Das schnelle Altern der Privatdozenten
Ministerin Bulmahn treibt die Privatdozenten aus der Forschung
Wer einige tausend Forscher sehenden Auges in die Arbeitslosigkeit schickt, muß wissen, was er will. Er ist eine Sie, heißt Edelgard Bulmahn, ist Bundesbildungs- und Forschungsministerin und will dynamische Forschung, frühe Patentreife, Innovation, mit einem Wort - das Neue. Und die Neuen: Juniorprofessur und frühere Abschlüsse. Die hochschulpolitischen Leitvokabeln, die von ihrem Ministerium in Umlauf gebracht worden sind, haben allesamt einen jugendlichen Appeal, denn die Diagnose der deutschen Universitätsmalaise, die Bulmahns Reformen zugrundeliegt, ist eine gerontologische. Die Universitäten leiden ihr zufolge an Überalterung, der ihrer Studenten und Absolventen, der ihres Lehr- und Forschungspersonals.Wer die Neuen und die Jungen will, muß sagen, was sie mit den Alten vorhat. Befördern, lautete die ältere Antwort: Aus Mitarbeitern werden Assistenten werden Professoren. Aber, wie alle wissen, gibt es nicht so viele Professuren wie es Kandidaten gibt. Das Forschungsystem hat auf diese Knappheit mit einem Wachstum der Forschung reagiert. In Zeiten des Rückstaus und zugleich der immer weiteren Verfeinerung von Forschungsgebieten sorgen Drittmittelprojekte für Stellen, die auch von Forschern ausgefüllt werden können, die keine Professur bekommen oder darauf warten müssen. Ministerin Bulmahn will das ändern. Im "Fünften Gesetz zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes" (HRG) wird die gesamte Verweildauer des staatlich beschäftigten wissenschaftlichen Personals auf zwölf Jahre beschränkt. Diese Zeitspanne ergibt sich aus der Länge einer idealtypischen Forscherkarriere vom Examen bis zum Ende einer der neuen Juniorprofessuren. Wer sich bis dahin nicht für die unbefristete Übernahme eines Lehrstuhls qualifiziert hat oder ihn einfach nicht bekommt, für den soll es sich im Normalfall ausgeforscht haben.
Angerechnet auf die zwölf Jahre wird dabei jegliche Art von Arbeitsvertrag. Wer sein Studium anfangs als Hilfskraft oder Tutor mitfinanziert, muß sich später dafür beeilen. Auch so kann sozialdemokratische Bildungspolitik aussehen. Wer sich in ein Drittmittelprojekt hineinbegibt, sollte demnächst erst einmal nachrechnen, wieviel Jährchen ihm Frau Bulmahn bis zum Arbeitsamt noch zugesteht. Auch so können forschungsspolitische Anreize zu Risikobereitschaft gestaltet werden.
Nun mag man sagen: Sind denn zwölf oder zweimal sechs Jahre vor und nach der Promotion nicht genug der Aufenthaltszeit eines Forschers im befristeten Dienst an einer Universität? Diese Frage dürfte vor allem dort bejaht werden, wo den Wissenschaftlern nach der Habilitation überhaupt Arbeitsmöglichkeiten außerhalb der Forschung offenstehen. Dem promovierten Ingenieur mag auch hier nichts zu schwer sein, dem habilitierten Betriebswirt auch mit fünfdunddreißig noch ein Unternehmen gewogen. Aber welche Beschäftigung, wenn nicht die befristete in Forschungszusammenhängen, stellt sich das Bildungsministerium vor, wenn es um hochspezialisierte Physiker, Alttestamentler oder Frühneuzeithistoriker geht? Daß unter der Ägide von Edelgard Bulmahn nicht nur die Habilitation als Schrott betrachtet wird, sondern aller Forschung außerhalb der harten, lies: profitablen, verwertungsnahen Fächer der Kampf angesagt ist, wird auch von dieser hochschulpolitischen Innovation bestätigt. Die Geisteswissenschaften werden gedrängt, immer mehr Drittmittelprojekte durchzuführen. Das Personal dazu aber wurde genau aus denjenigen Altersgruppen gewonnen, die man jetzt loswerden möchte.
Die Gründe dafür, die Verweildauer von Wissenschaftlern auf befristeten Stellen zu verringern, sind dabei allerdings nicht nur bildungspolitischer Natur. Das Arbeitsrecht hat der Einsicht, daß die Wahrheit eine Tochter der Zeit ist, seit jeher Rechnung getragen. Es gibt einen "Sonderbefristungstatbestand" für Wissenschaftler. Das will sagen: Die andernorts rechtlich unterbundene mehrfache Verlängerung befristeter Arbeitsverträge wird in wissenschaftlichen Kontexten maßvoll erlaubt, sofern es sich um Verträge mit Qualifikationsaspekten handelt. Erziehung dauert. Daß die Begründung, ein vierzigjähriger Projektinsasse qualifiziere sich immer noch für eine Professur, weshalb sein Vertrag verlängert werden möge, arbeitsrechtlich nicht einwandfrei ist, haben auch europäische Instanzen festgehalten. Insbesondere der alte Trick, innerhalb des staatlichen Fördersystems einfach den Arbeitgeber - etwa das Bundesland oder die Forschungsorrganisation - zu wechseln, um das Vertragsverhältnis bei null Jahren neu beginnen zu lassen, ist vor europäischen Gerichten nicht zu halten.
Dem Gesetzestext nach soll es nach Ablauf der Zwölfjahresfrist nur "nach den Maßgaben des Teilzeit- und Beschäftigungsgesetzes" gerechtfertigt sein, weiterbeschäftigt zu werden. Das fordert zu neuen juristischen Begründungstricks auf, anstatt die sachliche Problematik älterer Forscher, die keine Professur bekommen werden, offen in den Blick zu fassen. Was deren Schicksal angeht, so ist es völlig offen, wie sich die Universitäten zu jenem Schlupfloch verhalten werden. Wo immer ein Kanzler oder Justitiar arbeitsrechtliche Konsequenzen fürchtet, wird er vor der Inanspruchnahme "besonderer Begründungen" für Vertragserneuerungen zurückschrecken und lieber die Dozenten zum Arbeitsamt schicken. Damit wüßte er sich einig mit dem politischen Willen des Gesetzes. Man müsse nun leider die Generation der Privatdozenten "verschrotten", zitiert der Freiburger Historiker Ulrich Herbert, Mitglied des Wissenschaftsrats, in einem Beitrag der "Süddeutschen Zeitung" einen Ministerialbeamten aus dem Hause Bulmahn.
Was am Reformgewerkel des Hauses Bulmahn so trist stimmt, ist mehr als der gegenüber Forschern völlig abschätzige Duktus, nämlich das erbärmliche diagnostische Niveau. Es wird eine Überalterung von Forschern festgestellt und deren mangelndem Qualifikationstempo zugerechnet. Tatsächlich aber war es doch für eine ganze Generation von Wissenschaftlern völlig rational und ohne Alternative, sich möglichst lange in jenen befristeten Arbeitsverhältnissen aufzuhalten. Waren denn nicht in den siebziger Jahren, als Hochschulgründung Mode war und mancher sich der Professur nur durch Entleibung hätte entziehen können, Tausende von Lehrstühlen praktisch altershomogen besetzt worden? Und erfolgt darum nicht die Einstellungspraxis der Universitäten seitdem schockweise? Es gab und gibt jene ordentlichen Stellen für der Qualifikationsphase entwachsene Forscher nicht, denen jetzt heuchlerisch zugerufen wird, irgendwann sei halt einmal Schluß mit ihrer Ausbildung. In den Erläuterungen zu Paragraph 57b des Gesetzes heißt es: "Andererseits zwingt die Regelung Hochschulen und Nachwuchswissenschaftler dazu, die Qualifizierungsphase zügig voranzutreiben, wenn das Privileg der befristeten Beschäftigung genutzt werden soll." Befristung als Privileg - so stellt sich Frau Bulmahn Anreize zu innovativem Denken vor.
JÜRGEN KAUBE