Trainee-Alltag auf MIR

Was die Trainees an Bord erwartet.

 
Wenn die Umstände es erlauben, können Trainees an den Bordroutinen und Seewachen teilnehmen, mitnavigieren, ins Rigg gehen, Fancy-Work lernen, Russisch lernen, eine Schiffsführung erhalten, etc. Wer das möchte, sollte dieses bei Reisebeginn mit der Traineebetreuung, dem Kontaktoffizier oder der Schiffsführung absprechen. Die Teilnahme ist freiwillig, sollte aber wenn man sich dafür entscheidet, dann auch regelmäßig erfolgen. Hier eine Übersicht der verschiedenen anfallenden Arbeiten an Bord und der dabei zu erfüllenden Aufgaben.

Das Wachsystem:

Die gesamte Crew (ebenso die Maschinen-Crew) und alle Kadetten verteilen sich auf drei Wachen über den gesamten Tag. Jede Wache arbeitet vier Stunden, hat dann acht Stunden frei, arbeitet wieder vier Stunden und hat dann wieder acht Stunden frei...
Demzufolge gibt es die 4-8-Wache (04-08, 16-20 Uhr, genannt erste Wache oder Fockmastwache), die 8-12-Wache (08-12, 20-24 Uhr, genannt dritte Wache oder Kreuzmastwache) und die 12-4-Wache (00-04, 12-16, genannt zweite Wache oder Großmastwache). Als Trainee kann man sich die Wache frei aussuchen, sollte aber dann bei der einmal gewählten Wache verbleiben.

Sei mindestens fünf Minuten vor dem Wachwechsel bereit und stelle dich mit den Kadetten der antretenden Wache an der Backbordseite des Oberdecks auf. Der Bootsmann der Wache wird dann die anfallenden Arbeiten verteilen. Falls deine Ruderwache in diesem Moment beginnt, stelle dich nicht zu den Kadetten, sondern gehe direkt zur Brücke. Informiere den Wachoffizier, dass du jetzt ans Ruder gehen möchtest.

Für jede Wache merke:

Instandhaltung

Die weit meiste an Bord anfallende Arbeit dient der Instandhaltung des Schiffes. Das kann Arbeit mit den Leinen oder den Segeln sein, sowie pönen, reparieren, reinigen, etc - entweder an Deck oder im Rigg.

Ruderwache

Während der Ruderwache steuerst du das Schiff unter dem Kommando des wachhabenden Offiziers und der Kadetten der Wache. Wenn du das Steuerrad übernimmst, wird dir der Kurs angesagt - entweder in Grad oder in einem bestimmten Winkel zum Wind. Du musst dann laut wiederholen. Diese Angaben werden in der Regel in Englisch sein (es sei denn, du sprichst gut russisch). Das klingt dann in etwa so: "The course is two-one-five" für einen Kompasskurs von 215°. Genauso, wenn jemand von dir übernimmt. Dann sagst du ihm alle wichtigen Informationen an (in Englisch, damit die Kadetten und der Wachhabende es auch verstehen). Verlasse nie das Ruder bevor du abgelöst wurdest. Wenn dir kalt ist oder du eine Pause brauchst, informiere den Wachoffizier und er wird eine Ablösung veranlassen. 


Hier einige der englischen Ruderkommandos und ihre deutsche Bedeutung, damit du verstehst, was du zu tun hast.

Starboard five

Ruder 5° nach steuerbord halten (Beispielsweise bei Kurswechseln)

hard a starboard

Ruder hart steuerbord (ca. 20° Ruderlage)

Port five

Ruder 5° nach backbord halten

hard a port

Ruder hart backbord

Midships

Ruder geradeaus

Steady

das Drehen des Schiffes so schnell wie möglich stoppen

Steady as she goes

Steuere einen bestimmten Kurs. Der Rudergänger wiederholt das Kommando und sagt den derzeitigen Kompasskurs an. Wenn das Schiff dann auf Kurs ist, ruft der Rudergänger beispielsweise: "Steady on one-seven-two".  

Steer two one five

Drehe das Steuerrad so, dass das Schiff den Kurs 215° erreicht

a little higher

Steuere mehr zum Wind

keep off

Steuere vom Wind weg (falle ab)

 

Ausguck

Ausguck bedeutet, den Horizont nach anderen Schiffen, Bojen, treibenden Dingen und allem, was das eigene Schiff beeinflussen könnte, abzusuchen. Alle Informationen gehen an den Wachoffizier. Wer übrigens meint, auf einem hochmodernen Schiff mit Radar, Computernavigation und neuester Technik brauche man keinen Ausguck mehr (ein Trainee sagte einmal zu mir, Ausguck sei nur Beschäftigungstherapie und ging zu Bett...), der mache sich folgendes klar: 

Entweder während der Wache oder außerhalb werden Schiffsführungen, Navigationsunterricht, Riggtraining, Einführungen in die Segel und Rigg, Knotenlehrgänge, die Arbeit mit den Leinen, Russischunterricht, Videovorführungen, etc. organisiert. Das macht in der Regel der Liaision Officer in Absprache mit den Trainees je nach deren Interesse.

Pflichten außerhalb des Wachsystems:

Backschaft

Zusammen mit den Kadetten werden die Tische für die Mahlzeiten gedeckt, das Essen aus der Kombüse geholt (eine Etage tiefer und bei Seegang sehr spannend), die Trainees bedient und später abgewaschen. Normalerweise beginnt man damit ca. 1/2 Stunde vor den Mahlzeiten, es sei denn, die Kadetten entscheiden etwas anderes. Benutze die Tür Nummer 121 auf der Steuerbordseite und klopfe laut. Merke: du hilfst den Kadetten, wasche nicht alleine ab. Wenn sie gerade Pause machen, während du arbeitest, frage sie, wann du wiederkommen sollst um zu Helfen. Falls es Probleme gibt, informiere deinen Liaision Officer oder den Wachhabenden Offizier (Brücke).

Reinigen der Kubricks, Toiletten und Duschräume

Die Trainees sind für ihre Kubricks selbst verantwortlich. D.h. jeder muss mithelfen, diese Räume in einem angenehmen Zustand zu erhalten. Die Toiletten und Waschräume werden von der Crew geputzt. Sollte es dort Beanstandungen geben oder etwas nicht funktionieren, sagt man der Traineebetreuung Bescheid, die das an die jeweils zuständigen Crewmitglieder weitergibt.

Segelalarm

Unabhängig davon, was man gerade tut, im Falle des Segelalarms ("dr-dr, dr-dr, dr-dr, parusnij avral, parusnij avral, vsje navjerch gatovij") begeben sich alle angezogen und ggf. mit Takelgurt ausgerüstet an Deck zum Sammelpunkt der eigenen Wache (erste Wache am Fockmast, zweite Wache am Großmast und dritte Wache am Kreuzmast) und wartet dort auf Anweisungen. Der Offizier der Wache und der Bootsmann der Wache werden ebenfalls dort sein und in Zusammenarbeit mit der Brücke das Manöver kommandieren. Auch Rudergänger und Ausguck begeben sich dann zum Sammelpunkt ihrer Wache. In der Regel werden sie durch spezielle Crewmitglieder abgelöst, die Ruder und Ausguck während der Manöver versehen. Auch wenn man denkt, das Manöver sei beendet, bleibt man bei den Kadetten seiner Wache, bis von der Brücke über Lautsprecher das Ende der Wache angesagt wird ("adboj"). Erst dann begibt man sich wieder auf seinen Posten oder zu seiner Arbeit, oder hilft den Kadetten beim Aufschießen der Leinen und erst danach in die Freizeit.

Common sense, der sechste Sinn, des Seemanns beste Versicherung

Auf einem Schiff gelten andere Regeln als an Land. Dinge, die an Land vielleicht eine Lappalie sind, können an Bord zu gefährlichen Situationen führen. Da du als Trainee nicht beurteilen kannst, was wichtig ist, gilt für dich, wie für alle anderen an Bord auch: Auch wenn du nur denkst, das etwas nicht in Ordnung ist, melde es dem zuständigen Offizier, Bootsmann oder der Brücke. Abgesehen von Brandgeruch und Wasser im Schiff können das solche Sachen, wie schadhafte Stellen in und am Schiff (durch den Seegang arbeiten sich oft Schrauben lose), Reling, Rigg (Saling) sein, aber auch ein Stromausfall oder die Seekrankheit eines Mittrainees...

Ein Wort zu den Mahlzeiten: Alle Mahrzeiten werden in der Kombüse zubereitet. (Es gibt einfache russische Küche.) Es ist nicht möglich, auf spezielle Diäten oder Essgewohnheiten Rücksicht zu nehmen oder selber zu kochen.

Trinken außerhalb der Mahlzeiten: Den Trainees steht ein Wasserkocher zur Verfügung, um sich in den Kubricks Kaffee oder Tee zuzubereiten. Es ist daher empfehlenswert, Teebeutel oder Instantkaffee mitzubringen. Alkohol an Bord ist nicht erwünscht, wird aber bei den Trainees gnädig "übersehen", solange man nicht in alkoholisiertem Zustand zur Wache erscheint oder ins Rigg klettert. Abends gibt es in der Crewmesse einen kleinen Verkauf ("Bar") von Bier und Cola.

Landgang: Trainees müssen pünktlich zurück an Bord sein. Es ist sinnvoll, sich vor dem Verlassen des Schiffes an der Gangway erkundigen, wann man wieder zurück sein sollte, da sich Abfahrtszeiten kurzfristig verschieben können. Das Schiff kann nicht auf verspätete Trainees warten, da Lotsen und Schlepper zu einem festen Zeitpunkt bestellt sind.

Beste Reisezeit: Auch wenn es dann eventuell noch kalt und oft auch regnerisch ist, empfehle ich die Vorsaison. Da die Kadetten in der Regel erst im Juni, wenn МИР zum Stadtgeburtstag nach St. Petersburg fährt, abgeholt werden, die Törns aber oft schon Ostern anfangen, ist man im April und Mai oft "unter sich". Gerade weil die Kadetten noch nicht da sind, müssen die Trainees kräftig mithelfen. Durch die enge Zusammenarbeit zwischen Stammcrew und Trainees entsteht - wenn man es denn möchte - ein sehr enger Kontakt zwischen den Seeleuten und den Mitfahrern. Auch ist die Atmosphäre lockerer und entspannter und das Schiff ist einfach nicht so voll wie im Sommer. Allerdings sind oft noch nicht alle Segel angeschlagen.

Wer МИР unter Vollzeug sehen will, der sollte die Saison nutzen, vor allem die Zeit, wenn die Regatten gefahren werden. Dann gehören zu den Törns auch oft noch rauschende Hafenfeste in den Rennhäfen, sowie die ganz eigene Regatta-Atmosphäre. Im Herbst gibt es dann oft noch sehr schöne Törns. Der Regattastress ist vorbei, die Kadetten haben oft ihre Prüfungen hinter sich, es wird noch ein paar Wochen "zum Spaß" gesegelt. Oft werden dann schon die Segel abgeschlagen, das Schiff für den Winter vorbereitet. Wer sich dann nicht nur so etwas ärgert, kann bei ganz ungewöhnlichen Arbeiten mithelfen, guten Kontakt mit den Kadetten, die inzwischen fleißig Englisch gelernt und ihre anfängliche Scheu weitgehend überwunden haben, bekommen und vielleicht ein wenig dolce vita in Form von Badetagen, Angeln oder einfach Faulenzen erleben.

Motorschiff МИР? Leider ist es nicht immer möglich, unter Segeln zu laufen. Feste Termine, der Zwang, die Trainees im nächsten Hafen pünktlich abzuliefern, bzw. neue abzuholen gepaart mit widrigen Winden führen oft dazu, dass unter Maschine gelaufen wird. Manchmal ist es auch einfach so, dass es auf Grund irgendwelcher Wartungsarbeiten am Rigg oder Deck unmöglich ist, vernünftige Manöver durchzuführen. Wer klettert schon gerne über frisch gelabsalte Wanten? Oder dass sich die Kadetten auf wichtige Prüfungen vorbereiten müssen und daher nicht zu häufigen Manövern herangezogen werden können. Kommt dann der Wind aus der falschen Richtung, so dass aufgekreuzt werden müsste, wird oft für den Diesel entschieden um den Jungs (und der Crew) ein wenig Ruhe zu gönnen. Vielleicht gab es auch eine Wetterwarnung über Funk, die die Schiffsleitung dazu veranlasst, aus Gründen der Vorsicht nur wenige oder keine Segel zu setzen. Schließlich stehen auf МИР ja immer 199 Leben auf dem Spiel.

Wie auch immer, die Schiffsführung versucht, immer wenn es möglich und vertretbar ist, Segel zu setzen und allein durch Windantrieb zu fahren. Ansonsten gilt: Als Trainee mustere ich auf МИР an - und zwar als "Schiffsjunge", als allerunterster Rang - und habe nicht einen Segeltörn auf einem Windjammer gebucht, sondern will am Leben und Alltag eines Segelschulschiffes teilhaben. Wer das nicht so sieht, sollte noch einmal genau nachdenken, bevor er sich auf МИР einschifft  - Kreuzfahrtschiffe gibt es viele...

(nach einem Arbeitsbogen von Nicole Graf und Sergey Timoshkov, übersetzt und ergänzt von B.Beuse)

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