Faltenrock - „Beat“ in Nidda

oder die Verbindung von Falten, Hackbraten und Rockmusik

Die Geschichte von „Faltenrock“ ist naturgemäß eine Geschichte mit Falten und beginnt, wie könnte es anders sein, mit Falten, nämlich den Sorgenfalten unserer Eltern, die in der Nachkriegszeit in eine ungewisse Zukunft blickten. Viel hatte sich in Europa und für diese Generation verändert.

In dieser Zeit erblickten wir das Licht der Welt, und mit uns blickte ganz Europa auf Amerika und interessierte sich zunehmend für die amerikanische Lebensweise. Dies galt auch für die amerikanische Musik, die besonders bei der Jugend großen Anklang fand. In den 50er Jahren erreichte Europa dann eine ganz neue Musikwelle aus den Staaten. Es war der „Rhythm and Blues“ beziehungsweise „Rock `n` Roll“, die erste Musik, die nahezu ausschließlich von der Jugend gehört wurde. Stars wie Elvis Presley, Buddy Holly, Bill Haley etc., wurden über Nacht berühmt, und auch deutsche Schlagerstars wie Peter Kraus, Ted Herold oder auch Connie Froboess imitierten diese amerikanischen Vorbilder. Die Sorgenfalten unserer Eltern, die unsere Begeisterung für diese Musik nicht nachvollziehen konnten, vertieften sich.

Anfang der 60er Jahre hatte sich diese Musik zumindest in England so weit durchgesetzt, daß sie eigene Formen entwickeln konnte. Die große Zeit des „Beat“ war da. Mit Gruppen wie den „Searchers“, „Kinks“, „Rolling Stones“, aber vor allem den „Beatles“, setzte sich diese Musik in einem unbeschreiblichen Siegeszug auf der ganzen Welt durch. Auch deutsche Gruppen, von denen wohl die „Rattles“ und die „Lords“ am bekanntesten geworden sind, stimmten in den Ruf aus Liverpool: „Yeah, yeah, yeah !“ mit ein. Überall im Land, selbst in ländlichen Regionen, entstanden Bands, die sich der Beatmusik verschrieben. Die begleitenden Falten der Erwachsenen zeigten sich diesmal allenfalls noch als ein Stirnrunzeln, da die Entwicklung nicht aufzuhalten war und deutlich wurde, daß sie auf verlorenem Posten standen. Die Proteste der Älteren, etwa gegen die modischen, langen Haare oder die Schlag-„falten“ an den Hosen, waren bereits Rückzugsgefechte und verhallten weitgehend ungehört.

Auch Nidda bildete keine Ausnahme. Die erste Gruppe, die sich hier in dieser Zeit „entfaltete“, setzte sich aus Schülern des Gymnasiums Nidda zusammen und verursachte entsprechende Falten vor allem bei den Lehrern, die um ihre mühsam vermittelten Lehrinhalte fürchteten. Sie nannten sich die „Niddaer Westend Stompers“. Nachdem sie mit mehr vom Jazz beeinflußter Musik begannen, gerieten auch sie unter den Einfluß der Beatbewegung, so daß sie schließlich bevorzugt diese Musik interpretierten. Mitglieder der Band, die vor allem im schulischen Rahmen und bei sonstigen kleineren Gelegenheiten - Schulparties, Geburtstagen etc. -  auftrat, waren:  Peter Eschke, jetzt Apotheker in Nidda,                      Horst Reuning vom „Karlshof“,  Klaus Rühl, der jetzige Schulleiter in Echzell, und  Wilfried „Ben“ Abt, Sohn des Elektromeisters Karl Abt, der in Nidda ein Geschäft führte und natürlich auch die einschlägigen Schallplatten verkaufte.

Sehr bald betrieben zwei Mitglieder dieser Gruppe die Musik ernsthafter. Eine Gruppe namens „Magics“, die sich aus amerikanischen Soldaten und jungen Deutschen aus dem Raum Friedberg zusammensetzte, suchte neue Mitglieder, da die „Amerikaner“ in die Staaten zurückmußten. Zunächst stieg Horst Reuning als Schlagzeuger ein und bald folgte „Ben“ Abt, der den Baß übernahm. Kurze Zeit spielte auch Peter Eschke in dieser Gruppe. Ab 1965 spielten sie nahezu „halbprofessionell“, nachdem sie einen „Beat-Wettbewerb“ in Friedberg im Hotel Trapp gewonnen hatten und daraufhin eine Schallplatte aufnahmen, was damals noch etwas ganz Besonderes war. An Auftrittsgelegenheiten mangelte es in der näheren Umgebung nicht. Fast an jedem Wochenende war etwas los. Besonders erwähnt sei die Gaststätte Stoll in Echzell, wo jeden Samstag und Sonntag „Beatparty“ war, die sehr gut besucht wurde. Aber auch der „Starclub“ in Bönstadt und viele Gastwirtschaften und Bürgerhäuser in der Wetterau und im Vogelsberg, die einen größeren Saal zur Verfügung hatten, boten „vielfältige“ Auftrittsgelegenheiten. Für die meist sehr jungen Musiker war dies eine gute Möglichkeit, ihr Taschengeld aufzubessern, wenn auch das meiste Geld wieder für Instrumente und Verstärker ausgegeben wurde. Sehr üppig war die Bezahlung ohnehin nicht, wobei jedoch das zusätzliche freie Essen und Trinken nicht vergessen werden soll. So ist wohl noch allen Musikern der „Hackbraten“ im Saalbau Stoll in Echzell ein Begriff.

Neben den „Magics“ entstanden im Jahre 1963 die „Roosters“. Wie es sich herausstellte, war es ganz und gar nicht naiv und „einfältig“, daß drei Niddaer während eines Zeltlagers die Idee hatten, eine Beatgruppe zu gründen. Zwar bestand die Hauptschwierigkeit, diese Idee zu verwirklichen, darin, daß keiner ein Instrument spielte und diese auch nicht vorhanden waren. Doch verursachte dies keine großen Falten; im Bekanntenkreis wurden Gitarren geborgt, und mit Feuereifer begann man im Selbststudium zu üben. Bald beherrschte man die berühmten „drei Griffe“, und es ging los. Die Gruppe bestand aus Karl „Charlie“ Flauger, Gitarre und Gesang, Franz-Josef „Joe“ Langheinrich, Schlagzeug, und Christoph Hössl, Gitarre. Sehr bald stieß zu der Gruppe Werner Reichel aus Wallernhausen, der Baßgitarre spielte. Ähnlich wie die „Magics“ bereiste man an den Wochenenden die ganze Umgebung und spielte in den Sälen der Bürgerhäuser und Gaststätten. Die Gruppe gab beispielsweise das erste „Beat-Konzert“ in der Schottener Festhalle, nachdem die Schottener Jugend massiv Druck auf die Stadtväter gemacht hatte, damit dort endlich auch eine Beatveranstaltung stattfinden konnte. Wie üblich wurde zum Tanz aufgespielt, wobei das Repertoire aus all den Rocksongs bestand, die zu dieser Zeit gängig waren und die Hitparaden bestimmten.

Beide Gruppen spielten bis etwa 1966/67 in der gleichen Zusammensetzung . Dann fielen die Gruppen auseinander. Dies lag teilweise daran, daß die Schule beendet war, Wehrdienst und/oder Studium absolviert werden mußten, aber auch an dem Umstand, daß immer mehr Veranstalter dazu übergingen, Schallplatten aufzulegen und auf „Livegruppen“ zu verzichten. Hinzu kam, daß eine neue Musikrichtung, der „Soul“, aufkam, der von den Beatbands, die ja nur eine kleine Besetzung hatten, nicht mehr gespielt werden konnte, da man Bläser und Tasteninstrumente benötigte. Auch waren die Gesangparts für ausgesprochen „schwarze“ Stimmen ausgelegt.

In dieser Zeit taten sich ehemalige Mitglieder der „Roosters“ , nämlich „Charlie“ Flauger, „Joe“ Langheinrich und „Ben“ Abt von den „Magics“ zusammen. Sie nannten sich „Dominos“ und spielten zusammen mit „Ossi“ Netsch Tanzmusik.

Danach war es im wahrsten Sinn erst einmal ruhig, es gab keine neuen Gruppen, niemanden mehr, der in Nidda „Krach“ machte. Das blieb so bis etwa Mitte der 70er Jahre. Mit neuen Musikrichtungen, die auf alte Stile zurückgriffen, wie etwa „Creedence Clearwater Revival“, kamen auch wieder Gruppen in Nidda auf. Unter anderen spielten „Freddy“ Friedrich, jetzt Redakteur beim Kreisanzeiger, Joachim Stadler, „Kiki“ Grumbrecht, Hansi Brehm, “Schnick“ Ußner, Andreas Hössl, Gerd Fellinger, Wolfgang „Foto“ Müller und Winfried Müller in wechselnden Besetzungen zusammen. Doch die Zeiten waren nicht mehr so gut für „Bands“. Es gab nur wenige Auftrittsmöglichkeiten und so blieben diese Gruppen nicht lange am Leben.

Durch Beruf, Familie und sonstigen Alltagsstreß geriet die Musik dann bei den damaligen Akteuren mehr oder weniger in Vergessenheit. Es bildeten sich die eigenen Falten, die das Leben nun einmal so mit sich bringt, heraus. An diesem Zustand änderte sich bis zum Jahr 1992 nichts. Doch dann sind die Herren Musiker, alle etwas ergraut und – wie man so sagt, in den besten Jahren - beruflich und auch sonst etabliert, auf der Suche nach Hobbies. Man erinnert sich an die Musik, kauft eine neue elektrische Gitarre, erfüllt sich dabei den Wunschtraum, den man sich damals in den 60ern mangels ausreichendem Geld nicht erfüllen konnte. Und da es bald langweilig wird, immer nur allein vor sich hin zu spielen, sucht man Mitstreiter. Es ist auch kein Zufall, daß man sich findet, wohnt man doch fast in unmittelbarer Nachbarschaft. Zuerst beginnen Wolfgang Müller und Christoph Hössl miteinander Gitarre zu spielen. Die Finger sind zwar etwas eingerostet, schließlich war es ja auch eine lange Zeit, in der man nicht mehr geübt hatte, doch schon bald geht es besser und man beschließt, das „Musikmachen“ zu intensivieren.  Als Schlagzeuger kommt Winfried „Winni“ Müller hinzu, es findet sich sogar ein Bassist, Johannes Scherer, und ein weiterer Sänger, Karl-Heinz Lindner. Im Saal unter der katholischen Kirche finden die ersten Proben statt.

Vor allem Lieder der „Beatles“ und der „Rolling Stones“ stehen auf dem Programm, ab und zu ein Instrumentalstück der „Shadows“. Auf der Suche nach einem Namen für die neue Gruppe wird, angeregt durch die Denkfalten bei den Überlegungen und bewußt die Doppelbedeutung des Wortes „Rock“ in der deutschen Sprache nutzend, die Idee „Faltenrock“ geboren. Man will „Rock“ spielen, und schließlich ist diese Musik, genau wie die ausübenden Musiker, etwas in die Jahre gekommen. Bald kommen die ersten Auftritte. Erstes Engagement ist ein Tanzabend bei einem der Niddaer Tanzvereine, es folgen Feste der katholischen Pfarrgemeinde, die mitgestaltet werden, und Geburtstagsfeiern. Die Gruppe ist beliebt, da sie enorm kostengünstig, meist für ein „Dankeschön“, den ganzen Abend spielt. Die Auftritte und die Übungszeiten häufen sich, und aus Zeitgründen steigen Johannes Scherer und Karl-Heinz Lindner aus. Besonders der Bassist fehlt, und so ist es ein glücklicher Umstand, daß gerade „Ben“ Abt ohne feste Gruppe ist. Er sagt zu und macht gerne mit. Jetzt spielen also nur noch „Niddaer Buben“ zusammen, die schon in den 60ern und 70ern Musik gemacht haben und die sich aus dieser Zeit kennen. Obwohl das Spielen auch zu privaten Anlässen nicht aufgegeben wird, wird alles noch ein bißchen ambitionierter und perfekter. An den Stücken wird gefeilt, vieles wird neu eingeübt und auch die Auftritte werden anspruchsvoller und finden vor größerem Publikum statt. Ende 1997 nimmt die Gruppe eine CD in einem Tonstudio auf, die im Bekanntenkreis als Geheimtip gilt und als Geschenk bei Auftritten dient.

Bevor das Papier „zusammengefaltet“ und der Bericht damit beendet wird, müssen aber noch

die schönsten Falten, die Lachfalten, erwähnt werden. Immer wieder wird uns gesagt, daß man merkt, daß uns unsere Musik Spaß macht. Es finden sich auch immer wieder neue, „alte“ Songs, die man unbedingt spielen muß und will, so daß auch die notwendigen Übungsstunden, bei denen meist auch die neuesten Witze erzählt werden, nicht langweilig sind, sondern wir immer etwas zum Lachen haben. Wir sind damit ein Beispiel dafür, daß Musikausübung – egal in welcher Stilrichtung - lange Jahre viel Freude machen kann undd man trotz der Falten jung bleibt. Wir wünschen uns, daß es noch einige Zeit möglich ist, unser Hobby auszuüben und unsere Generation mit der Musik zu unterhalten, die sie in der Jugend vorzugsweise gehört hat, und es nicht an Auftrittsmöglichkeiten mangelt, denn Musik ohne Publikum und Zuhörer ist wie eine Gitarre ohne Saiten.

 

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