Gemeinwesenarbeit

Theorieansätze und Praxiskonzepte

W. Hinte und F. Karas unterscheiden fünf klassische Praxiskonzepte und entwickeln ein eigenständiges Konzept: Die sogenannte „Stadtteilbezogene Soziale Arbeit“ (SSA).

Wohlfahrtsstaatliche Gemeinwesenarbeit

1972 wird mit dem Bericht von der britischen Studiengruppe „The Calouste Gulbenkian“ (CGF) ein Ansatz zur Verbesserung des Dienstleistungsangebots
der im Wohnviertel tätigen Institutionen und Behörden entwickelt. Das heißt:
Schaffung von Angeboten wie Hausaufgabenhilfe oder Freizeitmaßnahmen. Die Entscheidungskompetenz für Angebote liegt bei den Institutionen.

 

Integrative Gemeinwesenarbeit

1971 wird mit dem Ansatz von M. G. Ross das Ziel verfolgt, dass alle Bürger und Gruppen sich mehr als bisher mit ihrem Gemeinwesen identifizieren. Ferner entwickelt sich ein verstärktes Interesse und eine intensivere Teilhabe an den Problemen des Gemeinwesens. Gemeinsame Wertvorstellungen machen es möglich, integrativ Probleme zu lösen.

 

Aggressive Gemeinwesenarbeit

1972 entwickeln P. Aich, O. Bujard, C. W. Müller, P. Nimmermann einen Ansatz mit dem Ziel, Veränderungen von Kräfteverhältnissen und Machtstrukturen innerhalb eines Wohnquartiers durch solidarischen Zusammenschluss von Minderheiten herbeizuführen.

 

Gemeinwesenarbeits-Strategien nach S. D. Alinsky

Demokratie an der Basis wird erst dann entwickelt, wenn die benachteiligte Bevölkerung sich selbst organisiert. Bei Alinky ist der Gemeinwesenarbeiter ein sogenannter Praxisberater, der konsequent auf der Seite der Benachteiligten ist. Sein oberster Grundsatz lautet: Dort beginnen, wo die Leute stehen.

 

Katalytisch-aktivierende Gemeinwesenarbeit

R. und H. Hauser 1971 sowie in Anlehnung an A. Seipel 1976 und W. Hinte/F. Karras 1978:

Der Gemeinwesenarbeiter ist der Katalysator und sollte die Prozesse durch soziales Lernen bei Stadtteilbewohnern anregen. Zentraler Gedanke aktivierender Gemeinwesenarbeit ist die Gruppenselbsthilfe. Neben der Bildung vieler Initiativgruppen sollte bei diesem Ansatz in jedem Gemeinwesen eine zentrale Anlaufstelle (Bürgerladen) bestehen. Ferner sitzt dieser Ansatz sich für eine stärkere politische Partizipationsmöglichkeit der Bürger ein. Strategisch plädiert das Konzept für „Koalitionen auf Zeit“ auf der Grundlage kleinster gemeinsamer Nenner. Alle Gruppen des Gemeinwesens arbeiten auf der Wertebasis der Menschenrechte zusammen. Verbreitet ist dieser Ansatz bei zeitlich befristeten Projekten.

 

Stadtteilbezogene Arbeit nach W. Hinte und F. Karras (1998)

Grundlegende Prinzipien

Orientierung an der Wohnbevölkerung:

Die Bewohner eines Wohnquartiers werden direkt befragt, statt Spekulationen darüber anzustellen, was sinnvoll für sein Leben sein könnte.

 

Nutzung der Ressourcen des Stadtteils:

Die Ressourcen des Stadtteils werden in möglichst hohem Maße genutzt und im Interesse der Bewohner mit den schon im Stadtteil vorhandenen kommunalen Dienstleistungen verknüpft. So wird z.B. eine Hausaufgabe nicht von auswärtigen Honorarkräften, sondern von den Bürgern des Stadtteils geleistet.

 

Unterstützung von Selbsthilfekräften und Eigeninitiativen:

Bei allen Aktivitäten sollen immer die Aktivierung und die Mobilisierung der Selbsthilfekräfte sowie die Eigeninitiative der Bewohner im Vordergrund stehen.

Gruppierungen sollen angeregt und nie bevormundet oder geleitet werden.

 

Zielgruppenübergreifendes Arbeiten:

Es wird nach Kristallisationspunkten für Aktivitäten gesucht, an denen sich möglichst viele Bewohner beteiligen können. Dabei sind zielgruppenspezifische Aktivitäten nicht ausgeschlossen, finden im Kontext vielfältiger anderer Aktionen statt und erhalten so einen anderen Stellenwert und eine höhere Qualität.

 

Kooperation und Vernetzung der Arbeit:

Wesentlicher und zentraler Bestandteil der Arbeit sollte die Organisation der Kooperation unter den Trägern sozialer Dienste und anderer Organisationen (Vereine, Kirchengemeinde usw.) im Stadtteil sein, sowie die Verknüpfung der Aktivitäten von anderen kommunalen Dienststellen, wie auch Planungen im politischen Raum. Dies kann im Kontext von Bürgerinitiativen, zahlreichen Kontakten zu anderen Institutionen und politischen Entscheidungsinstanzen ablaufen.