Arbeitslos und Spaß dabei

Wir wissen alle, daß Arbeitslosigkeit nicht abgeschafft werden kann. Läuft der Betrieb schlecht, dann wird entlassen, läuft er gut, dann wird in Automatisierung investiert -- und auch entlassen. In früheren Zeiten wurden Arbeitskräfte gefordert, weil es Arbeit gab. Nun wird verzweifelt Arbeit gefordert, weil es Arbeitskräfte gibt, und keiner weiß, wohin mit ihnen, denn Maschinen arbeiten schneller, besser und billiger. Die Automatisierung ist immer ein Traum der Menschheit gewesen. So meinte Aristoteles vor rd. 2300 Jahren: "Wenn jedes Werkzeug seine eigene Funktion selbst ertfüllen könnte, wenn zum Beispiel das Weberschiffchen allein wirken könnte, dann würde der Werkmeister keine Gehilfen brauchen, und der Herr keine Sklaven."

Nun hat sich dieser Traum verwirklicht, und alle empfinden es als einen Alptraum, da sich die sozialen Bedingungen nicht so rasch wie die Technik gewandelt haben. Dieser Prozess ist unumkehrbar, denn Roboter und Automaten werden nicht wieder von ArbeiterInnen abgelöst werden. Ausserdem wird die "menschliche" Arbeit, wo sie noch nötig ist, in Billiglohnländer ausgelagert oder von unterbezahlten lmmigrantInnen hier geleistet. Die Konsequenz dieser abwärts führenden Spirale wäre die Wiedereinführung der Sklaverei.

Offiziell herrscht der "Kampf gegen die Arbeitslosigkeit", aber eigentlich ein Kampf gegen die Arbeitslosen. Zu diesem Zweck werden Statistiken verfälscht, Pseudo-Arbeitsplätze geschaffen und schikanöse Kontrollen durchgeführt. Da solche Maßnahmen immer unzureichend sind, wird dazu noch herummoralisiert und behauptet, die Arbeitslosen hätten ihre Situation selbst verschuldet. Aus den Arbeitslosen werden einfach "Arbeitssuchende" gemacht, allein um die Realität zu zwingen, sich der Propaganda anzupassen.

"Arbeitslosigkeit" ist ein schlechtes Wort, ein negativ besetzter Begriff, die Kehrseite der Medaille der Arbeit. Arbeitslose sind bloß ArbeiterInnen ohne Arbeit. Dabei wird über die Menschen als Poeten, als Reisende, als Suchende, als Atmende nichts gesagt. ln der Öffentlichkeit darf nur von Arbeitsmangel die Rede sein, erst in privaten Spähren, abseits von Journalisten , Soziologen und anderen Schnüfflern, wagt man, aufrichtig zu sein. "Ich wurde entlassen, geil! Endlich habe ich Zeit, jeden Tag auf Partys zu gehen, brauch' nicht mehr aus der Mikrowelle zu essen und kann ausgiebig vögeln."

Soll diese Trennung zwischen privater Weisheit und öffentlicher Lüge aufgehoben werden? Man sagt uns, es sei nicht der richtige Moment, die Arbeit zu kritisieren, dies sei eine Provokation, die den Spießern gerade recht käme. Noch vor zwanzig Jahren hätten die Arbeiterinnen ihre Arbeit und auch die Arbeit an sich in Frage stellen können. Heute sollen sie, nur weil sie nicht arbeitslos sind, Zufriedenheit heucheln, und die Arbeitslosen sollen, nur weil sie keine Arbeit haben, Unzufriedenheit heucheln. Somit hat sich die Kritik der Arbeit in Wohlgefallen aufgelöst. Glückliche Arbeitslose sollten über diese infantile Erpressung erhaben sein.

Wo die Arbeitsethik verlorengegangen ist, bleibt die Angst vor der Arbeitslosigkeit die beste Peitsche zur Intensivierung des Kriechens. Ein gewisser Schmilinski, Managementberater zur Ausrottung der Blaumacher, sagt es ganz deutlich:
"In einem Rennstall überlegen Sie sich auch, welches Pferd noch das Gnadenbrot bekommt und welches nicht. Unternehnmen, die heute überleben wollen müssen zuweilen auch rabiat sein. Zuviel Güte kann einem Unternehmen den Hals brechen. Ich rate meinen Kunden, mit der eisernen Hand im Samthandschuh durchzugreifen. Wir leben in einer Zeit, in der Arbeiter rund um sich herum beobachten, wie Stellen abgebaut werden. Niemand will unangenehm auffallen. Firmen neigen zunehmend dazu, diese Unsicherheit zu nutzen, um die Fehlzeiten deutlich zu senken." -- (Der Spiegel 32/96)

Das Schaffen eines artgerechten Biotops für glückliche Arbeitslose würde auch die Lage der Arbeitenden verbessern: Die Angst vor der Arbeitslosigkeit nähme ab, und der Mut, sich zu widersetzen, könnte leichter zum Ausdruck kommen. Vielleicht würde sich eines Tages das Kräfteverhältnis wieder zu den Arbeitenden neigen. "

"Was? Sie wollen kontrollieren, ob ich richtig krank bin oder nicht? Dann geh' ich lieber zu den Glücklichen Arbeitslosen."

Wenn Arbeitslose unglücklich sind, so liegt das nicht daran, daß sie keine Arbeit haben, sondern daran, daß sie kein Geld haben. Also sollten wir nicht mehr von "arbeitslos", sondern von "geldlos", nicht mehr von "Arbeitssuchenden", sondern von "Geldsuchenden" reden, um die Dinge klarer zu stellen.
Früher wurde das Handwerk von seinen Ausführenden geehrt. Und Werftarbeiterlnnen konnten noch stolz darauf sein, das prächtige Schiff vom Stapel laufen zu sehen, das sie selbst gebaut hatten. Dieses Gefühl von Nützlichikeit gibt es in 95% aller Jobs nicht mehr. Der "Dienstleistungs"sektor beschäftigt nur Dienstboten und Computeranhängsel, die keinen Grund haben, stolz auf ihre Arbeit zu sein. Selbst Ärztlnnen fungieren nur noch als Handelsvertreter der pharmazeutischen Konzerne.

Wer kann noch von sich behaupten, er/sie mache sich nützlich? Entscheidend ist nicht
mehr, wozu etwas nützt, sondern wieviel damit verdient werden kann. Alleiniges Ziel jeder einzelnen Arbeit ist, den Gewinn des Unternehmens zu steigern, und ebenso ist auch die alleinige Beziehung der Arbeitenden zu ihrer Arbeit das Gehalt.
Gerade deshalb, weil Geld das Ziel ist und nicht gesellschaftlicher Nutzen, existiert Arbeitslosigkeit. Vollbeschäftigung bedeutet ökonomische Krise, Arbeitslosigkeit bedeutet gesunder Markt. Was passiert, wenn ein Konzern ankündigt, daß er so und soviele Arbeitsplätze vernichtet?

Die Börsenspekulanten loben seine Sanierungsstrategie, die Aktien steigen, und bald darauf wird die Bilanz die entsprechenden Gewinne aufweisen. Auf diese Weise schaffen die Arbeitslosen mehr Profit als ihre Ex-KollegInnen. Logischerweise sollten sie also den Arbeitslosen dafür danken, daß sie wie keine anderen das Wachstum fördern. Stattdessen kriegen sie keinen Furz des Gewinns, den sie so selbst schaffen. Die Glücklichen Arbeitslosen sind der Meinung, daß sie für ihre Nicht-Arbeit entlohnt werden müssen.
Rechnen wir einmal nach, wieviel Geld insgesamt von Steuerzahlenden und Betrieben "für Arbeitslosigkeit" offiziell ausgegeben wird, und dividieren wir durch die Zahl der Arbeitsiosen: Na, das ist doch etwas mehr als das, was wir auf unseren Konten finden, nicht wahr? Ausgegeben wird hauptsächlich nicht für den Wohlstand der Arbeitslosen, sondern für ihre schikanöse Kontrolle, für zwecklose Termine, sogenannte Um-, Aus- und Fortbildungsprogramme, die nirgendwoher kommen und nirgendwohin führen, Scheinbeschäftigungen für einen Scheinlohn -- nur um die Statistiken künstlich herunterzudrücken. Also nur, um ein wirtschaftliches Trugbild aufrecht zu erhalten.

Und so schlagen die Glücklichen Arbeitslosen vor: Die Beendigung aller Kontrollmaßnahmen gegen Arbeitslose, die Schließung sämtlicher Statistik- und Propagandabüros (Das wäre ihr Beitrag zum Sparpaket.) und automatische unbefristete Zahlung der Unterstützung inklusive der eingesparten Summen.

Da der Staat Steuern einkassiert, sehen sie keinen Grund, auf diese Unterstützung zu verzichten. Aber staatsfixiert sind sie nicht. Ihretwegen mag das Einkommen der Glücklichen Arbeitslosigkeit sehr wohl vom privaten Sektor finanziert werden, sei es durch Sponsoring, Adoption, extra Kapitalertragssteuer oder Erpressung. Sie sind nicht wählerisch. Die Glücklichen Arbeitslosen kreieren neue gesellschaftliche Werte, auch wenn sie nichts anderes schaffen. Sie wollen Kontakte mit einem Haufen sympathischer Menschen entwickeln und sind sogar bereit, Resozialisierungskurse für gekündigte Arbeitnehmerlnnen zu geben.

für diejenigen, die mehr wissen wollen, die reine Postadresse:

Die Glücklichen Arbeitslosen
c/o Im Stall
Kastanienallee 84
10435 Berlin-Prenzlauer Berg

In der Generalversammlung der Aktiengesellschaft "Schnapphahnia" herrscht großer Tumult. Der Aufsichtsrat will nur zehn Prozent Dividende bewilligen, während die Aktionäre fünfzehn haben wollen. Polizisten mit Gummischläuchen zum Dreinschlagen waren merkwürdigerweise nicht vorhanden. aus: Der wahre Jakob, 1894


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