Endlich es war schon dunkel,
später Nachmittag hatte K. den Gartenweg freigelegt, den Schnee zu beiden Seiten
des Weges hochgeschichtet und festgeschlagen und war nun mit der Arbeit des Tages fertig.
Er stand am Gartentor, im weiten Umkreis allein. Den Gehilfen hatte er vor Stunden schon
vertrieben, eine große Strecke gejagt; dann hatte sich der Gehilfe irgendwo zwischen
Gärtchen und Hütten versteckt, war nicht mehr aufzufinden gewesen und auch seitdem nicht
wieder hervorgekommen. Frieda war zu Hause und wusch entweder schon die Wäsche oder noch
immer Gisas Katze; es war ein Zeichen großen Vertrauens seitens Gisas gewesen, dass sie
Frieda diese Arbeit übergeben hatte, eine allerdings unappetitliche und unpassende
Arbeit, deren Übernahme K. gewiss nicht geduldet hätte, wenn es nicht sehr ratsam
gewesen wäre, nach den verschiedenen Dienstversäumnissen jede Gelegenheit zu benützen,
durch die man sich Gisa verpflichten konnte. Gisa hatte wohlgefällig zugesehen, wie K.
die kleine Kinderbadewanne vom Dachboden gebracht hatte, wie Wasser gewärmt wurde und wie
man schließlich vorsichtig die Katze in die Wanne hob. Dann hatte Gisa die Katze sogar
völlig Frieda überlassen, denn Schwarzer, K.s Bekannter vom ersten Abend, war gekommen,
hatte K. mit einer Mischung von Scheu, zu welcher an jenem Abend der Grund gelegt worden
war, und unmäßiger Verachtung, wie sie einem Schuldiener gebührte, begrüßt und hatte
sich dann mit Gisa in das andere Schulzimmer begeben. Dort waren die beiden noch immer.
Wie man im Brückenhof K. erzählt hatte, lebte Schwarzer, der doch ein Kastellansohn war,
aus Liebe zu Gisa schon lange im Dorfe, hatte es durch seine Verbindungen erreicht, dass
er von der Gemeinde zum Hilfslehrer ernannt worden war, übte aber dieses Amt
hauptsächlich in der Weise aus, dass er fast keine Unterrichtsstunde Gisas versäumte,
entweder in der Schulbank zwischen den Kindern saß oder, lieber, am Podium zu Gisas
Füßen. Es störte gar nicht mehr, die Kinder hatten sich schon längst daran gewöhnt,
und dies vielleicht umso leichter, als Schwarzer weder Zuneigung noch Verständnis für
die Kinder hatte, kaum mit ihnen sprach, nur den Turnunterricht von Gisa übernommen hatte
und im Übrigen damit zufrieden war, in der Nähe, in der Luft, in der Wärme Gisas zu
leben. Sein größtes Vergnügen war es, neben Gisa zu sitzen und Schulhefte zu
korrigieren. Auch heute waren sie damit beschäftigt, Schwarzer hatte einen großen Stoß
Hefte gebracht, der Lehrer gab ihnen immer auch die seinen und, solange es noch hell
gewesen war, hatte K. die beiden an einem Tischchen beim Fenster arbeiten gesehen, Kopf an
Kopf, unbeweglich, jetzt sah man dort nur zwei Kerzen flackern. Es war eine ernste,
schweigsame Liebe, welche die beiden verband; den Ton gab eben Gisa an, deren
schwerfälliges Wesen zwar manchmal, wild geworden, alle Grenzen durchbrach, die aber
etwas Ähnliches bei anderen zu anderer Zeit niemals geduldet hätte; so musste sich auch
der lebhafte Schwarzer fügen, langsam gehen, langsam sprechen, viel schweigen; aber er
wurde für alles, das sah man, reichlich belohnt durch Gisas einfache, stille Gegenwart.
Dabei liebte ihn Gisa vielleicht gar nicht; jedenfalls gaben ihre runden, grauen,
förmlich niemals blinzelnden, eher in den Pupillen scheinbar sich drehenden Augen auf
solche Fragen keine Antwort; nur dass sie Schwarzer ohne Widerspruch duldete, sah man,
aber die Ehrung, von einem Kastellanssohn geliebt zu werden, verstand sie gewiss nicht zu
würdigen, und ihren vollen, üppigen Körper trug sie unverändert ruhig dahin, ob
Schwarzer ihr mit den Blicken folgte oder nicht. Schwarzer dagegen brachte ihr das
ständige Opfer, dass er im Dorfe blieb; Boten des Vaters, die ihn öfters abzuholen
kamen, fertigte er so empört ab, als sei schon die kurze, von ihnen verursachte
Erinnerung an das Schloss und an seine Sohnespflicht eine empfindliche, nicht zu
ersetzende Störung seines Glückes. Und doch hatte er eigentlich reichlich freie Zeit,
denn Gisa zeigte sich ihm im Allgemeinen nur während der Unterrichtsstunden und beim
Heftekorrigieren, dies freilich nicht aus Berechnung, sondern weil sie die Bequemlichkeit
und deshalb das Alleinsein über alles liebte und wahrscheinlich am glücklichsten war,
wenn sie sich zu Hause in völliger Freiheit auf dem Kanapee ausstrecken konnte, neben
sich die Katze, die nicht störte, weil sie sich ja kaum mehr bewegen konnte. So trieb
sich Schwarzer einen großen Teil des Tages beschäftigungslos herum, aber auch das war
ihm lieb, denn immer hatte er dabei die Möglichkeit, die er auch sehr oft ausnützte, in
die Löwengasse zu gehen, wo Gisa wohnte, zu ihrem Dachzimmerchen hinaufzusteigen, an der
immer versperrten Tür zu horchen und dann eiligst wieder wegzugehen, nachdem er im Zimmer
ausnahmslos die vollkommenste, unbegreiflichste Stille festgestellt hatte. Immerhin
zeigten sich doch auch bei ihm die Folgen dieser Lebensweise manchmal aber niemals
in Gisas Gegenwart in lächerlichen Ausbrüchen auf Augenblicke wiedererwachten
amtlichen Hochmuts, der freilich gerade zu seiner gegenwärtigen Stellung schlecht genug
passte; es ging dann allerdings meistens nicht sehr gut aus, wie es ja auch K. erlebt
hatte.
Erstaunlich war nur, dass man, wenigstens im Brückenhof, doch mit einer gewissen
Achtung von Schwarzer sprach, selbst wenn es sich um mehr lächerliche als achtungswerte
Dinge handelte, auch Gisa war in diese Achtung mit eingeschlossen. Es war aber dennoch
unrichtig, wenn Schwarzer als Hilfslehrer K. außerordentlich überlegen zu sein glaubte,
diese Überlegenheit war nicht vorhanden; ein Schuldiener ist für die Lehrerschaft, und
gar für einen Lehrer von Schwarzers Art, eine sehr wichtige Person, die man nicht
ungestraft missachten darf und der man die Missachtung, wenn man aus Standesinteressen auf
sie nicht verzichten kann, zumindest mit entsprechender Gegengabe erträglich machen muss.
K. wollte bei Gelegenheit daran denken, auch war Schwarzer bei ihm noch vom ersten Abend
her in Schuld, die dadurch nicht kleiner geworden war, dass die nächsten Tage dem Empfang
Schwarzers eigentlich Recht gegeben hatten. Denn es war dabei nicht zu vergessen, dass der
Empfang vielleicht allem Folgenden die Richtung gegeben hatte. Durch Schwarzer war ganz
unsinnigerweise gleich in der ersten Stunde die volle Aufmerksamkeit der Behörden auf K.
gelenkt worden, als er, noch völlig fremd im Dorf, ohne Bekannte, ohne Zuflucht,
übermüdet vom Marsch, ganz hilflos, wie er dort auf dem Strohsack lag, jedem
behördlichen Zugriff ausgeliefert war. Nur eine Nacht später hätte schon alles anders,
ruhig, halb im Verborgenen verlaufen können; jedenfalls hätte niemand etwas von ihm
gewusst, keinen Verdacht gehabt, zumindest nicht gezögert, ihn als Wanderburschen einen
Tag bei sich zu lassen; man hätte seine Brauchbarkeit und Zuverlässigkeit gesehen, es
hätte sich in der Nachbarschaft herumgesprochen, wahrscheinlich hätte er bald als Knecht
irgendwo ein Unterkommen gefunden. Natürlich, der Behörde wäre es nicht entgangen. Aber
es war ein wesentlicher Unterschied, ob mitten in der Nacht seinetwegen die Zentralkanzlei
oder wer sonst beim Telefon gewesen war, aufgerüttelt wurde, eine augenblickliche
Entscheidung eingefordert wurde, in scheinbarer Demut, aber doch mit lästiger
Unerbittlichkeit eingefordert wurde, überdies von dem oben wahrscheinlich missliebigen
Schwarzer, oder ob statt alles dessen K. am nächsten Tag in den Amtsstunden beim
Gemeindevorsteher anklopfte und, wie es sich gehörte, sich als fremder Wanderbursch
meldete, der bei einem bestimmten Gemeindemitglied schon eine Schlafstelle hat und
wahrscheinlich morgen wieder weiterziehen wird; es wäre denn, dass der ganz
unwahrscheinliche Fall eintritt und er hier Arbeit findet, nur für ein paar Tage
natürlich, denn länger will er keinesfalls bleiben. So oder ähnlich wäre es ohne
Schwarzer geworden. Die Behörde hätte sich auch weiter mit der Angelegenheit
beschäftigt, aber ruhig, im Amtswege, ungestört von der ihr wahrscheinlich besonders
verhassten Ungeduld der Partei. Nun war ja K. an dem allen unschuldig, die Schuld traf
Schwarzer, aber Schwarzer war der Sohn eines Kastellans, und äußerlich hatte er sich ja
korrekt verhalten, man konnte es also nur K. vergelten lassen. Und der lächerliche Anlass
alles dessen? Vielleicht eine ungnädige Laune Gisas an jenem Tag, wegen der Schwarzer
schlaflos in der Nacht herumgestrichen war, um sich dann an K. für sein Leid zu
entschädigen. Man konnte freilich von anderer Seite her auch sagen, dass K. diesem
Verhalten Schwarzers sehr viel verdanke. Nur dadurch war etwas möglich geworden, was K.
allein niemals erreicht, nie zu erreichen gewagt hätte und was auch ihrerseits die
Behörde kaum je zugegeben hätte, dass er nämlich von allem Anfang an, ohne Winkelzüge,
offen, Aug in Aug, der Behörde entgegentrat, soweit dies bei ihr überhaupt möglich war.
Aber das war ein schlimmes Geschenk, es ersparte zwar K. viel Lüge und Heimlichtuerei,
aber es machte ihn auch fast wehrlos, benachteiligte ihn jedenfalls im Kampf und hätte
ihn im Hinblick darauf verzweifelt machen können, wenn er sich nicht hätte sagen
müssen, dass der Machtunterschied zwischen der Behörde und ihm so ungeheuerlich war,
dass alle Lüge und List, deren er fähig gewesen wäre, den Unterschied nicht wesentlich
zu seinen Gunsten hätte herabdrücken können. Doch war dies nur ein Gedanke, mit dem K.
sich selbst tröstete, Schwarzer blieb trotzdem in seiner Schuld, hatte er K. damals
geschadet, vielleicht konnte er nächstens helfen, K. würde auch weiterhin Hilfe im
Allergeringsten, in den allerersten Vorbedingungen nötig haben, so schien ja zum Beispiel
auch Barnabas wieder zu versagen.
Friedas wegen hatte K. den ganzen Tag gezögert, in des Barnabas Wohnung nachfragen zu
gehen; um ihn nicht vor Frieda empfangen zu müssen, hatte er jetzt draußen gearbeitet
und war nach der Arbeit noch hier geblieben in Erwartung des Barnabas, aber Barnabas kam
nicht. Nun blieb nichts anderes übrig, als zu den Schwestern zu gehen, nur für ein
kleines Weilchen, nur von der Schwelle aus wollte er fragen, bald würde er wieder zurück
sein. Und er rammte die Schaufel in den Schnee ein und lief. Atemlos kam er beim Haus des
Barnabas an, riss nach kurzem Klopfen die Tür auf und fragte, ohne darauf zu achten, wie
es in der Stube aussah: »Ist Barnabas noch immer nicht gekommen?« Erst jetzt bemerkte
er, dass Olga nicht da war, die beiden Alten wieder bei dem weit entfernten Tisch in einem
Dämmerzustande saßen, sich noch nicht klar gemacht hatten, was bei der Tür geschehen
war, und erst langsam die Gesichter hinwendeten und dass schließlich Amalia unter Decken
auf der Ofenbank lag und im ersten Schrecken über K.s Erscheinen aufgefahren war und die
Hand an die Stirn hielt, um sich zu fassen. Wäre Olga hier gewesen, hätte sie gleich
geantwortet, und K. hätte wieder fortgehen können, so musste er wenigstens die paar
Schritte zu Amalia machen, ihr die Hand reichen, die sie schweigend drückte, und sie
bitten, die aufgescheuchten Eltern vor irgendwelchen Wanderungen abzuhalten, was sie auch
mit ein paar Worten tat. K. erfuhr, dass Olga im Hof Holz hackte, Amalia erschöpft
sie nannte keinen Grund vor kurzem sich hatte niederlegen müssen und Barnabas zwar
noch nicht gekommen war, aber sehr bald kommen musste, denn über Nacht blieb er nie im
Schloss. K. dankte für die Auskunft, er konnte nun wieder gehen, Amalia aber fragte, ob
er nicht noch auf Olga warten wollte; aber er hatte leider keine Zeit mehr. Dann fragte
Amalia, ob er denn schon heute mit Olga gesprochen habe; er verneinte es erstaunt und
fragte, ob ihm Olga etwas Besonderes mitteilen wollte. Amalia verzog wie in leichtem
Ärger den Mund, nickte K. schweigend zu es war deutlich eine Verabschiedung
und legte sich wieder zurück. Aus der Ruhelage musterte sie ihn, so, als wundere sie
sich, dass er noch da sei. Ihr Blick war kalt, klar, unbeweglich wie immer; er war nicht
geradezu auf das gerichtet, was sie beobachtete, sondern ging das war störend
ein wenig, kaum merklich, aber zweifellos daran vorbei, es schien nicht Schwäche
zu sein, nicht Verlegenheit, nicht Unehrlichkeit, die das verursachte, sondern ein
fortwährendes, jedem anderen Gefühl überlegenes Verlangen nach Einsamkeit, das
vielleicht ihr selbst nur auf diese Weise zu Bewusstsein kam. K. glaubte sich zu erinnern,
dass dieser Blick schon am ersten Abend ihn beschäftigt hatte, ja, dass wahrscheinlich
der ganze hässliche Eindruck, den diese Familie gleich auf ihn gemacht hatte, auf diesen
Blick zurückging, der für sich selbst nicht hässlich war, sondern stolz und in seiner
Verschlossenheit aufrichtig. »du bist immer so traurig, Amalia«, sagte K., »quält dich
etwas? Kannst du es nicht sagen? Ich habe ein Landmädchen wie dich noch nicht gesehen.
Erst heute, erst jetzt ist es mir eigentlich aufgefallen. Stammst du hier aus dem Dorf?
Bist du hier geboren?« Amalia bejahte es, so, als habe K. nur die letzte Frage gestellt,
dann sagte sie: »du wirst also doch auf Olga warten?« »Ich weiß nicht, warum du
immerfort das Gleiche fragst«, sagte K. »Ich kann nicht länger bleiben, weil zu Hause
meine Braut wartet.«
Amalia stützte sich auf den Ellbogen, sie wusste von keiner Braut. K. nannte den
Namen. Amalia kannte sie nicht. Sie fragte, ob Olga von der Verlobung wisse; K. glaubte es
wohl, Olga habe ihn ja mit Frieda gesehen, auch verbreiten sich im Dorf solche Nachrichten
schnell. Amalia versicherte ihm aber, dass Olga es nicht wisse und dass es sie sehr
unglücklich machen werde, denn sie scheine K. zu lieben. Offen habe sie davon nicht
gesprochen, denn sie sei sehr zurückhaltend, aber Liebe verrate sich ja unwillkürlich.
K. war überzeugt, dass sich Amalia irre. Amalia lächelte, und dieses Lächeln, obwohl es
traurig war, erhellte das düster zusammengezogene Gesicht, machte die Stummheit
sprechend, machte die Fremdheit vertraut, war die Preisgabe eines Geheimnisses, die
Preisgabe eines bisher gehüteten Besitzes, der zwar wieder zurückgenommen werden konnte,
aber niemals mehr ganz. Amalia sagte, sie irre sich gewiss nicht; ja, sie wisse noch mehr,
sie wisse, dass auch K. Zuneigung zu Olga habe und dass seine Besuche, die irgendwelche
Botschaften des Barnabas zum Vorwand haben, in Wirklichkeit nur Olga gelten. Jetzt aber,
da Amalia von allem wisse, müsse er es nicht mehr so streng nehmen und dürfe öfters
kommen. Nur dieses habe sie ihm sagen wollen. K. schüttelte den Kopf und erinnerte an
seine Verlobung. Amalia schien nicht viele Gedanken an diese Verlobung zu verschwenden,
der unmittelbare Eindruck K.s, der doch allein vor ihr stand, war für sie entscheidend;
sie fragte nur, wann denn K. jenes Mädchen kennen gelernt habe, er sei doch erst wenige
Tage im Dorf. K. erzählte von dem Abend im Herrenhof, worauf Amalia nur kurz sagte, sie
sei sehr dagegen gewesen, dass man ihn in den Herrenhof führte. Sie rief dafür auch Olga
als Zeugin an, die mit einem Arm voll Holz eben hereinkam, frisch und gebeizt von der
kalten Luft, lebhaft und kräftig, wie verwandelt durch die Arbeit gegenüber ihrem
sonstigen schweren Dastehen im Zimmer. Sie warf das Holz hin, begrüßte unbefangen K. und
fragte gleich nach Frieda. K. verständigte sich durch einen Blick mit Amalia, aber sie
schien sich nicht für widerlegt zu halten. Ein wenig gereizt dadurch, erzählte K.
ausführlicher, als er es sonst getan hätte, von Frieda, beschrieb, unter wie schwierigen
Verhältnissen sie in der Schule immerhin eine Art Haushalt führte, und vergaß sich in
der Eile des Erzählens er wollte ja gleich nach Hause gehen derart, dass er
in der Form eines Abschieds die Schwestern einlud, ihn einmal zu besuchen. Jetzt
allerdings erschrak er und stockte, während Amalia sofort, ohne ihm noch zu einem Worte
Zeit zu lassen, die Einladung anzunehmen erklärte; nun musste sich auch Olga anschließen
und tat es. K. aber, immerfort von Gedanken an die Notwendigkeit eiligen Abschieds
bedrängt und sich unruhig fühlend unter Amalias Blick, zögerte nicht, ohne weitere
Verbrämung einzugestehen, dass die Einladung gänzlich unüberlegt und nur von seinem
persönlichen Gefühl eingegeben gewesen sei, dass er sie aber leider nicht
aufrechterhalten könne, da eine große, ihm allerdings ganz unverständliche Feindschaft
zwischen Frieda und dem Barnabasschen Hause bestehe. »Es ist keine Feindschaft«, sagte
Amalia, stand von der Bank auf und warf die Decke hinter sich, »ein so großes Ding ist
es nicht, es ist bloß ein Nachbeten der allgemeinen Meinung. Und nun geh, geh zu deiner
Braut, ich sehe, wie du eilst. Fürchte auch nicht, dass wir kommen, ich sagte es gleich
anfangs nur im Scherz, aus Bosheit. Du aber kannst öfters zu uns kommen, dafür ist wohl
kein Hindernis, du kannst ja immer die Barnabasschen Botschaften vorschützen. Ich
erleichtere es dir noch dadurch, dass ich sagte, dass Barnabas, auch wenn er eine
Botschaft vom Schloss für dich bringt, nicht wieder bis in die Schule gehen kann, um sie
dir zu melden. Er kann nicht so viel herumlaufen, der arme Junge, er verzehrt sich im
Dienst, du wirst selbst kommen müssen, dir die Nachricht zu holen.« K. hatte Amalia so
viel im Zusammenhang noch nicht sagen hören, es klang auch anders als sonst ihre Rede,
eine Art Hoheit war darin, die nicht nur K. fühlte, sondern offenbar auch Olga, die doch
an sie gewöhnte Schwester. Sie stand ein wenig abseits, die Hände im Schoß, nun wieder
in ihrer gewöhnlichen breitbeinigen, ein wenig gebeugten Haltung, die Augen hatte sie auf
Amalia gerichtet, während diese nur K. ansah. »Es ist ein Irrtum«, sagte K., »ein
großer Irrtum, wenn du glaubst, dass es mir mit dem Warten auf Barnabas nicht ernst ist.
Meine Angelegenheiten mit den Behörden in Ordnung zu bringen ist mein höchster,
eigentlich mein einziger Wunsch. Und Barnabas soll mir dazu verhelfen, viel von meiner
Hoffnung liegt auf ihm. Er hat mich zwar schon einmal sehr enttäuscht; aber das war mehr
meine eigene Schuld als seine, es geschah in der Verwirrung der ersten Stunden, ich
glaubte damals alles durch einen kleinen Abendspaziergang erreichen zu können, und dass
sich das Unmögliche als unmöglich gezeigt hat, habe ich ihm dann nachgetragen. Selbst im
Urteil über euere Familie, über euch hat es mich beeinflusst. Das ist vorüber, ich
glaube euch jetzt besser zu verstehen, ihr seid sogar ...« K. suchte das richtige Wort,
fand es nicht gleich und begnügte sich mit einem beiläufigen »ihr seid
vielleicht gutmütiger als irgendjemand sonst von den Dorfleuten, soweit ich sie bisher
kenne. Aber nun, Amalia, beirrst du mich wieder dadurch, dass du, wennschon nicht den
Dienst deines Bruders, so doch die Bedeutung, die er für mich hat, herabsetzest.
Vielleicht bist du in die Angelegenheiten des Barnabas nicht eingeweiht, dann ist es gut
und ich will die Sache auf sich beruhen lassen, vielleicht aber bist du eingeweiht
und ich habe eher diesen Eindruck , dann ist es schlimm, denn das würde bedeuten,
dass mich dein Bruder täuscht.« »Sei ruhig«, sagte Amalia, »ich bin nicht
eingeweiht, nichts könnte mich dazu bewegen, mich einweihen zu lassen, nichts könnte
mich dazu bewegen, nicht einmal die Rücksicht auf dich, für den ich doch manches täte,
denn, wie du sagtest, gutmütig sind wir. Aber die Angelegenheiten meines Bruders gehören
ihm an, ich weiß nichts von ihnen als das, was ich gegen meinen Willen zufällig hier und
da davon höre. Dagegen kann dir Olga volle Auskunft geben, denn sie ist seine
Vertraute.« Und Amalia ging fort, zuerst zu den Eltern, mit denen sie flüsterte, dann in
die Küche; sie war ohne Abschied von K. fortgegangen, so, als wisse sie, er werde noch
lange bleiben und es sei kein Abschied nötig.
|