Und er riss sich los und ging ins Haus
zurück, diesmal nicht an der Mauer entlang, sondern mitten durch den Schnee, traf im Flur
den Wirt, der ihn stumm grüßte und auf die Tür des Ausschanks zeigte, folgte dem Wink,
weil ihn fror und weil er Menschen sehen wollte, war aber sehr enttäuscht, als er dort an
einem Tischchen, das wohl eigens hingestellt worden war, denn sonst begnügte man sich
dort mit Fässern, den jungen Herrn sitzen und vor ihm ein für K. bedrückender
Anblick die Wirtin aus dem Brückengasthaus stehen sah. Pepi, stolz, mit
zurückgeworfenem Kopf, ewig gleichem Lächeln, ihrer Würde unwiderlegbar sich bewusst,
schwenkend den Zopf bei jeder Wendung, eilte hin und wieder, brachte Bier und dann Tinte
und Feder, denn der Herr hatte Papiere vor sich ausgebreitet, verglich Daten, die er
einmal in diesem, dann wieder einmal in einem Papiere am anderen Ende des Tisches fand,
und wollte nun schreiben. Die Wirtin, von ihrer Höhe, überblickte still, mit ein wenig
aufgestülpten Lippen, wie ausruhend, den Herrn und die Papiere, so, als habe sie schon
alles Nötige gesagt und es sei gut aufgenommen worden. »Der Herr Landvermesser,
endlich«, sagte der Herr bei K.s Eintritt mit kurzem Aufschauen, dann vertiefte er sich
wieder in seine Papiere. Auch die Wirtin streifte K. nur mit einem gleichgültigen, gar
nicht überraschten Blick. Pepi aber schien K. überhaupt erst zu bemerken, als er zum
Ausschankpult trat und einen Kognak bestellte.
K. lehnte dort, drückte die Hand an die Augen und kümmerte sich um nichts. Dann
nippte er von dem Kognak und schob ihn zurück, weil er ungenießbar sei. »Alle Herren
trinken ihn«, sagte Pepi kurz, goss den Rest aus, wusch das Gläschen und stellte es ins
Regal. »Die Herren haben auch besseren«, sagte K. »Möglich«, sagte Pepi, »ich aber
nicht.« Damit hatte sie K. erledigt und war wieder dem Herrn zu Diensten, der aber nichts
benötigte und hinter dem sie nur im Bogen immerfort auf und ab ging, mit respektvollen
Versuchen, über seine Schultern hinweg einen Blick auf die Papiere zu werfen; es war aber
nur wesenlose Neugier und Großtuerei, welche auch die Wirtin mit zusammengezogenen
Augenbrauen missbilligte.
Plötzlich aber horchte die Wirtin auf und starrte, ganz dem Horchen hingegeben, ins
Leere. K. drehte sich um, er hörte gar nichts Besonderes, auch die anderen schienen
nichts zu hören, aber die Wirtin lief auf den Fußspitzen mit großen Schritten zu der
Tür im Hintergrund, die in den Hof führte, blickte durchs Schlüsselloch, wandte sich
dann zu den anderen mit aufgerissenen Augen, erhitztem Gesicht, winkte sie mit dem Finger
zu sich, und nun blickten sie abwechselnd durch, der Wirtin blieb zwar der größte
Anteil, aber auch Pepi wurde immer bedacht, der Herr war der verhältnismäßig
Gleichgültigste. Pepi und der Herr kamen auch bald zurück, nur die Wirtin sah noch immer
angestrengt hindurch, tief gebückt, fast kniend, man hatte fast den Eindruck, als
beschwöre sie jetzt nur noch das Schlüsselloch, sie durchzulassen, denn zu sehen war
wohl schon längst nichts mehr. Als sie sich dann endlich doch erhob, mit den Händen das
Gesicht überfuhr, die Haare ordnete, tief Atem holte, die Augen scheinbar erst wieder an
das Zimmer und die Leute hier gewöhnen musste und es mit Widerwillen tat, sagte K., nicht
um sich etwas bestätigen zu lassen, was er wusste, sondern um einem Angriff
zuvorzukommen, den er fast fürchtete, so verletzlich war er jetzt: »Ist also Klamm schon
fortgefahren?« Die Wirtin ging stumm an ihm vorüber, aber der Herr sagte von seinem
Tischchen her: »Ja, gewiss. Da Sie Ihren Wachtposten aufgegeben hatten, konnte ja Klamm
fahren. Aber wunderbar ist es, wie empfindlich der Herr ist. Bemerkten Sie, Frau Wirtin,
wie unruhig Klamm ringsumher sah?« Die Wirtin schien das nicht bemerkt zu haben, aber der
Herr fuhr fort: »Nun, glücklicherweise war ja nichts mehr zu sehen, der Kutscher hatte
auch die Fußspuren im Schnee glattgekehrt.« »Die Frau Wirtin hat nichts
bemerkt«, sagte K., aber er sagte es nicht aus irgendeiner Hoffnung, sondern nur gereizt
durch des Herrn Behauptung, die so abschließend und inappellabel hatte klingen wollen.
»Vielleicht war ich gerade nicht beim Schlüsselloch«, sagte die Wirtin, zunächst um
den Herrn in Schutz zu nehmen; dann aber wollte sie auch Klamm sein Recht geben und fügte
hinzu: »Allerdings, ich glaube nicht an eine so große Empfindlichkeit Klamms. Wir
freilich haben Angst um ihn und suchen ihn zu schützen und gehen hierbei von der Annahme
einer äußersten Empfindlichkeit Klamms aus. Das ist gut so und gewiss Klamms Wille. Wie
es sich aber in Wirklichkeit verhält, wissen wir nicht. Gewiss, Klamm wird mit jemandem,
mit dem er nicht sprechen will, niemals sprechen, so viel Mühe sich auch dieser Jemand
gibt und so unerträglich er sich vordrängt, aber diese Tatsache allein, dass Klamm
niemals mit ihm sprechen, niemals ihn vor sein Angesicht kommen lassen wird, genügt ja,
warum sollte er in Wirklichkeit den Anblick irgendjemandes nicht ertragen können.
Zumindest lässt es sich nicht beweisen, da es niemals zur Probe kommen wird.« Der Herr
nickte eifrig. »Es ist das natürlich im Grunde auch meine Meinung«, sagte er, »habe
ich mich ein wenig anders ausgedrückt, so geschah es, um dem Herrn Landvermesser
verständlich zu sein. Richtig jedoch ist, dass sich Klamm, als er ins Freie trat,
mehrmals im Halbkreis umgesehen hat.« »Vielleicht hat er mich gesucht«, sagte K.
»Möglich«, sagte der Herr, »darauf bin ich nicht verfallen.« Alle lachten, Pepi, die
kaum etwas von dem Ganzen verstand, am lautesten.
»Da wir jetzt so fröhlich beisammen sind«, sagte dann der Herr, »würde ich Sie,
Herr Landvermesser, sehr bitten, durch einige Angaben meine Akten zu ergänzen.«
»Es wird hier viel geschrieben«, sagte K. und blickte von der Ferne auf die Akten hin.
»Ja, eine schlechte Angewohnheit«, sagte der Herr und lachte wieder, »aber vielleicht
wissen Sie noch gar nicht, wer ich bin. Ich bin Momus, der Dorfsekretär Klamms.« Nach
diesen Worten wurde es im ganzen Zimmer ernst; obwohl die Wirtin und Pepi den Herrn
natürlich kannten, waren sie doch wie betroffen von der Nennung des Namens und der
Würde. Und sogar der Herr selbst, als habe er für die eigene Aufnahmefähigkeit zu viel
gesagt und als wolle er wenigstens vor jeder nachträglichen, den eigenen Worten
innewohnenden Feierlichkeit sich flüchten, vertiefte sich in die Akten und begann zu
schreiben, dass man im Zimmer nichts als die Feder hörte. »Was ist denn das:
Dorfsekretär?« fragte K. nach einem Weilchen. Für Momus, der es jetzt, nachdem er sich
vorgestellt hatte, nicht mehr für angemessen hielt, solche Erklärungen selbst zu geben,
sagte die Wirtin: »Herr Momus ist der Sekretär Klamms wie irgendeiner der Klammschen
Sekretäre, aber sein Amtssitz und, wenn ich nicht irre, auch seine Amtswirksamkeit
«, Momus schüttelte aus dem Schreiben heraus lebhaft den Kopf, und die Wirtin
verbesserte sich, »also nur sein Amtssitz, nicht seine Amtswirksamkeit ist auf das Dorf
eingeschränkt. Herr Momus besorgt die im Dorfe nötig werdenden schriftlichen Arbeiten
Klamms und empfängt alle aus dem Dorf stammenden Ansuchen an Klamm als Erster.« Als K.,
noch wenig ergriffen von diesen Dingen, die Wirtin mit leeren Augen ansah, fügte sie,
halb verlegen, hinzu: »So ist es eingerichtet, alle Herren aus dem Schloss haben ihre
Dorfsekretäre.« Momus, der viel aufmerksamer als K. zugehört hatte, sagte ergänzend
zur Wirtin: »Die meisten Dorfsekretäre arbeiten nur für einen Herrn, ich aber für
zwei, für Klamm und für Vallabene.« »Ja«, sagte die Wirtin, sich nun
ihrerseits auch erinnernd, und wandte sich an K. »Herr Momus arbeitet für zwei Herren,
für Klamm und für Vallabene, ist also zweifacher Dorfsekretär.« »Zweifacher
gar«, sagte K. und nickte Momus, der jetzt, fast vorgebeugt, voll zu ihm aufsah, zu, so
wie man einem Kind zunickt, das man eben hat loben hören. Lag darin eine gewisse
Verachtung, so wurde sie entweder nicht bemerkt oder geradezu verlangt. Gerade vor K., der
doch nicht einmal würdig genug war, um von Klamm auch nur zufällig gesehen werden zu
dürfen, wurden die Verdienste eines Mannes aus der nächsten Umgebung Klamms ausführlich
dargestellt mit der unverhüllten Absicht, K.s Anerkennung und Lob herauszufordern. Und
doch hatte K. nicht den richtigen Sinn dafür; er, der sich mit allen Kräften um einen
Blick Klamms bemühte, schätzte zum Beispiel die Stellung eines Momus, der unter Klamms
Augen leben durfte, nicht hoch ein, fern war ihm Bewunderung oder gar Neid, denn nicht
Klamms Nähe an sich war ihm das Erstrebenswerte, sondern dass er, K., nur er, kein
anderer mit seinen, mit keines anderen Wünschen an Klamm herankam und an ihn herankam,
nicht um bei ihm zu ruhen, sondern um an ihm vorbeizukommen, weiter, ins Schloss.
Und er sah auf seine Uhr und sagte: »Nun muss ich aber nach Hause gehen.« Sofort
veränderte sich das Verhältnis zu Momus' Gunsten. »Ja, freilich«, sagte dieser, »die
Schuldienerpflichten rufen. Aber einen Augenblick müssen Sie mir noch widmen. Nur ein
paar kurze Fragen.« »Ich habe keine Lust dazu«, sagte K. und wollte zur Tür
gehen. Momus schlug einen Akt gegen den Tisch und stand auf: »Im Namen Klamms fordere ich
Sie auf, meine Fragen zu beantworten.« »In Klamms Namen?« wiederholte K.
»Kümmern ihn denn meine Dinge?« »Darüber«, sagte Momus, »habe ich kein
Urteil und Sie doch wohl noch viel weniger, das wollen wir also beide getrost ihm
überlassen. Wohl aber fordere ich Sie, in meiner mir von Klamm verliehenen Stellung, auf,
zu bleiben und zu antworten.« »Herr Landvermesser«, mischte sich die Wirtin ein,
»ich hüte mich, Ihnen noch weiter zu raten; ich bin ja mit meinen bisherigen
Ratschlägen, den wohlmeinendsten, die es geben kann, in unerhörter Weise von Ihnen
abgewiesen worden, und hierher zum Herrn Sekretär ich habe nichts zu verbergen
bin ich nur gekommen, um das Amt von Ihrem Benehmen und Ihren Absichten gebührend
zu verständigen und mich für alle Zeiten davor zu bewahren, dass Sie etwa neu bei mir
einquartiert würden, so stehen wir zueinander, und daran wird wohl nichts mehr geändert
werden, und wenn ich daher jetzt meine Meinung sage, so tue ich es nicht etwa, um Ihnen zu
helfen, sondern um dem Herrn Sekretär die schwere Aufgabe, die es bedeutet, mit einem
Mann wie Ihnen zu verhandeln, ein wenig zu erleichtern. Trotzdem aber können Sie eben
wegen meiner vollständigen Offenheit anders als offen kann ich mit Ihnen nicht
verkehren, und selbst so geschieht es widerwillig aus meinen Worten auch für sich
Nutzen ziehen, wenn Sie nur wollen. Für diesen Fall mache ich Sie nun also darauf
aufmerksam, dass der einzige Weg, der für Sie zu Klamm führt, hier durch die Protokolle
des Herrn Sekretärs geht. Aber ich will nicht übertreiben, vielleicht führt der Weg
nicht bis zu Klamm, vielleicht hört er weit vor ihm auf, darüber entscheidet das
Gutdünken des Herrn Sekretärs. Jedenfalls aber ist es der einzige Weg, der für Sie
wenigstens in der Richtung zu Klamm führt. Und auf diesen einzigen Weg wollen Sie
verzichten, aus keinem anderen Grund als aus Trotz?« »Ach, Frau Wirtin«, sagte
K., »es ist weder der einzige Weg zu Klamm, noch ist er mehr wert als die anderen. Und
Sie, Herr Sekretär, entscheiden darüber, ob das, was ich hier sagen würde, bis zu Klamm
dringen darf oder nicht?« »Allerdings«, sagte Momus und blickte mit stolz
gesenkten Augen rechts und links, wo nichts zu sehen war, »wozu wäre ich sonst
Sekretär.« »Nun sehen Sie, Frau Wirtin«, sagte K., »nicht zu Klamm brauche ich
einen Weg, sondern erst zum Herrn Sekretär.« »Diesen Weg wollte ich Ihnen
öffnen«, sagte die Wirtin. »Habe ich Ihnen nicht am Vormittag angeboten, Ihre Bitte an
Klamm zu leiten? Dies wäre durch den Herrn Sekretär geschehen. Sie aber haben es
abgelehnt, und doch wird Ihnen jetzt nichts anderes übrig bleiben als nur dieser Weg.
Freilich, nach Ihrer heutigen Aufführung, nach dem versuchten Überfall auf Klamm, mit
noch weniger Aussicht auf Erfolg. Aber diese letzte, kleinste, verschwindende, eigentlich
gar nicht vorhandene Hoffnung ist doch Ihre einzige.« »Wie kommt es, Frau
Wirtin«, sagte K., »dass Sie ursprünglich mich so sehr davon abzuhalten versucht haben,
zu Klamm vorzudringen, und jetzt meine Bitte gar so ernst nehmen und mich beim Misslingen
meiner Pläne gewissermaßen für verloren zu halten scheinen? Wenn man mir einmal aus
aufrichtigem Herzen davon abraten konnte, überhaupt zu Klamm zu streben, wie ist es
möglich, dass man mich jetzt scheinbar ebenso aufrichtig auf dem Weg zu Klamm, mag er
zugegebenerweise auch gar nicht bis hin führen, geradezu vorwärts treibt?«
»Treibe ich Sie denn vorwärts?« sagte die Wirtin. »Heißt es vorwärts treiben, wenn
ich sage, dass Ihre Versuche hoffnungslos sind? Das wäre doch wahrhaftig das
Äußerste an Kühnheit, wenn Sie auf solche Weise die Verantwortung für sich auf mich
überwälzen wollten. Ist es vielleicht die Gegenwart des Herrn Sekretärs, die Ihnen dazu
Lust macht? Nein, Herr Landvermesser, ich treibe Sie zu gar nichts an. Nur das eine kann
ich gestehen, dass ich Sie, als ich Sie zum ersten Mal sah, vielleicht ein wenig
überschätzte. Ihr schneller Sieg über Frieda erschreckte mich, ich wusste nicht, wessen
Sie noch fähig sein könnten, ich wollte weiteres Unheil verhüten und glaubte, dies
durch nichts anderes erreichen zu können, als dass ich Sie durch Bitten und Drohungen zu
erschüttern versuchte. Inzwischen habe ich über das Ganze ruhiger zu denken gelernt.
Mögen Sie tun, was Sie wollen. Ihre Taten werden vielleicht draußen im Schnee auf dem
Hof tiefe Fußspuren hinterlassen, mehr aber nicht.« »Ganz scheint mir der
Widerspruch nicht aufgeklärt zu sein«, sagte K., »doch ich gebe mich damit zufrieden,
auf ihn aufmerksam gemacht zu haben. Nun bitte ich aber Sie, Herr Sekretär, mir zu sagen,
ob die Meinung der Frau Wirtin richtig ist, dass nämlich das Protokoll, das Sie mit mir
aufnehmen wollen, in seinen Folgen dazu führen könnte, dass ich vor Klamm erscheinen
darf Ist dies der Fall, bin ich sofort bereit, alle Fragen zu beantworten. In dieser
Hinsicht bin ich überhaupt zu allem bereit.« »Nein«, sagte Momus, »solche
Zusammenhänge bestehen nicht. Es handelt sich nur darum, für die Klammsche
Dorfregistratur eine genaue Beschreibung des heutigen Nachmittags zu erhalten. Die
Beschreibung ist schon fertig, nur zwei, drei Lücken sollen Sie noch ausfüllen, der
Ordnung halber; ein anderer Zweck besteht nicht und kann auch nicht erreicht werden.« K.
sah die Wirtin schweigend an. »Warum sehen Sie mich an«, fragte die Wirtin, »habe ich
vielleicht etwas anderes gesagt? So ist er immer, Herr Sekretär, so ist er immer.
Fälscht die Auskünfte, die man ihm gibt, und behauptet dann, falsche Auskunft bekommen
zu haben. Ich sagte ihm seit jeher, heute und nimmer, dass er nicht die geringste Aussicht
hat, von Klamm empfangen zu werden; nun, wenn es also keine Aussicht gibt, wird er sie
auch durch dieses Protokoll nicht bekommen. Kann etwas deutlicher sein? Weiter sage ich,
dass dieses Protokoll die einzige wirkliche amtliche Verbindung ist, die er mit Klamm
haben kann; auch das ist doch deutlich genug und unanzweifelbar. Wenn er mir nun aber
nicht glaubt, immerfort ich weiß nicht, warum und wozu hofft, zu Klamm
vordringen zu können, dann kann ihm, wenn man in seinem Gedankengange bleibt, nur die
einzige wirkliche amtliche Verbindung helfen, die er mit Klamm hat, also dieses Protokoll.
Nur dieses habe ich gesagt, und wer etwas anderes behauptet, verdreht böswillig die
Worte.« »Wenn es so ist, Frau Wirtin«, sagte K., »dann bitte ich Sie um
Entschuldigung, dann habe ich Sie missverstanden; ich glaubte nämlich
irrigerweise, wie sich jetzt herausgestellt aus Ihren früheren Worten
herauszuhören, dass doch irgendeine allerkleinste Hoffnung für mich besteht.«
»Gewiss«, sagte die Wirtin, »das ist allerdings meine Meinung, Sie verdrehen meine
Worte wieder, nur diesmal nach der entgegengesetzten Richtung. Eine derartige Hoffnung
für Sie besteht meiner Meinung nach und gründet sich allerdings nur auf dieses
Protokoll. Es verhält sich aber damit nicht so, dass Sie einfach den Herrn Sekretär mit
der Frage anfallen können: Werde ich zu Klamm dürfen, wenn ich die Fragen
beantworte? Wenn ein Kind so fragt, lacht man darüber, wenn es ein Erwachsener tut,
ist es eine Beleidigung des Amtes, der Herr Sekretär hat es nur durch die Feinheit seiner
Antwort gnädig verdeckt. Die Hoffnung aber, die ich meine, besteht eben darin, dass Sie
durch das Protokoll eine Art Verbindung, vielleicht eine Art Verbindung mit Klamm haben.
Ist das nicht Hoffnung genug? Wenn man Sie nach Ihren Verdiensten fragt, die Sie des
Geschenkes einer solchen Hoffnung würdig machen, könnten Sie das Geringste vorbringen?
Freilich, Genaueres lässt sich über diese Hoffnung nicht sagen, und insbesondere der
Herr Sekretär wird in seiner amtlichen Eigenschaft niemals auch nur die geringste
Andeutung darüber machen können. Für ihn handelt es sich, wie er sagt, nur um eine
Beschreibung des heutigen Nachmittags, der Ordnung halber; mehr wird er nicht sagen, auch
wenn Sie ihn gleich jetzt mit Bezug auf meine Worte danach fragen.« »Wird denn,
Herr Sekretär«, fragte K., »Klamm dieses Protokoll lesen?« »Nein«, sagte
Momus, »warum denn? Klamm kann doch nicht alle Protokolle lesen, er liest sogar
überhaupt keines. `Bleibt mir vom Leibe mit eueren Protokollen!' pflegt er zu sagen.«
»Herr Landvermesser«, klagte die Wirtin, »Sie erschöpfen mich mit solchen
Fragen. Ist es denn nötig oder auch nur wünschenswert, dass Klamm dieses Protokoll liest
und von den Nichtigkeiten Ihres Lebens wortwörtlich Kenntnis bekommt; wollen Sie nicht
lieber demütigst bitten, dass man das Protokoll vor Klamm verbirgt, eine Bitte übrigens,
die ebenso unvernünftig wäre wie die frühere denn wer kann vor Klamm etwas
verbergen? , die aber doch einen sympathischeren Charakter erkennen ließe. Und ist
es denn für das, was Sie Ihre Hoffnung nennen, nötig? Haben Sie nicht selbst erklärt,
dass Sie zufrieden sein würden, wenn Sie nur Gelegenheit hätten, vor Klamm zu sprechen,
auch wenn er Sie nicht ansehen und Ihnen nicht zuhören würde? Und erreichen Sie durch
dieses Protokoll nicht zumindest dieses, vielleicht aber viel mehr?« »Viel
mehr?« fragte K. »Auf welche Weise?« »Wenn Sie nur nicht immer«, rief die
Wirtin, »wie ein Kind alles gleich in essbarer Form dargeboten haben wollten! Wer kann
denn Antwort auf solche Fragen geben? Das Protokoll kommt in die Dorfregistratur Klamms,
das haben Sie gehört, mehr kann darüber mit Bestimmtheit nicht gesagt werden. Kennen Sie
aber dann schon die ganze Bedeutung des Protokolls, des Herrn Sekretärs, der
Dorfregistratur? Wissen Sie, was es bedeutet, wenn der Herr Sekretär Sie verhört?
Vielleicht oder wahrscheinlich weiß er es selbst nicht. Er sitzt ruhig hier und tut seine
Pflicht, der Ordnung halber, wie er sagte. Bedenken Sie aber, dass ihn Klamm ernannt hat,
dass er im Namen Klamms arbeitet, dass das, was er tut, wenn es auch niemals bis zu Klamm
gelangt, doch von vornherein Klamms Zustimmung hat. Und wie kann etwas Klamms Zustimmung
haben, was nicht von seinem Geiste erfüllt ist? Fern sei es von mir, damit etwa in
plumper Weise dem Herrn Sekretär schmeicheln zu wollen, er würde es sich auch selbst
sehr verbitten, aber ich rede nicht von seiner selbstständigen Persönlichkeit, sondern
davon, was er ist, wenn er Klamms Zustimmung hat, wie eben jetzt: Dann ist er ein
Werkzeug, auf dem die Hand Klamms liegt, und wehe jedem, der sich ihm nicht fügt.«
Die Drohungen der Wirtin fürchtete K. nicht, der Hoffnungen, mit denen sie ihn zu
fangen suchte, war er müde. Klamm war fern. Einmal hatte die Wirtin Klamm mit einem Adler
verglichen, und das war K. lächerlich erschienen, jetzt aber nicht mehr; er dachte an
seine Ferne, an seine uneinnehmbare Wohnung, an seine, nur vielleicht von Schreien, wie
sie K. noch nie gehört hatte, unterbrochene Stummheit, an seinen herabdringenden Blick,
der sich niemals nachweisen, niemals widerlegen ließ, an seine von K.s Tiefe her
unzerstörbaren Kreise, die er oben nach unverständlichen Gesetzen zog, nur für
Augenblicke sichtbar: das alles war Klamm und dem Adler gemeinsam. Gewiss aber hatte damit
dieses Protokoll nichts zu tun, über dem jetzt gerade Momus eine Salzbrezel auseinander
brach, die er sich zum Bier schmecken ließ und mit der er alle Papiere mit Salz und
Kümmel überstreute.
»Gute Nacht«, sagte K., »ich habe eine Abneigung gegen jedes Verhör«, und er ging
nun wirklich zur Tür. »Er geht also doch«, sagte Momus fast ängstlich zur Wirtin. »Er
wird es nicht wagen«, sagte diese, mehr hörte K. nicht, er war schon im Flur. Es war
kalt, und ein starker Wind wehte. Aus einer Tür gegenüber kam der Wirt, er schien dort
hinter einem Guckloch den Flur unter Aufsicht gehalten zu haben. Die Schöße seines
Rockes musste er sich um den Leib schlagen, so riss der Wind selbst hier im Flur an ihnen.
»Sie gehen schon, Herr Landvermesser?« sagte er. »Sie wundern sich darüber?« fragte
K. »Ja«, sagte der Wirt. »Werden Sie denn nicht verhört?« »Nein«, sagte K.
»Ich ließ mich nicht verhören.« »Warum nicht?« fragte der Wirt. »Ich weiß
nicht«, sagte K., »warum ich mich verhören lassen solle, warum ich einem Spaß oder
einer amtlichen Laune mich fügen solle. Vielleicht hätte ich es ein anderes Mal
gleichfalls aus Spaß oder Laune getan, heute aber nicht.« »Nun ja, gewiss«,
sagte der Wirt, aber es war nur eine höfliche, keine überzeugte Zustimmung. »Ich muss
jetzt die Dienerschaft in den Ausschank lassen«, sagte er dann, »es ist schon längst
ihre Stunde. Ich wollte nur das Verhör nicht stören.« »Für so wichtig hielten
Sie es?« fragte K. »O ja«, sagte der Wirt. »Ich hätte es also nicht ablehnen
sollen«, sagte K. »Nein«, sagte der Wirt, »das hätten Sie nicht tun sollen.« Da K.
schwieg, fügte er hinzu, sei es, um K. zu trösten, sei es, um schneller fortzukommen:
»Nun, nun es muss aber deshalb nicht gleich Schwefel vom Himmel regnen.«
»Nein«, sagte K., »danach sieht das Wetter nicht aus.« Und sie gingen lachend
auseinander.
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