Freiheit durch Worte

Dichtung ist nichts exklusives und Dichtende sind keineswegs selten. Doch scheint aber die Akzeptanz dessen, was Dichtung sei, in einer auf Bücher basierten literarischen Kultur erstarrt: es wird also gelesen und nicht gedichtet. Ein Vergleich: Man hat kein musikalisches Instrument gelernt, so hört man die Musik, die Stimme der anderen, d.h. des Radios, und bleibt selbst den ganzen Tag verstimmt.

Das Glück des Menschen, sein geistiges und emotionales Wohlsein wird künftig davon abhängig sein, inwieweit er innerhalb einer Welt, die zunehmend in einem "Nichts-selbst-können" erstarrt, beweglich bleiben kann. Für die Lyrik konkret bedeutet dies: wenn ich mich lyrisch fühlen möchte, greife ich dann nach einem Buch, von dem der Einband behauptet, dies enthalte Lyrik, oder versuche ich innezuhalten, um selbst lyrisch, d.h. frei, zu sein und meine Gedanken in Worte einzukleiden?

 

Wo wohnt Dichtung?

Man erkennt den Schreibtisch, die Schreibmaschine, Bücher als Symbole, als Wahrzeichen der Literatur an; man will sagen, sie seien Ikonen literarischen Schaffens, doch versucht man sich weiter vorzustellen wo nun diese Symbole stehen, an welchem Ort diese Literatur beheimatet sein soll, dann denkt man schnell an abgeschiedene Räume, an enge Kellergewölbe, oder auch erhabene Studierstuben, vielleicht sogar eine Mönchszelle.

- Unser Schreibtisch, also der Schreibtisch der Dichtenden am Untermain, steht vor dem Hintergrund derer Orte, die uns Vertraut sind: das Aschaffenburger Schloss, eine Anhöhe über Obernburg, der neuen Mainbrücke, Kreuzwertheim, einem Kieswerk, dem Großwallstädter Mainufer, Miltenberg, das Pompeijanum, oder Niedernberg. Diese Orte begründen nicht nur unsere Dichtung, aber sie beheimaten diese auch in ihren Bildern und Eindrücken. Deshalb sprechen wir von regionaler Dichtung, nicht weil dies ein Gegensatz zu einer "großen" oder "hohen" oder "wahren" Dichtung darstellen soll, sondern weil diese Dichtung von uns kommt. Und nur wer dichtet, kann die Schwierigkeiten sowie Herausforderungen des Dichtens an sich nachvollziehen und darüber hinaus eine Wertschätzung für solches schöpferisches Tun entwickeln.

Ebendeshalb weil dieser Schreibtisch, der in dieser Anthologie veröffentlichten Autoren und Autorinnen, sich nicht vor einer fremden Kulisse befindet, so können wir deren Dichtungen, deren Motive, deren Gedankengänge, deren verarbeiteten Empfindungen akuter, näher und intensiver nachempfinden, als jene die aus einer vergilbten Anthologie von barocken Hexameterkompositionen zu uns sprechen wollen.

Christopher Campbell

(1. Vorsitzender)