Heisse Flirts mit der Maus

Selbst Herzenswünsche werden heute via Computer befriedigt. Doch statt eines treuen Partners holt man sich oft Kummer ins Haus.

Von Gabriella Hofer

"Stress im Büro. Melde mich, wenn ich wieder mehr Luft habe. Ich liebe Dich. R." Es ist Dienstagabend, kurz vor Mitternacht, als Tina A. (alle Namen geändert) diese Mitteilung auf dem Display ihres Handys empfängt. Die Augen der 33-Jährigen leuchten. Schon die fünfte Nachricht seit Sonntag! Und immer der gleiche Schlusssatz. "Hoffentlich dauert es nicht allzu lange, bis er mir wieder schreibt", sagt die geschiedene Frau und holt ein Foto aus der Schublade. "Das ist er. Rolf. 45-jährig."

Ein Bild von einem Mann: gut gebaut, freundlich lächelnd, Dreitagebart, eine Fotokamera mit Teleobjektiv präsentierend. Kennengelernt hat Tina A. ihren Schwarm per Internet. Sie hatte im letzten November zwei Kontaktanzeigen eingetippt, worauf ihr gegen 80 Männer antworteten. Alle beschrieben sich als "sehr treu" und alle versicherten, dass sie gerne mit der alleinstehenden Frau und ihren schulpflichtigen Kindern zusammenzuziehen würden. Die meisten waren etwa gleich alt wie Tina A., zwei waren Anfang zwanzig, einer war 54 Jahre alt.

Anonymes Geturtel

Die zärtlichen Worte, die Tina A. mit ihren internetten Verehrern virtuell austauschte, liefen mehrere Wochen lang anonym. Dafür hatte sich die gelernte Verkäuferin bei ihrem Provider extra eine Pseudoadresse einrichten lassen. "Als ich Vertrauen zu Rolf gefasst hatte, brach ich den Kontakt mit den übrigen Interessenten ab. Ihm aber nannte ich meinen richtigen Namen, meine Adresse und die Handynummer." Seither mailen sich die Beiden übers Telefon. "Das ist noch praktischer, weil man es jederzeit und überall zur Hand hat", sagt Tina A. Am liebsten möchte sie rund um die Uhr mit ihrem Schatz in Drahtkontakt sein. "Getroffen haben wir uns noch nie, aber das kommt schon noch."

Spannung im Netz

Ob die Geschichte mit Rolf tatsächlich gut ausgehen wird, kann Tina A. aber trotz allen guten Anzeichen nicht sagen. Der letzte E-Mail-Flirt war für sie ernüchternd gewesen. "Ich hatte mich in einen geschiedenen Mann aus Österreich verliebt." Über fünfzig zärtliche Briefe wanderten elektronisch über die Grenze und zurück. Um ihn besser kennen zu lernen, lud sie ihren virtuellen Partner zu sich nach Hause ein. Vier Wochen genoss er ihre Gastfreundschaft. Dann wusste sie, dass die Inhalte seiner Schreiben nicht der Realität entsprachen. "Dass er im Rollstuhl sitzt, hat mich nicht gestört", sagt Tina A. rückblickend. "Aber dass er mich schamlos ausnützte, das tut weh."

1000 Franken hat er ihr mit einer Mitleid erregenden Geschichte abgeluchst. Danach ist er gegangen, ohne jemals wieder etwas von sich hören zu lassen. "Das Geld werde ich nie mehr sehen." Auch ihn nicht - dabei hatte ihr der Österreicher versprochen, sie und ihre Kinder in seinem grossen Haus aufzunehmen und für sie zu sorgen. "Das hat er einer Frau nicht zum ersten und wohl auch nicht zum letzten Mal versprochen", ist Tina A. heute überzeugt.

Damals brach für die junge Frau eine Welt zusammen. Wegen der geplanten Züglete hatte sie bereits ihre Stelle gekündigt, und jetzt ist sie arbeitslos. In ihrem Kummer war sie so tief gesunken, dass sie zu Hause alles stehen und liegen liess, und zu ihren Bekannten pflegte sie keine Kontakte mehr. Stattdessen hielt sie sich stundenlang im Internetchatroom auf. Je tiefer sie in die Krise kam, desto stärker war der Drang, sich am Computer abzulenken. "Ich habe dort über 90 Ansprechpartner, mit denen ich mich austauschen kann."

Spass mit Risiko

Die Erfahrungen, die sie mit dem Mann aus Österreich gemacht hat, haben Tina A. vorsichtig gemacht. "Ich maile, um Spass zu haben und weil mir der elektronische Wortwechsel auch viel bringt." Persönliche Daten gibt sie aber keine mehr preis - ausser, wenn im elektronischen Briefkasten ein Liebesbrief von Rolf liegt. Darauf wartet sie sehnsüchtig.

BILD PD

Die Liebe über Internet hat Tücken: Im Film "You've Got Mail" mit Meg Ryan - und im Leben erst recht.

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Internette Partnersuche

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(gho)