Wer mit dem Velo fährt, sieht mehr. Luciano und Verena Lepre sind
acht Jahre lang um den Globus geradelt. Von ihren Erlebnissen berichten
sie in Diavorträgen unter dem Titel «Spuren der Freiheit».
«Sollen wir nicht mal einen «Cheer» machen mit dem Velo?», fragte
Luciano Lepre seine Frau Verena eines Sonntags im Jahr 1995. Zwei
Weltreisen hatten sie hinter sich, mit grossem Rucksack am Rücken.
Warum nicht einmal das Gepäck auf das Velo schnallen?
Am 4. September 1996 trampten sie in Villeneuve am Genfersee los. Ihr Ziel:
Nepal. Schwer keuchend ging es den Simplonpass hinauf, das Velo wog
samt Gepäck gegen 50 Kilogramm - und Verena sagte schon auf der
Passhöhe zu sich selbst: «Vergiss es!» Dann wurde ihr klar, dass es
besser war, sich nur noch Tagesziele vorzunehmen und sich nicht vom
Fernziel drangsalieren zu lassen. «Eine solche Reise braucht nebst
etwas Sackgeld viel Wille und Ausdauer.»
Nach zwei Monaten erreichte das Paar Griechenland: «Da mussten wir erst
einmal Pause machen. Uns schmerzten der Rücken, die Knie, der Hintern.»
Verena und Luciano waren nicht als trainierte Velofahrer gestartet, sie
hatten sich das Zweirad einfach als günstiges Verkehrsmittel
ausgewählt. Das Training würde sich im Verlauf der Reise schon ergeben
- wie überhaupt das meiste: Begegnungen, Routenwahl, Plätze zum
Übernachten.
Das Zweirad brachte Verena und Luciano in Kontakt mit den Leuten: «Uns
interessierten nicht die Monumente und Museen, die Hotels und die
touristischen Sehenswürdigkeiten - wir wollten lieber den Menschen in
ihrem Alltag nahe kommen», erzählt Luciano. Zwanglos ergaben sich
Gespräche am Strassenrand: «In der Türkei mussten wir 600 Kilometer
radeln, bevor wir zum ersten Mal den Kaffee selber bezahlen konnten.»
Nach der türkischen lernten sie die arabische Gastfreundschaft kennen:
Drei Tage
und drei Nächte wird hier jeder Fremde aufgenommen, sei es in einem
Beduinenzelt oder in einem Palast. Verena war es, die bei einem Scheich
anzuklopfen wagte -Luciano verdrückte sich verschämt. Aber auch hier
ging die Türe auf, und die verschwitzten Velofahrer wurden an einen
gediegenen Tisch mit 27 Gedecken gebeten. «Das Velo konnten wir aufs
Zimmer nehmen, aber die Schuhe mussten wir draussen lassen», schmunzelt
Luciano.
Für eine Überraschung sorgte die Polizei in Dubai. An der Grenze
Oman/Dubai wurden die beiden Velofahrer aufgehalten: Es sei unmöglich,
so weit alleine durch die Wüste zu radeln. Und das noch als Frau. Ob
Verena und Luciano wollten oder nicht: Sie wurden wie
Tour-de-France-Fahrer von sechs Geländewagen in die Stadt eskortiert.
In Jordanien mussten sie das Velo durch den Sand stossen, in Pakistan
und in Indien sahen sie sich vom rücksichtslosen Verkehr in den
Grossstädten an den Rand gedrängt, und auf den Pässen Tibets lernten
sie das lebensfeindliche Klima in extremer Höhe kennen. Zuvor waren sie
Sandstürmen und Hitze bis weit über 40 Grad ausgesetzt gewesen, und
danach froren sie nach Atem ringend auf 5230 Metern über Meer im
Schnee: «Mir reichte es, ich wollte nur noch runter», erzählt Verena.
Luciano hat einige Bilder zur Hand: «Auf den Fotos sieht man kaum, wie
anstrengend das Durchkommen manchmal war.» Zweimal war Verena auf der
Reise der physischen Erschöpfung nahe, dann lernte sie, frühzeitig die
Signale ihres Körpers zu beachten.
Nach 14 Monaten erreichten die zwei ihr Ziel: Nepal. Hier besuchten sie
eine einheimische Familie, zu der sie seit Jahrzehnten engen Kontakt
halten. Und jetzt zurück an den Genfersee? «Wir merkten, dass wir gar
nicht mehr in den Ferien waren. Das Unterwegssein war uns zur
Lebensform geworden. Wir wollten weiter. Mit einem grossen Ziel: Japan,
Australien, Amerika..., aber ohne täglichen Plan», sagt Luciano.
Sie gaben ihre Reiseführer weg. Stattdessen fingen sie an, sich
einfach durchzufragen:
Was gibt es in eurem Dorf, was sollen wir uns ansehen, wen könnten wir
treffen? Statt auf Landkarten zu schauen, liessen sie sich von den
Einheimischen Skizzen zeichnen. «Wir lernten, mit völliger Offenheit zu
reisen.» Sie gingen in die Schulen, zeigten ihre Fotos, erzählten und
veröffentlichten Berichte in den lokalen Medien, was ihnen etwas Geld
einbrachte. «600 Franken brauchten wir pro Monat - mehr nicht. Wenn man
mit dem Velo unterwegs ist, kann man nichts einkaufen und mitschleppen.
Und wir wohnten entweder in unserem Zelt oder bei Leuten, die uns
einluden.»
Gastfreundschaft ist schön. Aber was ist, wenn die Menschen arm sind
und sich aus kultureller Tradition doch genötigt fühlen, Fremde zu
verköstigen? Was haben Verena und Luciano Lepre diesen Leuten
zurückgegeben? «Manchmal gingen wir für die Familie einkaufen - ein
Huhn ergibt schon ein Fest. Oder wir halfen etwas auf dem Feld mit. In
Australien haben wir Keramikplatten verlegt und bei ausgewanderten
Sizilianern Tomaten zu Sauce verarbeitet und in Flaschen abgefüllt»,
erzählt Luciano.
Sie mussten ein Gleichgewicht finden, damit sie sich nicht als
Schmarotzer vorkamen. Manchmal wurden sie mit unverhohlener Neugier
konfrontiert: «In Indien umstanden am Abend drei Dutzend Leute unser
Zelt - und am Morgen waren sie immer noch da.» Wie haben die beiden in
all den Ländern geredet? Wo die eigenen Sprachkenntnisse nicht
ausreichten, haben sie sich mit Händen, Augen, Gesten verständigt. «Ich
habe mich mit mongolischen Nomaden unterhalten und hatte das Gefühl,
wir hätten uns bestens verstanden - was ich von Gesprächen mit
Landsleuten manchmal nicht sagen kann», erzählt Luciano. Und oft fanden
sich auch Dolmetscher: «In Japan bleiben viele Frauen nach der Heirat
zu Hause, darunter viele Akademikerinnen, die Fremdsprachen
ausgezeichnet beherrschen.»
Nach sechs Jahren totaler Gemeinsamkeit trennten sich Luciano und
Verena im kalifornischen San Diego. «Das Leben auf sechs Quadratmetern
Zelt forderte seinen Tribut. Jahrelang waren wir 24 Stunden am Tag
zusammen und dauernd aufeinander angewiesen. Wir brauchten Abstand, um
überhaupt wieder zu wissen, wer jeder von uns selber war», sagt Verena.
Sie radelte von London aus allein durch Europa. Ihn zog es weiter
nach Südamerika. Aus La Paz in Bolivien versuchte er sie dann zu
überzeugen: «Komm her, ich bin auf 4000 Metern Höhe. Von jetzt an
können wir nur noch abwärts rollen.» Verena kam angeflogen und merkte
schnell, dass alles anders war: «Ich schob mein Velo als Erstes drei
Wochen auf grosser Höhe durch die Anden, Salzseen entlang, umgeben von
hohen Bergen, begleitet von Lamaherden und immer auf der Suche nach
Trinkwasser.»
Auf die Strapazen folgten Belohnungen: «In Argentinien habe ich ein
Stück meines
Herzens zurückgelassen», sagt Verena. «Die Herzlichkeit und
Überschwänglichkeit der Einwohner haben mich mitgerissen. Die
Argentinier finden immer einen Vorwand, um nicht alleine zu sein,
sondern die Zeit mit Freunden zu verbringen.»
Und Luciano gewann die totale Übersicht: Ihm glückte als
Nicht-Bergsteiger die Besteigung des höchsten Berges von Südamerika,
des 6959 Meter hohen Acongagua.
176 platte Reifen, 42 kaputte Speichen, 6 verbogene Feigen, 1
gebrochener Rahmen – und Erinnerungen für Jahrzehnte: Seit einem Jahr
sind Verena (50) und Luciano (51) zurück am Genfersee. Eine Besucherin
an einem ihrer Vorträge bewundert Verena und Luciano: «Sie haben es
gewagt, aufzubrechen, richtig weit zu gehen.» Verena winkt ab: «Wir
hatten nicht im Sinn, acht Jahre zu reisen. Wir zogen einfach los, und
dann ergab sich das. Wir hatten schon vorher immer nur gearbeitet, um
wieder reisen zu können.» Verena verdiente Geld als Krankenschwester
und Ärztebesucherin für Pharmafirmen, Luciano als Vertreter.
Und was haben die beiden auf ihrer Weltreise gelernt: «Wir haben am
eigenen Leib den Wert elementarer Dinge wie Trinkwasser und Essen
schätzen gelernt. Und wir haben gemerkt, dass man gelassen von Tag zu
Tag leben und ohne Plan reisen kann.» Das Velo sei dafür ideal: Es
erlaube, sanft in fremde Kulturen einzutauchen. Überall haben sie
Gastfreundschaft gefunden und gelernt, «dass jeder Unbekannte ein
Freund sein kann, dem Vertrauen gebührt». Was plant das Paar als
Nächstes? Luciano sagt: «Wir sind noch gar nicht richtig der Schweiz
angekommen, ich denke, das braucht drei, vier Jahre. Aber Ideen für
neue Reisen habe ich bereits.» Und was meint seine Frau Verena? «Ich
will alles, ausser Velo fahren.»
Verene und Luciano Lepre besuchen Schulen, Firmen, Vereine, Theater-
und Gemeindesäle mit ihrem Diavortrag «Spuren der Freiheit». Im Sommer
sind sie vor allem in der Romandie unterwegs, ab Herbst gehen sie auf
Tournee durch die Deutschschweiz. Der 90-minütige Vortrag mit
Livekommentar und Digitalprojektion kann gebucht werden. Es ist auch
eine kürzere, einstündige Fassung auf DVD erhältlich.
Kontakt:
Verena und Luciano Lepre
Clos du Moulin 28
1844 Villeneuve
Telefon 021 960 18 34
e-mail
Homepage: www.veraluc.com