Just a little von black angel

Kapitel 1:

Verletzt rollte er durch den Gang zum nächsten Klassenzimmer. Sie hatten ihn wieder ausgelacht, wie sie es öfter taten. Sie nannten ihn "Krüppel", oder auch "Loser". Er wusste nur eines: Eines Tages würde er sich dafür rächen und dann war er es, der über sie lachte. "Alles in Ordnung?", fragte ein blondhaariges Mädchen neben ihm, von dem er wusste, das es Ruby hieß. "Ja", knurrte Ram ungnädig und ließ sie mitten im Flur stehen, ihr Mitleid war für ihn genauso schlimm wie das Gelächter der Jungs. Dabei wollte er einfach nur einer von ihnen sein, akzeptiert werden, er selbst sein. Er hatte diese Sonderbehandlung einfach satt, die ihm alle zukommen ließen. Seine Mutter, die ihn mit Samthandschuhen anfasste. Die Lehrer, die dauernd Rücksicht auf ihn nahmen, als wäre er geistig zurückgelieben. Seine Mitschüler, die ihn entweder mieden und ignorierten oder die sich über ihn lustig machten. Ram hatte keine Freunde. Er hörte die Klingel und alle sprangen in ihr Klassenzimmer wie die gehetzten Kaninchen. Ram amüsierte sich und ließ sich noch ein wenig Zeit. Mr Hill würde eh wieder Rücksicht nehmen, wenn er zu spät kam. Gemächlich griff er nach den Metallstangen am Rad, durch die die Räder bewegt wurden, und rollte langsam Richtung Matheraum. Ram war froh als endlich die Glocke das Ende der letzten Stunde einläutete und er wieder nach Hause zu seinem Computer konnte. Er wartete bis die Flure sich geleert hatten. Danach spähte er nach draußen, ob Ruby zu sehen war, die öfter auf ihn wartete um "ihn sicher nach Hause zu begleiten", wie sie es formulierte. Er sah es als eine Art zusätzliche Nervgelegenheit an. Aber heute war die Luft rein und er rollte ins Freie. Doch Pustekuchen, Ruby machte ihm einen gewaltigen Strich durch die Rechnung, als sie unverhofft neben dem Eingang auftauchte. Das war der einzige Platz gewesen, auf dem er sie natürlich nicht hatte sehen können. Sie lächelte, er lächelte nicht. "Ich wusste, dass du es wieder versuchen würdest." Ram antwortete nicht, er hielt ignorieren für die beste Methode ihr klarzumachen, dass er nichts mit ihr zu tun haben wollte. Unglücklicherweise schien sie das nicht zu stören. Sie hielt zwar die Klappe, ließ sich aber nicht davon abhalten, ihn trotzdem zu begleiten. Zum Glück nur noch 500m, dachte er, während Ruby immer noch schweigend neben ihm hertrabte. Warum sie das tat, wusste er nicht, er konnte sich keinen Reim darauf machen. Er hatte ihr doch schon tausend Mal versucht klarzumachen, dass sie ihn in Ruhe lassen solle. Noch 300m ... noch 200m ... noch 100m ... dann standen sie vor dem Eingang des Wohnblockes, in dem Ram mit seiner Mutter wohnte. Doch selbst als er auf den Fahrstuhl wartete, war sie neben ihm.
"Was willst du denn noch?", fragte er in einem Anfall von Verzweiflung.
"Bio-Projekt", erwiderte sie.
"Ich hab dir doch gesagt, dass ich das allein mache und dir die Ergebnisse kopiere."
"Vielleicht will ich das aber nicht!"
"Dann mach dein Projekt allein und lass mich in Ruhe!" "Nein!"
"Doch!"
"Nein! Ich sag's dir zum allerletzten Mal: LASS MICH IN RUHE!", brüllte er, während eine alte Omi aus dem Fahrstuhl stieg, die beiden verständnislos ansah und etwas von "der heutigen Jugend" murmelte.
"Nein!", sagte Ruby nachdrücklich. "VERZIEH DICH!", brüllte er.
"Weißt du was Zusammenarbeit ist?", fragte sie ihn ohne auch nur andeutungsweise auf ihn einzugehen.
"Ja, etwas, das ich garantiert nicht tun werde. Und jetzt lass mich in Ruhe: Ich will nichts mit dir zu tun haben, ich pfeif auf dein Mitleid! Such dir wen anders, den du nerven kannst, du dumme Pute!" Das hatte gesessen. Rubys ruhiges Gesicht verwandelte sich schlagartig in ein wütendes.
"Sieh doch zu wie du klarkommst!", fauchte sie.
"FAHR ZUR HÖLLE!", rief er. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, machte Ruby auf dem Absatz kehrt und verließ türknallend den Wohnblock. Ram rollte noch leicht aufgebracht in den Fahrstuhl und ließ sich nach oben befördern.

Seine Mutter war wie erwartet arbeiten, also hatte er wenigstens noch ein bisschen seine Ruhe, bis sie nach Hause kam. Essen stand in der Mikrowelle, so weit er sehen konnte, war es irgendwas mit Kohl. Essen musste warten. Er rollte in sein Zimmer und stellte seinen Rechner an und ging gleich ins Internet. Keine Emails für ihn, wie gewöhnlich schrieb ihm niemand, was auch daran lag, dass ungefähr niemand seine Emailadresse kannte. Auf der Hauptseite standen die neuesten Nachrichten. "Beliebter Popstar stirbt nach Autounfall" ... "Bundeskanzler gibt weitere Steuerreformen bekannt" ... "Gewinnen Sie bis zu einer Million"... Beliebter Popstar. Ram schnaubte verächtlich durch die Nase. Deren sogenannter Gesang klang wie Hundegejaule und wen interessierte Kanzler? Und eine Million gewann er noch nicht einmal im Traum. In Träumen schwebte ihm Höheres vor. Ein selbstdenkender Computer, das war sein Traum. Ein Computer, der völlig von allein arbeitete, alles kontrollierte und sicherte. Er träumte davon, seit jener Nacht, in der der Autounfall passiert war.

~~~Flashback~~~
Es war eine kalte und regnerische Nacht im Herbst. Nasses Laub lag auf den Straßen und der 11-jährige Ram saß mit seinem Vater im Auto und war auf dem Heimweg. Rams Vater hatte ihn von seiner Granny abgeholt, bei der er die Ferien verbracht hatte. Ram war müde und döste auf dem Beifahrersitz. Auf einmal wurde es blendend hell. Er riss panikartig die Augen auf und sah nur noch zwei starke Scheinwerfer, die auf ihn zukamen. Dann wurde es schwarz um ihn...
Das nächste was er sah, war wieder etwas Strahlendhelles, doch diemal kam es von den weißen Wänden, die das Licht der Oktobersonne reflektierten. Er wusste nicht, wo er war, er kannte diesen Raum nicht, hatte er nicht eben noch mit seinem Dad im Auto gesessen? Angestrengt versuchte sich Ram an das Dazwischenliegende zu erinnern, doch da war nichts. Wie kam er hierher? Das Zimmer, in dem er sich befand, wirkte kalt und unfreundlich. Es waren noch zwei weitere Betten neben ihm, doch sie waren leer. Die Tür ging auf und jemand in einem weißen Kittel kam herein. "Du bist wach", stellte die Person nüchtern fest. "ich bin Dr. Allerton." ~~~Flashback~~~

Doktor Allerton, dachte Ram spöttisch, der Arzt, der ihm nicht hatte helfen können. Der Arzt, der mit schuld war, dass er in diesem ver******en Rollstuhl saß. Die andere Schuld traf den Fahrer des anderen PKW, der sie gerammt hatte, der seinen Vater getötet hatte.

Kapitel 2:

Die nächsten Tage verliefen relativ ruhig. Ruby ging ihm jetzt immer aus dem Weg oder -wenn nicht anders möglich- stolzierte hocherhobenen Hauptes an ihm vorbei. Es war fast wie im Himmel, aus dem ihn dann Bray oder Ned rausholten, wann immer sie ihn auch nur sahen.
"Na Rollstuhl-Boy!", sagte eine schneidende Stimme rechts hinter ihm, als Ram den Flur zu seinem Spind fuhr. Ram reagierte nicht auf Bray.
"Weißt du, ich hab mich schon immer gefragt, wie es ist, Rollstuhl zu fahren", sagte eine zweite Stimme neben ihm, die dieses Mal von links kam. Bray und Ned flankierten ihn nun von beiden Seiten. Rams Pech, dass es klingelte und sich der Flur leerte. Keine Chance ihnen irgendwie zu entkommen. "Ich hab beschlossen es ausprobieren zu wollen. Du hast doch nichts dagegen, wenn ich mir deinen Stuhl leihe..." Ned griff nun von hinten an die Schiebevorrichtung des Rollstuhls und schob ihn zielsicher Richtung Mädchenklo, während Bray Ram den Mund zuhielt. Ram konnte nichts machen. Nachdem sich die beiden sicher waren, dass niemand mehr da war, ließ Bray ihn los und hob ihn gemeinsam mit Ned hoch und setzte ihn auf einen Klodeckel. Dann zogen sie Tür hinter ihm zu und ließen ihn allein.
"Schade, dass wir ihn von außen nicht einschließen können", meinte Ned bedauernd, "schieb du mich zuerst!" Das letzte, was Ram hörte, war das Quietschen der Räder seines Rollstuhls, dann fiel die Tür hinter den beiden zu und er saß allein und hilflos auf einem Klodeckel in der Mädchentoilette im zweiten Stock.

Er hatte es satt. Wollte nicht hilflos sein. Nicht mehr abhängig von anderen. Er musste warten bis jemand kam und ihm aus der misslichen Lage half. Er wusste, dass er nie die Tür aufkriegen würde. Er musste einfach warten, und das machte ihn verbittert. Sein Selbstwertgefühl litt mit ihm, während er auf dem Deckel hockte und sich nicht rührte. Es stank in dem Raum, es stank ganz gewaltig und er konnte nichts tun, um ihn loszuwerden. Er konnte weder das Fenster erreichen noch weggehen. Es war keimig hier, er fragte sich, wann hier eigentlich das letzte Mal ordentlich geschrubbt worden war. Doch die schäbigen rotbraunen Fliesen des Fußbodens gaben ihm keine Antwort auf seine stille Frage. Ram versuchte die Lage erneut einzuschätzen. Wenn er sich irgendwie nach vorn katapultierte und es dabei schaffte, die Türklinke herunterzureißen, dann konnte er zumindest aus dieser Kabine raus. Wenn er es allerdings nicht schaffte, würde er mit vollem Karacho gegen die Tür rumsen. Er wollte das Risiko eingehen und sammelte seine Kraft. Dann überwand er seinen Ekel vor den schmutzigen Fliesen, stieß er ruckartig nach vorn und traf mit seiner Hand erstaunlicherweise die Türklinke. Die Tür sprang auf leicht auf und er drehte sich irgendwie zur Seite, damit er sie vollständig öffnen konnte. Nebenbei versuchte er angestrengt den stechenden Schmerz in seiner linken Schulter zu ignorieren. Mit seinen Armen robbte er schließlich so gut es ging sich nach vorn. Das war ermüdend, aber er kam Stück für Stück vorwärts. Doch bis zur Tür zum Flur würde er nicht kommen und selbst wenn, fehlte ihm die Kraft sie aufzustoßen, so blieb er im kleinen Vorraum zwischen den beiden Reihen von Waschbecken liegen. Er musste bis zur Pause warten, dann könnte jemand kommen und ihm helfen, wie einem kleinen Kind, das hingefallen war und dem man auf die Füße helfen musste. Er hatte ständig den Fußboden im Blick, als könne jeden Moment ein großes Stück Dreck auf ihn zuspringen. Dieser Schmutz und Keim ekelte ihn einfach an. Er sah mit einem Auge vorsichtig und schnell zur Uhr. Es war erst die Hälfte der Stunde um, er musste noch 25min warten. Die Sekunden verstrichen, bis sie eine Minute bildeten, dann zwei, drei und dann ging die Tür auf. Herein kam der Mensch, den Ram am allerwenigsten hatte sehen wollen -Ruby. Sie schien nicht einmal sonderlich überrascht, ihn auf dem Boden liegen zu sehen. Sie tat so, als läge er ihr nicht im Wege, stieg würdevoll über ihn hinweg und verrichtete ihr Geschäft. Auf dem Rückweg genau dasselbe. Obwohl sie auch einen Bogen um ihn hätte machen können, um zum Waschbecken zu kommen, stieg sie über ihn und ging dann erst dorthin. Ram kämpfte mit sich selbst. Sollte er sie vielleicht fragen, ob er ihr half. Nein. Er verbot es sich. Alle, aber nicht Ruby. Der dreckige Fußboden starrte ihm entgegen und er konnte nichts tun, außer ...
"Ruby?", fragte er widerstrebend. "Hilfst du mir bitte?"

Ruby ging weiter, fasste an die Türklinke und ließ sie wieder los. Dann sah sie ihn einen Moment lang taxierend an. Ihr Blick gefiel ihm nicht. Doch schließlich nahm ihr Gesicht einen neutralen Ausdruck an. "Verdient hast du es ja nicht", murmelte sie leise und für Ram grad noch hörbar. "Warte einen Moment." Der Moment dauerte dann doch etwas länger. Exakt 4 Minuten und 21 Sekunden später- Ram hatte genau auf die Uhr gesehen- erschien Ruby mit seinem Rollstuhl wieder. Er wollte nicht fragen, warum sie ihn solange hatte warten lassen. Er war froh, dass sie überhaupt zurückgekommen war und er jetzt endlich aus diesem miefigen Kabuff rauskam. Sie stellte den Stuhl gleich neben ihn und legte die Wegfahrsperre vor (haben Rollstühle überhaupt sowas ). Dann hievte sie ihn hoch. Ram biss die Zähne zusammen, denn Rubys Griff war nicht gerade weich. Sie redete nicht und sobald er saß, drehte sie sich wieder um, um ihrer Wege zu gehen. "Danke", sagte Ram leise.
"Hast du was gesagt?", forschend sah sie ihn an.
"Danke Ruby." Er setzte ein gekünsteltes Lächeln auf. Zumindest hielt er es für eins, denn Ram lächelte eigentlich nie, er hatte ja nie Gelegenheit dazu. Gemeinsam verließen sie das Klo und bewegten sich Richtung Englisch-Raum, in dem sie normalerweise um die Zeit gemeinsam ihren Englischkurs hatten. Als sie zusammen eintraten, fingen die anderen an zu tuscheln. Ram war das egal. Es ließ ihn kalt, was andere über ihn dachten, solange sie ihn in Ruhe ließen.
Ruby machte ein leicht betroffenes Gesicht, wie er aus den Augenwinkel sah, doch es kümmerte ihn nicht weiter. Er rollte auf seinen gewohnten Platz in der vorletzten Reihe und folgte mehr oder weniger aufmerksam dem Unterricht.

"Hallo Ram", begrüßte sie ihn, obwohl sie sich erst vor wenigen Minuten im Unterricht gesehen hatten. "Hi Ruby", antwortete er höflicherweise in Erinnerung daran, dass sie ihm vor einer guten halben Stunde geholfen hatte. Sie setzte sich unaufgefordert zu ihm an den Tisch in der Caféteria. Er beschloss seine alten Methoden wieder einzusetzen - Ruby ignorieren. Ohne sie noch eines weiteren Blickes zu würdigen, machte er sich daran den Rest seines Frühstücks zu vertilgen. "Hör zu. Ich weiß, dass du mich immer ignoriert hast und ich weiß, dass du nie etwas mit mir zu tun haben wolltest. Genau genommen wolltest du nie mit jemandem etwas zu tun haben. Ich weiß, dass du es nie zugeben wirst, aber du bist allein Ram. Ich wollte dir helfen. Die ganze Zeit. Ich wollte mich mit dir anfreunden, doch du hast dich geweigert, auch nur mit mir ansatzweise Kontakt aufzunehmen. Als ich mich freiwillig als dein Partner für das Bio-Projekt gemeldet hab, so war das auch nur..." sie hielt kurz inne und er sah zum ersten Mal von seinem Essen auf, "um näher an dich ranzukommen und dich aus deiner Isolation zu holen. Frag mich nicht, wieso ich das tue. Ich weiß es selbst nicht, es ist eine Art innerer Zwang ... irgendwie." Ram bemerkte, dass sie nervös an einer ihrer Haarsträhnen herumzwirbelte. "Ich war extrem verletzt wegen dem, was du neulich zu mir gesagt hast und ich hatte auch beschlossen, dir nie wieder versuchen wollen zu helfen. Doch als du da vorhin so lagst, du weißt ja ... mein Retterzwang." Sie lächelte. "Jedenfalls will ich nicht wieder versuchen, dir meine Freundschaft aufzuzwingen. Aber ich würde gern, dass du mich akzeptierst, als Partner für unser Bio-Projekt. Sobald das Ding gelaufen ist, werd ich dich in Ruhe lassen, ganz wie du es willst. Versprochen." Mehr aus dem Gefühl, ihr etwas schuldig zu sein, als aus Koorperationsbereitschaft, sagte er zu. Dann schwiegen beide. Bray und Ned kamen kurz an ihren Tisch und sagten synchron: "Tut mir leid, dass wir deinen Stuhl genommen haben." Dabei warfen sie einen respektvollen Blick zu Ruby. Ram grinste, als er die beiden ansah. Bray hatte ein blutunterlaufenes linkes Auge und Neds Oberlippe war aufgesprungen und angeschwollen. Wenn er eins und eins richtig zusammenzählte, dann hatte Ruby denen eine Abreibung verpasst, die sie nicht so schnell vergessen würden. Deswegen hatte sie 4 Minuten und 21 Sekunden gebraucht, um wiederzukommen. Schade, dass er es nicht hatte sehen können.

Kapitel 3:

"Mysteriöser Virus aufgetaucht" war eine der Nachrichten gewesen, die zu Anfang des Monats aufgetaucht waren. Inzwischen, drei Wochen später, redeten die Medien schon von einem Massensterben. In Europa war angeblich schon die halbe erwachsene Bevölkerung ausgerottet. Und merkwürdigerweise, schien es nur die Erwachsenen zu betreffen, um diese Neuigkeiten scherte Ram sich nicht weiter. Was ihm viel mehr Sorgen bereitete war die Tatsache, dass seine Mutter ihn mit zwangsevakuieren lassen wollte. Viele Länder hatten eine Zwangsevakuierung der Jugendlichen angeordnet, so auch Neuseeland. Und seine Mutter wollte, dass er die Stadt verließ und sich in eines dieser Camps begab. Das war doch nur so eine Krankheit, die man früher oder später unter Kontrolle bekommen würde. Was sollte dann die ganze Aufregung? Konnten sie ihn nicht einfach unbehelligt lassen? "Ram?", fragte seine Mutter vorsichtig, als sie in sein Zimmer trat.
"Nein Mum, ich werde nich in so ein Camp gehen, nicht freiwillig!"
"Ich weiß und deswegen tue ich das, was ich am besten für dich halte." Traurig sah sie ihn an. Ein Blick, den Ram nicht so schnell vergessen sollte. Hinter ihr erschienen zwei Männer.
"Das sind Männer vom Hilfswerk", sagte sie erschöpft, "sie werden dich mitnehmen und weitestgehend betreuen." Sie kamen näher und der eine hob Ram mühelos aus seinem Stuhl. Er versuchte sich noch irgendwie mit den Armen zu wehren, zu kratzen wie Tiere, doch der Mann war viel stärker als er. Ram fühlte sich erneut einen Hass auf seine Hilflosigkeit in sich aufsteigen. Da er sich kaum bewegen konnte, fing er an rumzuschreien, irgendwie musste er doch gegen diese Ungerechtigkeiten protestieren. Doch der Mann ließ ihn trotzdem nicht los. Seine Mutter stellte eine fertig gepackte Tasche auf die Sitzfläche seines Stuhl und übergab diesen dem zweiten Mann. Ram ließ seiner Wut immer noch freien Lauf, doch keiner kümmerte sich darum. Seine Mutter trat ein letztes Mal an ihn heran, als der Mann Ram bis vor die Tür getragen hatte.
"Ram, es tut mir leid", sagte sie und zum ersten Mal, seit die Männer gekommen waren, war er vollkommen ruhig. "Ich wollte, es wäre anders gekommen. Doch glaub mir eins, in diesem Camp wird es dir besser gehen als hier bei mir. Ich wünschte, ich könnte hoffen, dass wir uns wiedersehen, doch es wird nicht so sein. Ich bin mit dem Virus infiziert..." Eine einsame Träne suchte sich bedächtig ihren Weg herab. Ram hatte seine Mutter nur einmal weinen gesehen, damals, als sie ihm gesagt hatte, dass sein Vater tot war. "Lebe wohl mein Sohn." Sie küsste ihn zum Abschied sanft auf die Stirn, dann wandte sie sich ab und Ram wurde nach unten getragen. Er hörte sie schluchzen, doch konnte sie nicht mehr trösten.
Er wollte ihr ihren letzten Wunsch erfüllen und ließ sich nun wiederstandslos runtertragen und ins Auto setzen. Er war sich sicher, dass sie hinter der Gardine in einem der Zimmer stand und dem Auto nachstarrte wie es wegfuhr. Er war sich ebenso sicher, dass sie dabei weinte. Er hatte ständig ihr Gesicht vor Augen, wie sie weinte wegen ihm.

Sie holten noch jemand anderes ab, ein Mädchen (nein Julie, es ist nicht Ruby!!!), das sich schweigend neben ihn auf die Rückbank setzte. Er schenkte ihm keine weitere Beachtung, als dass er sie kurz musterte und dann seinen eigenen Gedanken nachging.
Die Fahrt verlief schweigend und während Ram die ganze Zeit gedacht hatte, dass sie in eine Art Jugendherberge fahren würden, so hatte er sich geirrt. Das Haus sah nicht nach einer herberge aus. Und neben Herbergen waren auch nie Koppeln, wo Kühe weideten. Das war noch nicht mal annähernd eine Jugendherberge, das war ein Bauernhof! Und ein Bauernhof bedeutete auch Dreck und Keime. Igitt, er wollte sofort zurück in die Stadt! Aus dem Wohngebäude (das immerhin von drei riesigen Scheunen umgeben war) traten eine Frau und ein Mann. Die Frau war leicht rundlich und versprühte eine Art Herzlichkeit, wie Ram es noch nie bei Stadtmenschen gesehen hatte. Der Mann war groß und hager, doch auch er wirkte freundlich. Der Fahrer hob ihn aus dem Auto und setzte ihn auf den Rollstuhl, den der andere auf den Boden gestellt hatte. "Willkommen", begrüßte die Frau Ram und das Mädchen. "Ich hoffe ihr fühlt euch bei uns wie zu Hause bis ihr dorthin zurückkönnt. Danke, dass Sie die beiden hergebracht haben." Sie bedeutete den Fahrern nun zu gehen. Dann lächelte sie breit über das ganze Gesicht und streckte ihnen die Hand entgegen. Ram war sehr erleichtert, als er sah, dass diese sauber war, nun, zumindest klebte kein Mist dran. "Ich bin Liz und das ist Harry", dabei deutete sie auf den Mann. "Cara", sagte das Mädchen neben Ram nur. Ihre einsilbige Art gefiehl ihm.
"Ram", sagte er schlicht.
"Nun denn, kommt erst mal rein. Harry nimmt die Taschen", sagte sie zu Cara gewandt, die ihre Tasche hatte hochheben wollen. Liz schob Ram ins Wohnhaus.

Sein Zimmer lag im ersten Stock und war total altmodisch. Ein uralter und verschnörkelter Schrank, ein großes Himmelbett mit dunkelroten Vorhängen, eine kleine Kommode und nirgends ein Zeichen von Technik, von der Lampe an der Decke mal abgesehen. Er gratulierte sich selbst und fasste seine Situation zusammen: Er saß irgendwo auf einem kleinen Kuhdorf fest, kannte keine Menschenseele und hatte noch nicht mal einen Computer. Großartig. Es klopfte.
"Ram-darling, es gibt Abendbrot!", rief Liz. "Komme!" Er rollte hinaus und sah sie fragend an. Sie zeigte auf eine Tür am Ende des Ganges, da hinein, ich hole nur noch Cara, ihr Zimmer liegt oben!" Das interessierte Ram herzlich wenig. Er rollte in Richtung der Tür und stieß sie auf. Am Tisch saßen ...

Am Tisch saßen zwei blondhaarige Typen, sie sahen definitiv wie Brüder aus. Der eine lächelte freundlich, der andere, der etwas jünger zu sein schien, sah ihn leicht missmutig an. "Kinder, dass sind Cara und Ram. Cara, Ram, das sind meine beiden Söhne Jay und Ved", stellte Liz sie einander vor. Keiner erwiderte darauf etwas. Ram rollte an einen freien Platz. Auch während des Essens verlief alles ruhig und alle schwiegen. Ram hing wieder seinen Gedanken nach. Komischerweise musste er an Ruby denken. Was sie wohl gerade machte? Sie war sicherlich noch in der Stadt und hatte ihren Spaß, dachte er, während er hier im letzten Kaff vorm Mond sich mit zwei blonden Bauerntrampeln, 2 Bauernelternteilen und einem seltsam schweigsamen Mädchen herumschlagen musste. Hatte Ram Jay und Ved zunächst für etwas seltsam gehalten, so fand er sie jetzt nur noch merkwürdig. Die beiden halfen ihrer Mutter freiwillig beim Abwasch und kümmerten sich mit um den Haushalt. Ram hatte in seinem ganzen Leben nicht einmal annähernd etwas Derartiges getan. Aber eins war positiv: Da er im Rollstuhl saß, musste er nicht mithelfen, so wie Cara, die das Geschirrtuch schwingen musste und dabei das Gesicht verzog. Liz versuchte das zu tolerieren, während Ram innerlich grinste. Zum ersten Mal im Lebengenoss er seine Sonderstellung.

Kapitel 4:

Wenn Ram später auf die frühe Nachviruszeit zurückblickte, so erfüllte ihn ein gewisser Stolz. Er, der früher von allen verspottet worden war, war nun Anführer eines Tribes geworden-den Technos. Seine damals sogenannten Hinterwäldler hatten doch tatsächlich aktuelles Computerequipment besessen, das seine besten Mitarbeiter nun unter seiner Oberaufsicht nun weiterprogrammierten. Er hatte sie zwar erst ausbilden müssen, aber dafür war er ja auch der Anführer geworden. Sie hatten Apotheken und Krankenhäuser geplündert, um Medikamente zu bekommen. Sie hatten riesige Vorräte an Proviant und Wasser, alles aus alten Einkausfszentren zusammen getragen. Sie hatten haufenweise Notstromaggregate ausgebaut, um damit ihre Computer betreiben zu können. Sie hatten eine alte Wasserturbine wieder funktionstüchtig gemacht, als die Notstromaggregate alle waren und sie durch die entstandene Energie wiederaufgeladen. Er konnte mit Recht behaupten, dass sie einen gewissen Lebensstandart besaßen, mehr als alle umliegenden Tribes zusammen. Einige von denen waren ehrfürchtig zu ihnen angekrochen gekommen und hatten darum gebeten, aufgenommen zu werden. Genau solche Leute, die ihn vor dem Virus noch nicht einmal von hinten angesehen hätten. Er genoss seine machtvolle Position, um sie zu erniedrigen. Sie waren so ziemlich alle nur in den untersten Rängen. Und manche waren auch nur für die Reinigung der Räumlichkeiten zuständig, denn Ram achtete peinlich genau darauf, dass alles sauber und steril war. Nie wieder wollte er eine Situation wie die damals auf dem Schulklo erleben. Es gab nur einen aus den unteren Rängen, der es bis zum Commander geschafft hatte - Mega. Ram musste gestehen, dass Mega aus der Masse hervorgestochen hatte, abgesehen davon besaß er ein ausgezeichnetes Computerwissen, das Ram sich zunutze gemacht hatte. Mega hatte ihm einen elektrischen Rollstuhl konstruiert und dafür war er in den Kreis Rams engster Vertrauter aufgenommen worden. Ram wusste, das sie ihn nicht alle als Freund ansahen, wie er es gern hätte. Doch er sagte sich, dass das mit der Zeit noch kommen würde. Ved war sein kleiner Liebling geworden, ein kleines Genie, er gehorchte bedingungslos Rams Anweisungen. Ram hätte dem "Bauerntrampel" das nie zugetraut. Veds Bruder Jay hingegen hoffte darauf, dass er mit den Technos eine bessere Welt aufbauen könnte- allein würde er es nicht schaffen, das wusste Jay und das wusste auch Ram. Und er wusste auch, dass das der einzige Grund für Jays Loyalität war. Er ließ ihm lieber seine Illusionen. Java, eine Exfreundin von Jay, war machthungrig. Sie wollte Macht und die bekam sie von Ram auch. Sie war für Kraftraining der Truppen eingesetzt, genau wie Cara, die von allen Rams einzige wirkliche Freundin war. Sie waren total verschieden und vielleicht war das der Grund, warum sie sich so nahe standen. Rams Truppen brauchten Kraft und jede Übung im Nahkampf, die sie bekommen konnten. Ram wollte zurück in die Stadt, Landleben gut und schön, aber die Stadt war ein ganz anderes Kaliber, sein Kaliber.
Doch es bedurfte noch immer einiger Vorbereitungen. Seine Technologie war immer noch nicht so wie er es sich wünschte. Er wollte Headsets, doch keiner schaffte es, sie ordentlich zu programmieren, alles Wichtige musste er eben doch alleine machen und von seinen Zappern wusste noch niemand etwas. Er hatte sich mit Lasertechnologie befasst und der erste Prototyp eines Zappers funktionierte auch recht ordentlich. Er hatte kleinere Fehler ausgemerzt, nun baute er an weiteren, genug um die Invasion starten lassen zu können.
Außerdem brauchte er mehr Computer. Cara war mit einigen Technos in der Gegend unterwegs und suchte welche. Ram erwartete sie erst in einigen Tagen zurück. Diese Computer mussten dann noch auf den Stand der anderen gebracht werden, auch das brauchte Zeit. Und als Nächstes brauchten sie auch Benzin. Ram würde nie eine Invasion zu Fuß starten, nein, er hatte Transporter auserkoren. Alte Armeetransporter, die er mit dem Technologo hatte versehen lassen. Bald, bald würde die Invasion starten und dann würde er die Rache kriegen, die er sich seit seiner Schulzeit ersehnt hatte. Er würde sich ausnahmslos an allen rächen, die ihm damals weh getan hatten, sowie er ihnen dann wehtun würde.

"Lord Ram?" Lord Ram, eine weitere seiner "Erfindungen", die ihm den Respekt der anderen brachte. So ein Titel unterstreichte seine absolute Machtstellung.
"Was machst du denn schon wieder hier, Cara? Ich hatte dich in den nächsten zwei Tagen noch nicht wieder erwartet. Hast du alles?" Cara nickte und schnipste mit dem Finger. Die Technos hinter ihr stellten die Kisten auf den Fußboden der Kommandozentrale und verschlossen die Tür, nachdem sie gegangen waren.
"Alles problemlos gelaufen Ram", sagte sie. Sie war die einzige, die es sich erlauben durfte ihn ohne "Lord" anzureden, aber auch nur, wenn niemand dabei war.
"Gut, sehr gut." Ram grinste. Er hatte es gelernt. Hatte jede Menge Gründe bekommen sich zu freuen. "Java wird langsam aufdringlich. Kann ich es riskieren, sie zu degradieren?" "Nein, allein schaffe ich das nicht, Ram. Du wirst sie wohl oder übel da lassen müssen, wo sie ist. Was hat sie denn schon wieder verbrochen?"
"Sie will Techno-Queen werden. Weiß der Himmel, wann sie sich diese Idee in den Kopf gesetzt hat, ich kann sie ihr einfach nicht austreiben." Cara grinste. "Techno-Queen. Nicht schlecht." "Cara, lass dir mal bitte die Haare schneiden, das sieht etwas ungepflegt aus, wenn ich das mal so sagen darf." Er betrachte ihre schulterlangen rötlich schimmernden Haare, die seiner Ansicht nach dringend eines Friseurs bedurft hätten.
"Jawohl, Lord Ram", sagte sie augenzwinkernd und machte für Java Platz, die gerade in den Raum getreten war.
"Zeit für deinen Vitamindrink, Lord Ram." Sie hielt ihm einen Becher hin. Er kontrollierte, ob er auch ordentlich poliert war, doch es war alles sauber.
"Danke Java, du kannst gehen. Und schick mir Mega her." Sie warf ihm noch kurz einen Blick zu, setzte schon zum Reden an, überlegte es sich aber doch anders und nickte nur.

"Virtual Reality ist fast fertig, Lord Ram", sagte Mega, als er den Raum betrat und die Tür hinter sich zuzog. Ram seufzte resigniert.
"Warum nur fast? Ich will es ganz fertig, verstanden?", fuhr er ihn an. "Du kriegst noch zwei Tage Zeit und dann will ich es fertig sehen!"
"Aber Lord Ram...", wandte Mega ein.
"Kein aber. Zwei Tage", flüsterte Ram eindringlich, dennoch verstand Mega ihn klar und teutlich Dann gab Ram ihm einen Wink, dass er gehen könne.
Stümper, alles nur Stümper! Wenn alle so gewissenhaft gearbeitet hätten, wie Ram es von ihnen verlangte, dann wäre Virtual Reality schon vor zwei Wochen fertig gewesen. Vielleicht sollte er sie rausschmeißen, dann konnten sie sehen, wo sie blieben. Nur leider konnte er sich das nicht leisten, er brauchte Leute mit viel computertechnischem Verständnis, um jemals fertig zu werden. Er seufzte. Als Anführer hatte man es nicht leicht, im Gegenteil, er hatte es nur schwerer als alle anderen. Er musste dafür sorgen, dass alle ihre Arbeiten erledigten. Sicher er hatte seine Commander und Generals, doch auch die mussten ständig beobachtet werden. Wer versicherte ihm denn, dasss nicht doch einer spionierte?
Nein, Ram musste vorsichtig sein. Erfahrungen lehrten ihn, lieber einmal zu skeptisch als zu leichtgläubig zu sein. Er erinnerte sich an Siva, Javas Schwester. Sie war hübsch und war ihm irgendwie ans Herz gewachsen. Ja, er konnte mit guter Gewissheit sagen, dass er sie sehr gemocht hatte. Mehr als Cara und Java zusammen, wenn er ehrlich zu sich selbst war. Er war irgendwie verweichlicht, fand er, denn er hatte sich von ihr umgarnen lassen. Sie hatte seine Verliebtheit ausgenutzt, um ihn zu hintergehen. Sie hatte Essen und Medikamente aus dem Vorratslager gestohlen, er hatte grade seine Überwachungskameras installieren lassen, von denen bis dahin niemand gewusst hatte. Er hatte es selbst gesehen, wie sie ihn betrogen hatte. Er hatte sie rausgeschmissen. Er hatte sie töten lassen wollen, doch Jay und Cara hatten auf ihn eingeredet, sie gehen zu lassen. Wären die beiden nicht gewesen, wäre Siva Geschichte

Kapitel 5:

Er flog über die Berge und ein Hauch von Freiheit und Unbeschwertheit empfing ihn. Es war herrlich. Unter ihm glitzerte ein kleiner Bergsee und neben ihm ertönte der Schrei eines Adlers. Freiheit und unendliche Weiten.
"Lord Ram?", fragte eine Stimme, die nicht in seine Welt passte.
"Was ist?", fragte er verärgert darüber, dass man ihn gestört hatte, und nahm seinen Helm ab. "Die Transporter sind fertig, Lord Ram. Jeder Techno hat seinen Zapper und das Headset erhalten. Wir können den Befehl zum Aufbruch geben", erstattete Jay Bericht. Schon ein wenig gnädiger über die Nachricht gestimmt, legte Ram den Helm neben sich und ließ VirtualReality für den Moment in den Hintergrund treten.
"Was ist mit der Versorgung der Truppen? Haben wir genug Energieriegel?"
"Wie haben genug, um drei Monate damit auskommen zu können, falls es nicht nach Plan läuft", erwiderte Jay.
"Es wird alles klargehen, dafür wirst du sorgen Jay", stellte Ram klar. "ihr brecht in 10 Minuten auf. Java, ich, und die Eliteeinheit werden in einer Woche eintreffen. Solange stehst du unter Caras Commando, hast du verstanden Jay. Ihr tut alles, was sie anordnet, denn sie handelt nach meinem Befehl."
"Jawohl, Lord Ram."
"Achja, keine unkontrollierten Ausflüge von Ved. Nicht, dass ich ihm nicht traue, nur er ist manchmal etwas ... übereifrig. Macht keine überflüssigen Zugeständnisse für die Virts. Behandelt sie als das, was sie sind, als Virts. Gib den Befehl!"
"Jawohl, Lord Ram", wiederholte Jay automatisch seine Worte. Ram missbilligte seinen Tonfall, er klang gleichgültig, aber er war sich sicher, dass Jay seinen Anordnungen Folge leisten würde.

Wenige Minuten später sah er den Transportern nach, wie sie den sicheren Innenhof des HQ's verließen. Er würde auf Jays Meldung warten, die ihn in wenigen Stunden aus seiner Heimatstadt erreichen würde.
Jay war noch nie außer zum Einkaufen in der Stadt gewesen, kannte sich also so gut wie überhaupt nicht aus. Cara hingegen war dort aufgewachsen, genau wie er selbst. Sie kannte die Straßen des Zentrums wie ihre Westentasche, sagte sie immer, und Ram glaubte ihr vorbehaltlos, was das anging.
Sie hatten gemeinsam die von vor dem Virus vorhandenen Computeratlanten aktualisiert, um den besten Standort einzelner Stationen des Technokontrollwerks festzulegen und damit die Invasion zu planen. Er musste sagen, dass sie ihm eine große Hilfe gewesen war, nun musste er erst einmal allein klarkommen und sich Java vom Hals halten, die ihn immer noch wegen ihrer Technoqueen-Idee nervte. Er verstand sie einfach nicht. Was wollte sie denn eigentlich noch? Sie gehörte zu dem Kreis seiner engsten Mitarbeiter und hatte den verantwortungsvollen Job der Kampfausbildung der Neulinge. Ihr Einzelzimmer war purer Luxus verglichen zu der Kaserne, in der die meisten der Technos wohnten. Warum war Java nur so anspruchsvoll und machtgierig? Vielleicht hätte er sie doch wegschicken sollen, aber er konnte hier nicht auf sie verzichten, denn sie musste weiterhin mit der Eliteunit den Nahkampf üben. Doch auch wenn sie nun die Zapper besaßen, mussten sie doch für den Notfall fit sein.
Ungeduldig sah er auf die digitale Uhr an der Seite seines Rollstuhls, die Transporter waren seit knapp einer Stunde unterwegs und würden in zwei weiteren ankommen.
Wenn alles klappte, so wie er sich das vorstellte, würde man schon morgen mit dem Aufräumen und der Sterilisierung des Stadiums beginnen, welches er sich als Hauptquartier auserkoren hatte.
Er war in seinen privatem Raum angekommen und setzte sich erneut das Headset auf. Nun war er wieder frei in seiner Welt, konnte laufen wie jeder andere auch.

"Invasion erfolgreich gestartet", meldete Jay sich durch das Headset.
"Was ist mit den Virts?"
"Haben wir planmäßig eingeschüchtert. Die ersten Wagen sind unterwegs zum Lager."
"Gut, sehr gut", lobte Ram ausnahmsweise. "Was ist mit dem Stadium?"
"Wir haben den ansässigen Tribe vertrieben und das Gelände mit Elektrozäunen abgesichert. Die Kameras sind auch vorschriftsmäßig installiert. Ved überwacht die Monitore", sagte Jay, als wenn er einen auswendig gelernten Text aufsagen würde. "Melde mich morgen um die gleiche Zeit." Damit unterbrach Jay die Verbindung.
Ram rollte aus der Zentrale und fuhr in den Trainingsraum, wo seine Elite trainierte. Für diesen Raum hatte er extra eine Lüftung einbauen lassen, damit es nicht nach Schweiß stank.
Er blieb am Rand stehen und sah zu. Seine Elite war die am härtesten ausgebildete Einheit von seinen Truppen. Sie waren seine persönlichen Beschützer und nur ihm unterstellt. Nur er selbst durfte ihnen Befehle erteilen, kein anderer, auch nicht seine Commander und Generals.
Machtsicherung war einfach alles.
Er freute ich schon, dass es bald losgehen würde, dass er seine Rache bekommen würde. Blieb nur zu hoffen, dass vor allem Bray und auch Ned noch am Leben und in der Stadt waren. Wenn die beiden nicht da waren, würde ihm irgendwie was fehlen, dann wäre sein Triumph nur noch ein halber.
Ram fragte sich, was eigentlich mit Ruby geschehen war, nicht dass sie ihn groß kümmerte, aber sie war die Einzige, die je freundlich zu ihm gewesen war, ohne im Gegenzug etwas dafür zu verlangen. Sicher, seine Technos verlangten so gesehen auch nichts von ihm, nur, dass er sie anführte und sie ihre Stellung behielten, wenn nicht sogar noch rangmäßig aufstiegen. Sein Gedankengang endete, als Java auf der Matte landete und schwer atmend liegenblieb. Ihre Kampfgegnerin stand daneben und beobachtete sie.
"Sehr gut", lobte Ram zum zweiten Mal für diesen Tag. Er befand, dass das lieber nicht zur Gewohnheit werden sollte. Die angeredete Techno drehte sich um und er musterte sie. Sie war ihm bisher noch gar nicht aufgefallen. Auffällig unauffällig.
Ihr Aussehen verriet eindeutig eine asiatische Herkunft. Ihre Haare hatte sie ebenfalls als Braids, genau wie Java. Während deren Braids schwarz, weiß und lila waren, so hatte dieses Mädchen sie nur in schwarz und blau.
"Wie heißt du?", fragte er fordernd.
"Mein Name ist Tai-San", antwortete ihm das Mädchen selbstbewusst.

Er war aufgedreht, so wie schon lange nicht mehr. In 10 Minuten ging es zurück, zurück in die Stadt, wo seine Wurzeln lagen. Dort, wo er Zuhause war.
Die beiden Transporter standen bereit und das Stadium war bezugsfertig, er konnte kommen. Jay hatte von einigen Unruhen in den Straßen berichtet. Er befürchtete einen Aufstand. Ram schätzte, dass Jay maßlos übertrieb. Das waren schließlich nur Virts, die unorganisierteste Lebensform, die er sich vorstellen konnte.
Vielleicht machte es seinem General Spaß, Panik zu verbreiten, egal, zur Not hatte er immer noch seine Elite, die momantan geschäftig im Hof umhereilte und die letzten Vorbereitungen für die Abreise traf.
Er sah Java auf sich zukommen, was nur eines bedeuten konnte: Es ging los! Er folgte ihr auf den Startplatz und die Wagen setzten sich in Bewegung.
Während der Fahrt schweiften seine Gedanken zurück in die Vergangenheit. Ruby. Ned. Bray. Vielleiocht würde er einen von den dreien wiedersehen, vielleicht auch nicht. Was immer ihn auch erwarten würde, er würde es bald erfahren.
Die Landschaft flog an ihnen vorbei und je weiter die Fahrt voranschritt, desto vertrauter wurde ide Gegend. Am Horizont zeichneten sich erste Umrisse der Wolkenkratzer ab, die größer und immer deutlicher wurden. Die Wagenkolonne überquerte kurz darauf die Stadtgrenze. Willkommen zurück.

Kapitel 6: Es war seine und sie gehörte nur ihm ganz allein. Seine Stadt. Phase zwei war problemlos abgelaufen. Die Virts hatten keine Schwierigkeiten bisher gemacht, wie denn auch, es waren ja nur Virts, die nie etwas zustande brachten, wenn er nicht dafür sorgte.
Mit VirtualReality hatten sie auch einen Volltreffer gelandet, die Virts fuhren voll drauf ab. Er brauchte es nur noch einige Tage umsonst laufen lassen, dann würden sie so abhängig sein, dass sie alles tun würden, um wieder spielen zu können.
Ram hatte auch die Aufgabengebiete neu verteilt, hier in der Stadt erwies sich sein altes System als unzuverlässig, womit er eigentlich gar nicht gerechnet hatte. Woher hätte er auch wissen sollen, dass er jemanden für die Öffentlichkeitsarbeit benötigen würde, für die Koorperation mit den Virts?! Nein, so war das eigentlich nicht geplant gewesen, aber was sollte es. Er musste sich damit abfinden, genauso wie Java, die diese Aufgabe mehr oder weniger freiwillig übernommen hatte. Sie war das Gesicht der Technos. Ram hatte die Virts zwar wissen lassen, dass Java nicht das Oberhaupt des Tribes war, aber wie er aussah, das wussten sie nicht. Er wollte es sie noch nicht wissen lassen. Sie würden es schon erfahren, das ja, aber noch nicht jetzt. Sicher hätte er nun gern deren Gesichter gesehen, die ihn früher verspottet hatten, die nun wissen würden, dass er die Macht über sie hatte. Aber dieses Vergnügen wollte er sich noch nicht bereiten, erst die Arbeit, dann das Vergnügen.
Mega und Ved hatte er im Kontrollraum eingeteilt - Computer programmieren und Monitore überwachen. Und Cara, nun ja, sie war mit einer der Einheiten auf den Straßen innerhalb und außerhalb der Stadt unterwegs um für Ordnung zu sorgen, was die Techno-betreffenden Dinge anging. Um Streitigkeiten zwischen den Tribes brauchte sie sich nicht zu kümmern, das war deren Sache.
< Und Jay, nun ja, den hatte Ram mit einer Schule abgespeist, ihm drei unwichtige Leute zur Verfügung gestellt und dann sollte er doch damit glücklich werden. Denn Jay war einer der wenigen, die Ram wirklich etwas anhaben konnten, er kannte sich zu gut im Techno-Netzwerk aus. Er kannte die Schwachstellen, und so hatte Ram für sich entschieden, Jay seinen Willen zu geben und ihn dafür auf seiner Seite zu haben. Jay würde ihm keine Schwierigkeiten machen, dazu war er im Moment viel zu beschäftigt.

"Ich habe alle Informationen, die du haben wolltest, Ram", sagte Cara, nachdem sie in Rams Privatraum eingetreten war. "Dieser Ned lebt nicht mehr, der fanatische ehemalige Anführer der Chosen hat ihn umgebracht, komplizierte Sache."
"Was ist mit dem Anführer wo ist er?", fragte Ram zerknirscht, jemand hatte es gewagt ihm Ned wegzunehmen und somit konnte er nicht den Teil seiner Vergangenheit so abschließen, wie er es gern gewollt hätte.
"Er ist unser Gefangener. Lager 5, Haus 3, Registriernummer 0226. Sein Name ist..."
"Der Name interessiert mich nicht! Was ist mit den anderen?", fuhr er sie an.
"Bray ist schon in unserer Gewalt, er ist ebenfalls in Lager 5 und Haus 3, Registriernummer 0087. Ruby ist noch in der Stadt. Sie gehört einem Stamm in Sektor 10 an."
"Sonst noch was?"
"Nein, das war alles." Ram nickte. Bray war im Lager 5, das war die Gefangenenkolonne, die im Bergwerk arbeitete und Kohle für das Kraftwerk heranschaffte, dessen er hatte Instandsetzung er veranlasst hatte. Er würde Bray elendig dahinsiechen lassen, weniger Essen und härtere Arbeit. Vielleicht würde dieser dann wissen, was für Qualen er ihm, Ram, damals bereitet hatte. Dasselbe sollte diesen anderen Typen als Strafe erwarten, weil er Ned getötet hatte. Ram gab eine kurze Anweisung über sein Headset und hatte nun über das Leben beider in der näheren Zukunft geurteilt. Er grinste selbstzufrieden, diese Tat hatte seinem Ego gut getan.

"SIE IST WAS?!", fragte Ram entsetzt, eigentlich schrie er es hinaus.
"Tot", antwortete Java kleinlaut, die ihm gegenüber nun eingeschüchtert wirkte, wie er mit Genugtuung feststellte, dennoch ließ das seine Wut nicht verrauchen.
"Und warum hat sie keiner gewarnt? Ich denke ihr habt soviele Kameras verteilt, oder etwa nicht?", seine Stimme zitterte.
"Haben wir auch, doch sie kamen unauffällig aus allen Richtungen und sind dann zum den klippen, wo nur wenige Kameras sind."
Ram fehlten die Worte, das konnte und durfte einfach nicht wahr sein.
"Gib mir die Kopie!", forderte er. Sicherheitshalberließ er immer von allen Kameras eine Sicherheitskopie dessen machen, was sie aufnahmen. Das verschwendete zwar ziemlich viel Material, war aber gut zur Virtkontrolle und in solchen Fällen, wie jetzt.
Er nahm die CD-Rom an sich und gab ihr einen deutlichen Wink, dass sie den Raum verlassen möge. Irgendwie sah ihr Gesicht da erleichtert auch, fand er, doch das kümmerte ihn im Moment nicht weiter. Er schob die CD-Rom in sein Laufwerk. Nein, die Szenerie war viel zu wirklich und die Bewegungen der Menschen viel zu real, als dass sie computeranimiert sein konnten. Es war eine Weitansicht, viel zu entfernt, um einzelne Gesichter sehen zu können. Er sah nur, wie viele Menschen einen Kreis um seine Einheit zog. Es waren viele, zu viele als dass die fünf Leute sie alle mit ihren Zappern hätten erledigen können. Sicher sie schossen sehr viel und die Trefferquote war hoch, dennoch zog sich der Kreis immer enger, bis Cara, Mega und die drei anderen eingekesselt waren. Sie wurden die Arme auf den Rücken gehalten gefangen genommen und man werkelte an ihren Handgelenken rum. Ram vermutete, dass sie ihnen die Zapper abnahmen. Und dann ging alles sehr schnell. Mit einer einzigen Bewegung riss sich einer los und lief direkt auf die Klippen zu. Cara.
Warum hatte sie nur diese Richtung gewählt, sie hätte auch in die Stadt laufen können, aber sie hatte ausgerechnet den Strand und die Klippen gewählt. Er sah, wie sie lief und ihre rotbraunen Haare im Wind flatterten, wie die anderen immer noch festgehalten wurden, jetzt von zwei Leuten, die anderen liefen Cara hinterher, immer auf die Klippen zu.
Sie lie verteilten sich zu einem Halbkreis, damit sie ihnen nicht nochmal entwischen konnte. Sie waren schneller als Cara, obwohl diese schon sehr gut trainiert war. Der Halbkreis schloss sich immer enger, es gab keinen Ausweg mehr für sie. Sie hatte ihre Wahl getroffen - und sprang die Klippen hinunter, dem Tod entgegen und ihren Tribe immer noch treu ergeben. Sie nahm lieber den Tod in Kauf, anstatt sich gefangen nehmen zu lassen, eben eine wahre Techno.
Resigniert schaltete Ram seinen Computer aus und starrte die CD an. Warum hatte er sich das eigentlich auch noch angeguckt und sich nicht einfach auf Javas Aussage verlassen. Er hätte sich das nicht angucken brauchen und doch hatte er es tun müssen, um sich selbst zu vergewissern, dass es wahr war ... dass Cara tot war. Die anderen 4 Leute waren von den Aufständischen gefangen worden. Sie hatten sie in den Wald verschleppt, ihr momentanes Schicksal war noch ungewiss. Wer immer hierfür verantwortlich war, er würde hart bestraft werden, dafür würde Ram schon sorgen.

Er fragte sich, was ihre letzten Gedanken vor dem Tod gewesen sein mochten? Hatte sie Angst gehabt? War es eine Erleichterung? Stumm betrachtete er das kleine Grab, dessen Geruch nach feuchter Erde in seine Nase stieg. Sie hatten ihren Körper heute Morgen gefunden, aufgeschürft und vom Wasser aufgequollen mit dieser typischen Wachsschicht*, dennoch unverkennbar Cara. Jay hatte sie gefunden, er behauptete, die Virts würden ihm nichts tun. Selbst wenn sie es getan hätten, dann hätte Ram wenigstens ein Problem weniger. Aber Jay hatte sie gefunden und Ram war ihm dankbar dafür, auch wenn er es ihm nie so sagen würde.
< Fast alle Technos bis auf wenige Ausnahmen durchkämmte jeden Tag die Wälder, bisher hatten sie die vier Vermissten noch nicht ausfindig gemacht, doch Ram wollte die Suche nicht abbrechen. Er konnte weder auf einen seiner Mitarbeiter verzichten noch wollte er die anderen ungeschoren davonkommen lassen. Er würde sie finden und wenn es ewig dauern sollte.

*)Wachsschicht-> Wasserleichen bekommen nach einer bestimmten Zeit im Wasser so ne Art Wachshaut

Doch seine Suche hatte bald Erfolg. Java berichtete von einem Tribe, der auf Bäumen lebte. Back to the roots - das Erbe der Affen!, dachte Ram spöttisch. Elende Virts, die so primitiv hausten, hatten seinen einen Commander gefangen und die andere auf dem Gewissen. Java berichtete, dass sie das Lager observierten und heute Nacht zuschlagen würden. Dann brach sie die Verbindung ab.

Der Tag der Abrechnung war gekommen. Ram hatte eine öffentlich Exekution angeordnet, bei der er sich dem Volk zeigen würde, sich und seine Macht. Vorgestern war die Gefangene eingetroffen, die Anführerin des Aufstandes. Die anderen hatte Ram versklaven lassen, aber an ihr wollte er ein Exempel statuieren. Sie würde verbrennen wie die Hexen im Mittelalter, auf einem Scheiterhaufen. Sicher es gab andere Möglichkeiten und er hätte sie auch mit Sicherheit nutzen können, doch nein, Verbrennen war gut, sehr gut und schmerzhaft. Er persönlich würde das Feuer anzünden. Und es würde dem Rest der Virts hoffentlich eine Lehre sein. Er hatte sie noch nicht gesehen, wollte sie nicht sehen. Erst dann, wenn sie zum Holzhaufen geführt wurde, dann würde er sie sehen, die Angst in ihren Augen, vielleicht würde sie auch um ihr Leben betteln, sich erniedrigen. Aber er kannte kein Erbarmen, nicht für jemanden, der sein Regime aus den Fugen reißen wollte und seinen Commander umgebracht hatte.
Die Hinrichtung fand auf dem Marktplatz der Virts statt und war mit Zäunen heute Morgen gesichert worden. Auf den Dächern der Häuser würden jeweils zwei Wachen patrouillieren und alles im Auge behalten, falls irgendetwas schief gehen sollte.
Und nun war es an der Zeit, er fuhr los. Neben ihm stand Java und hielt die Fackel, die sie dann feierlich an ihn übergeben würde, sobald er das Zeichen gab. Am Ende des roten Teppichs, der eher für ihn als Herrscher als für die Virt gedacht war, erschienen zwei Gestalten, die in der Mitte eine dritte hielten. Hinter den Zäunen hörte er Virts schreien und rufen, er beobachtete sie, wie sie sich aufgebracht gegen den Maschendraht drückten, das würde nichts nützen, der Zaun war zu stabil. Dann sah er wieder zur Gefangenen, die nur noch wenige Meter von ihm entfernt war. Sie hatte sich zwar seit dem Virus verändert, doch trotzdem erkannte er sie auf Anhieb- Ruby.

-Ende-