FEUILLETON | Samstag, 2. Februar 2002 |
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Hochschuldebatte
Mittelmaß statt Mittelbau?
Papierberge, Abwanderung, Zynismus: Der Widerstand an den Universitäten formiert sich und die Ministerin zieht erfolglos vor Gericht
Ein Schub nach vorne sollte es werden, ein Raketenstart aus trägen Strukturen hinein in die sozialverträgliche Hochleistungsuni. Zum Zauberwort sollte das Dutzend werden: Wer nach zwölf Jahren wissenschaftlicher Tätigkeit an Deutschlands Universitäten keine Dauerstelle erringen konnte, der soll nach dem neuen Hochschulrahmengesetz (HRG) die Alma mater verlassen. Zwischen Dreißig und Vierzig, mag Edelgard Bulmahn sich gedacht haben, findet der Privatdozent allemal einen lukrativen Job in der Privatwirtschaft Die Universität kann dann endlich mit jenen high potentials arbeiten, die sich vom Vabanque-Spiel nicht entmutigen ließen. Die Bereitschaft, im Bildungsroulette alles auf Rot, sprich: auf eine Professur zu setzen, soll schließlich belohnt werden.
Die Betroffenen aber glauben den Lockrufen nicht. Obwohl die Ministerin in dieser Zeitung (SZ vom 26.1.) den Verdrehungen der Skeptiker entgegentrat und darauf verwies, dass das neue HRG eine über die zwölf Jahre hinaus reichende Weiterbeschäftigung nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz erlaubt, kommen die Hochschulen nicht zur Ruhe. In Bielefeld lud der Mittelbau zum geräuschvollen Widerstand. Wissenschaftler im nunmehr fraglichen vierten Lebensjahrzehnt versammelten sich hinter einem Transparent mit der Aufschrift Außer Spesen nichts gewesen und schritten zur Tat. Sie übergaben ihre Dissertationen dem Shredder: Berge von Papierstreifen seien künftig das Endresultat zwölfjähriger Uni-Karrieren.
In den Bielefelder Seminaren finden nicht Einführungen in die Hydraulik, sondern Debatten über das HRG statt. Jeden Mittag wird die große Halle zur Arena des Protestes. Die Losung heißt: Laßt Euch nicht verführen Schlagt keine Hochschullaufbahn ein! Eine Resolution kritisiert die bürokratische Gängelung und warnt vor eklatanten Einbrüchen in der Lehre. Der Bielefelder Senat hat sich in einer weiteren Stellungnahme den Bedenken angeschlossen und sieht durch die Fixierung auf die Professorenlaufbahn auch die Forschungsqualität substanziell gefährdet.
Zum selben Ergebnis gelangen vier historische Institute. Einen offenen Brief an die Ministerin schrieben die Direktoren des Hannah-Arendt- Instituts für Totalitarismusforschung und des Zentrums für Zeithistorische Forschung, die beide in Potsdam angesiedelt sind, des Münchner Instituts für Zeitgeschichte und der Hamburger Forschungsstelle für Zeitgeschichte. Sie befürchten, dass auch für außeruniversitäre Einrichtungen harte Zeiten anbrechen. Ohne befristete Stellen, die meist über Drittmittel finanziert werden, könnte die differenzierte Auseinandersetzung mit der jüngsten Vergangenheit nicht gelingen. Ein starker Einbruch insbesondere für die Zeithistorie sei unausweichlich.Bulmahns Hinweis auf das Teilzeitgesetz hält man in Potsdam, München, Hamburg für praxisfremd: Keine Institution werde diesen Weg beschreiten, weil man befürchten müsse, dass die nach der Sonderregelung eingestellten Mitarbeiter auf Dauerbeschäftigung klagen. Zu gering sind noch die Erfahrungen mit dem erst 2001 erlassenen Teilzeitgesetz.
Von einer absoluten Verunsicherung berichtet unterdessen die Deutsche Gesellschaft für die Erforschung des 18. Jahrhunderts (DGEJ) mit Sitz in Wolfenbüttel. Auch deren Präsident schrieb einen Brief an Frau Bulmahn: Hunderte von wissenschaftlichen Mitarbeitern befürchten, nach Auslaufen ihrer Verträge entlassen zu werden. Bestehende Projekte müssten abgebrochen, neue könnten nur in verringertem Umfang begonnen werden. Herausragende Wissenschaftler, resümiert die DGEJ, sind künftig nach der Promotion kaum noch an den Universitäten zu halten.
Der Deutsche Hochschulverband rechnet ebenfalls mit der Abwanderung zahlreicher Forscher ins Ausland. Zudem sei es unbegreiflich, dass die Novelle keine Übergangsfristen vorsieht. Wenn für Wissenschaftler von vierzig oder mehr Jahren nicht weiterhin das alte Recht gilt, drohe eine massenhafte Arbeitslosigkeit
Bulmahns Feldzug gegen die Dozenten und Assistenten unterhalb des Professorenrangs führt nach Meinung vieler geradlinig zum Gegenteil des Beabsichtigten: Soziale Härten zuhauf, schlechtere Lehre, schlechtere Forschung. Im Februar sind deshalb eine Podiumsdiskussion und eine Demonstration in Berlin geplant. Dass die Ministerin sich ihren Kritikern stellen wird, erwartet man dort nicht . Derzeit beschäftigt sie eher die Justiz: Nachdem das ZDF-Magazin frontal 21 am 15. Januar über das neue HRG berichtet hatte, verlangte das Ministerium eine Gegendarstellung. Der Sender lehnte ab, das Ministerium rief das Mainzer Landgericht an und unterlag nun.
Der Streitfall ist schwer nachvollziehbar. Neben Bulmahns Staatssekretär Catenhusen, der das Interview abrupt beendete, kam bei frontal 21 eine Mitarbeiterin des Instituts für Troposphärenforschung zu Wort; sie hat eine jener befristeten Stellen, die bald nicht mehr verlängerbar sind. Das Ministerium wollte nun festgehalten wissen, dass die Physikerin aus Leipzig sich noch diesseits der 12-Jahres-Frist befindet, dass sie bis Sommer 2003 weiter arbeiten könne und dass das neue HRG gemeinsam mit dem neuen Fristgesetz grundsätzlich keine Verschlechterung bedeute. Auf Deutsch also: Die Reform ist gut, auch wenn sie im Einzelfall schlecht ist, denn die Reform ist gut. Dergleichen Rabulistik weiß vielleicht der Liebhaber aleatorischer Lyrik zu schätzen. Ob dieses ministerielle Gebaren jedoch den Aufruhr an Deutschlands Universitäten zähmen kann, steht auf einem anderen Blatt. ALEXANDER KISSLER
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