Kat hielt an de roten Ampel und zog eine Grimasse. Sie konnte nach rechts fahren und einen Umweg von 10 Meilen bis zu ihrem Haus machen, oder sie konnte links abbiegen und sie wäre in fünf Minuten Zuhause. Das wäre einfach. Nur…würde sie links abbiegen, müsste sie über die Brücke fahren. Sie seufzte und wartete auch die Grün-Phase ab. Sie brauchte mehr Zeit zum nachdenken.
Es war kurz nach drei am Morgen und die Strassen waren still, als sie da saß und eine neue Grün-Phase abwartete. Kat war seit zwei Jahren nicht mehr in der Nähe der Brücke an der Williams Street gewesen und sie war sich nicht sicher, ob sie jemals dort hin zurück wollte. Sie war kurz davor gewesen von dem Sims der Brücke zu springen und es war reines Glück gewesen, dass Officer McCain dorthin gekommen war, um sie davon abzubringen. Er hatte ihr Leben gerettet und sie hatte das niemals vergessen. Kat seufzte und beschloss sich ihren Ängsten zu stellen. Sie konnte über die blöde alte Brücke fahren. Sie konnte ihr doch nichts tun. Es war nur eine Brücke.
Sie nahm einen Schluck von ihrer Latte Machiato und als die Ampel jetzt schon das dritte Mal grün zeigte, bog sie links ab und fuhr direkt auf die Brücke zu.
Kat sah zu, wie in der dunstigen Nachtluft das Geländer durch die Scheinwerfer ihres Autos angeleuchtet wurde, als sie der Brücke immer näher und näher kam. Sie fühlte, wie ihr Puls anfing zu rasen, wie ihre Handflächen plötzlich schweißnass waren, als die Vorderräder ihres Wagens das allzu bekannt bump-bump über die Metallraster machten, als sie auf die Brücke fuhr.
„Ich werde nicht runter sehen. Ich werde nicht runter sehen.“ flüsterte sie zu sich selbst, ihre Augen starr auf die Strasse vor sich gerichtet, die Tatsache versuchend auszuschließen, dass sie auf einer Brücke war.
Sie begann das Lenkrad wie verrückt zu umklammern, als wäre es das einzige, was sie davon abhalten konnte 200 Meter in die Tiefe zu stürzen. Sie wollte es einmal tun, aber jetzt grade empfand sie es nicht gerade für eine gute Idee.
Sie hatte schon die Hälfte der Brücke hinter sich. Aber Kat fühlte sich, als ob sie sich in Slow-Mode bewegen würde. Sie atmete tief durch und lockerte ihren Griff am Lenkrad, gerade als sie eine Bewegung in ihrem linken Augenwinkel sah. Sie musste sich fast zwingen ihren Kopf in dieselbe Richtung zu drehen und in dem Moment, wo sie zum Geländer sah, sah sie einen Typen in einer dunklen Jacke, der seine Beine über das Geländer warf und sich auf dasselbige setzte.
Kat’s Herz setzte einen Moment lang aus. Das konnte nicht passieren. Sie trat aufs Gaspedal und schaffte es auf die andere Seite der Brücke in weniger als drei Sekunden. Sie lenkte ihr Auto an den Straßenrand und blieb mit quietschenden Reifen dort stehen.
Hastig griff Kat nach ihrer Jacke auf dem Beifahrersitz und sprang aus dem Auto, ohne an die Schlüssel zu denken, die sie in der Zündung stecken gelassen hatte, ohne das Auto überhaupt abzuschließen. Dass das Auto gestohlen werden könnte war ihre kleinste Sorge in diesem Moment. Officer McCain war da gewesen, als sie ihn brauchte und dieser Typ brauchte jetzt auch jemanden.
Mit einem Sprint in Rekordzeit schaffte sie es zurück zur Brücke. Kat blieb einen Moment lang stehen, bevor sie ihren Fuß vorsichtig auf den harten Beton der Brücke setzte. Das war’s. Sie war drauf und dran die Brücke wieder zu betreten. Um zu dem Sims zu gehen. Zu dem Sims, wo sie vor zwei Jahren gestanden hatte. Sie hätte niemals gedacht, dass sie dies jemals wieder tun würde. Kat schloss ihre Augen, atmete tief durch und machte Schritt für Schritt auf das Geländer zu. Es war jetzt zu spät um umzukehren.
Sie wollten den jungen Mann, der dort auf dem Geländer saß, nicht erschrecken, also ging sie langsam auf die Stelle zu, wo er saß. Sie war noch etwa zwei Meter von ihm entfernt, als sie sah, wie er seinen Kopf schüttelte und sich vom Geländer abstieß.
„Nein!“ rief Kat, als er aus ihrem Blickfeld verschwand.
Bitte fall auf den Sims. Bitte fall auf den Sims. Bitte fall auf den Sims.
Bat sie leise und verzweifelt vor sich hin. Sie hatte damals mehr als zwei Stunden auf dem einen halben Meter breitem Sims, der sich anderthalb Meter unter dem Geländer der Brücke befand, verbracht.
„Hallo?“ rief sie und lehnte sich, soweit sie konnte über das Geländer nach unten.
Ihr schwarzes Haar fiel ihr ins Gesicht, als sie endlich den jungen Mann erkannte, der unter ihr auf dem kleinen Sims hockte, auf die Autobahn unter sich starrend.
„Geh weg.“ knurrte er zu ihr nach oben, seine Augen nicht von den weißen Streifen nehmend, die 100 Meter unter ihm auf den Asphalt gemalt waren.
„Ummm….ich heiße Kat. Auch nett dich kennen zu lernen. Bist du okay?” fragte sie behutsam.
„Geh weg.“ wiederholte er.
„Kann ich zu dir runter kommen?“
Kat lehnte sich noch weiter über das Geländer und so zu ihm hinunter.
„Nein.“ knurrte er.
„Dann bleibe ich einfach hier oben sitzen.” sagte sie, stemmte sich nach oben, ihre Beine über das Geländer werfend und sich vorsichtig darauf niederlassend, sodass ihre Beine neben seinem Kopf baumelten.
Sie wollte nicht runter sehen, aber konnte es nicht verhindern. Ihre Augen schlossen sich wie von selbst, als ihr Magen sich fast ganz umdrehte. Einen Moment lang war ihr schwindelig und sie biss sich auf ihre Unterlippe, um das Schwindelgefühl zu überwinden.
Du kannst ihm helfen. Sei für ihn da. Officer McCain ist für dich auf den Sims runter gekommen. Du weißt, wie das ist.
„Wenn du hier runter kommst, springe ich.” warnte er mit leiser Stimme.
„Und wenn ich hier oben bleibe, tust du es nicht?“ fragte Kat zurück in der Hoffnung er würde ja sagen, im Wissen, dass er es nicht tun würde.
„Ich werde springen.“
„Wenn du es sowieso machen wirst, werde ich lieber runter kommen und wenigstens versuchen zu helfen.“
„Komm nicht hier runter.“ erwiderte er mit weniger werdender Überzeugung.
„Weißt du…ich bin genau dort gewesen, wo du gerade bist. Buchstäblich.“
Kat sah sich langsam um und seufzte.
„Na ja, eigentlich saß ich ein Stück noch weiter da rüber, näher an dem, in Richtung Süden gehenden, Verkehr.“ fuhr sie fort und wies mit ihrer Hand nach links, die Brücke nach oben.
„Ja sicher.“
„Am 21. September vor zwei Jahren. Es war aber etwas früher, glaube ich. Da war noch der Verkehr da unten.“
Kat nickte auf die leere Autobahn unter ihnen.
„Das alles hier geht dich nichts an.“
Der junge Mann drehte sein Gesicht zu ihr nach oben. Seine Augen…plötzlich sahen sie allzu bekannten Augen an. Über ihr Gesicht flackerte die Wiedererkennung und er blickte sie einen Moment finster an, bevor er seinen Blick wieder auf die Autobahn unter sich richtete.
„Super. Du weißt, wer ich bin, oder?“ fragte er zornig.
Um ihn nicht weiter aufzuregen, schüttelte Kat langsam ihren Kopf.
„N-nein…Nein…sollte ich?“ stotterte sie, obwohl sie ihre Stimme grade zu halten versuchte.
Was zu Hölle tat er um drei Uhr Morgens auf diesem Brückensims? Der Typ von den Backstreet Boys? Das war etwas womit Kat nicht gerechnet hatte. Sie fühlte, wie ihre Zuversicht auf den Nullpunkt sank.
„Nein.“ sagte er schnell.
„Ich bin niemand.“
„Aber du hast einen Namen?“ fragte sie sanft.
„Damit ich weiß, mit wem ich hier rede.“
„Nein.“
Er schüttelte seinen Kopf und schwang seine Füße vor und zurück.
„Okay. Dann nenn ich dich Freddy.“
Kat lächelte nervös.
„So…was machst du heute Abend schönes, Freddy?”
„Nenn mich nicht so.“ flüsterte er leise.
„Wie willst du, dass ich dich nenne?“
„Ich will, dass du mich allein lässt.“ knurrte er als Antwort.
„Tut mir leid, aber ich kann das nicht machen.“
Kat schüttelte energisch ihren Kopf und atmete tief durch.
„So wie ich es grade gesagt habe, ich habe auch auf diesem Sims hier gesessen. Ein Polizist kam und hat sich neben mich gesetzt. Officer McCain. Er hat mir sehr geholfen.”
Kat machte eine Pause und hilft die Luft an, als sie ihn unruhig auf dem Sims herumrutschen sah.
„Es ist…es ist nicht so schlimm, wie du denkst.“
„Woher willst du das wissen?“
„Was könnte schlimmer sein, als zu sterben?“
„Eine Menge.“ erwiderte er leise.
„Willst du darüber reden?“ fragte Kat behutsam.
Ihr wurde es langsam unbehaglich weiterhin auf diesem Geländer zu sitzen.
„Nein.“
Er schüttelte wieder den Kopf und begann zu weinen.
„Warum kommst du nicht hier zu mir nach oben? Ich lad dich zu einem Kaffee ein und wir können reden.“
„Ich trinke keinen Kaffee.“
„Was?“ fragte Kat verwirrt, nicht sicher, ob sie ihn richtig verstanden hatte.
„Ich trinke keinen Kaffee.“ wiederholte er ein bisschen lauter.
„Wie wär’s mit einem Wasser? Cola? Fanta? Whiskey? Milch? Was auch immer du trinken willst, ich lade dich dazu ein. Komm einfach hier nach oben.“
Er antwortete nicht. Kat seufzte bevor sie ihren nächsten Satz aussprach.
„Ich komme zu dir runter, wenn du willst, dann müssen wir nicht immer schreien.“
Sie wartete, dass er wieder „nein“ sagte. Damit er ihr einen guten Grund gab hier oben auf dem sichereren Geländer zu bleiben. Er gab überhaupt kein Geräusch von sich. Kat nahm all ihren Mut zusammen und ließ sich vorsichtig auf den Sims hinunter. Sie hatte es schon einmal getan. Warum macht es ihr jetzt soviel Angst? Der Sims war klein. Vielleicht war es das. Er war viel kleiner als sie ihn in Erinnerung gehabt hatte. Sie zitterte leicht, als sie so weit wie möglich von der Kante wegrutschte und schließlich, eng an die Seite der Brücke gedrückt, sitzen blieb.
„Was kümmert es dich, was ich mache?“ fragte er leise.
„Weil du jemanden brauchst, der sich um dich kümmert. Und heute Nacht, werde ich es sein.“
„Du solltest mich einfach springen lassen.“
„Ich werde dich nicht aufhalten.“ sagte sie sanft.
„Wenn es das ist, was du wirklich möchtest, dann gibt es nichts, was ich sagen könnte, dass deine Entscheidung ändern könnte.“
Sie schüttelte wieder einmal ihren Kopf und versuchte nicht runter zu sehen.
„Ich denke einfach, dass das nicht das ist, was du tun willst.“
„Doch ist es.“ beharrte er.
„Na dann…wenigstens kann ich versuchen zu helfen. Dann fühle ich mich besser.“
„Und das alles hier ist, damit du dich besser fühlst, hab ich recht?“
„Nein, das meinte ich nicht.“
Kat schloss ihre Augen und lehnte ihren Kopf zurück gegen den Stein.
„Wenn ich dich allein hier auf dem Sims lassen würde, würde ich nicht mehr fähig sein mit mir selbst zu leben. Nicht jetzt, wo ich mich irgendwie verpflichtet habe und meinen Arsch das zweite Mal hier runter auf Sims gebracht habe.“
Sie konnte sich nicht überwinden, ihre Augen wieder zu öffnen.
„Warst du wirklich hier?“
„Ja.“ nickte Kat mit geschlossenen Augen.
„Warum?“
„Ich wollte springen.“
Sie öffnete ihre Augen, aber nur einen Spalt breit, so dass sie ihn ansehen konnte.
„Ach wirklich…”
„Ich hatte eine schreckliche Woche.”
Kat lächelte leicht und begann ein bisschen vor Kälte zu zittern. Es war kälter, als sie es erwartet hatte.
„Ich…ich wurde bei meinem Job gefeuert und aus meiner Wohnung geschmissen, an ein und demselben Tag. Ich hatte außerdem ein paar Drogenprobleme und war grad von einem Trip runter gekommen und hatte sowieso grade großes Mitleid mit mir selbst. Ich war auf dem Weg zu einer Freundin, um zu sehen, ob ich bei ihr schlafen könnte. Und auf diesem Weg kam ich über diese Brücke, ich setzte mich auf das Geländer und saß dort eine Weile bis ich mich auf den Sims hier runterließ, mit dem festen Willen zu springen. Ein Polizist hat mich gesehen und hat sich zu mir gesetzt. Er hat mein Leben gerettet, in einem Moment, in dem ich nicht einmal gedacht hatte, dass ich ein Leben hatte, dass man retten konnte.“
„Was hat er gesagt, dass du es dir anders überlegt hast.“
„Er hat gesagt, dass er für mich da ist, dass er mich nicht los lassen würde. Er hat die ganze Zeit den Ärmel meines Pullis festgehalten.“
„Wirklich?“ fragte er leise und sah zu Kat rüber.
„Wirklich.“
Sie lächelte, streckte ihre Hand aus und griff nach der Tasche seiner Jacke.
„Ich bin für dich da und werde dich nicht los lassen.“
„Das funktioniert nicht immer.“
Er sah weg und wischte sich die Tränen von seinen Wangen.
„Ich weiß.“ nickte Kat.
„Aber es kann nicht schaden.“
Für einige Minuten sagte er gar nicht. Er schniefte nur und wischte sich ein paar Mal die Tränen wieder von den Augen.
„Ich habe Menschen, denen ich etwas bedeute, weißt du?“ flüsterte er nach langen fünf Minuten und drehte sich ihr wieder zu.
„Okay.“ erwiderte sie.
„Das ist sehr gut, das ist ein Anfang. Was denkst du, was würden sie jetzt gerade zu dir sagen?”
„Ich weiß es nicht.“
Er schüttelte müde seinen Kopf.
„Darf ich raten?“
„Du kennst sie nicht einmal.“ erwiderte er, wobei in seiner Stimme ein angenervter Ton mitklang.
Kat zuckte gleichgültig die Schultern.
„Ich wette, sie würden dasselbe sagen, was ich dir sagen würde. Tu es nicht. Was auch immer es ist, das dich hier her gebracht und diese Gedanken in deinen Kopf gesetzt hat, man kann es regeln.“
„Es ist nichts, was man regeln müsste. Ich habe mich zu sehr verändert und ich kann nicht zu dem zurückgehen, was ich einmal gewesen bin. Wie ich einmal gewesen bin.“
„Du magst nicht, wo du grade bist?“ fragte Kat vorsichtig, immer im Kopf behaltend, dass sie ja nicht wissen sollte, wer er war.
„Nein.“ erwiderte er und schüttelte seinen Kopf langsam.
„Ich habe alles, was ich mir jemals erhofft habe und es ist nicht mehr genug.“
„Was willst du gerade jetzt?“
„Ich will nach Hause.“ flüsterte er und seine Unterlippe begann zu zittern.
„Wo ist dein Zuhause?“
Sie musste eigentlich nicht fragen, weil sie es wusste. Aber sie tat es trotzdem.
„Kentucky.“ antwortete er leise.
„Ich kann dir helfen nach Hause zu kommen.“ lächelte Kat und griff etwas fester nach seiner Tasche.
„Es ist nicht so einfach.“
Wieder schüttelte er seinen Kopf.
„Ich bin mir sicher, dass es das nicht ist.“ stimmte sie ihm zu.
„Aber wenn du von diesem Sims runter gehst, werde ich dich überall hinbringen.“
„Wenn ich nach Hause gehe würde es trotzdem nichts ändern. Ich bin jetzt wer ich bin. Ich kann es nicht mehr ändern.“
„Doch kannst du!“
„Nein…kann ich nicht. Nicht ohne das ich alles aufgebe.“
„Vielleicht ist es das wert, dass du alles aufgibst.“
„Ich würde alle im Stich lassen, wenn ich aufgeben würde.“
Er seufzte und starrte auf den Boden.
„Ich habe sie alle genug enttäuscht.“
„Du wärst überrascht. Menschen kann man nicht so leicht enttäuschen, wie du denkst.”
Kat lächelte leicht.
„Aber wenn es das ist, was dir sorgen macht. Ich wäre sehr enttäuscht von dir, wenn du springen würdest.“
Er lachte kurz auf, bevor er seine Nase mit dem Ärmel seiner Jacke abwischte.
„Das funktioniert nicht. Ich kenne dich nicht und es kümmert mich einen Dreck, ob ich dich enttäusche oder nicht.“ sagte er und Kat wusste, dass er es nicht wirklich böse gemeint hatte.
„Ich mag dich und ich will nicht, dass du springst.“ flüsterte Kat sanft.
„Ich passe nirgends hin.“ sagte er einen Moment später, gar nicht auf ihren Satz vorher eingehend.
„Was ist mit deinen Freunden?“
„Nein. Sie sind anders.“
„Jeder ist anders.“
„Sie passen alle zueinander. Ich meine, wenn die Leute uns ansehen bin ich derjenige, der nicht da rein passt.“
Er seufzte traurig. Kat dachte an die anderen in der Gruppe und fragte sich, was er meinte. Sie alle passten gut zusammen, sie konnte sich ihn nicht als Außenseiter oder anders vorstellen.
„Du passt da irgendwie und irgendwo rein. Du vervollständigst deinen Freundeskreis. Du bist das, was sie vermissen.“ flüsterte sie sanft, als ihr Herz brach, als er ihr seines ausschüttete.
„Niemand weiß, wie es mir weh tut.“ flüsterte er nach ein paar weiteren Minuten in Stille.
Er versuchte seine Tränen zurück zuhalten, aber er schaffte es nicht.
„Ich meine, ich weiß, dass ich immer als der Typ rüber komme, der alles hat. Eine wunderschöne Freundin, ein tolles Auto, den…den unglaublichen Job.“
Er machte einer Pause und wischte sich wieder seine Nase ab.
„Aber ich habe hart für alles was ich habe gearbeitet und ich habe mehr Opfer gebracht, als es sich jemals jemand vorstellen könnte.“
„Aber das ist es worum es im Leben geht: Opfer bringen.“
„Ich weiß das. Aber ich habe Dinge aufgeopfert, die ich niemals wieder bekommen kann. Meine Moral, meine Normen, meinen Glauben…meine Familie.“
Er hustete leicht und fuhr sich über die Augen, um seine Tränen wegzuwischen.
„Keiner kann verstehen, wie sehr das weh tut. Ich würde alles Materielle aufgeben, nur um das alles wieder zu bekommen.“
Kat nahm ihre Hand von seiner Tasche und suchte nach seiner, um sie zu ergreifen und sie ganz fest zu halten. Sie war sich nicht sicher, ob das eine gute Sache gewesen war, weil wenn er springen würde, würde er sie jetzt letztendlich mit sich reißen. Er griff fest nach ihrer Hand und warf ihr ein schwaches Lächeln zu.
„Unter anderen Umständen, wäre das ein netter Abend.“ sagte er leise, auf ihre Hände hinab sehend.
„Das kann er immer noch sein.“
„Nein.“
Er schüttelte wieder seinen Kopf.
„Du willst nicht springen.“
Kat’s Puls begann zu rasen. Wenn er jetzt springen würde, wäre sie mit dran.
„Doch will ich.“ flüsterte er, als er anfing zu weinen.
Er zog seine Knie an seinen Oberkörper und vergrub sein Gesicht in seinem Arm, aber ließ nicht ihre Hand los.
Sie ließ ihn einen Moment lang in Ruhe und ließ ihn weinen…er hatte seinen Stolz. Sie verlagerte ihr Gewicht von der einen Seite ihres Hinterns auf die andere, versuchend zu verhindern, dass ihre Beine einschliefen. Es schien, als würde es immer kälter werden, als es anfing zu winden und der Wind ihre Haare in ihr Gesicht wehte.
Sie strich sich die Strähnen aus dem Gesicht und starrte in den Horizont. Es war eigentlich gar nicht so schlimm dort oben, solange man nicht nach unten sah. Kat bewegte ihre Beine ein wenig, um das Blut in ihnen zu bewegen und um etwas zu haben, wo drauf sie sich konzentrieren konnte.
Unter anderen Umständen wäre das ein schöner Abend geworden. Ja, das wäre er. Ich sitze unter den Sternen und halte die Hand von einen der berühmtesten Menschen auf der Welt. Wie viele Mädchen würden sterben, um an meiner Stelle zu sein? Sterben. Nicht gerade die beste Wortwahl.
Kat kniff die Augenbrauen zusammen, als sie ihre Gedanken versuchte zu ordnen. Sie dachte zurück an den Tag, als sie hier gesessen hatte und was Officer McCain damals zu ihr gesagt hatte. Was war es gewesen, was alles anders hatte aussehen lassen?
„Hey…!“ grinste sie plötzlich.
„Ich gebe dir einen Dollar, wenn du nicht springst.”
Sie lächelte, hoffend, die Reaktion zu bekommen, auf die sie gehofft hatte. Er lachte kurz auf und lächelte sie an.
“Du versuchst alles, oder?”
„Alles und jedes.“ erwiderte Kat, als sie leicht anfing zu zittern und ihren freien Arm unter ihren anderen klemmte, um sich selbst etwas warm zu halten.
„Es tut mir leid, dass du hier deine Zeit vergeudest.“
„Ich denke nicht, dass ich da tue. Du bist bisher noch nicht gesprungen.“
Kat schüttelte ihren Kopf.
„Ich hoffe, dass, je länger ich warte, du mehr darüber nachdenkst, warum du nicht springen solltest.“
„Ich denke nur darüber nach, warum ich springen sollte.“
„Tu mir einen Gefallen.“
„Nein.“
Kopfschütteln.
“Sag mir einfach eine Sache, die dich glücklich macht.” flüsterte Kat schnell, als ihre Zähne unwillkürlich anfingen zu klappern.
„Du solltest wieder nach oben gehen. Du frierst.“
„Ein kleiner Preis, den ich gerne zahle.“ erwiderte sie und sah ihm tief in die Augen.
„Was macht dich glücklich?“
„Nichts.“
Er brach den Augenkontakt und starrte runter auf der erste Auto, das sie in dieser Nacht sahen. Einen Moment lang breitete sich Stille zwischen den beiden aus, bevor er sich ihr wieder zuwandte.
„Bist du glücklich?“
Kat dachte für einen Moment nach und starrte auf ihre Armbanduhr. Es war nach vier Uhr morgens. Sie waren schon über eine Stunde auf diesem Sims und der morgendliche Berufsverkehr würde bald über die Autobahn jagen.
„Ich weiß es nicht.“
Sie zuckte ihre Schultern.
„Du weißt nicht, ob du glücklich bist?“
„Ich bin nicht unglücklich. Ich denke, das ist besser, als gar nichts.“
„Denkst du?“
„Ich bin lieber unentschieden, als unglücklich. Was ist mit dir?
„Ich sollte glücklich sein.“
„Aber das bist du nicht?“
Er schüttelte seinen Kopf.
„Würde ich hier sein, wenn ich es wäre?“
„Stimmt.“
Kat nickte.
„Bist du jemals glücklich?“
„Sicher.“
Er sah ihr in die Augen und lächelte sie kurz an.
„Wann?“
„Wenn ich Basketball spiele. Oder wenn ich ein wunderschönes Mädchen lächeln sehe.“
Kat setzte ihr bestes Lächeln auf, all ihre Zähne zeigend. Er lachte leise.
„Oder wenn ich meine Familie sehe.“
„Wenn du springst, kannst du das alles nicht mehr sehen oder machen.“
„Ich weiß.“
Er nickte langsam.
„Ist die ganze Scheiße es wert diese Dinge zu verlieren, wenn du jetzt springst?“ fragte sie leise.
Er antwortete nicht, sondern starrte sie nur an.
„Du sagst, deine Familie macht dich glücklich, aber denk doch mal daran, was du ihnen mit dem hier antun würdest. Wenn sie einen Anruf bekommen, der sie morgens weckt und sagt, dass ihr Sohn, ihr wundervolles, geliebtes Kind einen Hechtsprung von einer Brücke gemacht hat.“
Kat unterbrach sich selbst.
„So eine Art von Schmerz geht nicht weg.“
„Du warst auch kurz davor es zu tun.“
„Richtig. Und ich hatte keine Familienmitglieder, die diesen Anruf bekommen hätten. Ich hatte keine Freunde, die sich so viele Sorgen um mich machen würden, dass sie nach mir suchen würden, würde ich ein paar Tage lang nicht bei ihnen auftauchen. Ich hatte nichts. Ich hatte weniger als nichts.“
Kat fühlte, wie Tränen ihre Augen hochstiegen.
„Und deshalb kann ich nicht verstehen, warum du es überhaupt in betracht ziehst. Ich mein, du magst vielleicht nicht, wer du bist, aber das kannst du immer ändern. Du hast dein ganzes Leben, um der zu werden, der du wirklich sein willst.“
Sie wischte sich schnell die Tränen von den Augen, als ihr schwarzes Haar ihr ins Gesicht geweht wurde. Sie strich es beiseite.
“Du kannst alles ändern und das weißt du. Du kannst glücklich sein. Wenn du nur aufhörst zu denken, dass das Leben gratis ist. Ich meine, es ist egal, wie schwer es wird, es ist egal wie scheiße es dir manchmal vorkommt, wenigstens bist du am Leben.“
„Aber ich will es nicht sein.“ behauptete er und wischte seine Tränen wieder weg.
„Doch, dass willst du. Du bist noch immer hier. Wenn du es wirklich ernst gemeint hättest, wärst du schon längst gesprungen, bevor ich überhaupt hier her gekommen wäre. Du wolltest, dass dich jemand findest, dass dich jemand davon abhält.“
„Nein, das wollte ich nicht.“
Kat atmete tief durch und ließ seine Hand los. Sie schloss ihre Augen.
„Dann tu es.“ sagte sie mit fester Stimme, bevor sie es sich anders überlegen konnte.
„Was?“ fragte er, geschockt von ihrem Befehl.
„Aber bevor du es machst, sollst du wissen, dass ich dich mag und dass ich nicht will, dass du springst. Du hast in mir einen Freund, wenn du das willst. Du kannst machen, was du willst, aber ich werde immer für dich da sein, egal was passiert.“
Er starrte sie an, ohne etwas zu sagen. Plötzlich griff er nach ihrer Hand und hielt sie ganz fest. Kat’s Ängste trafen sie mit voller Wucht und sie versuchte sich loszureißen. Der einzige Gedanke, der in diesem Moment durch ihren Kopf schoss war, dass er nur ihre Hand genommen hatte, um sie mit ihm in den Tod zu reißen. Sie bemühte sich ihre Hand frei zu bekommen, der Tatsache voll bewusst, dass die scharfe Kante des Sims in ihre Beine schnitt.
„Bitte lass mich nicht los.“ bat er sanft, sie mit einem tränennassem Gesicht ansehend.
„Ich will es nicht tun.“ flüsterte er weiter und vergrub sein Gesicht in ihrer Schulter.
Kat atmete erleichtert aus und legte liebevoll ihren Arm um ihn, als seine warmen Tränen auf ihren Hals tropften. Sie zitterte wieder, als der Wind ihnen wieder um die Ohren blies und ihr Haar wieder in ihr Gesicht geweht wurde. Sie strich es schnell weg und ihre linke Hand fand ihren Weg in sein Haar, durch das sie sanft und beruhigend strich.
„Es ist okay.“ flüsterte sie sanft.
„Es tut mir leid.“ flüsterte er mit erstickter Stimme zurück.
„Es ist okay.“ wiederholte sie ebenso sanft wie vorher und strich ihm weiter durch sein Haare.
„Es wird alles wieder gut.“
Kat musste sich selbst zurück halten, um nicht vor Erleichterung zu weinen.
„Danke.“ flüsterte er und klammerte sich an ihre Jacke.
„Gern geschehen.“ erwiderte sie leise.
„Gern geschehen.“
Sie saßen so zusammengekauert für ein paar Minuten, bis die Auto unter ihnen anfingen zu hupen, ein sicheres Zeichen, dass sie entdeckt waren und die Polizei bald unterwegs sein würde.
„Lass uns nach oben gehen, wenn du Polizei erst einmal auftaucht…“
„Ja…“ nickte er.
Er hatte den Satz verstanden, obwohl sie ihn nicht zu Ende gesprochen hatten. Er setzte sich auf und wischte sich die Tränen vom Gesicht.
„Du hast mein Leben gerettet.“
„Nein.“
Kat schüttelte lächelnd ihren Kopf.
„Ich habe dir geholfen, dein eigenes Leben zu retten.“
Sie lächelte, denselben Satz benutzend, den Officer McCain damals benutzt hatte, als er sie gerettet hatte. Er rutschte noch ein Stück näher an sie heran, als beide versuchten ihre eingeschlafenen Beine aufzuwecken. Kat’s Lächeln wurde größer, als sie sah, wie die Sonne aufging. Sie hatte es geschafft! Sie stellte ihre Beine vorsichtig auf und griff nach oben ans Geländer, um sich hochzuziehen. Sie hielt sich fest, als sie versuchte sich hochzuziehen und ihre Beine über das Geländer zu schwingen.
Aber sie hielt sich nicht fest genug. Sie rutschte mit ihrem Fuß ab und ihre Hände rutschten vom Geländer. Sie fiel nach hinten, wild mit den Armen rudernd, wie wild versuchend nach etwas zu greifen und sich daran festzuhalten. Ihr Gesicht verwandelte sich in eine Maske der Angst, als sie realisierte, was gleich passieren würde.
„Brian!“ schrie sie, als sie keinen Halt mehr unter ihren Füßen spürte.
Er sah mit Entsetzen, wie Kat auf die Strasse unter ihnen zufiel. Sie fiel wie in Zeitlupe, ihre Haare flogen wie wild um sie herum, ihr Mund war zu einem stillen Schrei des Grauens erfroren. Ihr Körper fiel weiter, als sie hilflos nach der dünnen Luft zu greifen versuchte.
Brian’s Herz schien einen Moment lang auszusetzen, als er seine Augen schloss...
…und hinter ihr her sprang.