Vagheit als epistemisches Problem aufgefasst, heißt, Vagheit in der epistemischen Situation zu sehen und dass Vagheit eine Form von Unwissenheit ist. Nicht das Prädikat ist ohne Grenze, sondern vage Prädikate ziehen genau so scharfe Grenzen wie exakte, nur wir können diese Grenzen nicht erkennen.
In irgendeinem Moment ist ein Kind kein Kind mehr, und ein Haufen von Körnern ist ab irgendeinem bestimmten Korn kein Haufen mehr - nur welcher Moment dies ist und welches Korn - das können wir nicht erkennen.
"Die meisten Arbeiten zum Thema Vagheit gehen davon aus, dass es sich nicht um Unwissenheit handeln kann, weil es vermeintlich überhaupt nichts gibt, das gewusst werden könnte. Ich bin ganz einfach ein Grenzfall von "dünn" und die Aussage "TW ist dünn" ist weder wahr noch falsch. Ich glaube nicht, dass diese Position kohärent ist, und ich bestreite, dass die Standardeinwände gegen die gegenteilige These - die Aussage "TW ist dünn" ist entweder wahr oder falsch, aber ihre Wahrheit oder Falschheit ist unwissbar - überzeugend sind." (S.93)
Williamson stellt sich also gegen die These, dass es sich nicht um Unwissenheit handeln kann, da nichts gewusst werden kann und etwas einfach ein Grenzfall sei. Und seine Gegenthese lautet: " "TW ist dünn" sei entweder wahr oder falsch".
Im Folgenden ist der Aufsatz in sieben Artikel eingeteilt, in denen zuerst auf Tarski rekurriert, das Bivalenzprinzip und die Frage nach der Referenz eingegangen wird. In den folgenden Abschnitten diskutiert Williamson Einwände und Argumente bezüglich der epistemischen Theorie von Vagheit.
Es sei der Ausdruck "dünn" zu vage, als dass man eindeutig sagen kann, jemand sei dünn und jemand sei nicht dünn. Die Behauptung TW ist dünn sei weder wahr noch falsch, führt zu einem Widerspruch.
Dies kann verallgemeinert werden mit der logischen Sprache L.
L sei eine Sprache, die die bekannten logischen Zeichen besitzt.
Negation
Disjunktion
Konjunktion
ein Bikonditional
Sprache L kann zu einer Metasprache erweitert werden, indem die Wahrheitsprädikat "W" für Aussagen in L sowie Anführungszeichen hinzugefügt werden
TW ist dünn - weder wahr noch falsch
- ([W(´p`) v W(´-p´)]
umformuliert lautet diese Aussage wie folgt:
(2a) W(´p`) = p
(2b) W(-p) = -p
(3) -[pv-p]
das De Morgan´sche Gesetz:
(4) -P/\ - - p
Und dies ist eine Kontradiktion.
Festzuhalten ist, dass das Bivalenzprinzip mit Hilfe Tarskis disquotationalem Wahrheitsschema und mit dem Gesetz des ausgeschlossenen Dritten gleichgesetzt wird und dann behauptet wird, dass es inkohärent ist, das Bivalenzprinzip zu bestreiten, weil es inkohärent ist, das Gesetz des ausgeschlossenen Dritten zu bestreiten.
Hierbei wird die Argumentation insofern eingeschränkt, dass man das Bivalenzprinzip nur nicht bestreiten kann, nicht, dass man es behaupten muss. Hierbei wird nochmals eingeschränkt - es ist durchaus ein Unterschied, ob man das Bivalenzprinzip bestreitet, was nicht bestritten werden kann, oder ob man eine konkreten Aussage bestreitet. Außerdem wiederholt er seine Frage, ob man mit Vagheit Bivalenz an sich bestreiten kann.
Vage Aussagen, hält Williamson fest, sind angeblich offensichtlich nicht bivalent.
Williamsons Argumentation stützt sich auf Tarski und fährt fort mit der Frage nach der Referenz.
Es wird ein Beispiel für fehlgeschlagene Referenz gegeben. Wie muss eine Aussage aussehen, wenn "dieser Dolch" keinen Referenten hat und was geschieht dann mit der Aussage: "Dieser Dolch ist scharf" - sie wäre weder wahr noch falsch.
Ein weiteres Beispiel - dieser Dolch ist scharf, genau dann, wenn er scharf ist und ein Dolch ist nicht scharf, genau dann, wenn er nicht scharf ist. Hier bleibt weiter die Frage nach dem Referenten offen, während die Aussage TW ist dünn, wenn TW dünn ist und nicht dünn, wenn TW nicht dünn ist.
Während das Beispiel oben ein Fall von fehlgeschlagener Referenz ist, ist das zweite Beispiel eines für Vagheit.
Man kann nun bestreiten, dass Aussagen mit einem referenzlosen Ausdruck bivalent sind, ohne sich in Widersprüche zu verwickeln, da diese Aussagen nicht verwendet werden. Bei vagen Aussagen ist dies so nicht möglich. Was aber, wenn wir uns weigern, vage Ausdrücke in Grenzfällen zu verwenden. Vagheit wird dann so behandelt, als wäre sie eine Form fehlgeschlagener Referenz. Adjektive, so Williamson, referieren, wenn sie referieren nur auf scharf abgegrenzte Eigenschaften. Ein vages Adjektiv wäre demnach referenzlos. Da jedoch jeder Satz vage Begriffe enthält, degradiert diese Position - so Williamson unsere Äußerungen zu bloßen Geräuschen.
Dadurch dürfte man so nichts mehr sagen.
Williamson hält zusammenfassend fest, dass Bivalenz vager Aussagen nicht bestritten werden kann.
(2)
Im zweiten Kapitel umkreist Williamson das Thema nochmals, indem er nach Eindeutigkeit fragt. Wenn man wahr oder falsch durch eindeutig wahr und eindeutig falsch ersetzt,so bekommt man ein Begriffspaar außerhalb des disquotationalen Wahrheitsschemas. Das Bivalenzprinzip jedoch sagt, dass eine Aussage entweder wahr oder falsch ist - eindeutige Wahrheiten werden nicht differenziert.
Williamson hält außerdem fest, dass "eindeutig wahr" nicht derselbe Ausduck ist wie "wahr". Vage Aussagen sind manchmal weder wissbar wahr noch wissbar falsch. Dies sieht Williamson als einzige Möglichkeit, dass sowohl das Bivalenzprinzip gültig ist, als auch die klassische Logik gültig ist.
In den restlichen Kapitel wolle er die epistemische Theorie von Vagheit gegen weitere Einwände verteidigen.
(3)
Was für Gegenargumente finden sich gegen eine epistemische Theorie?
Eine epistemische Theorie von Vagheit wird manchmal dadurch ausgeschlossen, indem gesagt wird, dass ein Ausdruck nur dann vage ist, wenn er Grenzfälle hat und etwas ist nur dann ein Grenzfall, wenn unsere Unfähigkeit ihn einzuordnen eben nicht auf Unwissenheit beruht.
"...ein Ausdruck sei nur dann vage, wenn er Grenzfälle haben kann, wobei etwas nur dann ein Grenzfall ist, wenn unsere Unfähigkeit ihn einzuordnen gerade nicht auf Unwissenheit beruht." (S.99)
Dies ist nach Williamson keine Definition sondern eine petitio principii - ein Beweis, der das zu beweisende schon vorwegnimmt.
Ein weiterer Gedanke von Williamson ist, dass vage Tatsachen auf exakte Tatsachen supervenieren.
"Wenn x in einer Situation s exakt dieselben physikalischen Maße hat wie y in einer Situation t, dann ist x in s genau dann dünn, wenn y in t dünn ist."
Selbst jedoch, wenn es mir gelingt, meine exakten Maße herauszufinden, weiß ich immer noch nicht, ob ich nun dünn bin. So ist die Kategorie einer genauen Messung eine andere als die Kategorie einer Entscheidung, ob man dünn sei. Wobei Williamson dies etwas anders formuliert - auf der einen Seite stehen die exakten Maße und wenn man diesen entspricht, trifft es zu, das man dünn ist - andererseits widerspricht dies, dass eine genaue Messung dies entscheiden kann.
"Die physikalischen Maße m zu haben, heißt also, notwendigerweise entweder dünn zu sein oder nicht dünn zu sein. Wenn es mir gelingt (was durchaus möglich ist), meine eyakten physikalischen Maße herauszufinden, scheine ich also in der Lage zu sein abzuleiten, dass ich dünn bin oder dass ich nicht dünn bin. Das widerspricht jedoch der Annahme, dass keine noch so genaue Messung mich in die Lage versetzen kann zu entscheiden, ob ich dünn oder nicht dünn bin." (S.99)
In der obigen Behauptung geht es um metaphysische Möglichkeit und Notwendigkeit. Wenn ich dünn bin, dann ist es metaphysisch notwendig, dass jeder mit denselben Maßen auch dünn ist - und das stimmt eben nicht. Diese Behauptung setzt voraus, dass metaphysisch notwendige Supervenienzaussagen auch apriori gewusst werden können. Von metphysischer Notwendigkeit auf Wissbarkeit apriori zu schleßen schließt Williamson aus. Williamson beruft sich hierbei auf Kripke - Outline of a theory Truth. Williamson betont weiter, dass nichteinmal metaphysische Notwendigkeiten wissbar sind, da sonst alle mathematischen Wahrheiten wissbar wären.
Es wird hier das Beispiel der Tapferkeit und des Gehirnzustandes gegeben.
Tapferkeit superveniert auf einen Gehirnzustand. Es sei s ein maximal spezifischer, physikalisch beschriebener Gehirnzustand des tapferen John. Dann ist es metaphysisch notwendig, dass jeder, der sich in s befindet, tapfer ist. Dies ist jedoch nicht apriori wissbar - möglicherweise aposteriori, wenn man die Person beobachtet, wenn sie tapfer ist - bei dem Beispiel dünn oder nicht dünn bietet sich dies nicht so an.
(4)
Im nächsten Abschnitt geht es um den Gebrauch von Sprache.
Gegen die epistemische Theorie von Vagheit wird eingewendet, dass sie einen notwendigen Zusammenhang von Gebrauch und Bedeutung eines Ausdrucks verletzt.
"Gegen die epistemische Theorie von Vagheit wird eingewendet, dass sie einen notwendigen Zusammenhang zwischen der Bedeutung und dem Gebrauch eines Ausdrucks verletzt, wonach Ausdrücke bedeuten, was sie bedeuten, weil wir sie so gebrauchen, wie wir sie gebrauchen." Dieser Zusammenhang zwischen Bedeutung und Gebrauch entspricht ungefähr dem Verständnis der philosophischen Diskussion um den späten Wittgenstein. Und Williamson weiter -
Eindeutige Tatsachen zu postulieren heißt hier anzunehmen, dass die Bedeutungen unserer Ausdrücke Grenzen ziehen, die unser Gebrauch nicht zieht -
Williamson gibt das Beispiel von H2O und XYZ - zu dem einen sagt man Wasser, zu dem anderen nicht.
"Wenn die Natur selbst keine Grenze zieht, dann gibt es nur dann eine Grenze, wenn wir sie durch unseren Gebrauch eines Ausdrucks ziehen, und deshalb gibt es im Fall von vagen Aussagen keine Grenze, denn unser Gebrauch zieht nur einen Grenzbereich und keine Grenze." (S.101)
Formalisiert heißt dies wieder:
Wenn ein Ausdruck e in einer Situation s auf dieselbe Weise gebraucht wird wie ein Ausdruck f in einer Situation t, dann hat e in s dieselbe Bedeutung wie f in t.
Ich finde Williamson hier nicht so gut. Zum einen hält er fest, dass der Gebrauch einer Aussage viele Grenzen festlegt - so einfach ist das Thema nicht. Eine Gesellschaft hat durchaus ein Schema, innerhalb dessen ein Gebrauch praktiziert wird. Der gewöhnliche Sprecher des Deutschen fährt Williamson weiter fort, bräuchte mehr Messungen und Statistiken für eine adäquate Exaktheit - ein epistemisch idealer Sprecher wäre eine unfehlbare Autorität.
Desweiteren wird ein Mechanismus des richtigen oder falschen Erkennens von "dünn" gesprochen - eine Sprachtheorie wie oben jedoch nimmt den üblichen Gebrauch als den richtigen Gebrauch, auch wenn es paradox erscheint.
Selbst wenn dieser übliche Gebrauch dieser Mechanismus sei, so wird doch ein Wiedererkennungsmechanismus bei "dünn" mit zusätzlichen Informationen vielleicht nicht sofort, jedoch nach einiger Zeit in dem Sinne reagieren.
Der Schlusssatz zum vierten Kapitel, dass die Bedeutung eines Ausdruckes auf eine unüberblickbare chaotische Art und Weie auf seinen Gbrauch superveniert macht es kaum besser.
Möglicherweise könnten einige Aufsätze zum Thema Regelfolgen und Wittgenstein dieser Aussage weiterhelfen.
Kapitel 5:
Zur epistemischen Theorie formuliert Williamson weiteres wie folgt:
Man kann nicht zwingend implizieren, dass das was wir meinen über das hinausgeht, was wir tun, jedoch dass eine epistemische Theorie über das, was wir meinen über das hinausgeht, was wir wissen.
Das Problem sei, wo im physikalischen Raum festzumachen sei, was groß ist, das eigentliche Problem sei jedoch, und das ist noch stärker auf Vagheit bezogen, wo im begrifflichen Raum sich "groß" befindet.
Einen vagen Ausdruck versteht niemand vollständig und die epistemische Theorie von Vagheit schreibt der Sprachgemeinschaft ein unvollständiges Wissen einer vollständigen Bedeutung zu. Williamson hinterfragt kritisch mit Frege, ob es nicht sinnvoller wäre, ein vollständiges Wissen einer unvollständigen Bedeutung zuzuschreiben.
Frege wird wie folgt charakterisiert - eine Bedeutung zu erfassen heißt zu wissen, wo ihre Grenze im Raum oder im begrifflichen Raum verläuft.
Einen Ausdruck vollständig zu verstehen heißt, dass eine umfassende und angemessene Sprachpraxis existiert. Zu wissen, was ein Wort bedeutet heißt vollständig in eine Sprachgemeinschaft integriert zu sein. Einen Ausdruck vage zu verstehen heißt nicht, nur ein partielles Verständnis zu haben.
Desweiteren wird gefragt, wenn Bedeutung auf Gebrauch superveniert, ob dann Bedeutung nicht auch auf Wissen supervenieren kann - warum jedoch werden hier gute Erkenntnisse fast sinnlos hinterfragt. Wissen rekurriert wiederum auf Sprache und Sprache bekommt Bedeutung durch den Gebrauch.
Williamson macht dann den Sprung zu folgendem Satz:
Zwei Aussagen mit denselben Verifikations- und Falsifikationsbedingungen haben dieselben Wahrheitsbedingungen.
Kapitel 6:
Wie verhält sich eine Entscheidung ob jemand dünn oder nicht dünn ist, wenn er oder sie von seinem Ideolekt geprägt ist und je nach Stimmungslage anders entscheidet? Oder wenn sich die Disposition Katzengold Gold zu nennen verändert?
Formalisierter sieht dies so aus:
Wenn sich x und y in ihren physikalischen Maßen um weniger als k unterscheiden und wir wissen, dass x dünn ist, dann ist y auch dünn.
Vages Wissen würde einen Fehlerspielraum benötigen. Hierbei ließe sich jedoch eine Sorites-Paradoxie formulieren. Wie steht es dann mit unserem Bivalenzprinzip - dies, so Williamson sei mit dieser Formalisierung verträglich. Eine vage Aussage sei nur dann wahr, wenn sie in ähnlichen Fällen auch wahr sei.
Letztlich sei der Vorteil der epistemischen Theorie von Vagheit, dass die klassische Logik und Semantik beibehalten werde, während alle anderen Ansätze diese revidierten.
Literatur: Sven Walter, Vagheit, Paderborn 2005
copyright Bettina Müller Dezember 2007 zurück
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