Filmhaus Hasnerstraße - Filmkultur in Ottakring



In Österreich am 9. Mai 1997 neu angelaufene Kinofilme


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ZAZIE (ZAZIE DANS LE METRO)

F / I 1960
Regie: Louis Malle, Buch: Louis Malle, Jean-Paul Rappeneau, nach Raymond Queneau, Musik: Florenzo Carpi, Kamera: Henri Raichi, Darsteller: Philippe Noiret (Onkel Gabriel), Cathérine Demongeot (Zazie), Carla Marlier (Tante Albertine), Vittorio Caprioli (Trouscaillon), Antoine Roblot (Charles), Hubert Deschamps
Kinostart: 9/5/1997

Die kleine Zazie kommt mit ihrer Mutter, die dort ihren Liebhaber trifft, für 36 Stunden nach Paris und wird hier ihrem Onkel Gabriel zur Obhut übergeben. Zazie entdeckt die Geheimnisse der Großstadt, die sich aus den Augen eines Kindes als Großstadtdschungel voller Helden, Bösewichter und Clowns zeigt. (multimedia)

Zazie, eine frühreife Vorstadtgöre, kommt nach Paris, wo sich ihre Mutter mit einem ihrer Kavaliere amüsieren möchte. Auf die Tochter soll derweil Onkel Gabriel aufpassen. Doch der Ärmste ist damit völlig überfordert. Zazie reißt aus und sorgt, wo immer sie auftaucht, für das totale Chaos. (Pressetext BR)

(...) Malle kehrt in die Kindertage der Kinematographie zurück: zum Slapstick der Mack-Sennett-Filme und zu den Urtricks von Méliès. Zeitlupe, Zeitraffer, Wiederholung und Deformierung, Aufhebung von Raum und Zeit, Spiel mit farblichen Verfremdungen und bewußt falsches Synchronisieren sind zugleich intellektuelle Verballhornungen der Konvention, die den Film zu einem beispielhaften Werk der französischen "nouvelle vague" machen. (Zoom)

Siehe IMDb

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RIDICULE - VON DER LÄCHERLICHKEIT DES SCHEINS (RIDICULE)

USAF Regie: Patrice Leconte, Buch: Remi Waterhouse, Michel Fessler, Eric Vicant, Musik: Antoine Duhamel, Kamera: Thierry Arbogast, Schnitt: Joelle Hache, Darsteller: Fanny Ardant (Madame de Blayac), Charles Berling (Poncéludon de Malavoy), Bernard Giraudeau (L'Abbé de Vilecourt), Judith Godrèche (Mathilde de Bellegarde), Jean Rochefort (Marquis de Bellegarde)
Kinostart: 9/5/1997

Am Hofe Ludwig XVI. regiert das geschliffene Wort, Macht erhält man auf Kosten anderer. In diesem Sumpf von Intriganten muß sich ein junger Landadeliger zurechtfinden. Dabei stolpert er naiv über höfische (Un)Sitten und über Fallstricke der Liebe. Ein brillantes Feuerwerk an Wortwitz und -spielerei, entlarvt die Welt des "bel esprit" als Universum der Grausamkeiten. Eine spannend-opulente "Geschichtslektion".(M.K.)

(...) Daß die gefährliche Liebschaft keine allzubösen Konsequenzen hat, verdankt Ponceludon seiner Schlagfertigkeit. Denn nichts ist schlimmer, als sich verbal' zu blamieren - in dieser Welt des lächerlichen Scheins. Erfreulich in Zeiten liebloser Synchronisation: Katharina und Hans Magnus Enzensberger und das Team bieten allen Sprach-Esprit der Originalversion. (Angie Dullinger, AZ, 3.4.97)

Versailles 1780. Der junge Adelige Poncéludon kommt an den Hof von Louis XVI., um einen Vorschlag zu unterbreiten: Er will den Sumpf in der Nähe seines Heimatstädtchens trockenlegen. Eine Audienz beim König allerdings läßt sich nur mit List und Tücke, Witz und Schlagfertigkeit erreichen. In Marquis de Bellegard, einem alten Doktor, der sich mit den verzwickten Regeln der Etikette auskennt, findet er einen Mentor. Außerdem hat der Arzt eine schöne Tochter, auf die Poncéludon schnell ein Auge wirft. Ein kompliziertes Machtspiel beginnt. Verliert Poncéludon, ist er ein für allemal der Lächerlichkeit preisgegeben...
"An der Geschichte von RIDICULE reizte mich ihre Inspiriertheit und Originalität, das Arrangement der Menschen und Manieren. Man findet in dieser Geschichte eine lächelnde Grausamkeit, eine gepuderte Gewalt, was mich, mehr denn je, mit dem Wunsch erfüllte, mich auf Gesten, auf Blicke, auf vielsagendes Erschauern zu konzentrieren - Details also, die das Leben selbst zum Ausdruck bringen" (Patrice Leconte). (Katalog Filmfest München 1996)

Patrice Lecontes "Ridicule" dringt - schauwertbewaffnet - in die Salons des späten 18. Jahrhunderts vor: eine zynische Gesellschaftssatire mit Oberflächensozialkritik & Oberflächenwitz.
Natürlich ist hier nichts historisch, auch wenn die Schauspieler stilecht Kostüme tragen und ihre Worte so fein ziselieren, wie das heute keiner könnte: Patrice Leconte (Monsieur Hire) ist ein Filmemacher, der das Zitieren liebt, das neue, zynisch-zeitgemäße Zusammensetzen traditioneller Versatzstücke. Seine jüngste Arbeit, Ridicule - Von der Lächerlichkeit des Scheins, vor genau einem Jahr Eröffnungsfilm in Cannes, danach vielfach César- prämiert, gilt in Frankreich und im deutschen Feuilleton daher als eine Art Quadratur des Kreises: klug, hochmodern und dabei doch großes, starbesetztes Prestigekino.
Der Film selbst, eine ernüchternde Angelegenheit, läßt dann den Vorschußlorbeer welken. Ridicule tritt ein paar simple Gedanken erstaunlich breit: Das Licht fällt warm und weich, kunstgewerblich in die Räume, obwohl die Menschen so böse zueinander sind; der Puder regiert ihre Körper und Gesichter, verschleiert "wahre" Identitäten, weil die Lüge und die Verstellung die erste Kunst dieser Welt ist; und der Wortwitz regelt das Zusammenleben. Wer unter Druck zur Frechheit taugt, der siegt.
Die Welt, das ist hier Versailles im späten 18. Jahrhundert, der Hof Ludwigs XVI. Ein verarmter Provinzbaron (Char- les Berling) hegt ein soziales Projekt, das zum eitlen Treiben der Höflinge nicht passen will: Er braucht Sponsoren, um die Sümpfe trockenlegen zu lassen, um den Bauern zu helfen und den grassierenden Seuchen vorzubeugen. Also mischt er sich, rhetorisch klug, unter die intriganten Höflinge, wo er (mit Fanny Ardant und Judith Godreche) bald amouröse Fortschritte macht. Die Durchsetzung seines Projektes gestaltet sich dennoch, bis zuletzt, schwierig.
Der Ton macht die Musik in Ridicule : Die Namen der Helden sind kleine frankophone Zungenbrecher, eher zu singen als zu sprechen (etwa: Grégoire Ponceludon de Malavoy) - und das Dehnen, Biegen, Verfremden der Sprache wird als liebstes Spiel am Hof betrieben. Die Welt dieses Films ist ein Universum der Überfeinerung: Arzt Jean Rochefort, ein Stammschauspieler Lecontes, verkostet das Blut seiner Kunden beim Aderlaß wie andere ihren Wein, und was ridicule ist und was nicht, worüber die Nase zu rümpfen ist, darüber entscheiden allein die Mächtigen, also die Sprach mächtigen.
Auch wenn Hans Magnus Enzensberger für die adäquat pikierte deutsche Synchronfassung verantwortlich zeichnet: Ridicule krankt an seiner monotonen Form, am uninspirierten Salonspiel mit einer vergangenen Zeit - und am Dauerdruck, den der Wille zum Witz ausübt.
So wird in Ridicule über Gebühr, und bald jenseits aller Relevanz, das Problem der Schlagfertigkeit, des Zwangs zum Bonmot behandelt - in immer neuen Variationen, bis man es buchstäblich nicht mehr hören kann.
Greenaways Kontrakt des Zeichners ist fern, trotz aller visueller Nähe, trotz aller Verträge und Kostüme, trotz der Intrigen und Machtspiele, um die es hier geht. Leconte interessiert sich nicht für Rätsel, sondern nur für vorgefertigte Antworten: Die Menschen weisen bereits in eine neue Zeit (Judith Godreche erfindet einen Tauchanzug), und daß auch Taubstumme Respekt verdienen, packt Leconte außerdem noch, in einem entbehrlichen Subplot, in seinen Film: Ridicule opfert die soziale Schärfe den (schwachen) Schauwerten und dem schnellen Scherz - in einem Versuch, aus sehr wenig erzählerischer Substanz wenigstens Puder, Lippenstift und Rouge zu schlagen. (Stefan Grissemann, DIE PRESSE)

Sumpfbiotop verbaler Stechmücken
Wir grämten uns schon über die vom Aussterben bedrohten Un-Arten der Salonkomödie. Vive la France: Jetzt blüht dort neues Leben in Kostümen. Nach pikantem Vollgenuß der raffinierten Wort-Näscherei und brillanten Ätzspötterei dieses Witzfigurenimports aus Paris glaubt man wieder an Talent, Kunst, Intelligenz im Kino...
Lobbyismus ist eine Gepflogenheit, am Sitz der EU in Brüssel genauso daheim wie im Weißen Haus oder bei uns im Bundeskanzleramt. Gewinnbringendes Anschleimen an die Macht - das fordert Satire heraus wie das Spitzenbusentuch den Kavalier ... voila! ... wir befinden uns schließlich am moralisch vor sich hin rottenden Hof Ludwig XVI. "Esprit" war damals das Schlüsselwort, welches einem den Weg in Boudoir und Bett einer Hofdame, an die Schlemmertafel eines Fürsten oder zu den Antichambres und der Gunst des Königs führen konnte.
Der Bourbone hatte da seinen Kopf ja noch, und er benutzte ihn vorzugsweise für modische Spielereien, elegante l'art pour l'art höheren Geschwätzes. Jener stand bei ihm und seinen Höflingen in Ansehen, der die frechsten Bonmots, geschliffensten Apercus von sich zu geben imstande war. Geistreich sein um alles in der Welt. Und ausgerechnet in diesem Sumpfbiotop der verbalen Stechmücken will ein Landadeliger die Trockenlegung der Sümpfe seiner Heimat durch allerhöchstes Dekret erwirken.
Also übt er sich in artig-unartiger Schlagfertigkeit und strampelt damit frech die Laffenleiter zum allerhöchsten Louis hinauf. Bis ihn Rankünen und Intrigen seiner ebenso zungenfertigen Gegner jäh zu Fall bringen. Er schafft's nicht; aber wie er's nicht schafft! Schließlich können ihn alle bösen Zungen am Arsch...
Denn Liebe zu einer schönen Gleichgesinnten ist ihm Trost und Glück. Bon Appetit für diese leckere Bosheitensammlung, die sich geistige Krinolinen übergestreift hat, damit ihre rasierten Wortfrivolitäten nur noch mehr bloßstellen können. (Rudi John, KURIER)

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ROSANNAS LETZTER WILLE (FOR THE LOVE OF ROSEANNA)

GB 1997
Regie: Paul Weiland, Buch: Saul Turteltaub, Musik: Trevor Jones, Kamera: Henry Braham, Schnitt: Martin Walsh, Darsteller: Jean Reno (Marcello), Mercedes Ruehl (Roseanna), Polly Walker (Cecilia), Mark Frankel (Antonio), Trevor Peacock (Iaccoponi), Fay Ripley (Francesca), George Rossi (Sgt. Baggio), Giuseppe Cederna (Father Bramilla), Robert Della Casa (Rossi), Luigi Diberti (Capestro), Renato Scarpa (Dr. Benvenuto), Romano Ghini (Umberto)
Kinostart: 9/5/1997

"Zeichen mobilisieren Wissen", verkündeten die Sprachwissenschaftler in den sechziger Jahren und konstruierten aus der kurzen Formel umfangreiche Theorien. Die Semiotik verstand sich nicht nur als staubtrockene Lehre von den Zeichen und ihren Bedeutungen, sondern durchaus auch als sinnliche Wissenschaft mit Beziehungen zu Psychoanalyse und Alltag. Früher oder später kam daher auch die Werbung ins Visier: Zuerst analysierte man ihre mitgelieferten Botschaften (Roland Barthes etwa die "Panzani"-Nudelreklame). Dann übernahm die Werbewirtschaft die neuen Erkenntnisse und verfeinerte ihre "geheimen Verführer".
Zur Sache: Der Brite Paul Weiland verdient sein Brot im allgemeinen als einer der erfolgreichsten Werbefilmregisseure seines Landes. Nebenbei inszeniert er Kinder- und Kinofilme ("City Slickers II") und TV-Serien ("Mr. Bean"). Wenn man Werbung, Kinder und Kino zusammenwirft und den Humor von "Mr. Bean" wieder abzieht, ist man in etwa bei "Rosannas letzter Wille" angelangt.
Vor diesem Film wäre der Semiotiker Barthes wahrscheinlich vor Begeisterung in die Knie gegangen: Mit amerikanischen und französischen Schauspielern einen englischsprachigen Film in Italien zu drehen, ist schon eine bemerkenswerte Sache. Dabei aber noch die Akteure mit romanischem Akzent sprechen zu lassen und rundherum die Story mit folkloristischen Klischees vollzustopfen, das ist ein zeichentheoretisches Wunder, ein Scherz oder ein Irrtum.
Weilands Film ist letzteres, ein angestrengter euroamerikanischer Produktionspudding, der leider nur unfreiwillig komisch ist. Berichtet wird von Marcello (Jean Reno), der seiner Frau Rosanna (Mercedes Ruehl) ihren letzten Willen, ein Grab auf dem alten Dorffriedhof, sichern will. Weil aber nur noch drei Plätze auf dem Gottesacker frei sind, muß Marcello Kranke pflegen, Blut spenden, Tote zum Leben erwecken und Leichen in Kühltruhen zwischenlagern.
Auf alle erdenkliche Weisen sorgt er dafür, daß das letzte Grab frei bleibt, bevor seine Frau, die im übrigen gar nicht zu sterben gedenkt, mit einem neuen Friedhof vorliebnehmen müßte. Knoblauchzehen, Geigen und Gottesdienste erzeugen den Rest an "Italianità" - bis irgendwann der aufgeregte Film verstrichen ist, ohne daß irgend etwas Nennenswertes geschehen wäre.
Zeichen können eben neben Wissen auch Langeweile mobilisieren. Unnötig hinzuzufügen, daß sich der echte "Rosanna"-Effekt nur in der Originalfassung einstellt. (Robert Weixelbaumer, DIE PRESSE)

Begräbnisse können lustig sein. Fragt nur ein paar Kinder. In Trivento wird andauernd gestorben und begraben, und man lacht dazu selig wie ein Idiot im Erdbeerfeld. Lachen und Weinen sind Auswirkungen ein und desselben Schalters. An diesem dreht diese commedia molto dolce immerzu. Wunderbarer Wechselschalter.>
Licht - Dunkel. Tragisch - komisch. Höhen - Tiefen. Ergreifend - verspottend. Brutale - romantico. Kopf - Bauch. Marcello, Padrone der Trattoria von Trivento, verzweifelt. Seine Signora ist sterbenskrank. Ihr letzter Wunsch, daß sie neben dem Grab ihrer kleinen Tochter beerdigt wird. Aber im kleinen Stadtfriedhof wird bald kein Grab mehr frei sein.
Und der benachbarte Gutsherr gibt nicht gegen Geld oder gute Worte von seinem Grund und Boden ab. Soviel Marcello auch blutspendet, Kranke pflegt, Verkehrsvorsorge betreibt: baldige Tode kündigen sich an, der Gottesacker hält reiche Ernte, und Marcellos Rosanna schwimmen die Grabstätten wie Felle davon.
Dahinter stecken Geheimnisse, und die müssen ergründet werden. Was sucht der Mafioso Iaccoponi in der Stadt? Wie doppellebig wird sich Banker Rossi noch erweisen? Was ist das für ein Wirt, der seinen Gästen den blutdrückenden Wein verweigert und die schädlichen Zigaretten aus den Mündern wegzupft? Warum hat des reichen Capestro Vergangenheit keine Zukunft? Die durchwegs erstaunli- chen Antworten scheinen direkt aus dem Herzen Italiens und der italieni- schen Seele kommen.
Auf einfallsdurchwachsenen Erlebensmitteln wie diesen gedeiht der so unglaublich bekömmliche Schimmelpilz des schwarzen Humors. Von der sinnenfrohen Groteske läßt man sich am besten Huckepack durch das immer verrücktere Schelmenstück tragen, in dem der französische Kultschauspieler Jean Reno auf seinen Hurtigkeiten durch die engen Gassen der citta storica tragikomische Grimassen zieht, als hätte er um das Doppelte mehr Gesichtsmuskel als gewöhnlich Sterbliche.
Amore, amore grande schluchzt es mit tausend Ziehharmonikafalten dazu. Ein Antidepressivum aus der Alchemistenküche feingewürzten Lächelns, maliziösen Grinsens, versteckten Schmunzelns.
Und die letzte Möglichkeit, den 34jährigen Mark Frankel auf der Leinwand zu sehen. Der dunkelhaarige Schauspieler mit den schwarzen Augen stand am Beginn einer internationalen Karriere, spielt hier noch in der Nebenrolle den Liebhaber. Nach Ende der Dreharbeiten verunglückte der charismatische Darsteller mit seinem Motorrad in London tödlich. (Rudi John, KURIER)

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SET IT OFF

USA 1996
Regie: F. Gary Gray, Buch: Kate Lanier, Takashi Bufford, nach Takashi Bufford Musik: Christopher Young, Pilar McCurry (suvervisor), Kamera: Marc Reshovsky, Schnitt: John Carter, Darsteller: Jada Pinkett (Stony), Queen Latifah (Cleo), Vivica A. Fox (Frankie), Kimberly Elise (Tisean), John C. McGinley (Det. Strode), Blair Underwood (Keith), Vincent und Van Baum (Jajuan), Chaz Lamar Shepard (Stevie)
Kinostart: 9/5/1997

Kein Machwerk, aber nicht minder dubios ist Set It Off, der frauenbewegt auf ausgetretenen Blaxploitation-Pfaden wandelt. Vier junge, schwarze Damen aus Los Angeles betätigen sich als Robin Hood, lassen allerdings den zweiten Teil, die Umverteilung der Beute an Bedürftige, aus.
Die Zusammensetzung der Viererbande erinnert schwer an die Repräsentationsgebote der politisch Korrekten: eine harte Lesbe (Queen Latifah), eine alleinerziehende Mutter, eine enttäuschte Assimilationswillige, eine Kifferin. Ghetto-Soziologie, sozusagen.
Die Regie von F. Gary Gray unterscheidet sich keinen Deut von den Gangsta-Inszenierungen auf MTV. Hier wird Hardcore geredet, geraubt und am Ende gestorben. Keine Pathos-Formel des Action-Kinos wird ausgelassen, kein Problem wird nicht so angerissen, daß man es sofort wieder vergessen kann. Public Enemy hatten recht: Don’t believe the hype. Derzeit im Kino. (Bert Rebhandl, DER STANDARD, 13/5/1997)

Als Anfang der siebziger Jahre Shaft und Superfly eine Welle von "Blaxploitation"-Filmen initiierten, begannen sich bald auch schwarze Frauenfiguren zu etablieren, die auf weiße männliche Gewalt mit drastischen Gegenschlägen antworteten.
Die achtziger und neunziger Jahre haben ein anderes Bewußtsein von Zwangsverhältnissen: Die Gewalt hat in Großstädten wie L. A. neue Formen angenommen. Mit den Drogen kamen Gangs und Schwerbewaffnung; das Vertrauen auf die Reformierbarkeit des Systems ist kleiner geworden. Bilder für eine glücklichere Zukunft zu haben, ist immer noch schwer, wenn man aus der falschen Gegend kommt. Hier beginnt F. Gary Grays Set It Off, die Geschichte von vier Freundinnen aus einem der schlechteren Viertel von L. A., die beschließen, ihre Probleme mit Banküberfällen zu lösen. Das kleine Action-Drama überrascht nicht nur wegen der feministischen Züge: Gray hat aus dem Stoff einen Film gemacht, der mit Douglas Sirks Melodramen mehr gemein hat als mit den "Blaxploitation"-Movies der 70er Jahre.
Es beginnt mit Schicksalsschlägen, die anfänglich von den Frauen noch passiv hingenommen werden. Aber alles ist eine Frage des Maßes. Frankie verliert unverschuldet ihren Job, nachdem eine Gang ihre Arbeitsstelle überfallen hat. Stony wird der Bruder von der Polizei erschossen. Tisean muß ihren kleinen Sohn an die Fürsorge abgeben. Erst die Vierte im Bunde hat nach dieser Katastrophenkette eine Idee: Cleo (Rapstar Queen Latifa) bringt die Freundinnen dazu, sich Waffen zu besorgen und es mit eigenen Banküberfällen den männlichen "Gangstas" nachzumachen.
Set It Off ist ein überdimensionales künstliches Hiphop-Stück (mit Musik von Mendelssohn bis Miles Davis), in dem Gewalt aus Not und Übermut geboren wird. Die Filmheldinnen von heute sind keine "Golddiggers" mehr, die auf Heirat mit einem reichen Mann hoffen können - die Liebesbeziehung zwischen dem Ghettogirl und dem Banker ist entsprechend zum Scheitern verurteilt. Genauso wächst das Überfallunternehmen den Amateurinnen rasch über den Kopf. Die Kräfteverhältnisse lassen sich auch mit den neuen Strategien nicht ausgleichen. Das Melodram behält recht, unbarmherzig. (Robert Weixelbaumer, DIE PRESSE)

Schwarz, weiblich, kriminell. Schwerer Nachholbedarf nietet bei diesem feministischen Rassendrama das Niveau an die Untergrenze: Sozialthrillers Urgesteiß. Auf die Art "Thelma und Louise", mit dunkler Haut, Rastalocken und good vibrations. Dazu dröhnt laut Gangsta-Rap. Noch lauter tönt die saure Moral.
Der schwarze Regisseur Gray weiß nach unzähligen Videoclips offensichtlich die Marktlücken: Schwarzer Feminismus und Ghettowut. "Girl'z in the Hood" kassierte voll ab bei den schwarzen Landsleuten. Bei uns muß mit Queen Latifah getrommelt werden, der Star-Rapperin. Ihre Rückwärtsrolle als schießlüsterne Rabiatschwester muß freilich ohne besondere Songzulagen auskommen. Vier junge Black Girlies steigen ins Bankräuberfach ein. Ihre anfänglichen Skrupel zerstreut der fatale Mangel derselben bei weißen Arbeitgebern und anderen Ausbeutern.
Da wird auch die schüchternste Mickeymouse zur schwerbewaffneten Powerwoman. Frankie war Bankangestellte, fehlverhielt sich bei einem Banküberfall und wurde gefeuert. Tisean, sitzengelassen, verliert ihren eh schon miesen Job und daraufhin den kleinen Sohn an die Fürsorge. Cleo ist Putzfrau, lesbisch und radikal. Stoneys Bruder wurde unschuldig von der Polizei als Dealer gekillt, sie sinnt auf Rache. Nur eine Lovestory läßt Hoffnung, der Rest wird Blutbad. Schwarz und weiß, im schlimmsten Schwarzweiß erzählt. Ein Viertel aller Kinokarten in den USA werden von Schwarzen gekauft. Das führt zu spekulativen Aufwieglern wie diesem. Möglicherweise berechtigt. Aber kaum erträglich. (Rudi John, KURIER)

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