Trimmen und Steuern

"Die vornehmste Aufgabe des Rudergaengers ist es, das Schiff nach Wind und Segeln zu steuern, aber die Aufgabe des wachhabenden Steuermannes ist es, die Segel so zu trimmen, dass das Schiff dem Steuer auch folgt." (aus: "Handbuch fuer Kadetten des Segelschulschiffes MIR")

 
Sieht man ein Museumsschiff im Hafen, so stehen die Rahen meist im rechten Winkel zur Laengsachse des Schiffes. Auch Gemaelde und Postkarten zeigen einen Rahsegler meistens mit dieser Stellung der Rahen. Es waere nun aber falsch daraus zu schliessen, dass dieses die uebliche Ansicht eines solchen Schiffes sei. Es ist sicherlich die imposanteste Moeglichkeit, einen Rahsegler zu zeigen. Schliesslich kann man so seine Ausmasse am Besten sehen, seine Groesse zur Geltung bringen. Beim tatsaechlichen Segeln hingegen, ist es eher ungewoehnlich, dass die Rahen vierkant - so bezeichnet man diese Position - stehen. Es ist nur eine von verschiedenen Moeglichkeiten, den Wind einzufangen und das Schiff nach vorne zu bringen. Und es ist nicht einmal die Beste. 

Das Stellen der Rah- und Schratsegel in den bestmoeglichen Winkel zum Wind, der den unter den gegebenen Voraussetzungen bestmoeglichen Vortrieb bringt, bezeichnet man als das Trimmen der Segel. Ist der Trimm richtig, folgt das Schiff willig und schnell den Bewegungen des Ruders und liegt ruhig und ohne Schlingerbewegungen mit einer gewissen Kraengung im Wasser. Das Segeln ist sicher und angenehm, die Bewegungen des Schiffes sind in gewissen Grenzen voraussehbar, ein geordneter Bordalltag ist moeglich. 

TRIMMEN DER RAHSEGEL:

Zuerst muessen wir uns vergegenwaertigen, dass es zwei verschiedene Arten von Wind gibt - einmal den "wahren Wind", den wir an denn Flaggen im Hafen ablesen koennen und den uns der Wetterbericht ankuendigt. Dieser Wind ist wichtig für die Planung der Reiseroute, für das Trimmen der Segel jedoch ist er nicht relevant. Hier ist einzig der "relative Wind" entscheidend. Dies ist der Wind, wie wir ihn an Bord des Schiffes fuehlen, wie ihn die Wimpel im Rigg anzeigen, wonach gesteuert wird. Aus diesem Grund ist in diesem Text immer die "relative Wind" gemeint, wenn von "Wind" gesprochen wird. Er setzt sich zusammen aus dem "wahren Wind" und dem Fahrtwind. Seine Richtung und Staerke ist abhaengig vom Kurs, der gefahren wird - also vom Winkel der Schiffsachse zur Richtung des "wahren Windes".

Nehmen wir zur Vereinfachung einmal an, wir haetten nur ein einziges Rahsegel (wie z.B. auf der "Kieler Hansekogge").  Wenn der Wind von hinten (achterlich) in dieses Segel faellt, macht das Schiff Fahrt nach vorne (voraus). Dies ist logisch und sicherlich jedem einleuchtend - nur kommt der Wind meistens aus einer anderen Richtung als achterlich, sodass es noch andere Moeglichkeiten geben muss. Auch ist es nicht unbedingt guenstig, mit achterlichen Winden zu segeln, weil ja der Wind in dem Maße abnimmt, wie das Schiff Fahrt nach vorne macht. Selbst wenn man Reibungskraefte, Stroemungen, Wellengang ausser acht laesst, kann ein Schiff, dass vor dem Wind segelt, nur maximal halb so schnell sein, wie der "wahre Wind", der das Schiff trifft.  Haben wir nun mehrere Masten hintereinander kommt noch hinzu, dass die Segel der vordersten Masten im Windschatten der Segel des achtersten Masten liegen und somit vollkommen ineffektiv werden. Welche Moeglichkeiten gibt es also, mit einem Vollschiff den Wind am Besten zu nutzen?

KURSE

Zum Trimmen werden die Rahen mit Hilfe der Brassen so gestellt, dass sie den Winkel zwischen dem Wind und der Laengsachse des Schiffen halbieren. Dadurch ist gewaehrleistet, dass alle Rahsegel in gleichem Masse vom Wind getroffen werden, also "ziehen" - d.h. zum Vortrieb des Schiffes beitragen. Leider hat das alles ein Ende bei einem Winkel der Rahen von 30° zur Schiffsachse, da sie dann bereits an den Pardunen und Wanten anliegen, die den Mast am Schiff befestigen. Daraus ergibt sich, dass ein Rahsegler so nicht dichter als 60° am Wind segeln kann.

Ein Wort zum Besansegel. Es ist zwar strenggenommen kein Rahsegel, ist aber an einer Art Rah befestigt, der Gaffel. Nur dass diese Gaffel einseitig am Mast befestigt ist und frei schwingen kann. Daraus folgt, dass sie auch nicht im selben Masse von den Wanten behindert wird, also auf jeden Fall in einem den Wind halbierenden Winkel stehen kann. Dafuer sind aber keine Vierkantpositionen moeglich.  Praktisch wird der Besan bei achterlichem Wind nicht gesetzt und bei anderen Kursen parallel der Stagsegel gebrasst. 

FEINTRIMM

Bei einem Schiff von der Groesse der MIR gibt es nun zwei weitere Moeglichkeiten, die Wirkung der Rahsegel zu optimieren.  Die erste Moeglichkeit ist der Feintrimm. Hierbei werden die oberen Rahen etwas dichter angebrasst als die unteren. Dies ist einerseits dadurch moeglich, dass die Wanten und Pardunen im oberen Bereich des Mastes natuerlich dichter dran sind und das Segel weniger behindern, andererseits ist es auch noetig, da in groesserer Hoehe andere Windverhaeltnisse als direkt an der Wasserlinie herrschen. Reibungskraefte des Wassers behindern den Wind weniger. Bei am Wind Kursen faellt er dadurch etwas achterlicher als im unteren Bereich des Schiffes ein. Daraus folgt, dass bei Kursen mit einem Einfallswinkel von weniger als 90° die Rahen von unten nach oben leicht gefaechert stehen muessen.

TRIMMEN DER SCHRATSEGEL

Die zweite Moeglichkeit die Wirkung der Rahsegel zu optimieren ist der zusaetzliche Einsatz von Schratsegeln. Dies umsomehr, je dichter am Wind gesegelt wird. Wird tatsaechlich einmal mit achterlichem Wind gesegelt, werden in der Regel die Schratsegel eingeholt. Sie haengen schlaff herunter, bringen ueberhaupt keinen Vortrieb. Auch bei Kursen vor dem Wind und bei raumem Wind ist ihre Wirkung nur in der Erhoehung der Gesamtsegelflaeche zu sehen. Sie tragen zum Vortrieb, also zur Geschwindigkeit des Schiffes nur wenig bei. Interessant werden sie bei  Halbwind- und am Wind Kursen. Dazu schauen wir uns einmal an, wie der Wind in solch einem Fall auf ein Schratsegel wirkt. Ein Schratsegel - z.B. ein Stagsegel ist in seiner Form in etwa einem Flugzeugfluegel aehnlich. Die dabei autretendes aerodynamischen Kraefte sind ebenfalls vergleichbar. An der gewoelbten Leeseite des Segels fließt der Wind schneller als an der aerodynamisch flachen Luvseite. Dadurch entsteht in Lee ein Bereich mit niedrigerem Druck, der das Segel nach außen zieht. Dieser Druck bewirkt den Vortrieb des Schiffes.

DER DUESENEFFEKT

Faehrt man jetzt mehrere eng zusammenstehende parallele Schratsegel (die Vorsegel), so entsteht durch die große Naehe der Segel zueinander ein Dueseneffekt, der besonders wichtig fuer das Trimmen der Segel ist. Bei optimaler Trimmung der Vorsegel wird der Wind mit einer weit hoeheren Geschwindigkeit zwischen ihnen hindurchgepresst (Vergroesserung der Stroemungsgeschwindigkeit durch Verkleinerung des zur Verfuegung stehenden Raumes) als wenn jedes fuer sich alleine stehen wuerde. Durch diese Geschwindigkeit entsteht ein starker Unterdruck und damit eine groessere Vortriebskraft. Um das zu erreichen sollten die Achterlieken der Vorsegel alle parallel zueinander verlaufen. Am Vorderliek darf keine Woelbung sein, da sonst stoerende Verwirbelungen entstuenden. Die Vor- und Stagsegel muessen jeweils so getrimmt werden, dass sie den Rahsegeln des nachfolgenden Mastes  keinen Abwind geben, der dann von vorne in sie einfiele und deren Segeleigenschaften behindern wuerde. In der Regel muss ein Kompromiss gefunden werden, der der jeweiligen Situation angepasst ist. Die Schratsegel werden daher auch zwischendurch immer  wieder nachgetrimmt.

30° AM WIND

Wenn wir nun die Rahen nicht weiter anbrassen koennen, wie kann es denn dann funktionieren, dass die MIR 30° an den Wind gehen kann? Was koennen wir im Trimm noch aendern, um so etwas zu ermoeglichen? Grundsaetzlich wuerde das ja funktionieren, wenn wir nur die Schratsegel und den Besan setzen wuerden. Dann koennte man MIR segeln wie einen Schoner. Der Dueseneffekt funktioniert auch bei Winkeln von weniger als 30° am Wind. Nur mit diesen Segeln alleine reicht die Segelflaeche jedoch nicht aus um eine nennenswerte Geschwindigkeit am Wind zu erreichen. Was tun? Es liegt nahe, zu probieren, was geschieht, wenn man die Rahsegel in das System der Schratsegel mit einbezieht. Die Rahsegel werden also hart angebrasst. Dann stehen sie 30° zur Laengsachse des Schiffes. Nun werden die Vor- und Stagsegel so getrimmt, dass sie parallel zu den Rahsegeln stehen. (siehe Foto am Anfang dieser Seite) Jetzt wird mit dem Ruder angeluvt, d.h. das Schiff immer weiter an den Wind gebracht. Irgendwann greift dann der Dueseneffekt und die Luft beginnt zwischen den Vorsegeln und den Rahsegeln des Fockmastes zu stroemen Die Rahsegel woelben sich vor und das Schiff wird durch den Unterdruck nach vorne gesaugt. Dieser Effekt geht durch das gesamte Rigg. Jetzt haengt es von der Geschicklichkeit des Rudergaengers ab, das Schiff so zu steuern, dass letztenendes die Rahen nicht mehr den Winkel zwischen Wind und Laengsachse halbieren, sondern annaehernd parallel zur Windrichtung verlaufen. Das Schiff laeuft 30° am Wind. Je dichter das Schiff an den Wind kommt, desto groesser wird der (relative) Wind, der ja nun fast von vorne kommt, und desto schneller faehrt das Schiff. Bei Anstroemwinkeln <10° wird das Schiff allerdings wieder langsamer, da nun Reibungskraefte und Abtrift stark zunehmen.

Optimal funktioniert dieser Effekt, wenn man die Royals, Gross- und Focksegel wegnimmt. Sie stehen in einer nicht ganz so guenstigen Position zu den Schratsegeln wie Mars- und Bramsegel. Auch bewirken die Royals bei hart-am-Wind Kursen meist nur eine Vergroesserung der Kraengung, was sich dann wieder auf die Unterwassereigenschaften des Schiffes nachteilig auswirkt. Groß- und Focksegel wegzunehmen ist auch noch aus einem anderen Grund sinnvoll. Hart am Wind besteht immer die Gefahr, dass eine Boe die Segel ploetzlich backschlagen laesst. Schlagen so grosse Segel back, kann das gesamte Schiff zum Stillstand kommen und es koennen Schaeden am stehenden und laufenden Gut entstehen.

SEGEL UND STEUER

Entscheidend fuer die Segeleigenschaften eines Schiffes sind seine Bewegungen um die Vertikalachse, das Gieren. Nur wenn die Segelflaeche vor dem Drehpunkt des Schiffes der Segelflaeche hinter dem Drehpunkt entspricht, faehrt das Schiff geradeaus. (Bei einer Wende oder Halse wird dieses Gleichgewicht bewusst veraendert.) Die Segelflaeche sind dabei nicht die tatsaechlichen Quadratmeter Tuch, die jeweils gesetzt wurden, sondern wieviel davon tatsaechlich zum Vortrieb des Schiffes beigetragen wird. Kommt es durch einen unausgewogenen Trimm zu einem Ungleichgewicht der Kraefte, entsteht ein Drehmoment, der das Schiff vom Kurs abbringt - es wird luvgierig oder faellt dauernd ab. Dieses muss dann vom Rudergaenger durch ein staendiges Korrigieren des Kurses wieder ausgeglichen werden. Jede Bewegung des Ruders bremst aber das Schiff etwas ab. Haeufiges Ruderlegen ist also zu vermeiden. Es ist wesentlich besser, das Schiff so ausgeglichen zu trimmen, dass es mit so wenig wie moeglich an Ruderlage auf dem Kurs gehalten werden kann. Ich erinnere mich an Anweisungen beim Rudergehen auf der MIR, nicht mehr als 1/4 Umdrehung des Steuerrades (entspricht 1/4 Grad) Ruderlage zu geben.

STEUERN NACH WIND UND SEGELN

Ist das Schiff optimal getrimmt, kann der Rudergaenger nach Wind und segeln steuern. Das bedeutet, er bekommt keinen Kompasskurs angesagt und auch keinen bestimmten Einfallswinkel des Windes, sondern beobachtet die Segel. Auf der MIR ist das Grossobermarssegel das Steuersegel. Wenn es gut im Wind steht, also gut gefuellt ist, liegt das Schiff optimal am Wind. Wird hart am Wind gesteuert, kann man solange anluven, bis das Steuersegel in Luv ganz leicht anfaengt zu killen. In Lee steht es dann in der Regel noch voll und der Dueseneffekt greift. Das Schiff ist jetzt zwischen 30 und 35° am Wind. Es sucht sich seinen Weg praktisch von alleine. Es ist praktisch nicht notwendig, den Winkel zum Wind am Windmesser zu kontrollieren, denn man kann es an den Bewegungen des Schiffes spueren, ob alles optimal stimmt. Sich aendernde Windgeraeusche, sowie ein langsamer werden des Schiffes deuten ebenfalls auf einen veraenderten Winkel hin. Ggf. ist es noetig, eine Weile etwas abzufallen, um dann das Schiff erneut hart an den Wind zu bringen.

WAS PASSIERT, WENN DAS SCHIFF UNTER MASCHINE LÄUFT MIT STAGSEGELN?

Das Schiff liegt ruhiger im Wasser, wenn der Wind entlang der Stagsegel stroemt. Die Segel werden dabei parallel zur Windrichtung getrimmt - auch wenn der Wind genau entgegen kommt. Sie wirken dabei wie Stabilisatoren fuer das Schiff, nur dass sie nicht wie bei modernen Passagierschiffen unter Wasser liegen und vom Wasser angestroemt werden, sondern dass sie die Luftstroemungen nutzen.

UND WENN KEINE SEGEL GESETZT SIND?

Auch dann muessen die Rahen gebrasst werden. Um den Schwerpunkt des Schiffes moeglichst direkt ueber dem Schiff zu halten, werden die Rahen so gebrasst, dass sie komplett ueber dem Deck stehen.

B.Beuse, 2001