Mihály Vörösmarty

Mahnruf

Übersetzt von Hans Leicht und Géza Engl (1970)  

Von Lieb und Treu zum Vaterland
Bleib, Ungar, stets erfüllt.
Es gibt dir Kraft, und wenn du stürzt,
Den Hügel, der dich hüllt.

Die weite Welt gibt anderswo
Nicht Raum noch Heimat dir,
Hier mußt in Segen oder Fluch
Du leben, sterben hier.

Dies ist der Boden, wo so oft
Das Blut der Väter rann,
Die Namen, die dir heilig sind,
Knüpft ein Jahrtausend dran.

Hier hat einst Árpád und sein Heer
Ertrotzt sich dieses Land,
Hier brach ein Sklavenjoch entzwei
Von Hunyads starker Hand.

  Freiheit, dein blutig Banner hat
Hier oft im Sturm geweht,
Es hat der lange Kampf und Streit
Die Besten hingemäht.  

So lebt, vom Schicksal heimgesucht,
In Zwietracht oft verrannt,
Vermindert zwar, gebrochen nicht,
Dies Volk in seinem Land.  

Und Völkerheimat, Erdenrund!
Es ruft dich unsre Not:
Ein tausendjähr’ges Leid fragt jetzt
Nach Leben oder Tod.  

Es kann nicht sein, daß so viel Blut
So ganz umsonst verrann,
In Bitterkeit manch treues Herz
Brach manchem guten Mann.  

Es kann nicht sein, daß Geist und Kraft
So guten Willens voll,
Wie unter eines Fluches Last
Umsonst verkümmern soll.  

Noch kommen wird und kommen muß
Einst eine beßre Zeit,
Nach der inbrünstiges Gebet
Aus aller Herzen schreit.  

Vielleicht auch, wenn er kommen muß,
Kommt heldisch groß der Tod,
Wo überm Leichenfelde dann
Das Land im Blut verloht.  

Und Völker stehen um das Grab,
In dem ein Volk versinkt,
In aller edlen Menschen Aug
Die Trauerträne blinkt.  

Von Lieb und Treu zum Vaterland
Bleib, Ungar, stets erfüllt.
Es gibt die Kraft, und wenn du stürzt
Den Hügel, der dich hüllt.  

Die weite Welt gibt anderswo
Nicht raum noch Heimat dir,
Hier mußt in Segen oder Fluch
Du leben, sterben hier.  

[1836]