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Einleitung
Eins, zwei, drei, im Sauseschritt,
Eilt die Zeit, wir eilen mit.
Wilhelm Busch
 
Wie oft, glauben Sie, könnte man 1972 wohl Neuiahr feiern? Nur am 1. Januar? Oh nein, wenn Sie wollten und das Geld dazu hätten, Sie könnten recht häufig die Sektpfropfen knallen lassen, denn
am 14. Januar beginnt das Jahr 2725 des Julianischen Kalenders,
am 15. Februar beginnt das 49. Jahr des 77. Zyklus des alten chinesischen Kalenders,
am 16. Februar beginnt das Jahr 1392 des mohammedanischen Kalenders,
am 20. März beginnt das Jahr 894 des neueren persischen Kalenders,
am 30. April beginnt das Jahr 2721 des ägyptischen Kalenders,
am 29. Juli beginnt das Jahr 1342 des alten persischen Kalenders,
am 9. September beginnt das Jahr 5733 des jüdischen Kalenders,
am 22.September beginnt das Jahr 181 des französischen Revolutionskalenders,

usw., usw. Beinahe in jedem Monat ließen sich Naujahrstage bestimmen, je nachdem, welchen Kalender Sie gerade benutzen. Es gibt deren unzählig viele; jedes Volk, jede Kultur hat einen anderen entwickelt. Nicht nur Taschen-, Wand- und Terminkalender sind so häufig wie Sand am Meer, sondern auch Zeitrechnungssysteme. Das Wort Kalender hat nämlich eine Doppelbedeutung: Einmal bezeichnet es eine ganze Methode, die Zeit zu messen, ein andermal nur ein Buch, Heft der einen Wandschmuck, in dem die Tage einzeln aufgeführt sind. Während aber bei der letzteren Art von Kalendern klar ist, daß es sehr viele gibt (wie viele erhält man allein als Werbegeschenke zu Neuiahr), ist es bei ganzen Kalendersystemen schon schwieriger. Denn die Kalender, auch unser heutiger, haben ein recht ehrwürdiges Alter. Und als sie entstanden, kannte man noch nicht so viele Möglichkeiten, die Zeit zu messen. Man mußte vielmehr auf die augenfälligen Naturerscheinungen zurückgreifen, z. B. auf den Wechsel von Tag und Nacht, die Jahreszeiten, den Lauf des Mondes am Himmel -- andere Möglichkeiten sind kaum denkbar. Aus nur drei vorgegebenen Naturerscheinungen aber entwickelte sich eine Vielzahl von Zeitrechnungssystemen, von Kalendern. Wie war das möglich? Doch bevor wir diese Frage beantworten, lassen Sie uns noch rasch einen Blick auf die wichtigen Himmelserscheinungen werfen, die zur Grundlage sämtlicher Kalender wurden.

Der Tag

Keine andere Erscheinung beeinflußt unser Leben so sehr wie der ewige Wechsel von Helligkeit und Dunkelheit, von Auf- und Untergang der Sonne. Daß die Sonne am Tage über dem Horizont steht und einen Teil der Erde enwärmt und nachts unter den Horizont heruntersinkt, um morgens im Osten wieder aufzutauchen, verdanken wir unserer eigenen Erde. Sie dreht sich um ihre Achse, einmal in einem Tag, und läßt dadurch Sterne, Mond und Sonne aufgehen und wieder verschwinden. Die Erde ist sozusagen der größte und älteste aller Zeitmesser. Trotzdem wäre es nicht ganz richtig, wenn wir nun einfach einen Tag gleich eine Erdumdrehung setzen würden, denn, so merkwürdig es auch klingt: es gibt verschiedene Tage. Uberlegen Sie bitte: Woher weiß man eigentlich, daß sich die Erde um ihre Achse dreht? Wenn wir einmal von modernen Uberlegungen und Forschungen absehen, doch nur aus der Bewegung der Gestirne. Wir sehen sie auf- und untergehen und folgern daraus zu Recht, daß sich die Erde um ihre Achse dreht. Die Gestirne sind sozusagen das Ziffernblatt, an dem wir die Stellung der irdischen Uhr ablesen können. Und je nachdem, welches Ziffernblatt man benutzt, unterscheidet man grundsätzlich: den

Man könnte auch einen Mondtag bilden, wobei wir an der Position des Mondes ablesen, wie weit sich die Erde gedreht hat oder vielleicht einen Merkurtag mit dem Planeten Merkur ala Uhrzeiger. Genau brauchen wir diese Unterschiede jedoch nicht zu erläutern, denn für den Kalender spielt nur der Sonnentag eine Rolle. Er bringt den wichtigen Wechsel von Helligkeit und Dunkelheit mit sich. Den Sternentag benutzen ausschließlich die Astronomen, und die beiden anderen Beispiele sind reine Theorie, so daß wir nunmehr den Tag so bestimmen können: Ein Tag ist gleich einer Umdrehung der Erde um ihre Achse, wobei diese Umdrehung an der Stellung der Sonne abgelesen wird. Ein Tag liegt also etwa zwischen zwei Sonnenauf- bzw. zwei Sonnenuntergängen oder zwischen zwei Höchststellungen der Sonne am Himmel:
 
Bild 1. Die Rotation der Erde. Eine Umdrehung um ihre Achse ist ein Tag
 
Diese Festlegung des Tages ist übrigens nicht ganz genau. Wir wissen heute, daß sich die Erde nicht gleichförmig um ihre Achse dreht, und unsere modernen Uhren richten sich nicht nach der strahlenden Sonne am Himmel, sondern nach einer berechneten, "mittleren" Sonne. Aber das sind Feinheiten, die für die Entwicklung des Kalenders keine Rolle spielen.

Das Jahr

Die Erde dreht sich nun nicht nur um ihre Achse, sie bewegt sich auch auf einer großen, ellipsenförmigen Bahn um die Sonne. Für einen Umlauf benötigt sie genau ein Jahr -- die zweite wichtige Einheit der Zeitmessung. In diesem Zusammenhang ist es bestimmt interessant, sich die Geschwindigkeiten zu überlegen, die unsere Erde bei ihren vielfältigen Bewegungen aufweist. Die Drehung um ihre Achse vollführt sie am Erdäquator mit einer Geschwindigkeit von immerhin 1670 km/h, aber das Tempo, das sie bei der Bewegung um die Sonne erreicht, ist noch weit beeindruckender. Im Durchschnitt läuft sie hier mit 30 km pro Sekunde (!), das sind über 100 000 km in der Stunde! Wenn die Erde dennoch ein ganzes Jahr benötigt, um einmal die Sonne zu umrunden, kann man sich bereits unschwer vorstellen, wie gewaltig ihre Bahn sein muß: Sie weist einen Durchmesser von 300 Millionen Kilometer und einen Umfang von fast einer Milliarde Kilometer auf.

Die Tatsache, daß die Sonne innerhalb eines Jahres von:der Erde umkreist wird, wäre für unser Leben und damit auch die Zeitrechnung ohne große Bedeutung, wenn nicht direkt vom Erdumlauf eine überaus wichtige Naturerscheinung abhinge: Die Jahreszeiten. Sommer, Frühling, Herbst und Winter beeinflussen ja in entscheidendem Maße alle Lebensvorgänge auf der Erde, und ihre Entstehung verdanken sie ausschließlich der Bewegung der Erde. Am besten machen wir uns das an Hand von Bild 2 klar.
 

Bild 2. Die Entstehung der Jahreszeiten. Auf der Nordhalbkugel ist bei Stellung 1 Sommer, auf der Südhalbkugel Winter; bei Stellung 3 ist es umgekehrt. Dazwischen liegen die Stellungen 2 und 4, Frühling und Herbst.
 
Dort sehen wir deutlich, daß die Achse, um die sich die Erde dreht, gegenüber der Erdbahn geneigt ist. Kommt die Erde daher bei der Stellung 1 an, so weist ihr Nordpol zur Sonne hin, und ein Bewohner auf der Nordhalbkugel der Erde sähe die Sonne in einer hohen Stellung über dem Horizont. Umgekehrt würde ein Bewohner auf der Südhalbkugel die Sonne recht tiefstehend erkennen. Ganz anders sind die Verhältnisse bei der Stellung 3. Da die Erdachse immer dieselbe Richtung im Weltraum behält, zeigt nun ihre Südhälfte zur Sonne hin, während die Nordhälfte weggewandt erscheint. Also hat jetzt ein Bewohner der südlichen Erdhälfte die Sonne sehr hoch am Himmel, während die Nordhalbkugel sie sehr tief beobachtet. Je höher die Sonne aber am Himmel scheint, um so stärker kann sie einen Ort erwärmen, eine Erscheinung, die wir alle jedes Jahr aufs neue miterleben. Und das bedeutet also: Bei Stellung 1 herrscht auf der Nordhalbkugel der Erde Sommer, auf der Südhälfte Winter, umgekehrt bei Stellung 3: Nordhalbkugel Winter und Südhalbkugel Sommer. Die Erdstellungen 2 und 4 liegen genau dazwischen, das heißt, die Sonne hat nur eine mittlere Höhe inne. Für die Erde ergäben sich dann die milden Jahreszeiten des Frühlings und des Herbstes.

Der Monat

Die letzte Himmelserscheinung schließlich, die sich zur Zeitmessung eignet, läßt sich am leichtesten erklären. Es ist der Phasenwechsel des Mondes über Vollmond, Halbmond, Neumond usw. Seine Entstehung erkennen wir in Bild 3:
 

Bild 3: Die Entstehung der Mondphasen
 
Der Mond bewegt sich um die Erde, und je nach seiner Stellung zur Sonne leuchtet er verschieden groß am Himmel. Einen vollen Wechsel der Mondphasen nennt man einen (synodischen) Monat, zumindest ist das die ursprüngliche Bedeutung dieses Wortes. Später wandte man den Begriff allerdings auch auf einfache Unterteilungen eines Jahres an. So haben etwa die Monate unseres heutigen Kalenders gar nichts mehr mit dem Mond zu tun. Sie sind nur Hilfen, um die Länge des Jahres überschaubarer zu machen. Ihren Namen und ihre ursprüngliche Bedeutung aber leiten sie vom Monde ab.

Der Kalender - Produkt zweier Zahlen

1 Jahr enthält 365,24219879 Tage = 365 Tage, 5 Stunden, 48 Minuten, 46,0 Sekunden.
1 Monat enthält 29,530589 Tage = 29 Tage, 12 Stunden, 44 Minuten, 2,9 Sekunden.
Hinter diesen beiden Zahlenreihen verbirgt sich der Grund für die Vielfalt der Kalender. Eine ganze Wissenschaft, die sogenannte Chronologie, die Wissenschaft der Zeitmessung und der Kalendersysteme, verdankt ihnen ihre Entstehung und Existenz. Ja, man kann tatsächlich sagen: Nur weil Jahr und Monat keine ganze, sondern im Gegenteil eine gebrochene Anzahl von Tagen enthalten, brauchen wir überhaupt einen Kalender.
Denn in der Praxis kann man nur mit vollen Tagen rechnen. Ein Jahr kann nicht nach 365 Tagen, 5 Stunden usw. beendet werden, sondern nur nach 365 oder vielleicht auch 366 Tagen. Sonst müßte man Neujahr -- sagen wir in diesem Jahr -- am 31.12. um 24 Uhr feiern. Aber im nächsten am
1. Januar um 5.48 Uhr und danach am 1. Januar um 11.36 Uhr -- wobei noch erschwerend hinzukommt, daß die eben angegebene Zahl nur die mittlere, durchschnittliche Länge eines Jahres angibt. Durch verschiedene Einflüsse der übrigen Himmelskörper ist die tatsächliche Jahreslänge jedoch veränderlich.
So geht es also nicht. Wenn wir aber nun das Jahr ständig nach 365 Tagen beendeten, so würde allmählich ein Zeitpunkt, der mit dem Sonnenlauf zusammenhängt, immer weiter verrutschen. Wir sehen das bereits an dem oben angeführten Beispiel mit dem Neujahrsanfang: Im zweiten Jahr liegt das „exakte Neujahr“ bereits am 1. Januar um 11.36 Uhr, noch ein Jahr später um 17.24 Uhr, im vierten um 23.12 Uhr und schließlich auf dem 2. Januar. In vier Jahren also um einen Tag nach vorne, einfach deshalb, weil 4 X 5 Stunden, 48 Minuten ungefähr gleich einem Tag sind. Das Sonnenjahr rutschte durch unser zu kurzes Kalenderjahr immer weiter nach vorne. Während wir jetzt im März Frühlingsanfang feiern, läge er nach einigen Jahren im April, dann im Mai und so weiter. Schließlich hätten die Jahreszeiten in rund 1 1/2 Jahrtausenden den gesamten Kalender durchlaufenl Würden wir das Jahr dagegen immer nach 366 Tagen beenden, wäre es noch schlimmer. Dann marschierten alle wichtigen Erscheinungen im Sonnenlauf rückwärts und sogar noch schneller als bei dem zu kurzen Kalenderjahr; ein unmöglicher Zustand. Was tut man aber dagegen?
 

Bild 4. Das Prinzip der Schalttage. Nach drei Gemein]ahren wird Im Schaltjahr ein Tag zu-gefügt. um das Sonnenjahr einzuholen
 
Die Antwort ist verhältnismäßig leicht zu geben. Man muß hin und wieder das Jahr länger machen, um den Fehler auszugleichen. Man muß einen Schalttag hinzufügen, der das davongelaufene Sonnenjahr wieder einholt. Dieses Prinzip finden wir in Bild 4 dargestellt. Doch wann soll man den Schalttag einfügen? Bei welchem Monat? Und wie viele in wieviel Jahren? Schon hätten wir eine Fülle von Problemen, die beim Kalendermachen zu berücksichtigen sind.
Das gleiche Problem stellt sich, wenn man versuchen wollte, die Monate mit dem Mondlauf zu kombinieren. Kombination bedeutet hier, daß der erste Tag eines Monats immer mit einer bestimmten Mondphase, etwa dem Vollmond oder dem Neumond, zusammenfallen soll. Aber auch ein Monat kann nicht nach 29 Tagen, 12 Stunden, 44 Minuten enden, sondern nur nach 29 vollen Tagen. Würde also der erste Tag eines Monats genau mit dem Neumond zusammenfallen, so läge er nach 29 Tagen, wenn der zweite „Mond-Monat“ beginnt, zwar ebenfalls noch am 1. Tag, aber schon in den Mittagsstunden, gegen 12 Uhr. Und im dritten Monat schließlich nicht mehr am 1. Tag des neuen Mondmonats, sondern am 2. Tag (12 Stunden Überschuß + 12 Stunden Überschuß = ungefähr ein Tag). Genau wie beim Jahr laufen die Mondphasen den zu kurzen Monaten davon. Auch hier muß wieder ein Schalttag her; in bestimmtem Rhythmus müssen Monate auch einmal 30 Tage lang sein, aber in welchem? Die Kalendermacher haben wieder einige neue Probleme.
Und Höchstleistungen müssen sie schließlich vollbringen, wenn man die Mondphasen auch noch mit dem Jahreslauf der Sonne kombinieren will. Eine kurze Rechnung zeigt wieder die ganzen Schwierigkeiten:
12 Monate à 29 Tage, 12 Stunden, 44 Minuten = 354 Tage, 8 Stunden, 48 Minuten.
Es fehlen also rund 11 Tage zum vollen natürlichen Jahr von 365 Tagen. Nach 3 Jahren sind sie auf 33 Tage angewachsen, also etwa auf einen Monat. Bei so einem Kalender wechseln also nicht nur 29tägige und 30tägige Monate (29 Tage + Schalttag) miteinander ab. Nein, in recht kurzen Abständen müssen auch einmal ganze Monate dazugelegt werden, um zusätzlich auch noch das Jahr mitzuberücksichtigen. Dann gibt es Jahre, die 13 Monate enthalten, wahrhaft stolze Schaltjahre gegenüber unseren, die sich nur um einen Tag vom normalen Kalenderjahr unterscheiden! Es taucht also wirklich eine Fülle von Problemen auf, etwa wie man schalten
und welche Himmelserscheinungen wie auf den Kalender einwirken sollen. Also im Grunde nur zwei Zahlen, die leider nicht gerade, sondern gebrochen sind -- und sämtliche Völker mußten große Mühen und Anstrengungen unternehmen, um trotzdem einen guten Kalender zu bilden. Eine bunte, höchst eindrucksvolle Vielfalt von Zeitrechnungssystemen war das Ergebnis. Die interessantesten Lösungen haben wir für Sie ausgewählt -- Und damit lassen Sie uns die Vorbemerkungen verlassen; zum besseren Verständnis nur noch einige kurze
 
Chronologische Begriffe
 
In der Wissenschaft von der Zeitmessung, der Chronologie, nennt man eine Jahrform, die sich nur nach dem Stand der Sonne richtet, ein „Sonnenjahr“, eines, das nur den Mondlauf kennt „Mondjahr“ und eines, das beide berücksichtigt „Lunisolarjahr“. Ein Jahr ohne irgendwelche Schalttage oder Monate ist ein „Gemeinjahr“, das Gegenstück wäre dann das „Schaltjahr“.
Die Jahre sind die größte natürliche Zeiteinheit. Um wichtige Ereignisse besser festlegen zu können, erweist es sich jedoch als zweckmäßig, sie irgendwie voneinander zu unterscheiden, z.B. nach Kaisern und Königen oder auch nach Tieren oder Himmelskörpern zu benennen. Schon früh erkannte man aber, daß die allerbeste Methode eine fortlaufende Numerierung der Jahre wäre. Eine solche Zählmethode von einem bestimmten Anfangspunkt nennt man eine „Ära“ und den Anfangspunkt selbst die „Epoche“. Wir rechnen nach der christlichen Ära mit der Epoche Christi Geburt und haben damit jetzt das 1972. Jahr erreicht. Diese Ären, obwohl sie nichts mit Himmelsbewegungen zu tun haben, spielen in der Geschichte der Kalender eine große Rolle.


Fortsetzung

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