Karen
Duve - Dies ist kein Liebeslied
Vorwort:
In einer meiner zahlreichen Lifestyle-Fachzeitschriften stieß ich in der
traditionell viel zu kleinen Bücherrubrik auf die Empfehlung für dieses Buch.
Das, was vom Inhalt preisgegeben wurde, schien mir zu gefallen und so
informierte ich mich im Internet weitergehend. Und ehe ich mich versah lag das
Werk zu Weihnachten auch schon auf dem Gabentisch.
Inhalt:
Anne hat ein Problem: Sie ist nie darüber hinweggekommen, dass sie nie eine
Beziehung zum Mann, den sie liebt, aufbauen konnte. Und da sie mit ihrem Leben
unzufrieden ist, entschließt sie sich kurzerhand, auf Konfrontationskurs zu
gehen und Peter, den Mann ihrer Träume, in London zu besuchen. Also kauft sie
sich ein Flugticket und steigt in die Maschine. Im Gepäck hat sie 6
Musikkassetten, die ihr 6 verschiedene Männer aufgenommen haben. An der Form
ihrer Gestaltung könne man schon auf den Charakter der Männer schließen,
meint Anne. Während des Flugs erinnert sie sich an ihr Leben und besonders an
ihre Beziehungen zu Männern. Zunächst ist da ihr Grundschulfreund Axel, mit
dem sie ein Froschhospital führt und vergeblich Frösche behandelt, die in den
Rasenmäher geraten sind. Diesen Axel serviert sie allerdings nach einer Weile
eiskalt ab, weil sie denkt, sie täte ihrer Familie damit einen Gefallen, die
sich immer wieder über Axels seltsames Verhalten beschwert. Sie beschließt,
niemals in ihrem Leben zu lieben, was allerdings nicht so ganz klappt.
Bereits
in dieser Zeit ist Anne wegen ihres Körpergewichtes frustriert, da sie zu den
schwereren Mädchen in der Klasse gehört, ohne wirklich dick zu sein. Sie hasst
den Sportunterricht, wo sie vor den Augen der anderen Kinder immer wieder
versagt.
Auch
Annes Familie ist nicht ganz "normal". Ihre Mutter geht vollkommen in
der unterwürfigen Rolle auf und räumt jedem seinen Dreck hinterher, was
natürlich eiskalt ausgenutzt wird. Annes Vater ist notorisch schlecht drauf und
depressiv, weil sein Leben sich anders entwickelt hat, als er sich das
ursprünglich mal vorgestellt hatte. Anne versucht eine zeitlang, ihren Vater
mir ihrem Schulwissen zu beeindrucken, weil sie ihn für einen sehr gebildeten
Mann hält, der sich schwierige Fragen stellt. Nach einiger Zeit gibt der Vater
aber zu erkennen, dass er vom Verhalten seiner Tochter nur genervt ist.
Das Verhältnis zwischen Anne, ihrer älteren Schwester und ihrem jüngeren
Bruder ist ziemlich gespannt.
Bei
ihrem Wechsel aufs Gymnasium versucht Anne, sich eine neue Identität
aufzubauen, schafft es aber nicht, die große Anerkennung zu gewinnen. Sie wird
zur Außenseiterin, die ihre Pausen alleine auf dem Schulklo verbringt.
Allerdings stört sie diese Rolle auch nicht sonderlich. Nachdem sie einer
Mitschülerin Seife in die Augen geworfen hat, entwickelt sich [so kann's
gehen...] doch noch eine Freundschaft zwischen den Mädchen.
Selbstverständlich
wird auch alsbald das andere Geschlecht ein Thema und damit geht der ganze Trubel
erst los. Anne möchte Freunde haben, für die andere Mädchen sie beneiden,
leidet aber unter Minderwertigkeitskomplexen, da sie sich für übergewichtig
hält. Allerdings hat sie doch einige Freunde während ihrer Schulzeit,
allerdings findet sie diese meist nur so lange begehrenswert, wie sie noch nicht
ihre Freunde sind. Zudem empfindet sie es als Demütigung, dass sie mit einem
ihrer Freunde nicht schlafen kann, da er bei ihr Erektionsprobleme hat.
Während
ihrer Oberstufenzeit werden Annes Leistungen immer mieser und ihr Verhalten
immer sonderbarer. So läuft sie zwischenzeitlich mal von zu Hause weg, bekommt
eine depressive Phase und begeht einen halbherzigen Selbstmordversuch - mit den
falschen Tabletten. Außerdem nähert sie sich immer mal wieder dem legendären
Peter Helmstedt, kommt aber nie wirklich mit ihm zusammen. Sie ist in ihn
verliebt, er aber nicht in sie und das Gefühl des Nicht-Geliebt-Werdens wird in
der Folgezeit elementarer Bestandteil von Annes Leben.
Nach
dem Abitur geht Anne den verschiedensten Jobs nach, fällt durch die Prüfung
zur Steuerinspektorin, was ihren Vater richtig wütend macht, macht zahlreiche
Begegnungen mit skurrilen Menschen und hat zahlreiche skurrile Freunde, die sie
aber nicht wirklich liebt. Außerdem hasst sie ihren Körper weiterhin, fühlt
sich hässlich und zu dick, was dazu führt, dass sie sich immer mehr
abschottet. Schließlich wird sie Taxifahrerin und hat einen stinkreichen
Freund, den sie aber nach einer weiteren denkwürdigen Begegnung mit Peter
wieder verlässt. Obwohl sie erstmals guten Sex hatte.
Schließlich
trifft Anne ihren ersten Freund Axel wieder und landet über ihn bei einem
merkwürdigen Therapeuten, macht Gruppensitzungen, die sich
"Workshops" nennen, mit, die sie mehr fertig machen, als dass sie ihr
helfen und wechselt auch mal ins lesbische Lager. Annes Leben ist mehr und mehr
von Komplexen geprägt und ihre Angst und ihr Ekel vorm Dicksein führen
schließlich dazu, dass sie auch tatsächlich stark zunimmt und sich nun
erstrecht nicht mehr traut, soziale Kontakte aufzubauen.
Und
schließlich landet ihr Flugzeug in London und sie besucht Peter - fast schon
hoffnungslos, weil sie sich nicht vorstellen kann, dass ein Mann wie er eine
"Tonne" wie sie lieben kann. Und wieder wird ihr Treffen ein Desaster.
Er hat eigentlich keine Zeit für sie, da England gegen Deutschland im Fußball
spielt und er mir Geschäftsfreunden ins Stadion geht. Für Anne ist das zu viel
und in einer großen Szene gesteht sie ihm ihre Liebe. Irgendwann kommt Peter
zurück und trotz Annes Komplexen schlafen die beiden miteinander. Doch anstatt
anschließend auf eine Beziehung zu hoffen, stielt sich Anne davon, um nach dem
Moment des Glücks nicht wieder enttäuscht zu werden.
Bewertung:
Der Klappentext beschreibt es schon ganz richtig: Ein Roman, der weh tut,
bis man sich vor Lachen kaum noch halten kann. Gerade die erste Hälfte des
Buches ist noch sehr humorvoll geschrieben und nicht nur verbittert. Karen Duve
baut da auch mitunter Sätze ein, die mich vollends begeistert haben, wie zum
Beispiel: "Diesmal brach ich ihm nicht das Herz, sondern bloß das
Schlüsselbein." Sowieso ist das Buch unglaublich straff geschrieben, ich
habe es regelrecht verschlungen, weil es mich einfach gefesselt hat. Leider ist
es mit 280 Seiten ziemlich kurz geraten, obwohl man nicht behaupten kann, dass
zu viel bzw. überhaupt etwas offen gelassen worden wäre. Aber bei den heutigen
Buchpreisen möchte man natürlich viel Lesestoff haben.
In
der Kritik am Sportunterricht, die im Buch seitens der Ich-Erzählerin geübt
wird, finde ich meine eigene Position nahezu identisch wieder. Die Formulierungen
könnten meinem Mund entstammen - auch wenn mein Problem beim Sport nicht mein
Gewicht ist.
Die
Autorin greift im Buch immer wieder kleine Motive auf, die sie viel weiter vorne
bereits benutzte. Diesen Schreibstil bewundere ich, er sorgt immer wieder für
herrliche Pointen. Auch das "Gewichtsproblem" zieht sich ja wie ein
roter Faden von vorne bis hinten durch das Buch.
Neben
dem humoristischen Teil hat das Buch aber durchaus Tiefgang, denn es bietet ja
auch eine ernsthafte Psychostudie. Auf ziemlich eindringliche Weise wird dem
Leser gezeigt, wie die Hauptakteurin sich immer mehr in
Minderwertigkeitskomplexen verliert, die ihr zum Ende hin fast jeden sozialen
Kontakt unmöglich machen. Immer wenn jemand nett zu ihr ist, fasst sie das als
Mitleid für ihr Körpergewicht auf und wenn sie beleidigt wird, hält sie das
aus dem selben Grunde für gerechtfertigt. Die Wurzeln für diese Komplexe
liegen sicherlich auch schon in der Erziehung, schließlich bekommt sie ja schon
früh durch besonders das Verhalten ihres Vaters das Gefühl gegeben, sie sei
eigentlich wertlos und überflüssig.
Die
Anzahl und Verworrenheit der Komplexe nimmt zum Ende des Buches hin allerdings
immer mehr zu, was stark am Unterhaltungswert nagt. Wie schon bei anderen
Büchern über "kaputte Typen", wird mir das auch hier mit der Zeit zu
extrem. Gerade das Kapitel mit den therapeutischen Sitzungen empfand ich als
relativ schwach, auch wenn es aus rein psychologischer Sicht wohl nur eine
logische Konsequenz ist. Anne erlebt in diesem Kapitel den totalen Zusammenbruch
und wird vollkommen absonderlich.
Das
letzte Kapitel ist in meinen Augen recht schockierend gewesen, die Darstellung
der inneren Zerrissenheit zwischen abgrundtiefer Verehrung für Peter und
extremen Selbstzweifeln, die fast alles zerstören, empfand ich als
erschütternd. Ich habe ja keine Ahnung von Psychologie, aber dass ein Mensch
das Gute so sehr verweigert, weil er wider besseren Wissens nicht einsehen kann,
dass es gut ist, ist doch ziemlich schrecklich. Und das Ende des Buches
hinterlässt eher einen bitteren "Nachklang", als einen amüsierten.
Toll
finde ich die Einarbeitung des Endes in das Halbfinale der EM 1996 zwischen
Deutschland und England. Annes Verhalten wird dabei quasi übertragen auf die
Versagensängste der Elfmeterschützen. Insgesamt ist das Buch eh sehr stark
durch "schöne Nebensachen" wie Musik, Fußball und Sex geprägt.
Fazit:
Ich habe das Buch sehr genossen und kann es auch bedenkenlos
weiterempfehlen. Das Ende ist kein wirklich Happy-End, ist aber dennoch gut
gemacht. Die erste Hälfte des Buches verdient sicherlich uneingeschränkt 5
Sterne, zum Ende hin wird mir das Ganze aber zu verrückt. Das
Therapeuten-Kapitel übersteigt meine psychologische Vorstellungskraft. Daher
gibt es insgesamt 3 Sterne:
+***