Süddeutsche Zeitung
NACHRICHTEN Samstag, 20. Januar 2001
  Deutschland Seite 7

Bulmahns Kampf
um kluge Köpfe

Amerika, Du hast es schlechter, Du kannst Deinen Bedarf an wissenschaftlichem Nachwuchs nicht decken: Etwa die Hälfte der Doktortitel, die amerikanische Universitäten vergeben, erwerben Ausländer. Amerika, Du hast es besser, Du ziehst das Talent der Welt an Dich: Die Elite-Universitäten der USA haben keine Schwierigkeiten, Nachwuchswissenschaftler aus dem Ausland zu rekrutieren, darunter etwa 17 000 bis 18 000 Deutsche. Das sind 12 bis 14 Prozent aller hier in Natur- oder Technikwissenschaften Promovierenden – fast ein Drittel dieser jungen Forscher kehrt aus den USA nicht oder nicht so schnell in ihre Heimat zurück.

Für Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn sind das alarmierende Zahlen. Sie stammen aus einer Studie, die ihr Ministerium bei einem amerikanischen Forschungsinstitut bestellt hat und die sie am Donnerstag im kalifornischen Palo Alto vor etwa hundert deutschen Forschern, die an amerikanischen Universitäten arbeiten, vorstellte. Die Bundesregierung wolle in Deutschland eine Wissenschafts- und Forschungslandschaft gestalten, sagte Bulmahn, „in die sich eine Rückkehr lohnt“. Um dieses Ziel zu erreichen, plant die Ministerin auch umfassende Änderungen am Dienstrecht der Professoren: Die Vorschläge liegen seit September 2000 vor, kommenden Montag ist die dritte Verhandlungsrunde mit den Bundesländern vorgesehen. Die Studie soll Bulmahns Reformanliegen untermauern. Junge Wissenschaftler sollen nach ihren Plänen früher selbstständig forschen können, Ausländern nach einer Ausbildung in Deutschland hier der Berufseinstieg erlaubt werden – und zwar nicht nur in Forschungseinrichtungen, sondern auch in der Privatwirtschaft.

„Verschwendung von Talent und Kreativität“

Offenbar mangele es in Deutschland nicht an einer guten Ausbildung, sagte die Ministerin: Im Gegenteil, deutsche Nachwuchsforscher seien begehrt in den USA. „Volkswirtschaftlich betrachtet subventioniert Deutschland so – indirekt, aber nicht unbeträchtlich – die amerikanische Forschung. “ Auch Charlotte Kuh vom amerikanischen nationalen Forschungsrat sagte, nur halb im Scherz: „Wenn sie alle auf einmal Deutschland wieder attraktiv finden, hat das ernste Folgen für die USA. “ Aus Sicht der in der Studie befragten 62 Nachwuchsforscher besitzen deutsche Hochschulen jedoch noch immer etliche strukturelle Schwächen. Insbesondere fehle die Möglichkeit, selbstständig zu lehren und zu forschen. Die lange Phase der Abhängigkeit von einem Professor zwischen der Promotion und der Berufung auf eine eigene Stelle wird als „gewaltige Verschwendung von Talent und Kreativität“ gesehen. Es fehle an Stellen für den wissenschaftlichen Nachwuchs. Bulmahn will im Rahmen einer Reform des Dienstrechts die bisherigen Positionen für Hochschulassistenten in so genannte Junior-Professoren-Stellen umwandelt. Deren Inhaber sollen für maximal sechs Jahre selbstständig forschen und lehren dürfen. Zudem soll die Habilitation als Zugangsvoraussetzung zur Professorenstelle weitgehend entfallen.

„Internationalität ist unverzichtbar“

Außerdem will Bulmahn die Professoren mit einem „leistungsgerechten Gehalt“ ausstatten. Die bisherigen Besoldungsstufen C 2 bis C 4, die Gehaltsveränderungen nach Alterstufen vorsehen, sollen den Stufen W 2 und W 3 weichen. Die Juniorprofessur wäre dann W 1 – und alle Inhaber von W-Stellen würden regelmäßig auf die Qualität ihrer Forschung und Lehre hin überprüft und entsprechend bezahlt. Diese Veränderungen sollen möglichst schon Anfang 2002 in Kraft treten. Allerdings kann der Bund nur einen Rahmen für die Hochschulgesetze der Länder abstecken. Die Juniorprofessuren und das leistungsabhängige Gehalt nennt Bulmahn jedoch als „Vorgaben“ an die Länder.

Die befragten Forscher kritisieren auch die mangelnde Internationalität der deutschen Hochschulen. „Internationale Kontakte sind heute für Spitzenforscher unverzichtbar“, sagt Bulmahn. Darum sollen in Deutschland vermehrt Studien in englischer Sprache angeboten werden und Abschlüsse wie der „Master“, die von mehreren Ländern akzeptiert werden. Wichtig sei auch, dass Ausländer nach einem Studium in Deutschland nicht gleich wieder ausreisen müssten. „Eine beträchtliche Zahl dieser Studierenden geht nach ihrem Studium nicht zurück in ihr Heimatland, sondern in die USA“, sagte Bulmahn. Das zeige, dass die jetzige Aufenthaltsregelung sachlich falsch, geradezu irrational“ sei. Ausländer sollten nach einem Abschluss hier auch eine Stelle in der Industrie annehmen können. Mit 210 Millionen Mark sollen Forscher aus dem Ausland geworben werden – „Brain Gain“ statt „BrainDrain.

Christopher Schrader

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