Lebendiger Gottesdienst II


Denn wie wir an einem Leib viele Glieder haben, aber nicht alle Glieder dieselbe Aufgabe haben, so sind wir viele ein Leib in Christus, aber untereinander ist einer des andern Glied, und haben verschiedene Gaben nach der Gnade, die uns gegeben ist. Ist jemand prophetische Rede gegeben, so übe er sie dem Glauben gemäß. Ist jemand ein Amt gegen, so diene er. Ist jemand Lehre gegeben, so lehre er. Ist jemand Ermahnung gegeben, so ermahne er. Gibt jemand, so gebe er mit lauterem Sinn. Steht jemand der Gemeinde vor, so sei er sorgfältig. Übt jemand Barmherzigkeit, so tue er's gern.

Wer durch unser Land reist, stößt überall auf kirchliche Gebäude, meist mit dem typischen Kirchturm. Der Hahn oder das Kreuz deutet auf den christlichen Hintergrund hin. Neuerdings kann der Reisende auch Gotteshäuser entdecken, deren Symbol, der Halbmond, darauf hinweisen, daß nicht die Botschaft der Bibel, sondern des Korans die geistliche Richtschnur ist. Dann sind da sehr vereinzelt auch Gotteshäuser mit dem Davidsstern als Symbol, dort wird zwar auch Gottes Wort aus der Bibel gelehrt, aber es sind nur die hebräischen Schriften, die griechischen Schriften, das sogenannte Neue Testament, bleiben hier unbeachtet.
In allen Gotteshäusern versammeln sich Menschen, um Gott, den Schöpfer anzubeten, sich seines Willens zu vergewissern und Mut für das eigene gottgefällige Leben zu fassen, gemeinsam wird Gottesdienst gefeiert.
Paulus, der seinen christlichen Freunden in Rom den lebendigen Gottesdienst empfiehlt, ist vor seiner erstaunlichen Wandlung vom Christenverfolger zum Christusverkünder unter den Heiden im religiösen Zentrum seiner damaligen jüdischen Glaubensgenossen jahrelang aus- und eingegangen. Er hat die Institution und Lehre der jerusalemer Tempelhierarchie genauestens kennengelernt. Er ließ sich insbesondere in der Lehre der Pharisäer ausbilden, einer seinerzeit vorherrschenden Glaubensrichtung Wenn er seinen römischen Christusfreunden nun Hinweise für den lebendigen Gottesdienst gibt, sollten wir Christen heute ernsthaft fragen, in wieweit gehen uns diese Empfehlungen eigentlich auch an ? Immerhin schauen wir auf eine zweitausendjährige Tradition als christliche Gemeinde zurück. Oder sind die Hinweise des Paulus etwa nie bis zu uns durchgedrungen ? Denn, mal ehrlich, geht es innerhalb und rundum deutscher Gotteshäuser wirklich so lebendig zu, daß die Umwelt aufmerksam wird auf die Botschaft von Jesus, dem von den Toten auferstandenen Sohn Gottes ? Daß "die Welt" neugierig wird auf die Botschaft vom Kreuz, dem Erkennungszeichen christlicher Gotteshäuser ?
Paulus benutzt ein sehr sinnfälliges Beispiel, um das lebendige Zusammenwirken in christlicher Gemeinschaft zu verdeutlichen.. Er vergleicht es mit einem einzigen lebendigen menschlichen Organismus. Damit erteilt er der Aufsplitterung in Denominationen, Konfessionen und ähnlichen Abgrenzungen eine deutliche Absage. Nach Paulus ist christliche Gemeinschaft ein einziger Leib, in dem die unterschiedlichsten Funktionsträger gleichberechtigt zusammenwirken. Jeder von uns kennt das generelle Unwohlsein, wenn auch nur ein Körperteil erkrankt ist, die Ganzheitsmedizin bemüht sich, diesem unauflöslichen Zusammenwirken im lebendigen Organismus gerecht zu werden. Und ganz genauso sieht Paulus das Zusammenwirken der "nach dem Maß des Glaubens" geschenkten Gnadengaben.
Nun haben im biologischen Organismus einzelne Körperteile lebenswichtigere Aufgaben als andere, doch jedes dient dem Leben, das der Schöpfer diesem Organismus zugesprochen hat. Die Christenheit, wie Paulus sie sieht, ist der aus Gnade neu ins Leben gerufene Christusorganismus, das Zusammenspiel der in Christus neu gewordenen Menschen, mit unterschiedlichsten Lebensfunktionen.
Jede Christengemeinde vor Ort ist wiederum Abbild des gesamten Organismus. Die moderne Mikrobiologie hat längst herausgefunden, daß sogar die kleinste Zelle alle Daten des Gesamtorganismus unverwechselbar in sich trägt. Mit seinem Bild von dem einem Leib hat Paulus also Erkenntnisse vorweggenommen, die die Wissenschaft heute erst mühsam nachvollzieht.
Welche Funktionen sieht Paulus nun im christusorientierten Gesamtorganismus ? Da ist die Gabe prophetischer Rede, eine heutzutage nur noch selten anzutreffende Fähigkeit. Sie meint die Gabe, das Zeitgeschehen im Geist Gottes zu erfassen und so zur Sprache zu bringen, daß Menschen sich neu auf Gottes Wort hin orientieren wollen. Die Predigt des Petrus zu Pfingsten war in diesem Sinn prophetisches Wort.
Doch Paulus kennt auch das Amt in der Gemeinde, d.h. die übertragene Verantwortung. Was immer die Aufgabe sein mag, der damit Beauftragte soll sich als Dienender sehen. Diese Einschätzung des Amtes entspricht dem Bild, das Paulus von Jesus gewonnen hat im krassen Gegensatz zur machtbesessenen Hierarchie in der Jerusalemer geistlichen Führung. Auch das Lehren ist für Paulus eine besondere Gnade und soll von demjenigen praktiziert werden, dem diese Gnadengabe zuteil geworden ist. Es ist zu vermuten, daß Paulus hier insbesondere die ausgesprochen evangelische Unterweisung der Gemeinde meint., also das, was wir heute von einem Prediger erwarten. Aber auch die Stimme des ernsthaft Mahnenden soll nicht zum Schweigen gebracht werden. Und wem es ein Bedürfnis ist, zu spenden, der soll es gern tun, ohne lange darüber nachzudenken. Für uns sicherlich überraschend nennt Paulus das Amt des Gemeindevorstehers an vorletzter Stelle.
Vielleicht ein Amt, das mit der Lehre gar nichts zu tun hatte ? Vom Gemeindevorsteher erwartet er Sorgfalt, vermutlich in der Verwaltung von Geldern und sonstigen materiellen Gütern. Eine Tätigkeit, die sich in unserer Zeit zu einer eigenen Institution entwickelt hat, den Landes- bzw. Kreiskirchenämtern. Und schließlich nennt er den diakonischen Dienst und erwartet, daß er mit Freude getan wird, ebenfalls eine Tätigkeit, die sich heute zu eigenständigen Institutionen entwickelt hat. Die Vorstellung einer Besoldung für die verschiedenen Funktionen in den Gemeinden lag Paulus völlig fern. Im Gegenteil, er legt Wert darauf, daß die Gemeinden sich an sein Vorbild halten und selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen. Er tat es als Zeltmacher.
Wo die unterschiedlichen Funktionen im Geist von Gnadengaben zusammenwirken, ereignet sich in der Vorstellung des Paulus lebendiger Gottesdienst. Vermutlich wäre er sehr überrascht, wenn er heute eine Rundreise durch christliche Gemeinden machte. Ob er überhaupt noch Menschen mit Gnadengaben, also gottgeschenkten Fähigkeiten in selbstlosem Einsatz entdecken würde ? Menschen, die voller Freude die ganze Woche über zum Wohl der Gemeinde aktiv wären und am Sonntag ihre Erfahrungen in den Gemeindegottesdienst einbrächten ? Böte sich ihm nicht viel häufiger das Bild des frustrierten Allroundmanagers, der diese oder jene Aufgabe - vielleicht sogar mit schlechtem Gewissen - allenfalls delegiert hat, sich aber immer noch für alles verantwortlich weiß ?
Viele Kirchengemeinden sind im Laufe der Zeit zu mehr oder minder gut funktionierenden Kulturvereinen erstarrt. Man lässt sich versorgen, angefangen mit der Erbauung am Sonntag, über die Hausaufgabenhilfe für die Kinder, selbstverständliche Amtshandlungen bis zum Klönschnack mit kurzer Andacht im vierzehntäglichen Rhythmus für die Senioren.. Zum Glück gibt es noch immer einige Unermüdliche, die im Hintergrund wirken. Vielleicht bringt es die unausweichliche Finanzknappheit mit sich, daß christliches Vereinsleben doch wieder zu lebendigem Gottesdienst im Sinn des Apostels Paulus erwacht. So wie Jesus von den Toten auferstanden ist - und das ist schließlich die zentrale christliche Botschaft - wird Gottes Geist auch abgestorbenes geistliches Leben in christlichen Gemeinden neu erwecken, vorausgesetzt, die Gemeinden orientieren sich neu, setzen ihr volles Vertrauen auf den neu machenden Geist Gottes und wagen neue Schritte über den gewohnten Trott hinaus. Kam nicht auch Jesus in eine menschliche Gesellschaft hinein, deren biblische Quellen weithin versiegt waren ? Wer sich ihm und seinem Wort anvertraute, fand den Weg zu neuem Leben. Daran hat sich bis heute nichts geändert, weder für den Einzelnen, noch für die Gemeinschaft von mutigen Christusgläubigen.





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