Dürfte es noch etwas Gebäck sein?



Eigentlich hatte Mona nur eben schnell Brötchen holen wollen, aber Schnelligkeitwarhier in der Bäckerei noch ein Fremdwort. Kein Wunder, dass ihreTochterMarion zum Brötchenholen meist gleich nach Hasseln fuhr. JetztlauschteMona jedenfalls schon seit zehn Minuten dem Gespräch zwischenGerda Wieking und Uschi Bronn, außer ihrselbst die einzige Kundin im Laden. Gerda hatte inzwischen den gesamten Tratschder letzten zwei Wochen zum Besten gegeben, und das, obwohl in Naldau eigentlichrein gar nichts passierte. Angefangen hatte alles mit einem aussweifendenBericht über den Streit um die Renovierung der Kirche, über denFrau Wieking besonders viele Details wusste, da ihr Gatte ja im Gemeinderatwar, und inzwischen war man bei persönlicheren Problemen angelangt,wie zum Beispiel der neuen Haarfarbe von Posters Marianne.
"Also wissen se, ich hab ja immer gewusst, dass dat nur gefärbtis..."
"Ja, also wenn se mich fragen, sah die auch schon immer unecht aus mitdat Blond drinne..."
"Wieso? Aber sie ham doch auch 'n bisschen nachgeholfen bei ihre Haare,oder?"
"Nee, dat is alles echt. Nur die grauen Spitzen hab ich 'n wenig nachtönenlassen. Bin aber inne Stadt gefahren dazu. Da wo die Kleine von der Bohrmannarbeitet. Wie heißt die doch gleich?"
"Wer? Wen meinen se denn?"
"Na die Tochter vom alten Bohrmann, die den... na, diesen Versicherungsheinigeheiratet hat..."
"Ach die Elke meinen se. Norden heißt die jetzt. Und die arbeitetjetzt als Friseuse? Dat wusste ich auch noch nich..."
"Nein, die doch nicht. Der ihre Tochter arbeitet da. Und der Sohn vonneReinhardt arbeitet da auch. Also wie man als junger Mann beim Friseur arbeitenkann..."
"Ja, ja, dann ist der bestimmt... na ja, sie wissen schon, vonnen anderenUfer wie man so sagt.Und dabei war das immer so 'n Netter..."
"Ja, aber die Jugend ist ja sowieso nicht mehr, was sie mal war. Hagensihre hat jetzt 'n Kind gekriegt. Das müssen se sich mal vorstellen.Mitneunzehn! Und wer der Vater is, dat weiß keiner..."
"Och, da wundert mich gar nix mehr. Die hatte doch auch schon als senoch fufzehn war wat mit den Kleinen vonne Boelter!"
"Mit 'n Thomas? Ja, der war ja sowieso einervon den ganz schnellen. Richtig frühreif war der."
"Aber dat soll sich ja jetzt geändert haben. Seit der auf 'm Hofarbeitet soll der angeblich in festen Händen sein. Hat mir zumindestBoelters Heide erzählt..."
"Ach, nun glauben se doch nich alles wat man ihnen sacht. So schnelländert sich so einer doch nicht... und der Vater war früher genauso..."
"Ja ich weiß et nich... Ach, Frau Pietsch, nun sagen se doch auchmal was dazu. Sie arbeiten doch schließlich da auf dem Hof..."
Mona schluckte und verdrehte innerlich die Augen. Eigentlich hatte sieabsolut keinen Bock, sich an dem Tratsch auch noch zu beteiligen, aber wennsie nichts sagte, würde über sie morgen auch hergezogen werden,und ihre Brötchen bekam sie dann garantiert auch nicht schneller.
"Also ich weiß nur, dass der Thomas ein echt feiner Kerl ist.Undseine Katie auch. Ach, und dann hätteichgerneacht Brötchen..."
"Ja, Moment, erstmal ist jetzt die Frau Bronn dran, die war ja eherda.Was darf 's denn sein?"
"Ach, ich weiß nicht so recht. Der Jochen, mein Sohn kommt heuteNachmittag, und da wollte ich doch etwas Gebäck zur Hand haben, wissense.."
"Ja, wat wollen se denn? Ich hab hier ganz frischen Obstkuchen..."
"Oh, ja, der sieht wirklich gut aus... was is denn da alles drauf...is dat gelbe da Pfirsich?"
"Nee, dat is Ananas..."
"Och nee, Ananas nicht. Das verträgt mein Günter nicht..."
"Ach, und ich dachte, der isst überhaupt gar keinen Kuchen..."
"Nee, tut er ja auch nicht, aber wenn ich dann schon welchen auf denTisch bringe, und da is dann auch noch Ananas drauf, dann is er beleidigt.Sie wissen ja wie Männer bei sowas sind..."
"Ja, da ham se recht. Mein Heinz is genauso. Kaffee trinkt der nichtwegen sein Herz, wissen se, aber wenn ich ihm dann mal keine Tasse mitbringe,dann will er plötzlich doch welchen haben... Aber dann erzählense ihrem Günter doch, die Ananas sei Pfirsich, und dat merkt der dannauch nich..."
"Ja, das is natürlich 'ne Idee. Der isst ja sowieso nix, und Ananasund Pfirsich kann der schon mal gar nicht auseinanderhalten..."
"Also gut, wieviel soll 's denn sein?"
"Nee, warten se mal... der Bienenstich da, der sieht ja auch gut aus..."
"Ja, der is auch ganz frisch. Soll 's dann lieber davon 'was sein?"
"Och ja, dat is besser.. oder nee, wat is denn das da hinten noch? Nebender Schwarzwälder..."
"Dat sind Nussecken, aber auch sehr lecker..."
"Nee, nich die Nussecken, das daneben, dat, was so matschig aussieht...Ach nee, ich glaube, ich nehme doch nur ein Stück Bienenstich..."
"Also Bienenstich... Wieviel denn etwa? So?"
"Nee, warten se mal. Bienenstich kann ich ja gar nich nehmen. Den magdie Verlobte von unseren Jochen doch gar nich. Der is ihr immer zu pappig.Oder war das jetzt der Zuckerkuchen? Ach, ich weiß et nich.Wissen se,geben se mir einfach ein paar Rosinenschnecken. Die mögen alle."
"Ja, da kann man nich viel verkehrt machen mit Rosinenschnecken... Wievieledenn?"
"Ja vielleicht sechs. Oder doch nur fünf, weil der Günterjakeine isst... Ach, geben se mir doch sechs. Man kann ja nie wissen..."
"Sechs Rosinenschnecken also. Macht dann neun Mark und sechzig... Ichwusste gar nicht, dass der Jochen sich verlobt hat..."
"Doch, doch, vor zwei, nee drei Monaten. Da waren se in Urlaub inneTürkei,und als se wiederkamen erzählten se mir ganz stolz, datse sich verlobthaben..."
"Inne Türkei...?"
"Ja, so ganz heimlich. Sollte ja keiner was von wissen. Is ja doch 'nbisschen wat Privates, so 'ne Verlobung..."
"Ja, nee, klar, aber ich wusste gar nich, dat man sich heute überhauptnoch verlobt..."
"Doch, doch, die Maja, also die Verlobte von Jochen is da ziemlich altmodisch,die wollte sich unbedingt vorher noch verloben. Sagt zumindest der Jochen..."
"Wie, vorher noch? Wann is es denn soweit?"
"Ach, da fragen se mich wat. So genau ham se mir dat noch nich erzählt..."
Mona riss gleich der Geduldsfaden. Sie trat von einem Bein aufs andereund bedauerte es, die Brötchen nicht doch aus der stadt geholt zu haben.Aber so wie das hier aussah, dauerte das Gespräch noch bis in die frühenAbendstunden.
"'Tschuldigung, Frau Wieking, könnte ich vielleicht acht Brötchenbekommen... bitte?"
"Wieso? Wollen se dat mit den Jochen denn etwa nich erfahren...?"
"Nee, wenn ich ehrlich bin, nicht. Aber meine Brötchen, die hätteich gerne noch vorm Dunkelwerden!"
Beleidigt stopfte Gerda Wieking die Brötchen in eine Tüte,und Mona verließ geradezu fluchtartig den Laden. Sollten die beidendoch über sie denken, was sie wollten...


Christian Dolle, 01/2001
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