Das deutsche UNIVERSITÄTSSYSTEM soll erstmals
gründlich reformiert werden. Viele
Professoren fürchten das angekündigte Leistungsprinzip.
Von Marco Finetti
Seinen Doktortitel hatte er gerade in der Tasche, da musste Hubert Nienaber sich entscheiden. "Entweder gebe ich meinen Beruf auf oder verlasse meine Heimat", lautete die Alternative. Eine wissenschaftliche Karriere in Deutschland hätte den Chemiker gereizt, doch davor stand nach mehr als zehn Jahren Studium, Diplomarbeit und Promotion eine weitere hohe Hürde. "Ich hätte noch einmal vier oder fünf Jahre an meiner Habilitation arbeiten müssen, um später mit viel Glück eine Professur zu bekommen. Das war für mich mit Anfang Dreißig undenkbar", sagt Nienaber. Also entschied er sich gegen die Heimat: Seit einem Jahr forscht der Chemiker nun als Postdoc am Polytechnic Institute im amerikanischen Worcester/Massachussets. "Hier würde auch der Doktor reichen, um Professor zu werden."
Wie Nienaber verlassen jährlich Tausende Nachwuchswissenschaftler aller Fachrichtungen Deutschland. Verkrustete Strukturen und unsichere Perspektiven an den hiesigen Hochschulen lassen jeden siebten Promovierten sein Glück in der Ferne suchen. Alleine rund 5000 Jungforscher zieht es Jahr für Jahr in die USA, wo die Deutschen nach den Chinesen und Japanern inzwischen die drittgrößte Emigrantengemeinde in der Scientific community stellen. Jeder dritte Exilant bleibt sogar für immer - vor allem in den Bio- und Naturwissenschaaften, in denen in Deutschland der Forschernachwuchs längst knapp ist. Welches Potenzial der alma mater hier zu Lande verloren geht, zeigt sich alljährlich bei der Verleihung der Nobelpreise: Seit 1996 erhielten vier deutsche Forscher, die in jungen Jahren in die USA auswanderten, die höchsten Weihen.
"Es sind oft die Besten der Besten, die gehen", weiß auch Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn, die sich erst vor wenigen Wochen im kalifornischen Palo Alto mit mehr als 100 Amerika-Auswanderern traf. Mit einem Frontalangriff auf die Fundamente des deutschen Hochschulwesens will Bulmahn nun die Besten der Besten im Lande halten oder sogar zurück holen. Noch vor der nächsten Bundestagswahl will die SPD-Politikerin das Dienst- und Besoldungsrecht an den deutschen Hochschulen ändern. Kernpunkte der Reform, die sich die Ministerin von einer Kommission aus Verwaltungsexperten, Politikern und Wissenschaftlern erarbeiten ließ:
Während der Nachwuchs sich abmüht, fehlt denen, die schon oben sind, häufig der letzte Anstoß zur Spitzenleistung. Belohnt werden sie weder vom starren Besoldungssystem noch von der staatlichen oder privaten Forschungsförderung. Gutachter und Förderorganisationen goutieren stattdessen allzu oft eingefahrene Wege und lehnen unkonventionelle Ideen ab, wie unlängst auch eine von Bund und Ländern eingesetzte internationale Expertenkommission bemängelte. Logische Folge: Auf vielen Wissenschaftsgebieten spielt Deutschland nur noch in der Zweiten Liga.
Das dürften zwar auch die Pläne der Bildungsministerin nicht über Nacht ändern - zumal auch sie ihre Schwächen haben. Vor allem darf die leistungsbezogene Bezahlung den Staatssäckel nicht stärker belasten als die alte Bezahlung nach Dienstjahren. Für einen Spitzenforscher mit einem Gehalt wie in Harvard, Stanford oder in der Industrie müssten im Zweifelsfall also seine Kollegen bluten. "Mehr Leistung lässt sich nicht kostenneutral erzielen", kritisiert denn auch Klaus Landfried, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) und selber Mitglied in der Bulmahnschen Dienstrechts-Kommission. Anderen geht die Reform bei der Habilitation nicht weit genug. "Das ist eigentlich ein völlig unzeitgemäßer Weg", unterstreicht der Münchner Historiker Winfried Schulze, bis vor kurzem Vorsitzender des Wissenschaftsrates. So wie der Rat hätte auch Edelgard Bulmahn den alten Zopf am liebsten ganz abgeschnitten, doch da hätten vor allem die unionsregierten Länder nicht mitgemacht. Viele der besonders umworbenen Nachwuchswissenschaftler schließlich kritisieren, dass auch die "Juniorprofessur" keine akademische Karriere garantiere. Tatsächlich müssen die Hochschulen selbst für die besten Juniorprofessuren erst eigene Professorenstellen schaffen - wenn sie denn das Geld dafür haben.
Doch allen Mängeln zum Trotz ist die Bulmahnsche Dienstrechtsreform der bisher mutigste Versuch, verkrustete Strukturen, eingefahrenes Denken und Besitzstandswahrung an den hiesigen Hochschulen umzukrempeln. Wie mutig, zeigt sich vor allem am Widerstand der etablierten Professorenschaft. Allen voran der Deutsche Hochschulverband (DHV), die konservative Standesorganisation von mehr als 18.000 Universitätsprofessoren, läuft seit Monaten Sturm gegen die Ministerin und ihre Pläne. "Auch wir wollen die Hochschulkarriere wieder attraktiver und die deutsche Wissenschaft international wettbewerbsfähiger machen", betont DHV-Präsident Hartmut Schiedermair vorsorglich - um dann die Reform in Bausch und Bogen zu verdammen. Die leistungsbezogenere Besoldung ist für den Kölner Staatsrechtslehrer vor allem eine "eine skandalöse Gehaltsreduzierung", die Habilitation hält Schiedermair für "einen unbedingt erforderlichen Qualifikationsnachweis", und in der Juniorprofessur sieht er einen Rückschritt gegenüber der jetzigen Assistentenzeit, da der Nachwuchs die Betreuung durch erfahrene Professoren brauche. Nicht mehr Leistung, sondern mehr Mittelmaß sieht der Professorenverband mit der Reform auf die alma mater zu kommen, Spitzenkräfte würden so nicht zurück gewonnen, sondern erst recht vertrieben.
Vorläufiger Höhepunkt des Protestes: In einer vierseitigen Anzeige in der FAZ forderten Ende März mehr als 3700 Professoren die Bildungsministerin auf, ihre Pläne zurück zu ziehen. "Frau Bulmahn erhält jetzt die Quittung dafür, dass sie über die Köpfe der Betroffenen hinweg gehandelt hat und den Hochschullehrern eine unsinnige Reform aufzwingen will", kommentiert Hartmut Schiedermair, dessen Verband die schätzungsweise 240.000 Mark teure Aktion organisiert hat.
Neben viel Gegenwehr erfährt die so Gescholtene freilich auch unverhoffte Unterstützung. So hat der Protestfeldzug der Professorenlobby inzwischen Hubert Nienaber und mehr als 460 andere deutsche Forscher in den USA auf den Plan gerufen. Am selben Tag, an dem die 3700 klugen Köpfe ihren Unmut via FAZ kund taten, riefen die Wissenschaftsemigranten Edelgard Bulmahn zum Durchhalten auf. Die Dienstrechtsreform sei überfällig, der Widerstand dagegen nur "die Interessenspolitik einer Gruppe, die um ihre Macht und Privilegien fürchtet."
Für die Bildungsministerin ist das der letzte Anstoß, jetzt Nägel mit Köpfen zu machen. Noch vor der Sommerpause will Bulmahn einen Gesetzesentwurf in den Bundestag einbringen.
DIE WOCHE vom 13.4.2001, Seite 28