Herzenssache


Unter den Autoren der neutestamentlichen Schriften nimmt Lukas eine Sonderstellung ein. Er ist ein christusgläubiger Grieche. Als antiker Geschichtsschreiber ist er darum bemüht, das gut bezeugte Geschehen von Jesu Kreuzigung und Auferweckung im antiken Denkhorizont so zur Sprache zu bringen, dass auch Heiden erfassen können: In Jerusalem ist etwas Weltbewegendes geschehen. Die Geschichte von den sog. Emmausjüngern ist ein typisches Beispiel für diese Erzählkunst des Lukas.

Und siehe, zwei aus dem Jüngerkreis waren an demselben Tag auf der Wanderung nach einem Dorf, das etwa 12 Kilometer von Jerusalem entfernt lag und Emmaus hieß. Sie unterhielten sich miteinander über alle diese Begebenheiten. …. Da kam Jesus selbst hinzu und schloß sich ihnen auf der Wanderung an; ihre Augen jedoch wurden gehalten, so dass sie ihn nicht erkannten. Er fragte sie nun: "Was sind das für Gespräche, die ihr da auf eurer Wanderung miteinander führt ?" ….."Du bist wohl der einzige, der sich in Jerusalem aufhält und nichts von dem erfahren hat, was in diesen Tagen dort geschehen ist ?" Er fragte sie: "Was denn ?" Sie antworteten ihm: "Das, was mit Jesus von Nazareth geschehen ist, der ein Prophet war, gewaltig in Tat und Wort vor Gott und dem ganzen Volk. Ihn haben unsere Hohenpriester und der Hohe Rat zur Todesstrafe ausgeliefert und ans Kreuz gebracht. Wir aber hatten gehofft, dass er es sei, der Israel erlösen würde; aber nun ist bei dem allem heute schon der dritte Tag, seit dies geschehen ist…."Da sagte er zu ihnen: "O ihr Toren, wie ist doch euer Herz so träge, um an alles das zu glauben, was die Propheten verkündigt haben ! Mußte denn Christus dies nicht leiden und dann in seine Herrlichkeit eingehen ?" Darauf fing er bei Mose und allen Propheten an und legte ihnen alle Schriftstellen aus, die sich auf ihn bezogen. …. Als er sich mit ihnen zu Tisch gesetzt hatte, nahm er das Brot, sprach den Lobpreis, brach das Brot und gab es ihnen: Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten ihn, doch er entschwand ihren Blicken. Da sagten sie zueinander: "Brannte nicht unser Herz in uns, als er unterwegs mit uns redete und uns den Sinn der Schriftstellen erschloß ?"

In einem SPIEGEL-Interview las ich kürzlich folgenden Kurzdialog : SPIEGEL-Reporter : Was hilft gegen die Glaubensunbildung ?
Christ : Es gibt kein Zurück zum Schulmeisterlichen. Es geht nur über das Weitertragen von persönlichen Gotteserfahrungen. Das stand auch am Anfang unseres Glaubens. Die historischen Fakten über die Anfänge, die Bindung an die Tradition sind wichtig, aber es kommt darauf an, wie glaubende Menschen heute die Welt gestalten. Im Vertrauen auf und im Respekt vor Gott.
Ähnelt die Situation der beiden Männer in der Emmausgeschichte nicht genau dieser Beschreibung ? Ja, befinden wir uns selbst nicht oft genug in diesem zwiespältigen Zustand ? Die Fakten sind uns nur zu gut vertraut, aber innere Gewissheit, dass diese Wahrheiten uns ganz persönlich betreffen, wer hat die schon oder wie ist sie zu gewinnen ?
Der unbekannte Begleiter geht mit den enttäuschten Jesusfreunden nicht gerade zimperlich um: "O ihr Toren, zu trägen Herzens, all dem zu glauben, was die Propheten geredet haben (V. 25)". So kann nur ein Jude zu Juden sprechen, denn sie allein kennen aus ihrer jahrhundertealten Glaubensgeschichte die warnende Botschaft der Propheten. Wieder und wieder hatten sie dem Bundesvolk Gericht und Gnade des lebendigen Gottes angekündigt. In diesen heilsgeschichtlichen Zusammenhang stellt nun Lukas das unverstandene Leiden und Sterben Jesu. Der unbekannte Begleiter führt die zwei Männer durch die jüdische Glaubensgeschichte. Um einerseits Gottes Entschlossenheit zum Gericht und andererseits seine neuschaffende Gnade endgültig zu offenbaren, musste der Gottessohn Jesus seinen Leidensweg gehen. Die blind gewordene Menschheit hält über ihn Gericht und verurteilt ihn zum Tode. Erst als die beiden Männer in der vertrauten Tischgemeinschaft an das Leben mit dem gekreuzigten Jesus erinnert werden, bricht in ihnen der Glaube an seine Auferstehung auf. Nun kann der unbekannte Begleiter verschwinden, denn der Glaube an Gottes Macht, den Tod zu überwinden, ist in ihren Herzen lebendig. Ein Geschehen, das der berühmte Paulus und Lehrer des Lukas einmal als Torheit in den Augen der Griechen und Ärgernis in den Augen vieler Juden beschreibt. Den von Herzen glaubenden Emmausjüngern gibt das neu gewonnene Vertrauen die Kraft zur Umkehr an den Ort des Schreckens, um mit den Freunden die frohe Botschaft von Jesu Auferstehung zu teilen.
Was hilft also gegen die Glaubensunbildung in unseren Tagen ? Kenntnis der jahrhundertealten biblischen Zusammenhänge und Teilnahme an einer entsprechenden Lebensgestaltung im Vertrauen auf und im Respekt vor Gott. Der noch unbekannte Begleiter bricht den Emmausjüngern in vertrauter Weise das Brot und spricht den Lobpreis. Dieser Geist öffnet seinen Tischgenossen endgültig die Augen des Herzens. Wenn Glauben aufbrechen soll, brauchen wir einerseits die Weitergabe der Glaubenserfahrungen unserer Vorfahren, doch andererseits das ehrliche Fragen nach der Bedeutung der Überlieferungen für unsere Gegenwart. Nur so wird geschehen können, was Jesus seinen Jüngern als Trost verheißt : "Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit kommen wird, wird er euch in alle Wahrheit leiten".


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