Arbeitskreis Distomo Hamburg:

Bewertung des Entscheides des Europäischen Gerichthofes für Menschenrechte im Falle Distomo vom 12.12.2002

Zeitungsartikel vom 10.02.2003 in der Berliner Zeitung

Offener Brief des AK Distomo

Kommentar des AK Distomo zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall Distomo

 Am 12.12.2002 entschied das Strasbourger Gericht, dass die Beschwerde der Kläger im Fall Distomo, die sich gegen Griechenland und Deutschland richtete, nicht zulässig sei. Welche juristische und politische Bedeutung hat diese Entscheidung für die Betroffenen?

Was die Presse (Berliner Zeitung vom 10.2.2003; Junge Welt vom 13.2.2003; Jungle World vom 5.3.2003) bislang über die Strasbourger Entscheidung verbreitet hat, basiert offensichtlich nur auf einer ungeprüften Interpretation des Bundesjustizministeriums. Mit dem rechtlichen Gehalt der Entscheidung und ihrer Begründung haben die bisherigen Medienberichte jedenfalls so gut wie nichts zu tun. Insbesondere die Behauptung, mit der Entscheidung in Strasbourg sei in der Entschädigungsfrage juristisch gesehen das letzte Wort gesprochen, geht völlig an der Sache vorbei. Es handelt sich um reine Propaganda der Bundesregierung.

Der ECHR in Strasbourg hatte nur darüber zu entscheiden, unter welchen Voraussetzungen die Vollstreckbarkeit des Distomo-Urteils in Griechenland gegeben ist. Das Gericht hat in der Tat die deutsche und griechische Ansicht bestätigt, in Griechenland dürfe nicht ohne Zustimmung des griechischen Justizministers in deutsches Vermögen vollstreckt werden, so wie es die griechische Zivilprozessordnung vorsieht. Das Gericht hält die derzeitige gesetzliche Regelung in Griechenland für völkerrechtskonform und sieht keinen Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention.

 Nur im Rahmen dieser Prüfung ist das Gericht auf den völkerrechtlichen Grundsatz der Staatenimmunität eingegangen. Es hat diesen zwar grundsätzlich auch für den Fall anerkannt, dass Schadensersatzklagen wegen Verbrechen gegen die Menschheit geführt werden. Allerdings schlussfolgert der ECHR daraus nur, dass von der griechischen Regierung nicht verlangt werden könne, die Regel der Staatenimmunität gegen ihren Willen zu durchbrechen.

D.h.: Griechenland ist nicht gezwungen, die Zivilprozessordnung zu ändern und Zwangsvollstreckungs­maßnahmen gegen ausländisches Eigentum uneingeschränkt zuzulassen. Ob es Griechenland im Hinblick auf den Grundsatz der Staatenimmunität erlaubt wäre, im Einzelfall oder generell Vollstreckungsmaßnahmen in ausländisches Eigentum zuzulassen, lässt der ECHR offen.

 Das Strasbourger Gericht hat sich hingegen nicht mit der letztlich entscheidenden Frage beschäftigt, ob Einzelpersonen überhaupt wegen erlittener Kriegsverbrechen gegen Deutschland klagen dürfen. Der ECHR hat kein Wort darüber verloren, ob Klagen - wie im Fall Distomo - in Griechenland geführt werden durften oder dürfen. Strasbourg hat auch nichts darüber gesagt, ob es irgendwelche Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Areopags im Fall Distomo gibt. Damit hätte der Gerichtshof allerdings seine Kompetenz auch überschritten. Das Gericht hat auch nicht postuliert, dass eine Zwangsvollstreckung aus dem Urteil überhaupt nicht stattfinden dürfe. Es hat sogar ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Kläger an einer Vollstreckung des Distomo-Urteils in Deutschland nicht gehindert seien.

Die praktische Konsequenz der Strasbourger Entscheidung ist nunmehr die, dass kein erneuter Druck auf die Bundesregierung im Hinblick auf Entschädigungsleistungen zustande gekommen ist. Hätte Strasbourg positiv entschieden, hätte Berlin zahlen müssen oder wäre seine Immobilien los gewesen. Leider ist dies nicht geschehen. Daher ist das Urteil ein politischer Rückschlag.

In rechtlicher Hinsicht aber hat die Entscheidung nur begrenzte Bedeutung, wie bereits ausgeführt. Das Strasbourger Urteil stellt eine Niederlage für die Opfer von NS-Verbrechen dar. Die juristischen Konsequenzen der Entscheidung und der sie tragenden Gründe sind aber nur sehr begrenzt. Weder Gerichte in Griechenland noch in Deutschland sind hierdurch gehindert, Entscheidungen zugunsten der Opfer und ihrer Hinterbliebenen zu treffen. Und eine Pfändung in Berlin hätte sicherlich auch ihren Reiz.

Daher gibt es keinen Grund zur Resignation, die nächsten juristischen und politischen Schritte stehen an. Neben den Aktivitäten gegen das Traditionstreffen der Gebirgsjäger in Mittenwald zu Pfingsten steht die öffentliche Verhandlung am 12. Juni 2003 vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe im Revisionsverfahren von Argyris Sfountouris an. Argyris Sfountouris ist Überlebender des Massakers in Distomo. Es handelt sich um ein Verfahren im Fall Distomo, das parallel zu den Klagen in Griechenland geführt wurde. Das zu erwartende Medien-Interesse an diesem Verfahren sollte dafür genutzt werden, um der Entschädigungsforderung nochmals Nachdruck zu verleihen. Nähere Informationen hierzu werden wir noch verbreiten.

Hamburg, 17. März 2003

 Kontakt über distomo-hamburg@gmx.de.

 

Offener Brief an Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte

Offener Brief
über AK Distomo
c/o RA-Büro Klingner
Budapester Str. 49
D - 20359 Hamburg
 
 
 
An den
Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte
Europarat
F - 67075 Strasbourg-Cedex

Deutschland, den 10. Dezember 2002
 
Aktenzeichen 59021/00 - Kalogeropoulou u.a. versus Griechenland und Deutschland
Entschädigung der Opfer des SS-Massakers in Distomo vom 10. Juni 1944
 
Hohes Gericht,
sehr geehrte Damen und Herren,

die unterzeichnenden Personen und Gruppen wenden sich mit diesem offenen Brief
an Sie, da Sie darüber entscheiden, ob die Opfer und Hinterbliebenen im Fall
Distomo die zugesprochene Entschädigung erhalten werden. Die Regierung der
Bundesrepublik Deutschland weigert sich trotz der rechtskräftigen Entscheidung
des Areopags vom Mai 2000 die Zahlung in Höhe von etwa 29 Mio. Euro vorzunehmen
und das Urteil anzuerkennen.
 
Entgegen öffentlicher Bekundung von Repräsentanten der Bundesrepublik wird damit
unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass die Bundesregierung weder bereit
ist das Massaker von Distomo als Kriegsverbrechen anzuerkennen noch das den
Opfern zugefügte Leid symbolisch zu entschädigen. Sie entzieht sich so
offensichtlich der Verantwortung der Bundesrepublik als Rechtsnachfolgestaat des
Deutschen Reiches.
 
Erst diese Weigerung machte die Einleitung von Vollstreckungsmaßnahmen im Wege
der Zwangspfändung von deutschen Liegenschaften in Griechenland durch den
anwaltlichen Beistand der Opfer und Hinterbliebenen erforderlich, um die
Respektierung und Umsetzung des Urteils zu erreichen. Dieses Zwangsverfahren
wird durch das griechische Justizministerium aus politischen Erwägungen
unterbunden.
 
Die Bundesrepublik hat nicht nur den griechischen NS-Opfern Anerkennung und
Entschädigung versagt, sondern ihre Rechtsorgane haben auch die strafrechtliche
Verfolgung der Täter von Wehrmacht, SS und anderen nationalsozialistischen
Organisationen in fast allen Fällen unterlassen und verhindert. Es besteht eine
Pflicht Deutschlands gegenüber Opfern von NS-Kriegsverbrechen Entschädigung zu
zahlen und materielle Hilfe zu leisten.
 
Wir bitten Sie, die hart erstrittene Position der NS-Opfer von Distomo in Ihrem
Urteil zu stärken, so dass sie die zugesprochene Entschädigung als materielle
Anerkenntnis von ihrem Leid 58 Jahre nach dem Verbrechen endlich erhalten.
 
Hochachtungsvoll
<Namensliste>


Den offenen Brief an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in
Strasbourg haben viele Organisationen und Einzelpersonen unterstützt:
Alle uns gesandten Zuschriften haben wir an das Gericht weitergereicht. Einige
haben zudem direkt an das Gericht geschrieben und ein paar Zuschriften zur
Unterstützung des offenen Briefes erreichten uns leider zu spät. – AK


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