der Untersuchung. [65]
betreffenden Sprachen, etwa der Ausdruck eines “germanischen Volksgeistes”
dabei beteiligt ist, sondern daß das Wort in seinem heutigen Sinn
aus den Bibelübersetzungen stammt und zwar aus dem Geist der Uebersetzer,
nicht aus dem Geist des Originals ). Es scheint in der lutherischen Bibelübersetzung
zuerst an einer Stelle des Jesus Sirach (11, 20 u. 21) ganz in unserem
heutigen Sinn verwendet zu sein ). Es hat dann sehr
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. I.
[66].
bald in der Profansprache aller protestantischen Völker seine
heutige Bedeutung angenommen, während vorher in der pro-
3. Luthers Berufskonzeption. Aufgabe der Untersuchung. [67].
fanen Literatur keines derselben irgendein Ansatz zu einem derartigen
Wort-sinn zu bemerken war und auch in der Predigt-
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. I.
[68].
Literatur, soviel ersichtlich, nur bei einem der deutschen Mystiker,
deren Einfluß auf Luther bekannt ist.
3. Luthers Berufskonseption. Aufgabe der Untersuchung. [69]
Und wie die Wortbedeutung so ist auch - das dürfte im ganzen ja
bekannt sein - der Gedanke neu und ein Produkt der Reformation. Nicht als
ob gewisse Ansätze zu jener Schätzung der weltlichen Alltagsarbeit,
welche in diesem Berufsbegriff vorliegt, nicht schon im Mittelalter, ja
selbst im (spät-hellenistischen) Altertum, vorhanden gewesen wären:
- davon wird später zu reden sein.. Unbedingt neu war jedenfalls zunächst
eins: die Schätzung der Pflichterfüllung innerhalb der weltlichen
Berufe als des höchsten Inhaltes, den die sittliche Selbstbetätigung
überhaupt annehmen könne. Dies war es, was die Vorstellung von
der religiösen Bedeutung der weltlichen Alltagsarbeit zur unvermeidlichen
Folge hatte und den Berufsbegriff in diesem Sinn erstmalig erzeugte. Es
kommt also in dem Begriff “Beruf” jenes Zentraldogma aller protestantischen
Denominationen zum Ausdruck, welches die katholische Unterscheidung der
christlichen Sittlichkeitsgebote in “praecepta” und “consilia” verwirft
und als das einzige Mittel, Gott wohlgefällig zu leben, nicht eine
Ueberbietung der inner - weltlichen Sittlichkeit durch mönchische
Askese, sondern ausschließlich die Erfüllung der innerweltlichen
Pflichten kennt, wie sie sich aus der Lebensstellung des einzelnen ergeben,
die dadurch eben sein “Beruf” wird.
Bei Luther ) entwickelt dieser Gedanke sich im Laufe des ersten Jahrzehntes
seiner reformatorischen Tätigkeit. Anfangs
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. I.
[70]
gehört ihm, durchaus im Sinne der vorwiegenden mittelalterlichen
Tradition, wie sie z. B. Thomas von Aquino repräsentiert ), die weltliche
Arbeit, obwohl von Gott gewollt, zum Kreatürlichen, sie ist die unentbehrliche
Naturgrundlage des Glaubenslebens, sittlich an sich indifferent wie Essen
und Trinken ). Aber mit
3. Luthers Berufskonzeption. Aufgabe der Untersuchung. [71]
der klareren Durchführung des “sola - fide” - Gedankens in seinen
Konsequenzen
und mit dem dadurch gegebenen, mit steigender Schärfe betonten
Gegensatz gegen die “vom Teufel diktierten” katholischen “evangelischen
Ratschläge” des Mönchtums steigt die Bedeutung des Berufs. Die
mönchische Lebensführung ist nun nicht nur zur Rechtfertigung
vor Gott selbstverständlich gänzlich wertlos, sondern sie gilt
ihm auch als Produkt egoistischer, den Weltpflichten sich entziehender
Lieblosigkeit. Im Kontrast dazu erscheint die weltliche Berufsarbeit als
äußerer Ausdruck der Nächstenliebe und dies wird in allerdings
höchst weltfremder Art und in einem fast grotesken Gegensatz zu Adam
Smiths bekannten Sätzen ) insbesondere durch den Hinweis darauf begründet,
daß die Arbeitsteilung jeden einzelnen zwinge, für andere zu
arbeiten. Indessen diese, wie rnan sieht, wesentlich scholastische Begründung
verschwindet bald wieder und es bleibt, mit steigendem Nachdruck betont,
der Hinweis darauf, daß die Erfüllung der innerweltlichen Pflichten
unter allen Umständen der einzige Weg sei, Gott wohlzugefallen, daß
sie und nur sie Gottes Wille sei und daß deshalb jeder erlaubte Beruf
vor Gott schlechterdings gleich viel gelte ).
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. I.
[72]
Daß diese sittliche Qualifizierung des weltlichen Berufslebens
eine der folgenschwersten Leistungen der Reformation und also speziell
Luthers war, ist in der Tat zweifellos und darf nachgerade als ein Gemeinplatz
gelten ). Weltenfern steht diese Auffassung dem tiefen Haß, mit welchem
Pascals kontemplative Stimmung die, nach seiner tiefsten Ueberzeugung,
nur aus Eitelkeit oder Schlauheit überhaupt erklärbare, Schätzung
des Wirkens in der Welt von sich wies ), - noch ferner freilich der weitherzigen
utilitarischen Anpassung an die Welt, welche der jesuitische Probabilismus
vollzog. Aber wie nun im einzelnen die praktische Bedeutung jener Leistung
des Protestantismus vorzustellen sei, das wird im allgemeinen wohl mehr
dunkel empfunden als klar erkannt.
Zunächst ist kaum nötig zu konstatieren, daß nicht
etwa Luther als mit dem kapitalistischen Geiste in dem Sinne, den wir hier
bisher mit diesem Wort verbunden haben, - oder, übrigens: in irgendeinem
Sinn überhaupt - innerlich verwandt angesprochen werden darf. Schon
diejenigen kirchlichen Kreise, welche jene “Tat” der Reformation am eifrigsten
zu rühmen pflegen, sind im ganzen heute keineswegs Freunde des Kapitalismus
in irgendeinem Sinne. Erst recht aber würde Luther selbst ohne allen
Zweifel jede Verwandtschaft mit einer Gesinnung, wie sie bei Franklin zutage
tritt, schroff abgelehnt haben. Natürlich darf man hier nicht seine
Klagen über die großen Kaufleute, die Fugger ) u. dgl. als Symptom
heranziehen. Denn der Kampf
3. Luthers Berufskonzeption. Aufgabe der Untersuchung. [73]
gegen die rechtlich oder faktisch privilegierte Stellung einzelner
großer Handelskompagnien im 16. und 17. Jahrhundert kann am ehesten
dem modernen Feldzug gegen die Trusts verglichen werden und ist ebensowenig
wie dieser schon an sich Ausdruck traditionalistischer Gesinnung. Gegen
diese, gegen die Lombarden, die “Trapeziten”, die vom Anglikanismus, den
Königen und Parlamenten in England und Frankreich begünstigten
Monopolisten, Großspekulanten und Bankiers führten auch die
Puritaner ebenso wie die Hugenotten einen erbitterten Kampf ). Cromwell
schrieb nach der Schlacht von Dunbar (Sept: 1650) an das Lange Parlament:
“Bitte stellt die Mißbräuche aller Berufe ab, und gibt es einen,
der viele arm macht, um wenige reich zu machen: das frommt einem Gemeinwesen
nicht”, - dagegen wird man ihn andererseits von ganz spezifisch “kapitalistischer”
Denkweise erfüllt finden ). Unzweideutig tritt dagegen
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. I.
[74]
in Luthers zahlreichen Aeußerungen gegen den Wucher und das Zinsennehmen
überhaupt seine, gegenüber der Spätscholastik, direkt (vom
kapitalistischen Standpunkt aus) “rückständige” Vorstellungsweise
vom Wesen des kapitalistischen Erwerbes hervor ). Speziell das z. B. bei
Antonin von Florenz bereits überwundene Argument von der Unproduktivität
des Geldes gehört natürlich dahin. Doch brauchen wir hier in
Einzelheiten gar nicht einzugehen, - denn vor allem: der Gedanke des “Berufes”
im religiösen Sinn war in seinen Konsequenzen für die innenweltliche
Lebensführung sehr verschiedener Gestaltung fähig. Die Leistung
der Reformation als solcher war zunächst nur, daß, im Kontrast
gegen die katholische Auffassung, der sittliche Akzent und die religiöse
Prämie für die innenweltliche, beruflich geordnete Arbeit mächtig
schwoll. Wie der “Berufs” - Gedanke, der dies zum Ausdruck brachte, weiter
entwickelt wurde, das hing von der näheren Ausprägung der Frömmigkeit
ab, wie sie nunmehr in den einzelnen Reformationskirchen sich entfaltete.
Die Autorität der Bibel, aus der Luther den Berufsgedanken zu entnehmen
glaubte, war nun an sich im ganzen einer traditionalistischen Windung günstiger.
Speziell das Alte Testament, welches eine Ueberbietung der innenweltlichen
Sittlichkeit in der genuinen Prophetie gar nicht und auch sonst nur in
ganz vereinzelten Rudimenten und Ansätzen kannte, hat einen ganz ähnlichen
religiösen Gedanken streng in diesem Sinn gestaltet: ein jeder bleibe
bei seiner “Nahrung” und lasse die Gottlosen nach Gewinn streben: das ist
der Sinn aller der Stellen, welche direkt von weltlicher Hantierung handeln.
Erst der Talmud steht darin teilweise - aber auch nicht grundsätzlich
- auf anderem Boden. Die persönlicche Stellung von Jesus ist mit der
typisch antik - orientalischen Bitte: “Unser täglich Brot gib uns
heute” in klassischer Reinheit gekennzeichnet und der Einschlag von radikaler
Welt - Ablehnung, wie er in dem “???????????????????” zum Ausdruck gelangt,
schloß jede direkte, Anknüpfung des
3. Luthers Berufskonzeption. Aufgabe der Untersuchung. [75]
modernen Berufsgedankens an ihn persönlich aus ). Das im Neuen
Testament zum Wort gelangende apostolische Zeitalter des Christentums,
speziell auch Paulus, steht dem weltlichen Berufsleben, infolge der eschatologischen
Erwartungen, die jene ersten Generationen von Christen erfüllten,
entweder indifferent oder ebenfalls wesentlich traditionalistisch gegenüber:
da alles auf das Kommen des Herrn wartet, so mag jeder in dem Stande und
in der weltlichen Hantierung bleiben, in der ihn der “Ruf” des Herrn gefunden
hat und arbeiten, wie bisher: so fällt er den Brüdern nicht als
Armer lästig, - und es ist ja nur noch eine kurze Weile. Luther las
die Bibel durch die Brille seiner jeweiligen Gesamtstimmung und diese ist
im Lauf seiner Entwicklung zwischen etwa 1518 und etwa 1530 nicht nur traditionalistisch
geblieben, sondern immer traditionalistischer ge-worden ).
In den ersten Jahren seiner reformatorischen Tätigkeit herrschte
bei ihm, infolge der wesentlich kreatürlichen Schätzung des Berufes,
in bezug auf die Art der innenweltlichen Tätigkeit eine der paulinischen
eschatologischen Indifferenz, wie sie I Kor. 7 zum Ausdruck kommt ), innerlich
verwandte Anschauung vor:
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. I.
[76]
man kann in jedem Stande selig werden, es ist auf der kurzen Pilgerfahrt
des Lebens sinnlos, auf die Art des Berufes Gewicht zu legen. Und das Streben
nach materiellem Gewinn, der den eigenen Bedarf übersteigt, muß
deshalb als Symptom mangelnden Gnadenstandes und, da es ja nur auf Kosten
anderer möglich erscheint, direkt als verwerflich gelten ). Mit steigender
Verflechtung in die Händel der Welt geht steigende Schätzung
der Bedeutung der Berufsarbeit Hand in Hand. Damit zugleich wird ihm aber
nun der konkrete Beruf des einzelnen zunehmend zu einem speziellen Befehl
Gottes an ihn, diese konkrete Stellung; in die ihn göttliche Fügung
gewiesen hat, zu erfüllen. Und als nach den Kämpfen mit den “Schwarmgeistern”
und den Bauernunruhen die objektive historische Ordnung, in die der einzelne
von Gott hineingestellt ist, für Luther immer mehr zum direkten Ausfluß
göttlichen Willens wird ), führt die nunmehr immer stärkere
Betonung des Providentiellen auch in den Einzelvorgängen des Lebens
zunehmend zu einer dem “Schickungs” - Gedanken entsprechenden traditionalistischen
Färbung: der einzelne soll grundsätzlich in dem Beruf und Stand
bleiben, in den ihn Gott einmal gestellt hat, und sein irdisches Streben
in den Schranken dieser seiner gegebenen Lebensstellung halten. War der
ökonomische Traditionalismus anfangs Ergebnis paulinischer Indifferenz,
so ist er also später Ausfluß des immer intensiver gewordenen
Vorsehungsglaubens ), der
3. Luthers Berufskonzeption. Aufgabe der Untersuchung. [77]
den bedingungslosen Gehorsam gegen Gott ) mit der bedingungslosen Fügung
in die gegebene Lage identifiziert. Zu einer auf grundsätzlich neuer
oder überhaupt prinzipieller Grundlage ruhenden Verknüpfung der
Berufsarbeit mit religiösen Prinzipien ist Luther auf diese Art überhaupt
nicht gelangt ). Die Reinheit der Lehre als einzig unfehlbares Kriterium
der Kirche, wie sie nach den Kämpfen der 20er Jahre bei ihm immer
unverrückbarer feststand, hemmte an sieh schon die Entwicklung neuer
Gesichtspunkte auf dem ethischen Gebiet.
So blieb also bei Luther der Berufsbegriff traditionalistisch gebunden
). Der Beruf ist das, was der Mensch als göttliche
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. I. [78]
Fügung hinzunehmen, worein er sich “zu schicken” hat - diese Färbung
übertönt den auch vorhandenen anderen Gedanken, daß die
Berufsarbeit eine oder vielmehr die von Gott gestellte Aufgabe sei ). Und
die Entwicklung des orthodoxen Luthertums unterstrich diesen Zug noch weiter.
Etwas Negatives: Wegfall der Ueberbietung der innerweltlichen durch asketische
Pflichten, verbunden aber mit Predigt des Gehorsams gegen die Obrigkeit
und der Schickung in die gegebene Lebenslage, war hier also zunächst
der einzige ethische Ertrag ). - Es war, wie bei Besprechung der mittelalterlichen
religiösen Ethik noch zu erörtern sein wird, dem Berufsgedanken
in dieser lutherischen Prägung bei den deutschen Mystikern schon weitgehend
vorgearbeitet, namentlich durch die prinzipielle Gleichwertung geistlicher
und weltlicher Berufe bei Tanler und die geringere Bewertung der überlieferten
Formen asketischen Werkverdiensts ) infolge der allein entscheidenden Bedeutung
der ekstatisch - kontemplativen Aufnahme des göttlichen Geistes durch
3. Luthers Berufskonzeption. Aufgabe der Untersuchung. [79]
die Seele. Das Luthertum bedeutet sogar in einem bestimmten Sinne gegenüber
den Mystikern einen Rückschritt, insofern bei Luther - und mehr noch
bei seiner Kirche - die psychologischen Unterlagen für eine rationale
Berufsethik gegenüber den Mystikern (deren Anschauungen über
diesen Punkt mehrfach teils an die pietistische, teils an die quäkerische
Glaubenspsychologie erinnern )) ziemlich unsichere geworden sind und zwar,
wie noch zu zeigen sein wird, gerade weilder Zug zur asketischen Selbstdisziplinierung
ihm als Werkheiligkeit verdächtig war und daher in seiner Kirche immer
mehr in den Hintergrund treten mußte.
Der bloße Gedanke des “Berufes” im lutherischen Sinn also - das
allein sollte schon hier festgestellt werden ) - war, soviel wir bisher
sehen können, von jedenfalls nur problematischer Tragweite für
das, was wir suchen. Damit ist nun nicht im mindesten gesagt, daß
eine praktische Bedeutung auch der lutherischen Form der Neuordnung des
religiösen Lebens für die Gegenstände unserer Betrachtung
nicht bestanden hätte. Ganz im Gegenteil. Nur ist sie offenbar nicht
unmittelbar aus der Stellung Luthersund seiner Kirche zum weltlichen Beruf
ableitbar und überhaupt nicht so leicht greifbar wie dies vielleicht
bei anderen Ausprägungen des Protestantismus der Fall sein könnte.
Es empfiehlt sich daher für uns, zunächst solche Formen desselben
zu betrachten, bei denen ein Zusammenhang der Lebenspraxis mit dem religiösen
Ausgangspunkt leichter als beim Luthertum zu ermitteln ist. Schon früher
wurde nun die auffällige Rolle des Calvinismus und der protestantischen
Sekten in der Geschichte der kapitalistischen Entwicklung erwähnt.
Wie Luther in Zwingli einen “anderen Geist” lebendig fand als bei sich
selbst, so seine geistigen Nachfahren speziell im Calvinismus. Und erst
recht hat der Katholizismus von jeher, und bis in die Gegenwart, den Calvinismus
als den eigentlichen Gegner betrachtet. Zunächst hat das ja nun rein
politische Gründe: wenn die Reformation ohne Luthers ganz persönliche
religiöse Entwicklung nicht vorstellbar und geistig dauernd von seiner
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. I.
[80]
Persönlichkeit bestimmt worden ist, so wäre ohne den Calvinismus
doch sein Werk nicht von äußerer Dauer gewesen. - Aber der Grund
des. Katholiken und Lutheranern gemeinsamen, Abscheues liegt doch auch
in der ethischen Eigenart des Calvinismus begründet. Schon der oberflächlichste
Blick lehrt, daß hier eine ganz andersartige Beziehung zwischen religiösem
Leben und irdischem Handeln hergestellt ist, als sowohl im Katholizismus
wie im Luthertum. Selbst in der nur spezifisch religiöse Motive verwendenden
Literatur tritt das hervor. Man nehme etwa den Schluß der Divina
Commedia, wo dem Dichter im Paradiese im wunschlosen Schauen der Geheimnisse
Gottes die Sprache versagt, und halte daneben den Schluß jenes Gedichtes,
welches man die “Göttliche Komödie des Puritanismus” zu nennen
sich gewöhnt hat. Milton schließt den letzten Gesang des “Paradise
lost” nach der Schilderung der Ausstoßungaus dem Paradiese wie folgt:
“Sie wandten sich und sah'n des Paradieses
Oestlichen Teil, - noch jüngst ihr sel'ger Sitz -
Von Flammengluten furchtbar überwallt,
Die Pforte selbst von riesigen Gestalten,
Mit Feuerwaffen in der Hand, umschart.
Sie fühlten langsam Tränen niederperlen,
Jedoch sie trockneten die Wangen bald:
Vor ihnen lag die große weite Welt.
Wo sie den Ruheplatz sich wählen konnten,
Die Vorsehung des Herrn als Führerin.
Sie wanderten mit langsam zagem Schritt
Und Hand in Hand aus Eden ihres Weges.”
Und wenig vorher hatte Michael zu Adam gesagt:
“ . . . . . Nur füge zu dem Wissen auch die Tat;
Dann füge Glauben, Tugend und Geduld
Und Mäßigkeit hinzu und jene Liebe,
Die einst als christliche gepriesen wird,
Und, Seele wird von allen Tugenden.
Dann läßt du ungern nicht dies Paradies,
Du trägst in dir ja ein viel Sel'geres.”
Jeder empfindet sofort, daß dieser mächtigste Ausdruck der
einsten puritanischen Weltzugewendetheit, das heißt: Wertung des
innerweltlichen Lebens als Aufgabe, im Munde eines mittelalterlichen Schriftstellers
unmöglich gewesen wäre. Aber auch dem Luthertum, wie es etwa
in Luthers und Paul Gerhards Chorälen sich gibt, ist er ganz ebenso
wenig kongenial. An die Stelle dieser unbestimmten Empfindung gilt es nun
hier eine etwas genauere gedankliche Formulierung zu setzen und
M a x W e b e r, Religionssoziologie I.
3. Luthers Berufskonzeption. Aufgabe der Untersuchung. [81]
nach den inneren Gründen dieser Unterschiede zu fragen. Die Berufung
auf den “Volkscharakter” ist nicht nur überhaupt lediglich das Bekenntnis
des Nicht- wissens, sondern in unserem Fall auch gänzlich hinfällig.
Den Engländern des 17. Jahrhunderts einen einheitlichen “Volkscharakter”
zuzuschreiben wäre einfach historisch unrichtig. “Kavaliere” und “Rundköpfe”
empfanden sich nicht einfach als zwei Parteien, sondern als radikal verschiedene
Menschengattungen, und wer aufmerksam zusieht, muß ihnen darin recht
geben ). Und andrerseits: ein charakterologischer Gegensatz der englischen
merchant adventurers gegen die alten Hanseaten ist ebensowenig auffindbar,
wie überhaupt ein anderer tiefergehender Unterschied englischer von
deutscher Eigenart am Ende des Mittelalters zu konstatieren ist, als er
sich durch die verschiedenen politischen Schicksale unmittelbar erklären
läßt ). Erst die Macht religiöser Bewegungen - nicht sie
allein, aber sie zuerst - hat hier jene Unferschiede geschaffen, die wir
heute empfinden ).
Wenn wir demgemäß bei der Untersuchung der Beziehungen zwischen
der altprotestantischen Ethik und der Entwicklung des kapitalistischen
Geistes von den Schöpfungen Calvins, des Calvinismus und der andern
“puritanischen” Sekten ausgehen, so darf das nun aber nicht dahin verstanden
werden, als erwarteten wir, dag bei einem der Gründer oder Vertreter
dieser Religionsgemeinschaften die Erweckung dessen, was wir hier “kapitalistischen
Geist” nennen, in irgendeinem Sinn als Zielseiner Lebensarbeit vorzufinden.
Daß das Streben nach weltlichen Gütern, als Selbstzweck gedacht,
irgendeinem von ihnen
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. I.
[82]
geradezu als ethischer Wert gegolten hätte, werden wir nicht wohl
glauben können. Und es ist überhaupt vor allem eins ein für
allemal festzuhalten: ethische Reformprogramme sind bei keinem der Reformatoren
- zu denen wir für unsere Betrachttung auch Männer wie Menno,
George Fox, Wesley zu rechnen haben - jemals der zentrale Gesichtspunkt
gewesen. Sie waren keine Gründer von Gesellschaften für “ethische
Kultur” oder Vertreter humanitärer sozialer Reformbestrebungen oder
Kulturideale. Das Seelenheil und dies allein war der Angelpunkt ihres Lebens
und Wirkens. Ihre ethischen Ziele und die praktischen Wirkungen ihrer Lehre
waren alle hier verankert und nur Konsequenzen rein religiöser Motive.
Und wir werden deshalb darauf gefaßt sein müssen, daß
die Kulturwirkungen der Reformation zum guten Teil - vielleicht sogar für
unsere speziellen Gesichtspunkte überwiegend - unvorhergesehene und
geradezu ungewollteFolgen der Arbeit der Reformatoren waren, oft weit abliegend
oder geradezu im Gegensatz stehend zu allem, was ihnen selbst vorschwebte.
So könnte die nachfolgende Studie an ihrem freilich bescheidenen
Teil vielleicht auch einen Beitrag bilden zur Veranschaulichung der Art,
in der überhaupt die “Ideen” in der Geschichte wirksam werden. Damit
aber nicht schon von vornherein Mißverständnisse über den
Sinn, in dem hier ein solches Wirksamwerden rein ideeller Motive überhaupt
behauptet wird, entstehen, mögen darüber als Abschluß dieser
einleitenden Erörterungen noch einige wenige Andeutungen gestattet
sein.
Es handelt sich bei solchen Studien - wie vor allem ausdrücklich
bemerkt sein mag - in keiner Weise um den Versuch, den Gedankengehalt der
Reformation in irgendeinem Sinn, sei es sozialpolitisch, sei es religiös
zu werten. Wir haben es für unsere Zwecke stets mit Seiten der Reformation
zu tun, welche dem eigentlich religiösen Bewußtsein als peripherisch
und geradezu äußerlich erscheinen müssen. Denn es soll
ja lediglich unternommen werden, den Einschlag, welchen religiöse
Motive in das Gewebe der Entwicklung unserer aus zahllosen historischen
Einzelmotiven erwachsenen modernen spezifisch “diesseitig” gerichteten
Kultur geliefert haben, etwas deutlicher zu machen. Wir fragen also lediglich,
was von gewissen charakteristischen Inhalten dieser Kultur dem Einfluß
der Reformation als historischer Ursache etwa zuzurechnen sein möchte.
Dabei
3. Luthers Berufskonzeption. Aufgabe der Untersuchung. [83]
müssen wir uns freilich von der Ansicht emanzipieren: man könne
aus ökonomischen Verschiebungen die Reformation als “entwicklungsgeschichtlich
notwendig” deduzieren. Ungezählte historische Konstellationen, die
nicht nur in kein “ökonomisches Gesetz”, sondern überhaupt in
keinen ökonomischen Gesichtspunkt irgendwelcher Art sich einfügen,
namentlich rein politische Vorgänge, mußten zusammenwirken,
damit die neu geschaffenen Kirchen überhaupt fortzubestehen vermochten.
Aber andererseits soll ganz und gar nicht eine so töricht -doktrinäre
These ) verfochten werden wie etwa die: daß der “kapitalistische
Geist” (immer in dem provisorisch hier verwendeten Sinn dieses Wortes)
nur als Ausfluß bestimmter Einflüsse der Reformation habe entstehen
können oder wohl gar: daß der Kapitalismus als Wirtschaftssystem
ein Erzeugnis der Reformation sei. Schon daß gewisse wichtige Formen
kapitalistischen Geschäftsbetriebs notorisch erheblich älter
sind als die Reformation, stände einer solchen Ansicht ein für
allemal im Wege. Sondern es soll nur festgestellt werden: ob und wieweit
religiöse Einflüsse bei der qualitativen Prägung und quantitativen
Expansion jenes “Geistes” über die Welt hin mit beteiligt gewesen
sind und welche konkreten Seiten der auf kapitalistischer Basis ruhenden
Kulturauf sie zurückgehen. Dabei kann nun angesichts des ungeheuren
Gewirrs gegenseitiger Beeinflussungen zwischen den materiellen Unterlagen,
den sozialen und politischen Organisationsformen und dem geistigen Gehalte
der reformatorischen Kulturepochen nur so verfahren werden, daß zunächst
untersucht wird, ob und in welchen Punkten bestimmte “Wahlverwandtschaften”
zwischen gewissen Formen des religiösen Glaubens und der Berufsethik
erkennbar sind. Damit wird zugleich die Art und allgemeine Richtung, in
welcher infolge solcher Wahlverwandtschaften die religiöse Bewegung
auf die Entwicklung der materiellen Kultur einwirkte, nach Möglichkeit
verdeutlicht. Als dannerst, wenn dies leidlich eindeutig feststeht, könnte
der Versuch gemacht werden, abzuschätzen, in welchem Maße moderne
Kulturinhalte in ihrer geschichtlichen Entstehung jenen religiösen
Motiven und inwieweit anderen zuzurechnen sind.
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. II.
[84]
II. Die Berufsethik des asketischen Protestantismus.
Inhalt: 1. Die religiösen Grundlagen der innerweltlichen Askese S. 84. - 2. Askese und kapitalistischer Geist S. 163.
I.
Die geschichtlichen Träger des asketischen Protestantismus (im
hier gebrauchten Sinn des Ausdrucks) sind in der Hauptsache viererlei:
1. der Calvinismus in der Gestalt, welche er in den westeuropäischen
Hauptgebieten seiner Herrschaft im Lauf insbesondere des 17. Jahrhunderts
annahm; 2. der Pietismus; 3. der Methodismus; 4. die aus der täuferischen
Bewegung hervorgewachsenen Sekten ). Keine dieser Bewegungen stand der
anderen absolut gesondert gegenüber und auch die Absonderung von den
nicht asketischen Reformationskirchen ist keine streng durchgeführte.
Der Methodismus ist erst in der Mitte des 18. Jahrhunderts innerhalb der
englischen Staatskirche entstanden, wollte nach der Absicht seiner Begründer
nicht sowohl eine neue Kirche, als eine Neuerweckung des asketischen Geistes
innerhalb der alten sein, und wurde erst im Lauf seiner Entwicklung, insbesondere
beim Uebergreifen nach Amerika, von der anglikanischen Kirche getrennt.
Der Pietismus ist auf dem Boden des Calvinismus in England und besonders
Holland zuerst erwachsen, blieb durch ganz unmerkliche Uebergänge
mit der Orthodoxie verknüpft, und vollzog dann gegen Ende des 17.
Jahrhunderts in der Wirksamkeit Speners seinen Eintritt in das Luthertum,
teilweise dogmatisch umfundamentiert. Er blieb eine Bewegung innerhalb
der Kirche und nur die an Zinzendorf anknüpfende durch Nachklänge
hussitischer und calvinistischer Einflüsse in
Die religiösen Grundlagen der innenweltlichen Askese. [85]
der mährischen Brüdergemeinde mitbestimmte Richtung (“Herrnhuter”)
wurde, wie der Methodismus, gegen ihren Willen zu einer eigentümlichen
Art von Sektenbildung gedrängt. Calvinismus und Täufertum standen
im Anfang ihrer Entwicklung sich schroff getrennt gegenüber, aber
im Baptismus des späteren 17. Jahrhunderts berührten sie einander
dicht, und schon in den indepedentischen Sekten Englands und Hollands zu
Anfang desselben war der Uebergang ein stufenweiser. Wie der Pietismus
zeigt, ist auch der Uebergang zum Luthertum ein allmählicher, und
ebenso steht es zwischen dem Calvinismus und der in ihrem äußeren
Charakter und dem Geist ihrer konsequentesten Bekenner dem Katholizismus
verwandten anglikanischen Kirche. Jene asketische Bewegung, welche im weitesten
Sinn dieses vieldeutigen Wortes als “Puritanismus” bezeichnet wurde ),
griff zwar in der Masse ihrer Anhänger und namentlich in ihren konsequenten
Verfechtern die Grundlagen des Anglikanismus an, aber auch hier verschärften
sich die Gegensätze erst allmählich im Dampf. Und auch wenn wir
die hier zunächst nicht interessierenden Fragen der Verfassung und
Organisation vorerst gänzlich beiseite lassen - ja dann erst recht
- bleibt der Sachverhalt der gleiche. DDie dogmatischen Differenzen, selbst
die wichtigsten, wie die über die Prädestinations- und Rechtfertigungslehre,
gingen in den mannigfaltigsten Kombinationen ineinander über und hinderten
schon zu Anfang des 17. Jahrhunderts die Aufrechterhaltung kirchlicher
Gemeinschaft zwar regelmäßig, aber doch nicht ausnahmslos. Und
vor allem: die für uns wichtigen Erscheinungen der sitt-lichen Lebensführung
finden sich bei den Anhängern der verschiedensten, aus einer der oben
verzeichneten vier Quellen oder einer Kombination mehrerer von ihnen hervorgegangenen
Denominationen in gleichartiger Weise. Wir werden sehen, daß ähnliche
ethische Maximen mit verschiedenen dogmatischen Unterlagen verknüpft
sein konnten. Auch die für den Betrieb der Seelsorge bestimmten einflußreichen
literarischen Hilfsmittel, vor allem die casuistischen
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. II.
[86]
Kompendien der verschiedenen Konfessionen, beeinflußten sich
im Lauf der Zeit gegenseitig, und man findet in ihnen große Aehnlichkeiten
trotz notorisch sehr verschiedener Praxis der Lebensführung. Es könnte
also fast scheinen, als täten wir am besten, die dogmatischen Unterlagen
ebenso wie die ethische Theorie ganz zu ignorieren und uns rein an die
sittliche Praxis zu halten, soweit sie feststellbar ist. - Allein dem ist
eben dennoch nicht so. Die untereinander verschiedenen dogmatischen Wurzeln
der asketischen Sittlichkeit starben freilich, nach fürchterlichen
Kämpfen, ab, Aber die ursprüngliche Verankerung an jenen Dogmen
hat nicht nur in der “undogmatischen” späteren Ethik mächtige
Spuren hinterlassen, sondern nur die Kenntnis des ursprünglichen Gedankengehalts
lehrt verstehen, wie jene Sittlichkeit mit dem die innerlichsten Menschen
jener Zeit absolut beherrschenden Gedanken an das Jenseits verknüpft
war, ohne dessen alles überragende Macht damals keinerlei die Lebenspraxis
ernstlich beeinflussende sittliche Erneuerung ins Werk gesetzt worden ist.
Denn selbstverständlich nicht auf das, was etwa in ethischen Kompendien
der Zeit theoretisch und offiziell gelehrt wurde, - so gewiß auch
dies durch den Einfluß von Kirchenzucht, Seelsorge und Predigt praktische
Bedeutung hatte, - kommt es für uns an ), sondern
auf etwas ganz anderes auf die Ermittelung derjenigen durch den religiösen
Glauben und die Praxis des religiösen Lebens geschaffenen psychologischen
Antriebe, welche der Lebensführung die Richtung wiesen und das Individuum
in ihr festhielten. Diese Antriebe aber entsprangen nun einmal in hohem
Maß auch der Eigenart der religiösen Glaubensvorstellungen.
Der damalige Mensch grübelte über scheinbar abstrakte Dogmen
in einem Maße, welches seinerseits wieder nur verständlich wird,
wenn wir deren Zusammenhang mit praktisch - religiösen Interessen
durchschauen. Der Weg durch einige dogmatische Betrachtungen ), welcher
dem nicht theo-
I. Die religiösen Grundlagen der innerweltlichen Askese.
[87]
logischen Leser ebenso mühsam wie dem theologisch Gebildeten hastig
und oberflächlich erscheinen muß, ist unvermeidlich. Dabei können
wir freilich nur so verfahren, daß wir die religiösen Gedanken
in einer “idealtypisch” kompilierten Konsequenz vor führen, wie sie
in der historischen Realität nur selten anzutreffen war. Denn gerade
wegen der Unmöglichkeit, in der historischen Wirklichkeit scharfe
Grenzen zu ziehen, können wir nur bei Untersuchung ihrer konsequentesten
Formen hoffen, auf ihre spezifischen Wirkungen zu stoßen.
Der Glaube ) nun, um welchen in den kapitalistisch höchst entwickelten
Kulturländern: den Niederlanden, England, Frank-
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. II.
[88]
reich im 16. und 17. Jahrhundert die großen politischen und Kulturkämpfe
geführt worden sind und dem wir uns deshalb zuerst zuwenden, war der
Cal-vinismus ). Als sein am meisten
I. Die religiösen Grundlagen der innerweltlichen Askese.
[89]
charakteristisches Dogma galt damals und gilt im allgemeinen auch heute
die Lehre von der Gnadenwahl. Man hat zwar darüber gestritten, ob
sie “das wesentlichste” Dogma der reformierten Kirche oder ein “Anhängsel”
sei. Urteile über die Wesentlichkeit einer historischen Erscheinung
sind nun aber entweder Wert- und Glaubensurteile - dann nämlich, wenn
das an ihr allein “Interessierende” oder allein dauernd “Wertvolle” damit
gemeint ist. Oder es ist das wegen seines Einflusses auf andere historische
Hergänge kausal Bedeutsame gemeint: dann handelt es sich um historische
Zurechnungsurteile. Geht man nun, wie dies hier zu geschehen hat, von diesem
letzteren Gesichtspunkt aus und fragt also nach der Bedeutung, welche jenem
Dogma nach seinen kulturgeschichtlichen Wirkungen zuzumessen ist, so müssen
diese sicherlich hoch angeschlagen werden ). Der Kulturkampf, den Oldenbarneveldt
führte, zerschellte an ihm, die Spaltung in der englischen Kirche
wurde unter Jakob 1. unüberbrückbar, seit Krone und Puritanismus
auch dogmatisch - eben über diese Lehre - differierten, und überhaupt
wurde sie in erster Linie als das Staatsgefährliche am Calvinismus
aufgefaßt und obrigkeitlich bekämpft ). Die großen Synoden
des 17. Jahrhunderts, vor allem Dordrecht und Westminster, daneben zahlreiche
kleinere, stellten ihre Erhebung zu kanonischer Gültigkeit
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. II.
[90]
in den Mittelpunkt ihrer Arbeit; unzähligen der Helden der “ecclesia
militans” hat sie als fester Halt gedient und im 18. ebenso wie im 19.
Jahrhundert hat sie Kirchenspaltungen hervorgerufen und bei großen
Neuerweckungen das Schlachtgeschrei abgegeben. Wir können an ihr nicht
vorbeigehen und lernen zunächst ihren Inhalt, - da er heute nicht
mehr als jedem Gebildeten bekannt gelten darf, - authentisch aus den Sätzen
der “Westminster confession” von 1647 kennen, welche in diesem Punkt sowohl
von independentischen als von baptistischen Glaubensbekenntnissen einfach
wiederholt worden ist )
Kapitel 9. (Vom freien Willen.) Nr. 3: Der Mensch hat durch seinen
Fall in den Stand der Sünde gänzlich alle Fähigkeit seines
Willens zu irgend etwas geistlich Gutem und die Seligkeit mit sich Führendem
verloren, so sehr, daß ein natürlicher Mensch, als gänzlich
abgewandt vom Guten und tot in Sünde, nicht fähig ist sich zu
bekehren oder sich auch nur dafür vorzubereiten.
Kapitel 3. (Von Gottes ewigem Ratschluß.) Nr. 3: Gott hat zur
Offenbarung seiner Herrlichkeit durch seinen Beschluß einige Menschen
. . . . . bestimmt (predestinated) zu ewigem Leben und andere verordnet
(foreordained) zu ewigem Tode. Nr. 5: Diejenigen aus dem Menschengeschlecht,
welche bestimmt sind zum Leben, hat Gott, bevor der Grund der Welt gelegt
wurde, nach seinem ewigen und unveränderlichen Vorsatz und dem geheimen
Ratschluß und der Willkür seines Willens erwählt in Christus
zu ewiger Herrlichkeit, und dies aus reiner freier Gnade und Liebe, nicht
etwa so, daß die Voraussicht von Glauben oder guten Werken oder Beharrlichkeit
in einem von beiden, oder irgend etwas anderes in den Geschöpfen,
als Bedingung oder Ursache, ihn dazu bewogen hätten, sondern alles
zum Preise seiner herrlichen Gnade. Nr. 7: Es gefiel Gott, die übrigen
des Menschengeschlechts gemäß dem unerforschlichen Rat seines
Willens, wonach er Gnade erteilt oder vorenthält, wie es ihm gefällt,
zur Verherrlichung seiner unumschränkten Macht über seine Geschöpfe
zu übergehen und sie zu ordnen zu Unehre und Zorn für ihre Sünde,
zum Preise seiner herrlichen Gerechtigkeit.
Kapitel 10. (Von wirksamer Berufung.) Nr. 1: Es gefällt Gott,
alle die, welche er bestimmt hat zum Leben, und nur sie, zu der von ihm
festgesetzten und passenden Zeit durch sein Wort und seinen Geist wirksam
zu berufen . . . indem er hinwegnimmt ihr steinernes Herz und ihnen gibt
ein fleischernes Herz, indem er ihren Willen erneuert und durch seine allmächtige
Kraft sie für das, was gut ist, entscheidet . . . . .
Kapitel 5. (Von der Vorsehung.) Nr. 6: Was die bösen und gottlosen
Menschen betrifft, welche Gott als ein gerechter Richter um früherer
Sünden willen verblendet und verhärtet, so entzieht er ihnen
nicht allein seine Gnade, durch welche ihr Verstand hätte erleuchtet
und ihre Herzen ergriffen werden können, sondern zuweilen entzieht
er ihnen auch die Gaben, die sie hatten, und bringt sie mit solchen Gegenständen
in Beziehung, aus welchen ihr Verderbnis eine Gelegenheit zur Sünde
macht, und übergibt sie außerdem ihren eigenen Lüsten,
den Versuchungen der Welt und der Macht Satans, wodurch es geschieht, daß
sie sich selbst verhärten, sogar durch dieselben Mittel, deren Gott
sich zur Erweichung anderer bedient ).
I. Die religiösen Grundlagen der innerweltlichen Askese.
[91]
“Mag ich zur Hölle fahren, aber solch ein Gott wird niemals meine
Achtung erzwingen” - war bekanntlich Miltons Urteil über die Lehre
). Aber nicht auf eine Wertung, sondern auf die geschichtliche Stellung
des Dogmas kommt es für uns hier an. Nur kurz können wir bei
der Frage verweilen: wie diese Lehre entstand und welchen Gedankenzusammenhängen
in der calvinistischen Theologie sie sich einfügte. Zwei Wege zu ihr
waren möglich. Das Phänomen des religiösen Erlösungsgefühls
verknüpft sich gerade bei den aktivsten und leidenschaftlichsten jener
großen Beter, wie sie die Geschichte des Christentums seit Augustin
immer wieder gesehen hat, mit der sicheren Empfindung, alles der ausschließlichen
Wirksamkeit einer objektiven Macht, nicht das geringste dem eigenen Wert
zu danken zu haben: Die mächtige Stimmung froher Sicherheit, in welche
sich der ungeheure Krampf des Sündengefühls bei ihnen entladet,
bricht scheinbar gänzlich unvermittelt über sie herein und vernichtet
jede Möglichkeit der Vorstellung, daß dieses unerhörte
Gnadengeschenk irgendwelcher eigenen Mitwirkung verdankt werden oder mit
Leistungen oder Qualitäten des eigenen Glaubens und Wollens verknüpft
sein könnte. In jenen Zeiten seiner höchsten religiösen
Genialität, in welcher Luther seine “Freiheit eines Christenmenschen”
zu schreiben fähig war, stand auch ihm des “heimliche Ratschluß”
Gottes als absolut alleinige grundlose Quelle seines religiösen Gnadenbestandes
am festesten ). Er gab ihn auch später nicht förmlich auf, -
aber nicht nur gewann der Gedanke keine zentrale Stellung bei ihm, sondern
Die protestantische Etbik und der Geist des Kapitalismus. II.
[92]
er tritt immer mehr in den Hintergrund, je “realpolitischer” er als
verantwortlicher Kirchenpolitiker notgedrungen wurde. Melanchthon vermied
es ganz absichtlich, die “gefährliche und dunkle” Lehre in die Augsburger
Konfession aufzunehmen und für die Kirchenväter des Luthertums
stand es dogmatisch fest, daß die Gnade verlierbar (amissibilis)
ist und durch bußfertige Demut und gläubiges Vertrauen auf Gottes
Wort und die Sakramente neu gewonnen werden kann. Gerade umgekehrt verlief
der Prozeß bei Calvin ) in einer fühlbaren Steigerung der Bedeutung
der Lehre im Verlauf seiner polemischen Auseinandersetzung mit dogmatischen
Gegnern. Sie ist erst in der dritten Auflage seiner “Institutio” voll entfaltet
und gewinnt ihre zentrale Stellung erst posthum in den großen Kulturkämpfen,
welche die Synoden von Dordrecht und Westminster abzuschließen suchten.
Bei Calvin ist eben das “decretum horribile” nicht wie bei Luther erlebt,
sondern erdacht, und deshalb in seiner Bedeutung gesteigert mit jeder weiteren
Steigerung der gedanklichen Konsequenz in der Richtung seines lediglich
Gott, nicht den Menschen, zugewendeten religiösen Interesses ). Nicht
Gott ist um der Menschen, sondern die Menschen sind um Gottes willen da,
und alles Geschehen - also auch die für Calvin zweifellose Tatsache,
daß nur ein kleiner Teil der Menschen zur Seligkeit berufen ist -
kann seinen Sinn ausschließlich als Mittel zum Zweck der Selbstverherrlichung
von Gottes Majestät haben. Maßstäbe irdischer “Gerechtigkeit”
an seine souveränen Verfügungen anzulegen, ist sinnlos und eine
Verletzung seiner Majestät ), da er, und er allein, frei, d. h. keinem
Gesetz unterstellt ist, und seine Ratschlüsse uns nur soweit verständlich
und
I. Die religiösen Grundlagen der innenweltlichen Askese.
[93]
überhaupt bekannt sein können, als er es für gut befand,
sie uns mitzuteilen. An diese Fragmente der ewigen Wahrheit allein können
wir uns halten, alles andere: - der Sinn unseres individuellen Schicksals,
- ist von dunklen Geheimnissen umgeben,, die zu ergründen unmöglich
und vermessen ist. Wenn etwa die Verworfenen über das ihrige als unverdient
klagen wollten, so wäre das ähnlich, als wenn die Tiere sich
beschweren würden, nicht als Menschen geboren zu sein. Denn alle Kreatur
ist durch eine unüberbrückbare Kluft von Gott geschieden und
verdient vor ihm, soweit er nicht zur Verherrlichung seiner Majestät
ein anderes beschlossen hat, lediglich den ewigen Tod. Was wir wissen,
ist nur: daß ein Teil der Menschen selig wird, ein anderer verdammt
bleibt. Anzunehmen, daß menschliches Verdienst oder Verschulden dieses
Schicksal mitbestimme, hieße Gottes absolut freie Entschlüsse,
die von Ewigkeit her feststehen, als durch menschliche Einwirkung wandelbar
ansehen: ein unmöglicher Gedanke. Aus dem menschlich verständlichen
“Vater im Himmel” des Neuen Testaments, der sich über die Wiederkehr
des Sünders freut, wie ein Weib über den wiedergefundenen Groschen,
ist hier ein jedem menschlichen Verständnis entzogenes transzendentes
Wesen geworden, welches von Ewigkeit her nach gänzlich unerforschlichen
Ratschlüssen jedem einzelnen sein Geschick zugeteilt und über
alles Kleinste im Kosmos verfügt hat ). Gottes Gnade ist, da seine
Ratschlüsse unwandelbar feststehen, ebenso unverlierbar für die,
welchen er sie zuwendet, wie unerreichbar für die, welchen er sie
versagt.
In ihrer pathetischen Unmenschlichkeit mußte diese Lehre nun
für die Stimmung einer Generation, die sich ihrer grandiosen Konsequenz
ergab, vor allem eine Folge haben: ein Gefühl einer unerhörten
inneren Vereinsamung des einzelnen Individuums ). In der für die Menschen
der Reforma-
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. II.
[94]
tionszeit entscheidendsten Angelegenheit des Lebens: der ewigen Seligkeit,
war der Mensch darauf verwiesen, seine Straße einsam zu ziehen, einem
von Ewigkeit her feststehenden Schicksal entgegen. Niemand konnte ihm helfen.
Kein Prediger: - denn nur der Erwählte kann das Gotteswort spiritualiter
verstehen. Kein Sakrament: - denn die Sakramente sind zwar von Gott zur
Mehrung seines Ruhms verordnet und deshalb unverbrüchlich zu halten,
aber kein Mittel, Gottes Gnade zu erlangen, sondern subjektiv nur “externa
subsidia” des Glaubens. Keine Kirche: denn es gilt zwar der Satz “extra
ecclesiam nulla salus” in dem Sinne, daß, wer sich von der wahren
Kirche fernhält, nimmermehr zu den von Gott Erwählten gehören
kann ); aber zur (äußeren) Kirche gehören auch die Reprobierten,
ja sie sollen dazu gehören und ihren Zuchtmitteln unterworfen werden,
nicht um dadurch zur Seligkeit zu gelangen, - das ist unmöglich, sondern
weil auch sie zu Gottes Ruhm zur Innehaltung seiner Gebote gezwungen werden
müssen. Endlich auch: - kein Gott: denn auch Christus ist nur für
die Erwählten gestorben ) denen Gott seinen Opfertod zuzurechnen von
Ewigkeit her beschlossen hatte. Dies: der absolute (im Luthertum noch keineswegs
in allen Konsequenzen vollzogene) Fortfall kirchlich - sakramentalen Heils,
war gegenüber dem Katholizismus das absolut Entscheidende. Jener große
religionsgeschichtliche Prozeß der Entzauberung der Welt ), welcher
mit der altjüdischen
I. Die religiösen Grundlagen der innerweltlichen Askese.
[95]
Prophetie einsetzte und, im Verein mit dem hellenischen wissenschaftlichen
Denken, alle magischenMittel der Heilssuche als Aberglaube und Frevel verwarf,
fand hier seinen Abschluß. Der echte Puritaner verwarf ja sogar jede
Spur von religiösen Zeremonien am Grabe und begrub die ihm Nächststehenden
sang- und klanglos, um nur ja keinerlei “superstition”: kein Vertrauen
auf Heilswirkungen magisch - sakramentaler Art, aufkommen zu lassen ).
Es gab nicht nur kein magisches, sondern überhaupt kein Mittel, die
Gnade Gottes dem zuzuwenden, dem Gott sie zu versagen sich entschlossen
hatte. Verbunden mit der schroffen Lehre von der unbedingten Gottferne
und Wertlosigkeit alles rein Kreatürlichen enthält diese innere
Isolierung des Menschen einerseits den Grund für die absolut negative
Stellung des Puritanismus zu allen sinnlich - gefühls- mäßigen
Elementen in der Kultur und subjektiven Religiosität - weil sie für
das Heil unnütz und Förderer sentimentaler Illusionen und des
kreaturvergötternden Aberglaubens sind - und damit zur grundsätzlichen
Abwendung von aller Sinnenkultur überhaupt ). Andrerseits aber bildet
sie eine der Wurzeln jenes illusionslosen und pessimistisch gefärbten
Individualismus ), wie er in dem “Volkscha-
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. II.
[96]
rakter” und den Institutionen der Völker mit puritanischer Vergangenheit
sich noch heute auswirkt, - in so auffälligem Gegensatz zu der ganz
andersartigen Brille, durch welche später die “Aufklärung” die
Menschen ansah ). Wir finden die Spuren dieses Einflusses der Gnadenwahllehre
in der uns beschäftigenden Zeit deutlich in elementaren Erscheinungen
der Lebensführung und Lebensanschauung wieder, und zwar auch da, wo
ihre Geltung als Dogma schon im Schwinden war: sie war ja eben auch nur
die extremsteForm jener Exklusivität des Gottvertrauens, auf deren
Analyse es hier ankommt. So z. B. in der auffallend oft wiederkehrenden
Warnung namentlich der englischen puritanischen Literatur vor jedem Vertrauen
auf Menschenhilfe und Menschenfreundschaft ). Tiefes Mißtrauen auch
gegen den nächsten Freund rät selbst der milde Baxter an, und
Bailey empfiehlt direkt, niemanden zu trauen und niemanden etwas Kompromittierendes
wissen zu lassen: nur Gott soll der Vertrauensmann sein ). Im auffälligsten
Gegensatz gegen das
M a x W e b e r, Religionssoziologie I.
I. Die religiösen Grundlagen der innerweltlichen Askese.
[97]
Luthertum ist denn auch im Zusammenhang mit dieser Lebensstimmung in
den Gebieten des voll entwickelten Calvinismus die Privatbeichte, gegen
welche Calvin selbst nur der möglichen sakramentalen Mißdeutung
wegen Bedenken hatte, stillschweigend verschwunden: ein Vorgang von größter
Tragweite. Zunächst als Symptom für die Art der Wirkung dieser
Religiosität. Dann aber auch als psychologischer Entwicklungsreiz
für ihre ethische Haltung. Das Mittel zum periodischen “Abreagieren”
des affektbetonten Schuldbewußtseins ) wurde beseitigt. Von den Konsequenzen
für die sittliche Alltagspraxis wird noch zu reden sein. Auf der Hand
aber liegen die Folgen für die religiöse Gesamtlage der Menschen.
In tiefer innerlicher Isolierung vollzog sich, trotz der Heilsnotwendigkeit
der Zugehörigkeit zur wahren Kirche ), der Verkehr des Calvinisten
mit seinem Gott. Wer die spezifischen Wirkungen ) dieser eigentümlichen
Luft empfinden will, der sehe in dem weitaus gelesensten Buch der ganzen
puritanischen Literatur: Bunyans “Pilgrim's progress” ), die Schilderung
von “Christians” Verhalten an, nachdem ihm das Bewußtsein, in der
“Stadt des Verderbens” zu weilen, aufgegangen ist und ihn der Ruf, die
Pilgerfahrt zur himmlischen Stadt unverweilt anzutreten, ereilt hat. Weib
und Kinder hängen sich an ihn, - aber querfeldein, die Finger in die
Ohren steckend, mit dem Rufe: “Life, eternal life!” stürzt er fort,
und kein Raffinement könnte besser, als die naive Empfindung des in
seinem Gefäng-
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. II.
[98]
nis lichtenden Kesselflickers, der dabei den Beifall einer gläubigen
Welt fand, die Stimmung des im Grunde allein mit sich selbst beschäftigfen,
allein an sein eigenes Heil denkenden puritanischen Gläubigen wiedergeben,
wie sie zum Ausdruck kommt in den etwas an Gottfried Kellers “Gerechte
Kammacher” erinnernden salbungsvollen Gesprächen, die er mit Gleichstrebenden
unterwegs führt. Erst als er selbst geborgen ist, erwacht der Gedanke,
daß es schön wäre, nun auch die Familie bei sich zu haben.
Es ist dieselbe qualvolle Angst vor dem Tode und dem Nachher, die wir bei
Alfons von Liguori, wie Döllinger ihn uns geschildert hat, so penetrant
überall empfinden, - weltweit entfernt von jenem Geist stolzer Diesseitigkeit,
dem Macchiavelli in dem Ruhm jener Florentiner Bürger Ausdruck gibt,
denen im Kampf gegen Papst und Interdikt - “die Liebe zur Vaterstadt höher
stand, als die Angst um das Heil ihrer Seelen” und, freilich, noch weiter
entfernt von Empfindungen, wie sie Richard Wagner Siegmund vor dem Todesgefecht
in den Mund legt: “Grüße mir Wotan, grüße mir Wallhall
. . . Doch von Wallhall's spröden Wonnen sprich du wahrlich mir nicht”.
Nur freilich sind eben die Wir-kungendieser Angst bei Bunyan und Liguori
so charakteristisch verschieden: dieselbe Angst, welche diesen zu jeder
erdenklichen Selbsterniedrigung treibt, spornt jenen zu rastlosem und systematischem
Kampf mit dem Leben. Woher dieser Unterschied ?
Es scheint zunächst ein Rätsel, wie mit jener Tendenz zur
innerlichen Lösung des Individuums aus den engsten Banden, mit denen
es die Welt umfangen hält, die unbezweifelbare Ueberlegenheit des
Calvinismus in der sozialen Organisation sich verknüpfen konnte ).
Allein gerade sie folgt, so seltsam es zunächst
I. Die religiösen Grundlagen der innerweltlichen Askese.
[99]
scheint, aus der spezifiachen Färbung, welche die christliche
“Nächstenliebe” unter dem Druck der inneren Isolierung des einzelnen
durch den calvinistischen Glauben annehmen mußte. Sie folgt daraus
zunächst dogmatisch ). Die Welt ist dazu - und nur dazu - bestimmt:
der Selbstverherrlichung Gottes zu
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. II.
[100]
dienen, der erwählte Christ ist dazu - und nur dazu - da, den Ruhm
Gottes in der Welt durch Vollstreckung seiner Gebote an seinem Teil zu
mehren. Gott aber will die soziale Leistung des Christen, denn er will,
daß die soziale Gestaltung des Lebens seinen Geboten gemäß
und so eingerichtet werde, daß sie jenem Zweck entspreche. Die soziale
) Arbeit des Calvinisten in der Welt ist lediglich Arbeit “in majorem gloriam
Dei”. Diesen Charakter trägt daher auch die Berufs- arbeit, welche
im Dienste des diesseitigen Lebens der Gesamtheit steht. Schon bei Luther
fanden wir die Ableitung der arbeitsteiligen Berufsarbeit aus der “Nächstenliebe”.
Aber was bei ihm ein unsicherer, rein konstruktiv - gedanklicher Ansatz
blieb, wurde nun bei den Calvinisten ein charakteristischer Teil ihres
ethischen Systems. Die “Nächstenliebe” äußert sich - da
sie ja nur Dienst am Ruhme Gottes ), nicht: der Kreatur, sein darf
) - in
I. Die religiösen Grundlagen der innerweltlichen Askese.
[101]
ersterLinie in Erfüllung der durch die lex naturae gegebenen Berufsaufgaben,
und sie nimmt dabei einen eigentümlich sachlich - unpersönlichen
Charakter an: den eines Dienstes an der rationalen Gestaltung des uns umgebenden
gesellschaftlichen Kosmos: Denn die wunderbar zweckvolle Gestaltung und
Einrichtung dieses Kosmos, welcher ja nach der Offenbarung der Bibel und
ebenso nach der natürlichen Einsicht augenscheinlich darauf zugeschnitten
ist, dem “Nutzen” des Menschengeschlechtes zu dienen,
läßt die Arbeit im Dienst dieses unpersönlichen gesellschaftlichen
Nutzens als Gottes Ruhm fördernd und also gottgewollt erkennen. Die
völlige Ausschaltung des Theodizeeproblems und aller jener Fragen
nach dem “Sinn” Welt und des Lebens, an welcher sich andere zerrieben,
verstand sich für den Puritaner ganz von selbst wie - aus ganz andern
Gründen - für den Juden. Und übrigens in gewissem Sinn für
die nichtmystische christliche Religiosität überhaupt. Zu dieser
Kräfteökonomie trat - beim Calvinismus noch eim weiterer in gleicher
Richtung wirkender Zug hinzu. Der Zwiespalt zwischen dem “Einzelnen” und
der “Ethik” (in Sören Kierkegaards Sinn), existierte für den
Calvinismus nicht, obwohl er den Einzelnen in religiösen Dingen ganz
auf sich selbst stellte. Die Gründe dafür und die Bedeutung dieser
Gesichtspunkte für den politischen und ökonomischen Rationalismus
des Calvinismus zu analysieren ist hier nicht der Ort. Die Quelle des utilitarischen
Charakters der calvinistischen Ethik liegt darin, und ebenso gingen wichtige
Eigentümlichkeiten der calvi-
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. II.
[102]
nistischen Berufskonzeption daraus hervor ). - Hier kehren wir aber
zunächst noch einmal zur Betrachtung speziell der Prädestinationslehre
zurück.
Denn das für uns entscheidende Problem ist erst: wie wurde diese
Lehre ertragen ) in einer Zeit, welcher das Jenseits
I. Die religiösen Grundlagen der innerweltlichen Askese.
[103]
nicht nur wichtiger, sondern in vieler Hinsicht auch sicherer war, als
alle Interessen des diesseitigen Lebens ). Die eine Frage mußte ja
alsbald für jeden einzelnen Gläubigen entstehen und alle anderen
Interessen in den Hintergrund drängen: Bin ich denn erwählt ?
Und wie kann ichdieser Erwählung sicher werden )? - Für Calvin
selbst war dies kein Problem. Er fühlte sich als “Rüstzeug” und
war seines Gnadenstandes sicher. Demgemäß hat er auf die Frage,
wodurch der einzelne seiner eigenen Erwählung gewiß werden könne,
im Grunde genommen nur die Antwort: daß wir uns an der Kenntnis des
Beschlusses Gottes und an dem durch den wahren Glauben bewirkten beharrlichen
Zutrauen auf Christus genügen lassen sollen. Er verwirft prinzipiell
die Annahme: man könne bei anderen aus ihrem Verhalten erkennen, ob
sie erwählt oder verworfen seien, als einen vermessenen Versuch, in
die Geheimnisse Gottes einzudringen. Die Erwählten unterscheiden sich
in diesem Leben äußerlich in nichts von den Verworfenen ) und
auch alle subjektiven Er-
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. II.
[104]
fahrengen der Erwählten sind - als “ludibria spiritus sancti”
- auch bei den Verworfenen möglichh, mit einziger Ausnahme jenes “finaliter”
beharrenden gläubigen Vertrauens. Die Erwählten sind und bleiben
also Gottes unsichtbare Kirche. Anders ganz naturgemäß die Epigonen
- schon Beza - und vor allem die breitee Schicht der Alltagsmenschen. Für
sie mußte die “certitudo salutis” im Sinn der Erkennbarkeit des Gnadenstandes
zu absolut überragender Bedeutung aufsteigen ) und so ist denn auch
überall da, wo die Prädestinationslehre festgehalten wurde, die
Frage nicht ausgeblieben, ob es sichere Merkmale gebe, an denen man die
Zugehörigkeit zu den “electi” erkennen könne. Nicht nur in der
Entwicklung des auf dem Boden der reformierten Kirche zuerst erwachsenen
Pietismus hat diese Frage dauernd eine zentrale Bedeutung gehabt, ist in
gewissem Sinne für ihn zeitweise geradezu konstitutiv gewesen, sondern
wir werden, wenn wir die politisch und sozial so weittragende Bedeutung
der reformierten Abendmahlslehre und Abendmahlspraxis betrachten, noch
davon zu reden haben, welche Rolle auch außerhalb des Pietismus die
Feststellbarkeit des Gnadenstandes des einzelnen z. B. für die Frage
seiner Zulassung zum Abendmahl, d. h. zu der zentralen, für die soziale
Stellung der Teilnehmer entscheidenden Kulthandlung, während des ganzen
17. Jahrhunderts gespielt hat.
Es war zum mindesten, soweit die Frage des eigenenGnadenstandes auftauchte,
unmöglich, bei Calvins von der orthodoxen Doktrin wenigstens im Prinzip
nie förmlich aufgegebenen ) Verweisung auf das Selbstzeugnis des beharrenden
Glaubens, den die Gnade im Menschen wirkt, stehenzubleiben ). Vor allem
I. Die religiösen Grundlagen der innenweltlichen Askese.
[105]
die Praxis der Seelsorge, welche auf Schritt und Tritt mit den durch
die Lehre geschaffenen Qualen zu tun hatte, konnte es nicht. Sie fand sich
mit diesen Schwierigkeiten in verschiedener Art ab ). Soweit dabei nicht
die Gnadenwahl uminterpretiert, gemildert und im Grunde aufgegeben wurde
), treten namentlich zwei miteinander verknüpfte Typen seelsorgerischer
Ratschläge als charakteristisch hervor. Es wird einerseits schlechthin
zu Pflicht gemacht, sich für erwählt zu halten, und jeden Zweifel
als Anfechtung des Teufels abzuweisen ), da ja mangelnde Selbstgewißheit
Folge unzulänglichen Glaubens, also unzulänglicher Wirkung der
Gnade sei. Die Mahnung des Apostels zum “Festmachen” der eigenen Berufung
wird also hier als Pflicht, im täglichen Kampf sich die subjektive
Gewißheit der eigenen Erwähltheit und Rechtfertigung zu erringen,
gedeutet. An Stelle der demütigen Sünder, denen Luther, wenn
sie in reuigem Glauben sich Gott anvertrauen, die Gnade verheißt,
werden so jene selbstgewissen “Heiligen” gezüchtet ), die wir in den
stahlharten puritanischen Kaufleuten jenes heroischen Zeitalters des Kapitalismus
und in einzelnen Exemplaren bis in die Gegenwart wiederfinden. Und andererseits
wurde, um jene Selbstgewißheit zu erlangen, als hervorragendstes
Mittel rastlose Berufsarbeit eingeschärft ). Sie und sie
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. II.
[106]
allein verscheuche den religiösen Zweifel und gebe die Sicherheit
des Gnadenstandes.
Daß die weltliche Berufsarbeit zu dieserLeistung für fähig
galt, - daß sie, sozusagen, als das geeignete Mittel zum Abreagieren
der religiösen Angstaffekte behandelt werden könnte - hat nun
aber seinen Grund in tiefliegenden Eigentüm- lichkeiten des in der
reformierten Kirche gepflegten religiösen Empfindens, welche in ihrem
Gegensatz gegen das Luthertum am deutlichsten in der Lehre von der Natur
des rechtfertigenden Glaubens zutage treten. Diese Unterschiede sind in
Schneckenburgers schönem Vorlesungszyklus so fein und mit einer solchen
Zurückstellung aller Werturteile rein sachlich analysiert ), daß
die nachfolgenden kurzen Bemerkungen im wesentlichen einfach an seine Darstellung
anknüpfen können.
Das höchste religiöse Erlebnis, welchem die lutherische Frömmigkeit,
wie sie sich im Verlauf namentlich des 17. Jahrhunderts entwickelte, zustrebt,
ist die “Unio mystica” mit der Gottheit ). Wie schon die Bezeichnung, die
in dieser Fassung
I. Die religiösen Grundlagen der innerweltlichen Askese.
[107].
der reformierten Lehre unbekannt ist, andeutet, handelt es sich um
ein substantielles Gottesgefühl: die Empfindung eines realen Eingehens
des Göttlichen in die gläubige Seele, welches qualitativ mit
den Wirkungen der Kontemplation der deutschen Mystiker gleichartig ist,
und durch seinen passiven, auf die Erfüllung der Sehnsucht nach Ruhe
in Gott ausgerichteten Charakter und seine rein stimmungsmäßige
Innerlichkeit gekennzeichnet ist. Nun ist an sich eine mystisch gewendete
Religiosität nicht nur, - wie aus der Geschichte der Philosophie bekannt,
- mit ausgeprägt realistischem Wirrklichkeitssinn auf dem Gebiet des
empirisch Gegebenen sehr gut vereinbar, ja, zufolge der Ablehnung dialektischer
Doktrinen oft seine direkte Stütze. Sondern ebenso kann die Mystik
auch indirekt der
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. II.
[108]
rationalen Lebensführung geradezu zugute kommen. Immerhin mangelt
ihrer Beziehung zur Welt naturgemäß die positive Wertung äußerer
Aktivität. Nun war aber im Luthertum überdies die “unio mystica”
kombiniert mit jenem tiefen Gefühl erbsündlicher Unwürdigkeit,
welches die auf Erhaltung der für die Sündenvergebung unentbehrlichen
Demut und Einfalt gerichtete “poenitentia quotidiana” des lutherischen
Gläubigen sorgsam bewahren sollte. Die spezifisch reformierte Religiosität
dagegen stand der quietistischen Weltflucht Pascal´s wie dieser lutherischen
rein nach innen gerichteten Stimmungsfrömmigkeit von Anfang an ablehnend
gegenüber. Das reale Eingehen des Göttlichen in die Menschenseele
war durch die absolute Transzendenz Gottes gegenüber allem Kreatürlichen
ausgeschlossen: “finitum non est capax infiniti”. Die Gemeinschaft Gottes
mit seinen Begnadeten konnte vielmehr nur so stattfinden und zum Bewußtsein
kommen, daß Gott in ihnen wirkte (“operatur”) und daß sie sich
dessen bewußt wurden, - daß also ihr Handeln aus dem durch
Gottes Gnade gewirkten Glauben entsprang und dieser Glaube wiederum sich
durch die Qualität jenes Handelns als von Gott gewirkt legitimierte.
Tiefgehende, für die Klassifikation aller praktischen Religiosität
überhaupt geltende Unterschiede der entscheidenden Heilszuständlichkeiten
) kommen darin zum Ausdruck: Der religiöse Virtuose kann seines Gnadenstandes
sich versichern entweder, indem er sich als Gefäß, oder, indem
er sich als Werkzeug göttlicher Macht fühlt. Im ersten Fall neigt
sein religiöses Leben zu mystischer Gefühlskultur, im letzteren
zu asketischem Handeln. Dem ersten Typus stand Luther näher, dem letztem
gehörte der Calvinismus an. “Sola fide” wollte auch der Reformierte
selig werden. Aber da schon nach Calvins Ansicht alle bloßen Gefühle
und Stimmungen, mögen sie noch so erhaben zu sein scheinen, trügerisch
sind ), muß der Glaube sich in seinen objektiven Wirkungen bewähren,
um der certitudo salutis als sichere Unterlage dienen zu können: er
muß eine “fides efficax” ), die Be-
I. Die religiösen Grundlagen der innerweltlichen Askese.
[109]
rufung zum Heil ein “effectual calling” (Ausdruck der Savoy declaration)
sein. Stellt man nun weiter die Frage, an welchen Früchten der Reformierte
denn den rechten Glauben unzweifelhaft zu erkennen vermöge, so wird
darauf geantwortet: an einer Lebensführung des Christen, die zur Mehrung
von Gottes Ruhm dient. Was dazu dient, ist aus seinem, direkt in der Bibel
offenbarten oder indirekt aus den von ihm geschaffenen zweckvollen Ordnungen
der Welt (lex naturae) )
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. II.
[110]
ersichtlichen, Willen zu entnehmen. Speziell durch Vergleichung des
eigenen Seelenzustandes mit dem welcher nach der Bibel den Erwählten,
z. B. den Erzvätern eignete, kann man seinen eigenen Gnadenstand kontrollieren
). Nur ein Erwählter hat wirklich die fides efficax ), nur er ist
fähig, vermöge der Wiedergeburt (regeneratio) und der aus dieser
folgenden Heiligung (sanctificatio) seines ganzen Lebens Gottes Ruhm durch
wirklich, nicht nur scheinbar, gute Werke zu mehren. Und indem er sich
dessen bewußt ist, daß sein Wandel - wenigstens dem Grundcharakter
und konstanten Vorsatz (propositum oboedientiae) nach - auf einer in ihm
lebenden Kraft ) zur Mehrung des Ruhmes Gottes ruht, also nicht nur gottgewollt,
sondern vor allem gottgewirkt ist ), erlangt er jenes höchste Gut,
nach dem diese Religiosität strebte: die Gnadengewißheit ).
Daß sie zu erlangen sei, wurde aus 2. Kor. 13, 5 erhärtet ).
So absolut ungeeignet also gute Werke sind, als Mittel zur Erlangung der
Seligkeit zu dienen - denn auch der Erwählte bleibt Kreatur, und alles
was er tut bleibt in unendlichem Abstand hinter Gottes Anforderungen zurück,
- so unentbehrlich sind sie als Zeichenn der Erwählung ). Sie sind
das technische Mittel, nicht: die Seligkeit zu erkaufen, sondern: die Angst
um die Seligkeit loszuwerden. In diesem Sinn werden sie gelegentlich direkt
als “zur Seligkeit unentbehrlich” bezeichnet ) oder die “possessio salutis”
an sie geknüpft ). Das bedeutet nun
I. Die religiösen Grundlagen der innerweltlichen Askese.
[111]
aber praktisch, im Grunde: daß Gott dem hilft, der sich selber
hilft ), daß also der Calvinist, wie es auch gelegentlich ausgedrückt
wird, seine Seligkeit - korrekt müßte es heißen: die Gewißheit
von derselben - selbst “schafft” ), daß aber dieses Schaffen nicht
wie im Katholizismus in einem allmählichen Aufspeichern verdienstlicher
Einzelleistungen bestehen kann, sondern in einer zu jeder Zeitvor der Alternative:
erwählt oder verwor- fen ? stehenden systematischen Selbstkontrolle.
Damit gelangen wir zu einem sehr wichtigen Punkt unserer Betrachtungen.
Immer wieder ist bekanntlich jenem in den reformierten Kirchen und
Sekten mit steigender Deutlichkeit ) sich herausarbeitenden Gedankengang
von lutherischer Seite der Vorwurf der “Werkheiligkeit” gemacht worden
). Und, - so berechtigt
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. II.
[112]
der Widerspruch der Angegriffenen gegen die Identifikation ihrer dogmatischen
Stellung mit der katholischen Lehre war, sicherlich mit Recht, sobald die
praktischen Konsequenzen für das Alltagsleben der reformierten Durchschnittschristen
damit gemeint sind ). Denn es hat vielleicht nie eine intensivere
M a x W e b e r, Religionssoziologie I.
I. Die religiösen Grundlagen der innerweltlichen Askese. [113]
Form religiöser Schätzung des sittlichen Handelns gegeben,
als die, welche der Calvinismus in seinen Anhängern erzeugte. Aber
entscheidend für die praktische Bedeutung dieser Art “Werkheiligkeit”
ist erst die Erkenntnis der Qua-litäten, welche die ihr entsprechende
Lebensführung charakterisierten und sie von dem Alltagsleben eines
mittelalterlichen Durchschnittschristen unterschieden. Man kann sie wohl
etwa so zu formulieren versuchen: Der normale mittelalterliche katholische
Laie ) lebte in ethischer Hinsicht gewissermaßen “von der Hand in
den Mund”. Er erfüllte zunächst gewissenhaft die traditionellen
Pflichten. Seine darüber hinausgehenden “guten Werke” aber blieben
normalerweise eine nicht notwendig zusammenhängende, zum wenigsten
eine nicht notwendigerweise zu einem Lebenssystem rationalisierte Reihe
einzelner Handlungen, die er je nach Gelegenheit, etwa zur Ausgleichung
konkreter Sünden oder unter dem Einfluß der Seelsorge oder gegen
Ende seines Lebens gewissermaßen als Versicherungsprämie vollzog.
Natürlich war die katholische Ethik “Gesinnungs”ethik. Aber die konkrete
“intentio” der einzelnen Handlung entschied über deren Wert. Und die
einzelne - gute oder schlechte - Handlung wurde den Handelnden angerechnet,
beeinflußte sein zeitliches und ewiges Schicksal. Ganz realistisch
rechnete die Kirche damit, daß der Mensch keine absolut eindeutig
determinierte und zu bewertende Einheit, sondern daß sein sittliches
Leben (normalerweise) ein durch streitende Motive beeinflußtes oft
sehr widerspruchvolles Sichverhalten sei. Gewiß forderte auch sie
von ihm als Ideal prinzipielle Wandlung des Lebens. Aber eben diese Forderung
schwächte sie (für den Durchschnitt) durch eines ihrer allerwichtigsten
Macht- und Erziehungsmittel wieder ab: durch das Bußsakrament,
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. II.
[114]
dessen Funktion tief mit der innersten Eigenart der katholischen Religiosität
verknüpft war.
Die “Entzauberung” der Welt: die Ausschaltung der Magie als Heilsmittel
), war in der katholischen Frömmigkeit nicht zu den Konsequenzen durchgeführt,
wie in der puritanischen (und vor ihr nur in der jüdischen) Religiosität.
Dem Katholiken ) stand die Sakramentsgnade seiner Kirche als Ausgleichsmittel
eigner Unzulänglichkeit zur Verfügung: der Priester war ein Magier,
der das Wunder der Wandlung vollbrachte und in dessen Hand die Schlüsselgewalt
gelegt war. Man konnte sich in Reue und Bußfertigkeit an ihn wenden,
er spendete Sühne, Gnadenhoffnung, Gewißheit der Vergebung und
gewährte damit die Entlastung von jener ungeheuren Spannung, in welcher
zu leben das unentrinnbare und durch nichts zu 1indernde Schicksal des
Calvinisten war. Für diesen gab es jene freundlichen und menschlichen
Tröstungen nicht und er konnte auch nicht hoffen, Stunden der Schwäche
und des Leichtsinns durch erhöhten guten Willen in andern Stunden
wettzumachen, wie der Katholik und auch der Lutheraner. Der Gott des Calvinismus
verlangte von den Seinigen nicht einzelne “gute Werke”, sondern eine zum
System gesteigerte Werkheiligkeit ). Von dem katholischen, echt menschlichen
Auf und Ab zwischen Sünde, Reue, Buße, Entlastung, neuer Sünde
oder von einem
I. Die religiösen Grundlagen der innerweltlichen Askese.
[115]
durch zeitliche Strafen abzubüßenden, durch kirchliche Gnadenmittel
zu begleichenden Saldo des Gesamtlebens war keine Rede. Die ethische Praxis
des Alltagsmenschen wurde so ihrer Plan- und Systemlosigkeit entkleidet
und zu einer konsequenten Methode der ganzen Lebensführung ausgestaltet.
Es ist ja kein Zufall, daß der Name der “Methodisten” ebenso an den
Trägern der letzten großen Wiederbelebung puritanischer Gedanken
im 18. Jahrhundert haften geblieben ist, wie die dem Sinne nach durchaus
gleichwertige Bezeichnung “Präzisisten” auf ihre geistigen Vorfahren
im 17. Jahrhundert angewendet worden war ). Denn nur in einer fundamentalen
Umwandlung des Sinnes des ganzen Lebens in jeder Stunde und jeder Handlung
) konnte sich das Wirken der Gnade als einer Enthebung des Menschen aus
dem Status naturae in den Status gratiae bewähren. Das Leben des “Heiligen”
war ausschließlich auf ein transzendentes Ziel: die Seligkeit, ausgerichtet,
aber eben deshalb in seinem diesseitigen Verlauf durchweg rationalisiert
und beherrscht von dem ausschließlichen Gesichtspunkt: Gottes Ruhm
auf Erden zu mehren; - und niemals ist mit dem Gesichtspunkt “omnia in
majorern dei gloriam” so bitterer Ernst, gemacht worden ). Nur ein durch
konstante Reflexion geleitetes Leben aber konnte als Ueberwindung des Status
naturalis gelten: Descartes' “cogito ergo sum” wurde in dieser ethischen
Umdeutung von den zeitgenössischen Puritanern übernommen ). Diese
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. II.
[116]
Rationalisierung nun gab der reformierten Frömmigkeit ihren spezifisch
asketischen Zug und begründete ebenso ihre innere Verwandtschaft )
wie ihren spezifischen Gegensatz zum Katholizismus. Denn natürlich
war ähnliches dem Katholizismus nicht etwa fremd.
Die christliche Askese enthielt in sich zweifellos sowohl der äußeren
Erscheinung wie dem Sinn nach höchst Verschiedenartiges. Im Okzident
aber trug sie in ihren höchsten Erscheinungsformen bereits im Mittelalter
durchaus und in manchen Erscheinungen schon in der Antike einen rationalen
Charakter. Die welthistorische Bedeutung der mönchischen Lebensführung
im Okzident in ihrem Gegensatz zum orientalischen Mönchtum - nicht:
seiner Gesamtheit, aber seinem allgemeinen Typus - beruht darauf. Sie war
im Prinzip schon in der Regel des heiligen Benedikt, noch mehr bei den
Cluniazensern, wiederum mehr bei den Zisterziensern, am entschiedensten
endlich bei den Jesuiten, emanzipiert von planloser Weltflucht und virtuosenhafter
Selbstquälerei. Sie war zu einer systematisch durchgebildeten Methode
rationaler Lebensführung geworden, mit dem Ziel, den Status naturae
zu überwinden, den Menschen der Macht der irrationalen Triebe und
der Abhängigkeit von Welt und Natur zu entziehen, der Suprematie des
planvollen Wollens zu, unterwerfen ), seine Handlungen beständiger
Selbstkontrolle und der Erwägung ihrer ethischen Tragweite zu unterstellen
und so den Mönch - objektiv - zu einem Arbeiter im Dienst des Reiches
Gottes zu erziehen, und dadurch wiederum - subjektiv - seines Seelenheils
zu versichern. Diese - aktive - Selbstbeherrschung war, wie das Ziel der
exercitia des heiligen Ignatius und der höchsten Formen rationaler
mönchischer Tugen-
I. Die religiösen Grundlagen der innerweltlichen Askese.
[117]
den überhaupt ), so auch das entscheidende praktische Lebensideal
des Puritanismus ). Schon in der tiefen Verachtung, mit der in den Berichten
über die Verhöre seiner Märtyrer das fassungslose Poltern
der adligen Prälaten und Beamten der kühlen reservierten Ruhe
seiner Bekenner entgegengehalten wird ), tritt jene in den besten Typen
noch des heutigen englischen und angloamerikanischen “gentleman” vertretene
Schätzung reservierter Selbstkontrolle hervor ). In der uns geläufigen
Sprache ): Die puritanische - wie jede “rationale” - Askese arbeitete daran,
den Menschen zu befähigen, seine “konstanten Motive”, insbesondere
diejenigen, welche sie selbst ihm “einübte”, gegenüber den “Affekten”
zu behaupten und zur Geltung zu bringen: - daran also, ihn zu einer “Persönlichkeit”,
in diesem, formal - psychologischen Sinne des Worts zu erziehen.
Ein waches bewußtes helles Leben führen zu können, war,
im Gegensatz zu manchen populären Vorstellungen, das Ziel, - die Vernichtung
der Unbefangenheit des triebhaften Lebensgenusses die dringendste Aufgabe,
- Ordnung in die
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. II.
[118]
Lebensführung derer, die ihr anhingen, zu bringen, das wichtigste
Mittel der Askese. Alle diese entscheidenden Gesichtspunkte finden sich
in den Regeln des katholischen Mönchtums ganz ebenso ) ausgeprägt
wie in den Grundsätzen der Lebensführung der Calvinisten ). Auf
dieser methodischen Erfassung des ganzen Menschen beruht bei beiden ihre
ungeheure weltüberwindende Macht, speziell beim Calvinismus gegenüber
dem Luthertum seine Fähigkeit, als “ecclesia militans” den Bestand
des Protestantismus zu sichern.
Worin andererseits der Gegensatz der calvinistischen gegen die mittelalterliche
Askese bestand, liegt auf der Hand: es war der Wegfall der “consilia evangelica”
und damit die Umgestaltung der Askese zu einer rein innerweltlichen. Nicht
als ob innerhalb des Katholizismus das “methodische” Leben auf die Klosterzellen
beschränkt geblieben wäre. Das war theoretisch keineswegs und
auch in der Praxis nicht der Fall. Es ist vielmehr schon hervorgehoben,
daß trotz der größeren moralischen Genügsamkeit des
Katholizismus ein ethisch systemloses Leben nicht an die höchsten
Ideale heranreicht, welche
I. Die religiösen Grundlagen der innenweltlichen Askese.
[119]
er - auch für das innetweltliche Leben - gezeitigt hat ). Der
Tertiarierorden des heiligen Franz war z. B. ein mächtiger Versuch
in der Richtung asketischer Durchdringung des Alltagslebens, und bekanntlich
nicht etwa der einzige. Werke freilich, wie die “Nachfolge Christi”, zeigen
gerade durch die Art ihrer starken Wirkung, wie die in ihnen gepredigte
Weise der Lebensführung als ein Höheres
gegenüber der als Minimum genügenden Alltagssittlichkeit empfunden
wurde, und daß diese letztere eben nicht an Maßstäben,
wie sie der Puritanismus bereit hielt, gemessen wurde. Und die Praxis gewisser
kirchlicher Institutionen, vor allem des Ablasses, der auch deshalb in
der Reformationszeit nicht als ein peripherischer Mißbrauch, sondern
als der entscheidende Grundschaden schlechthin empfunden wurde, mußte
immer wieder die Ansätze systematischer innenweltlicher Askese kreuzen.
Das Entscheidende aber war: daß der im religiösen Sinn methodisch
lebende Mensch par excelence eben doch allein der Mönch war und blieb,
daß also die Askese, je intensiver sie den einzelnen erfaßte,
desto mehr ihn aus dem Alltagsleben heraus drängte, weil eben in der
Ueberbietung der innenweltlichen Sittlichkeit ) das spezifisch heilige
Leben lag. Das hatte zunächst, - und zwar nicht als Vollstrecker irgendeiner
“Entwicklungstendenz”, sondern aus ganz persönlichen Erfahrungen heraus,
anfänglich übrigens in den praktischen Konsequenzen noch schwankend,
dann durch die politische Situation weitergedrängt, - Luther beseitigt
und der Calvinismus hat dies von ihm einfach übernommen ). Es traf
für dessen Art von Religiosität in der Tat den Kern der Sache,
wenn schon Sebastian Franck die Bedeutung der Reformation darin fand, daß
nun jeder Christ ein Mönch sein, müsse sein Leben lang. Dem Herausfluten
der Askese aus dem welt-
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. II.
[120]
lichen Alltagsleben war ein Damm vorgebaut und jene leidenschaftlich
ernsten innerlichen Naturen, die bisher dem Mönchtum seine besten
Repräsentanten geliefert hatten, waren nun darauf hingewiesen, innerhalb
des weltlichen Berufslebens asketischen Idealen nachzugehen. Der Calvinismus
fügte aber im Verlauf seiner Entwicklung etwas Positives: den Gedanken
der Notwendigkeit der Bewährung des Glaubens im weltlichen Berufsleben
) hinzu. Er gab damit den breiteren Schichten der religiös orientierten
Naturen den positiven Antrieb zur Askese, und mit der Verankerung seiner
Ethik an der Prädestinationslehre trat so an die Stelle der geistlichen
Aristokratie der Mönche außer und über der Welt die geistliche
Aristokratie der durch Gott von Ewigkeit her prädestinierten Heiligen
in der Welt ), eine Aristokratie, die mit ihrem character indelebilis von
der übrigen von Ewigkeit her verworfenen Menschheit durch eine prinzipiell
unüberbrückbarere und in ihrer Unsichtbarkeit unheimlichere Kluft
getrennt war ), als der äußerlich von der Welt abgeschiedene
Mönch des Mittelalters, - eine Kluft, die in harter Schärfe in
alle sozialen Empfindungen einschnitt. Denn diesem Gottesgnadentum der
Erwählten und deshalb Heiligen war angesichts der Sünde des Nächsten
nicht nachsichtige Hilfsbereitschaft im Bewußtsein der eigenen Schwäche,
sondern der Haß und die Verachtung gegen ihn als einen Feind Gottes,
der das Zeichen ewiger Verwerfung an sich trägt, adäquat ). Diese
Empfindungsweise war einer solchen
I. Die religiösen Grundlagen der innerweltlichen Askese.
[121]
Steigerung fähig, daß sie unter Umständen in Sektenbildung
ausmünden konnte. Dies war dann der Fall, wenn - wie bei den “independentischen”
Richtungen des 17. Jahrhunderts - der genuin calvinistische Glaube: daß
Gottes Ruhm es erfordere, die Verworfenen durch die Kirche unter das Gesetz
zu beugen, überwogen wurde durch die Ueberzeugung: daß es Gott
zur Schmach gereiche, wenn in seiner Herde ein Unwiedergeborener sich befinde
und an den Sakramenten teilnehme oder sie gar - als angestellter Prediger
- verwalte ). Wenn also, mit einem Wortt, der donatistische Kirchenbegriff
als Konsequenz des Bewährungsgedankens auftauchte, wie dies bei den
calvinistischen Baptisten der Fall war. Und auch wog die volle Konsequenz
der Forderung der “reinen” Kirche als der Gemeinschaft der als wiedergeboren
Bewährten: die Sektenbildung, nicht gezogen wurde, gingen mannigfache
Ausgestaltungen der Kirchenverfassung aus dem Versuch hervor, wiedergeborene
und unwiedergeborene, zum Sakrament nicht reife, Christen zu scheiden,
den ersteren das Kirchenregiment vorzubehalten oder ihnen sonst eine Sonderstellung
vorzubehalten, und nur wiedergeborene Prediger zuzulassen ).
Ihre feste Norm, an der sie sich stetig orientieren konnte und deren
sie ja offensichtlich bedurfte, empfing nun diese asketische
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. II.
[122]
Lebensführung natürlich durch die Bibel. Und zwar ist an
der oft geschilderten “Bibliokratie” des Calvinismus für uns das Wichtige:
daß das Alte Testament, weil ebenso inspiriert wie das Neue, in seinen
Moralvorschriften, soweit sie nicht ersichtlich nur für die historischen
Verhältnisse des Judentums bestimmt oder durch Christus ausdrücklich
abrogiert waren an Dignität dem Neuen durchaus gleichstand.
Gerade für die Gläubigen war das Gesetz als ideale, nie ganz
erreichbare, aber doch geltende Norm gegeben ), während Luther umgekehrt
- ursprünglich - die Freiheit von der Gesetzesknechtschaft als göttliches
Privileg der Gläubigen gepriesen hatte ). Die Wirkung gottinniger
und doch völlig nüchterner hebräischer Lebensweisheit, welche
in den von den Puritanern am meisten gelesenen Büchern: den Sprüchen
Salomos und manchen Psalmen, niedergelegt ist, fühlt man in ihrer
ganzen Lebensstimmung. Speziell der rationale Charakter: die Unterbindung
der mystischen, überhaupt der Gefühlsseite der Religiosität
sind schon von Sanford ) mit Recht auf die Einwirkung des Alten Testamentes
zurückgeführt worden. Immerhin war an sich dieser alttestamentliche
Rationalismus als solcher wesentlich kleinbürgerlich traditionalistischen
Charakters, und nicht nur das mächtige Pathos der Propheten und vieler
Psalmen stand daneben, sondern auch Bestandteile, welche für die Entwicklung
spezifischer Gefühlsreligiosität schon im Mittelalter die Anknüpfungspunkte
gegeben hatten ). Es war also letztlich doch wieder der eigene, und zwar
eben der asketische, Grundcharakter des Calvinismus selbst, welcher die
ihm kongenialen Bestandteile alttestamentlicher Frömmigkeit auslas
und sich assimilierte. -
I. Die religiösen Grundlagen der innerweltlichen Askese.
[123]
Jene Systematisierung der ethischen Lebensführung nun, welche die
Askese des calvinistischen Protestantismus mit den rationalen Formen des
katholischen Ordenslebens gemeinsam hat, tritt schon rein äußerlich
in der Art zutage, wie der “präzise” puritanische Christ seinen Gnadenstand
fortlaufend kontrollierte ). Zwar das religiöse Tagebuch, in welches
Sünden, Anfechtungen und die in der Gnade gemachten Fortschritte fortlaufend
oder auch tabellarisch eingetragen wurden, war der, in erster Linie von
den Jesuiten geschaffenen, modern -katholischen Frömmigkeit (namentlich
Frankreichs) mit derjenigen der kirchlich eifrigsten reformierten Kreise
) gemeinsam. Aber während es im Katholizismus dem Zweck der Vollständigkeit
der Beichte diente oder dem “directeur de 1'âme” die Unterlage zu
seiner autoritären Leitung des Christen bzw. (meist) der Christin
bot, “fühlte sich” der reformierte Christ mit seiner Hilfe selbst
“den Puls”. Von allen bedeutenden Moraltheologen wird es erwähnt,
noch Benjamin Franklins tabellarisch - statistische Buchführung über
seine Fortschritte in den einzelnen Tugenden gibt ein klassisches Beispiel
dafür ). Und andererseits wurde das alte mittelalterliche (und schon
antike) Bild von der Buchführung Gottes bei Bunyan bis zu der charakteristischen
Geschmacklosigkeit gesteigert, daß das Verhältnis des Sünders
zu Gott mit dem eines Kunden zum shopkeeper verglichen wird: wer einmal
in die Kreide geraten ist, wird mit dem Ertrag all seiner eigenen Verdienste
allenfalls die auflaufenden Zinsen, niemals aber die Hauptsumme abtragen
können ). Wie sein eigenes Verhalten, so kontrollierte aber der spätere
Puritaner auch dasjenige Gottes und sah in allen Einzelfügungen des
Lebens seinen Finger. Und, im Gegensatz zu Calvins genuiner Lehre, wüßte
er daher, warum Gott diese oder jene Verfügung traf. Die Heiligung
des Lebens
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. II.
[124]
konnte so fast den Charakter eines Geschäftsbetriebs annehmen
). Eine penetrante Christianierung des ganzen Daseins war die Konsequenz
dieser Methodik der ethischen Lebensführung, welche der Calvinismus
im Gegensatz zum Luthertum erzwang. Daß diese Methodik für die
Beeinflussung des Lebens das Entscheidende war, hat man sich zum richtigen
Verständnis der Art der Wirkung des Calvinismus stets vor Augen zu
halten. Einerseits ergibt sich daraus, daß eben erst diese Ausprägung
jenen Einfluß üben konnte, andererseits aber: daß auch
andere Bekenntnisse, wenn ihre ethischen Antriebe in diesem entscheidenden
Punkt: dem Bewährungsgedanken, die gleichen waren, in der gleichen
Richtung wirken mußten.
Wir haben bisher uns auf dem Boden der calvinistischen Religiösität
bewegt und demgemäß die Prädestinationslehre als dogmatischen
Hintergrund der puritanischen Sittlichkeit im Sinn methodisch rationalisierter
ethischer Lebensführung vorausgesetzt. Dies geschah deshalb, weil
jenes Dogma tatsächlich auch weit über die Kreise derjenigen
religiösen Partei, welche in jeder Hinsicht streng auf dem Boden Calvins
sich gehalten hat: der “Presbyterianer”, als Eckstein der reformierten
Lehre festgehalten wurde: nicht nur die independentische Sacoydeklaration
von 1658, sondern ebenso die baptistische Hanserd Knollys confession von
1689 enthielten sie, und auch innerhalh des Methodismus war zwar John Wesley,
das große organisatorische Talent seiner Bewegung, Anhänger
der Universalität der Gnade, der große Agitator der ersten methodistischen
Generation und ihr konsequentester Denker aber: Whitefield, ebenso wie
der um Lady Huntingdon gescharte, zeitweise doch recht einflußreiche
Kreis Anhänger des “Gnaden-partikularismus”. In ihrer grandiosen Geschlossenheit
war es diese Lehre, welche in der schicksalvollsten Epoche des
I. Die religiösen Grundlagen der innerweltlichen Askese.
[125]
17. Jahrhunderts den Gedanken: Rüstzeug Gottes und Vollstrecker
seiner providentiellen Fügungen zu sein ), in den kämpfenden
Vertretern des “heiligen Lebens” aufrecht erhielt und den vorzeitigen Kollaps
in eine rein utilitarische Werkheiligkeit mit nur diesseitiger Orientierung
hinderte, die ja zu so unerhörten Opfern um irrationaler und idealer
Ziele willen niemals fähig gewesen wäre. Und die Verbindung des
Glaubens an unbedingt geltende Normen mit absolutem Determinismus und völliger
Transzendenz des Uebersinnlichen, welche sie in einer in ihrer Art genialen
Form herstellte, war ja gleichzeitig - im Prinzip - außerordentlich
viel “moderner”, als die dem Gefühl mehr zusagende mildere Lehre,
welche auch Gott dem Sittengesetz unterstellte. Vor allem aber war der,
wie sich immer wieder zeigen wird, für unsere Betrachtungen fundamentale
Bewährungsgedanke als psychologischer Ausgangspunkt der methodischen
Sittlichkeit gerade an der Gnadenwahllehre und ihrer Bedeutung für
das Alltagsleben so sehr in “Reinkultur” zu studieren, daß wir, da
dieser Gedanke als Schema der Verknüpfung von Glauben und Sittlichkeit
bei den weiterhin zu betrachtenden Denominationen sehr gleichmäßig
wiederkehrt, von jener Lehre als der konsequentesten Form auszugehen hatten.
Innerhalb des Protestantismus bildeten die Konsequenzen, welche sie bei
ihren ersten Anhängern für die asketische Gestaltung der Lebensführung
haben mußte, die prinzipiellste Antithese der (relativen) sittlichen
Ohnmacht des Luthertums. Die lutherische “gratia amissibilis”, welche durch
bußfertige Reue jederzeit wiedergewonnen werden konnte, enthielt
an sich offenbar keinerlei Antrieb zu dem, was für uns hier als Produkt
des asketischen Protestantismus wichtig ist: zu einer systematischen rationalen
Gestaltung des ethischen Gesamtlebens ).
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. II.
[126].
Die lutherische Frömmigkeit ließ demgemäß die
unbefangene Vitalität triebmäßigen Handelns und naiven
Gefühlslebens un-
I. Die religiösen Grundlagen der innerweltlichen Askese.
[127]
gebrochener: es fehlte jener Antrieb zur konstanten Selbstkontrolle
und damit überhaupt zur planmäßigen Reglementierung des
eigenen Lebens, wie ihn die unheimliche Lehre des Calvinismus enthielt.
Der religiöse Genius, wie Luther, lebte in dieser Luft freier Weltoffenheit
unbefangen und - solange die Kraft seiner Schwingen reichte ! - ohne Gefahr
des Versinkens in den “status naturalis”. Und jene schlichte, feine und
eigentümlich stimmungsvolle Form der Frömmigkeit, welche manche
der höchsten Typen des Luthertums geschmückt hat, findet, ebenso
wie ihre gesetzesfreie Sittlichkeit, auf dem Boden des genuinen Puritanismus
selten, weit eher dagegen z. B. innerhalb des milden Anglikanismus der
Hooker, Chillingsworth u. a., ihre Parallele. Aber für den lutherischen
Alltagsmenschen, auch den tüchtigen, war nichts sicherer als daß
er aus dem Status naturalis nur temporär - solange der Einfluß
der einzelnen Beichte oder Predigt reichte - herausgehoben wurde. Bekannt
ist ja der den Zeitgenossen so auffällige Unterschied zwischen dem
ethischen Standard der reformierten Fürstenhöfe gegenüber
den so oft in Trunk und Rohheit versunkenen lutherischen ), ebenso die
Hilflosigkeit der lutherischen Geistlichkeit mit ihrer reinen Glaubenspredigt
gegenüber der asketischen Bewegung des Täufertums. Was man an
den Deutschen als “Gemütlichkeit” und “Natürlichkeit” empfindet,
im Gegensatz zu der - bis auf die Physiognomie der Menschen - noch heute
unter der Nachwirkung jener gründlichen Vernichtung der Unbefangenheit
des “status naturalis” stehenden angloamerikanischen Lebensluft, und was
Deutsche an dieser letzteren regelmäßig als Enge, Unfreiheit
und innerliche Gebundenheit zu befremden pflegt, - das sind Gegensätze
der Lebensführung, welche ganz wesentlich auch jener geringeren asketischen
Durchdringung des Lebens durch das Luthertum im Gegensatz
Die protedtantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. II.
[128]
zum Calvinismus entstammen. Die Antipathie des unbefangenen “Weltkindes”
gegen das Asketische spricht sich in jenen Empfindungen aus. Dem Luthertum
fehlte eben, und zwar infolge seiner Gnadenlehre, der psychologische Antrieb
zum Systematischen in der Lebensführung, der ihre methodische Rationalisierung
erzwingt. Dieser Antrieb, der den asketischen Charakter der Frömmigkeit
bedingt, konnte an sich zweifellos durch verschieden geartete religiöse
Motive erzeugt werden, wie wir bald sehen werden: die Prädestinationslehre
des Calvinismus war nur eine von verschiedenen Möglichkeiten. Aber
allerdings überzeugten wir uns, daß sie in ihrer Art nicht nur
von ganz einzigartiger Konsequenz war, sondern auch von ganz eminenter
psychologischer Wirksamkeit ). Die nichtcalvinistischen asketischen Bewegungen
erscheinen danach, rein unter dem Gesichtspunkt der religiösen Motivierung
ihrer Askese betrachtet, als Abschwächungen der inneren Konsequenz
des Calvinismus.
Aber auch in der Wirklichkeit der geschichtlichen Entwicklung lagen
die Dinge, zwar nicht durchweg, aber doch meist, so, daß die reformierte
Form der Askese von den übrigen asketischen Bewegungen entweder nachgeahmt
oder bei der Entwicklung der eigenen davon abweichenden oder darüber
hinausgehenden Grundsätze vergleichend und ergänzend herangezogen
wurde. Wo trotz andersartiger Glaubensfundamentierung dennoch die gleiche
asketische Konsequenz auftrat, war dies regelmäßig Folge der
Kirchenverfassung, von der in anderm Zusammenhang zu reden ist )
Historisch ist der Gedanke der Gnadenwahl jedenfalls der Ausgangspunkt
für die üblicherweise als “Pietismus” bezeichnete asketische
Richtung gewesen. Es ist, soweit sich diese Bewegung innerhalb der reformierten
Kirche gehalten hat, nahezu unmöglich, eine bestimmte Grenze zwischen
pietistischen und nichtpietistischen Calvinisten zu ziehen ). Fast alle
pro-
M a x W e b e r, Religionssoziologie. I.
I. Die religiösen Grundlagen der innerweltlichen Askese. [129].
nonzierten Vertreter des Puritanismus sind gelegentlich unter die Pietisten
gerechnet worden, und es ist eine Auffassung durch-
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. II.
[130]
aus statthaft, welche alle jene Zusammenhänge zwischen Prädestination
und Bewährungsgedanken, mit dem ihnen zugrunde liegenden Interesse
an der Gewinnung der subjektiven “certitudo salutis”, wie sie oben dargestellt
wurden, bereits als pietistische Fortbildung der genuinen Lehre Calvins
ansieht: Die Entstehung asketischer revivals innerhalb der reformierten
Gemeinschaften ist, namentlich in Holland, ganz regelmäßig mit
einem Wiederaufflammen der zeitweilig in Vergessenheit geratenen oder abgeschwächten
Gnadenwahllehre verbunden gewesen. Für England pflegt man deshalb
den Begriff “Pietismus” meist gar nicht zu brauchen ). Aber auch der kontinentale
reformierte (niederländisch - niederrheinische) Pietismus war wenigstens
dem Schwerpunkt nach ganz ebenso wie etwa die Religiosität Baileys
zunächst einfach Steigerung der reformierten Askese. Auf die “praxis
pietatis” rückte der entscheidende Nachdruck so stark, daß darüber
die dogmatische Rechtgläubigkeit in den Hintergrund trat, zuweilen
direkt indifferent erschien. Dogmatische Irrtümer konnten die Prädestinierten
ja gelegentlich ebenso befallen wie andere Sünden, und es lehrte die
Erfahrung, daß zahlreiche über die Schultheologie gänzlich
unorientierte Christen die offenbarsten Früchte des Glaubens zeitigten,
während sich auf der anderen Seite zeigte, daß das bloße
theologische Wissen keineswegs die Sicherheit der Bewährung des Glaubens
im Wandel
I. Dis religiösen Grundlagen der innerweltlichen Askese.
[131]
mit sich führte ). Am theologischen Wissen konnte also die Er-
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. II.
[132]
wählung überhaupt nicht bewährt werden ). Daher begann
der Pietismus in tiefem Mißtrauen gegen die Theologenkirche ), welcher
er - das gehört zu seinen Merkmalen - offiziell dennoch angehörig
blieb, die Anhänger der “praxis pietatis” in Absonderung von der Welt
in “Konventikel” zu sammeln ). Er wollte die unsichtbare Kirche der Heiligen
sichtbar auf die Erde herabziehen und, ohne doch die Konsequenz der Sektenbildung
zu ziehen, in dieser Gemeinschaft geborgen ein den Einßlüssen
I. Die religiösen Grundlagen der innerweltlichen Askese.
[133]
der Welt abgestorbenes, in allen Einzelheiten an Gottes Willen orientiertes
Leben führen und dadurch der eigenen Wiedergeburt auch in täglichen
äußeren Merkmalen der Lebensführung sicher bleiben. Die
“ecclesiola” der wahrhaft Bekehrten möchte so - das war ebenfalls
allem spezifischen Pietismus gemeinsam - in gesteigerter Askese schon im
Diesseits die Gemeinschaft mit Gott in ihrer Seligkeit kosten. Dies letztere
Bestreben hatte nun etwas mit der lutherischen “unio mystica” innerlich
Verwandtes und führte sehr oft zu einer stärkeren Pflege der
Gefühlsseite der Religion, als sie dem reformierten Durchschnittschristentum
normalerweise eignete. Dies wäre dann auf dem Boden der reformierten
Kirche als das entscheidende Merkmal des “Pietismus” anzusprechen, soweit
unsere Gesichtspunkte in Betracht kommen. Denn jenes der calvinistischen
Frömmigkeit im ganzen ursprünglich fremde, dagegen gewissen Formen
mittelalterlicher Religiosität innerlich verwandte Gefühlsmoment
lenkte die praktische Religiosität in die Bahn diesseitigen Genusses
der Seligkeit statt des asketischen Kampfes um ihre Sicherung für
die jenseitige Zukunft. Und das Gefühl
konnte dabei eine solche Steigerung erfahren, daß die Religiosität
direkt hysterischen Charakter annahm und dann durch jene aus zahllosen
Beispielen bekannte, neuropathisch begründete, Abwechslung von halbsinnlichen
Zuständen religiöser Verzückung mit Perioden nervöser
Erschlaffung, die als “Gottferne” empfunden wurden, im Effekt das direkte
Gegenteil der nüchternen und strengen Zucht, in welche das systematisierte
heilige Leben des Puritaners den Menschen nahm, erzielt wurde: eine Schwächung
jener “Hemmungen”, welche die rationale Persönlichkeit des Calvinisten
gegenüber den “Affekten” stützten ). Ebenso konnte dabei
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. II.
[134]
der calvinistische Gedanke an die Verworfenheit des Kreatürlichen,
gefühlsmäßig - z. B. in der Form des sog. “Wurmgefühls”
- erfaßt, zu einer Ertötung der Tatkraft im Berufsleben führen
). Und auch der Prädestinationsgedanke konnte zum Fatalismus werden,
wenn er - im Gegensatz zu den genuinen Tendenzen der calvinistischen rationalen
Religiosität - Gegenstand stimmungs- und gefühlsmäßiger
Aneignung wurde ). Und endlich der Trieb zur Abgeschiedenheit der Heiligen
von der Welt konnte bei starker gefühlsmäßiger Steigerung
zu einer Art von klösterlicher Gemeinschaftsorganisation halb kommunistischen
Charakters führen, wie sie der Pietismus immer wieder und auch in
der reformierten Kirche gezeitigt hat ). Aber solange dieser extreme, eben
durch jene Pflege der Gefühlsmäßigkeit bedingte Effekt
nicht erzielt wurde, der reformierte Pietismus also innerhalb des weltlichen
Berufslebens seiner Seligkeit sich zu versichern strebte, war der praktische
Effekt pietistischer Grundsätze lediglich eine noch striktere asketische
Kontrolle der Lebensführung im Beruf und eine noch festere religiöse
Verankerung der Berufssittlichkeit, als sie die von den “feinen” Pietisten
als Christentum zweiten Ranges angesehene bloße weltliche “Ehrbarkeit”
der normalen reformierten Christen zu entwickeln vermochte. Die religiöse
Aristokratie der Heiligen, die ja in der Entwicklung aller reformierten
Askese, je ernster sie genommen wurde, um so sicherer hervortrat, wurde
alsdann - wie dies in Holland geschah - innerhalb der Kirche voluntaristisch
in der Form der Konventikelbildung organisiert, während sie im englischen
Puritanismus teils zur förmlichen Unterscheidung von Aktiv- und Passivchristen
in der Verfassung der Kirche, teils - entsprechend dem schon früher
Gesagten - zur Sektenbildung drängte.
I. Die religiösen Grundlagen der innerweltlichen Askese.
[135]
Die Entwicklung des mit den Namen Spener, Francke, Zinzendorf verknüpften,
auf dem Boden des Luthertums stehen den deutschen Pietismus führt
uns nun vom Boden der Prädestinationslehre ab. Aber damit keineswegs
notwendig aus dem Bereich jener Gedankengänge, deren konsequente Krönung
sie bildete, wie denn speziell Speners Beeinflussung durch den englisch
- niederländischen Pietismus von iihm selbst bezeugt ist und z. B.
in der Lektüre von Bailey in seinen ersten Konventikeln zutage trat
). Für unsere speziellen Gesichtspunkte jedenfalls bedeutet der Pietismus
lediglich das Eindringen methodisch gepflegter und kontrollierter, d. h.
also asketischer Lebensführung auch in die Gebiete der nicht calvinistischen
Religiösität ). Das Luthertum mußte aber diese rationale
Askese als Fremdkörper empfinden und die mangelnde Konsequenz der
deutschen pietistischen Doktrin war Folge der daraus erwachsenden Schwierigkeiten.
Für die dogmatische Funda-
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. II.
[136]
mentierung der systematischen religiösen Lebensführung sind
bei Spener lutherische Gedankengänge kombiniert mit dem spezifisch
reformierten Merkmal der guten Werke als solcher die mit der “Absicht auf
die Ehre Gottes” unternommen sind ) und mit dem ebenfalls reformiert anklingenden
Glauben an die Möglichkeit für die Wiedergeborenen, zu einem
relativen Maße christlicher Vollkommenheit zu gelangen ). Nur fehlte
eben die Konsequenz der Theorie: der systematische Charakter der christlichen
Lebensführung, der auch für seinen Pietismus wesentlich ist,
wurde bei dem stark durch die Mystiker beeinflußten ) Spener in ziemlich
unbestimmter, aber wesentlich lutherischer Weise mehr zu beschreiben als
zu begründen versucht, die certitudo salutis nicht aus der Heiligung
abgeleitet, sondern für sie statt des Bewährungsgedankens die
früher erwähnte lockere lutherische Verknüpfung mit dem
Glauben gewählt ). Aber immer wieder erzwangen sich, so weit das rationalasketische
Element im Pietismus über die Gefühlsseite die Oberhand behielt,
die für unsere Gesichtspunkte entscheidenden Vorstellungen ihr Recht:
daß nämlich 1. methodische Entwicklung der eigenen Heiligkeit
zu immer höherer, am Gesetz zu kontrollierender Befestigung und Vollkommenheit
Zeichen des Gnadenstandes sei ) und daß 2. Gottes Vorsehung es sei,
I. Die religiösen Grundlagen der innerweltlichen Askese.
[137]
welche in den so Vervollkommneten wirke”, indem er bei geduldigem Harren
und methodischer Ueberlegung ihnen seine Winke gebe ). Die Berufsarbeit
war auch für A. H. Francke das asketische Mittel par excellence );
daß Gott selbst es sei, der durch den Erfolg der Arbeit die Seinen
segne, stand ihm ebenso fest, wie wir dies bei den Puritanern sehen werden.
Und als Surrogat des “doppelten Dekrets” schuf sich der Pietismus Vorstellungen,
welche in wesentlich gleicher, nur matterer Weise wie jene Lehre eine auf
Gottes besonderer Gnade beruhende Aristokratie der Wiedergeborenen ) mit
all den oben für den Calvinismus geschilderten psychologischen Konsequenzen
etablierten. Dazu gehört z. B. der von den Gegnern des Pietismus diesem
(freilich zu Unrecht) generell imputierte sog. “Terminismus” ), d. h. die
Annahme, daß zwar die Gnade universell
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. II.
[138]
angeboten werde, aber für jeden entweder nur einmal in einem ganz
bestimmten Moment im Leben oder doch irgendwann ein letztes Mal ). Wer
diesen Moment verpaßt hatte, dem half also der Gnadenuniversalismus
nicht mehr: er war in der Lage des von Gott Uebergangenen in der calvinistischen
Lehre. Im Effekt kam dieser Theorie auch die z. B. von Francke aus persönlichen
Erlebnissen abstrahierte und im Pietismus sehr weit verbreitete - man kann
wohl sagen: vorherrschende - Annahme, daß die Gnade nur unter spezifischen
einmaligen und einzigartigen Erscheinungen, nämlich nach vorherigem
“Bußkampf” zum “Durchbruch” gelangen könne, ziemlich nahe ).
Da zu jenem Erlebnis nach der eigenen Ansicht der Pietisten nicht jeder
disponiert war, blieb derjenige, welcher es trotz der nach pietistischer
Anweisung auf seine Herbeiführung zu verwendenden asketischen Methode
nicht an sich erfuhr, in den Augen der Wiedergeborenen eine Art passiver
Christ. Andererseits wurde durch die Schaffung einer Methode für die
Herbeiführung des “Bußkampfs” im Effekt auch die Erlangung der
göttlichen Gnade Objekt rationaler menschlicher Veranstaltung. Auch
die nicht von allen - z. B. von Francke nicht - aber doch von vielen Pietisten,
namentlich aber, wie die immer wiederkehrenden Anfragen bei Spener zeigen,
gerade von pietistischen Seelsorgern gehegten Bedenken gegen die Privatbeichte,
welche dazu beitrugen, auch im Luthertum ihr die Wurzelei abzugraben, gingen
aus diesem Gnadenaristokratismus hervor: die sichtbare Wirkung der durch
Buße erlangten Gnade im heiligen Wandel mußte ja über
die Zulässigkeit der Absolution entscheiden, und es war also unmöglich,
sich für deren Erteilung mit der bloßen “contritio” zu begnügen
).
I. Die religiösen Grundlagen der innerweltlichen Askese.
[139]
Zinzendorfs religiöse Selbstbeurteilung mündete, wenn schon
schwankend gegenüber den Angriffen der Orthodoxie, immer wieder in
die “Rüstzeug” Vorstellung ein. Aber im übrigen freilich scheint
der gedankliche Standpunkt dieses merkwürdigen “religiösen Dilettanten”,
wie Ritschl ihn nennt, in den für uns wichtigen Punkten kaum eindeutig
erfaßbar ). Er selbst hat sich wiederholt als Vertreter des “paulinisch
- lutherischen Tropus” gegen den “pietiistisch - jakobischen”, der am Gesetz
hafte, bezeichnet. Die Brüdergemeinde selbst aber und ihre Praxis,
die er trotz seines stets betonten Luthertums ) zuließ und förderte,
stand schon in ihrem notariellen Protokoll vom 12. August 1729 auf einem
Standpunkt, welcher dem der calvinistischen Heiligenaristokratie in vieler
Hinsicht durchaus entsprach ). Die viel erörterte Uebertragung des
Aeltestenamts auf Christus am 12. November 1741 brachte etwas Aehnliches
auch äußerlich zum Ausdeuck. Von den drei “Tropen” der Brüdergemeinde
war überdies der calvinistische und der mährische von Anfang
an im wesentlichen an der reformierten Berufsethik orientiert. Auch Zinzendorf
sprach ganz nach puritanischer Art John Wesley gegenüber die Ansicht
aus, daß, wenn auch nicht immer der Gerechtfertigte selbst, so doch
andere an der Art seines Wandels seine Rechtfertigung erkennen könnten
). Aber
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. II.
[140]
andererseits tritt in der spezifisch herrnhuterischen Frömmigkeit
das Gefühlsmoment sehr stark in den Vordergrund und suchte speziell
Zinzendorf persönlich die Tendenz zur asketischen Heiligung in puritanischem
Sinn in seiner Gemeinde immer wieder geradezu zu durchkreuzen ) und die
Werkheiligkeit lutherisch umzubiegen ). Auch entwickelte sich, unter dem
Einfluß der Verwerfung der Konventikel und der Beibehaltung der Beichtpraxis,
eine wesentlich lutherisch gedachte Gebundenheit an die sakramentale Heilsvermittlung.
Dann wirkte auch der spezifisch Zinzendorfsche Grundsatz: daß die
Kindlichkeit des religiösen Empfindens Merkmal seiner Echtheit sei,
ebenso z. B. der Gebrauch des Loses als Mittels der Offenbarung von Gottes
Willen, doch dem Rationalismus der Lebensführung so stark entgegen,
daß im ganzen, soweit der Einfluß des Grafen reichte ) die
antirationalen, gefühlsmäßigen Elemente in der Frömmigkeit
der Herrnhuter weit mehr als sonst im Pietismus überwogen ). Die Verknüpfung
von Sittlichkeit und Sündenvergebung in Spangenbergs “Idea fidei fratrum”
ist, ebenso locker ) wie
I. Die religiösen Grundlagen der innerweltlichen Askese.
[141]
im Luthertum überhaupt. Zinzendorfs Ablehnung des methodistischen
Vollkommenheitsstrebens entspricht - hier wie überall - seinem im
Grunde eudämonistischen Ideal, die Menschen schon in der Gegenwart
) die Seligkeit (er sagt: “Glückseligkeit”) gefühlsmäßig
empfinden zu lassen, statt sie anzuleiten, ihrer durch rationales Arbeiten
an sich für das Jenseits sicher zu werden ), Andererseits ist der
Gedanke, daß der entscheidende Wert der Brüdergemeinde im Gegensatz
zu anderen Kirchen in der Aktivität des christlichen Lebens, in Mission
und - was damit in Verbindung gebracht wurde - Berufsarbeit ) liege, auch
hier lebendig geblieben. Zudem war doch die praktische Rationalisierung
des Lebens unter dem Gesichtspunkt der Nützlichkeit ein ganz wesentlicher
Bestandteil auch von Zinzendorfs Lebensanschauung ). Sie folgte für
ihn - wie für andere Vertreter des Pietismas - einerseits aus der
entschiedenen Abneigung gegen die dem Glauben gefährlichen philosophischen
Spekulationen und der dementsprechenden Vorliebe für das empirische
Einzelwissen ), anderer-
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. II.
[142]
seits aus dem weltklugen Sinn des berufsmäßigen Missionars.
Die Brüdergemeinde war als Missionsmittelpunkt zugleich Geschäftsunternehmen
und leitete so ihre Glieder in die Bahnen der innerweltlichen Askese, welche
auch im Leben überall zuerst nach “Aufgaben” fragt und es im Hinblick
auf diese nüchtern und planmäßig gestaltet. Nur steht als
Hemmnis wieder die aus dem Vorbild des Missionslebens der Apostel hergeleitete
Glorifizierung des Charisma der apostolischen Besitzlosigkeit bei den von
Gott durch “Gnadenwahl” erwählten “Jüngern” ) da,
I. Die religiösen Grundlagen der innerweltlichen Askese.
[143]
welches eben doch im Effekt eine teilweise Repristination der “consilia
evangelica” bedeutete. Die Schaffung einer rationalen Berufsethik nach
Art der calvinistischen wurde dadurch immerhin hintangehalten, wenn schon
- wie das Beispiel der Umwandlung der TTäuferbewegung zeigt - nicht
ausgeschlossen, vielmehr durch den Gedanken der Arbeit lediglich “um des
Berufes willen”, innerlich stark vorbereitet.
Alles in allem werden wir, wenn wir den deutschen Pietismus unter den
für uns hier in Betracht kommenden Gesichtspunkten betrachten, in
der religiösen Verankerung seiner Askese ein Schwanken und eine Unsicherheit
zu konstatieren haben, welche gegen die eherne Konsequenz des Calvinismus
erheblich abfällt und teils durch lutherische Einflüsse, teils
durch den Gefühlscharakter seiner Religiosität bedingt ist. Denn
es ist zwar eine große Einseitigkeit, dieses gefühlsmäßige
Element als das dem Pietismus im Gegensatz zum Luthertum Spezifische hinzustellen
). Aber im Vergleich mit dem Calvinismus mußte allerdings die Intensität
der Rationalisierung des Lebens notwendig geringer sein, weil der innere
Antrieb des Gedankens an den stets von neuem zu bewährenden Gnadenstand,
der die ewige Zukunft verbürgt, gefühlsmäßig auf die
Gegenwart abgelenkt und an Stelle der Selbstgewißheit, welche der
Prädestinierte in rastloser und erfolgreicher Berufsarbeit stets neu
zu erwerben trachtete, jene Demut und Gebrochenheit ) des Wesens gesetzt
wurde, welche teils die Folge der rein auf innere Erlebnisse gerichteten
Gefühlserregung, teils des vom Pietisrnus zwar vielfach mit schweren
Bedenken betrachteten,
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. II.
[144]
aber doch meist geduldeten lutherischen Beichtinstituts war ). Denn
in alledem manifestiert sich eben jene spezifisch lutherische Art, das
Heil zu suchen, für welche die “Vergebung der Sünden”, nicht:
die praktische “Heiligung”, das Entscheidende ist. An Stelle des planmäßigen
rationalen Strebens darnach: das sichere Wissen von der künftigen
(jenseitigen) Seligkeit zu erlangen und festzuhalten, steht hier das Bedürfnis,
die Versöhnung und Gemeinschaft mit Gott jetzt (diesseitig) zu fühlen.
Wie aber im ökonomischen Leben die Neigung zum Gegenwartsgenuß
streitet gegen die rationale Gestaltung der “Wirtschaft”, die ja eben an
der Fürsorge für die Zukunft verankert ist, - so verhält
es sich, in gewissem Sinne, auch auf dem Gebiet des religiösen Lebens.
Ganz offenbar enthielt also die Ausrichtung des religiösen Bedürfnisses
auf eine gegenwärtige innerliche Gefühlsaffektion ein minus an
Antrieb zur Rationalisierung des innerweltlichen Handelns gegenüber
dem nur auf das Jenseits ausgerichteten Bewährungsbedürfnis der
reformierten “Heiligen”, während sie freilich gegenüber der traditionalistisch
an Wort und Sakrament haftenden Gläubigkeit des orthodoxen Lutheraners
immerhin ein Mehr an methodischer religiöser Durchdringung der Lebensführung
zu entwickeln geeignet war. Im ganzen bewegte sich der Pietismus von Francke
und Spener zu Zinzendorf hin in zunehmender Betonung des Gefühlscharakters.
Es war aber nicht irgendeine ihm immanente “Entwicklungstendenz”, welche
sich darin äußerte. Sondern jene Unterschiede folgten aus Gegensätzlichkeiten
des religiösen (und: sozialen) Milieus, dem ihre führenden Vertreter
entstammten. Darauf kann an dieser Stelle nicht eingegangen, ebenso auch
nicht davon gesprochen wurden: wie die Eigenart des deutschen Pietismus
in seiner sozialen und geographischen Verbreitung zum Ausdruck kommt ).
Hier haben wir uns noch einmal daran zu erinnern, daß natürlich
die Abschattierung dieses Gefühlspietismus gegenüber der religiösen
Lebensführung der puritani-
M a x W e b e r, Religionssoziologie I.
I. Die religiösen Grundlagen der innerweltlichen Askese.
[145]
schen Heiligen sich in ganz allmählichen Uebergängen vollzieht.
Wenn eine praktische Konsequenz des Unterschiedes wenigstens provisorisch
charakterisiert werden soll, so kann man die Tugenden, welche der Pietismus
züchtete, mehr als solche bezeichnen, wie sie einerseits der “berufstreue”
Beamte, Angestellte, Arbeiter und Hausindustrielle ) und andererseits vorwiegend
patriarchal gestimmte Arbeitgeber in Gott wohlgefälliger Herablassung
(nach Zinzendorfs Art) entfalten konnten. Der Calvinismus erscheint im
Vergleich damit dem harten rechtlichen und aktiven Sinn bürgerlich
- kapitalistischer Unternehmer wahlverwwandter ). Der reine Gefühlspietismus
endlich ist - wie schon Ritschl ) hervorgehoben hat - eine religiöse
Spielerei für “leisure classes”. So wenig erschöpfend diese Charakterisierung
ist, so entsprechen ihr doch noch heute gewisse Unterschiede auch in der
ökonomischen Eigenart der Völker, die unter dem Einfluß
der einen oder anderen dieser beiden asketischen Richtungen gestanden haben.
Die Verbindung gefühlsmäßiger und dabei doch asketischer
Religiosität mit zunehmender Indifferenz oder Ablehnung der dogmatischen
Fundamente der calvinistischen Askese charakterisiert nun auch das englisch
- amerikanische Seitenstück des koontinentalen Pietismus: den Methodismus
). Schon
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. II.
[146]
sein Name zeigt, was den Zeitgenossen als Eigenart seiner Anhänger
auffiel: die “methodische” Systematik der Lebensführung zum Zweck
der Erreichung der certitudo salutis: denn um diese handelt es sich von
Anfang an auch hier und sie blieb Mittelpunkt des religiösen Strebens.
Die trotz aller Unterschiede unbezweifelbare Verwandtschaft mit gewissen
Richtungen des deutschen Pietismus ) zeigt sich nun vor allem darin, daß
diese Methodik speziell auch auf die Herbeiführung des gefühlsmäßigen
Aktes der “Bekehrung” übertragen wurde. Und zwar nahm hier die - bei
John Wesley durch herrnhuterisch - lutherische Einflüsse erweckte
- Gefühlsmäßigkeit, da der Methodismus von Anfang an auf
Mission unter den Massen abgestellt war, einen stark emotionellen Charakter
an, speziell auf amerikanischem Boden. Ein unter Umständen bis zu
den fürchterlichsten Ekstasen gesteigerter Bußkampf, in Amerika
mit Vorliebe auf der “Angstbank” vollzogen, führte zum Glauben an
Gottes unverdiente Gnade und zugleich damit unmittelbar zum Bewußtsein
der Rechtfertigung und Versöhnung. Diese emotionelle Religiosität
ging nun, unter nicht geringen inneren Schwierigkeiten, mit der durch den
Puritanismus ein für allemal rational abgestempelten asketischen Ethik
eine eigentümliche Verbindung ein. Zunächst wurde im Gegensatz
zum Calvinismus, der alles nur Gefühlsmäßige für der
Täuschung verdächtig hielt, prinzipiell eine rein gefühlte,
aus der Unmittelbarkeit des Geisteszeugnisses fließende, absolute
Sicherheit des Begnadeten - deren Entstellung wenigstens normalerweise
auf Tag und Stunde feststehen sollte - als das einzig zweifellose Fundament
der certitudo salutis angesehen. Ein dergestalt Wiedergeborener kann nun
nach der Lehre Wesleys, die eine konsequente Steige-
I. Die religiösen Grundlagen der innerweltlichen Askese.
[147]
rung der Heiligungsdoktrin, aber eine entschiedene Abweichung von der
orthodoxen Fassung derselben darstellt, schon in diesem Leben kraft des
Wirkens der Gnade in ihm durch einen zweiten, regelmäßig gesondert
eintretenden und ebenfalls oft plötzlichen inneren Vorgang, die “Heiligung”,
zum Bewußtsein der Vollkommenheit im Sinne der
Sündlosigkeit gelangen. So schwer dies Ziel erreicht wird - meist
erst gegen Ende des Lebens -, so unbedingt ist danach - weil es die certitudo
salutis endgültig verbürgt und frohe Sicherheit an die Stelle
der “mürrischen” Sorge der Calvinisten setzt ) - zu streben, und es
muß jedenfalls der wirklich Bekehrte sich als solcher vor sich selbst
und anderen dadurch ausweisen, daß zum mindesten die Sünde “keine
Macht mehr über ihn hat”. Trotz der entscheidenden Bedeutung des Selbstzeugnisses
des Gefühls wurde daher natürlich doch der am Gesetz orientierte
heilige Wandel festgehalten. Wo Wesley gegen die Werkgerechtigkeit seiner
Zeit kämpfte, belebte er lediglich den altpuritanischen Gedanken wieder,
daß die Werke nicht Realgrund, sondern nur Erkenntnisgrund des Gnadenstandes
sind, und auch dies nur dann, wenn sie ausschließlich zu Gottes Ruhm
getan werden. Der korrekte Wandel allein tat es nicht - wie er an sich
selbst erfahren hatte - das Gefühl des Gnadenstandes mußte dazu
treten. Er selbst bezeichnete gelegentlich die Werke als “Bedingung” der
Gnade und betonte auch in der Deklaration vom 9. August 1771 ), daß
wer keine guten Werke tue, kein wahrer Gläubiger sei, und stets ist
von den Methodisten betont worden, daß sie sich nicht in der Lehre,
sondern durch die Art der Frömmigkeit von der offiziellen Kirche unterscheiden.
Die Bedeutung der “Frucht” des Glaubens wurde meist aus I. Joh. 3, 9 begründet
und der Wandel als deutliches Zeichen der Wiedergeburt hingestellt. Trotz
alledem ergaben sich Schwierigkeiten ). Für diejenigen Methodisten,
welche Anhänger der Prädestinationslehre waren, bedeutete die
Verlegung der certitudo salutis statt in das aus der asketischen Lebensführung
selbst in stets neuer
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. II.
[148]
Bewährung folgende Gnadenbewußtsein in das unmittelbare
Gnaden- und Vollkommenheitsgefühl ) - weil ja darin an den einmaligen
Bußkampf sich die Sicherheit der “perseverantia” knüpfte -,
eins von zwei Dingen: entweder, bei schwachen Naturen antinomistische Deutung
der “christlichen Freiheit”, also Kollaps der methodischen. Lebensführung,
- oder, wo diese Konsequenz abgelehnt wwurde, eine zu schwindelnder Höhe
sich aufgipfelnde Selbstgewißheit des Heiligen ): eine gefühlsmäßige
Steigerung des puritanischen Typus. Diesen Folgen suchte man, angesichts
der Angriffe der Gegner einerseits durch gesteigerte Betonung der normativen
Geltung der Bibel und der Unentbehrlichkeit der Bewährung entgegenzutreten
), andererseits aber führten sie im Erfolg zu einer Verstärkung
der anticalvinistischen, die Verlierbarkeit der Gnade lehrenden Richtung
Wesleys innerhalb der Bewegung. Die starken lutherischen Einflüsse,
denen, unter Vermittlung der Brüdergemeinde, Wesley ausgesetzt gewesen
war ), verstärkten diese Entwicklung und vermehrten die Unbestimmtheit
der religiösen Orientierung der methodistischen Sittlichkeit ). Im
Ergebnis wurde schließlich wesentlich nur der Begriff der “regeneration”:
einer unmittelbar als Frucht des Glaubens auftretenden gefühlsmäßigen
Sicherheit der Errettung - als unentbehrlichen Fundaments und der Heiligung
mit ihrer Konsequenz der (wenig-
I. Die religiösen Grundlagen der innerweltlichen Askese.
[149]
stens virtuellen) Freiheit von der Macht der Sünde als des aus
jener folgenden Erweises des Gnadenstandes konsequent festgehalten und
die Bedeutung der äußeren Gnadenmittel, insbesondere der Sakramente,
entsprechend entwertet. Und jedenfalls bezeichnet das “general awakening”
im Gefolge des Methodismus überall, auch z. B. in Neu - England, eine
Steigerung der Lehre von Gnade und Erwählung ).
Der Methodismus erscheint danach für unsere Betrachtung als ein
in seiner Ethik ähnlich schwankend fundamentiertes Gebilde wie der
Pietismus. Aber auch ihm diente das Streben nach dem “higher life”, dem
“zweiten Segen”, als eine Art Surrogat der Prädestinationslehre und,
auf dem Boden Englands erwachsen, orientierte sich die Praxis seinen Ethik
durchaus an derjenigen des dortigen reformierten Christentums, dessen “revival”
er ja sein wollte. Methodisch wurde der emotionelle Akt der Bekehrung herbeigeführt.
Und, nachdem er erzielt war, fand nicht ein frommes Genießen der
Gemeinschaft mit Gott nach Art des gefühlsmäßigen Pietismus
Zinzendorfs statt, sondern alsbald wurde das erweckte Gefühl in die
Bahn rationalen Vollkommenheitsstrebens geleitet. Der emotionelle Charakter
der Religiosität führte daher nicht zu einem innerlichen Gefühlschristentum
nach Art des deutschen Pietismus. Daß dies mit der (zum Teil gerade
infolge des emotionellen Ablaufs der Bekehrung) geringeren Entwicklung
des Sündengefühls zusammenhing, hat schon Schneckenburger
gezeigt und ist ein stehender Punkt in der Kritik des Methodismus geblieben.
Hier blieb der reformierte Grundcharakter des religiösen Empfindens
maßgebend. Die Gefühlserregung nahm den Charakter eines nur
gelegentlich, dann aber “korybantenartig” geschürten Enthusiasmus
an, der den rationalen Charakter der Lebensführung im übrigen
keineswegs beeinträchtigte ). Die “regeneration” des Methodismus schuf
so lediglich eine Ergänzung der reinen Werkheiligkeit: eine religiöse
Verankerung der asketi-
Die protestantische Ethik und der Geist dea Kapitalismus. II.
[150]
schen Lebensführung; nachdem die Prädestination aufgegeben
worden war. Die Kennzeichen des Wandels, unentbehrlich als Kontrolle der
wahren Bekehrung, als ihre “Bedingung”, wie Wesley gelegentlich sagt, waren
in der Sache ganz die gleichen wie im Calvinismus. Als einen Spätling
) können wir den Methodismus im folgenden bei der Erörterung
der Berufsidee, zu deren Entfaltung er nichts Neues beisteuerte ), im wesentlichen
beiseite lassen.
Der Pietismus des europäischen Kontinents und der Methodismus
der angelsächsischen Völker sind nach ihrem Gedankengehalt sowohl
als nach ihrer geschichtlichen Entwicklung betrachtet, sekundäre Erscheinungen
). Dagegen steht als zweiter selbständiger Träger protestantischer
Askese neben dem Calvinismus das Täufertum und die aus ihm im Laufe
des 16. und 17. Jahrhunderts direkt oder durch Aufnahme seiner religiösen
Denkformen hervorgegangenen Sekten ) der Bap-
I. Die religiösen Grundlagen der innerweltlichen Askese.
[151]
tisten, Mennoniten und, vor allem, der Quäker ). Mit ihnen gelangen
wir zu religiösen Gemeinschaften, deren Ethik
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. II.
[152]
auf einer prinzipiell gegenüber der reformierten Lehre heterogenen
Grundlage ruht. Die nachfolgende Skizze, die ja nur das für uns hier
Wichtige heraushebt, vermag von der Vielgestalt dieser Bewegung keinen
Begriff zu geben. Wir legen natürlich wieder das Hauptgewicht auf
die Entwicklung in den altkapitalistischen Ländern. - Der historisch
und prinzipiell wichtigste Gedanke aller dieser Gemeinschaften, dessen
Tragweite für die Kulturentwicklung freilich erst in einem anderen
Zusammenhang ganz deutlich werden kann, ist uns in Ansätzen bereits
begegnet: die “believers' church” ). Das heißt: daß die religiöse
Gemeinschaft, die “sichtbare Kirche” nach dem Sprachgebrauch der Reformationskirchen
), nicht mehr aufgefaßt wurde als eine Art Fideikommisstiftung zu
überirdischen Zwecken, eine, notwendig Gerechte und Ungerechte umfassende,
Anstalt - sei es zur Mehrung des Ruhmes Gottes (calvinistisch), sei es
zur Vermittlung von Heilsgütern an die Menschen (katholisch und lutherisch)
-, sondern ausschließlich als einne Gemeinschaft der
I. Die religiösen Grundlagen der innerweltlichen Askese.
[153]
persönlich Gläubigen und Wiedergeborenen rund nur dieser:
mit anderen Worten nicht als eine “Kirche”, sondern als eine “Sekte” ).
Nur dies sollte ja auch das an sich rein äußerliche Prinzip,
ausschließlich Erwachsene, die persönlich den Glauben sich innerlich
erworben und bekannt haben, zu taufen, symbolisieren ). Die “Rechtfertigung”
durch diesen Glauben war nun bei den Täufern, wie sie bei allen Religionsgesprächen
beharrlich wiederholt haben, radikal verschieden von dem Gedanken einer
“forensischen” Zurechnung des Verdienstes Christi, wie er die orthodoxe
Dogmatik des alten Protestantismus beherrschte ). Sie bestand vielmehr
in der innerlichen Aneignung seines Erlösungswerkes. Diese aber erfolgte
durch individuelle Offenbarung: durch die Wirkung des göttlichen Geistes
im einzelnen, und nur durch
Die Protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. II.
[154]
diese. Sie wurde jedem angeboten und es genügte, auf den Geist
zu harren und nicht durch sündliches Kleben an der Welt seinem Kommen
zu widerstreben. Die Bedeutung des Glaubens im Sinn der Kenntnis der Kirchenlehre,
ebenso aber auch im Sinn bußfertigen Ergreifens der göttlichen
Gnade, trat demgegenüber folglich ganz zurück und es fand eine
- natürlich stark umbildende - Rennaissance urchristlicher pneumatisch
- religiöser Gedanken statt. Die SSekte z. B., welcher Menno Simons
in seinem Fondamentboek (1539) als erster eine leidlich geschlossene Lehre
schuf, wollte ebenso wie die anderen täuferischen Sekten die wahre
unsträfliche Kirche Christi sein: wie die Urgemeinde ausschließlich
aus persönlich von Gott Erweckten und Berufenen bestehend. Die Wiedergeborenen
und nur sie sind Christi Brüder, weil, wie er, von Gott geistig direkt
gezeugt ). Strenge Meidung der “Welt”, d. h. alles nicht unbedingt nötigen
Verkehrs mit den Weltleuten, in Verbindung mit striktester Bibliokratie
im Sinn der Vorbildlichkeit des Lebens der ersten Christengeneration ergaben
sich daraus für die eisten Täufergemeinschaften, und dieser Grundsatz
der Weltmeidung ist, solange der alte Geist lebendig blieb, nie ganz verschwunden
). Als bleibenden Besitz nahmen die täuferischen Sekten aus diesen
ihre Anfänge beherrschenden Motiven jenes Prinzip: mit, welches wir
- etwas anders begründet - schon bbeim Calvinismus kennen lernten und
dessen fundamentale Wichtigkeit immer wieder hervortreten wird: die unbedingte
Verwerfung aller “Kreatur-vergötterung” als einer Entwertung der Gott
allein geschuldeten Ehrfurcht ). Die
I. Die religiösen Grundlagen der innerweltlichen Askese.
[155]
biblische Lebensführung war bei der ersten schweizerisch - oberdeutschen
Täufergeneration ähnlich radikal gedacht, wie ursprünglich
beim heiligen Franz: als ein schroffer Bruch mit aller Weltfreude und ein
Leben strikt nach dem Vorbild der Apostel. Und wirklich erinnert das Leben
vieler ihrer ersten Vertreter an dasjenige des heiligen Aegidius. Aber
diese strikteste Bibelobservanz ) stand gegenüber dem pneumatischen
Charakter der Religiosität auf nicht allzu festen Füßen.
Was Gott den Propheten und Aposteln offenbart hatte, war ja nicht alles,
was er offenbaren konnte und wollte. Im Gegenteil: die Fortdauer des Worts,
nicht als einer geschriebenen Urkunde, sondern als einer im täglichen
Leben der Gläubigen wirkenden Kraft des Heiligen Geistes, der direkt
zu dem einzelnen, der ihn hören will, spricht, war - wie schon Schwenckfeld
gegen Luther und später Fox gegen die Presbyterianer lehrte - nach
dem Zeugnis der Urgemeinden das alleinige Kennzeichen der wahren Kirche.
Es hat sich aus diesem Gedanken der fortdauernden Offenbarung die bekannte,
später bei den Quäkern konsequent entwickelte Lehre von der in
letzter Instanz entscheidenden Bedeutung des innerlichen Zeugnisses des
Geistes in Vernunft und Gewissen ergeben. Damit war nicht die Geltung,
wohl aber die Alleinherrschaft der Bibel beseitigt und zugleich eine Entwicklung
eingeleitet, welche mit allen Resten der kirchlichen Heilslehre, schließlich,
bei den Quäkern, auch mit Taufe und Abendmahl, radikal aufräumte
). Die täuferischen Denominationen voll-
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. II.
[156]
zogen, neben den Prädestinatianern, vor allem den strengen Calvinisten,
die radikalste Entwertung aller Sakramente als Heilsmittel und führten
so die religiöse “Entzauberung” der Welt in ihren letzten Konsequenzen
durch. Nur das “innere Licht” der fortdauernden Offenbarung befähigte
überhaupt zum wahren Verständnis auch der biblischen Offenbarungen
Gottes ). Seine Wirkung konnte sich andererseits, wenigstens nach der Lehre
der Quäker, welche hier die volle Konsequenz zogen, erstrecken auf
Menschen, die niemals die biblische Form der Offenbahrung kennengelernt
hatten. Der Satz: “extra ecclesiam nulla salus” galt nur für diese
unsichtbare Kirche der vom Geist Erleuchteten. Ohne das innere Licht blieb
der natürliche, auch der von der natürlichen Vernunft geleitete
), Mensch rein kreatür-
I. Die religiösen Grundlagen der innerweltlichen Askese.
[157]
liches Wesen, dessen Gottferne die Täufer, auch die Quäker,
fast noch schroffer empfanden als der Calvinismus. Die Wiedergeburt andererseits,
welche der Geist, wenn wir auf ihn harren und uns ihm innerlich hingeben,
herbeiführt, kann, weil gottgewirkt, zu einem Zustand
so völliger Ueberwindung der Macht der Sünde führen ), daß
Rückfälle oder gar der Verlust des Gnadenstandes faktisch unmöglich
werden, obwohl, wie später, im Methodismus, die Erreichung jenes Zustandes
nicht als die Regel, der Grad der Vollkommenheit des einzelnen vielmehr
als der Entwicklung unterworfen galt. Alle täuferischen Gemeinschaften
wollten aber “reine” Gemeinden im Sinn des tadellosen Wandels ihrer Mitglieder
sein. Die innere Abscheidung von der Welt und ihren Interessen und die
unbedingte Unterstellung unter die Herrschaft des im Gewissen zu uns redenden
Gottes war auch allein untrügliches Merkmal wirklicher Wiedergeburt
und der dementsprechende Wandel also Erfordernis der Seligkeit. Sie konnte
nicht verdient werden, sondern war Gnadengeschenk Gottes, aber nur der
nach seinem Gewissen Lebende durfte sich als wiedergeboren ansehen. Die
“guten Werke” in diesem Sinn waren “causa sine qua non”. Man sieht: diese
letzteren Gedankenreihen Barclays, an den wir uns gehalten haben, kamen
der reformierten Lehre praktisch doch wieder gleich und waren sicherlich
entwickelt noch unter dem Einfluß der calvinistischen Askese, welche
die täuferischen Sekten in England und den Niederlanden vorfanden
und deren ernstliche und innerliche Aneignung zu predigen die ganze erste
Zeit der Missionstätigkeit von G. Fox ausfüllte.
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. II.
[158]
Psychologisch ruhte aber - da die Prädestination verworfen wurde
- der spezifisch methodische Charakter der täuferischen Sittlichkeit
vor allem auf dem Gedanken des “Harrens” auf die Wirkung des Geistes, welcher
noch heute dem quäkerischen “meeting” seinen Charakter aufprägt
und von Barclay schön analysiert ist: Zweck dieses schweigenden Harrens
ist die Ueberwindung des Triebhaften und Irrationalen, der Leidenschaften
und Subjektivitäten des “natürlichen” Menschen: er soll schweigen,
um so jene tiefe Stille in der Seele zu schaffen, in welcher allein Gott
zu Worte kommen kann. Freilich konnte die Wirkung dieses “Harrens” in hysterische
Zustände, Prophetie und, solange eschatologische Hoffnungen bestanden,
unter Umständen selbst in einen Ausbruch von enthusiastischem Chiliasmus
ausmünden, wie dies bei allen ähnlich fundamentierten Arten von
Frömmigkeit möglich ist und bei der in Münster vernichteten
Richtung tatsächlich eintrat. Aber mit dem Einströmen des Täufertums
in das normale weltliche Berufsleben bedeutete der Gedanke: daß Gott
nur redet, wo die Kreatur schweigt, offenbar eine Erziehung zur ruhigen
Erwägung des Handelns und zu dessen Orientierung an sorgsamer individuelles
Gewissenserforschung ). Diesen ruhigen, nüchternen, hervorragend gewissenhaften
Charakter hat denn auch die Lebenspraxis der späteren täuferischen
Gemeinschaften, in ganz spezifischem Maße die der Quäker, sich
zu eigen gemacht. Die radikale Entzauberung der Welt ließ einen anderen
Weg als die innerweltliche Askese innerlich nicht zu. Für Gemeinschaften,
welche mit den politischen Gewalten und ihrem Tun nichts zu schaffen haben
wollten, folgte daraus auch äußerlich das Einströmen dieser
asketischen Tugenden in die Berufsarbeit. Während die Führer
der ältesten Täuferbewegung in ihrer Weltabgewandtheit rücksichtslos
radikal gewesen waren, war natürlich doch schon in der ersten Generation
die strikt apostolische Lebensführung nicht unbedingt bei allen als
erforderlich für den Erweis der Wiedergeburt festgehalten worden.
Schon
I. Die religiösen Grundlagen der innerweltlichen Askese.
[159]
dieser Generation gehörten wohlhabende bürgerliche Elemente
an, und schon vor Menno, der durchaus auf dem Boden der innerweltlichen
Berufstugend und der Privateigentumsordnung stand, hatte die ernste Sittenstrenge
der Täufer sich diesem durch die reformierte Ethik gegrabenen Bette
praktisch zugewendet ), weil eben die Entwicklung
zur außerweltlichen, mönchischen Form der Askese seit Luther,
dem hierin auch die Täufer folgten, als unbiblisch und werkheilig
ausgeschlossen war. Immerhin hat - von den hier nicht zu erörternden
halbkommunistischen Gemeinschaften der Frühzeit abgesehen - nicht
nur bis in die Gegenwart eine täuferische Sekte - die sog. “Tunker”
(dompelaers, dunckards) - an der Verwerfung der Bildung und jedes das zur
Lebensfristung Unentbehrliche übersteigenden Besitzes festgehalten,
sondern es ist z. B. auch bei Barclay die Berufstreue nicht in calvinistischer
oder auch nur lutherischer, sondern eher in thomistischer Art als “naturali
ratione” unvermeidliche Konsequenz der Verflochtenheit des Gläubigen
in die Welt aufgefaßt ). Lag in diesen Anschauungen eine ähnliche
Abschwächung der calvinistischen Berufskonzeption, wie in vielen Aeußerungen
Speners und der deutschen Pietisten, so wurde andererseits die Intensität
des ökonomischen Berufsinteresses bei den täuferischen Sekten
durch verschiedene Momente wesentlich gesteigert. Einmal durch die, ursprünglich
als eine aus der Abscheidung von der Welt folgende religiöse Pflicht
aufgefaßte, Ablehnung der Uebernahme
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. II.
[160]
von Staatsämtern, welche, auch nach der Aufgabe als Prinzip, doch
wenigstens bei Mennoniten und Quäkern praktisch fortbestand infolge
der strikten Ablehnung des Waffengebrauchs und Eides, da hieraus die Disqualifikation
für öffentliche Aemter sich ergab. Mit ihr ging die bei allen
täuferischen Denominationen unüberwindliche Gegnerschaft gegen
jede Art aristokratischen Lebensstils Hand in Hand, teils, wie bei den
Calvinisten, eine Folge des Verbotes der Kreaturverherrlichung, teils ebenfalls
Konsequenz jener unpolitischen oder geradezu antipolitischen Grundsätze.
Die ganze nüchterne und gewissenhafte Methodik der täuferischen
Lebensführung wurde dadurch in die Bahn des unpolitischen Berufslebens
gedrängt. Dabei prägte nun die ungeheure Bedeutung, welche die
täuferische Heilslehre auf die Kontrolle durch das Gewissen, als die
individuelle Offenbarung Gottes, legte, ihrer Gebarung im Berufsleben einen
Charakter auf, dessen große Bedeutung für die Entfaltung wichtiger
Seiten des kapitalistischen Geistes wir erst weiterhin näher und auch
dann nur soweit kennen lernen werden, als dies ohne Erörterung der
gesamten politischen und Sozialethik der protestantischen Askese hier möglich
ist. Wir werden dann - um wenigstens dies vorwegzunehmen - sehen, daß
die spezifische Form, welche jene innerweltliche Askese bei den Täufern,
speziell den Quäkern, annahm ), schon nach dem Urteil des 17. Jahrhunderts
in der praktischen Bewährung jenes wichtigen Prinzips der kapitalistischen
“Ethik” sich äußerte, welches man dahin zu formulieren pflegt:
“honesty is the best policy” ), und welches ja auch in Franklins früher
zitiertem Traktat sein klassisches Dokument gefunden hat. Dagegen werden
wir die Wirkungen des Calvinismus mehr in der Richtung der Entfesselung
der privatwirtschaftlichen Energie des Erwerbs vermuten: denn trotz aller
formalen Legalität des “Heiligen” galt im Ergebnis doch oft genug
auch
M a x W e b e r, Religionssoziologie I.
I. Die religiösen Grundlagen der innerweltlichen Askese.
[161]
für den Calvinisten der Goethesche Satz: “Der Handelnde ist immer
gewissenlos, es hat niemand Gewissen als der Betrachtende” ).
Ein weiteres wichtiges Element, welches der Intensität der innenweltlichen
Askese der täuferischen Denominationen zugute kam, kann in seiner
vollen Bedeutung ebenfalls nur in anderem Zusammenhang zur Erörterung
gelangen. Immerhin seien auch darüber einige Bemerkungen, zugleich
zur Rechtfertigung des hier gewählten Ganges der Darstellung, vorangeschickt.
Es ist hier ganz absichtlich vorläufig nicht von den objektiven sozialen
Institutionen der altprotestantischen Kirchen und deren ethischen Einflüssen
ausgegangen worden, insbesondere nicht von der so wichtigen Kirchenzucht,
sondern von den Wirkungen, welche die subjektive Aneignung der asketischen
Religiosität seitens der einzelnen auf die Lebensführung hervorzubringen
geeignet war. Dies nicht nur deshalb, weil diese Seite der Sache bisher
die weitaus weniger beachtete ist. Sondern auch, weil die Wirkung der Kirchenzucht
keineswegs immer in der gleichen Richtung lag. Die kirchenpolizeiliche
Kontrolle des Lebens des einzelnen, wie sie in den Gebieten der calvinistischen
Staatskirchen bis dicht an die Grenze der Inquisition getrieben wurde,
konnte vielmehr jener Entbindung der individuellen Kräfte, welche
durch das asketische Streben nach methodischer
Heilsaneignung bedingt war, geradezu entgegenwirken und hat dies unter
Umständen tatsächlich getan. Genau wie die merkantilistische
Reglementierung des Staats zwar Industrien züchten konnte, aber, wenigstens
für sich allein, nicht den kapitalistischen “Geist” - den sie vielmehr,
wo sie polizeilich - autoritären Charakter annahm, vielfach direkt
lähmte -, so konnte die gleiche Wirkung auch von der kirchlichen Reglementierung
der Askese ausgehen, wenn sie sich allzu überwiegend polizeilich entwickelte:
sie erzwang dann ein be-
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. II.
[162]
stimmtes äußeres Verhalten, lähmte aber unter Umständen
die subjektiven Antriebe zur methodischen Lebensführung. Jede Erörterung
dieses Punktes ) muß den großen Unterschied beachten, welcher
zwischen der Wirkung der autoritären Sittenpolizei der Staatskirchen
und der auf freiwilliger Unterwerfung ruhenden Sittenpolizei der Sekten
bestand. Daß die Täuferbewegung in allen ihren Denominationen
grundsätzlich “Sekten”, nicht “Kirchen” schuf, kam jedenfalls der
Intensität ihrer Askese ebenso zustatten, wie dies - in verschieden
starkem Maße - auch bei jenen calvinistischen, pietistischen, methodistischen
Gemeinschaften der Fall war, die faktisch auf die Bahn der voluntaristischen
Gemeinschaftsbildung gedrängt wurden ).
Wir haben nunmehr die puritanische Berufsidee in ihrer Wirkung auf
das Erwerbs leben zu verfolgen, nachdem die vorstellende Skizze ihre religiöse
Fundamentierung zu entwickeln versucht hat. Bei allen Abweichungen im einzelnen
und bei aller Verschiedenheit in dem Nachdruck, welcher bei den verschiedenen
asketischen Religionsgemeinschaften auf den für uns entscheidenden
Gesichtspunkten liegt, zeigten sich diese letzteren doch bei ihnen allen
vorhanden und wirksam ). Entscheidend aber für unsere Betrachtung
war immer wieder, um es zu rekapitulieren, die bei allen Denominationen
wiederkehrende Auffassung des religiösen “Gnadenstandes” eben als
eines Standes (status), welcher den Menschen von der Verworfenheit des
Kreatürlichen, von der “Welt”, abscheidet ), dessen Besitz aber -
wie immer er nach der Dogmatik der betreffenden Denomination erlangt wurde
- nicht durch irgendwelche magisch - saakramentalen Mittel oder durch Entlastung
in der Beichte oder durch einzelne fromme Leistungen garantiert werden
konnte, sondern nur durch die Bewährung in einem spezifisch gearteten
von dem Lebensstil
2. Askese und kapitalistischer Geist. [163]
des “natürlichen” Menschen unzweideutig verschiedenen Wandel.
Daraus folgte für den einzelnen der Antrieb zur methodischen Kontrolle
seines Gnadenstandes in der Lebensführung und damit zu deren asketischer
Durchdringung. Dieser asketische Lebensstil aber bedeutete eben, wie wir
sahen, eine an Gottes Willen orientierte rationale Gestaltung des ganzen
Daseins. Und diese Askese war nicht mehr ein opus supererogationis, sondern
eine Leistung, die jedem zugemutet wurde, der seiner Seligkeit gewiß
sein wollte. Jenes religiös geforderte, vom “natürlichen” Leben
verschiedene Sonderleben der Heiligen spielte sich - das ist das Entscheidende
- nicht mehr außerhalb der Welt iin Mönchsgemeinschaften, sondern
innerhalb der Welt und ihrer Ordnungen ab. Diese Rationalisierung der Lebensführung
innerhalb der Welt im Hinblick auf das Jenseits war die Wirkung der Berufskonzeption
des asketischen Protestantismus. -
Die christliche Askese, anfangs aus der Welt in die Einsamkeit flüchtend,
hatte bereits aus dem Kloster heraus, indem sie der Welt entsagte, die
Welt kirchlich beherrscht. Aber dabei hatte sie im ganzen dem weltlichen
Alltagsleben seinen natürlich unbefangenen Charakter gelassen. Jetzt
trat sie auf den Markt des Lebens, schlug die Türe des Klosters hinter
sich zu und unternahm es, gerade das weltliche Alltagsleben mit ihrer Methodik
zu durchtränken, es zu einem rationalen Leben in der Welt und doch
nicht von dieser Welt oder für diese Welt umzugestalten. Mit welchem
Ergebnis, wollen unsere weiteren Darlegungen zu zeigen versuchen.
2.
Um die Zusammenhänge der religiösen Grundvorstellungen des
asketischen Protestantismus mit den Maximen des ökonomischen Alltagslebens
zu durchschauen, ist es nötig, vor allem solche theologischen Schriften
heranzuziehen, die sich als aus der seelsorgerischen Praxis herausgewachsen
erkennen lassen. Denn in einer Zeit, in welcher das Jenseits alles war,
an der Zulassung zum Abendmahl die soziale Position des Christen hing,
die Einwirkung des Geistlichen in Seelsorge, Kirchenzucht und Predigt einen
Einfluß übte, von dem - wie jeder Blick in die gesammelten “consilia”,
“casus conscientiae” usw. ergibt - wir
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. lI.
[164]
modernen Menschen uns einfach keine Vorstellung mehr zu machen vermögen,
sind die in dieser Praxis sich geltend machenden religiösen Mächte
die entscheidenden Bildner des “Volkscharakters”.
Wir können nun für die Erörterungen dieses Abschnittes,
im Gegensatz zu späteren Erörterungen, den asketischen Protestantismus
als eine Gesamtmasse behandeln. Da aber der aus dem Calvinismus hervorgewachsene
englische Puritanismus die konsequenteste Fundamentierung der Berufsidee
bietet, stellen wir unserem Prinzip gemäß einen seiner Vertreter
in den Mittelpunkt. Richard Baxter zeichnet sich vor vielen anderen literarischen
Vertretern der puritanischen Ethik durch seine eminent praktische und irenische
Stellung, zugleich auch durch die universelle Anerkennung seiner immer
wieder neu aufgelegten und übersetzten Arbeiten aus. Presbyterianer
und Apologet der Westminster - Synode, dabei aber - wie so viele der besten
Geister der Zeit - dogmatisch allmählich dem Hochcalvinismus entwachsend,
innerlich ein Gegner der Usurpation Cromwells, weil jeder Revolution, dem
Sektentum und zumal dem fanatischen Eifer der “Heiligen” abhold, aber von
großer Weitherzigkeit gegenüber äußerlichen Sonderheiten
und objektiv gegenüber dem Gegner, suchte er sein Arbeitsfeld ganz
wesentlich in der Richtung der praktischen Förderung des kirchlich
- sittlichen Lebens, und hat sich - einner der erfolgreichsten Seelsorger,
welche die Geschichte kennt - im Dienst dieser Arbeit der Parlamentsregierung
ebenso wie Cromwell und der Restauration zur Verfügung gestellt ),
bis er unter der letzteren - schon vor dem “Bartholomäustage” - aus
dem Amte wich. Sein “Christian Directory” ist das umfassendste Kompendium
der puritanischen Moraltheologie und dabei überall an den praktischen
Erfahrungen der eigenen Seelsorge orientiert. - Als Repräsentant des
deutschen Pietismus werden Speners “Theologische Bedenken”, für das
2. Askese und kapitalistischer Geist. [165]
Quäkertum Barclays “Apology” und daneben andere Vertreter der
asketischen Ethik ), der Raumersparnis halber möglichst unter dem
Strich, vergleichend herangezogen ).
Nimmt man nun Baxters “Ewige Ruhe der Heiligen” und sein “Christian
Directory” oder auch verwandte Arbeiten anderer ) zur Hand, so fällt
auf den ersten Blick in den Urteilen über den Reichtum ) und seinen
Erwerb die Betonung gerade der ebionitischen Elemente der neutestamentlichen
Verkündigung auf ). Der Reichtum als solcher ist eine schwere Gefahr,
seine
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. II.
[166]
Versuchungen sind unausgesetzte, das Streben ) danach nicht nur sinnlos
gegenüber der überragenden Bedeutung des Gottesreichs, sondern
auch sittlich bedenklich. Weit schärfer als bei Calvin, der in dem
Reichtum der Geistlichen kein Hindernis für ihre Wirksamkeit, im Gegenteil
eine durchaus erwünschte Steigerung ihres Ansehens erblickte, ihnen
gestattete, ihr Vermögen gewinnbringend anzulegen, nur unter Vermeidung
von Aergernis, scheint hier die Askese gegen jedes Streben nach Erwerb
zeitlicher Güter gerichtet. Man kann die Beispiele der Verdammung
des Strebens nach Geld und Gut aus puritanischen Schriften ganz beliebig
häufen und mit der darin fiel unbefangeneren spätmittelalterlichen
ethischen Literatur kontrastieren. Und es ist mit diesen Bedenken auch
durchaus ernst gemeint, - nur bedarf es etwas näheren Zusehens, um
ihren entscheidenden ethischen Sinn und Zusammenhang zu bemerken. Das sittlich
wirklich Verwerfliche ist nämlich das Ausruhen auf dem Besitz ), der
Genuß des Reichtums mit seiner Konsequenz
2. Askese und kapitalistischer Geist. [167]
~f4,
von Müßigkeit und Fleischeslust, vor allem von Ablenkung
von dem Streben nach “heiligem” Leben. Und nur weilder Besitz die Gefahr
dieses Ausruhens mit sich bringt, ist er bedenklich. Denn die “ewige Ruhe
der Heiligen” liegt im Jenseits, auf Erden aber muß auch der Mensch,
um seines Gnadenstands sicher zu werden, “wirken die Werke dessen, der
ihn gesandt hat, solange es Tag ist”. Nicht Muße und Genuß,
sondern nur Handeln dient nach dem unzweideutig geoffenbarten Willen Gottes
zur Mehrung seines Ruhms ). Zeitvergeudung ist also die erste und prinzipiell
schwerste aller Sünden. Die Zeitspanne des Lebens ist unendlich kurz
und kostbar, um die eigene Berufung “festzumachen”. Zeitverlust durch Geselligkeit,
“faules Gerede” ); Luxus ), selbst durch mehr als der Gesundheit nötigen
Schlaf ) - 6 bis höchstens 8 Stunden - ist sittlich absolut verwerflich
). Es heißt noch nicht wie bei Franklin:
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. II.
[168]
“Zeit ist Geld”, aber der Satz gilt gewissermaßen im spirituellen
Sinn: sie ist unendlich wertvoll, weil jede verlorene Stunde der Arbeit
im Dienst des Ruhmes Gottes entzogen ist ). Wertlos und eventuell direkt
verwerflich ist daher auch untätige Kontemplation, mindestens wenn
sie auf Kosten der Berufsarbeit erfolgt ). Denn sie ist Gott minder wohlgefällig
als das aktive Tun seines Willens im Beruf ). Ueberdies ist für sie
der Sonntag da, und es sind nach Baxter immer diejenigen, die in ihrem
Berufe müßig sind, welche auch für Gott keine Zeit haben,
wenn die Stunde dafür da ist ).
2. Askese und kapitalistischer Geist. [169]
Demgemäß sieht sich eine immer wiederholte, zuweilen fast
leidenschaftliche Predigt harter, stetiger, körperlicher oder geistiger
Arbeit durch Baxters Hauptwerk ). Zwei Motive wirken hier zusammen ). Die
Arbeit ist zunächst das alterprobte asketische Mittel, als welches
sie in der Kirche des Abendlandes, in scharfem Gegensatz nicht nur gegen
den Orient, sondern gegen fast alle Mönchsregeln der ganzen Welt ),
von jeher geschätzt war ). Sie ist namentlich das spezifische Präventiv
gegen alle jene Anfechtungen, welche der Puritanismus unter dem Begriff
“unclean life” zusammenfaßt, und deren Rolle ist keine geringe. Die
sexuelle Askese ist ja im Puritanismus nur dem Grade, nicht dem zugrundeliegenden
Prin-
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. II.
[170]
zip nach von der mönchischen verschieden und infolge der Erfassung
auch des ehelichen Lebens weitreichender als jene. Denn der Geschlechtsverkehr
ist auch in der Ehe nur als das von Gott gewollte Mittel zur Mehrung seines
Ruhmes, entsprechend dem Gebot: “Seid fruchtbar und mehret euch”, zulässig
). Wie
2. Askese und kapitalistischer Geist. [171]
gegen religiöse Zweifel und skrpelose Selbstquälerei so wird
auch gegen alle sexuellen Anfechtungen - neben nüchterner
Diät, Pflanzenkost und kalten Bädern -verschrieben: “Arbeite
hart in deinem Beruf” ).
Aber die Arbeit ist darüber hinaus, und vor allem, von Gott vorgeschriebener
Selbstzweck des Lebens überhaupt ). Der paulinische Satz: “Wer nicht
arbeitet, soll nicht essen”, gilt bedingungslos und für jedermann
). Die Arbeitsunlust ist Symptom fehlenden Gnadenstandes ).
Deutlich zeigt sich hier die Abweichung von der mittelalterlichen Haltung.
Auch Thomas von Aquin hatte jenen Satz interpretiert. Aber nach ihm ) ist
die Arbeit nur naturali ratione notwendig zur Erhaltung des Lebens des
einzelnen und der Gesamtheit Wo dieser Zweck wegfällt, zessiert auch
die Geltung der Vorschrift. Sie trifft nur die Gattung, nicht jeden einzelnen.
Wer ohne Arbeit von seinem Besitz leben kann, auf den bezieht
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. II.
[172]
sie sich nicht, und ebenso steht natürlich die Kontemplation als
eine geistliche Form des Wirkens im Gottesreich über dem Gebot in
seiner wörtlichen Auslegung. Für die Populartheologie vollends
lag ja die höchste Form mönchischer “Produktivität” in der
Mehrung des “thesaurus ecclesiae” durch Gebet und Chordienst. Nicht nur
diese Durchbrechungen der ethischen Arbeitspflicht aber fallen bei Baxter
selbstverständlich fort, sondern mit größtem Nachdruck
schärft er den Grundsatz ein, daß auch der Reichtum von jener
bedingungslosen Vorschrift nicht entbinde ). Auch der Besitzende soll nicht
essen ohne zu arbeiten, denn wenn er auch zur Deckung seines Bedarfs der
Arbeit nicht benötigt, so besteht doch Gottes Gebot, dem er ebenso
zu gehorchen hat wie der Arme ). Denn für jeden ohne Unterschied hält
Gottes Vorsehung einen Beruf (calling) bereit, den er erkennen und in dem
er arbeiten soll, und dieser Beruf ist nicht wie im Luthertum ) eine Schickung,
in die man sich zu fügen und mit der man sich zu bescheiden hat, sondern
ein Befehl Gottes an den einzelnen, zu seiner Ehre zu wirken. Diese scheinbar
leichte Nuance hatte weittragende psychologische Konsequenzen und hing
mit einer Weiterbildung jener providentiellen Deutung des ökonomischen
Kosmos zusammen, welche schon der Scholastik geläufig war.
Das Phänomen der Arbeitsteilung und Berufsgliederung der Gesellschaft
hatte, wie andere, schon Thomas von Aquin, an den wir wieder am bequemsten
anknüpfen, als direkten Ausfluß des göttlichen Weltplanes
aufgefaßt. Aber die Eingliederung der Menschen in diesen Kosmos erfolgt
ex causis naturalibus und ist
2. Askese und kapitalistischer Geist. [173]
zufällig (“contingent”, nach dem scholastischen Sprachgebrauch).
Für Luther wurde, wie wir sahen, die aus der objektiven historischen
Ordnung folgende Eingliederung der Menschen, in die gegebenen Stände
und Berufe zum direkten. Ausfluß göttlichen Willens und also
das Verharren des einzelnen in der Stellung und in den Schranken, die Gott
ihm zugewiesen hat, religiöse Pflicht ). Dies um so mehr, als eben
die Beziehungen der lutherischen Frömmigkeit zur “Welt” überhaupt
von Anfang an unsichere waren und blieben. Ethische Prinzipien waren von
Luthers, die paulinische Weltindifferenz niemals ganz abstreifenden, Gedankenkreisen
aus für die Gestaltung der Welt nicht zu gewinnen und man mußte
sie deshalb eben nehmen wie sie war und konnte nur dies zur religiösen
Pflicht stempeln. - Wiederum anders nuanciert sich der providentielle Charakter
des Ineinanderspielens der privatwirtschaftlichen Interessen in der puritanischen
Anschauung. Welches der providentielle Zweck der Berufsgliederung ist,
erkennt man, getreu dem puritanischen Schema pragmatischer Deutung, an
ihren Früchten. Ueber diese nun läßt sich Baxter in Ausführungen
aus, welche in mehr als einem Punkte direkt an Adam Smiths bekannte Apotheose
der Arbeitsteilung erinnern ). Die Spezialisierung der Berufe führt,
weil sie die Uebung (skill) des Arbeiters ermöglicht, zur quantitativen
und qualitativen Steigerung der Arbeitsleistung und dient also, dem allgemeinen
Wohl (common best), welches mit dem Wohl möglichst vieler identisch
ist. Ist soweit die Motivierung rein utilitarisch und durchaus verwandt
mit manchen in der weltlichen Literatur der Zeit bereits üblichen
Gesichtspunkten ), so tritt der charakteristisch puritanische Einschlag
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. II.
[174]
alsbald hervor, wenn Baxter an die Spitze seiner Auseinandersetzungen
das Motiv stellt: “Außerhalb eines festen Berufs sind die Arbeitsleistungen
eines Menschen nur unstete Gelegenheitsarbeit und er verbringt mehr Zeit
in Faulheit als in Arbeit”, und wenn er sie folgendermaßen beschließt:
“und er (der Berufsarbeiter) wird seine Arbeit in Ordnung vollbringen,
während ein anderer in ewiger Verwirrung steckt und sein Geschäft
nicht Ort noch Zeit kennt ) . . . . . darum ist ein fester Beruf (“certain
calling”, an anderen Stellen heißt es “stated calling”) für
jedermann das beste.” Die unstete Arbeit, zu welcher der gewöhnliche
Tägelöhner gezwungen ist, ist ein oft unvermeidlicher, aber stets
unerwünschter Zwischenzustand. Es fehlt eben dem Leben des “Beruflosen”
der systematisch -methodische Charakter, den, wie wir sahen, die innerweltliche
Askese verlangt. Auch nach der Quäkerethik soll das Berufsleben des
Menschen eine konsequente asketische Tugendübung; eine Bewährung
seines Gnadenstandes an seiner Gewissenhaftigkeit sein, die in der Sorgfalt
) und Methode, mit welcher er seinem Beruf nachgeht, sich auswirkt. Nicht
Arbeit an sich, sondern rationale Berufsarbeit ist eben das von Gott Verlangte.
Auf diesem methodischen Charakter der Berufsaskese liegt bei der puritanischen
2. Askese und kapitalistischer Geist. [175]
Berufsidee stets der Nachdruck, nicht, wie bei Luther, auf dem Sichbescheiden
mit dem einmal von Gott zugemessenen Los ). Daher wird nicht nur die Frage,
ob jemand mehrere callings kombinieren dürfe, unbedingt bejaht - wenn
es für das allgemeine Wohl oder das eigene ) zuträglich und niemandem
sonst abträglich ist und wenn es nicht dazu führt, daß
man in einem der kombinierten Berufe ungewissenhaft (“unfaithful”) wird.
Sondern es wird auch der Wechsel des Berufs als keineswegs an sich verwerflich
angesehen, wenn er nicht leichtfertig, sondern um einen Gott wohlgefälligeren
) und das heißt dem allgemeinen Prinzip entsprechend: nützlicheren
Beruf zu ergreifen erfolgt. Und vor allem: die Nützlichkeit eines
Berufs und seine entsprechende Gottwohlgefälligkeit richtet sich zwar
in erster Linie nach sittlichen und demnächst nach Maßstäben
der Wichtigkeit der darin zu produzierenden Güter für die “Gesamtheit”,
aber alsdann folgt als dritter und natürlich praktisch wichtigster
Gesichtspunkt: die privatwirtschaftliche “Profitlichkeit” ). Denn wenn
jener Gott, den der Puritaner in allen
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. II.
[176]
Fügungen des Lebens wirksam sieht, einem der Seinigen eine Gewinnchance
zeigt, so hat er seine Absichten dabei. Und mithin hat der gläubige
Christ diesem Rufe zu folgen, indem er sie sich zunutze macht ). “Wenn
Gott Euch,einen Weg zeigt, auf dem Ihr ohne Schaden für Eure Seele
oder für andere in gesetzmäßiger Weise mehr gewinnen könnt
als auf einem anderen Wege und Ihr dies zurückweist und den minder
gewinnbringenden Weg verfolgt, dann kreuzt Ihr einen der Zwecke Eurer Berufung
(calling), Ihr weigert Euch, Gottes Verwalter (stewart) zu sein und seine
Gaben anzunehmen, um sie für ihn gebrauchen zu können, wenn er
es verlangen sollte. Nicht freilich für Zwecke der Fleischeslust und
Sünde, wohl aber für Gott dürft Ihr arbeiten, um reich zu
sein” ). Der Reichtum ist eben nur als Versuchung zu faulem Ausruhen und
sündlichem Lebensgenuß bedenklich und das Streben danach nur
dann, wenn es geschieht, um später sorglos und lustig leben zu können.
Als Ausübung der Berufspflicht aber ist es sittlich nicht nur gestattet,
sondern geradezu geboten ). Das Gleichnis von jenem Knecht, der ver-
Max Weber, Religionssoziologie I.
2. Askese und kapitalistischer Geist. [177]
worfen wurde, weil er mit dem ihm anvertrauten Pfunde nicht gewuchert
hatte, schien das ja auch direkt auszusprechen ). Arm sein wollen hieße,
wie häufig argumentiert wurde, dasselbe wie krank sein wollen ), es
wäre als Werkheiligkeit verwerflich und Gottes Ruhm abträglich.
Und vollends das Betteln eines zur Arbeit Befähigten ist nicht nur
als Trägheit sündlich, sondern auch nach des Apostels Wort gegen
die Nächstenliebe ).
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. II.
[178]
Wie die Einschärfung der asketischen Bedeutung des festen Berufs
das moderne Fachmenschentum ethisch verklärt, so die providentielle
Deutung der Profitchancen den Geschäftsmenschen ). Die vornehme Läßlichkeit
des Seigneurs und die parvenumäßige Ostentation des Protzen
sind der Askese gleichermaßen verhaßt. Dagegen trifft ein voller
Strahl ethischer Billigung den nüchternen bürgerlichen Selfmademan
): “God blesseth his trade” ist eine stehende Wendung für diejenigen
Heiligen ), welche mit Erfolg jenen göttlichen Fügungen gefolgt
waren, und die ganze Wucht des alttestamentlichen Gottes, der den Seinen
gerade in diesem Leben ihre Frömmigkeit entgilt ), mußte ja
für den Puritaner,
2. Askese und kapitalistischer Geist. [179]
der, nach Baxters Rat, den eigenen Gnadenstand durch Vergleich mit der
Seelenverfassung der biblischen Helden kontrollierte ) und dabei die Aussprüche
der Bibel “wie die Paragraphen eines Gesetzbuches” interpretierte, in der
gleichen Richtung wirken. - Ganz eindeutig waren die Aussprüche des
Alten Testaments an sich ja nicht. Wir sahen, daß Luther sprachlich
den Begriff “Beruf” im weltlichen Sinn zuerst bei der Uebersetzung einer
Sirachstelle anwendete. Das Buch Jesus Sirach gehört aber nach der
ganzen Stimmung, die darin lebt, trotz seiner hellenistischen Beeinflussung
doch zu den traditionalistisch wirkenden Bestandteilen des (erweiterten)
Alten Testaments. Es ist charakteristisch, daß bei den lutherischen
deutschen Bauern noch bis in die Gegenwart dies Buch sich oft besonderer
Beliebtheit zu erfreuen scheint ), wie auch der lutherisch gebundene Charakter
breiter Strömungen im deutschen Pietismus sich in der Vorliebe für
Jesus Sirach zu äußern pflegte ). Die Puritaner verwarfen die
Apokryphen als nicht inspiriert, gemäß
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. II.
[180]
ihrem schroffen Entweder - Oder zwischen Göttlichem und Kreatürlichem
). Um so stärker wirkte unter den kanonischen Büchern das Buch
Hiob mit seiner Kombination einerseits einer großartigen Verherrlichung
von Gottes absolut souveräner, menschlichen Maßstäben entzogener
Majestät, die ja calvinistischeu Anschauungen so höchst kongenial
war, mit der im Schluß doch wieder hervorbrechenden, für Calvin
ebenso nebensächlichen, wie für den Puritanismus wichtigen, Gewißheit,
daß Gott die Seinigen auch und gerade - im Buch Hiob: nur! - in diesem
Leben und auch in materieller Hinsicht zu segnen pflege ). Der orientalische
Quietismus, welcher in manchen der stimmungsvollsten Verse der Psalmen
und der Sprüche Salomos hervortritt, wurde ebenso weggedeutet, wie
Baxter dies mit der traditionalistischen Färbung der für den
Berufsbegriff konstitutiven Stelle des 1. Korintherbriefes tat. Dafür
legte man um so mehr den Nachdruck auf jene Stellen des Alten Testaments,
welche die formale Rechtlichkeit als Kennzeichen gottwohlgefälligen
Wandels rühmen. Die Theorie, daß das mosaische Gesetz durch
den neuen Bund nur soweit seiner Geltung entkleidet sei, als es zeremonielle
oder geschichtlich bedingte Vorschriften für das jüdische Volk
enthalte, im übrigen aber als Ausdruck der “lex naturae” seine Geltung
von jeher besessen und daher auch behalten habe ), ermöglichte einerseits
die Eliminierung solcher Vorschriften, welche in das moderne Leben schlechterdings
nicht einzufügen waren, und ließ doch der mächtigen Verstärkung
jenes Geistes selbstgerechter und nüchterner Legalität, welcher
der innerweltlichen Askese dieses Protestantismus eigen war, durch die
zahlreichen verwandten Züge der alttestamentlichen Sittlichkeit freie
Bahn ). Wenn also, wie
2. Askese und kapitalistischer Geist. [181]
mehrfach schon die Zeitgenossen, so auch neuere Schriftsteller die
ethische Grundstimmung speziell des englischen Puritanismus als “English
Hebraism” bezeichnen ), so ist dies, richtig verstanden, durchaus zutreffend.
Man darf dabei nur nicht an das palästinensische Judentum aus der
Zeit der Entstehung der altestamentlichen Schriften, sondern an das Judentum,
wie es unter dem Einfluß der vielen Jahrhunderte formalistisch -
gesetzlicher, und talmudischer Erziehung allmählich wurde, denken
und muß auch dann äußerst vorsichtig mit Parallelen sein.
Die im ganzen der unbefangenen Schätzung des Lebens als solchen zugewendete
Stimmung des alten Judentums lag weit ab von der spezifischen Eigenart
des Puritanismus. Ebenso fern lag ihm - und auch das darf nicht übersehen
werden - die Wirtschaftsethik des mittelalterlichen und neuzeitlichen Judentums
in den Zügen, welche für die Stellung beider innerhalb der Entwicklung
des kapitalistischen Ethos entscheidend waren. Das Judentum stand auf der
Seite des politisch oder spekulativ orientierten “Abenteurer” - Kapitalismus:
sein Ethos war, mit einem Wort, das des Paria - Kapitalismus, - der Puritanismus
trug das Ethos des rationalen bürgerlichen Betriebs und der rationalen
Organisation der Arbeit. Er entnahm der jüdischen Ethik nur, was in
diesen Rahmen paßte.
Die charakterologischen Folgen der Durchdringung des Lebens mit alttestamentlichen
Normen aufzuzeigen - eine reizvolle Aufgabe, die aber bisher nicht einmal
für das Judentum selbst wirklich gelöst ist ) - wäre im
Rahmen
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. II.
[182]
dieser Skizze unmöglich. Neben den angedeuteten Beziehungen kommt
für den inneren Gesamthabitus des Puritaners vor allem auch in Betracht,
daß der Glaube, das auserwählte Volk Gottes zu sein, in ihm
eine grandiose Renaissance erlebte ). Wie selbst der milde Baxter Gott
dafür dankt, daß er ihn in England und in der wahren Kirche
habe zur Welt kommen lassen und nicht anderswo, so durchdrang dieser Dank
für die eigene durch Gottes Gnade gewirkte Tadellosigkeit die Lebens-
2. Askese und kapitalistischer Geist. [183]
stimmung ) des puritanischen Bürgertums und bedingte jenen formalistisch
korrekten harten Charakter, wie er den Vertretern jener heroischen Epoche
des Kapitalismus eigen war.
Wir suchen uns nun noch speziell die Punkte zu verdeutlichen, in welchen
die puritanische Auffassung des Berufs und die Forderung asketischer Lebensführung
direkt die Entwicklung des kapitalistischen Lebensstils beeinflussen mußte.
Mit voller Gewalt wendet sich die Askese, wie wir sahen, vor allem gegen
eins: das unbefangene Genießen des Daseins und dessen, was es an
Freuden zu bieten hat. Am charakteristischsten kommt dieser Zug wohl in
dem Kampf um das “Book of sports” ), welches Jacob F. und Karl I. zu dem
ansgesprochenen Zweck der Bekämpfung des Puritanismus zum Gesetz erhoben
und dessen Verlesung von allen Kanzeln der letztere anbefahl, zum Ausdruck.
Wenn die Puritaner die Verfügung des Königs, daß am Sonntag
gewisse volkstümliche Vergnügungen außerhalb der Kirchzeit
gesetzlich erlaubt sein sollten, wie rasend bekämpften, so war es
nicht nur die Störung der Sabbatruhe, sondern die ganze geflissentliche
Ablenkung von der geordneten Lebensführung des Heiligen, was sie aufbrachte.
Und wenn der König jeden Angriff auf die Gesetzlichkeit jener Sports
mit schwerer Strafe bedrohte, so war der Zweck gerade, jenen dem Staat
gefährlichen, weil antiautoritären asketischen Zug zu brechen.
Die monarchisch - feudale Gesellschaft schützte
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. II.
[184]
die “Vergnügungswilligen” gegen die entstehende bürgerliche
Moral und das autoritätsfeindliche asketische Konventikel ebenso,
wie heute die kapitalistische Gesellschaft die “Arbeitswilligen” gegen
die Klassenmoral der Arbeiter und den autoritätsfeindlichen Gewerkverein
zu schützen, pflegt. Die Puritaner vertraten demgegenüber ihre
entscheidendste Eigenart: das Prinzip asketischer Lebensführung. Denn
im übrigen war die Abneigung des Puritanismus gegen den Sport, selbst
bei den Quäkern, keine schlechthin grundsätzliche. Nur mußte
er einem rationalen Zweck: der für die physische Leistungsfähigkeit
erforderlichen Erholung, dienen. Als Mittel rein unbefangenen Sich - Auslebens
ungebändigter Triebe dagegen war er ihm verdächtig, und soweit
er zum reinen Genußmittel wurde oder gar den agonalen Ehrgeiz, rohe
Instinkte oder die irrationale Lust zum Wetten weckte, war er selbstverständlich
schlechthin verwerflich. Der triebhafte Lebensgenuß, der von der
Bewfsarbeit wie von der Frömmigkeit gleichermaßen abzieht, war
eben als solcher der Feind der rationalen Askese, mochte er sich als “seigneurialer”
Sport oder als Tanzboden- und Kneipenbesuch des gemeinen Mannes darstellen
).
Mißtrauisch und vielfach feindlich ist demgemäß auch
die Stellung zu den nicht direkt religiös zu wertenden Kulturgütern.
Nicht als ob ein düsteres kulturverachtendes Banausentum im Lebensideal
des Puritanismus enthalten gewesen wäre. Das gerade Gegenteil ist
wenigstens für die Wissenschaft - mit Ausnahme der verabscheuten Scholastik
- richtig. Und die größten VVertreter der puritanischen Bewegung
sind überdies tief in die Bildung der Renaissance getaucht: die Predigten
des presbyterianischen Flügels der Bewegung triefen von Klassizismen
)
2. Askese und kapitalistischer Geist. [185]
und selbst diejenigen der Radikalen verschmähen, trotzdem sie
allerdings gerade daran Anstoß nahmen, derartige Gelehrsamkeit doch
in der theologischen Polemik nicht. Nie vielleicht ist ein Land so überreich
an “graduates” gewesen, wie Neu - England in der ersten Generation seines
Bestehens. Die Satire der Gegner wie z. B. Butlers “Hudibras”, setzt ebenfalls
gerade bei der Stubengelehrsamkeit und geschulten Dialektik der Puritaner
ein: dies hängt teilweise mit der religiösen Schätzung des
Wissens zusammen, welche aus der Stellung zur katholischen “fides implicita”
folgte. - Schon anders steht es, sobald man das Gebiet der nicht wissenschaftlichen
Literatur ) und weiterhin der Sinnenkunst betritt. Hier freilich legte
sich die Askese wie ein Reif auf das Leben des fröhlichen alten England.
Und nicht nur die weltlichen Feste wurden davon betroffen. Der zornige
Haß der Puritaner gegen alles, was nach “superstition” roch, gegen
alle Reminiszenzen von magischer oder hierurgischer Gnadenspendung verfolgte
das christliche Weihnachtsfest ganz ebenso wie den Maibaum ) und die unbefangene
kirchliche Kunstübung. Daß in Holland für die Entwicklung
einer großen, oft derb realistischen, Kunst Raum blieb ), beweist
lediglich, wie wenig exklusiv die
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. II.
[186]
dortige autoritär gehandhabte Sittenreglementierung nach diesen
Richtungen gegenüber dem Einfluß des Hofes und des Regentenstandes
(einer Rentnerschicht), aber auch der Lebenslust reich gewordener Kleinbürger
zu wirken vermochte, nachdem die kurze Herrschaft der calvinistischen Theokratie
sich in ein nüchternes Staatskirchentum aufgelöst und damit der
Calvinismus an asketischer Werbekraft merklich verloren hatte ). Das
2. Askese und kapitalistischer Geist. [187]
Theater war dem Puritaner verwerflich ), und bei der strikten Ausscheidung
des Erotischen und der Nuditäten aus dem Kreise des Möglichen
blieb in Literatur wie Kunst die radikalere Auffassung nicht stehen. Die
Begriffe des “idle talk”, der “superfluities” ), der “vain ostentation”
- alles Bezeichnungen eines irrationaleen, ziellosen, daher nicht asketischen
und überdies nicht zum Ruhme Gottes, sondern des Menschen dienenden
Gebärens - waren schnell bei der Hand, um gegen jede Verwendung künstlerischer
Motive die nüchterne Zweckmäßigkeit entschieden zu begünstigen.
Vollends galt dies da, wo es sich um den direkten Schmuck der Person, z.
B. die Tracht ), handelte. Jene mächtige Tendenz zur Uniformierung
des Lebensstils, welcher heute das kapitalistische Interesse an der “standardization”
der Prouuktion )
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. II.
[188]
zur Seite steht, hatte in der Ablehnung der “Kreaturvergötterung”
ihre ideelle Grundlage ). Gewiß darf man dabei nicht vergessen, daß
der Puritanismus eine Welt von Gegensätzen in sich schloß, daß
der instinktive Sinn für das zeitlos Große in der Kunst bei
seinen Führern sicher höher stand als in der Lebensluft der “Kavaliere”
), und daß ein einzigartiger Genius wie Rembrandt, so wenig sein
“Wandel” durchweg vor den Augen des puritanischen Gottes Gnade gefunden
hätte, doch in der Richtung seines Schaffens durch sein sektiererisches
Milieu ganz wesentlich mitbestimmt wurde ). Aber am Gesamtbild ändert
das insofern nichts, als die mächtige Verinnerlichung der Persönlichkeit,
welche die weitere Fortbildung der puritanischen Lebensluft mit sich bringen
konnte und tatsächlich mitbestimmt hat, doch vorwiegend der Literatur
und auch da erst späteren Geschlechtern zugute gekommen ist.
2. Askese und kapitalistischer Geist. [189]
Ohne auf die Erörterung der Einflüsse des Puritanismus nach
all diesen: Richtungen hier näher eingehen zu können, vergegenwärtigen
wir uns nur, daß die Statthaftigkeit der Freude an den rein dem ästhetischen
oder sportlichen Genuß dienenden Kulturgütern jedenfalls immer
eine charakteristische Schranke findet: sie dürfen nichts kosten.
Der Mensch ist ja nur Verwalter der durch Gottes Gnade ihm zugewendeten
Güter, er hat, wie der Knecht der Bibel, von jedem anvertrauten Pfennig
Rechenschaft abzulegen ), und es ist zum mindesten bedenklich, davon etwas
zu verausgaben zu einem Zweck, der nicht Gottes Ruhm, sondern dem eigenen
Genuß gilt ). Wem, der die Augen offen hat, wären Repräsentanten
dieser Auffassung nicht bis in die Gegenwart hinein begegnet? ) Der Gedanke
der Verpflichtung des Menschen gegenüber seinem anvertrauten Besitz,
dem er sich als dienender Verwalter oder geradezu als “Erwerbsmaschine”
unterordnet, legt sich mit seiner erkältenden Schwere auf das Leben.
Je größer der Besitz wird,desto schwerer wird - wenn die asketische
Lebensstimmung die Probe besteht - das Gefühl der Verantwortung dafür,
ihn zu Gottes Ruhm ungeschmälert zu erhalten und durch rastlose Arbeit
zu vermehren. Auch die Genesis dieses Lebensstils reicht in einzelnen Wurzeln,
wie so viele Bestandteile des modernen kapitalistischen Geistes, in das
Mittelalter zurück ), aber erst
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. II.
[190]
in der Ethik des asketischen Protestantismus fand er seine konsequente
ethische Unterlaie. Seine Bedeutung für die Entwicklung des Kapitalismus
liegt auf der Hand ).
Die innerweltliche protestantische Askese - so können wir das
bisher Gesagte wohl zusammenfassen - wirkte, also mit voller Wucht gegen
den unbefangenen Genuß des Besitzes, sie schnürte die Konsumtion,speziell
die Luxuskonsumtion, ein. Dagegen entlastete sie im psychologischen Effekt
den Gütererwerb von den Hemmungen der traditionalistischen Ethik,
sie sprengt die Fesseln des Gewinnstrebens, indem sie es nicht nur legalisierte,
sondern (in dem dargestellten Sinn) direkt als gottgewollt ansah. Der Kampf
gegen Fleischeslust und das Hängen an äußeren Gütern
war, wie neben den Puritanern auch der große Apologet des Quäkertums,
Barclay, ausdrücklich bezeugt, kein Kampf gegen rationalen Erwerb,
sondern gegen irrationale Verblendung des Besitzes. Diese aber lag vor
al1em in der Wertschätzung der als Kreaturvergötterung )
2. Askese und kapitalistischer Geist. [191]
verdammlichen ostensiblen Formen des Luxus, wie sie dem feudalen Empfinden
so nahe lagen, anstatt der von Gott gewollten rationalen und utilitarischen
Verwendung für die Lebenszwecke des einzelnen und der Gesamtheit.
Nicht Kasteiung ) wollte sie dem Besitzenden aufzwingen, sondern Gebrauch
seines Besitzes für notwendige und praktisch nützliche Dinge.
Der Begriff des “comfort” umspannt in charakteristischer Weise den Preis
der ethisch statthaften Verwendungszwecke, und es ist natürlich kein
Zufall, daß man die Entwicklung des Lebensstils, der sich an jenen
Begriff heftet, gerade bei den konsequentesten Vertretern dieser ganzen
Lebensanschauung: den Quäkern, am frühesten und deutlichsten
beobachtet hat. Dem Flitter und Schein chevaleresken Prunkes, der, auf
unsolider ökonomischer Basis ruhend, die schäbige Eleganz der
nüchternen Einfachheit vorzieht, setzten sie die saubere und solide
Bequemlichkeit des bürgerlichen “home” als Ideal entgegen ).
Auf der Seite der Produktion des privatvirtschaftlichen Reichtums kämpfte
die Askese gegen Unrechtlichkeit ebenso wie gegen rein triebhafte Habgier,
- denn diese war es, welche sie als “coovetousness”, als “Mammonismus” usw.
verwarf : das Streben nach Reichtum zu dem Endzweck, reich zu sein. Denn
der Besitz als solcher war Versuchung. Aber hier war nun die Askese die
Kraft, “die stets das Gute will und stets das Böse” - das in ihrem
Sinn Böse: den Besitz und seine Ver-
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. II.
[192]
suchungen - “schafft”. Denn nicht nur sah sie, mit dem Alten Testament
und in voller Analogie zu der ethischen Wertung der “guten Werke”, zwar
in dem Streben nach Reichtum als Zweck den Gipfel des Verwerflichen, in
der Erlangung des Reichtums als Frucht der Berufsarbeit, aber den Segen
Gottes. Sondern, was noch wichtiger war: die religiöse Wertung der
rastlosen, stetigen, systematischen, weltlichen Berufsarbeit als schlechthin
höchsten asketischen Mittels und zugleich sicherster und sichtbarster
Bewährung des wiedergsborenen Menschen und seiner Glaubensechtheit
mußte ja der denkbar mächtigste Hebel der Expansion jener Lebensauffassung
sein, die wir hier als “Geist” des Kapitalismus bezeichnet haben ). Und
halten wir nun noch jene Einschnürung der Konsumtion mit dieser Entfesselung
des Erwerbsstrebens zusammen, so ist das äußere Ergebnis naheliegend:
Kapitalbildung durch asketischen Spar-zwang ). Die Hemmungen, welche dem
konsumtiven
M a x W e b e r, Religionssoziologie I.
2. Askese und kapitalistischer Geist. [193]
Verbrauch des Erworbenen entgegenstanden, mußten ja seiner
produktiven Verwendung: als Anlagekapital, zugute kommen. Wie stark diese
Wirkung gewesen ist, entzieht sich ziffernmäßig naturgemäß
jeder exakten Bestimmung. In Neu - England tritt der Zusammenhang so greifbar
hervor, daß er bereits dem Auge eines so vortrefflichen Historikers
wie Doyle nicht entgangen ist ). Aber auch in dem vom strikten Calvinismus
nur 7 Jahre wirklich beherrschten Holland führte die in den religiös
ernsteren Kreisen herrschende größere Einfachheit des Lebens
bei enormen Reichtümern zu einer exzessiven Kapitalaufsammlungssucht
). Daß ferner die zu allen Zeiten und überall vorhanden gewesene,
auch bei uns heute recht wirksame, Tendenz zur “Veradligung” bürgerlicher
Vermögen durch die Antipathie des Puritanismus gegen feudale Lebensformen
fühlbar gehemmt werden mußte, liegt auf der Hand. Englische
merkantilistische Schriftsteller des 17. Jahrhunderts, führten die
Ueberlegenheit der holländischen Kapitalmacht gegenüber England
darauf zurück, daß dort nicht wie hier neu erworbene Vermögen
regelmäßig durch Anlage in Land und - denn darauf, nicht auf
den Landankauf allein kommt es an - den Uebergang zu feudalen Lebensgewohnheiten
Nobilitierung suchten und dadurch
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. II.
[194]
der kapitalistischen Verwertung entzogen würden ). Die auch bei
den Puritanern nicht fehlende Schätzung der Landwirtschaft als eines
besonders wichtigen, auch der Frömmigkeit besonders zuträglichen
Erwerbszweigs galt (z. B. bei Baxter) nicht dem Landlord, sondern dem Yeoman
und Farmer, und im 18. Jahrhundert nicht dem Junker, sondern dem “rationellen”
Landwirt ). Durch die englische Gesellschaft der Zeit seit dem 17. Jahrhundert
zieht sich der Zwiespalt zwischen der “Squirearchie”, der Trägerin
des “fröhlichen alten England”, und den in ihrer gesellschaftlichen
Macht stark schwankenden puritanischen Kreisen ). Beide Züge: der
einer ungebrochenen naiven Lebensfreude und der einer streng geregelten
und reservierten Selbstbeherrschung und konventionellen ethischen Bindung
stehen noch heute im Bilde des englischen “Volkscharakters” nebeneinander
). Und ebenso zieht sich durch die ältere Geschichte der nordamerikanischen
Kolonisation der scharfe Gegensatz der “adventurers”, die mit der Arbeitskraft
von indented
2. Askese und kapitalistischer Geist. [195]
servants Plantagen einrichten und seigneurial leben wollten, gegen
die spezifisch bürgerliche Gesinnung der Puritaner ).
Soweit die Macht puritanischer Lebensauffassung reichte, kam sie unter
allen Umständen - und dies ist natürlich weit wichtiger als die
bloße Begünstigung der Kapitalbildung - der Tendenz zu bürgerlicher,
ökonomisch rationaler Lebensführung zugute; sie war ihr wesentlichster
und vor allem: ihr einzig konsequenter Träger. Sie stand an der Wiege
des modernen “Wirtschaftsmenschen”. Gewiß: diese puritanischen Lebensideale
versagten bei einer allzu starken Belastungsprobe durch die den Puritanern
selbst ja sehr wohlbekannten “Ver-suchungen” des Reichtums. Sehr regelmäßig
finden wir die genuinsten Anhänger puritanischen Geistes in den Reihen
der erst im Aufsteigen begriffenen Schichten ) der Kleinbürger und
Farmer und die “beati possidentes”, selbst bei den Quäkern, recht
oft zur Verleugnung der alten Ideale bereit ). Es war das ja das gleiche
Schicksal, welchem die Vorgängerin der innerweltlichen Askese: die
klösterliche Askese des Mittel-
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. II.
[196]
alters, immer wieder erlag: wenn die ratione11e Wirtschaftsführung
hier, an der Stätte streng geregelten Lebens und gehemmter Konsumtion,
ihre Wirkung voll entfaltet hatte, so verfiel der gewonnene Besitz entweder
direkt - wie in der Zeit vor der Glaubensspaltung - der Veradligung oder
es drohte doch die klösterliche Zucht in die Brüche zu gehen
und eine der zahlreichen “Reformationen” mußte eingreifen. Ist doch
die ganze Geschichte der Ordensregeln in gewissem Sinne ein stets erneutes
Ringen mit dem Problem der säkularisierenden Wirkung des Besitzes.
Das gleiche gilt in grandiosem Maßstabe auch für die innerweltliche
Askese des Puritanismus. Der mächtige “revival” des Methodismus, welcher
dem Aufblühen der englischen Industrie gegen Ende des 18. Jahrhunderts
vorangeht, kann mit einer solchen Klosterreformation recht wohl verglichen
werden. Von John Wesley selbst möge nun hier eine Stelle ) Platz finden,
welche wohl geeignet wäre, als Motto über allem bisher Gesagten
zu stehen. Denn sie zeigt, wie die Häupter der asketischen Richtungen
selbst sich über die hier dargelegten scheinbar so paradoxen Zusammenhänge
vollkommen, und zwar durchaus in dem hier entwickelten Sinn klar waren
). Er schreibt:
“Ich fürchte: wo immer der Reichtum sich vermehrt hat, da hat
der Gehalt an Religion in gleichem Maße abgenommen. Daher sehe ich
nicht, wie es, nach der Natur der Dinge, möglich sein soll, daß
irgendeine Wiedererweckung echter Religiosität lange Dauer haben kann.
Denn Religion muß notwendig sowohl Arbeitsamkeit (industry) als Sparsamkeit
(frugality) er-
2. Askese und kapitalistischer Geist. [197]
zeugen, und diese können nichts anderes als Reichtum hervorbringen.
Aber wenn Reichtum zunimmt, so nimmt Stolz, Leidenschaft und Weltliebe
in all ihren Formen zu. Wie soll es also möglich sein, daß der
Methodismus, das heißt eine Religion des Herzens, mag sie jetzt auch
wie ein grünender Baum blühen, in diesem Zustand verharrt ? Die
Methodisten werden überall fleißig und sparsam, folglich vermehrt
sich ihr Güterbesitz. Daher wachsen sie entsprechend an Stolz, Leidenschaft,
an fleischlichen und weltlichen Gelüsten und Lebenshochmut. So bleibt
zwar die Form der Religion, der Geist aber schwindet allmählich. Gibt
es keinen Weg, diesen fortgesetzten Verfall der reinen Religion zu hindern
? Wir dürfen die Leute nicht hindern, fleißig und sparsam zu
sein. Wir müssen alle Christen ermahnen, zu gewinnen was sie können
und zu sparen was sie können, das heißt im Ergebnis: reich zu
werden.” (Folgt die Ermahnung, daß die, die “alles gewinnen was sie
können und alles sparen was sie können” auch “alles was sie können,
geben” sollen, um so in der Gnade zu wachsen und einen Schatz im Himmel
zu sammeln.) - Man sieht, es ist das bis in alle Einzelheiten der hier
beleuchtete Zusammenhang ).
Ihre volle ökonomische Wirkung entfalteten, ganz wie es hier Wesley
sagt, jene mächtigen religiösen Bewegungen, deren Bedeutung für
die wirtschaftliche Entwicklung ja in erster Linie in ihren asketischen
Erziehungswirkungen lag, regelmäßig erst, nachdem die Akme des
rein religiösen Enthusiasmus bereits überstiegen war, der Krampf
des Suchens nach dem Gottesreich sich allmählich in nüchterne
Berufstugend aufzulösen begann, die religiöse Wurzel langsam
abstarb und utilitarischer Diesseitigkeit Platz machte, - wenn, um mit
Dowden zu reden, in der populären Phantasie “Robinson Crusoe”, der
isolierte Wirtschaftsmensch, welcher nebenher Missionsarbeit treibt ),
an die Stelle des in innerlich einsamem Streben nach dem Himmelreich durch
den “Jahrmarkt der
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. II.
[198]
Eitelkeit eilenden Bunyanschen “Pilgers” getreten war. Wenn dann weiterhin
der Grundsatz herrschend wurde: “to make the best of both worlds”, so mußte
schließlich - wie ebenfalls schon Dowden bemerkt hat - das gute Gewissen
einfach in die Reihe der Mittel komfortablen bürgerlichen Lebens eingereiht
werden, wie dies ja auch das deutsche Sprichwort vom “sanften Ruhekissen”
recht hübsch zum Ausdruck bringt. Was jene religiös lebendige
Epoche des 17. Jahrhunderts ihrer utilitarischen Erbin vermachte, war aber
eben vor allem ein ungeheuer gutes - sagen wir getrost: ein pharisäisch
gutes - Gewissen beim Gelderwerb, wenn anders er sich nur in legalen Formen
vollzog. Jeder Rest des “Deo placere vix potest” war verschwunden ). Ein
spezifisch bürgerliches Berufsethos war entstanden. Mit dem Bewußtsein,
in Gottes voller Gnade zu stehen und von ihm sichtbar gesegnet zu werden,
vermochte der bürgerliche Unternehmer, wenn er sich innerhalb der
Schranken formaler Korrektheit hielt, sein sittlicher Wandel untadelig
und der Gebrauch, den er von seinem Reichtum machte, kein anstößiger
war, seinen Erwerbsinteressen zu folgen und sollte dies tun. Die Macht
der religiösen Askese, stehte ihm überdies nüchterne, gewissenhafte,
ungemein arbeitsfähige und an der Arbeit als gottgewolltem Lebenszweck
klebende Arbeiter zur Verfügung ). Sie gab ihm dazu die beruhigende
Versicherung, daß
2. Askese und kapitalistischer Geist. [199]
die ungleiche Verteilung der Güter dieser Welt ganz spezielles
Werk von Gottes Vorsehung sei, der mit diesen Unterschieden ebenso wie
mit der nur partikulären Gnade seine geheimen, uns unbekannten Ziele
verfolge ). Schon Calvin hatte den oft zitierten Ausspruch getan, daß
nur wenn das “Volk”, d. h. die Masse der Arbeiter und Handwerker, arm erhalten
werde, es Gott gehorsam bleibe ). Die Niederländer (Pieter de la Court
und andere) hatten dies dahin “säkularisiert”: daß die Masse
der Menschen nur arbeite, wenn die Not sie dazu treibe, und diese Formulierung
eines Leitmotivs kapitalistischer Wirtschaft mündete dann weiterhin
in den Strom der Theorie von der “Produktivität” niederer Löhne.
Auch hier schob sich die utilitarische Wendung dem Gedanken unvermerkt
mit dem Absterben seiner religiösen Wurzel unter, ganz nach dem Entwicklungsschema,
welches wir immer wieder beobachtet haben. Die mittelalterliche Ethik hatte
den Bettel nicht nur geduldet, sondern in den Bettelorden geradezu glorifiziert.
Auch die weltlichen Bettler wurden, da sie ja dem Besitzenden Gelegenheit
zu guten Werken durch Almosen gaben, gelegentlich geradezu als “Stand”
bezeichnet und gewertet. Noch die anglikanische Sozialethik der Stuarts
stand dieser Haltung innerlich sehr nahe. Es war der puritanischen Askese
vorbehalten, an jener hartes englischen Armengesetzgebung mitzuarbeiten,
welche hierin grundsätzlich Wandel schuf. Und sie konnte das, weil
die protestantischen Sekten und die streng puritanischen Gemeinschaf-
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. II.
[200]
ten überhaupt in ihrer eigenen Mitte den Bettel tatsächlich
nicht kannten ).
Denn andererseits: Von der anderen Seite, derjenigen der Arbeiter,
gesehen, glorifizierte z. B. die Zinzendorfsche Spielart des Pietismus
den berufstreuen Arbeiter, der nicht nach Erwerb trachtet, als nach dem
Vorbild der Apostel lebend und also mit dem Charisma der Jüngerschaft
begabt ). Noch radikaler waren ähnliche Anschauungen anfangs bei den
Täufern verbreitet gewesen. Nun ist natürlich die gesamte asketische
Literatur fast aller Konfessionen von dem Gesichtspunkt durchtränkt,
daß treue Arbeit auch bei niederen Löhnen seitens dessen, dem
das Leben sonst keine Chancen zugeteilt hat, etwas Gott höchst Wohlgefälliges
sei. Darin brachte die protestantische Askese an sich keine Neuerung. Aber:
sie vertiefte nicht nur diesen Gesichtspunkt aufs mächtigste, sondern
sie erschuf jener Norm das, worauf es ja schließlich doch für
deren Wirkung allein ankam: den psychologischen Antrieb durch die Auffassung
dieser Arbeit als Beruf, als vorzüglichsten, ja letztlich oft als
einzigen Mittels, des Gnadenstandes sicher zu werden ). Und sie legalisierte
auf der anderen Seite die Ausbeutung dieser spezifischen Arbeitswilligkeit,
indem sie auch den Gelderwerb des Unternehmers als “Beruf” deutete ). Es
liegt
2. Askese und kapitalistischer Geist. [201]
auf der Hand, wie mächtig das ausschließliche Streben nach
dem Gottesreich durch Erfüllung der Arbeitspflicht als Beruf und die
strenge Askese, welche die Kirchenzucht naturgemäß gerade den
besitzlosen Klassen aufnötigte, die “Produktivität” der Arbeit
im kapitalistischen Sinn des Wortes fördern mußte. Die Behandlung
der Arbeit als “Beruf” wurde für den modernen Arbeiter ebenso charakteristisch
wie für den Unternehmer die entsprechende Auffassung des Erwerbes.
Es war eine Wiedergabe dieses damals neuen Tatbestandes, wenn ein so scharfer
anglikanischer Beobachter wie Sir William Petty die holländische Wirtschaftsmacht
des 17. Jahrhunderts darauf zurückführte, daß die dort
besonders zahlreichen “Dissenters” (Calvinisten und Baptisten) Leute seien,
welche “Arbeit und Gewerbfleiß für, ihre Pflicht gegen Gott”
ansahen. Der “organischen” Sozialverfassung in jener fiskalisch -monopolistischen
Wendung, welche sie im Anglikanismus unter den Stuarts, namentlich in den
Konzeptionen Lauds annahm: - diesem Bündnis von Staat und Kirche mit
den “Monopolisten” auf dem Boden eines christlich - sozialen Unterbaus
stellte der Puritanismus, dessen Vertreter durchweg zu den leidenschaftlichen
Gegnern dieser Art von staatlich privilegiertem Händler-, Verleger-
und Kolonialkapitalismus gehörten, die individualistischen Antriebe
des rationalen legalen Erwerbs kraft eigener Tüchtigkeit und Initiative
gegenüber, welche - während die staatlich privilegierten Monopolindustrien
in England bald sämtlich wieder verschwanden - am Aufbau der ohne,
zum Teil trotz und gegen die obrigkeitlichen Gewalten entstehenden Industrien
entscheidend mitbeteiligt waren ). Die Puritaner (Prynne,
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. II. [202]
Parker) lehnten jede Gemeinschaft mit den “Höflingen und Projektenmachern”
großkapitalistischen Gepräges als mit einer ethisch verdächtigen
Klasse ab, im Stolz auf ihre eigne überlegene bürgerliche Geschäftsmoral,
welche den wahren Grund der Verfolgungen bilde, denen sie von jenen Kreisen
ausgesetzt seien. Den Kampf gegen den Dissent schlug noch Defoe vor, durch
Boykott gegen die Bankwechsel und durch Depotkündigungen zu gewinnen.
Der Gegensatz der beiden Arten kapitalistischer Gebarung ging sehr weitgehend
mit den religiösen Gegensätzen Hand in Hand. Die Gegner der Nonkonformisten
haben auch im 18. Jahrhundert immer wieder diese als die Träger des
“spirit of shopkeepers” verhöhnt und als den Verderb der altenglischen
Ideale verfolgt. Hier lag auch der Gegensatz des puritanischen gegen das
jüdische Wirtschaftsethos verankert und schon die Zeitgenossen (Prynne)
wußten, daß das erstere, nicht das letztere, das bürgerliche
Wirtschaftsethos war ).
Einer der konstitutiven Bestandteile des modernen kapitalistischen
Geistes, und nicht nur dieses, sondern der modernen Kultur: die rationale
Lebensführung auf Grundlage der Berufsidee ist, - das sollten diese
Darlegungen erweisen - geboren aus dem Geist der christlichen Askese. Man
lese jetzt noch einmal den im Eingang dieses Aufsaties zitierten Traktat
Franklins nach, um zu sehen, daß die wesentlichen Elemente der dort
als “Geist des Kapitalismus” bezeichneten Gesinnung eben die sind, die
wir vorstehend als Inhalt der puritanischen Berufsaskese ermittelten ),
nur ohne die religiöse
2. Askese und kapitalistischer Geist. [203]
Fundamentierung, die eben bei Franklin schon abgestorbem war. - Der
Gedanke, daß die moderne Berufsarbeit ein asketisches Gepräge
trage, ist ja auch nicht neu. Daß die Beschränkung auf Facharbeit,
mit dem Verzicht auf die faustische Allseitigkeit des Menschentums, welchen
sie bedingt, in der heutigen Welt Voraussetzung wertvollen Handelns überhaupt
ist, daß also “Tat” und “Entsagung” einander heute unabwendbar bedingen:
dies asketische Grundmotiv des bürgerlichen Lebensstils - wenn er
eben Stil und nicht Stillosigkeit sein will - hat auf der Höhe seiner
Lebensweisheit, in den “Wanderjahren” und in dem Lebensabschluß,
den er seinem Faust gab, auch Goethe uns lehren wollen ). Für ihn
bedeutete diese Erkenntnis einen entsagenden Abschied von einer Zeit vollen
und schönen Menschentums, welche im Verlauf unserer Kulturentwicklung
ebensowenig sich wiederholen wird, wie die Zeit der Hochblüte Athens
im Altertum. Der Puritaner wollte Berufsmensch sein, wir müssen es
sein. Denn indem die Askese aus den Mönchszellen heraus in das Berufsleben
übertragen wurde und die innerweltliche Sittlichkeit zu beherrschen
begann, half sie an ihrem Teile mit daran, jenen mächtigen Kosmos
der modernen, an die technischen und ökonomischen Voraussetzungen
mechanischmaschineller Produktion gebundenen, Wirtschaftsordnung erbauen,
der heute den Lebensstil aller einzelnen, die in dies Triebwerk hineingeboren
werden - nicht nur der direkt ökonomisch Erwerbstätigen -, mit
überwältigendem Zwange bestimmt und vielleicht bestimmen wird,
bis der letzte Zentner fossilen Brennstoffs verglüht ist. Nur wie
“ein dünner Mantel, den man jederzeit abwerfen könnte”, sollte
nach Baxters Ansicht die Sorge um die äußeren Güter um
die Schultern seiner Heiligen liegen ). Aber aus dem Mantel ließ
das Verhängnis ein stahlhartes Gehäuse werden. Indem die Askese
die Welt umzubauen und in der Welt sich auszuwirken unternahm, gewannen
die äußeren Güter
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. II.
[204]
dieser Welt zunehmende und schließlich unentrinnbare Macht über
den Menschen, wie niemals zuvor in der Geschichte. Heute ist ihr Geist
- ob endgültig, wer weiß es ? - aus diesem Gehäuse entwichen.
Der siegreiche Kapitalismus jedenfalls bedarf, seit er auf mechanischer
Grundlage ruht, dieser Stütze nicht mehr. Auch die rosige Stimmung
ihrer lachenden Erbin: der Aufklärung, scheint endgültig im Verbleichen
und als ein Gespenst ehemals religiöser Glaubensinhalte geht der Gedanke
der “Berufspflicht” in unserm Leben um. Wo die “Berufserfüllung” nicht
direkt zu den höchsten geistigen Kulturwerten in Beziehung gesetzt
werden kann - oder wo nicht umgekehrt sie auch subjektiv einfach als ökonomischer
Zwang empfunden werden muß -, da verzichtet der einzelne heute meist
auf ihre Ausdeutung überhaupt. Auf dem Gebiet seiner höchsten
Entfesselung, in den Vereinigten Staaten, neigt das seines religiös
- ethischen Sinnes entkleidete Erwerbssstreben heute dazu, sich mit rein
agonalen Leidenschaften zu assoziieren, die ihm nicht selten geradezu den
Charakter des Sports aufprägen ). Niemand weiß noch, wer künftig
in jenem Gehäuse wohnen wird und ob am Ende dieser ungeheuren Entwicklung
ganz neue Propheten oder eine mächtige Wiedergeburt alter Gedanken
und Ideale stehen werden, oder aber - wenn keins von beiden - mechanisierte
Versteinerung, mit einer Art von krampfhaftem Sich - wichtig - nehmen verbrämt.
Dann allerdings könnte für die “letzten Menschen” dieser Kulturentwicklung
das Wort zur Wahrheit werden: “Fachmenschen ohne Geist, Genußmenschen
ohne Herz: dies Nichts bildet sich ein, eine nie vorher erreichte Stufe
des Menschentums erstiegen zu haben.” -
Doch wir geraten damit auf das Gebiet der Wert- und Glaubensurteile,
mit welchen diese rein historische Darstellung nicht belastet werden soll.
Die Aufgabe wäre vielmehr: die in der vorstehenden Skizze ja nur angeschnittene
Bedeutung des aske-
2. Askese und kapitalistischer Geist. [205]
tischen Rationalismus nun auch für den Inhalt der sozialpolitischen
Ethik, also für die Art der Organisation und der Funktionen der sozialen
Gemeinschaften vom Konventikel bis zum Staat aufzuzeigen. Alsdann müßte
seine Beziehung zu dem humanistischen Rationalismus ) und dessen Lebensidealen
und Kultureinflüssen, ferner zur Entwicklung des philosophischen und
wissenschaftlichen Empirismus, zu der technischen Entwicklung und zu den
geistigen Kulturgütern analysiert werden. Dann endlich wäre sein
geschichtliches Werden von den mittelalterlichen Ansätzen einer innerweltlichen
Askese aus und seine Auflösung in den reinen Utilitarismus historisch
und durch die einzelnen Verbreitungsgebiete der asketischen Religiosität
hindurch zu verfolgen. Daraus erst könnte sich das Maß der Kulturbedeutung
des asketischen Protestantismus im Verhältnis zu anderen plastischen
Elementen der modernen Kultur ergeben. Hier ist ja erst Tatsache und Art
seiner Einwirkung in einem, wenn auch wichtigen, Punkt auf ihre Motive
zurückzuführen versucht worden. Weiter aber müßte
dann auch die Art, wie die protestantische Askese ihrerseits durch die
Gesamtheit der gesellschaftlichen Kulturbedingungen, insbesondere auch
der ökonomischen, in ihrem Werden und ihrer Eigenart beeinflußt
worden ist, zutage treten ). Denn obwohl der moderne Mensch im ganzen selbst
beim besten Willen nicht imstande zu sein pflegt, sich die Bedeutung, welche
religiöse Bewußtseinsinhalte auf die Lebensführung, die
Kultur und die Volkscharaktere gehabt haben, so groß vorzustellen,
wie sie tatsächlich gewesen ist, - so kann es dennoch natürlich
nicht die Absicht sein, an Stelle einer einseitig “materialistischen” eine
ebenso einseitig spiritualistische kausale Kultur- und Geschichtsdeutung
zu setzen. Beide sind gleich möglich ),
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. II.
[206]
aber mit beiden ist, wenn sie nicht Vorarbeit, sondern Abschluß
der Untersuchung zu sein beanspruchen, der historischen Wahrheit gleich
wenig gedient ).
[207]
II.
Die protestantischen Sekten und der Geist des
Kapitalismus ).
Die Vereinigten Staaten haben seit geraumer Zeit das Prinzip der “Trennung
von Staat und Kirche”. So streng wird es durchgeführt, daß selbst
eine amtliche Statistik der Konfessionalität nicht existiert, weil
es als gesetzwidrig gelten würde, den Bürger von Staats wegen
nach seiner Konfession auch nur zu fragen. Die praktische Bedeutung dieses
Grundsatzes für die Stellung der Kirchengemeinschaften zum Staat )
soll hier nicht erörtert werden. Vielmehr interessiert uns zunächst
der Umstand, daß noch vor etwa 21/2 Jahrzehnten trotz der absoluten
Ignorierung der Konfessionen durch den Staat und trotz des Fehlens aller
jener höchst wirksamen Prämien, welche damals die meisten europäischen
Staaten auf die Zugehörigkeit zu gewissen privilegierten Kirchen setzten,
die (damalige) Zahl der “Konfessionslosen” in den Vereinigten Staaten trotz
ihrer ungeheuren Einwanderung nur auf etwa 6 % geschätzt wurde ).
Die protestantischen Sekten und der Geist des Kapitalismus. [208]
Dabei bedeutete nun aber die Zugehörigkeit zu einer kirchlichen
Gemeinschaft dort ganz ungleich höhere Lasten, namentlich für
die Minderbemittelten, als irgendwo bei uns. Publizierte Haushaltsbudgets
beweisen es, und mir persönlich wurde u. a. eine fast ganz aus eingewanderten
deutschen ungelernten Holzarbeitern in einer Stadt am Erie - See bestehende
Gemeinde bekannt, in welcher bei einem Durchschnittsverdienst der Arbeiter
von gegen 1000 $ im Jahr deren regelmäßige Abgaben für
kirchliche Zwecke fast 80 $ betrugen, - während jedermann weiß,
daß schon ein kleiner Bruchteil dieser finanziellen Zumutung bei
uns Massenaustritte aus der Kirche zur Folge gehabt haben würde. Aber
davon ganz abgesehen, konnte niemandem, der vor 15 - 20 Jahren, ehe die
letzte akute Europäisierung der Vereinigten Staaten einsetzte, das
Land besuchte, die selbst damals noch sehr intensive Kirchlichkeit, welche
in allen nicht ganz unmittelbar von europäischen Immigranten überschwemmten
Gebieten herrschte, entgehen ). Sie war, wie jeder ältere Reisebericht
ergibt, früher noch viel stärker und selbstverständlicher
als in den letzten Jahrzehnten. Uns interessiert hier nun vor allem eine
Seite dieses Tatbestandes. Selbst in Brooklyn, der Schwesterstadt von New
York, aber bis vor kurzem mit einer fühlbar stärkeren Erhaltung
älterer Tradition, erst recht aber in anderen, weniger dem Einfluß
der Immigration ausgesetzten Orten, pflegte es vor kaum einem Menschenalter
Geschäftsleuten, die sich neu einführten, stets zu widerfahren,
daß bei Anknüpfung gesellschaftlicher Beziehungen unauffällig
und scheinbar gelegentlich, aber ersichtlich nie zufällig, die Frage
gestellt wurde: “To what church do you belong ?” - ähnlich wie etwa
an einer typischen schottischen Table d'hôte noch vor einem Vierteljahrhundert
dem Kontinentalen Sonntags fast immer die Frage einer Dame drohte: “What
service did you attend to-day ?” ). Und bei näherem Zusehen konnte
M a x W e b e r, Religionssoziologie I.
Die protestantischen Sekten und der Geist des Kapitalmus. [209]
man sich leicht überzeugen, daß, während die amerikanische
Behörde als solche die Frage nach der Konfessionszugehörigkeit,
wie gesagt, nie stellte, der private gesellschaftliche und auch der auf
Dauer und Kreditgewährung abgestellte geschäftliche Verkehr sie
- man durfte annähernd sagen: immeer stellte. Warum ? - Eine Reihe
kleiner, persönlicher Beobachtungen (1904) mag das zunächst zu
veranschaulichen suchen.
Der Schreiber dieser Zeilen fuhr im (damaligen) Indian Territory eine
lange Fahrt mit einem Handlungsreisenden in “Undertakers hardware” (eisernen
Leichensteinaufschriften) zusammen im Abteil und erhielt, als er (beiläufig)
die Tatsache der immer noch auffällig starken Kirchlichkeit erwähnte,
von jenem die Bemerkung gemacht: “Herr, meinethalben mag jedermann glauben
oder nicht glauben was immer ihm paßt; aber: wenn ich einen Farmer
oder Kaufmann sehe, der überhaupt keiner Kirche angehört, so
ist er mir nicht für 50 Cts gut: - was kann ihn veranlassen, mich
zu bezahlen, wenn er an garnichts glaubt ? (why pay me, if he does'n't
believe in anything ?)” Das war nun eine immerhin etwas vage Motivierung.
Etwas deutlicher wurde der Sachverhalt schon aus der Erzählung eines
deutschgeborenen Nasen- und Rachen - Spezialisten, der sich in einer großen
Stadt am Ohio niedergelassen hatte und von dem Besuch seines ersten Patienten
erzählte. Sich auf Aufforderung des Arztes auf dem Sopha niederstreckend,
um mit dem Nasenspiegel untersucht zu werden, habe dieser sich erst noch
einmal aufgerichtet und mit Würde und Nachdruck bemerkt: “Herr, ich
bin Mitglied der . . . Baptist Church in der Street.” Ratlos, was diese
Tatsache wohl für das Nasenleiden und dessen Behandlung für eine
Bedeutung haben könne, habe er (der Arzt) einen ihm bekannten amerikanischen
Kollegen vertraulich darüber befragt und die lächelnde Auskunft
erhalten: das bedeute nur: “seien Sie wegen des Honorars ohne Sorgen.”
- Warum bedeutete es nun aber eben diess ? Das wird vielleicht aus einem
dritten Vorgang klarer.
An einem schönen klaren Sonntag Nachmittag Anfang Oktober wohnte
ich mit einigen Verwandten - Farmern im Buschwald einige Meilen von M.
(Hauptort einer County) in North Carolina - an einem Tümpel, durch
den ein von den in
Die protestantischen Sekten und der Geist des Kapitalismus.
[210]
der Ferne sichtbaren Blue Ridge Mountains kommender Bach floß,
einer Baptistentaufe bei. Es war kalt und hatte die Nacht etwas gefroren.
Ringsum an den Hängen der Hügel standen massenhaft Farmerfamilien,
die in ihren leichten zweiräderigen Wagen aus der Nachbarschaft, teilweise
aber auch von weither, gekommen waren. In dem Tümpel stand, bis an
den Leib, in schwarzer Kleidung, der Prediger. Im den Tümpel hinein
traten - nach Vorbereitungen verschiedener Art - nacheinander ca. 10 Personen
beiderlei Geschlechts in gesellschaftlicher Kleidung, wurden auf den Glauben
verpflichtet, tauchten dann, die Frauen im Arm des Predigers, gänzlich
unter das Wasser, kamen prustend hoch, schlotterten mit angeklatschter
Kleidung aus dem Teich, wurden allseitig “beglückwünscht”, dabei
schleunigst in dicke Plaids gehüllt und von dannen nach Hause gefahren
). Ein Verwandter, der neben mir stand und, deutschen Traditionen gemäß
unkirchlich, verächtlich über die Achsel spuckend zusah ), wurde
beim Eintauchen eines der jungen Männer aufmerksam: “Look at him,
- I told you so !” - Auf die Frage (nacch Beendigung der Zeremonie): Warum
hast Du Dir das, wie Du sagst, vorausgedacht ? kam die Antwort: “Weil er
eine Bank in M. aufmachen will.” - Sind denn so viele Baptisten in der
Gegend, um davon zu leben ? - “Durchaus nicht, aber er bekommt ja, nun
er getauft ist, die Kundschaft der ganzen Umgegend und wird alles niederkonkurrieren”
Die Rückfragen, warum ? und wodurch ?, ergaben: daß die Rezeption
in die dortige, noch streng an der religiösen Tradition haftende,
Baptistengemeinde, welche erst nach sorgsamster “Erprobung” und nach peinlichsten,
sich bis in die frühe Kindheit zurückerstreckenden Recherchen
über den “Wandel” (“disorderly conduct” ? Wirtshausbesuch ? Tanz ?
Theater ? Kartenspiel ? unpünktliche Zahlung von Verbindlichkeiten
? sonstige Leicht-fertigkeiten ? ) erfolgte, als eine derart absolute Garantie
der ethischen Qualitäten eines Gentleman, vor allem: der geschäftlichen,
gelte, daß dem Betreffenden die Depots der gesamten Umgegend und
schrankenloser Kredit konkurrenzlos sicher seien. Er sei ein “gemachter
Mann”. Weitere Beobachtung ergab, daß diese oder
Die protestantischen Sekten und der Geist des Kapitalismus. [211]
doch sehr ähnliche Erscheinungen sich in den verschiedensten Gegenden
ähnlich wiederholten. Es kamen diejenigen (und im allgemeinen nur
diejenigen) geschäftlich hoch, welche methodistischen oder baptistischen
oder anderen Sekten (oder sektenartigen Konventikeln) angehörten.
Verzog ein Sektenmitglied in einen anderen Ort oder war er Handlungsreisender,
so führte er das certificate seiner Gemeinde mit sich und hatte dadurch
nicht nur Anschluß bei Sektengenossen, sondern vor allem: Kredit
bei aller Welt. Geriet er (unverschuldet) in ökonomische Schwierigkeiten,
so arrangierte die Sekte seine Verhältnisse, sicherte die Gläubiger
und half ihm in jeder Art, oft noch nach dem biblischen Prinzip “mutuum
date nihil rode sperantes”. Aber nicht diese Erwartung der Gläubiger,
daß die Sekte um ihres Prestiges willen sie nicht zu Schaden kommen
lassen werde, war das letztlich für seine Chancen Ausschlaggebende,
sondern die Tatsache, daß in eine einigermaßen reputierliche
Sekte nur aufgenommen wurde, wessen “Wandel” ihn als zweifelsfrei ethisch
quali-fiziert erscheinen ließ. Daß also die Sektenmitgliedschaft
- im Gegensatz zur Mitgliedschaft einenn “Kirche”, in die man “hineingeboren”
wird und die ihre Gnade über Gerechte und Ungerechte scheinen läßt
- ein ethisches, insbesondere auch ein geschäftsethisches, Qualifikationsattest
für die Persönlichkeit bedeutete. Eine “Kirche” ist eben eine
Gnadenanstalt, welche religiöse Heilsgüter wie eine Fideikommißstiftung
verwaltet und zu welcher die Zugehörigkeit (der Idee nach !) obligatorisch,
daher für die Qualitäten des Zugehörigen nichts beweisend,
ist, eine “Sekte” dagegen em voluntaristischer Verband ausschließlich
(der Idee nach) religiös - ethisch Qualifizierter, in den man freiwillig
eintritt, wenn man freiwillig kraft religiöser Bewährung Aufnahme
findet ). Ausschluß aus der Sekte wegen ethischer Verstöße
bedeutetet wirtschaftlich Verlust der
Die protestantischen Sekten und der Geist des Kapitalismus.
[212]
Kreditwürdigkeit und soziale Deklassierung. Vielfache Beobachtungen
in den folgenden Monaten bestätigten nicht nur die zwar anscheinend
schnell absterbende, aber (damals) noch immer recht wichtige Bedeutung
der Kirchlichkeit als solcher ), sondern auch gerade dieses besonders wichtigen
Zuges. Die Art des Glaubensbekenntnisses war heute ziemlich gleichgültig
). Ob Freimaurer ), ob Christian Science, ob Adventist, Quäker oder
was immer, war einerlei. Wenn nur das Entscheidende vorlag: die Aufnahme
nur durch “ballot” nach vorheriger Prüfung und ethischer Bewährung
im Sinn jener Tugenden, welche die innerweltliche Askese des Protestantismus,
also: die alte puritanische Tradition, prämiierte, dann war die gleiche
Wirkung zu beobachten. Näheres Zusehen ergab dann das stetige Fortschreiten
jenes charakteristischen “Säkularisation” -Prozesses, dem solche aus
religiösen Konzeptionen geborene Erscheinungen in moderner Zeit überall
verfallen. Nicht nur mehr religiöse Verbände: Sekten also, waren
es, welche diese Wirkung entfalteten. Vielmehr diese in stetig abnehmendem
Die protestantischen Sekten und der Geist des Kapitalismus. [213]
Anteil. Bei einiger Aufmerksamkeit fiel (noch vor 15 Jahren) in die
Augen: daß im amerikanischen bürgerlichen Mittelstand (immer
außerhalb der ganz modernen Großstädte und Immigrationszentren)
auffällig viele Männer im Knopfloch ein kleines Abzeichen (verschiedener
Färbung) trugen, welches am ehesten etwa an eine Ehrenlegionsrosette
erinnerte. Auf Befragen: was das sei ? wurde regelmäßig ein
Verband mit einem zuweilen abenteuerlichen Phantasienamen genannt. Und
als dessen Sinn und Zweck stellte sich heraus : daß er fast stets
die Funktion einer Sterbekasse, daneben sehr verschiedene andere Leistungen
darbot, oft aber auch, und zwar gerade in den Gebieten, die von der modernen
Zersetzung am unberührtesten waren, dem Mitglied den (ethischen) Anspruch
auf brüderliche Nothilfe seitens jedes bemittelten Verbandsbruders
bei unverschuldeter ökonomischer Gefährdung gab, und zwar in
mehreren mir damals bekannt gewordenen Fällen wiederum geradezu noch
nach dem Grundsatz: mutuum date nihil inde sperantes oder doch zu einem
sehr niedrigen Zinssatz. Ein Anspruch, der anscheinend auch willig von
den Verbandsbrüdern erfüllt wurde. Ueberdies aber, - und dies
war auch hier die Hauptsache: - beruhte eben die Mitgliedschaft wiederum
auf Ballotage nach vorheriger Recherche und Feststellung der ethischen
Bewährung. Und die Rosette im Knopfloch bedeutete also: “ich bin ein
nach Recherche und Bewährung patentierter und kraft meiner Mitgliedschaft
garantierter Gentleman”: - vor allem wieder, in dem geschäftlichen
Sinn der erprobten Kreditwürdigkeit. Auch hier konnte festgestellt
werden, daß die geschäftlichen Chancen durch diese Legitimierung
oft völlig entscheidend beeinflußt wurden.
Alle diese Erscheinungen, die - zum mindesten die religiösen -
in ziemlich schnellem Verfall zu sein schienen ), waren wesentlich auf
den bürgerlichen Mittelstand beschränkt. Sie waren insbesondere
das typische Vehikel des Aufstiegs in den Kreis des mittleren bürgerlichen
Unternehmertums und der Verbreitung Erhaltung des bürgerlichen kapitalistischen
Geschäftsethos innerhalb der breiten Kreise dieses mittleren
Die protestantischen Sekten und der Geist des Kapitalismus.
[214]
Bürgerstandes (mit Einschluß der Farmer). Zwar gehörten
bekanntlich nicht ganz wenige (wohl: die Mehrzahl der älteren Generation)
der amerikanischen “promoters”, “captains of industry”, der Multimillionäre
und auch der Trustmagnaten formell Sekten, besonders den Baptisten, an.
Diese indessen naturgemäß oft nur aus konventionellen Gründen,
wie bei uns, und nur zur persönlich -gesellschaftlichen, nicht aber
zur geschäftlichen, Legitimation. Denn wie schon in der Zeit der Puritaner
bedurften naturgemäß solche “ökonomischen Uebermenschen”
einer derartigen Krücke nicht und ihre “Religiosität” war natürlich
oft von mehr als zweifelhafter Aufrichtigkeit. Der Mittelstand: die in
und aus ihm aufsteigenden Schichten vor allem, waren ebenso wie im 17.
und 18. Jahrhundert Träger jener spezifisch religiösen Orientierung,
die man sich sehr hüten muß, bei ihnen als nur opportunistisch
bedingt anzusehen ). Aber es darf eben nie übersehen werden, daß
ohne diese universelle Verbreitung jener Qualitäten und Prinzipien
methodischer Lebensführung, welche durch diese religiösen Gemeinschaften
gestützt wurden, der Kapitalismus noch heute sogar in Amerika nicht
das wäre was er ist. Es gibt keine nicht ganz streng feudal oder patrimonial
gebundene Epoche der Geschichte irgendeines Wirtschaftsgebiets der Erde,
in welcher kapitalistische Figuren von der Art Pierpont Morgans, Rockefellers,
Jay Goulds usw. gefehlt hätten, und nur die erwerbstechnischen Mittel
deren sie sich bedienten, haben (natürlich !) gewechselt. Sie standen
und stehen “jenseits von Gut und Böse”, - aber: nicht sie, so hoch
man ihre wirtschaftsumwälzende Bedeutung sonst anschlagen mag, haben
jemals den Ausschlag dafür gegeben: welcher Wirtschaftsgeist in einer
Epoche und einem Gebiet herrschend war. Nicht sie, vor allem, waren die
Schöpfer und nicht sie wurden die Träger des spezifisch okzidentalen
bürgerlichen “Geistes”.
Es soll nun hier nicht auf die politische und soziale Bedeutung dieser
und der zahlreichen ähnlichen exklusiver, sich durch Ballotage ergänzenden
Verbände und Klubs in Amerika
Die protestantischen Sekten und der Geist des Kapitalismus. [215]
eingegangen werden. Vom Boys'club auf der Schule angefangen zum Athletic
Club oder zur Greek Letter Society oder zu einem anderen studentischen
Klub gleichviel welcher Art und dann zu einem der zahlreichen Honoratioren
- Klubs der Geschäftsleute und dess Bürgertums oder schließlich
zu den Klubs der Plutokratie in den Großstädten geleitete den
typischen Yankee noch der letzten Generation eine Serie von solchen exklusiven
Gesellschaften durch das Leben. Zu ihnen Zutritt zu erlangen war gleichbedeutend
mit einem Billet zum Aufstieg, vor allem mit der Bescheinigung vor dem
Forum seines eigenen Selbstgefühls: sich “bewährt” zu haben.
Ein Student, der im College in keinem Klub (oder klubartiger Gesellschaft)
irgendwelcher Art Eintritt fand, war in der Regel eine Art von Paria (es
sind mir Selbstmorde wegen Nichtrezeption bekannt geworden), ein Geschäftsmann,
Commis, Techniker, Arzt, der das gleiche Schicksal hatte, war meist von
fragwürdiger Verwendungsfähigkeit. Heute sind zahlreiche derartige
Klubs Träger jener ständischen Aristokratisierungstendenzen,
welche, neben und - was wohl zu beachten ist - zum Teil im Gegensatz zur
nackten Plutokratie, der amerikanischen Entwicklung der Gegenwart charakteristisch
sind ). Aber in der Vergangenheit und bis in die Gegenwart hinein war es
ein Merkmal gerade der spezifisch amerikanischen Demokratie: daß
sie nicht ein formloser Sandhaufen von Individuen, sondern ein Gewirr streng
exklusiver, aber voluntaristischer, Verbände war. Wenn sie, bis vor
nicht langer Zeit, das Prestige der Geburt und des
Die protestantischen Sekten und der Geist des Kapitalismus.
[216]
ererbten Reichtums, des Amts und der diplomierten Erziehung nicht oder
doch nur in einem so geringen Grade anerkannten, wie dies sonst in der
Welt nur sehr selten der Fall war und ist, so war sie doch weit davon entfernt,
jeden Beliebigen mit offenen Armen als gleichgestellt zu rezipieren. Gewiß:
ein amerikanischer Farmer hätte (noch vor 11/2 Jahrzehnten) seinen
Gast nicht über sein Feld an einem pflügenden (eingeborenen !)
Arbeiter vorübergeführt, ohne ihn mit diesem nach förmlicher
Vorstellung “die Hände schütteln” zu machen. Gewiß: in
einem typischen amerikanischen Klub hörte früher jegliche Erinnerung
daran, daß z. B. die beiden Mitglieder, welche Billard miteinander
spielten, etwa im Verhältnis von Chef und Commis standen, absolut
auf: hier herrschte die Gleichheit des Gentleman ). Gewiß: die Frau
des amerikanischen Arbeiters, welche der Gewerkschaftler, mit dem man luncht,
mitbrachte, hatte - etwas einfacher und linkischer - sich gänzlich
der Kleidung und dem Benehmen der bürgerlichen Lady angepaßt.
Aber wer, es sei in welcher Stellung immer, in dieser Demokratie als vollwertig
gelten wollte, mußte nicht nur sich den Konventionen der bürgerlichen
society fügen, einschließlich der sehr strengen Herrenmode,
sondern er mußte auch, in aller Regel, sich darüber ausweisen
können, daß es ihm gelungen war, in eine der als ausreichend
legitimiert anerkannten Sekten, Klubs oder Gesellschaften gleichviel welcher
Art hineinballotiert zu werden und sich darin, durch Bewährung als
Gentleman, zu behaupten ). Wem das nicht gelang, der war kein Gentleman,
wer es verschmähte - wie die Deutschen meist ) -, der hatte einen
schweren Weg, vor allem auch: geschäftlich.
Die protestantischen Sekten und der Geist des Kapitalismus. [217]
Indessen, wie gesagt, die soziale Bedeutung dieser jetzt in tiefgreifender
Umbildung begriffenen Zustände soll hier nicht untersucht werden.
Uns interessiert zunächst: daß die moderne Stellung der weltlichen,
durch Ballotage sich ergänzenden Klubs und Gesellschaften weitgehend
Produkt eines Säkularisationsprozesses von der ehemaligen weit ausschließlicheren
Bedeutung des Prototyps dieser voluntaristischen Verbände: der Sekten,
ist. Und zwar gerade im Heimatsgebiet des echten Yankeetums: in den nordatlantischen
Staaten. Erinnern wir uns doch zunächst einmal: daß innerhalb
der amerikanischen Demokratie das allgemeine gleiche Wahlrecht (der Nicht
- Farbigen ! denn für Neger und allle Mischlinge besteht es ja auch
heute de facto nicht) und ebenso die “Trennung von Staat und Kirche” erst
Errungenschaft einer jungen Vergangenheit, im wesentlichen Anfang des 19.
Jahrhunderts beginnend, sind, und daß in der Kolonialzeit in den
Zentralgebieten Neu - Englands, vor allem in Massachusetts, Voraussetzung
des Vollbürgerrechts im Staat (neben einigen anderen Bedingungen vor
allem:) das Vollbürgerrecht in der Kirchengemeinde war, die ihrerseits
über Zulassung oder Nichtzulassung verfügte ). Und zwar verfügten
sie darüber je nach der Bewährung der religiösen Qualität
durch den Wandel, wie alle - im weiten Sinne des Worts - puritanischen
Sekten. Nicht minder waren
Die protestantischen Sekten und der Geist des Kapitalismus.
[218]
in Pennsylvanien bis einige Zeit vor dem Unabhängigkeitskrieg
die Quäker Herren des Staats, wenn auch nicht formell allein politische
Vollbürger (sondern nur noch kraft einer weitgehenden Wahlkreisgeometrie).
Die ungeheure soziale Bedeutung der Zulassung zum Vollgenuß der Sektengemeinderechte,
insbesondere: zum Abendmahl, wirkte bei den Sekten in der Richtung der
Züchtung jener asketischen Berufsethik, welche dem modernen Kapitalismus
in der Zeit seiner Entstehung adäquat war. Denn genau so, wie dies
an der Hand jener persönlichen Erlebnisse für Amerika veranschaulicht
wurde, hat die Religiosität der asketischen Sekten mehrere Jahrhunderte
lang nachweislich überall, auch in Europa, gewirkt.
Blicken wir nämlich in die kirchliche Vorgeschichte dieser protestantischen
Sekten zurück ), so finden wir in deren Dokumenten, vor allen bei
den Quäkern und Baptisten, bis in das 17. Jahrhundert hindurch (und
gerade damals) immer wieder den Jubel darüber, daß die sündigen
“Kinder der Welt” einander gegenseitig selbst geschäftlich mißtrauen,
daß sie dagegen der religiös bedingten Rechtlichkeit der Frommen
vertrauen ), deshalb
Die protestantischen Sekten und der Geist des Kapitalismus. [219]
ihnen und nur ihnen Kredit und ihr Geld ins Depot geben, in ihren Läden
ihre Einkäufe machen, weil sie dort und nur dort reell und zu festen
Preisen bedient werden, - was zuerst zum Prinzip erhoben zu haben die Baptisten
bekanntlich von jeher für sich in Anspruch nahmen ). Daß die
Götter den, der ihnen wohlgefällig ist, sei es durch Opfer, sei
es durch die Art seiner Lebensführung, mit Reichtum segnen, war nun
freilich eine über die ganze Welt verbreitete Vorstellung. Daß
dies jedoch mit dieser Art der religiösen Lebensführung, gemäß
dem frühkapitalistischen Prinzip: “honesty is the best policy”, bewußt
in Verbindung gebracht wird, findet sich zwar nicht absolut ausschließlich,
allerdings aber in dieser Kontinuität und Konsequenz nur bei diesen
protestantischen Sekten ). Aber nicht nur diese Ethik, von der ja schon
im vorigen Aufsatz näher die Rede war, sondern vor allem die sozialen
Prämien und Zuchtmittel und überhaupt die gesamte organisatorische
Grundlage des protestantischen Sektentums mit allen ihren Wirkungen reichen
in die Anfänge der asketischen Sektenbildung zurück. Jene heutigen
Rudimente in Amerika sind die Ausläufer einer einstmals überaus
penetrant wirkenden Organisation kirchlicher
Die protestantischen Sekten und der Geist des Kapitalismus.
[220]
Lebensreglementierung. Machen wir uns deren Art, Wirkungsweise und
Wirkungsrichtung in kurzem Ueberblick klar.
Innerhalb des Protestantismus tauchte das Prinzip der “believers church”:
der streng auf “wahre” Christen beschränkten, daher voluntaristischen,
von der Welt abgeschiedenen Gemeinschaft eines wirklich heiligen Volkes
zuerst deutlich bei den Täufern in Zürich 1523 / 4 auf ), welche
1525 im Anschluß an Th. Münzer - der die Kindertaufe verworfen,
aber nicht die letzte Konsequenz: die nochmalige Taufe von als Kinder getauften
Erwachsenen (Wiedertaufe) gefordert hatte - die Erwachsenentaufe (einschließlich
der - eventuellen - Wiedertaufe) einführten. Wandernde Handwerksburschen,
die Hauptträger der Täuferbewegung, trugen sie nach jeder Unterdrückung
in neue Gebiete. Es soll nun hier nicht auf die Ausprägungen dieser
voluntaristischen innerweltlichen Askese: die alten Täufer, die Mennoniten,
die Baptisten, die Quäker, einzeln eingegangen werden und auch nicht
erneut dargelegt werden, wie jede asketische Denomination, auch der Calvinismus
) und Metho-
Die protestantischen Sekten und der Geist des Kapitalismus. [221].
dismus, immer wieder in die gleiche Bahn gedrängt wurde: entweder
das Konventikel der exemplarischen Christen in der Kirche (Pietismus),
oder aber die Gemeinschaft der als tadellos legitimierten kirchlichen Vollbürger
als Herrn über die Kirche, der die andern nur als ein passiver, der
Zucht unterworfener Stand von Minderchristen angehören (Independentismlis).
Der äußere und innere Konflikt der beiden Strukturprinzipien
“Kirche” als Gnadenanstalt, oder “Sekte”, als Verein der religiös
Qualifizierten, geht im Protestantismus durch die Jahrhunderte von Zwingli
bis zu Kuyper und Stöcker. Hier aber wollen wir lediglich die für
die Beeinflussung der Lebensführung praktisch wichtigen Konsequenzen
des voluntaristischen Prinzips
Die protestantischen Sekten und der Geist des Kapitalismus.
[222]
uns vor Augen führen. Wir erinnern uns nur noch: daß der
entscheidende Gedanke der Reinhaltung des Abendmahls - dessen zentrale
soziale Bedeutung für die christlichen Gemeinschaften darin hervortritt
- von der Teilnahme Unheiliger zwar aucch in den nicht die Konsequenz der
Sektenbildung ziehenden Denominationen, besonders bei den prädestinatianischen
Puritanern, zu einer Art der Behandlung der Kirchenzucht führte, welche
im Effekt der Zucht der Sekten nahe kam ), daß er aber bei den
Die protestantischen Sekten und der Geist des Kapitalismus. [223]
Sekten selbst gerade in der ersten Zeit ihres Erststehens unmittelbar
ausschlaggebend war ). Gleich der erste konsequente Voltintarist, Browne,
hebt in seinem Treatise of Reformation without tarying for anie (vermutlich
1582) als Hauptmotiv für die Ablehnung des Episkopalismus und Presbyterianismus
den Zwang zur Abendmahlsgemeinschaft mit “wicked men” hervor ). In der
presbyterianischen Kirche bemühte man sich vergeblich, mit dem Problem
fertig zu werden. Schon unter Elisabeth (Konferenz von Wandsworth) war
dies der entscheidende Punkt ). Die Frage, wer vom Abendmahl ausschließen
dürfe, spielte dann im eng-
Die protestantischen Sekten und der Geist des Kapitalismus. [224]
lischen Revolutionsparlament immer erneut eine Rolle. Zuerst (1645)
sollten minister und elders (also: Laien) darüber frei verfügen.
Dabei versuchte das Parlament, die Fälle, in denen der Ausschluß
zulässig sein sollte, festzustellen und alle anderen an den Konsens
des Parlaments zu knüpfen: - ein “Erastianismus”, gegen den die Westminster
- Versammlung scharf protestierte. Die Partei der Independenten zeichnete
sieh dadurch aus, daß sie außer ortsansässigen und als
religiös vollwertig anerkannten Gemeindemitgliedern nur Personen mit
Ausweisen (tickets) zur Kommunion zuließ; Auswärtigen wurden
tickets nur bei Empfehlung durch Qualifizierte verabfolgt. Die beim Umzug
in andre Orte und für Reisen ausgestellten Qualifikationszeugnisse
(letters of recommandation) gehören ebenfalls schon dem 17. Jahrhundert
an ). Innerhalb der offiziellen Kirche versuchten Baxters Konventikel (Associations),
die 1657 in 16 counties eingeführt waren, sich als eine Art freiwilliger
Zensurbehörde zu etablieren, die dem Pfarrer bei der Feststellung
der Qualifikation und dem Ausschluß von “scandalous persons” vom
Abendmahl zur Seite stehen wollte ). Aehnliches hatten schon die “5 dissenting
brethren” der Westminster Versammlung - in Holland gewesenen Refugies aus
den oberen Klassen - rnit ihrem Vorschlag bezweckt, neben der parish voluntaristische
Kongregationen zu gestatten und auch ihnen das Wahlrecht zur Synode zu
geben. In Neu - England ist die ganze Kirchengeschichte mit Kämpfen
um die Frage: wer zu den Sakramenten (auch z. B. als Pate) zuzulassen sei,
ob die Kinder der nicht Zugelassenen getauft werden dürfen ) und unter
welchen
M a x W e b e r, Religionssosiologie I.
Die protestantischen Sekten und der Geist des Kapitalismus. [225]
Kautelen und dergleichen, ausgefüllt. Die Schwierigkeit lag ja
darin: daß einmal nur der Würdige das Abendmahl empfangen durfte,
dieser aber es auch empfangen mußte ), beim Zweifel an der eigenen
Würdigkeit also die Fernhaltung nicht sündlos machte ), und daß
andererseits die Gemeinde für die Reinhaltung des Abendmahls von Unwürdigen,
insbesondere Reprobierten ) Gott gegenüber solidarisch haftete. Vor
allem also haftete sie für die Spendung durch einen würdigen,
d. h. in der Gnade stehenden, minister. Damit tauchten uralte Kirchenverfassungsprobleme
wieder empor. Vergebens versuchte Baxters Kompromißvorschlag: daß
wenigstens im Notfall auch der Empfang durch einen unwürdigen, d.
h. im Wandel anfechtbaren, minister zulässig sein sollte ), zu vermitteln:
das alte donatistische Prinzip des persönlichen Charisma und das in
der katholigehen Kirche durch den Character indelebilis des Priesters radikal
etablierte, aber auch die offiziellen Reformationskirchen beherrschernde
Prinzip der Anstaltsgnade stießen unbarmherzig aufeinander ), wie
in den Zeiten des Frühchristentums. Hierauf auf der religiösen
Verantwortlichkeit der Gemeinde für die Würdigkeit sowohl des
minister wie der Abendmahlsgenossen beruhte der kompromißlose Radikalismus
der independentischen
Die protestantischen Sekten und der Geist des Kapitalismus. [226]
Gedankenwelt. Und dabei ist es im Prinzip geblieben. Bekanntlich ist
noch in den letzten Jahrzehnten das Kuypersche Schisma in Holland mit seinen
weittragenden politischen Folgen dadurch entstanden: daß, entgegen
den Ansprüchen des synodalen Kirchenregiments der Herformde Keck der
Nederlanden, die Gemeindeältesten einer Kirche in Amsterdam: - Laien,
mit dem späteren :Ministerpräsidenten Kuyper, der auch ein einfacher
Laienältester war, an der Spitze - sich weigerten, die Konfirmationsscheine
auswärtiger, von ihrem Standpunkt aus unwürdiger oder ungläubiger,
Prediger für die Zulassung zum Abendmahl als zulänglich anzuerkennen
). Im Wesen genau dies war der Gegensatz von Presbyterianern und Independenten
im 16. Jahrhundert. Denn aus jener Verantwortlichkeit der Gemeinde folgten
entscheidend wichtige Konsequenzen. Nächst dem voluntaristischen Prinzip:
freie Zulassung Würdiger und nur solcher als Gemeindemitglieder, das
Prinzip der Souveränität der lokalen einzelnen Abendmahlsgemeinde.
Nur sie konnte ja kraft persönlicher Bekanntschaft und Prüfung
beurteilen, ob ein Mitglied qualifiziert sei, nicht aber ein sei es auch
noch so frei gewähltes Kirchenregiment einer interlokalen Gemeinschaft.
Und sie konnte das nur bei beschränkter Mitgliederzahl: relativ kleine
Ge-
Die protestantischen Sekten und der Geist des Kapitalismus. [227]
meinden allein waren dem Prinzip angemessen ). Wo die Gemeinschaften
dafür zu groß waren, erfolgte daher entweder, wie im Pietismus,
Konventikelbildung oder aber es wurden, wie im Methodismus, die Mitglieder
zu Gruppen zusammengefaßt, welche Träger der Kirchenzucht waren
). Denn dies: die außerordentlich straffe Sittenzucht ), und zwar
durch
Die protestantischen Sekten und der Geist des Kapitalismus. [228]
Selbstverwaltung der Gemeinde, war das dritte unvermeidliche, durch
das Interesse an der Reinhaltung der Abendmahls- (oder, bei den Quäkern,
Gebets-) Gemeinschaft geforderte Prinzip. Die Zucht der asketischen Sekten
war in der Tat - auch darin der Klosterzucht analog - weit rigoroser als
die irgendeiner Kirche. Sie stellte den Grundsatz des Noviziats auf ).
Im Gegensatz zu den Grundsätzen der offiziellen protestantischen Kirchen
versagte sie oft den wegen ethischer Verstöße Ausgestoßenen
jeden Verkehr mit den Gemeindegliedern, verhängte also in diesem Fall
über ihn, auch geschäftlich, den absoluten Boykott und mied bisweilen
jede Beziehung mit Nichtbrüdern, außer im Fall unbedingter Notwendigkeit
). Und
Die protestantischen Sekten und der Geist des Kapitalismus. [229]
sie legte ihre Zucht dem Schwerpunkt nach in die Hände der Laien.
Keine geistliche Autorität konnte ja der Gemeinde ihre solidarische
Verantwortlichkeit vor Gott abnehmen. Schon bei den Presbyterianern war
das Gewicht der Laien -Aeltesten sehr groß. Der Independentismus
aber und erst recht der Baptismus bedeutete geradezu einen Kampf gegen
die theologische Beherrschung der Gemeinde ), - und natürlich, genau
entsprechend, eine Klerikalisierung des nunmehr in die Funktionen der Sittenkontrolle
durch Selbstverwaltung, Vermahnung und eventuell Exkommunikation einrückenden
Laientums ). Die Laienherrschaft in der Kirche fand ihren Ausdruck teils
in dem nicht nur dem Amtsbegriff des Luthertums, sondern auch der göttlichen
Ordnung des Presbyterianismus höchst anstößigen Verlangen
nach Freiheit der Laienpredigt (liberty of prophesying) ): - wofür
auf die Zustände der Urchristengemeinde Bezug genommen wurde -, teils
auch in der Opposition gegen ein theologisches Berufspredigertum überhaupt:
nur das Charisma,
Die protestantischen Sekten und der Geist des Kapitalismus.
[230]
nicht Schulung und Amt, sollte gelten ). So radikale Konsequenzen wie
die Quäker mit ihrem Grundsatz: daß in der gottesdienstlichen
Versammlung jeder, aber auch nur der sprechen solle, über den der
“Geist” gerade kommt, daß es also einen Berufsgeistlichen überhaupt
nicht gibt ), haben andere Sekten freilich nicht oder doch nicht dauernd
gezogen. Aber entweder ist der Geistliche grundsätzlich nicht als
“Mietling” ), sondern nur im Ehrenamt oder gegen freiwillige Ehrengaben
) oder nur im Nebenberuf und nur gegen Kostenersatz tätig ); oder
er ist jederzeit entlaßbar oder es herrscht eine Art von Missionsorganisation
mit nur jeweilig im gleichen “circuit” arbeitenden Wanderpredigern ), wie
im Methodis-
Die protestantischen Sekten und der Geist des Kapitalismus. [231]
mus ). Wo das Amt (im überlieferten Sinn) und also die theologische
Qualifikation aufrecht erhalten wurde ), da galt diese doch nur als eine
fachtechnische Vorbedingung, als eigentlich entscheidende Qualität
aber das Charisma des Gnadenstandes: auf dessen Feststellung richteten
sich die Ermittlungen derjenigen Instanzen, welche - wie die Cromwellschen
triers (lokale Körperschaften für die Ausstellung von Qualifikationsattesten,)
und ejectors (geistliche Disziplinarinstanz ) - die Eignung der Geistlichen
zu prüfen hatten. Man sieht: der charismatische Charakter der Autorität
wurde ebenso gewahrt wie der charismatische Charakter der Gemeindemitgliedschaft
selbst. Wie das Cromwellsche Heer der Heiligen nur vom religiös Qualifizierten
sich das Abendmahl reichen ließ, so weigerte sich der Cromwellsche
Soldat, unter einem Offizier in die Schlacht zu ziehen, der nicht mit ihm
der Abendmahlsgemeinschaft der Qualifizierten angehörte ).
Im Innern, unter den Sektenmitgliedern, herrschte, wenigstens bei den
Täufern und ihren Derivaten, der Anforderung nach, der altchristliche
Brudergeist ). Es galt bei manchen von ihnen
Die protestantischen Sekten und der Geist des Kapitalismus.
[232]
als verpönt, die staatlichen Gerichte anzurufen ) und es bestand
die Nothilfspflicht ). Es war zwar natürlich (außer gelegentlich
bei ganz radikalen Gemeinschaften) wenigstens der Geschäftsverkehr
mit den Nichtbrüdern nicht verboten. Aber es verstand sich von selbst,
daß man die Brüder bevorzugte ). Das System der Bescheinigungen
(über Zugehörigkeit und Wandel) ) für nach auswärts
verziehende Brüder findet sich von Anfang an. Das Unterstützungswesen
der Quäker war so hoch entwickelt, daß eben infolge der dadurch
entstehenden Lasten die Propagandaneigung schließlich gelähmt
wurde. Die Kohäsion der Gemeinden war so stark, daß sie mit
gutem Grund als eins der Motive für die durchweg geschlossene und
von Anfang an stark städtische Siedelung in Neu - England angeführt
wird ), - im Gegensatz zum Süden. In allen diesen Punkten zeigen sich,
wie man sieht, die eingangs dieser Skizze an Beispielen veranschaulichten
modernen Funktionen amerikanischer Sekten und sektenartiger Verbände
als gradlinige
Die protestantischen Sekten und der Geist des Kapitalismus. [233]
Ausläufer, Rudimente und Ueberlebsel jener einstmals in allen
asketischen Sekten und Konventikeln herrschenden Verhältnisse, die
heute im Verfall sind. Der ungeheure exklusive “Kastenstolz” der Sektierer
ist von Anfang an bezeugt ).
Was war - und ist - nun eigentlich das für unser Problem Entscheidende
an dieser ganzen Entwicklung ? Politische und bürgerliche Folgen hatte
die Exkommunikation auch im Mittelalter, formell sogar schärfere als
da, wo Sektenfreiheit bestand. Auch im Mittelalter könnte nur der
Christ Vollbürger sein. Auch im Mittelalter bewirkte, wie Aloys Schulte
schön gezeigt hat, die Möglichkeit, gegen einen Bischof, der
seine Schulden nicht zahlte, mit den Disziplinarmitteln der Kirche vorzugehen,
daß dieser kreditwürdiger war als ein weltlicher Fürst.
Auch für den preußischen Leutnant bedeutete der Umstand, daß
er unter dem Druck der Entlassung Schulden halber stand, eine erhöhte
Kreditwürdigkeit. Vollends galt das gleiche für den deutschen
Couleurstudenten. Endlich: auch im Mittelalter gaben die Beichte und die
kirchliche Strafgewalt die Mittel an die Hand, wirksame Kirchenzucht zu
üben und ist dies auch der Fall gewesen. Vor allem nutzte man damals
die durch den Eid zu schaffende Möglichkeit, gegen Schuldner die Exkommunikation
zu erreichen, als Sicherung von Forderungen aus.
Gewiß. Nicht nur aber waren in all diesen Fällen diejenigen
Arten des Verhaltens, welche durch jene Umstände und Mittel begünstigt
oder verpönt wurden, -ganz andere als diejenigen, welche die protestantische
Askese züchtete oder unterdrückte. Beim Leutnant z. B. oder Couleurstudenten
und wohl auch beim Bischof ruhte jene gesteigerte Kreditwürdigkeit
gewiß nicht auf der Züchtung geschäftlicher persönlicher
Qualitäten. Und, - was an diese letzte Bemerkung unmittelbar anknüpft:
- auch soweit die Wirkungsrichtung der Absicht nach die gleiche war, mußte
die Wirkungsart eine grundverschiedene sein. Die mittelalterliche ebenso
wie die lutherische Kirchenzucht lagen 1. in den Händen des geistlichen
Amts, 2. wirkten sie, soweit sie überhaupt wirksam wurden, durch autoritäre
Mittel und 3. straften oder prämierten sie einzelne konkrete Handlungen.
Die Kirchenzucht der Puritaner und der Sekten lag
Die protestantischen Sekten und der Geist des Kapitalismus.
[234]
1. mindestens mit, oft ganz und gar in den Händen von Laien, 2.
wirkte sie durch das Mittel der Notwendigkeit der Selbstbehauptung und
3. züchtete sie Qualitäten oder wenn man will: - las sie aus.
Dies letzte ist das Wichtigste. Das Sekten- (oder Konventikel-) Mitglied
mußte, um in den Kreis der Gemeinschaft einzutreten, Qualitäten
bestimmter Art haben, deren Besitz - wie in dem ersten Aufsatz dargetan
wurde - für die Entwicklung des rationalen modernen Kapitalismus wichtig
war. Und es mußte, um sich in diesem Kreise zu behaupten, den Besitz
dieser Qualitäten dauernd bewähren: sie wurden in ihm konstant
und kontinuierlich gezüchtet. Denn wie - nach den Ausführungen
des vorigen Artikels - seine jenseitige Seligkeit, so stand und fiel auch
seine diesseitige ganze soziale Existenz damit, daß es sie “bewährte”
). Ein stärkeres Anzüchtungsmittel als eine solche Notwendigkeit
der sozialen Selbstbehauptung im Kreise der Genossen gibt es nach aller
Erfahrung nicht, und die kontinuierliche und unauffällige ethische
Zucht der Sekten verhielt sich deshalb zur autoritären Kirchenzucht
wie rationale Züchtung und Auslese zu Befehl und Arrest. In dieser
wie in fast jeder anderen Hinsicht sind die puritanischen Sekten, als die
spezifischsten Träger der innerweltlichen Askese, die konsequenteste,
in gewissem Sinn die einzig konsequente Antithese zur universalistischen
katholischen Gnadenanstalt. Die allerstärksten individuellen Interessen
der sozialen Selbstachtung wurden von ihnen in den Dienst jener Anzüchtung,
also auch diese individuellen Motive und persönlichen Eigeninteressen
in den Dienst der Erhaltung und Propagierung der “bürgerlichen” puritanischen
Ethik mit ihren Konsequenzen gestellt. Dies ist das absolut Entscheidende
für die Penetranz und Wucht der Wirkung. Denn - um es zu wiederholen
): - nicht die ethische Lehre einer Religion,
Die protestantischen Sekten und der Geist des Kapitalismus. [235]
sondern dasjenige ethische Verha1ten, auf welches durch die Art und
Bedingtheit ihrer Heilsgüter Pramien gesetzt sind, ist im soziologischen
Sinn des Wortes “ihr” spezifisches “Ethos”. Jenes Verhalten war beim Puritanismus
eine bestimmte methodisch - rationale Art der Lebensführung, welche
- unter gegebenen Bedingungen - dem “Geeist” des modernen Kapitalismus die
Wege ebnete; die Prämien waren gesetzt auf “Bewährung” vor Gott
im Sinn der Versicherung des Heils: bei allen puritanischen Denominationen,
vor den Menschen im Sinn der sozialen Selbstbehauptung: innerhalb der puritanischen
Sekten. Beides ergänzte einander in der gleichen Wirkungsrichtung:
es half den “Geist” des modernen Kapitalismus, sein spezifisches Ethos,
heißt das: das Ethos des modernen Bürgertums, entbinden. Die
asketische Konventikel- und Sektenbildung insbesondere, mit ihrer radikalen
Sprengung der patriarchalen und autoritären Gebundenheit ) und ihrer
Art der Wendung des Satzes: daß man Gott mehr gehorchen müsse
als den Menschen, bildete eine der wichtigsten geschichtlichen Grundlagen
des modernen “Individualismus”.
Denn es bedarf schließlich, um die Art dieser ethischen Wirkungen
zu verstehen, noch einer letzten vergleichenden Bemerkung. Auch in den
Zünften des Mittelalters fand sich nicht selten eine ähnliche
Kontrolle des allgemeinen ethischen Standard der Mitglieder, wie sie die
Kirchenzucht der asketischen protestantischen Sekten übte ). Aber
der unvermeidliche Unterschied in der Wirkung auf das wirtschaftliche Verhalten
des Einzelnen liegt auf der Hand. Die Zunft vereinigte Berufsgenossen,
also: Konkurrenten, in sich, und zwar zum Zweck der Begrenzung der Konkurrenz
und des in ihr wirkenden rationalen Erwerbsstrebens. Sie erzog zu “bürgerlichen”
Tugenden und war in einem bestimmten (hier nicht näher zu erörternden)
Sinn Trägerin von bürgerlichem “Rationalismus”. Aber im Sinn
der “Nahrungspolitik” und des Tradi-
Die protestantischen Sekten und der Geist des Kapitalismus.
[236]
tionalismus, - mit den bekannten praktischen Konsequenzen, soweit ihre
Wirtschaftsregulierung Macht gewann. Die Sekten aber, die nicht durch Lehrgang
oder Familienbeziehung einbezogene, technisch qualifizierte Berufs-, sondern
ethisch qualifizierte Glaubensgenossen durch Auslese und Züchtung
in sich vereinigten, kontrollierten und reglementierten deren Lebensführung
aus-schließlich im Sinne formaler Rechtlichkeit und methodischer
Askese, ohne jenen die Expansion des rationalen Erwerbsstrebens hemmenden
materialen nahrungspolitischen Zweck. Kapitalistischer Erfolg eines Zunftgenossen
zersetzte den Zunftgeist - wie es in England und Frankreich geschah - und
war perhorresziert. Kapitalistischer Erfolg eines Sektenbruders war - wenn
rechtlich errungen - ein Beweis von dessen Bewährung und Begnadung,
hob das Prestige und die Propagandachancen der Sekte und war deshalb gern
gesehen, wie die mehrfach zitierten Aeußerungen beweisen. Die Organisation
der freien Arbeit in den Zünften in ihrer okzidentalen mittelalterlichen
Form ist gewiß - sehr entgegen ihrer Absicht - nicht nur ein Hemmnis,
sondern auch eine Vorstufe der kapitalistischen Arbeitsorganisation gewesen,
die vielleicht nicht hätte entbehrt werden können ). Aber das
moderne bürgerlich - kapitalistische Ethos hat sie natürlich
nicht aus sich gebären können. Denn dessen ökonomisch “individualistische”
Antriebe konnte nicht sie, sondern nur die Lebensmethodik der asketischen
Sekten legitimieren und verklären.
Inhaltsübersicht.
Seite
Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 - 16
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus . . . . .
. . . . . . . . . . . . 17 - 206
I. Das Problem. . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
- 83
1. Konfession und soziale Schichtung
17. - 2. Der “Geist” des Kapitalismus
30. - 3. Luthers Berufskonzeption. Aufgabe
der Untersuchung 63.
II. Die Berufsethik des asketischen Pro-
testantismus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 - 206
1. Die religiösen Grundlagen
der innerweltlichen Askese 84. -
2. Askese und kapitalistischer
Geist 163.