Süddeutsche Zeitung
HOCHSCHULE Dienstag, 17. April 2001
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Ja, wo sind sie denn?

Eine Replik auf 3759 deutsche Professoren, die mit Abwanderung drohen, sollten ihre Gehälter gesenkt und sie künftig mehr nach Leistung bezahlt werden

Von Joachim Dyck

Schützt die Universitäten vor der Abwanderung ihrer Spitzenkräfte“, war jetzt in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in einer halbseitigen Annonce zu lesen. Auf den folgenden viereinhalb Seiten drängten sich in sechs Kolonnen die Namen von 3759 Hochschullehrern und Hochschullehrerinnen, die der Deutsche Hochschulverband organisiert hatte.

Es geht ums Geld. Die Bundesregierung wird aufgefordert, die Pläne zur Senkung der die Professorengehälter zurückzuziehen. Die Annonce verbindet das Schicksal der Universität mit der beabsichtigten Bezahlung der Professoren nach Leistung. Die Zukunft des Hochschullehrerberufs wird beschworen, dazu die Gefahr eines Exodus der deutschen Professoren„ins Ausland, in die Wirtschaft und in die freien Berufe“.

Skandinavisten zu Bayer?

Aber wo sollen denn die „Spitzenkräfte“, deren „Abwanderung“ angedroht wird, eigentlich sein? Wenn überhaupt, dann kann es sich nur um Naturwissenschaftler handeln. Vielleicht gibt es auch Chefärzte an Universitätskliniken, die lieber die Patienten in den USA operieren oder Juristen, die ihren Lehrstuhl in Freiburg oder Heidelberg mit einem Stuhl in der Chefetage von Bayer- Leverkusen vertauschen wollen. Aber unsere Niederlandisten und Mediävisten, unsere Skandinavisten und Romanisten, Graezisten und Philosophen als Fachleute in der Industrie? Norbert Bolz ist es gelungen, beim Börsengang der Telekom Reklame zu machen, und auch Gertrud Höhler hat den Sprung in die Wirtschaftsberatung geschafft. Aber sonst?

Das Lächerliche an der Annonce ist ihre Drohgebärde: Wenn die Gehälter gesenkt und die Professoren nach Leistung bezahlt würden, würde sich die Hochschule von den guten Leuten entleeren.

Der deutsche Universitätsprofessor gehört zu den privilegiertesten Berufen der ganzen Welt. Er muss nur acht Stunden in der Woche unterrichten, und je älter er wird, desto mehr fällt sein Unterricht der Routine anheim. Vorlesungen und Seminare wiederholen sich. Niemand kann ihm vorschreiben, welche Veranstaltungen er abhält. Fährt er auf wissenschaftliche Kongresse, darf der Unterricht ausfallen, bei Krankheiten muss er nicht nachgeholt werden. Da die alte Semestereinteilung noch besteht, hat der Professor zwischen den Semestern Ferien, ungefähr 5 (in Worten: fünf) Monate lang. Derjenige, der seinen Beruf angemessen ausfüllt, wird die Zeit für Forschungen nutzen. Er wird in dieser Zeit Archive besuchen und schreiben. Ist er jedoch vom Betrieb gelangweilt und macht ihm das Schreiben weniger Spaß, kann er die Ferien zum Privatvergnügen verwenden, niemand wird Rechenschaft verlangen. Und er kann er zudem nach jedem vierten Semester ein Forschungssemester beantragen. Es wird gewährt, ob er in der Vergangenheit geforscht hat oder nicht. Denn eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus. Jeder möchte sich mal einige Wochen aufs bezahlte Faulbett legen.

Die Mehrzahl der Unterzeichner stammt aus den geisteswissenschaftlichen Fächern und man liest bekannte Namen von Deutsch- und Englischdidaktikern, die sich an der Lehrerausbildung beteiligen, Sozialpädagogik betreiben oder im letzten Semester ein Seminar über „Die kategoriale Begrenzung von Symbolisierungserfordernissen von Paradigmen im Sprachwandel“ gehalten haben. Aber wo sind denn in Paderborn oder Oldenburg, in Greifswald oder Duisburg die Spitzenkräfte? Die deutsche Universität zeichnet sich doch durch die Gleichförmigkeit und Betulichkeit ihrer Professorenschaft aus. Ihre Misere besteht doch gerade darin, dass die Professoren sich für ihre Universität herzlich wenig verantwortlich fühlen, da sie das Geld von Vater Staat beziehen. Neunzig Prozent aller deutschen Professoren machen bieder ihren Unterricht und veröffentlichen hier und da einen Aufsatz. Die Pädagogischen Hochschulen wurden seit den siebziger Jahren zu Universitäten aufgemöbelt, ohne dass sich das Anforderungsprofil geändert hätte. Und an diesen Stätten in Landau oder Hildesheim sollen die Professoren abwandern wollen, vom geruhsamen Fensterplatz an der Südseite ihres Hauses in die Großraumbüros, wo sie ihre langen Tage im Dauerstress verbringen müssten?

Im übrigen ist die Gefahr der Abwanderung nicht vorhanden. Nach einer Professorenstelle an einer deutschen Universität lecken sich Tausende von jungen Leuten die Finger. Sie könnten in der Forschung Ihren Neigungen nachgehen, dem Nachwuchs ihr Wissen vermitteln, vier bis fünfmonatige Ferien zu Arbeiten nutzen, die sie interessieren und wären als deutsche Beamte bis an ihr Lebensende abgesichert. Wo gibt es das noch? Die Beihilfe würde sich an den Krankenrechnungen beteiligen, für Kongressreisen bekämen sie einen Zuschuss, Forschungspläne würden von diversen Stiftungen unterstützt, auf Kongressen kämen sie mit Kollegen aus anderen Ländern zusammen. Warum sollte jemand mit diesen Privilegien in die Wirtschaft abwandern, nur weil sein Haus, in dem er sich dann aus Zeitmangel kaum noch aufhalten kann, nicht ganz so geräumig ist und das Grundstück nicht in einer 1a-Lage? Gerade durch diese Privilegien sind „die besten Köpfe für Forschung und Lehre zu gewinnen“, weil sich mancher eben nicht in der Wirtschaft verschleißen lassen will und das geringere Einkommen dem Dauerstress vorzieht. Und das gilt selbst dann, wenn die Gehälter nicht mehr so üppig sein werden.

Deswegen ist die Annonce auch ein Schlag ins Gesicht der arbeitslosen Kollegen. Wer sich für die genauen Zahlen interessiert, dem wird der Deutschen Hochschulverband oder die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft bestätigen, dass es hunderte von gut qualifizierten und habilitierten Kollegen gibt, die schon Jahre auf einen Lehrstuhl warten, und die gerne auf einer sicheren Stelle an einer Universität arbeiten würden, selbst wenn sie keine Assistenten oder persönliche Sekretärinnen als Ausstattung bekämen. Es sind in den letzten Jahren so viele Stellen eingespart worden, dass sich die deutsche Hochschule um den Nachwuchs, der die wenigen übrigen Stühle besetzen könnte, keine Sorgen zu machen braucht. Und denjenigen Unterzeichnern, denen die Gelder und Privilegien nicht ausreichen, und die die Hochschulen daher verlassen wollen, weint niemand eine Träne nach. Im Gegenteil: Die Stellen würden frei, und es gäbe für die Universität die Möglichkeit, fähige Nachwuchswissenschaftler zu berufen.

Werden Sie Pilot!

Es handelt sich beim deutschen Professor um einen Beamten, der ohne Kontrolle seine Zeit zubringt, wie er möchte, sieht man von den Fakultäts- oder Fachbereichssitzungen Mittwoch nachmittags einmal im Monat während der Vorlesungszeit ab. Diese Arbeit wird zwar verflucht, aber auch geliebt: So mancher, dessen Bibliographie nicht über drei Titel hinausgekommen ist, findet hier seine soziale Bestätigung. Und trotz der abwesenden Leistung mag er seine Hilfskräfte haben, die ihm bei der Vorbereitung seines Unterrichts helfen und ihn beim Kopieren unterstützen. Die amerikanische Universität kennt diese Form des Assistentenwesens überhaupt nicht, kein Kollege hat dort Unterstützung in Lehre und Forschung, es sei denn, die Universität bezahlt ihm eine Hilfe bei besonders ausgewiesener Forschungsleistung. Und ist die Lehre in den USA deswegen schlechter, forschen die Kollegen dort weniger?

In der Annonce wird schließlich betont, dass „reduzierte Ausgangsgehälter“ – zu denen in Zukunft die leistungsbezogenen Anteile hinzugerechnet werden müssen – „weder dem Amt noch der Ausbildung eines Professors angemessen“ seien. So etwas kann nur jemand behaupten, für den die gesellschaftliche Würde beim Professorentitel beginnt oder endet. Ein typisch deutsches Problem. Sollten sich die restaurativen Kräfte durchsetzen, wird sich der Untergang der deutschen Universität noch beschleunigen. Im übrigen sollte man sowieso Flugkapitän werden. Die Forderungen der Vereinigung Cockpit, die ebenso wie die Bundesregierung für ein leistungsorientiertes Vergütungssystem plädiert, fordert ein jährliches Gehalt zwischen 169 000 und 560 000 DM.

Der Autor unterrichtete bis zu seiner Emeritierung im März 2001 Literaturtheorie an der Universität Oldenburg.


Bildunterschrift:

Ein Exodus soll bevorstehen, nach oben – das meint ins Ausland, die Wirtschaft und die freien Berufe.

Foto: D. Ausserhofer

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