Rhytmus der Angst



Das Trommeln zerrte an seinen Nerven.
Ständig, ohne Unterbrechung,
wirbelte das monotone Schlagen seine Gefühlswelt durcheinander,
erschütterte die Tiefen seiner Seele.

Bumm! Bumm! Bumm!

Gehetzt eilte er durch die enge Häuserschlucht,
völlig am Ende seiner Kräfte.
Es war heiß. Richtig heiß.
Die Luft flirrte vor Hitze,
es schien, als würde der Asphalt wie ein wogendes Meer
schimmern.
Es wirkte irreal,
so wie die Geschehnisse, die seine Gefühlswelt durcheinander
gebracht hatten.
Sein Hemd war schweißgetränkt,
die salzige Substanz lief auch seine Stirn herab und brannte in seinen Augen. Trotzdem fror er erbärmlich. Der Grund dafür war seine Angst.
Substantielle, tiefgehende Angst.
Eine Angst, die zu seinem ständigem Begleiter geworden war.
Und ihn langsam, aber sicher, von Innen ausgehöhlt hatte.
Bis zum Ende seiner Kräfte.
Seine Beine fegten mechanisch über den Asphalt.
Er hetzte weiter.
Obwohl seine Lungen brannten, seine Beine schwer wie Blei waren.
Die Angst mobilisierte seine letzten Kräfte.

Bumm! Bumm! Bumm!

Gehetzt blickte er sich um.
Aus Augen, in denen sich das Grauen in seinem Innern
widerspiegelte.
Er sah Niemanden,
aber trotzdem war er sich hundertprozentig sicher.
Sie waren hinter ihm her, ein kurzer Moment der Schwäche,
die Pause, die er so dringend benötigte,
und sie wären da.
Würden ihm das Ende bereiten, daß sie ihm versprochen hatten,
langsam und qualvoll.
Und sie hielten ihre Versprechen immer.
Er hetzte weiter.
Passanten sahen kopfschüttelnd hinter ihm her.
Manche mit einem mulmigen Gefühl,
da sie seinen panischen Gesichtsausdruck bemerkt hatten,
andere angewidert wegen seines herunter gekommenen Zustandes.
Er strauchelte.
Im letzten Moment konnte er verhindern, auf das harte Pflaster
der Straße zu stürzen.
Weiter.
Er bog in die nächste Gasse,
auf der sich ebenfalls nur wenige Passanten befanden.

Bumm! Bumm! Bumm!

Hätte er sich doch nicht mit diesen Leuten eingelassen.
Doch jetzt war es zu spät.
Das Kind schon in den Brunnen gefallen.
Alles fing recht harmlos an.
Warum sollte er das Zeug nicht auch verkaufen.
Schließlich konsumierte er es ja auch.
Und im schlimmsten Falle war er dann auch dran.
Sollte die Polizei ihm auf die Schliche kommen.
Er empfand das Risiko nicht wesentlich größer als vorher.
Und finanzierte damit nicht nur seinen Konsum,
sondern verdiente noch gut dabei.

Okay. Sein Freund Huang hatte ihn gewarnt und das nicht nur
einmal.
Seine Lieferanten wären gefährlich,
eine große Organisation, die keinerlei Gewissen besaß.
So wie er auch.
Irgendwann hatte er sich zu sicher gefühlt.
Alles lief wie am Schnürchen.
Und die Gier wurde größer.
Ein kleiner Nebenverdienst erst, dann wurde er immer mutiger.
Und sie waren ihm auf die Schliche gekommen.
Hatten ihn auf schmerzhafte Weise gewarnt.

Bumm! Bumm! Bumm!

Ein hämisches Lachen erscholl in seinem Kopf.
Düstere Chöre quälten seine geschundene Seele, zermarterten
seine Nerven.
Seine Angst steigerte sich noch,
wenn dies überhaupt noch möglich war.
Doch er empfand es so.

"Wir kriegen dich."

Laut und deutlich.
Sein Kopf ruckte herum.
Doch es war niemand zu sehen.
Außer ahnungslosen harmlosen Passanten.
Die Stimme war in seinem Kopf.
Gequält stöhnte er auf.
Und rannte weiter, wie von Furien gehetzt.
Schritt für Schritt.
Seine Schuhe hinterließen ein dröhnendes Geräusch auf dem
Asphalt,
gleich dem Takt der Trommeln in seinem Kopf.
Seine Nerven vibrierten,
seine Augenlider zuckten unkontrolliert.
Ein Fehltritt und schon war es Geschehen.
Hart prallte er auf den Beton und schlug sich schmerzhaft Knie und Ellenbogen blutig.
Der Aufprall des Gesichtes ließ seine Lippe aufplatzen und seine Zähne erschüttern.
Der metallische Geschmack von Blut brachte ihn wieder zur
Besinnung,
rief ihm seine Verfolger in Erinnerung.
Mühsam rappelte er sich auf und taumelte kraftlos weiter.

Bumm! Bumm! Bumm!

Zuerst waren es nur kleiner Mengen an Koks und Marihuana
gewesen,
die er auf eigene Rechnung verkaufte.
Und daß nur seinen zuverlässigsten Stammkunden.
So konnte er diesen sogar etwas Rabatt geben und gleichzeitig noch dazu verdienen.
Doch mit der Zeit wurde er immer unvorsichtiger.
Sein Lebensstil wurde ausschweifender und damit gleichzeitig
auch teurer.
Und der Anteil, der auf eigene Rechnung ging, wuchs
unaufhörlich.
Trotzdem konnte die Organisation zufrieden sein.
Er nahm immer größere Mengen ab,
er war für sie ein richtiger Goldesel,
der Star unter den Dealern.
Doch irgendwie waren sie ihm auf die Schliche gekommen.
Scheinbar hatte ihn jemand verpfiffen.
Oder er war einfach zu sorglos geworden.
Sie hatten ihn gewarnt, aufs Heftigste in die Mangel genommen.
Doch er konnte sich nicht beherrschen.
Für kurze Zeit nur ließ er seinen Nebenverdienst sausen.
Aber seine Geldgier war zu groß.
Nur noch einige Lieferungen, eine kurze Zeit,
bis er genügend Geld zum Verduften hatte.
Er war ein Idiot gewesen.
Und mußte jetzt die Rechnung dafür bezahlen,
inklusive Zins und Zinseszins.
Er wußte, sein Leben war verwirkt.
Er hatte keine Chance mehr.
Trotzdem versuchte er diese zu nutzen.
Gegen alle Erwartungen.
Er hing an seinem Leben.

Bumm! Bumm! Bumm!

Ein plötzlicher, glühender Schmerz in seinem Oberschenkel ließ ihn erneut stürzen.
Dieser verfluchte Zauber.
Innerlich hatte er gelacht, als sie ihm die Konsequenzen für ein erneutes Fehlverhalten klar machten.
Er kannte die geheimen Riten seiner Heimat,
doch als aufgeklärter Mensch hatte er sie für Mummenschanz
gehalten.
Und wurde auf schmerzhafte Weise eines Besseren belehrt. Ein eiserner Ring drückte auf seinen Brustkorb, machte das Atmen zu einer Qual. Panik bemächtigte sich seines Denken, seines Seins, Furcht schien anstelle seines Blutes durch die Adern zu fließen. Seine Lippen bebten in urtümlicher Angst. Sein Herzschlag raste, er mußte die Panik bekämpfen, sonst würde er allem zum Trotz eines natürlichen Todes sterben. Doch er zweifelte kaum noch an seinem baldigen Dahinscheiden. Fast war er so weit, sich einfach fallen zu lassen und auf den Tod zu warten. Seine Muskeln bestanden nur noch aus Schwäche, jeder Atemzug brannte in höllischer Qual. Die Kraft floß aus ihm wie aus einem offenen Wasserhahn. Dann übernahm sein Selbsterhaltungstrieb wieder die Kontrolle.

Mit zitternden Gliedern stand er auf und lief wieder los.
Erst taumelnd, im Trab,
dann immer schneller.
Mechanisch setzte er einen Fuß hinter den Anderen.
Monoton und Automatisch, unbewußt.
Sein bewußtes Sein beschäftigte sich ausschließlich mit seiner Angst.
Angst vor weiteren Attacken.
Und genau diese Angst gab ihm das letzte Stückchen Kraft, ließ ihn weiter fliehen,
trotz Blei in den Gliedern.

Bumm! Bumm! Bumm!

Glühende Nadeln in beiden Bizeps ließen ihn aufschreien. Der Schmerz brannte wie Feuer. Und ließ ebenso plötzlich nach. Eine eiserne Faust drückte seine Kehle zu, verhinderte, daß er atmen konnte. Verzweifelt schnappte er nach Luft, doch seine Kehle war wie zugeschnürt. Das Blut rauschte in seinen Ohren, schwarze Schlieren verschleierten seinen Blick. Verzweifelt schlug er um sich, mitten im Lauf, doch da war Niemand, den er abwehren konnte. Nichts Physisches, nur eine unheimliche Kraft in seinem Geist.

Plötzlich war seine Kehle wieder frei. Gierig sog er nach Atemluft. Und erschrak zutiefst. Er war mitten auf eine stark befahrene Straße getaumelt. Als er sich in Sicherheit bringen wollte, verwandelten sich seine Muskeln in glühenden Schmerz. Mühsam hielt er das Gleichgewicht, verharrte auf der Stelle, nicht fähig, nur den kleinsten Finger zu rühren. Und sah den LKW auf sich zu kommen. Näher und näher. Der Schatten des Lasters wurde immer größer, und er konnte sich immer noch nicht rühren. Dann war es zu spät. Hilflos sah er dem Unheil entgegen. Er nahm noch das schrille Kreischen der Bremsen war. Dann gab es einen fürchterlichen Schlag. Die Welt versank in einer Welle von Schmerz. Bis alle Empfindungen vergingen. Selbst die Stimmen in seinem Kopf.

Für immer.