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Neoliberalismus [grch.-lat.], eine erstmals 1939 für eine Konferenz in Genf dargelegte, vornehmlich von den Nationalökonomen W. RÖPKE, A. RÜSTOW, F.A. HAYEK, W. EUCKEN, F. BÖHM und L. MIKSCH vertretene wirtschaftspolit. und sozialphilosoph. Lehre, die als "dritter Weg" zwischen Kapitalismus und Kollektivismus im Dienst marktwirtschaftl. Ordnung und im Zeichen einer Erneuerung und Vertiefung liberaler Ideen eine Wettbewerbsordnung anstrebt. Die Wirtschaft soll nicht, wie auf Grund des "Laissez-faire"- Prinzips, völlig ungeordnet bleiben, sondern, durch Maßnahmen des Staates gestützt und garantiert, die fruchtbaren Kräfte des Wettbewerbs voll zur Entfaltung bringen. Der N. tritt dementsprechend für wirtschaftskonforme Eingriffe des Staates und eine auf das soziale Ganze ausgerichtete Gesellschaftspolitik ein. Er wendet sich gegen jede Art monopolistischer und gruppenegoistischer Machtentfaltung in der Wirtschaft, will der echten wirtschaftl. Leistung ihren Erfolg sichern und lehnt zentrale Wirtschaftslenkung ab. Einige Vertreter des N. befürworten eine kleinbetriebliche Struktur der Wirtschaft; sie wenden sich daher gegen Großbetriebe, Konzerne und Trusts. In der Ungleichmäßigkeit der Besitzverteilung wird ein Haupthindernis für die Verwirklichung des sozialen Aus gleichs der Startbedingungen im wirtschaftlichen Leistungswettbewerb erblickt. Die von W. Eucken begründete Freiburger Schule vertritt den N. in der Form des Ordo-Liberalismus, der sozialliberal unter Festhalten am Grundsatz des Privateigentums an Produktionsmitteln und an der Privatinitiative eine marktwirtschaftlich orientierte Sozialordnung des Wettbewerbs erstrebt. In der vollständigen Konkurrenz wird die diesen Zielen am besten dienende Marktform gesehen; das reine Leistungsprinzip gewährleiste die Durchsetzung sozialer Gerechtigkeit mit Hilfe rechtsstaatlicher Maßnahmen.

W. EUCKEN: Die Wettbewerbsordnung und ihre Verwirklichung, in: Ordo 2(1949, dort weitere Aufsatze) ders.: Grundsätze der Wirtschaftspolitik (1952); W ROPKE Civitas Humana (1949) ders.: Maß und Mitte (1950); ders.: Jenseits von Angebot und Nachfrage( 1961); A. RÜSTOW Ortsbestimmung der Gegenwart 3 Bde (1950/57 1 u 2: 1962); ders.: Rede und Antwort (1963); J.CROS: Le néoliberalisme, Etude positive et critique (Paris 1951); L. v. MISES: Planning for freedom (South Holland Illinois, 1952); F. HAUSSMANN: Der extreme N. (1952); L.BAUDIN: L’aube d’un nouveau libéralisme (Paris 1953); E. W. DÜRR: Wesen und Ziele des Ordo-Liberalismus (1954); HANS SCHMID: N. und kath. Soziallehre (1954); E.HEIMANN: Vernunftglaube und Religion in der modernen Gesellschaft (1955); E. STOCKER: Die Monopolpolitik des N. (1957, mit Lit.); F. A. v. HAYEK: Freedom, reason, and tradition, in Ethics, 68 (1958); ders.: The constitution of liberty (Chicago 1960);  Was wichtiger ist als Wirtschaft, Vorträge von A.RÜSTROW u a. (1960); E.-J. MESTMÄCKER (Hg.): Franz Böhm Reden und Schriften ... (1960); R. BEHLKE: Der N: und die Gestaltung der Wirtschaftsverfassung in der Bundesrep. Dtl. (1961 mit Lit.); F. W. MEYER u. F. GREISS (Hg.): Wirtschaft Gesellschaft und Kultur (1961); E. E. NAWROTH: Die Sozial und Wirtschaftsphilosophie des N. (1962); F. BILGER: La pensée économique libérale dans l’Allemagne temporaine (Paris 1964); H. P. BECKER:  Die soziale Frage im N. (1965); P.EGGERS: Gesellschaftspolit. Konzeptionen der Gegenwart (1969). Ordo, Jb. für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft (seit 1948); Schriftenreihe und Tagungsprotokolle der "Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft".



 
 
Kapitalismus bezeichnet zunächst eine von liberaler Wirtschaftsgesinnung und Anerkennung des Privateigentums geprägte Wirtschaftsform; danach ist K. ein histor. Begriff der Wirtschafts- und Gesellschaftsentwicklung, bes. des 19. Jahrh.; endlich im weiteren Sinne das Wirtschaftssystem, das in Europa die mittelalterl. Wirtschaftsordnung ablöste. Der Ausdruck stammt wohl von J. J. L. {siehe:}Blanc.
 
BEGRIFF UND KENNZEICHEN

Der Begriff K. wird in der Wissenschaft und in der polit. Diskussion vorwiegend in Anlehnung an K. MARX gebraucht, der den K. theoretisch erfaßte und zugleich in Frage zu stellen suchte. Durch MAX WEBER und W. SOMBART, die den Begriff K. zur wirtschaftsgeschichtl. Periodenbildung verwendeten, wurde die Marxsche Definition erweitert. Hatte Marx den K. als ein System des profitorientierten Privateigentums an den Produktionsmitteln definiert, in dem die Arbeitskraft zur Ware wird ({siehe:}Historischer Materialismus), und den K. als Epoche mit dem Entstehen der natur- wissenschaftl. Technik beginnen lassen, so betonten Weber und Sombart die wirtschaftl. Rentabilität als Kennzeichen des K., unter deren Einfluß sich die im MA. begründete traditionelle Arbeits- und Eigentumsordnung auflöste. Die Wirtschaftsorganisation des K. ist durch Kostenkalkül und Gewinnstreben am Markt geprägt; sie wird, wie J. A. SCHUMPETER hervorhob, durch den freien Unternehmer repräsentiert, der durch ständige gewinnbringende Neuerungen in Produktion, Handel und Organisation dem K. seinen dynamischen Charakter verleiht.

L. VON MISES versuchte, sogar wirtschaftl. Rationalität ausschließlich für den K. zu beanspruchen. E. HEIMANN hat dagegen sowohl den K. als auch den Sozialismus als Systeme der Wirtschaftsrationalität aufgewiesen, in denen der Konsum alleiniger Wirtschaftszweck und die Arbeit bloßes Mittel ist. Damit sind beide von den traditionalist. "Sozialsystemen" abgehoben, wo Konsum und Arbeit auf Grund jeweils herrschender sozialer Normen gegeneinander abgewogen wurden (z.B. Beschränkungen des Aufwandes im MA.). Der K. ist dann innerhalb der Wirtschaftsrationalität jenes System, in dem die freien Individuen durch die Vergabe ihrer Kaufkraft über Ziel und Richtung der Produktion entscheiden, während im Sozialismus das Kollektiv die Produktion ausrichtet.

In der dt. Nationalökonomie ist der Begriff K. wegen seiner ideolog. Belastung in neuer Zeit durch das Gegensatzpaar Marktwirtschaft - Zentralverwaltungswirtschaft (W. EUCKEN) zurückgedrängt worden. Von der brit. und amerikan. Forschung wird der K. als fest umrissener histor. Begriff abgelehnt.

Kennzeichen kapitalist. Wirtschaftsweisen sind: die Organisation der Produktion unter dem Gesichtspunkt von Kosten und Profit, die Verwendung von Maschinen u. a. Kapitalgütern im Produktionsprozeß, die überwiegend nicht den Arbeitern gehören; das Vorherrschen der Marktproduktion, d. h. das Produkt wird zuerst erzeugt und dann angeboten, wobei das Spiel von Angebot und Nachfrage den Verkaufspreis und damit den Gewinn bestimmt.

 

PHASEN DES KAPITALISMUS

Es ist kaum möglich, eine gemeinsame Formel für alle Phasen des K. zu finden, da er sowohl Vorläufer, Träger als auch Produkt der Industrialisierung ist.
Auf W. Sombart geht die Einteilung in Früh-, Hoch- und Spät-K. zurück. Der Frühkapitalismus umfaßt außer einigen Vorläufern kapitalist. Wirtschaftsweise im MA. die Zeit des {siehe:}Merkantilismus. Diese erste Phase kapitalist. Produktionsweise wurde von der polit. Führung geprägt. Der absolutist. Staat mit seinem steigenden Bedarf an Geld für Verwaltung und Militär suchte sich diese Mittel durch staatl. Manufakturen und Besteuerung der Profite zu verschaffen. Der Machtcharakter der neuen Wirtschaftsweise wurde deutlich. Das Bürgertum wurde zum Profitdenken angehalten. Einen wesentl. Einfluß auf die Entstehung des K. übte das protestant. Wirtschaftsethos aus (M. WEBER). – Im Hochkapitalismus wurden die kapitalist. Wirtschaftsgrundsätze annähernd rein verwirklicht:
Die staatl. Lenkung wich dem {siehe:}Liberalismus. In dieser Zeit begann die {siehe:}lndustrialisierung. Die Entwicklung der modernen Maschinentechnik und die Beseitigung traditioneller rechtl. Bindungen ({siehe:}Gewerbefreiheit, {siehe:}Freihandel) ermöglichten große Fortschritte der Produktivität. Der Grundgedanke des freien Wettbewerbs beherrschte Theorie und Praxis (A.SMITH, D.RICARDO). Die technolog. Dynamik des K., begünstigt durch die Entfaltung des Kapitalmarktes, schuf den Großbetrieb, wodurch die unternehmerische Macht gestärkt wurde und z. T. {siehe:}Monopole entstanden. Rationalisierung und techn. Fortschritt entwickelten sich in wachsendem Tempo. Die Proletarisierung im Zuge der {siehe:}Industriellen Revolution führte aber auch zu schweren sozialen Mißständen (Kinderarbeit, lange Arbeitszeiten, niedrige Löhne, schlechte Arbeitsbedingungen), verschärft durch period. Krisen, die im K. der Anpassung des Systems und der Korrektur der Entwicklung dienen. Im letzten Viertel des 19.Jahrh. wuchsen die kapitalist. Volkswirtschaften rasch zur {siehe:}Weltwirtschaft zusammen, wobei der Goldstandard ({siehe:}Goldwährung) die internat. Arbeitsteilung förderte. Mit der Expansion derWeltwirtschaft und der Eroberung bes. überseeischer Absatz- und Beschaffungsmärkte (Rohstoffe) trat der {siehe:}Imperialismus als "höchstes Stadium des K." (W. I. LENIN) immer mehr in den Vordergrund. Gleichzeitig machten sich aber auch Reaktionen auf den zunehmenden Wettbewerb und auf die internat. Verflechtungen bemerkbar (Entstehung von {siehe:}Kartellen, Übergang zum Schutzzoll, Industrieprotektionismus).
Der erste Weltkrieg beendete die Periode des Hoch-K. Nach Sombart begann damit der Spätkapitalismus; doch ist dieser Begriff von der Wissenschaft noch stärker als der des K. abgelehnt worden, weil er, vor allem im sozialist. Sprachgebrauch, einen krisenhaften Umschwung des K. ausdrücken will.
 

HISTORISCHE WIRKUNGEN

Die Errichtung des zentralist. Verwaltungsstaates unter dem Gesetz der wirtschaftl. Rationalität gehört ebenso zu den histor. Ergebnissen des K. wie die gewaltige Steigerung des Nationaleinkommens, mit der auch eine schrittweise Besserung der materiellen Lage der Arbeiterschaft verbunden war. Die starke Zunahme der Bevölkerung und ihre Umschichtung schufen eine neue Grundlage staatl. Lebens. Jede Produktionsverbesserung vergrößerte die Machtposition des Staates, da sie sich in militär. Übergewicht umsetzen ließ. Die Entwicklung einer leistungsfähigen Bürokratie sowie die Verbesserungen der Verkehrs- und Nachrichtentechnik ermöglichten erst die Bildung von Großmächten. Wollte ein Staat seine Machtstellung behaupten, so war die Umstellung auf den K. geradezu notwendig (Rußland Ende des 19. Jahrh.).
Weitgreifende Wirkungen hatte der K. auf die gesellschaftl. Beziehungen (Konzentration des Eigentums in wenigen Händen, Anwachsen der arbeitslosen Einkommen, wiederkehrende Massenarbeitslosigkeiten). Die Klassengesellschaft des 19. Jahrh. setzte an die Stelle der ständischen Bindungen das unpersönl. moderne Arbeitsverhältnis. Arbeiter und Angestellte waren zwar mittelbar am Risiko des Unternehmens, nicht aber an seinem Gewinn beteiligt.
Im Laufe der Entwicklung wurden zunehmend Schranken in das System eingebaut. Die Eingriffe des Staates in das wirtschaftl. Geschehen (Konjunktur- politik, Sozialgesetzgebung, Umverteilung von Einkommen, Ausklammerung ganzer wirtschaftl. Sektoren aus der marktwirtschaftl. Ordnung und damit bewußtes Übergehen der Rechenhaftigkeit) nahmen immer größeren Umfang an. In vielen westl. Ländern ist die Entscheidungsfreiheit des Unternehmers heute so wesentlich eingeschränkt, daß das freie Spiel der Kräfte in Frage gestellt ist. Man ist sich heute nicht mehr einig darüber, ob das Wirtschaftssystem dieser Länder noch kapitalistisch genannt werden kann.

Die Kritik am K. hat diesem stets neue Impulse gegeben: Marx' Verelendungstheorie konnte letztlich schon deshalb nicht recht behalten, weil seine eigenen Erkenntnisse zur Reform des K. Anlaß boten.

{siehe:} Arbeiterbewegung - Aufklärung - Industrialisierung - Industrielle Gesellschaft - Industrielle Revolution - Kapital - Klasse - Klassenkampf- Kommunismus - Liberalismus - Marx - Marxismus Mehrwert Merkantilismus - Sozialismus - Sozialpolitik

J.A.SCHUMPETER: Theorie der wirtschaftl Entwicklung (1912, ,1952); ders.: K., Sozialismus und Demokratie (1946); M.WEBER in: Ges. Aufsätze zur Religionssoziologie (1920/21, l947); W. SOMBART: Der moderne K., 3 Bde (1924-27) E. HEIMANN: Soziale Theorie des K. (1929); ders.: Wirtschaftssysteme und Gesellschaftssysteme (1954); ders.: Soziale Theorie der Wirtschaftssysteme (1963); A.MÜLLER-ARMACK: Entwicklungsgesetze des K. (1931); M.H.DOBB: Studies in the development of capitalism (London 1946); L.v.MISES: Human action (New York u. London 1949); G. v. EYNERN: Die wirtschaftl. Macht (1952); J.K.GALBRAiTH: American capitalism (Boston 1952); Capitalism and the historians, hg. v. F.A.HAYEK (Chicago 1954); O. KLUG: Volkskapitalismus durch Eigentumsstreuung (1962); A.LAUTERBACH: K. und Sozialismus in neuer Sicht (1963); E. WALTER: K. im Übergang (1963); D. HOROWITZ: Anatomie unserer Zeit (1964); Die Zukunft des K., hg. v. E. W. MOMMSEN (1967); CHR. WATRIN in: Die Wiedertäufer der Wohlstandsgesellschaft, hg. v. E. K. SCHEUCH (1968).



alles aus Brockhaus Enzyklopädie 1968 (Der beste Brockhaus, den es je gab)