Ausguck

 

Wenn Trainees zum Ausguck halten eingeteilt werden, wissen sie oft nicht, wonach sie eigentlich auschauen sollen und warum Ausguck halten überhaupt erforderlich ist. 

Fangen wir mit dem letzteren an. Warum Ausguck halten?

1. In den internationalen Regeln zur Vermeidung von Kollisionen auf See (KVR) heißt es, dass jedes Schiff zu jeder Zeit, aber insbesondere bei schlechter Sicht mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln gehörigen Ausguck halten muss.

2. Es stimmt nicht, dass der Wachoffizier jedes Schiff schon lange vorher im Radar gesehen hat. Dieses hängt vom eingestellten Bereich des Radars ab. Bei guter Sicht kann man mit einem guten Fernglas Objekte oft wesentlich eher und besser erkennen als im Radar. Des weiteren erscheinen viele Objekte gar nicht im Radar. Dafür gibt es verschiedene Gründe, z.B. Seegangsechos und Regentrübung. Große Probleme machen auch kleine Boote z.B. mit Anglern. Diese Boote reflektieren nicht, weil sie aus Holz sind. Darüber hinaus sind sie so klein, dass sie hinter größeren Wellen verschwinden, denn der Radarstrahl wird vom ersten Objekt reflektiert, auf das er trifft. Was dahinter liegt, erscheint nicht.

Nun zur zweiten Frage: Wonach Ausguck halten???

Nach meinen jüngsten Erfahrungen als Navigator möchte ich euch dazu beschreiben, was ich von euch erwarte, wenn ihr mein Ausguck seid:

1. Teile die Umgebung des Schiffes in 3 Zonen ein. (Reichweiten der Zonen bezogen auf die MIR bei einer Augeshöhe des Ausgucks von 10m über der Wasserlinie, also auf dem Brückennock stehend.) Innerhalb dieser Zonen wirst du nach verschiedenen Objekten suchen:

Zone A ist die unmittelbare Umgebung des Schiffes. Sie reicht bis etwa 1-3 Seemeilen Entfernung um das Schiff. Dies ist abhängig von der Große und Geschwindigkeit des eigenen Schiffes und sollte in etwa die Strecke abdecken, die es innerhalb der nächsten 10-15 Minuten zurücklegt. In Zone A schaust du nach allen Dingen, die die Fahrt des eigenen Schiffes beeinflussen können. Dies sind z.B. treibende Objekte (z.B. Container), kleinere Boote (auch Segelyachten können vom Wachoffizier leicht übersehen werden, weil insbesondere Kunststoffyachten ebenfalls kaum Radarechos bieten) oder Fischernetze (die sich leicht in der Schiffsschraube verfangen). Darüber hinaus schaue nach allem, was nicht in die See gehört. Größere Ansammlungen Treibgut können Überbleibsel eines Schiffsunterganges oder anderen Unfalles sein. Was auch immer du siehst, beschreibe es mir so gut du kannst und gib dabei unbedingt die Peilung in der es sich befindet und die ungefähre Entfernung von uns an.

Zone B reicht vom Ende von Zone A bis zum sichtbaren Horizont. Innerhalb dieser Zone schaue aus nach allen Schiffen, die erscheinen. Wenn du kommst und ein neues Schiff meldest, dann sage mir bitte, was du siehst, wo du es siehst und in welche Richtung es sich bewegt. "Schiff an steuerbord!" reicht nicht. Es ist besser als nichts, aber wirklich brauchbar wäre: "Fischerboot  voraus, Seitenpeilung 35° steuerbord, ungefähre Entfernung 6 Meilen, bewegt sich langsam nordwärts!"

Wenn du nachts auf Ausguck bist und irgendwelche Positionslicher siehst, hast du 2 Möglichkeiten, Meldung zu machen. Wenn du in der Lage bist, das Objekt eindeutig zu identifizieren, dann tu das bitte: "Motorfahrzeug voraus. Ich sehe das rote Seitenlicht." Wenn du dir nicht sicher bist, dann beschreibe mir nur, was du siehst: "Ich sehe 2 weiße und ein rotes Licht in Seitenpeilung 25° steuerbord!" 

Doch es gibt noch andere Dinge als Schiffe, nach denen du in Zone B Ausguck halten musst:

- Seenotsignale! Wenn du irgendwelche roten Raketen, Rauch, blinkendes Licht in SOS-Abfolge (... - - - ...), etc siehst, mache umgehend Meldung. Jemand ist in Lebensgefahr!

- Bojen und Tonnen. Jede Fahrwassermarkierung ist von Bedeutung für den Navigator. Er wartet vielleicht gerade auf diese Tonne um eine Ansteuerung oder einen Tiefwasserweg zu finden. Es kann sich um eine neue Tonne handeln, die noch nicht in seiner Seekarte vermerkt ist. Auch besteht immer die Möglichkeit, dass er einen Fehler gemacht hat und eine Tonne an steuerbord erwartet, die nun an backbord erscheint. Wenn du nicht Meldung machst, sitzen wir eventuell 10 Minuten später auf Grund!

- hohe Wellen mit Schaukämmen. Diese weisen auf Böen und Änderungen der Windstärke und -richtung hin. Sie können außerdem auf Riffe und Sandbänke hinweisen.

Und schließlich Zone C: Diese reicht bis über den Horizont. Hier schauen wir vor allen Dingen nach Veränderungen des Wetters, z.B. nach einer Wetterfront oder aufziehenden Wolken, insbesondere Stratocumuli, welche in der Regel Böen enthalten.

2. Unterteile deine Aufmerksamkeit nach Richtungen. 60-70% deiner Aufmerksamkeit verwende für die Beobachtung des Sektors von recht vorraus bis 60° an beiden Seiten. 20-30° sollten für die Sektoren von 60-120° nach jeder Seite verwendet werden. Nur 10° der Aufmerksamkeit gehen nach hinten. Dort interessieren uns vor allem von achtern aufkommende Schiffe, die schneller als wir sind und uns überholen werden.

3. Ausguck ist nicht auf das Sehen beschränkt. Es schließt auch das Hören mit ein. Der Ausguck sollte seine Ohren stets offen haben um Signaltöne von anderen Schiffen wahrzunehmen.

Darüberhinaus achte auf alle Geräusche, die neu auftreten. Diese können vom eigenen Schiff ausgehen oder von der Wasseroberfläche her. Sie können von Objekten herrühren, mit denen wir kollidiert sind. Sie können aber auch aus dem Rigg kommen. Eine Leine, die plötzlich anfängt zu schlagen oder ein Segel, das plötzlich flattert hat seine Ursache meist in einer Änderung der Windrichtung oder einem groben Fehler des Rudergängers, die dem Wachoffizier vielleicht noch nicht aufgefallen sind, weil er gerade eine Eintragung in die Seekarte vornimmt. 

Auch ist der Ausguck in der Regel der Einzige, der die Schreie einer über Bord gefallenen Person vernimmt...

Alles klar soweit? Okay, dann halte Ausguck!

BB. Juni 2003