ausgewechselt





"...Damit beenden wir also dieses Kapitel, durch das sich die Geschichte der elementarenFunktionen wie ein roter Faden zog und dem Ganzen eine, sagen wir, innereSpannung verlieh, und wenden uns nun einer der faszinierendsten Disziplinender Analysis zu..."
Professor Berger-Kalemann redete, redete und redete. Dass dieses die letzteVorlesung vor den Semesterferien war schien ihn dabei nicht zu stören.Aber Dominick hörte ihm sowieso nicht mehrzu. Er saß in Gedankenschon im Zugnach Hasseln, war auf dem Weg zuseinenEltern und machte Pläne,wieer die Ferien am sinnvollsten verbringenkönnte.Er freute sich,endlichalte Bekannte wiederzutreffen, mal wiederdie Discosseiner Heimatstadtunsicherzu machenund vielleicht auch mal beimBasketball'reinzuschauen,und vorallem war ergespannt auf Vivienne. Seiter vor einemJahr sein Studiumhierin Stuttgartbegonnen hatte, war er nichtmehr in Hasselngewesen, weilerzuviel zu tun hatteund seine alte Heimateinfach viel zu weitweg war.Erwar gespannt, ob sichdort etwas veränderthatte, aber eigentlichglaubteernicht daran. Er hatteneunzehn Jahre langin der langweiligennorddeutschenKleinstadtgelebt, undin dieser Zeit hattesich dort reingar nichts verändert.Abererwartungsvoll war er dennoch.Wenn der Professordoch nur endlich dieselangweiligeVorlesung beenden würde...!

Sechs Stunden später war es dann soweit: beladen mit einem großenKoffer und einer noch größeren Reisetasche stieg Dominick im HasselnerBahnhof aus dem Zug, und sah sicherst einmal um. Ein ziemlich merkwürdigesGefühl ergriff von ihmBesitz, irgendetwas zwischen Nostalgie und demEmpfinden, hier fremd zu sein,obwohl er jeden Winkel dieser Stadt kannte.Bevorer jedoch weiter darübernachdenken konnte, stürmte Natalie, seineSchwester, freudestrahlend auf ihn zu und umarmte ihn überschwenglich.Obwohl sie mindestens einmal pro Woche miteinander telefonierten, hatte sieihn vermißt und sich wahrscheinlich noch mehr auf seine Semesterferiengefreut als erselbst. Dom hing unheimlich an seiner Schwester und sie auchan ihm, und eigentlich hatte sie es ihm nie verziehen, dass er zum Studierensoweit weggezogen war. Aber jetzt würde er alles wieder gut machen undganz viel Zeit seiner Ferien mit ihr verbringen.
Doch jetzt fuhren sie ersteinmal nach Hause, oder sollte er besser sagenzu seinen Eltern, und feiertendort ihr Wiedersehen. Es gab Kaffee und Kuchen,und Dominick ließ sichso richtig verwöhnen. Sie hatten sich alleunheimlich viel zu erzählen und hätten den ganzen Tag einfach nuram Küchentisch sitzen undreden können. Irgendwann nahm Dominickjedoch die neue Ausgabe des Hasselner Tageblattes zur Hand und suchte nachdem Sportteil. Schließlich warer damals als er noch zur Schule gingund auch während seiner Bundeswehrzeit der Starspieler des BasketballclubsHasseln gewesen, und da interessiertees ihn natürlich, wie es um denVerein so stand. Doch jetzt traf in fast der Schlag. Von einem ziemlich großenund auch noch farbigen Bild grinste ihn ein blonder, höchstens achtzehnjährigerMilchbubi an, auf seinem Trikot die Nummer 23, Dominicks Nummer, und mitderBildunterschrift: "derbeste Spieler, den der Klub je hatte"! Dominicküberflogden Artikel undwurde richtig sauer. Da behauptete sein ehemaligerTrainerdoch wirklich, dieser Florian Denker, so hießder Knabe, seider beste Basketballer, dener je in seiner Mannschaft gehabthabe. Ach!Und was war mit Dominick Weiss,dem Multitalent, dem Jungen, derdas Zeughätte, in der NBA zu spielen?Es konnte doch nicht sein, dassman ihneinfach so vergessen hatte. Oder doch?Stimmte der Spruch: "aus denAugen,aus dem Sinn" also doch? Konnte es sein,dass alle hier seine Heldentatenlängstvergessen hatten? War es wirklichso, dass er sein altes Lebenund sein altesLeben ihn hinter sich gelassenhatte? Irgendwie kam Dom damitüberhauptnicht klar. Er war dreimal hintereinanderzum Sportler desJahres gewähltworden, er war der beliebteste Typ inganz Hasseln gewesen,man hatte ihm einegroße Sportlerkarriere vorausgesagt.Gut, er hattenie verlieren können,konnte es immer nochnicht ertragen,wenn jemandbesser war als er, aber dasser jetzt so einfachin Vergessenheitgeratenwar, wollte er absolut nicht wahrhaben.
Um kurz vor sieben, als esZeit zum Training war, setzte er sich ins Autound fuhr zu den Sportanlagen.Dort angekommen schlich er sich durch den Hintereingangin die Halle und beobachtete seine ehemaligen Mannschaftskameraden. Die machtensich gerade warm, warfen nur so zum Spaß ein paar Körbe, und ander Seite standen ein paar Mädels und guckten den Jungs begeistert zu.Eigentlich war alles wiefrüher, bis auf eine Kleinigkeit eben. TobiasHaan war der erste, der Dominick erkannte und zu ihm herüberlief.
"Hey, Dom, wie läuft's denn so? Schön, dass du mal wieder vorbeischaust."
Er erzählte Tobias kurz wie es im Studium so lief, berichtete, wie ersich in Stuttgart so eingelebt hatte, und rückte dann relativ bald mitder Frage heraus, die ihm auf den Nägeln brannte: "Und? Was hat sichin der Mannschaft so getan?"
"Och, eigentlich nicht viel, außer, dass Flo jetzt auf deiner Positionspielt und sogar ein würdiger Ersatz ist."
Dominick schluckte. Das war bestimmt nicht die Antwort gewesen, die er sichgewünscht hatte.
"Aha", sagte er deshalb nur, mehr fiel ihm jetzt nicht ein. Nach einer Weilesetzte er hinzu: "Und wieist dieser Flo so?"
"Na ja, er ist verdammt inOrdnung, er ist ziemlich gut, aber ziemlich eingebildet,die Mädels hängen an ihm wie das Bienchen am Blümchen, undin seinem Zimmer befinden sich eine Hantelbank und ein ziemlich großerSpiegel. Der ist dir also ziemlich ähnlich, ich sage ja, ein guter Ersatzeben."
Dominick schluckte nochmals, vertiefte das Thema dann aber nicht weiter,weiljetzt auch die anderen auf ihn aufmerksam geworden waren und ihn begrüßten.Sie fragten ihn, was er so machte, erzählten, dass sie immer noch Tabellenführer waren, davon, dass ihr ehemaliger Star ihnen fehlte, davon war nicht dieRede. Vielleicht hatte er zuviel erwartet, aber ein "schade, dass du nichtmehrdabei bist" oder "wieviel müssen wir dir bieten, damit du wiederinsTeam zurückkehrst" wäre schon schön gewesen. Stattdessenaberblieb die Unterhaltung ziemlich oberflächlich und sie alle widmetensichbald wieder ihrem Training. Dom setzte sich auf die Tribüne undsah ihnendabei zu. Besonders diesen Milchbubi, der sich einbildete, seinenPlatz einnehmenzu können, beobachtete er genauestens. Ja, der Typ spieltenicht schlecht,doch an seiner eigenenLeistungen reichte er beim bestenWillen nicht heran.Nein, so gut wie er wardieser Flo nicht. So gut wieer war eben niemand,einen Dominick Weiss konnteman einfach nicht ersetzen.Und dennoch hattensie es getan. Ein würdigerErsatz, immer noch Tabellenführer,derbeste Spieler, den der Klub jehatte. Scheiße! Dominick wurde bewusst,dass er einfach so ausgetauschtworden war, ausgetauscht gegen einen Milchbubi,der darauf achtete, immerbesonders dramatische Spielzüge zu machenundnach jedem Korbleger zuden Mädels herübergrinste, die da anderTür standen und ihnanhimmelten. Das war dann wohl, wie Nataliees ausgedrückthätte,der Lauf des Lebens. Man spielte sein Spiel,bemühte sich,möglichstgut zu sein, erntete Applaus, und irgendwannging man vom Platzund wurde einfachdurch einen anderen ersetzt. Tja, sowar das wohl. Hatteer denn wirklich erwartet,dass er zurück nach Hasselnkam und allesso war die früher, dasser immer noch die Nummer Einsim Team war, dassihn immer noch dutzende Mädchenheimlich oder unheimlichanhimmeltenund dass alles dort weiterging, wo esaufgehört hatte? Ja,verdammt,das hatte er! Aber es war offensichtlichnicht so.
Irgendwann war das Training beendet, die Jungs gingen duschen, und Dom wartetedraußen vor der Halle, worauf auch immer. Und dann traf ihn erneutderSchlag, denn dort auf dem Parkplatz wartete Vivienne, seine Ex Freundin,mit derer Schluss gemacht hatte als er umgezogenwar,weil eine Beziehungübereine solche Entfernung sowieso nicht hättegutgehen können.Etwasunsicher ging er zu ihr rüber und begrüßtesie. EinflüchtigerKuss auf die Wange, ein süßes Lächelnundein umwerfender Augenaufschlag, Vivienne war immer noch so hübschwiefrüher, und er stand sofort wieder in ihrem Bann.
"Hey,Viv, auf wen wartest du?", fragte er und hoffte nur, sie würdenichtsagen...
"Auf Flo."
Mehr brauchte sie auch garnicht sagen, das hatte gesessen. Ein Schlag aufden Kopf hätte nichtschlimmer sein können. Er war also nicht nurim Basketball einfach soausgetauscht worden! Dominick kochte innerlich,sagteaber nichts, es hätteja sowieso nichts geändert. Das wareinfachzuviel! Bevor Vivienne nochetwas sagen konnte, drehte er sich wegund ging,stieg in sein Auto und rastenach Hause, offensichtlich der einzigeOrt, woalles noch so war wie früher,außer, sie hatten auch dortinzwischeneinen Ersatzmann für ihngefunden.

Den ganzen Abend schloss Dominick sich in sein Zimmer ein, gab vor, er müsstenoch lernen, und dachte dabei über das Leben nach. Die Welt ist eineBühne, und wenn der Vorhang sich schließt, ist man fünf Minutenspäter auch schon vergessen. Oder eben durch einen achtzehnjährigenBlondschopf mit Zahnpastalächeln, ozeanblauen Augen oder so, der aussahwie einer dieser Typen aus einer dieser bescheuerten Boygroups und sich obendreinnoch supercool fand, ersetzt worden. Natürlich hatte er jetzt eine neueBühne, und ihm war auch klar, dass die Mannschaft nun mal nicht ohneihn spielen konnte. Aber dass dieser Flo jetzt der Star des Teams war undauch noch seinen Platz an Viviennes Seite eingenommen hatte, das konnte ernicht akzeptieren. Dabei war er überhaupt nicht Viviennes Typ, sie standauf eher geheimnisvolleTypen, dunkelhaarig, braune Augen, auf ihn, Dominick,eben, und noch dazu war Flo jünger als sie und hatte diese tolle Fraueinfach überhaupt nicht verdient. Undganz nebenbei: den Platz im Teamauch nicht! Ja, vielleicht war es kindisch,vielleicht lag es daran, dasser nicht verlieren konnte, immer der Beste seinmusste und es einfach gewohntwar, von allen angehimmelt und umschwärmtzu werden, aber er hatte nuneinmal erwartet hier in Hasseln empfangen zuwerden wie der zurückgekehrteverlorene Sohn.
Um kurz nach neun klopfte dann Natalie an seine Tür und fragte, wasdennlos sei. Er überlegte einen Moment, ob er mit ihr darübersprechensollte, entschied sich dann aber dagegen und redete irgendwie umden heißenBrei herum. Natalie bemühte sich ihn aufzuheitern,schlug im vor, ihnin die Disco einzuladen, und nach einigem Zögernstimmte er dann auchzu. So fuhren sie also ins Infinity, und Dominick hoffte,dass ihm wenigstenshier einige Leute begegneten, die ihm erzählten,wie sehr sie ihn vermissthatten. Na ja, so ein paar alte Schulfreunde trafer dann doch, und seineLaunehob sich wieder ein bisschen. Und nach einpaar Stunden und ein paarDrinkshatte er den Nachmittag sogargänzlichvergessen und dachte nichtmehran Vivienne und nicht mehr anFlo. Zumindestvorerst. Zumindest bis erirgendwannan der Theke stand, sichnoch etwaszu trinken bestellte und plötzlichangerempelt wurde. Als ersich umdrehte:blaue Augen, blondeHaare, Zahnpastalächeln.Flo!
"Oh, sorry, tut mir leid. Hey, du bist doch Dominick, oder etwa nicht?"
"Ja, bin ich, ich bin der,in den Vivienne verschossen war, bevor du meinenPlatz eingenommen hast",zischte Dom und funkelte seinen Widersacher wütendan. Flo setzte einenverständnislosen Blick auf, tat so als würdeer nicht verstehenworum es ging und runzelte die Stirn.
"Wie? Was ist? Na, egal, es freut mich, dich endlich mal kennenzulernen,ichhab schon verdammt viel von dir gehört und..."
Bevor Flo den Satz beendenkonnte, hatte Dominick sein Knie in die Höhegezogen und dem Milchbubiangesichts soviel Schleimerei in die Weichteilegerammt. Was fiel diesem Idioteneigentlich ein?! Wollte der sich jetzt vielleichtauch noch über ihnlustig machen? Reichte es ihm nicht, dass er seinenPlatz im Team und auchnoch Vivienne hatte? Aber nicht mit ihm! Verarschenließ sich ein DominickWeiss von solch einem Jüngelchen noch langenicht. Stattdessen sah erjetzt mit Vergnügen zu, wie Flo sich unterSchmerzen krümmte undleise zu jaulen anfing. Tja, mit Vivienne mußteer nun wohl erstmaleine Weile Pause machen.
"Sag mal, bist du bescheuert, Dom, was machst du da eigentlich?" Das warNatalie,und jetzt war Dominickihr wohl auch eine Erklärung schuldig.Alsozoger Natalie weg und erklärte ihr, was am Nachmittag vorgefallen war.Sieschüttelte allerdings nurmit dem Kopf und nannte ihn einen Volltrottel.Dafür, dass Flo in dieMannschaft aufgenommen war, dafür konnteer schließlich nichts,meinte sie, dafür, dass er so gut war auchnichts und außerdemhabe Dom Vivienne schließlich sitzen lassenund nicht sie ihn. Na super,nicht einmal seine eigene Schwester verstandihn mehr.
"Ach, und dir würde es wohl nichts ausmachen, wenn dich plötzlichalle Leute vergessen würden und du einfach ersetzt werden würdest?"
"Bruderherz, du spinnst doch total! Erstens haben die Leute dich nicht plötzlichvergessen, denn du hast dich seit über einem Jahr hier nicht mehr blickenlassen, und zweitens kannst du ja wohl nicht erwarten, dass die Basketballmannschaftsich aus lauter Trauer über dein Weggehen plötzlich auflöst.Und dieser Flo hat dir nun schließlich nichts getan."
Doch, er hat mich angerempelt und sich über mich lustig gemacht, wollteDominick sagen, doch er ließ es bleiben, denn mit Natalie zu diskutieren,das brachte ja sowieso nichts. Und was war mit Vivienne? War es etwa normal,dass sie sich nach so kurzer Zeit schon mit einem anderen tröstete?Undsollte er es einfach akzeptieren, dass dieser andere ein absoluter Milchbubiund auch noch derjenige war, der im Team seinen Platz eingenommen hatte?Schließlichhatte er mit Vivienne ja nur Schluss gemacht, weil es dasbeste für siebeide war, oder? Ach, das mit dem Basketball, das konnteer wohl noch verkraften,aber das mit Vivienne, das ging wirklich tief. Eigentlichliebte er sie nämlichimmer noch und eigentlich hatte er gehofft, beiihr wäre es genauso.Abernein, sie hatte sich halt mit Flo getröstet.Der stand jetzt übrigens,umbringt von einem Rudel ihn anhimmelnderMädchen, an der Tanzflächeund fandsich offenbar unheimlich cool.Er flirtete mit allen gleichzeitig,erzählte wahrscheinlich von seinenHeldentaten beim Basketball und ließerneut eine ungeheure Wut undEnttäuschung in Dominick aufkeimen. Derwusstenur noch nicht, welchesGefühl von beiden das stärkere war.Eigentlich die Enttäuschung,aber je länger er diesen Flo beobachtete,desto mehr bekam die Wut dieOberhand. Tobias hatte recht gehabt. Die Mädels umschwärmten ihnwirklich wie die Bienchen die Blümchen, Flo genoss das sichtlich undes passte auch gut zu ihn, dass er sich zuhause ständig im Spiegel anguckte.War er früher wirklich genauso gewesen? Na gut,er war ziemlich vonsich überzeugt, er hatte schon immer längerim Bad gebraucht alsNatalie und wenn er angehimmelt wurde, dann war ihm dasnatürlich auchnicht unlieb. Aber er war doch längst nicht so...so... eigentlich wussteer gar nicht, was er an seinem Rivalen auszusetzenhatte. Egal. Flohatteihm die Freundin weggenommen, flirtete trotzdem nochmit anderen undfühltesich auch noch toll dabei. Und er kotzte Dominickeinfach an, weiler Vivienneüberhaupt nicht verdient hatte.
"Hey, Flo, hey, Dominick, kennt ihr euch eigentlich schon?" Das war Tobias,der jetzt Flo hinter sich herzog und zu Dominick rüberkam. Der merktewohl überhaupt nichts! Oder fand er es vielleicht sogar lustig, ihmseinenNachfolger, die Ablösung, den Neuen zu präsentieren? GrimmigsahDom ihn an und warf dann Flo einen vernichtenden Blick zu.
"Ja, wir haben uns schon kennengelernt", zischte er, doch bevor er noch mehrhinzufügen konnte, stellte Flo ihn direkt zur Rede.
"Und kannst du mir vielleicht auch mal erklären, was sich dir getanhabe?" Das war ja wohl die Höhe! Und Dominick fiel noch nicht mal einepassende Antwort ein. Er überlegte nur, ob er ihm die ach so schöneFresse polieren oder gleich mit demKopf ins Klo stecken sollte. Entwederwar der Junge einfach verdammt dreistoder wirklich so blond wie er aussah.Dom hatte wirklich Mühe, seineWut zu unterdrücken, aber er ließsich nicht noch einmal zu irgendwelchen Attacken hinreißen, sondernkippte ihm einfach den Drink, den er inder Hand hielt, vorne in die Hoseund erklärte. "Hier, das kühltschön, lindert die Schmerzen..."
Dann schlenderte er einfach in die entgegengesetzte Richtung davon. Das warnatürlich auch nichtbesser, denn prompt rannte er Vivienne in die Arme.Sie lächelte. Ernicht. Er drehte sich wiederum in eine andere Richtungund wollte auch ihrentkommen.
"Hey, Dominick, warte mal..."
"Warum sollte ich wohl warten?"
"Erklär mir lieber mal, warum du vorhin so schnell weg warst. Wir habenuns ja noch nicht mal richtig begrüßt."
"Ich glaube allerdings auch nicht, dass das noch nötig ist." Daraufwusstesie nichts zu sagen und sah ihn nur verständnislos an. IhremBlick nachzu urteilen wusste sie allerdings wirklich nicht, wie er die Spitzegemeinthatte. Dabei war sie doch sonst nicht schwer von Begriff. Solltees etwa möglichsein, dass siedoch nicht mit Flo...? Nein, das warunmöglich. Wiesohättesie ihnsonst vom Training abholen sollen?Oder?
"Äh... sag mal...", stammelte er, "... woher kennst du diesen Flo eigentlich?"
"Wieso fragst du? Du hattest doch nicht etwa gedacht..." Sie lachte lautlos.Nein, sie war nicht mit Flo zusammen, sie kannte ihn, weil er in dergleichenBoutique arbeitete wie sie, und das zwischen ihnen, das war nureine Freundschaft,weil Flo ein total netter Kerl war. Aber Liebe...nein.In Wirklichkeit traueresie Dom nämlich noch immer nach, weil sie immernoch ein wenig in ihnverliebt sei.
"Nur ein wenig", fragte er.
"Nein, wenn ich ehrlich bin, habe ich gerade meine Bewerbung für einStudium in Stuttgart losgeschickt, nur um endlich wieder in deiner Nähezu sein." Wieder einmal, wie schon viel zu oft an diesem Tag, war Dominickvöllig platt. Aber diesmal war es positiv. Und der Kuss, den Vivienneihm danach auf die Wange drückte, war noch viel positiver. Fast schonkitschig. Aber das war jetzt auch egal. Auf jeden Fall fühlte Dominicksich jetzt wirklich wie der absolute Volltrottel. Und Natalie hatte wiedereinmal recht behalten. Ja, natürlich, denn einen Dominick Weiss konnteman halt nicht ersetzen. Man konnte höchstens für kurze Zeit einenErsatzspieler einwechseln. Aber bei dem musste er sich jetzt wohl schleunigstentschuldigen. Zumindest, wenn er nicht wollte, dass morgen beim Trainingheftig über ihn gelästert wurde.
Also ließ er Vivienne wieder einmal stehen und machte sich auf dieSuchenach Flo. Der stand natürlich immer noch oder auch schon wiederan derTanzfläche und flirtete mit diversen Mädels. Allerdingswirkte erinzwischen längst nicht mehr so unsympathisch und eingebildetwie nochvor fünf Minuten. Ziemlich zerknirscht bewegte Dominick sichzu ihm rüber,streckte ihm die Hand hin und murmelte: "Äh... ichglaube, wir müssennoch mal miteinander reden."
"Und ich glaube nicht, dass ich darauf in irgendeiner Weise scharf bin."Tja,recht hatte er. Zumindest konnte Dominick diese Reaktion nach allem,was abgelaufenwar, ziemlich gut verstehen. Er hätte jetzt wahrscheinlichauch keinWortmehr mit sich gewechselt. Na gut, vielleicht waren sie jetztquitt. Flodurfteim Team seine Nummer tragen und er hatte sich als Volltrottelerwiesen.Aberwas sollte es, er hatte schließlich eine neue Bühne,und wennallesgut lief, würde auch Vivienne diese im kommenden Semesterbetreten.Gegenwartist das, was gestern noch Zukunftwar, und die Vergangenheitspieltdabei überhauptkeine Rolle. So oderso ähnlich hätteNataliedas wohl gesagt unddamit gemeint, dass ernach vorne schauen sollund nichtzurück. Wohldem,der eine Schwester hat,die selbst dannnoch gute Ratschlägegibt,wennsie gerade mal nicht anwesendist.



Christian Dolle, 01/2001
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