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Fussnoten


Die Literatur-Kolumne von Karl Radebrecht

 

 

Schriftsteller sind im allgemeinen keine Großverdiener. Wer kann heute schon von Literatur leben, wenn er/sie nicht gerade zu den Top-Sellern der Buchbranche gehört? So mancher ist schon morgens aus dem süßen Traum erwacht, ein Bad in Joanne K. Rowlings Geldspeicher zu nehmen – und hat sich nach dem Aufwachen gleich unter die kalte Dusche gestellt und sich anschließend ans Schreibgerät begeben, um die Frühstücksbrötchen zu verdienen.

Der Weg zu regelmäßigen Einnahmen durch Schecks vom Verleger ist also weit. Es sei denn, man hat das Glück, das Arno Schmidt einst widerfahren ist, dessen Mäzen Jan Philipp Reemtsma im Prinzip keine Gegenleistung für die Schecks erwartete, sondern lediglich Schmidts finanzielle Unabhängigkeit sichern wollte. Weitere Bewerbungen noch unbekannter Literaten an Herrn Reemtsmas Adresse dürften allerdings kaum Erfolg versprechen.

Eine andere Möglichkeit besteht in der Teilnahme an hochdotierten Literaturwettbewerben. Es muß ja nicht gerade der Nobelpreis sein (das ist ja auch eher ein kulturpolitischer Wettbewerb), ein kleinerer Preis würde es für den Anfang auch schon tun, wir sind ja bescheiden. Der Ingeborg-Bachmann-Preis bringt immerhin schon 22.500 €, aber ganz so einfach ist die Sache natürlich nicht. Die Innerlichkeitsprosa, die dort momentan angesagt ist, ist nicht jedermanns Sache. Und die Zeiten, in denen es genügte, sich zur Steigerung des Bekanntheitsgrads während der Lesung die Stirn mit einer Rasierklinge aufzuschlitzen, wie einst Rainald Goetz in den Wilden Achtzigern, sind vorbei. Die Installation einer Web-Cam im Schriftsteller-Heim scheint mir im neuen Jahrtausend zeitgemäßer.

Wer also noch einen Zweit-Job annimmt, um über die Runden zu kommen, ist in guter Gesellschaft (siehe Kafka). Man kann sich zum Beispiel in das Heer der ewigen Germanistikstudenten einreihen und Taxi fahren. Manchem stößt es dann naturgemäß auf, wenn die Bachmann-Preisträgerin Inka Parei verlauten läßt, sie könne das einfach nicht. Also, genauer: Es gebe ja Leute, die machten das nebenher mit dem Schreiben, die hätten eigentlich einen ganz anderen Beruf, aber das könne sie nicht. Sie müsse alles andere wegschieben und sich direkt mit ihrer Schriftstellerei konfrontieren. Eigentlich verständlich, sich von den Zwängen und lästigen Notwendigkeiten einer bürgerlichen Existenz befreien zu wollen, um sich ganz seiner Kunst widmen zu können, aber dem taz-Autor Uli Hannemann, der ebenfalls Taxi fährt, war das wohl etwas zu kokett. Er malt sich aus, daß es bei einer Tagesgestaltung à la Inka Parei wohl aufregend genug ist, wenn man mal einen Vogel von der einen Hofseite auf die andere fliegen sieht – das ist doch Action, oh Verzeihung!, Handlung genug. Bei Peter Handke füllt das ja schon drei Seiten, und wenn man sich ein bißchen Mühe gibt, ist womöglich ein ganzer Roman drin.

Mein Kolumnen-Kollege Richard David Precht bemängelte in der Zeitschrift Literaturen neulich, daß die gut dotierten Preise fast ausnahmslos von Autoren abgegrast werden, die sich schon einen Namen gemacht haben, während die jungen Autoren, die eine finanzielle Förderung viel nötiger hätten, meist mit mageren „Förderpreisen“ abgespeist werden. Von einer Welt, in der es umgekehrt ist, können die Autoren gemeinsam mit Precht nur träumen. Das Biedermeier-Klischee vom "Armen Poeten" will in Bildungsbürger-Kreisen wohl aufrecht erhalten werden: nur Hunger und Armut gebären gute Literatur, und man hat sich eben hochzudienen. Da könnte ja jeder kommen.

Also bleibt für diejenigen, bei denen noch kein Sponsor angeklingelt hat und die selbst noch die Klinken der Verlagshäuser putzen gehen, nur das Taxi, das Fließband oder was auch immer. Vielleicht denken meine Leser einmal daran, wenn sie das nächsten Mal in ein Taxi steigen: am Steuer könnte ein literarisches Genie sitzen. Ein interessanter Gedanke.



 
 
 

 

 

 
       
© 2004 by Karl Radebrecht • literadium@gmx.de