4. Flirten ist der Ausdruck einer fundamentale Fähigkeit

4.1 Alle höheren Lebewesen flirten

Unser Bestreben ist immer danach ausgerichtet, einen wünschenswerten Zustand zu erreichen.

Kurz: Her mit dem Glück und weg mit dem Elend! Dazu sind Beziehungen zu anderen Menschen notwendig. Ein Säugling könnte ohne diese gar nicht leben. Ein Paradies ist nichts wert, indem man alleine oder mit den falschen Leuten lebt.

Flirten ist ein universelles , von allen höheren Lebewesen praktiziertes Verhalten, um herauszufinden, bei welchen Wünschen und Bedürfnissen sie sich entgegenkommen können oder zumindest willkommen sind - und bei welchen nicht.

Der Flirt als „Spiel mit Möglichkeiten“ erlaubt den Mitspielern, etwas über die eigenen und die Möglichkeiten des anderen herauszufinden, ohne, daß der „Ernstfall“ dazu nötig ist. Dadurch werden sowohl die angeborenen Möglichkeiten des Verhaltens miteinander überprüft, aber auch die, die in einer bestimmten Zeit jeweils nützlich oder erwünscht sind. Man ist sich sowohl der eigenen als auch der möglichen Verhaltensweisen des Gegenübers bewußt. Flirten wird hier als eine Art „als ob Verhalten“ gedeutet. Man probiert aus, tut so als ob man bereits innerhalb der einen oder anderen Beziehungsart wäre. So erlernt man spielerisch seine Möglichkeiten und Grenzen in zahllosen Situationen. Wichtig beim Flirten immer, daß sowohl Nähe als auch Distanz angeboten wird, und der andere nicht genau weiß, wo die Grenze ist, diese somit spielerisch gesucht werden und keiner wissen kann, wer wann wo stop sagt. Zum einen offenbaren die Beteiligten ihre Bedürfnisse und Ziele bzw. ihre Angebote. Im Wesentlichen geht es aber darum, Wünsche, Sehnsüchte, Hoffnungen und Visionen sowie Wege zur Realisierung erst einmal zu entwickeln.

Es gibt Hinweise darauf, daß es sich um eine fundamentale Fähigkeit handelt: Fällt diese Fähigkeit aus und kann ein Mensch nicht flirten gerät er in eine beträchtliche Isolation. Menschen, die an der schweren Erkrankung „Autismus“ leiden, haben z.B. extreme Schwierigkeiten, in eine „mitschwingende“ Beziehung zu einem anderen Menschen zu kommen. Sie können sich nicht vorstellen, wie sich ein anderer Mensch fühlt, was er denkt, daß ich denke daß er denkt..... Sie fühlen sich eigentümlich isoliert und fremd, und erleben die anderen eher als Plage und Bedrängnis. Ein großer Teile der ersten Verhaltensweisen eines Menschen einem Säugling gegenüber besteht aus Flirtversuchen des Erwachsenen mit dem Säugling - der ihm noch fremd und unbekannt ist. Auf Außenstehende wirkt das dann oft kindisch und lächerlich, wie generell Spiele und Rituale, an denen man selber gerade nicht beteiligt ist. Für die Beteiligten ist das sehr lustvoll und jedesmal ist die Freude groß, wenn ein Versuch gelingt, und das Kind z.B. lächelt oder in irgendeiner Art mitspielt. Dieses Verhalten wird dem Kind jedoch nicht „beigebracht“, sondern der Erwachsene appelliert an oder reagiert auf diese Fähigkeit des Kindes und ist ziemlich verstört und ratlos, wenn es nicht mitspielt. Kleinkinder können bereits erkennen, ob ihr Gegenüber dabei etwas vorspielt oder echt ist, also sein Erleben und sein Verhalten übereinstimmen.

Besonders junge Tiere, Hunde vor allem, lösen bei Menschen so viel Sympathie aus, weil sie so offenkundig und direkt flirten und selten beleidigt reagieren und praktisch n ie nachtragend sind (Schwanzwedeln, Interesse bekunden, provozieren zum Spiel...)

4.2 Die Art der Beziehungswünsche bestimmt das Flirten

Wird der Flirt nur als Anbahnung einer Liebesbeziehung“ verstanden, wird die allgemeine Funktion des Flirts als Weg der Beziehungsklärung und Gestaltung leicht vernachlässigt, und der Sonderfall zum Ausschließlichen erklärt. Etliche denken daher, Flirten „darf“ nur innerhalb dieses Bereiches auftreten, bzw., wenn es auftritt, findet es innerhalb dieses Bereiches statt.

Es lassen sich jedoch zumindest drei sehr verschiedene Schwerpunkte in den Beziehungen zu Menschen unterscheiden. Folglich kann der Flirt auch auf sehr verschiedene Beziehungen hinauslaufen.

4.2.1 Der Wunsch nach Nähe, Freundschaft, Zugehörigkeit, Bindung.

Dieser Wunsch entspricht der Zugehörigkeit des Kindes zu den Eltern.

Durch den Flirt kann das Ausmaß an gegenseitigem Interesse erkannt werden.. Das sind z.B.: Wunsch nach Nähe, Zärtlichkeit, Zugehörigkeit, Vertrautheit, Kooperation, Hilfsbereitschaft und Hilfe. Entsprechend kann durch den Flirt auch Abneigungen, Widerwille, Desinteresse, Fremdheit, Gleichgültigkeit, Trennungswunsch erkennbar werden. Kurz: das Bedürfnis nach Abstand und vom anderen verschont sein, bzw. die eigene Autonomie zu entwickeln. Jesus wies selbst seine Mutter zurück: „Weib was habe ich mit Dir zu schaffen,“ um seiner Berufung nachzugehen.

In der Bindung gibt man immer etwas von seiner Autonomie auf, in der Autonomie etwas von der Geborgenheit und Bindung. Schon sehr kleine Kinder haben ein starkes Bedürfnis nach Bindung und Geborgenheit auf der einen Seite und Freiheit und Ungebundenheit auf der anderen. Beides zugleich ist in ein und derselben Situation nicht zu verwirklichen. Nur ein Hintereinander ist möglich. Mit der Freiheit wird jedoch auch das Risiko der Einsamkeit und Verlassenheit eingegangen, mit der Bindung das Risiko der Abhängigkeit und Beschränkung. Die beteiligten Gefühle können außerordentlich stark sein und an Leidenschaftlichkeit den sexuellen Wünschen in nichts nachstehen. Die Auseinandersetzung zwischen Kindern und Eltern oder innerhalb eines Liebespaares kann oft als Versuch gesehen werden, Freiheit und Geborgenheit zu jedem Zeitpunkt unter Umgehung von Abhängigkeit und Einsamkeit zu haben.Wem gelingt es?

Beim Flirten wird versucht, diesen Risiken dadurch aus dem Wege zu gehen und sich zugleich der Chancen zu versichern, indem solange mit Möglichkeiten gespielt wird, bis man sicher ist, den nächsten Schritt auch wirklich vollziehen zu wollen. Das erfordert allerdings immer ein Risiko, denn der Übergang von der Möglichkeit zur Wirklichkeit ist ein qualitativer Sprung.

Flirten innerhalb dieser Beziehungswünsche verhindert somit zu schnelles Wegbleiben, aber auch zu schnelles Drauflosgehen. Man bleibt mit dem Leben in Kontakt, ohne sich gleich in ihm zu verlieren. Man gibt, ohne sich zu verausgaben und man nimmt, ohne auszubeuten.

Es ist auch ersichtlich, daß Flirten hier außerhalb einer erotischen Begegnung stattfinden kann. Bindungen können mit allen möglichen Menschen stattfinden. Jemanden eine Absage erteilen kann genauso aufregend sein, wie jemand seine Zuneigung gestehen. Eifersucht, Trennungsangst, Schüchternheit, Sehnsucht und Hoffnung können hier nicht weniger intensiv auftreten als in den folgenden Beziehungstypen. Das Flirtverhalten hier unterscheidet sich von einem sexuell motivierten Flirt ausschließlich durch Fehlen dieser sexuellen Komponente. Das ist eine der Ursachen vieler Mißverständnissen zwischen Menschen.

Diese Beziehungsziele können nicht kämpferisch, sondern nur auf dem Wege der Hingabe, der Öffnung, des Risikos, des Gebens, sich Anbietens usw. realisiert werden.

Wer hier Defizite hat, ist oft nicht attraktiv für erotische Beziehungen und wird auch im Wettbewerb nicht gerne gesehen. Er mag dann vielleicht ein guter Kämpfer sein, ist aber z.B. kalt oder nicht fair, zu ehrgeizig usw. . Wer sich umgekehrt auf diesen Bereich beschränkt, wirkt leicht kindlich und wird im Wettbewerb nicht ernst genommen.

Beliebte Flirthaltungen sind: Ich biete jemanden Freundschaft, Nähe, Hilfe, Geborgenheit usw. an, d.h. ich trete als Gebender auf. Ich lade z.B. einen mir sympathischen Menschen ein, mit auf eine Skihütte zu fahren oder einfach nur sein Herz auszuschütten. Der Kontakt kann umgekehrt verlaufen: jemand bittet einen anderen um Hilfe, Freundschaft oder Aufmerksamkeit (Ich sei, gewährt mir die bitte, in euerem Bunde der Dritte).

Manchmal treten sich beide als Gebende gegenüber: . Z.B. zwei Frauen beschließen bereits nach einem ersten Abend gemeinsam in den Urlaub zu fahren, da sie beide gerne klettern.

Ebenso gibt es den Fall, daß sich zwei arme Seelen treffen und feststellen, daß geteiltes Leid

halbes Leid ist. (Ein jeder trage des anderen Last). Viele studentische Freundschaften entstehen in den ersten Semestern, wo ein starker Bedarf nach Zugehörigkeit vorhanden ist. Die später kommenden haben dann oft das Gefühl, nur noch auf geschlossene Kliquen zu stossen.

Es wird deutlich, daß jemand mit Flirtlust nicht umhin kommt, seine eigenen Wünsche und Bedürfnisse genauso genau wahrzunehmen, wie die seines Gegenübers, damit es zu einem gelungenen Flirt kommt. Nichts ist natürlich schöner, als wenn dies automatisch und ohne Zutun geschieht. Wenn dies nicht der Fall ist, bleibt einem nichts anderes übrig - als es zu lernen. Ein Student aus einem sehr kleinen Dorf in Mali fühlte sich trotz verschiedener Einladungen in Deutschland völlig alleine und verlassen. Sowie er in sein Dorf heimkehrte „sahen“ vor allem die Frauen ihm an, was er brauchte und wie er aufgenommen werden konnte - und sie veranlaßten das Nötige. Hier war er dabei völlig auf sich angewiesen - und erlebte das als Zurückweisung. Er muß also hier von Grund auf lernen, wie er anderen seine Bedürfnisse oder seine Bedürftigkeit mitteilen kann, falls er nicht vereinsamen will.

4.2.2 Soziale Position, Rolle und Funktion in der sozialen Ordnung und Hierarchie.

Dieses Bedürfnis wird analog dem Wunsch des Kindes nach starken Eltern und einer sozialen Ordnung verstanden. Wer ist wie schön, wie klug, wie reich, wie beliebt, wie anerkannt?

Flirten kann einem Menschen dazu verhelfen seine persönliche Macht in Beziehung zu anderen Menschen kennenzulernen und zu entwickeln. Je nach Lage wird man dem anderen signalisieren, daß man stärker als er ist - oder des anderen Überlegenheit anerkennen.

Im erfolgreichen Falle ist man stolz, glücklich, fühlt sich anerkannt und orientiert in der sozialen Hierarchie, man weiß wohin man gehört. Der Verlust einer solchen Position ist mit Scham, Verzweiflung, Hilflosigkeit oder auch Wut, Haß und Eifersucht verbunden: Der Arbeitsplatz geht verloren, der Partner verläßt einen , eine Leistung wird nicht erbracht, man nimmt mal wieder zu, ein Flirt mißlingt, in den man große Hoffnungen gesetzt hatte.

Das Bedürfnis nach Macht und Stärke in Beziehungen beginnt wohl schon mit der Geburt, und drückt sich als Flirt sehr früh aus. Kleine Kinder können viel Zeit mit dem Spiel verbringen "Wer ist der Größte" - und sich köstlich amüsieren, wenn es gar nicht stimmt. Es gibt Hinweise, daß die Bereitschaft und Fähigkeit zu dominieren oder sich unterzuordnen eine genetische Komponente hat.

Erwähnt wurde bereits das Flirtspiel sehr kleine Kinder mit Hinsehen, Wegsehen, Lächeln, „sich genieren“, neugierig sein, die Neugier verstecken usw. Das Kind lernt damit seine Macht über den anderen, und die eigene Macht, sich der des anderen zu entziehen, kennen. Es ist wie ein Ballspiel, in dem man sein Gegenüber „abtrifft“ und sich dem anderen zwar aussetzt, aber versucht nicht getroffen zu werden. Mit drei Jahren bereits können Kinder schon so hinreißend kokett flirten und sich daran vergnügen, daß selbst griesgrämigste Leute ihnen ein Lächeln nicht versagen können.

Ein Kind hat in diesen Momenten weder das Bedürfnis zu einer sexuellen noch zu einer Liebes- oder freundschaftlichen Beziehung: Herzlos können sie sich umdrehen und den Flirtpartner sitzen lassen und vergessen, ohne daß ihnen etwas fehlt. Flirten in dieser Funktion hat daher möglicherweise etwas mit dem Erleben der eigenen Unabhängigkeit zu tun. Das Kind benötigt daher eine sichere Position, um so flirten zu können. Es wird das bevorzugt vom Arm der Eltern aus tun, oder im Wissen um die Rückendeckung der Eltern, hinter denen es sich notfalls verstecken kann. Die Couch im Wohnzimmer, unter die ihm niemand folgen kann, tut es auch schon.

Es gibt zahlreiche andere ritualisierte Kontexte, die für diese Art des Flirtens den sicheren Hintergrund bieten: Beim Karneval schaffen Verkleidung und Masken Distanz und Sicherheit, und jetzt kann man beliebig jemand anflirten oder sich anflirten lassen und wieder gehen. Schon lange im Vorfeld kann man sich drauf einstellen und mit den eigenen inneren Möglichkeiten spielen.. Bei gemeinsamen Tanzveranstaltungen ist es ähnlich. Es wird große körperliche Nähe unter dem Vorwand des Tanzens hergestellt, so daß beide überprüfen können, ob auch „mehr“ an Reaktionen möglich ist. Ähnlich zu sehen sind Arztspiele der Kinder, das Gerangel der Teenies um eine Mütze. Die Küche ist auf Feten immer beliebt, weil es dort in Form von Essen/Trinken, einen guten Vorwände für mehr Nähe gibt, die in der Enge der meisten Küchen schnell herzustellen ist. Wie langweilig ist es im großen Nebenzimmer, wo sich alle auf Angstdistanz halten und nichts ausprobieren, wie groß die Erleichterung, wenn der Raum sich füllt. Daher: Lieber kleine Räume als zu große, wenn Ihnen das Flirten wichtig ist. Für den Flirt ist es wichtig, die rituell gebotene Nähe und Distanz nicht zu mißbrauchen. Es wäre abwegig, in der Enge einer Straßenbahn zu versuchen, der 1O cm vor Ihnen stehenden Frau ihre erotischen Wünsche durch einen tiefen Blick aufs Auge zu drücken unter Ausnutzung eben dieser Enge. Manchen Menschen ist es wesentlich wichtiger, ihre Macht in diesem „als-ob Spiel“ zu spüren, als sich darum zu bemühen, sie wirklich auszunutzen.

Der provokative und aggressive Flirt können für dieses Machtspiel eingesetzt werden. In der aggressiven Beziehung schütze ich mich und den anderen vor Näheansprüchen. Gleichzeitig ist man in Kontakt und kann feststellen, ob auch andere Reaktionen möglich sind, und schnell kann das Klima dann kippen. Diese Art des Flirtens ist vor allem angesagt, wenn jemand Annäherungen grundsätzlich nicht verträgt oder gleich mit Rückzug reagiert.

Es kann für die Zufriedenheit in einer bestimmten Situation völlig ausreichen zu wissen, daß man wirkt und daß andere wirken. Nicht selten kann ein einziges Lächeln den ganzen Tag verschönern.

Es geht darum herauszufinden, ob man Macht über den anderen hat, oder der Macht eines Anderen ausgesetzt ist. Wer ist stärker, größer, reicher, klüger, gewitzter, erfolgreicher, schöner, attraktiver? Wer kann es sich leisten „nein“ zu sagen oder wer muß als erster „ja“ sagen? In der Regel kann der Stärkere seine Wünsche und Interessen besser durchsetzen. Die Macht des Stärkeren besteht jedoch nur dann, wenn der Andere sie anerkennt. Das wird er dann tun, wenn die Macht seines Gegenübers darin besteht, daß er Wünsche und Bedürfnisse erfüllen oder verweigern kann. .Wer extrem verliebt ist, fühlt sich schnell abhängig vom anderen und ohnmächtig dessen Launen ausgesetzt, - vor allem, wenn der Betreffende nicht verliebt ist. Die Ohnmacht kann so groß sein, daß ein Mensch lieber Gewalt in Kauf nimmt als auf seine Wünsche an den anderen zu verzichten. D.h., ohne die Wünsche des einen ist die Macht des anderen nicht denkbar und umgekehrt, beide sind aufeinander angewiesen. Man könnte auch sagen, daß sie zwei sehr unterschiedliche Machtmittel benutzen: Der eine bringt sein Begehren ein und die Anerkennung für den anderen, der andere befriedigt die Wünsche seines Partners.

Während in der Politik nicht mehr viele Menschen das „Führer befiehl, wir folgen“ anziehend finden, ist das in der Liebe anders, die Unterordnung wird aufgesucht und nötigt dem anderen Verantwortung auf. Für den Flirt heißt das, daß beide herausfinden können, ob sie diese Rollen haben wollen oder nicht. Sie sind für beide verlockend - und bedrohlich. Stimmen beide mit der Rollenverteilung überein, kann es zu einem guten Flirt und einer guten Beziehung kommen. Tun sie es nicht, wird der eine sich immer abhängig und ausgeliefert, der andere sich immer überfordert und um das eigene Begehren gebracht fühlen. Der Flirt erleichtert es herauszufinden, was man sich zutrauen kann. In der Regel bemühen sich Menschen eher um ausgeglichene Machtverhältnisse, um Angst vor dem Stärkeren oder Verachtung des Schwächeren zu vermeiden. Meistens wird im Gespräch herausgefunden, wo jeweils der andere steht und über welche „Mittel“ er verfügt. Menschen flirten oft ausschließlich mit dem Ziel, sich ihrer Flirtmacht zu vergewissern, also zur Hebung ihres Selbstwertgefühles: „Ich werde noch begehrt“. Tragisch ist es, wenn der „Verführte“ dann glaubt, dem entspräche nun auch ein Begehren seitens des Verführers. Diesem Irrtum unterliegen Männer oft, wenn sie sich um eine aufreizende Frau bemühen. Sie täten besser dran, für die Frau selber aufreizend zu wirken. Natürlich kann auch ihre Bewunderung für sie eine Verlockung sein, um derentwillen sie in eine Beziehung einwilligt. Das ist riskant, da das Begehren des einen von dem des anderen abhängt. Begehren sich zwei Menschen unabhängig davon, ist ihre Beziehung wesentlich stärker.

Auch das tollste Essen ist Dreck mit Soße, wenn Sie keinen Appetit haben, und der älteste Brotkanten ist eine Delikatesse, wenn Sie genügend Hunger haben. Und umgekehrt: Es nützt einem begehrten Menschen nicht, wenn ihm die Welt zu Füßen liegt - solange seine eigene Sehnsucht und sein Begehren - abwesend sind. D.h., letztlich haben Sie eine stärkere Machtposition, wenn Sie eine vielfältige leidenschaftliche Beziehung zur Welt haben - als wenn Sie umgekehrt diese Leidenschaft bei anderen auslösen, sie aber selber nicht haben.

Solange das Beziehungsziel Beider nur darin besteht herauszufinden, wieviel Flirtmacht sie haben, gibt es keine Probleme. Erst, wenn die Ziele anders sind: Der eine sucht seine Macht und der andere eine Liebesbeziehung, dann gibt es Tragödien.

DerBegehrende erlebt sich sogar im Gegenteil oft als machtlos, besonders, wenn seine Wünsche nicht erfüllt werden. Er fühlt sich dann den Qualen des Tantalus ausgesetzt. Das muß aber keineswegs der Fall sein. Die Qualen entstehen nicht durch das unerfüllte Begehren an sich, sondern durch die Erwartung, daß es in einer bestimmten Situation von einem bestimmten Menschen erfüllt werden soll. D.h., die Erwartungen bestimmen das Leid. Würde der Betreffende seine Sehnsucht als Ausdruck seiner Liebe zum Leben hinnehmen, ohne die Erwartung dran zu knüpfen, daß sie von dem bestimmten Menschen erfüllt wird - ist er frei für andere Chancen. Auch wenn eine junge Frau ihre Jugend und Schönheit und ein wesentlich älterer Mann seine Erfahrung und seinen Wohlstand in eine Beziehung bringen, wird dies erst dann ein Machtflirt, wenn die Hörigkeit des einen und die materielle Abhängigkeit des anderen die Mitte bilden. Bringen aber beide einen verschiedenen Schatz in die Beziehung, kann das einen gute Begegnung werden. D.h., Flirtmacht und Machtflirt können nicht von der äußeren Situation her abgeleitet werden, sondern nur von de Beziehungsgestaltung. Bleiben gegenseitige Achtung und Wertschätzung erhalten, und bringt jeder seine eigene Flirtmacht herein, gibt es einen guten Flirt. Ist dem nicht so, wird ein Machtflirt praktiziert

Unstreitig wird die Attraktivität einer Ware durch Verpackung und Präsentation oft stärker bestimmt , als durch ihre funktionalen Werte. Jeder ist daher geneigt, schmerzlich erlebte Mängel durch zweckmäßig verändertes lay out zu verändern. In den Frauenzeitschriften heißt das :„aus seinem Typ etwas machen“ oder „Problemzonen überdecken“. Entsprechend gibt es Tips und Tricks, was man wie und wem wo was sagt oder besser unterläßt, umso den vermuteten Ansprüchen und Wünschen des Gegenübers zu entsprechen - und auf diese Weise zur Erfüllung der eigenen Wünsche zu kommen. Es ist keineswegs klar, wer im Erfolgsfalle eigentlich die Macht hatte und wenn welche: Die einen sprechen von Konsumterror und entsprechend werden Frauen für ihre Wirkung auf die Männer verantwortlich gemacht. Es passiert immer noch, daß ein Vergewaltiger milde Urteile bekommt, weil er geltend machte, die Frau haben ihn „gereizt“und damit ihr Einverständnis signalisiert. Die anderen sprechen jedoch von Konsumrausch oder Sexismus und machen ausschließlich den Konsumenten oder den Mann z.B. verantwortlich. Ist der Mann ein dressiertes Wesen, wie E.Villar vermutet, oder hat er es mit seiner Macht geschafft, die Frauen dazu zu bringen sich seinen Wünschen gemäß zu verhalten und einen großen Teil ihres Lebens ihrer Schönheit und sexuellen Attraktivität zu widmen? Es handelt sich dabei keineswegs um müßige Fragen, allenfalls um schlecht gestellte. Diese Frageform unterstellt, daß es eine wahre und eine falsche Antwort gibt. Ein Man bemüht sich mit unendlicher Geduld, die Ängste und Empfindlichkeiten seiner Freundin zu berücksichtigen und stellt seine „eigenen Wünsche“ weitgehend zurück. So verzichtet er z.B. jahrelang vollständig auf die Erfüllung seiner sexuellen Wünsche. Dann trennt sich die Frau von ihm und geht mit einem anderen eine Partnerschaft ein, in der es zu sexuellen Begegnungen ohne Probleme kommt. Der Mann fühlt sich jetzt ausgenutzt und schlecht behandelt. Er nimm t sich für die nächste Beziehung vor „mehr seinen eigenen Wünschen" zu folgen und „nicht immer auf die der Partnerin einzugehen“. Es irrt sich offenkundig. Richtiger wäre: In einer neuen Beziehung wird er auf andere Weise versuchen, seine Wünsche durchzusetzen. Er wird nämlich auch solche Wünsche anmelden, die in Konflikt zu denen der Freundin stehen, statt wie bisher nur solche, die ihm eine äußerlich harmonische Beziehung - aber eine unerfüllte garantieren. Denn der Verzicht war keineswegs nur ein großzügiges Geschenk, sondern durchaus auch eine Strategie, für die er selber die Verantwortung übernehmen kann. Es zwingt ihn ja keiner, seine Wünsche zurückzustellen und so lange auszuharren.

Im Sinne der Flirtmachtsteigerung ist es wesentlich besser, selber die Verantwortung für eine Situation zu übernehmen. Es macht dann keinen Sinn, wehmütig und sehnsüchtig und begehrenswerten Frauen oder Männern nachzusehen und sich einer Erregung auszusetzen, ohne daß es zu einer Erfüllung kommen kann. Wer kennt nicht das hilflose und ausgelieferte Gefühl auf der einen Seite, und das Gefühl von Belästigung, wenn ein unerwünschter Mensch einem zu dicht auf den Pelz rückt.

Es gibt hier verschiedene schwierige Flirtsituation: Sie fühlen sich den Reizen eines Menschen hilflos ausgeliefert; Sie reagieren überhaupt nicht auf die Reize eines anderen; Sie lösen ihrerseits unwiderstehliche Anziehung auf jemanden aus.

Zum ersten Fall:

Als erstes müssen Sie sich auf ihre eigene Macht besinnen, d.h. sich unabhängig vom Anderen machen. Das geht in der Regel nur darüber, daß Sie sich einer Sache widmen, über die sie die Kontrolle haben und die sie ausfüllt oder ausfüllen könnte. Es hilft auf einem Fest z.B. bereits, wenn Sie sich um solche Kontakte bemühen, von denen sie deutlich merken, daß sie gut gehen. Dafür wenden Sie sich von ihrem „Wunschflirt“ ab, wenn Sie merken, daß Sie in eine abhängige Lage kommen und in Passivität geraten. Erst, wenn Sie sich wieder sicherer wissen, können Sie in diese Richtung wieder mehr wagen.

Es ist deutlich, daß es immer wieder um Erwartungshaltungen geht, denen ich mich ausliefere, und die mein Verhalten bremsen. Die Bremse ist unvermeidbar, denn ich kann nie wissen, ob mein Verhalten die gewünschten Wirkungen erzielt oder nicht. Das Flirten besteht darin, solche Pläne beiseite zu stellen und mit Wirkungen zu experimentieren - bei sich und dem anderen.

Selbstverständlich hat derjenige mehr Flirtmacht, der schöner, freier, offener, reicher, sicherer, bescheidener, leidenschaftlicher, respektvoller, intelligenter usw. ist als ein anderer, der dies alles nicht hat bzw. nicht ist. Aber man kann davon ausgehen, daß ins Flirten ja eher Menschen mit vergleichbarer Macht kommen, und die Situation für den mit den guten Karten nicht anders ist als für den mit den schlechten, denn beide werden gleichartige Spielpartner suchen und sich daran freuen können. D.h. nicht, daß der Unschöne sich mit einer Unschönen „begnügen“ muß, sondern daß er voraussichtlich an ihr mehr Freude hat, weil ihre Macht der seinen ausgeglichen gegenübersteht. Von außen ist nie ersichtlich, welche Größen dabei die jeweiligen in die Waagschale werfen. Nicht selten staunen die anderen, wer sich als Paar zusammenfindet und wer es schafft in eine schöne Flirtsituation oder eine Beziehung zu kommen.

Auch hier wird deutlich, daß der Flirt sich keineswegs auf erotische Begegnung beschränkt. Es kann sogar so sein, daß der Flirt zwar einen erotischen Inhalt hat, es in Wirklichkeit aber darum geht, wer der Stärkere oder Mächtigere ist.


Teens beim Spiel

Die Auseinandersetzungen um die eigene Position in der sozialen Rangordnung werden sehr häufig über Flirts ausgetragen.

Jetzt wird auch deutlicher, warum der Machtflirt so beliebt und weit verbreitet ist. Es geht keineswegs immer um die Liebe und Nähe, sondern auch oder auch manchen Menschen vorwiegend, um die Macht über eine andere Person. Der Machtflirt ist dann durchaus ein funktionierender Weg. Auch der Unterlegene hat gute Gründe, seine Freude daran zu haben. Menschen sehnen sich nicht nach Abhängigkeit, sondern nach einem starken

Anderen, vielleicht einer Elternfigur, die dann als Garant für die Sicherheit im Leben steht, wie etwa nach der Unterjochung unter die Römer die Pax Romana eine wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung zur Folge hatte.

Ist der Machtflirt jetzt etwas Gutes oder etwas Schlechtes? Das ist leider eine falsche

Fragestellung. Der Machtflirt kann, wie jede Macht mißbraucht werden. Das ist offenkundig der Fall, wenn ein Mann glaubt, das Recht auf eine Vergewaltigung zu haben, wenn eine Frau mit ihm geflirtet hat. Respektiert jedoch der Mächtigere den Schwächeren , kann es zu einer beidseitigen Bereicherung kommen: Die erfahrene potente Frau genießt ihr Wissen und Können, wenn Sie einen jungen Mann in die Liebe einführt. Dieser wiederum bekommt etwas geschenkt, das er sich nicht selber erarbeiten muß. In Griechenland zur Zeit Homers und anschließend galt der Flirt zwischen Knabe und Mann sowie die Liebe zwischen beiden

als wertvoller als die Heterosexuelle Liebe. In allen Kulturen wird jedoch die sexuelle Beziehung zwischen offenkundig Mächtigen und offenkundig Schwächeren ambivalent bewertet. Wenn ein sehr reicher alter Mann einer jungen Frau den Hof macht, oder ein Geistesriese wie Goethe die einfache Frau Vulpius zur Frau nimmt, wird das angesichts der Macht dieser Männer nicht immer sehr laut, aber letztlich doch abgelehnt. Die Liebe zwischen Erwachsenen und Minderjährigen wird in westlichen Ländern strafrechtlich verfolgt, insbesondere wenn der Erwachsene noch über weitere Machtpositionen gegenüber Schutzbefohlenen und Abhängigen verfügt, etwa als Polizist, Lehrer, Arzt, Therapeut, Heimleiter oder Vorgesetzter und nicht zuletzt als Eltern gegenüber den Kindern.

Der Flirt selber wird weniger sanktioniert, zumal er unauffälliger ist und weniger nachweisbar - es gibt eben nur Hin- und keine Beweise. Der Machtflirt wird weiterhin gesellschaftlich nicht sanktioniert, wenn er ohne eine sexuelle Komponente abläuft. Wenn Eltern ihre Kinder in eine emotionale Abhängigkeit, z.B. zur Stützung ihrer Person oder Ehe einbinden, wird das allenfalls von Psychotherapeuten und Ärzten beklagt - und natürlich den betroffenen Kindern, aber sie haben keine Lobby dafür.

Die Gegenüberstellung von Machtflirt und Flirtmacht unter 2.3.3 stellt also einseitig den Mißbrauch von Flirtmacht dar und diskreditiert damit das Machtspiel per se. Das ist so dumm, wie einen Hammer wegzuwerfen, weil er als Waffe benutzt werden könnte.

Es erfordert eine eigene Betrachtung, Machtbeziehungen als attraktive Lebensformen von

unattraktiven abzugrenzen. Nach dem Mißbrauch von Macht im Nationalsozialismus und umgekehrt, nach der Enttäuschung eines großen Teils der Deutschen über die Mächtigen und

ihre eigene Vertrauensseligkeit versprach die Demokratie als romantische Idee gleicher Menschen eine Alternative. Brecht beschreibt in seinem Lied „Solidarität“ diesen Gedanken:

Und weil der Mensch ein Mensch ist

Hat er Stiefel im Gesicht nicht gern

Hat nicht gern Knechte unter sich

und über sich keinen Herrn.

Mit der berechtigten Ablehnung des Machtmißbrauches wird das Kind mit dem Bade ausgeschüttet, und der Nutzen und das Verlockende an Machtbeziehungen geleugnet. Schon in kleinsten Kindergruppen bilden sich Rangreihen und Führer heraus, die neben dem Ruhm die Plage haben, und Anhänger, die neben der Entlastung die Abhängigkeit haben.

Diese Situation ist wunderschön in den beiden klassischen Jugendbüchern „Kampf der Tertia“ und „Die Rote Zora“ dargestellt.

Die Eltern genießen ihre Macht über ihre Kinder, diese den Schutzschild der Eltern. Der Unternehmer genießt seine Macht über seine Firma, seine Angestellten genießen, daß sie keine Verantwortung für den Laden haben. Der Pfarrer genießt die Macht über die Seelen seiner Gemeinde, diese, daß der Pfarrer den Glauben vertritt und die Zweifel beseitigt.

Bei uns ist es üblich, daß der Schüler oder Student seinen Eltern oder „verehrten Lehrern“

dankt. Im Zen-.Budhismus heißt es, daß der Lehrer sich beim Schüler bedankt, wenn dieser richtig gelernt hat - denn er hat ihn als Lehrer damit anerkannt. Das könnte für unsere Schulen eine Bereicherung darstellen.

In dem Maße, als Mächtige und Ohnmächtige ihrer gegenseitigen Abhängigkeit erkennen, können das Machtspiel - und der Machtflirt wunderschön werden. Es ist dabei gleichgültig, ob die dabei realisierten Beziehungswünsche lediglich mit Nähe und Bindung, mit Position in der Hierarchie, mit Sexualität oder mit Kampf und Auseinandersetzung oder einem Konglomerat zu haben.

Wenn es um die soziale Position ist der Flirt stark durch Kampf oder Fluchtverhalten geprägt:

Kritik, Forderungen stellen, Argumentieren, sich durchsetzen, Standpunkte beziehen, Interessen vertreten, Verantwortung übernehmen, sich auseinandersetzen und Streiten, Standhalten und nicht Aufgeben, zu seinem Zorn und Ärger stehen, Konflikte zugeben und aushalten: Das findet durchaus auch zwischen Eltern und Kindern, innerhalb von Liebesbeziehungen und zwischen Freunden statt. Deutlich ist hier, daß es sich dabei in der Regel um einen Machtflirt handelt. Und wenn man keinen Erfolg hat, oder der andere ist stärker, tendiert man zur Flucht, Resignation, Aufgabe, Verzichten, Vermeiden oder sich so geschickt verbergen, daß der andere keinen Angriff mehr starten kann.

Das erste Flirtspiel der Jungtiere besteht aus spielerischen Angriffen, Verteidigung und Flucht. Über sie werden langfristig die Machtverhältnisse geklärt und die „Hackordnung herausgearbeitet.

Bei vielen Begegnungen necken, provozieren, fordern Menschen sich ganz unabhängig davon, wie ihre Wünsche nach Nähe sind gegenseitig heraus. Nicht immer ist deutlich, daß da bei kokettiert wird, manche können so überzeugend flirten, daß der als ob Charakter gar nicht mehr ersichtlich ist. Dann wundern sich die anderen, wenn jemand keine Konsequenzen aus einer Kritik zieht und den zuvor fertig gemachten zum Abschied herzlich küßt. Für einen erfolgreichen Flirt kann das eine bessere Ausgangssituation sein als Schwärmerei und Komplimente, weil Distanz eingehalten wird und darüber jeder sein eigenes Begehren entwickeln kann. Unter Jugendlicher ist dieser Flirtyp der häufigste. Er schützt sie vor dem Schmerz der Zurückweisung. „Wenn du mich auch dann noch magst, wenn ich so eklig zu Dir bin, muß Du mich ziemlich mögen“.

D.h., innerhalb dieses Beziehungszieles spielt der Wettbewerb und der Kampf eine große Rolle. Es geht in der Regel nicht um Sieg oder Niederlage, sondern um die Position in einer Rangreihe, die jemand ausfüllen kann. Diese Rangreihen sind oft informell, werden aber auch nicht selten ausdisktuiert. Etwa wenn zwei Mannschaftsführer beim Fußball abwechselnd einen Mitspieler aus dem Pool wählen, werden sie sich ganz wesentlich nach der Spielstärke richten. Unser ganzes Schulsystem (Noten!) und Wirtschaftssystem (Marktwirtschaft) wird durch Wettbewerb und Kampf bestimmt. Wer in diesem Bereich kompetent ist, hat für den Bereich Liebesbeziehungen und Freundschaften wesentlich bessere Karten. Wer sich auf diesen Kampfbereich beschränkt, mag sehr viel Erfolg im wirtschaftlichen und politischen Leben haben, aber Freunde und die Liebe gehen an ihm vorbei. Für viele Menschen ist es unverständlich, daß sie über erfolgreiches Rivalisieren nicht Freundschaften und Liebebsbeziehungen e zugleich erreichen. Wenn dann der Chor beendet ist und alle gehen heim, gibt es über das gemeinsame Singen hinaus plötzlich keine weiteren Beziehungen. Sie ergeben sich nicht automatisch.

4.2.3 Erotische und sexuelle Begegnung

In diesem Falle dient das Flirten dem Interesse an einer Paarung. Ohne den sexuellen Trieb würde diese Art des Flirtens praktisch nicht auftreten. Es geht darum, gegenseitige Paarungsbereitschaft zu signalisieren und wahrzunehmen und zugleich feindselige Absichten zu dementieren.

Der durchschnittliche Liebesroman besteht immer aus der aufregenden Geschichte vor der Paarung und endet mit dieser, ist also sozusagen ein Flirt in epischer Breite.

Dieser Flirt muß aber nicht zur Paarung führen, er tut es sogar häufiger nicht, als daß er gelingt. Selbst bei vielen Tieren sind die Paarungsriten aufwendig und langwierig und insbesondere viele Männchen kommen nie zum Zuge.

In Bezug auf den Flirt heißt das auch, daß die Paarungszeit interessanter und spannender ist als die Paarzeit. Paare sind auf Paarteas meist reine Schlafmittel verglichen mit Parties, wo wenig Paare vorhanden sind. Das gibt bereits Hinweise darauf, wie Paare wieder Leben in die Bude bringen und die alte Liebe füreinander wecken könn(t)en.

Geflirtet wird auch dann, wenn Paarung rituell ausgeschlossen ist, dann sogar erst recht, wie Degenhard in seinem Vers „Wenn die Bratendüfte wehen , Jungfraun den Kaplan umstehen, der so nette Witzchen macht und wenn es dann so harmlos lacht“. Es geht dann deshalb umso besser, weil „offiziell“ ja nichts passieren darf und wird, man sich also seinen Gefühlen sicher überlassen kann. Im Prinzip.

Der Ausdruck „Paarung“ wird hier bewußt verwendet, um den triebhaften Charakter des Geschehens , den wir mit den Tieren gemeinsam haben, hervorzuheben. Unsere geistige Existenz enthebt uns dieser Tatsache keineswegs und entehrt uns auch nicht. Für den „triebnahen“ Charakter des Flirtens sprich, das die meisten Menschen es sofort einstellen, bzw. die Einstellung vom Partner verlangen, sowie sie sich als Paar verstehen. In den meisten Gesellschaften spielt die sexuelle Exklusivität eines Paares eine große Rolle. Beginnt ein Partner daher zu flirten, wird das leicht als Ausdruck einer Störung der Beziehung und als Bedrohung erlebt und Eifersucht entsteht blitzschnell. Die Angst vor dem Flirten hängt mit dieser Möglichkeit zusammen. Wehret den Anfängen! Wer seines Nächsten Frau gar nicht erst begehrt, kann die Ehe auch nicht brechen. Das ist natürlich weitgehend richtig. Das heißt aber noch keineswegs, daß damit von der Ehe die Gefahr abgewendet ist. Eine Beziehung gerät viel stärker und öfter in Gefahr, wenn die Partner das Flirten einstellen, als wenn sie es fördern.

Das erhellt aus folgender Überlegung: Wenn ein Paar sich seinen Reaktionen anderen Menschen gegenüber öffnet und sie zuläßt, werden diese Beziehungen auch lebendiger und reicher. Wenn die Liebesbeziehung gleichwohl bleibt, ist sie umso sicherer. Wenn sie davon in Gefahr gerät, heißt das auch, daß mangels Alternativen etwas aufrechterhalten wurde. ´(Was ich nicht weiß...)Wer lieber dumm sterben möchte, kann sich entscheiden, aber seine Ruhe ist nicht garantiert. Wieviele bürgerliche Ehen sind üble Konstruktionen, nur durch die gegenseitige Beschränkung der Partner aufrechterhalten durch Angst vor Trennung?.

D.h., der Flirt als Spiel mit Eventualitäten zeigt, daß auch eine Beziehung keine garantierte und sichere Sache ist. Den anderen im Flirten beschränken heißt, die eigene Angst dadurch zu kontrollieren, daß man sein Gegenüber einschränkt. Besser wäre es für die Beziehung das nicht zu tun, und sich lieber auf seine Entscheidung und Liebe zum Partner zu verlassen, bzw. seine Entscheidungen auch zu revidieren, wenn man merkt, daß man falsch entschieden hat.

Wer seine erotischen Momente vernachlässigt und nicht pflegt, wirkt darüber lebloser und weniger attraktiv. Er hat durchaus mehr Schwierigkeiten, in den anderen Beziehungsbereichen zu werben. Und umgekehrt, wer sich seiner erotischen Gefühle sicher ist und damit leben kann, hat bessere Karten in den Bereichen Macht und Freundschaft. Wer sich hingegen ausschließlich auf diesen Bereich beschränkt, wird wenig Freunde haben und keine Zeit für andere Dinge. Er ist dann ein Don Juan, Casanova oder eine Nymphomanin., also ein sehr einseitiger Mensch.

4.2.4 Unklare Wünsche.

Es gibtviele sehr klare und eindeutige Beziehungswünsche. Es besteht auch keine Notwendigkeit, diese über einen Flirt zu beginnen, der direkte Weg kann der bessere sein. So kann man jemanden bitten, in einer Arbeitsgruppe mitzumachen, eine Reise mit einem selbst zu unternehmen oder in eine Liebesbeziehung zu treten.

Selbstverständlich kann eine solche Begegnung auch über einen Flirt begonnen werden.

Sehr häufig ist der folgende Fall: Man beginnt eine eindeutige Beziehung z.B. über eine Nachbarschaft, eine gemeinsame Arbeit, oder eine Verliebtheit. Und während dieser Begegnungen entstehen Phantasien - Flirts - über weitere Begegnungsmöglichkeiten. So kann eine Arbeitsbeziehung zu einer erotischen Begegnungen oder diese um eine Arbeitsbeziehung ausgeweitet werden.

Es macht gerade den Reiz des Flirtens aus, als Spiel mit den Möglichkeiten, sich offen zu halten, zu spüren und zu erkennen, welche Wünsche noch berührt werden - beim anderen wie bei mir. Für viele Menschen ist ein Flirt oft nur dann möglich., wenn eine andere „klare“ Beziehung bereis besteht.

Das kann Flirt erleichternd sein, muß es aber nicht. Klare Beziehungen setzen auch Grenzen, die dann oft auch dann nicht mehr überschritten werden, wenn ein Flirt möglich ist. So flirten sehr gute Bekannte in einem Verein oder einer Nachbarschaft oft nur scheinbar miteinander. Sie wissen sehr genau, daß sie ihren Beziehungsrahmen nicht verändern werden. Dann wird eher ein Spiel mit den Unmöglichkeiten betrieben. Das kann dann witzig sein, hat aber in der Regel nicht die Dynamik und Leben digkeit eines echten Flirts, der eben ein Spiel mit den Möglichkeiten ist. „Mit wem würde ich gerne auf einer einsamen Insel ausgesetzt werden?“

Wenn Sie dabei jemanden ansehen, mit dem Sie das sowieso nie tun würden, fühlen Sie - und der andere - sich wesentlich anders, als wenn Sie der Möglichkeit wirklich eine Chance geben.

Sowenig aber ein Flirt als Spiel mit den Möglichkeiten zu einer sexuellen oder Liebesbeziehung führen muß, sowenig muß ein Machtflirt zu einem Sieg oder Freundschaftsflirt zu einer Freundschaft führen.

Deshalb ist der Flirt auch ein Selbstzweck, eine Umgangsweise miteinander, die eben dieser Unklarheit Rechnung trägt und zugleich ein Weg ist herauszufinden, welche der Möglichkeiten wahrscheinlicher ist. als eine andere. Geht es eher um Rivalität, um Sex, um Liebe oder alle zusammen? Das Flirten entspricht dann den phantasievollen Rollenspielen der Kinder, in denen alle Beziehungstypen mit großer Wonne gespielt werden, während sie sehr zurückhaltend sind, wenn es ernst wird. Und dieses Spiel ist zugleich ein Kennenlernen der bereits vorhandenen Möglichkeiten als auch ein Weiterentwickeln von Ansätzen und Möglichkeiten. Kurz und drastisch drückt es der sarkastische Spruch aus: „Aus Spaß wurde Ernst, und Ernst kann jetzt schon laufen“

 

Erwachsene spezialisieren sich häufig:

-Die einen befassen sich mehr mit Beziehungen, Freundschaften bzw. halten sich möglichst ferne davon. (Literatur Göethe, Asketen)

-Die anderen orientieren sich an erotischen und leidenschftlichen Zielen - oder halten sich ferne davon. (Casanova, Don Juan - Der Mann ohne Eigenschaften)

-Schließlich gibt es jene, die nur ihrem Beruf nachhängen (I.Kant)- oder sie verzichten völlig drauf (Aus dem Leben eines Taugenichts).

-Anderen ist nichts wichtiger als ihre Religion und politische Überzeugung, denen sie alles andere nachordnen ("Mutter Therese in Kalkutta"))- andere sind völlig unbeleckt in diesem Punkt und sehen in ihrer Briefmarkensammlung den Mittelpunkt der Welt-.

-Schließlich gibt es diejenigen, denen vor allem ihr eigenes Seelenheil am Herzen liegt, sei es religiös gesehen oder psychologisch. (Comic Mann um Laterne).

Es gibt komische, tragische und tragisch-komische Paarungen, wenn sich solche Spezialisten untereinander oder über Kreuz treffen und weder den Verstand noch den Humor besitzen, dieser Tatsache Rechnung zu tragen. Die Paartherapeuten leben davon.

Wirkliche Begegnungen und Flirts sind also selten „eindeutig“. Das führt auch dazu, daß

die Angst vor den negativen Folgen einer Begegnung oft diffus und komplex ist. Die betreffenden erleben sie auch selten als Angst oder Furcht, sondern viel eher als Scham.

Das Flirtspiel der Kinder wird auch als „Schamspiel“ bezeichnet.. Das wechselnd vergnügt und „gschamig“ hinter der Mutter verschwindende Kind wird scherzhaft als „Chemiker“

bezeichnet. Kinder können den konstruktiven Aspekt er Scham noch frei ausleben - sie meiden die Situation nicht nachhaltig, sondern nur jeweils für kurze Zeit - dann siegt wieder die Neugier. Erwachsene entziehen sich der Situation oft völlig: Ein 24.jähriger Maschinenbaustudent schaffte es seit dem 14. Lebensjahr erfolgreich, alle Flirtangebote zu ignorieren, zu leugnen, umzudeuten oder ihnen schon aus dem Wege zu gehen, bevor sie ihn erreichen konnten. Er fürchtete, in einen Flirt verwickelt zu werden, dann in eine nähere Beziehung -und es könnte ihm passieren daß er verlassen wird. Scham wird zum Flirtkiller, wenn sie Anlaß ist eine Begegnung zu meiden, zu ignorieren, zu leugnen oder umzudeuten. Sie wird jedoch zu einer belebenden und gestaltenden Kraft, wenn sie in die Begegnung mit hineingenommen wird. (Cartoon mit Schulterpolstern raussuchen).

 

4.2.5 Andere Lebensbereiche: Beziehungsziele und öffentliche Rolle

Manche Menschen widmen sich dem ein oder anderen Beziehungsziel mit solcher Ausschließlichkeit, daß da heraus bestimmte öffentliche Rollen entstehen. Diese können

informell sein, wie eine Freundschaft, oder formell, wie eine therapeutische Beziehung.

Kamerad Freund, Eltern, Familie, Genosse, , Pate, Therapeut: Diese Rollen dienen der Herstellung von Nähe, Gemeinschaft, Geborgenheit, Sicherheit ohne eine Hierarchie. Die Autonomie des einzelnen ist so wichtig wie die des anderen.

Funktionär, Betriebsnudel, Peer: Es ist ihnen ein Bedürfnis „mit anderen etwas zu machen“. Sie sind früh Klassensprecher, im Schülerrat, im Studentenparlament oder später der Politik, im Betriebsrat, der Ortspartei. Kein Verein kann ohne sie bestehen. In der Klique haben sie eine führende Position und sorgen für das Bestehen der Klique.

Händler: Er wirbt für seine Produkte und verspricht „Spaß, Freude, Lust, Erfüllung, Identität, Zugehörigkeit, eigentlich alles was man sich wünschen kann. Er preist Produkte an, die

Wünsche und Sehnsüchte wachrufen und mobilisieren. Er verlangt, daß man seine Produkte kauft. Der Händler war schon immer der Verbinder zwischen den Menschen.

Politiker: Er verspricht an unserer Stelle, unsere Wünsche und Interessen zu vertreten und durchzusetzen, besser noch, als wir es selber könnten. Er verheißt eine gute Zukunft auf Erden „Vielen soll es besser und niemand soll es schlechter gehen“. Wenn er nicht „visionär“ ist und kein Charisma hat, scheitert er. Er verlangt, daß wir ihn wählen und ihm glauben.

Guru, Missionar, Führer: Er verspricht Erlösung, Heilung, Glückseligkeit, den richtigen Weg durchs Leben und als selbstverständliche Dreingabe soziale Zugehörigkeit (Herr Gott, ich danke Dir, daß ich nicht bin wie jener)und Macht (nur die Auserwählten werden überleben). Er verlangt dafür, daß man ihm glaubt, folgt, Beiträge zahlt, für ihn arbeitet und sich nach ihm richtet. Im Unterschied zum Ziel „Nähe und Gemeinschaft“ gibt es hier immer starke Hierarchien, die mit Gewalt und Macht aufrechterhalten werden. Das Auskämpfen der Rangreihen kann mehr Zeit in Anspruch nehmen, als das inhaltliche Ziel der Gruppierung. Sekten und Untergruppen der großen Kirchen wie der Opus dei gehören dazu.

Lover: Er verspricht sexuelle Erfüllung, sinnliche Leidenschaft und als selbstverständliche Zugabe Liebe und Schutz. Er verlangt dafür, daß der andere ja sagt und sich hingibt bzw. ihn in gleicher Weise begehrt. Alle übrigen Lebensziele sind diesem Ziel jeweils untergeordnet.

Es geht keinewegs nur um den Austausch von Geld gegen Waren, um gerechte

Rangordnungen, um den wahren Glauben oder die gerechte Politik oder die echte Leidenschaft. Es geht immer darum,. daß lustvolle Visionen angeregt werden. Ein lediglich informierender Verkäufer wird so wenig Erfolge habe, wie ein sachliche Programme abliefender Politiker. Es reicht auch nicht, Heilsversprechungen zu machen oder zu behaupten, man sei der Lover comme il faut. Der Erfolg hängt davon ab, diese Ideen beim anderen auszulösen. Einige Menschen schaffen es, verschiedene Rollen auf sich zu vereinen und mit allen Mitteln zu flirten. Große persönliche Macht und ein hoher Status bei großem Sex Appeal und guten Fähigkeiten zu Freundschaften machen sie dann unwiderstehlich. Kennedy z.B. zählte dazu. Und dann gibt es die Underdogs, die Looser, die keiner mag, die der Staub unter den Füßen der Tüchtigen sind, ausgestattet mit dem Sex-Appeal einer Scheibe trocken Brotes, der Macht eines Blattes im Winde und Wärme einer zugigen Moorkate. Damit letzere aber wirklich chancenlos beim Flirten sind, müssen sie selber von ihrer Chancenlosigkeit überzeugt sein und darauf achten, daß das wirkliche Leben sie nicht widerlegt. (Einem Verein, der jemand wie mich aufnimmt, würde ich nie beitreten). Die SPD ist sehr tüchtig darin, tüchtige Funktionäre ohne jedes Charisma an ihre Spitzen zu wählen.

Unabhängig vom Ziel einer Beziehung, Liebe, Macht oder Sexualität, haben die genannten Rollen doch etwas Wesentliches gemeinsam, das in den extrem Ausprägungen besonders deutlich wird:

Das intensive Interesse am Menschen, am anderen wie an sich selber. Wer also seine Flirtmacht vermehren will, kommt nicht umhin, seine Zeit und Mühe mehr auf den Kontakt und den Umgang mit anderen Menschen und sich selber zu verwenden. Die Übernahme fester Rollen stehen jedoch einem Flirten im Wege, da „Festlegungen“und Flirten sich widersprechen. Das merken diejenigen schmerzlich, die sich auf der Suche nach einer Liebesbeziehung in Vereine oder Parteien begeben, um dann automatisch „mehr unter Leuten zu sein“ und die richtigen Leute kennenzulernen. Zu ihrer Enttäuschung haben sie dann oft nur mehr Arbeit, aber nicht mehr Beziehungen, da es eben um festgelegte Rollen geht. Für das Beziehungsziel „Zugehörigkeit“ oder „Platz in einer Hierarchie“ haben sie dann etwas getan, für die Liebe jedoch noch gar nichts.

 

Wer sichdaher mehr für Wohlstand, Erwerb von Wissen, Entwicklung seiner fachlicher Kompetenzen, und dem Ausbau seiner Kakteensammlung interessiert, wird es sehr viel schwerer haben, Freude und Erfolg beim Flirten zu haben.

Nicht wenige behaupten, soziales Interesse und Emotionalität seien angeborene Eigenschaften oder zumindest früh erworbene, die, einmal festgelegt, sich durch weiteres Lernen und neue Erfahrungen nicht wesentlich verändern. Es spricht vieles dafür, daß Interesse an sich und anderen mit zu den genetisch mitbedingten und früh geprägten Möglichkeiten eines Menschen gehört. Es spricht aber nicht weniger dafür, daß Lernen und Praxis diese Möglichkeiten zeitlebens umgestalten können. Häufig sind es lediglich stabile schlechte Angewohnheiten, die Menschen von der konstruktiven Beschäftigung mit ihren Beziehungen abhalten.Unter dem Kapitel „Problemflirter“ bzw. den „Flirtkiller-Verhaltensweisen“ sind einige zusammengestellt worden.

Unveränderbarkeit wird leicht immer dann angenommen, wenn eine Veränderung mit Mühe, Arbeit und Üben verbunden ist, ein Erfolg sich somit nicht sofort einstellt bzw. nicht gleich stabil ist. Wenn jedoch schon so etwas Simples wie das gute Spiel auf der Blockflöte Jahre des Übens und Praktizierens benötigt, warum sollte das Flirten eigentlich von jetzt auf gleich gehen? Außerdem: Die Entwicklung eines Interesses dauert in der Regel wesentlich länger als die einer Fertigkeit. Anfangen kann man mit beiden Tätigkeiten allerdings jederzeit.

Flirten und Scham

Scham erleben Kinder schon mit drei Jahren (Lewis1995), Flirten können sie allerdings schon vorher.

Flirten ist ein guter Weg, das eigene und das Schamgefühl seines Gegenübers wertzuschätzen. Wenn ein Mensch verstummt, errötet, sich abwendet, zusammen sinkt, eine Begegnung vermeidet, uns durch Gestik und Mimik vermuten läßt, er sei verlegen, nehmen wir an, daß er sich schämt. Eine erlebte Scham kann so intensiv sein, daß sich ein Mensch umbringt um sie zu beenden, oder eine Lebensgefahr eingeht, um ihr nicht ausgesetzt zu sein. Immer handelt es sich dabei um tatsächliche oder mögliche menschliche Begegnungen des oben erwähnten Typs. So gibt es Scham im sexuellen Bereich, im Bereich der Freundschaft und Liebe sowie der Macht. Bei der sexuellen Scham geht es im Wesentlichen um die Körperscham, aber auch um Gefühle. Kinder schämen sich oft furchtbar, wenn schamlose Erwachsene kichernd und laut darauf hinweisen, daß ihr kleiner Sohn sich in irgendein Mädchen verliebt hat. Wenn ein junger Mann sich umbringt, weil er durch eine Prüfung gefallen ist oder straffällig geworden ist, so ist intensive Scham oft der Grund. Und auch erwachsene Menschen erleben intensive Scham in solchen Momenten, selbst, wenn niemand sie "outet". Man verliert nämlich im Moment der Scham die Kontrolle über für wichtig erachtete Momente der Wirklichkeit. D.h., Scham ist ein wichtiges soziales Regulativ. Ein Mensch bewahrt damit seine und die Integrität seines Gegenübers. H.P.Duerr konnte überzeugend zeigen, daß Scham universell auf der ganzen Welt und zu allen Zeiten Bestandteil menschlicher Gemeinschaften war und ist. Lediglich die Dinge, auf die die Scham sich bezog, konnten verschieden sein. So würden sich manche Menschen wesentlich mehr schämen, bei einem Fest falsch angezogen zu sein, als sich nackt am Strand oder in einer Sauna aufzuhalten. Duerr weist z..B. darauf hin, daß sich heute manche Menschen vor allem ihrer Scham schämen -Ihre Selbstachtung hängt davon ab "cool" zu erscheinen - was immer auch passiert.

Nicht wenige fühlen sich durch Schamgefühgle am Flirten gehindert und hoffen, einmal flirten zu können, "ohne daß es ihnen etwas ausmacht". Dieser verständliche Wun sch wäre ein Pyrrhyus Sieg. Mit dem Verlust der Scham verlöre doch der Betreffende Mensch das Gefühl für seine Integrität und und die des anderen. Wie soll es da zu einer intesiven und liebevollen Begegnung kommen?

Gut Flirten heißt, mit der eigenen und der Scham des anderen achtungsvoll und wertschätzend umgehen. Tue ich das nicht - gleichgültig auf was sich meine oder die Scham meines Gegenübers bezieht, gerate ich in einen Machtflirt und überrumpele den anderen, reiße ihn uaf, grabe ihn an usw.Das Erleben der Scham im Zusammen hang mit einem Flirt intensiviert diesen auf eine wunderschöne Weise. Denn die Scham ist ja kein Man gel, sondernAusdruck derr Wertschätzung, die ein Mensch für bestimmte Aspekte seiner Person und einer Beziehung hat.

Das hießt keinesfalls, daß damit etwas festgeschrieben ist. Im Laufe des Flirtes oder der Begegnung können sich ja die Schamschwellen weentlichen verschieben. Entscheidend ist ja nur, ob es aus freiem Entschluß geschieht - oder ob jemand genötigt - und damit beschämt wird.

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