Im Ausschank, einem großen, in der Mitte
völlig leeren Zimmer, saßen an den Wänden bei Fässern und auf ihnen einige Bauern, die
aber anders aussahen als die Leute in K.s Wirtshaus. Sie waren reinlicher und
einheitlicher in graugelblichen, groben Stoff gekleidet, die Jacken waren gebauscht, die
Hosen anliegend. Es waren kleine, auf den ersten Blick einander sehr ähnliche Männer mit
flachen, knochigen und doch rund wangigen Gesichtern. Alle waren ruhig und bewegten sich
kaum, nur mit den Blicken verfolgten sie die Eintretenden, aber langsam und gleichgültig.
Trotzdem übten sie, weil es so viele waren und weil es so still war, eine gewisse Wirkung
auf K. aus. Er nahm wieder Olgas Arm, um damit den Leuten sein Hiersein zu erklären. In
einer Ecke erhob sich ein Mann, ein Bekannter Olgas, und wollte auf sie zugehen, aber K.
drehte sie mit dem eingehängten Arm in eine andere Richtung. Niemand außer ihr konnte es
bemerken, sie duldete es mit einem lächelnden Seitenblick.
Das Bier wurde von einem jungen Mädchen ausgeschenkt, das Frieda hieß. Ein
unscheinbares, kleines, blondes Mädchen mit traurigen Augen und mageren Wangen, das aber
durch ihren Blick überraschte, einen Blick von besonderer Überlegenheit. Als dieser
Blick auf K. fiel, schien es ihm, dass dieser Blick schon K. betreffende Dinge erledigt
hatte, von deren Vorhandensein er selbst noch gar nicht wusste, von deren Vorhandensein
aber der Blick ihn überzeugte. K. hörte nicht auf, Frieda von der Seite anzusehen, auch
als sie schon mit Olga sprach. Freundinnen schienen Olga und Frieda nicht zu sein, sie
wechselten nur wenige kalte Worte. K. wollte nachhelfen und fragte deshalb unvermittelt:
»Kennen Sie Herrn Klamm?« Olga lachte auf. »Warum lachst du?« fragte K. ärgerlich.
»Ich lache doch nicht«, sagte sie, lachte aber weiter. »Olga ist noch ein recht
kindisches Mädchen«, sagte K. und beugte sich weit über den Schreibtisch, um nochmals
Friedas Blick fest auf sich zu ziehen. Sie aber hielt ihn gesenkt und sagte leise:
»Wollen Sie Herrn Klamm sehen?« K. bat darum. Sie zeigte auf eine Tür, gleich links
neben sich. »Hier ist ein kleines Guckloch, hier können Sie durchsehen.« »Und
die Leute hier?« fragte K. Sie warf die Unterlippe auf und zog K. mit einer ungemein
weichen Hand zur Tür. Durch das kleine Guckloch, das offenbar zu Beobachtungszwecken
gebohrt worden war, übersah er fast das gesamte Nebenzimmer.
An einem Schreibtisch in der Mitte des Zimmers, in einem bequemen Rundlehnstuhl, saß,
grell von einer vor ihm niederhängenden Glühlampe beleuchtet, Herr Klamm. Ein
mittelgroßer, dicker, schwerfälliger Herr. Das Gesicht war noch glatt, aber die Wangen
senkten sich doch schon mit dem Gewicht des Alters ein wenig hinab. Der schwarze
Schnurrbart war lang ausgezogen. Ein schief aufgesetzter, spiegelnder Zwicker verdeckte
die Augen. Wäre Herr Klamm völlig beim Tisch gesessen, hätte K. nur sein Profil
gesehen; da ihm aber Klamm stark zugedreht war, sah er ihm voll ins Gesicht. Den linken
Ellbogen hatte Klamm auf dem Tisch liegen, die rechte Hand, in der er eine Virginia hielt,
ruhte auf dem Knie. Auf dem Tisch stand ein Bierglas; da die Randleiste des Tisches hoch
war, konnte K. nicht genau sehen, ob dort irgendwelche Schriften lagen, es schien ihm
aber, als wäre er leer. Der Sicherheit halber bat er Frieda, durch das Loch zu schauen
und ihm darüber Auskunft zu geben. Da sie aber vor kurzem im Zimmer gewesen war, konnte
sie K. ohne weiteres bestätigen, dass dort keine Schriften lagen. K. fragte Frieda, ob er
schon weggehen müsse, sie aber sagte, er könne hindurchschauen, solange er Lust habe. K.
war jetzt mit Frieda allein, Olga hatte, wie er flüchtig feststellte, doch den Weg zu
ihrem Bekannten gefunden, saß hoch auf einem Fass und strampelte mit den Füßen.
»Frieda«, sagte K. flüsternd, »kennen Sie Herrn Klamm sehr gut?« »Ach ja«,
sagte sie. »Sehr gut.« Sie lehnte neben K. und ordnete spielerisch, wie K. jetzt erst
auffiel, ihre leichte, ausgeschnittene, kremfarbige Bluse, die wie fremd auf ihrem armen
Körper lag. Dann sagte sie: »Erinnern Sie sich nicht an Olgas Lachen?« »Ja, die
Unartige«, sagte K. »Nun«, sagte sie versöhnlich, »es war Grund zum Lachen. Sie
fragten, ob ich Klamm kenne, und ich bin doch« hier richtete sie sich
unwillkürlich ein wenig auf, und wieder ging ihr sieghafter, mit dem, was gesprochen
wurde, gar nicht zusammenhängender Blick über K. hin , »ich bin doch seine
Geliebte.« »Klamms Geliebte«, sagte K. Sie nickte. »Dann sind Sie«, sagte K.
lächelnd, um nicht allzu viel Ernst zwischen ihnen aufkommen zu lassen, »für mich eine
respektable Person.« »Nicht nur für Sie«, sagte Frieda freundlich, aber ohne
sein Lächeln aufzunehmen. K. hatte ein Mittel gegen ihren Hochmut und wandte es an; er
fragte: »Waren Sie schon im Schloss?« Es verfing aber nicht, denn sie antwortete:
»Nein, aber ist es nicht genug, dass ich hier im Ausschank bin?« Ihr Ehrgeiz war
offenbar toll, und gerade an K., so schien es, wollte sie ihn sättigen. »Freilich«,
sagte K., »hier im Ausschank, Sie verstehen ja die Arbeit des Wirtes.« »So ist
es«, sagte sie, »und begonnen habe ich als Stallmagd im Wirtshaus Zur
Brücke.« »Mit diesen zarten Händen?« sagte K. halb fragend, und wusste
selbst nicht, ob er nur schmeichelte oder auch wirklich von ihr bezwungen war. Ihre Hände
allerdings waren klein und zart; aber man hätte sie auch schwach und nichts sagend nennen
können. »Darauf hat damals niemand geachtet«, sagte sie, »und selbst jetzt « K.
sah sie fragend an. Sie schüttelte den Kopf und wollte nicht weiterreden. »Sie haben
natürlich«, sagte K., »Ihre Geheimnisse, und Sie werden über sie nicht mit jemandem
reden, den Sie eine halbe Stunde lang kennen und der noch keine Gelegenheit hatte, Ihnen
zu erzählen, wie es sich eigentlich mit ihm verhält.« Das war nun aber, wie sich
zeigte, eine unpassende Bemerkung, es war, als hätte er Frieda aus einem ihm günstigen
Schlummer geweckt. Sie nahm aus der Ledertasche, die sie am Gürtel hängen hatte, ein
Hölzchen, verstopfte damit das Guckloch, sagte zu K., sichtbar sich bezwingend, um ihn
von der Änderung ihrer Gesinnung nichts merken zu lassen: »Was Sie betrifft, so weiß
ich doch alles, Sie sind der Landvermesser«, fügte dann hinzu: »Nun muss ich aber an
die Arbeit«, und ging an ihren Platz hinter dem Ausschanktisch, während sich von den
Leuten hier und da einer erhob, um sein leeres Glas von ihr füllen zu lassen. K. wollte
noch einmal unauffällig mit ihr sprechen, nahm deshalb von einem Ständer ein leeres Glas
und ging zu ihr. »Nur eines noch, Fräulein Frieda«, sagte er, »es ist außerordentlich
und eine auserlesene Kraft ist dazu nötig, sich von einer Stallmagd zum Ausschankmädchen
vorzuarbeiten, ist damit aber für einen solchen Menschen das endgültige Ziel erreicht?
Unsinnige Frage. Aus Ihren Augen, lachen Sie mich nicht aus, Fräulein Frieda, spricht
nicht so sehr der vergangene, als der zukünftige Kampf. Aber die Widerstände der Welt
sind groß, sie werden größer mit den größeren Zielen, und es ist keine Schande, sich
die Hilfe selbst eines kleinen, einflusslosen, aber ebenso kämpfenden Mannes zu sichern.
Vielleicht könnten wir einmal in Ruhe miteinander sprechen, nicht von so vielen Augen
angestarrt.« »Ich weiß nicht, was Sie wollen«, sagte sie, und in ihrem Ton
schienen diesmal gegen ihren Willen nicht die Siege ihres Lebens, sondern die unendlichen
Enttäuschungen mitzuklingen. »Wollen Sie mich vielleicht von Klamm abziehen? du lieber
Himmel!« und sie schlug die Hände zusammen. »Sie haben mich durchschaut«, sagte K.,
wie ermüdet von so viel Misstrauen, »gerade das war meine geheimste Absicht. Sie sollten
Klamm verlassen und meine Geliebte werden. Und nun kann ich ja gehen. Olga!« rief K.
»Wir gehen nach Hause.« Folgsam glitt Olga vom Fass, kam aber nicht gleich von den sie
umringenden Freuden los. Da sagte Frieda leise, drohend K. anblickend: »Wann kann ich mit
Ihnen sprechen?« »Kann ich hier übernachten?« fragte K. »Ja«, sagte Frieda.
»Kann ich gleich hier bleiben?« »Gehen Sie mit Olga fort, damit ich die Leute
hier wegschaffen kann. In einem Weilchen können Sie dann kommen.« »Gut«, sagte
K. und wartete ungeduldig auf Olga. Aber die Bauern ließen sie nicht, sie hatten einen
Tanz erfunden, dessen Mittelpunkt Olga war, im Reigen tanzten sie herum, und immer bei
einem gemeinsamen Schrei trat einer zu Olga, fasste sie mit einer Hand fest um die Hüften
und wirbelte sie einige Male herum, der Reigen wurde immer schneller, die Schreie,
hungrig, röchelnd, wurden allmählich fast ein einziger. Olga, die früher den Kreis
hatte lachend durchbrechen wollen, taumelte nur noch mit aufgelöstem Haar von einem zum
anderen. »Solche Leute schickt man mir her«, sagte Frieda und biss im Zorn an ihren
dünnen Lippen. »Wer ist es?« fragte K. »Klamms Dienerschaft«, sagte Frieda. »Immer
wieder bringt er dieses Volk mit, dessen Gegenwart mich zerrüttet. Ich weiß kaum, was
ich heute mit Ihnen, Herr Landvermesser, gesprochen habe; war es etwas Böses, verzeihen
Sie es, die Gegenwart dieser Leute ist schuld daran, sie sind das Verächtlichste und
Widerlichste, was ich kenne, und ihnen muss ich das Bier in die Gläser füllen. Wie oft
habe ich Klamm schon gebeten, sie zu Hause zu lassen; muss ich die Dienerschaft anderer
Herren schon ertragen, er könnte doch Rücksicht auf mich nehmen, aber alles Bitten ist
umsonst, eine Stunde vor seiner Ankunft stürmen sie immer schon herein, wie das Vieh in
den Stall. Aber nun sollen sie wirklich in den Stall, in den sie gehören. Wären Sie
nicht da, würde ich die Tür hier aufreißen, und Klamm selbst müsste sie
hinaustreiben.« »Hört er sie denn nicht?« fragte K. »Nein«, sagte Frieda.
»Er schläft.« »Wie!« rief K. »Er schläft? Als ich ins Zimmer gesehen habe,
war er doch noch wach und saß beim Tisch.« »So sitzt er noch immer«, sagte
Frieda, »auch als Sie ihn gesehen haben, hat er schon geschlafen. Hätte ich Sie denn
sonst hineinsehen lassen? Das war seine Schlafstellung, die Herren schlafen sehr viel, das
kann man kaum verstehen. Übrigens, wenn er nicht so viel schliefe, wie könnte er diese
Leute ertragen? Nun werde ich sie aber selbst hinaustreiben müssen.« Sie nahm eine
Peitsche aus der Ecke und sprang mit einem einzigen hohen, nicht ganz sicheren Sprung, so
wie etwa ein Lämmchen springt, auf die Tanzenden zu. Zuerst wandten sie sich gegen sie,
als sei eine neue Tänzerin angekommen, und tatsächlich sah es einen Augenblick lang so
aus, als wolle Frieda die Peitsche fallen lassen, aber dann hob sie sie wieder. »Im Namen
Klamms«, rief sie, »in den Stall! Alle in den Stall!« Nun sahen sie, dass es ernst war;
in einer für K. unverständlichen Angst begannen sie, in den Hintergrund zu drängen,
unter dem Stoß der ersten ging dort eine Tür auf, Nachtluft wehte herein, alle
verschwanden mit Frieda, die sie offenbar über den Hof in den Stall trieb.
In der nun plötzlich eingetretenen Stille aber hörte K. Schritte vom Flur. Um sich
irgendwie zu sichern, sprang er hinter das Auschankpult, unter welchem die einzige
Möglichkeit sich zu verstecken war. Zwar war ihm der Aufenthalt im Ausschank nicht
verboten, aber da er hier übernachten wollte, musste er vermeiden, jetzt noch gesehen zu
werden. Deshalb glitt er, als die Tür wirklich geöffnet wurde, unter den Tisch. Dort
entdeckt zu werden war freilich auch nicht ungefährlich, immerhin war dann die Ausrede
nicht unglaubwürdig, dass er sich vor den wildgewordenen Bauern versteckt habe. Es war
der Wirt. »Frieda!« rief er und ging einige Male im Zimmer auf und ab.
Glücklicherweise kam Frieda bald und erwähnte K. nicht, klagte nur über die Bauern
und ging, in dem Bestreben K. zu suchen, hinter das Pult. Dort konnte K. ihren Fuß
berühren und fühlte sich von jetzt an sicher. Da Frieda K. nicht erwähnte, musste es
der Wirt schließlich tun. »Und wo ist der Landvermesser?« fragte er. Er war wohl
überhaupt ein höflicher, durch den dauernden und verhältnismäßig freien Verkehr mit
weit höher Gestellten fein erzogener Mann, aber mit Frieda sprach er in einer besonders
ach tungsvollen Art, das fiel vor allem deshalb auf, weil er trotzdem im Gespräch nicht
aufhörte, Arbeitgeber gegenüber einer Angestellten zu sein, gegenüber einer recht
kecken Angestellten überdies. »Den Landvermesser habe ich ganz vergessen«, sagte Frieda
und setzte K. ihren kleinen Fuß auf die Brust. »Er ist wohl schon längst
fortgegangen.« »Ich habe ihn aber nicht gesehen«, sagte der Wirt, »und war fast
die ganze Zeit über im Flur.« »Hier ist er aber nicht«, sagte Frieda kühl.
»Vielleicht hat er sich versteckt«, sagte der Wirt, »nach dem Eindruck, den ich von ihm
hatte, ist ihm manches zuzutrauen.« »Diese Kühnheit wird er doch wohl nicht
haben«, sagte Frieda und drückte stärker ihren Fuß auf K. Etwas Fröhliches, Freies
war in ihrem Wesen, was K. früher gar nicht bemerkt hatte, und es nahm ganz
unwahrscheinlich überhand, als sie plötzlich lachend mit den Worten: »Vielleicht ist er
hier unten versteckt«, sich zu K. hinabbeugte, ihn flüchtig Küsste und wieder aufsprang
und betrübt sagte: »Nein, er ist nicht hier.« Aber auch der Wirt gab Anlass zum
Erstaunen, als er nun sagte: »Es ist mir sehr unangenehm, dass ich nicht mit Bestimmtheit
weiß, ob er fortgegangen ist. Es handelt sich nicht nur um Herrn Klamm, es handelt sich
um die Vorschrift. Die Vorschrift gilt aber für Sie, Fräulein Frieda, so wie für mich.
Für den Ausschank haften Sie, das übrige Haus werde ich noch durchsuchen. Gute Nacht!
Angenehme Ruhe!« Er konnte das Zimmer noch gar nicht verlassen haben, schon hatte Frieda
das elektrische Licht ausgedreht und war bei K. unter dem Pult. »Mein Liebling! Mein
süßer Liebling!« flüsterte sie, aber rührte K. gar nicht an, wie ohnmächtig vor
Liebe lag sie auf dem Rücken und breitete die Arme aus, die Zeit war wohl unendlich vor
ihrer glücklichen Liebe, sie seufzte mehr als sang irgendein Kleines Lied. Dann schrak
sie auf, da K. still in Gedanken blieb, und fing an, wie ein Kind ihn zu zerren: »Komm,
hier unten erstickt man ja!« Sie umfassten einander, der kleine Körper brannte in K.s
Händen, sie rollten in einer Besinnungslosigkeit, aus der sich K. fortwährend, aber
vergeblich, zu retten suchte, ein paar Schritte weit, schlugen dumpf an Klamms Tür und
lagen dann in den kleinen Pfützen Biers und dem sonstigen Unrat, von dem der Boden
bedeckt war. Dort vergingen Stunden, Stunden gemeinsamen Atems, gemeinsamen Herzschlags,
Stunden, in denen K. immerfort das Gefühl hatte, er verirre sich oder er sei so weit in
der Fremde, wie vor ihm noch kein Mensch, einer Fremde, in der selbst die Luft keinen
Bestandteil der Heimatluft habe, in der man vor Fremdheit ersticken müsse und in deren
unsinnigen Verlockungen man doch nichts tun könne als weiter gehen, weiter sich verirren.
Und so war es wenigstens zunächst für ihn kein Schrecken, sondern ein tröstliches
Aufdämmern, als aus Klamms Zimmer mit tiefer, befehlend-gleichgültiger Stimme nach
Frieda gerufen wurde. »Frieda«, sagte K. in Friedas Ohr und gab so den Ruf weiter. In
einem förmlich eingeborenen Gehorsam wollte Frieda aufspringen, aber dann besann sie
sich, wo sie war, streckte sich, lachte still und sagte: »Ich werde doch nicht etwa
gehen, niemals werde ich zu ihm gehen«. K. wollte dagegensprechen, wollte sie drängen,
zu Klamm zu gehen, begann die Reste ihrer Bluse zusammenzusuchen, aber er konnte nichts
sagen, allzu glücklich war er, Frieda in seinen Händen zu halten, allzu
ängstlich-glücklich auch, denn es schien ihm, wenn Frieda ihn verlasse, verlasse ihn
alles, was er habe. Und als sei Frieda gestärkt durch K.s Zustimmung, ballte sie die
Faust, klopfte mit ihr an die Tür und rief: »Ich bin beim Landvermesser! Ich bin beim
Landvermesser!« Nun wurde Klamm allerdings still. Aber K. erhob sich, kniete neben Frieda
und blickte sich im trüben Vormorgenlicht um. Was war geschehen? Wo waren seine
Hoffnungen? Was konnte er nun von Frieda erwarten, da alles verraten war? Statt
vorsichtigst, entsprechend der Größe des Feindes und des Zieles, vorwärts zu gehen,
hatte er sich hier eine Nacht lang in den Bierpfützen gewälzt, deren Geruch jetzt
betäubend war. »Was hast du getan?« sagte er vor sich hin. »Wir beide sind verloren.«
»Nein«, sagte Frieda, »nur ich bin verloren, doch ich habe dich gowonnen. Sei
ruhig. Sieh aber, wie die zwei lachen.« »Wer?« fragte K. und wandte sich um. Auf
dem Pult saßen seine beiden Gehilfen, ein wenig übernächtig, aber fröhlich; es war die
Fröhlichkeit, welche treue Pflichterfüllung gibt. »Was wollt ihr hier?« schrie K., als
seien sie an allem schuld. Er suchte ringsherum die Peitsche, die Frieda abends gehabt
hatte. »Wir mussten dich doch suchen«, sagten die Gehilfen, »da du nicht herunter zu
uns in die Wirtsstube kamst; wir suchten dich dann bei Barnabas und fanden dich endlich
hier. Hier sitzen wir die ganze Nacht. Leicht ist ja der Dienst nicht.« »Ich
brauche euch bei Tag, nicht in der Nacht«, sagte K., »fort mit euch.« »Jetzt
ist es ja Tag«, sagten sie und rührten sich nicht. Es war wirklich Tag, die Hoftüre
wurde geöffnet, die Bauern mit Olga, die K. ganz vergessen hatte, strömten herein. Olga
war lebendig wie am Abend, so übel auch ihre Kleider und Haare zugerichtet waren, schon
in der Tür suchten ihre Augen K. »Warum bist du nicht mit mir nach Hause gegangen?«
sagte sie, fast unter Tränen. »Wegen eines solchen Frauenzimmers!« sagte sie dann und
wiederholte das einige Male. Frieda, die für einen Augenblick verschwunden war, kam mit
einem kleinen Wäschebündel zurück. Olga trat traurig beiseite. »Nun können wir
gehen«, sagte Frieda; es war selbstverständlich, dass sie das Wirtshaus »Zur Brücke«
meinte, in das sie gehen sollten. K. mit Frieda, hinter ihnen die Gehilfen, das war der
Zug. Die Bauern zeigten viel Verachtung für Frieda, es war selbstverständlich, weil sie
sie bisher streng beherrscht hatte; einer nahm sogar einen Stock und tat so, als wolle er
sie nicht fortlassen, ehe sie über den Stock springe; aber ihr Blick genügte, um ihn zu
vertreiben. Draußen im Schnee atmete K. ein wenig auf. Das Glück, im Freien zu sein, war
so groß, dass es diesmal die Schwierigkeit des Wegs erträglich machte; wäre K. allein
gewesen, wäre er noch besser gegangen. Im Wirtshaus ging er gleich in sein Zimmer und
legte sich aufs Bett, Frieda machte sich daneben auf dem Boden ein Lager zurecht. Die
Gehilfen waren mit eingedrungen, wurden vertrieben, kamen dann aber durchs Fenster wieder
herein. K. war zu müde, um sie nochmals zu vertreiben. Die Wirtin kam eigens herauf, um
Frieda zu begrüßen, wurde von Frieda »Mütterchen« genannt; es gab eine
unverständlich herzliche Begrüßung mit Küssen und langem Aneinanderdrücken. Ruhe war
in dem Zimmerchen überhaupt wenig, öfters kamen auch die Mägde in ihren Männerstiefeln
hereingepoltert, um irgendetwas zu bringen oder zu holen. Brauchten sie etwas aus dem mit
verschiedenen Dingen voll gestopften Bett, zogen sie es rücksichtslos unter K. hervor.
Frieda begrüßten sie als ihresgleichen. Trotz dieser Unruhe blieb doch K. im Bett, den
ganzen Tag und die ganze Nacht. Kleine Handreichungen besorg te ihm Frieda. Als er am
nächsten Morgen sehr erfrischt endlich aufstand, war es schon der vierte Tag seines
Aufenthalts im Dorf.
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