Ein Lippenbekenntnis


Da kam Jesus in die Gegend von Cäsarea Philippi (heutiges Granzgebiet zum Libanon) und fragte seine Jünger und sprach: Wer sagen die Leute, daß der Menschensohn sei ? Sie sprachen: Einige sagen, du seist Johannes der Täufer, andere, du seist Elia, wieder andere, du seist Jeremia oder einer der Propheten. Er fragte sie: Wer sagt denn ihr, daß ich sei ? Da antwortete Simon Petrus und sprach: Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn ! Und Jesus antwortete und sprach zu ihm: Selig bist du, Simon, Jonas Sohn; denn Fleisch und Blut haben dir das nicht offenbart, sondern mein Vater im Himmel. Und ich sage dir auch: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen.

Reichlich gefüllte Regale bieten Woche für Woche neue Exklusivgeschichten aus den europäischen Königshäusern. Obwohl das Volk überall (vielleicht mit Ausnahme von Monaco) von gewählten Volksvertretern regiert wird, ist das Interesse für die "Königlichen" nach wie vor ungebrochen. In unserem eigenen Land gibt es das regierende Königshaus seit über 80 Jahren nicht mehr. Stattdessen wird alle 5 Jahre ein höchster Repräsentant aus dem Volk gewählt, der Bundespräsident. Seit vor kurzer Zeit zwei weithin unbekannte Menschen als Kandidaten benannt worden sind, fragt man/frau sich , wer sind diese Menschen ? Egal, ob schließlich der Mann oder die Frau ins höchste Staatsamt gewählt wird, wer ist das eigentlich, der unser Volk repräsentieren wird ? Bei den Nachbarn mit ihren Königshäusern weiß die Leserschaft der Boulevardpresse doch schon lange im voraus, wer die Thronfolge schließlich antritt.
Bei den Zeitgenossen Jesu gibt es natürlich weder eine Boulevardpresse noch parlamentarisch gewählte Volksrepräsentanten. Aber es gibt heilige Schriften, die dem Volk Gottes die Ankunft eines Menschensohns ankündigen, eines Nachkommen des legendären Königs David, eines Befreiers und Friedensfürsten. Angesichts der Lebensbedingungen unter römischer Besatzung und streng religiöser Volkserziehung haben Verkünder der nah bevorstehenden Herrschaft dieses Menschensohns natürlich Zulauf. Johannes, der Täufer, gehört zu diesen Predigern. Er bezahlt seine offene Kritik am herrschenden König mit dem Tod. Jesus von Nazareth folgt ihm geistig nach und geht in seiner Verkündigung noch über ihn hinaus: Er predigt nicht nur den Beginn der Gottesherrschaft, er handelt auch dementsprechend: Er wirkt alles das, was die Propheten in den heiligen Schriften vom zukünftigen Herrscher der Menschheit verkünden und widerspricht damit dem religiösen Establishment im Land.
Heute stünden Nachrichten über eine solche Person mit Sicherheit in der Boulevardpresse. Die öffentlich-rechtlichen Medien hielten sich wohl eher zurück, denn Berichte über die Infragestellung amtlicher Glaubensregeln überlässt man lieber innerkirchlichen Medien.
Es ist also sehr verständlich, wenn Jesus eines Tages seine Jünger beiseite nimmt und sie sehr direkt fragt: Was sagen denn nun die Leute vom Menschensohn ? Mit dieser Bezeichnung erinnert Jesus einerseits an die prophetische Ankündigung des kommenden Weltenherrschers, andererseits bezieht er die Bezeichnung sehr wörtlich auf sich. Er fragt sie also: Was sagen die Leute von mir, dem natürlichen Menschen aus Fleisch und Blut ?
Die Antwort der Jünger zeigt das Rätselraten im Volk Selbst wenn man ihn für den auferstandenen Täufer hält, so sieht man in ihm durchweg eine prophetische Gestalt, d.h. einen von Gott berufenen und bevollmächtigten Menschen.
Vielleicht ergäbe heute eine Umfrage am Kurfürstendamm in Berlin ein ganz ähnliches Ergebnis, auch Muslime könnten in diesem Sinn antworten.
Seinerzeit fragt Jesus seine Jünger dann aber ganz direkt: Und ihr, für wen haltet ihr mich ? Vielleicht hat es ihnen die Sprache etwas verschlagen. Wissen sie wirklich, mit wem sie es zu tun haben ? Schließlich wagt es einer zu antworten. Es ist Simon, der als einer der ersten Jesus gefolgt ist. Er hat mit ihm viele, erstaunliche Erfahrungen gemacht. Er wagt es also auszusprechen, was eigentlich alle hoffen: Du bist Christus (Messias) des lebendigen Gottes Sohn. Hatte sich Jesus selbst nicht eben noch als Menschensohn bezeichnet ? Ja, das hat er und dennoch gibt er Simon zu verstehen, daß er Recht hat. Doch die Erkenntnis ist nicht Ergebnis seiner Vernunft, sondern eine göttliche Offenbarung. Er Simon, Sohn des Jona, schaut im Menschensohn den Sohn des lebendigen Gottes, den verheißenen Messias (Christus), und bekennt es.
Auf dieses Bekenntnis will Jesus seine Gemeinde gründen - und darin gründet sie bis heute in aller Welt. Die Angriffe des Bösen sind dagegen machtlos. Aber nicht der Mensch Simon hat den Grund gelegt, "nicht Fleisch und Blut" sondern "mein Vater im Himmel" hat ihm die Wahrheit offenbart. Darum erhält Simon den neuen Namen Petrus, d.h. Fels. Bekenntnis zur Wahrheit Gottes in Christus, das ist der Felsengrund christlicher Gemeinschaft. Über diese Textstelle ist seit Jahrhunderten zwischen den christlichen Konfessionen viel gestritten worden. Doch anstatt zu streiten, in wiefern der spätere Bischof Petrus Gründer der Weltkirche ist, sollten die Nachfolger Jesu sich immer wieder neu fragen lassen, wer ER in ihren Augen ist.
Das Bekenntnis des Simon Petrus hat Jesus auf seinem Weg ins physische Leiden ganz gewiß gut getan, aber wird dieser Jünger seinem Herrn auch bis zu dessen bitteren Ende treu bleiben können ?

Wir wissen, er scheiterte, aber der auferstandene Christus hat Petrus die Treue gehalten. Wäre diese ermutigende Geduld charakteristisch für die höchsten Repräsentanten unserer modernen Gesellschaft, ihr Wirken in königlicher Residenz, im Präsidentenpalast, auf dem Bischofsstuhl oder im Vorstandssessel könnte sich so segensreich erweisen, daß der Boulevardpresse schließlich der Stoff ausginge, denn wünscht sich das Volk in diesen Positionen nichts dringlicher als echte Friedensstifter ?


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