Zopf ab? Die Hochschulreform läßt alle gegen alle kämpfen
Beginnt jetzt ein Kampf um die deutschen Universitäten? Deutsche Hochschullehrer haben in einer Anzeige die Bundesministerin für Bildung und Forschung aufgefordert, ihre Vorschläge zur Universitätsreform zurückzuziehen. Mit dem drohenden Unterton der Besitzer von Blockademacht deuten sie an, gegen den nahezu einhelligen Widerstand der Betroffenen werde eine solche Reform ohnehin nicht gelingen. Gleichzeitig erhält die Ministerin einen offenen Brief von mehr als vierhundertfünfzig deutschen Forschern im Ausland, der jene Reform als "entscheidenden Schritt in die richtige Richtung" bezeichnet. Auch das öffentliche Echo scheint Edelgard Bulmahns geplante Umgestaltung der Universitäten inzwischen gutzuheißen. Unumgänglich, überfällig, von Experten befürwortet und, bei allen Schwächen im Einzelnen, im Ganzen mutig, so lauten die Urteile.
Man kann das Bild, das hierdurch entsteht, nicht schon deshalb ablehnen, weil es ein altvertrautes ist. Der deutsche Professor erscheint in ihm als saturierter Konterrevolutionär in Lebensstellung. Von der vielen forschungsfreien Zeit, die ihm die Universität gewährt - "Nur wer nicht lehrt, fällt auf" ((Niklas Luhmann) -, verwendet er die meiste zur Verteidigung eigener Privilegien sowie der "Hierarchien" und "bürokratischen Strukturen", die sie stützen. Auf der anderen Seite, bei den revolutionären Kräften, stehen dagegen Wettbewerb und Leistungslohn, Selbständigkeit, Forschermut und Interdisziplinarität auf den von frischer atlantischer Luft bewegten Fahnen.
Jeder, der eine Universität durchlaufen hat, kann dieses Schema mit Dutzenden von Beispielen und Namen ausfüllen. Aber die Malaise durch anekdotische Beweisführung illustrieren und einen Begriff ihrer Gründe haben ist zweierlei. Die Gründe jedenfalls, die in Gestalt der Reformideen aus dem Hause Bulmahn vorgetragen werden, leuchten nicht ein. Das Reizwort lautet "Dienstrecht": Es geht also um das Einkommen der Professoren und um die Struktur akademischer Qualifikation, mithin den hoffentlich mit Forschung und Unterricht gepflasterten Weg zu diesem Einkommen und zur vollen universitären Lehrbefugnis. Und weil es jetzt ums Geld geht, werden die Töne lauter und die skizzierten Bilder vom zustand der Universität kontrastärmer.
Was die Besoldung der Professoren betrifft, plant das Ministerium die "Einführung von Leistungskriterien". Das Grundgehalt der Lehrstuhlinhaber soll in Zukunft nur dann aufgestockt werden, wenn die akademische Arbeit in Wissenschaft und Studentenbetreuung für gut befunden wurde. Das klingt gut, auch wenn die Vorstellung, so leistungsbezogen gehe es ja in der Wirtschaft zu, sich durch Gespräche mit dortigen Personalbüros aufklären ließe. Die beanspruchte Effizienz der Maßnahme aber wird durch zweierlei beeinträchtigt. Aus dem Bundesbildungsministerium heißt es, man beabsichtige, sie kostenneutral durchzuführen. Wenn das Salär der Professoren von ihrer Leistung abhängig werde, dann gebe es danach eben Hochschullehrer mit höherem, gleichbleibendem und niedrigerem Einkommen.
Das jedoch kann das Ministerium nur wissen, wenn es nicht eine tatsächliche Leistung der Professoren honorieren, sondern nur ihre Abweichung vom Durchschnitt sanktionieren möchte. Eine festgesetzte Summe soll also - und hier endet der Vergleich mit dem Idealmodell ökonomischer Lohnfindung auch schon - nur mit größerer Spreizung als bisher unter den Professoren verteilt werden. Ganz ähnlich wie im Fall der neu eingeführten "Master"- und "Bachelor"-Abschlüsse kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, es werde auch hier unter dem Titel neuer Leistungsanreize nur der Status quo mit einer verwirrenden Formel geschmückt. Was über den Notstand knapper oder schrumpfender Mittelzuweisung hinausgeht, wird dann vermutlich nur das Hauen und Stechen an den Fakultäten sein, wenn es um die Frage geht, wer die erbrachte Leistung denn beurteilen, die fabulösen Leistungskriterien denn anlegen soll.
Gerade aus England liegen hier Erfahrungen dazu vor, was geschieht, wenn "Leistungskriterien" zur Mittelzuweisung an Universitäten eingeführt werden. Das Personal der dortigen Hochschulen ist über ganze Wochen hinweg lahmgelegt - durch Evaluierungskommissionen, die den Forschern jene Leistungsnachweise abverlangen. Wenn der Revisor kommt, regnet es Fragebögen. Die Virtuosität im Aufrichten akademischer Leistungsfassaden, die dann einsetzt, darf dabei ebensowenig unterschätzt werden wie der konformistische und kurzatmige Publikationsfuror, zu dem man die Wissenschaftler damit zwingt - genauer: den man damit vollends freisetzt. Geben ihm doch schon heute unzählige Professoren freiwillig nach, um lieber noch einen Sammelband zu bestücken, als sich mit ihren Studenten zu befassen. Zu solchem Fleiß durch seine Berücksichtigung als Gehaltskomponente weiter anzuregen, muß sich ein Gegner von Proseminaren und der Betreuung von Abschlußarbeiten ausgedacht haben.
Es wird also zuletzt kein Kampf um die deutschen Universitäten sein, den diese Besoldungsreform auslösen wird, es wird sich einer in ihnen zutragen: zwischen den verschiedenen funktionalen und dysfunktionalen Gruppen, deren Mitspracherecht bislang niemand antastet; zwischen Disziplinen, die sich für äußerst leistungsfähig und nützlich halten, und solchen, die beim Aufstellen von Ertragsrechnungen zurückbleiben werden; zwischen Professoren, deren Einkommen von der Zahl der Publikationen abhängig gemacht werden wird, und Studenten, deren Ausbildung auch davon abhängig ist, daß Forschung zugunsten von Lehre unterbleibt. Die Reformer aber werden dann im besten Fall sagen, das hätten sie nicht gewollt.
JÜRGEN KAUBE
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