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Der Kalender der Mayas

Im Jahre 1511 verließ ein kleines spanisches Segelschiff die Küste von Panama und nahm Kurs durch die Karibische See nach Santo Domingo auf Haiti. An Bord befand sich ein spanischer Beamter namens VALDIVIA, der in Santo Domingo dem dortigen Gouverneur einen Rapport über die Zustände in seiner Provinz geben wollte. Niemand würde heute diese Routinereise noch erwähnen, wenn nicht VALDIVIAB Schiff im Sturm nahe der Insel Jamaika untergegangen wäre. Dieses Mißgeschick machte ihn und einige seiner Begleiter unsterblich, allerdings auf eine Weise, auf die sie sicher gerne verzichtet hätten. Señor VALDIVIA und 18 Seeleute konnten sich nämlich retten und trieben dann in einem kleinen Boot tagelang in der Karibischen See. Schließlich landeten sie halbtot vor Hunger und Durst an der Ostküste Yukatans, jener von Mexiko aus nach Norden ragenden Halbinsel. Dort bildeten zu Beginn des 16. Jahrhunderts die Nachfahren der berühmten Mayas noch eigene, selbständige Staaten, und die Überlebenden der Schiffskatastrophe gelangten auf diese Weise zu der Ehre, die ersten weißen Männer zu sein, die mit der Kultur der Mayas in Berührung kamen. Von Zivilisation in unserem heutigen Sinne merkten VALDIVIAs Mannen allerdings recht wenig, denn kurze Zeit nach ihrer Landung wurden sie gefangengenommen, fünf von ihnen den Göttern zum Opfer gebracht und die anderen in einen großen Korb gesperrt, um nach einigen Tagen des Mästens in einem großen Festmahl aufgegessen zu werden. Einer von ihnen konnte entkommen und berichtete später über dieses erste unangenehme Zusammentreffen der Spanier mit den Mayas.
Señor VALDIVIA und seine Mannen hatten das Pech, mit der Mayakultur zu einem Zeitpunkt zusammenzutreffen, als sie sich bereits in Auflösung befand. Wären sie einige hundert Jahre früher gekommen, etwa um 700 n. Chr. und dann noch etwas weiter südlich in Mittelamerika gelandet, sie hätten wahrscheinlich weitaus bessere Eindrücke von der Mayakultur mit nach Hause genommen. Denn von etwa 300 bis 900 n.Chr. entstand in den heutigen Dschungelgebieten von Südmexiko, Guatemala und Honduras eine der bedeutendsten Kulturen der Menschheit. Aber nicht so sehr durch Kunst und Architektur sind die Mayas berühmt geworden, sondern vor allen Dingen durch ihren Kalender. Wer wüßte nicht, daß er der genaueste von allen war, genauer noch als unser heutiger. Doch das stimmt leider nicht, und warum? Nun, Sie werden es sofort erkennen, wenn Sie sich die einzelnen Einrichtungen des Maya-Kalenders ansehen.

Der Tzolkin

Die Mayas waren ein überaus religiöses Volk. Götter und Dämonen beherrschten ihr Leben, und die Priester, die mit diesen Göttern umgingen, waren die absoluten Herren über Leben und Tod. Und so richtete sich auch ihr Leben nach einem kultischen Zeitraum von 260 Tagen, dem sogenannten "Tzolkin". Dieser kultische Kalender ist etwas eigenartig zusammengesetzt. Er enthielt zunächst einmal die Namen von 20 Gottheiten, die mit den Zahlen 1 bis 13 verbunden wurden. Und zwar so, daß beide Reihen, Zahlen und Götternamen, völlig unabhängig voneinander liefen. Man sagte also 1 Imix, dann 2 Ik, dann 3 Akbal usw. bis zur Zahl 13, die mit dem Tagesnamen Ben verbunden wäre. Anschließend ging es mit 1 weiter, und die Monatsnamen liefen bis zum 20. Gott fort. In der kleinen Tafel können Sie das sofort deutlich ablesen (Bild 10).
 

 
Bild 10. Die ersten 20 Tage des Tzolkin, des Kultkalenders der Mayas
 
Die Zahlen schrieben die Mayas nur durch zwei Zeichen: mit einem Strich -------- für die Fünf und einem Punkt • für die Eins. Alles in allem waren so 13 X 20 = 260 verschiedene Kombinationen zwischen Zahl und Name möglich; genau die Länge des Tzolkin.

Der Haab

Neben diesem kultischen Kalender besaßen die alten Mayas auch noch ein normales Jahr, den Haab, von genau 365 Tagen. Es wurde bei ihnen in 18 Monate zu je 20 Tagen und in einen letzten Monat mit nur 5 Tagen Länge, den Uayeb, aufgeteilt.
Ein Datum bestand dann ähnlich wie auch in unserem Kalender aus einem Tagesnamen innerhalb des Tzolkin und der Monatsbezeichnung im Haab, also etwa 5 Ahau 7 Pop, dann weiter 6 Imix 8 Pop, 7 Ik 9 Pop (Achtung: der Göttername beim Tzolkin läuft unabhängig von der Zahl; beim Haab wird erst ein Monat vollgezählt). Alle anderen Völker hätten nun die Zeiträume von 365 Tagen, die Jahre also, fortlaufend abgezählt und so eine Ära erstellt. Nicht so die Mayas -- bei ihnen finden wir eine Einrichtung, die wirklich einzigartig unter allen Kalendersystemen dasteht:
 
Die Lange Zählung
 
Die Mayas waren fasziniert von dem gleichmäßigen Ablauf der Tage. Ihre ganze Philosophie, ihre Gedankenwelt war ausgerichtet auf diesen ewigen Strom von Helligkeit und Dunkelheit aus der fernsten Vergangenheit bis weit in die Zukunft. Und deshalb lag es bei ihnen nahe, nicht die Jahre zu zählen, sondern jeden einzelnen Tag. Von einer weit zurückliegenden Epoche rechneten sie Millionen Tage aus, die bis in ihre Zeit verstrichen waren. Sie taten das mit folgenden Einheiten:

1 Kin = = 1 Tag
1 Uinal = 20 Kim = 20 Tage
1 Tun = 18 Vinal = 360 Tage
1 Katun = 20 Tun  = 7 200 Tage
1 Baktun = 20 Katun = 144000 Tage
 
Der ferne Ausgangspunkt ihrer Ära trug den Namen 4 Ahau 8 Cumhu, und man glaubt heute, daß er gleichbedeutend ist mit dem 8. September 3114 v. Chr. Ab 4 Ahau 8 Cumhu begannen sowohl der Tzolkin als auch der Haab unablässig zu zählen his in die Mayazeit hinein. Ein vollständiges Datum wie z. B. in Bild 11 (Seite 30) hätten wir dann so zu lesen:
 
Bild 11. Ein vollständiges Maya-Datum  auf  der  Stela I  in Quirigua. Guatemala

Vom Ausgangspunkt der Langen Zählung sind genau verstrichen
 

9 Baktun = 1 296 000 Tage (Zeichen 2)
18 Katun = 129 000 Tage (Zeichen 3)
10 Tun = 3 600 Tage (Zeichen 4)
0 Uinal = 0 Tage (Zeichen 5)
0 Kin = 0 Tage (Zeichen 6)
1 428 600 Tage
 
Der Tzolkin hat bei der fortlaufenden Zählung die Position 10 Ahau erreicht (das ist also der Tagesname, Zeichen 7) und der Haab die Monatsposition 8 Zac (Zeichen 8). In unserem Kalender wird dieses Datum gleichbedeutend mit Samstag, dem 15. August 800 n. Chr. Das Zeichen 1 in der Abhildung ist ührigens die sogenannte "Einleitungsglyphe", die den Beginn eines vollständigen Datums anzeigt.
Und damit haben wir bereits den Maya-Kalender vollständig beschrieben. Schalttage gab es nicht; es hätte den Mayapriestern und ihrer Philosophie der Zeit widersprochen, diese strenge Ordnung durch dazugelegte Tage zu unterbrechen. Das Kalenderjahr der Mayas hatte also die gleiche falsche Jahreslänge von immer nur 365 Tagen wie auch im ägyptischen Kalender.
Warum aber wird gerade dem Maya-Kalender solch eine hohe Genauigkeit nachgesagt und nicht dem der Ägypter? Der Grund liegt in der ArBeit eines der bedeutendsten Maya forscher: JOHN EDGAR TEEPLE. TEEPLE war von Beruf Chemie-Ingenieur, widmete sich aber in seiner Freizeit der Erforschung der Maya-Inschriften. 1930 gelang ihm nach vielem vergeblichem Probieren eine große Entdeckung, die die Erforschung der Maya-Wissenschaft ein gutes Stück weiterbrachte. Er fand, daß die Mayas sogenannte "Determinanten-Daten" kannten, mit denen sie genau den Lauf der Sonne kontrollierten.
 
Der Kalender als Machtmittel
 
Die deshalb die Determinanten-Theorie genannte Entdeckung TEEPLEs ist sehr kompliziert, und wir wollen sie deshalb nicht genau beschreiben.  Die Erkenntnisse aber sind höchst eindrucksvoll. Die Mayas wußten sehr wohl, daß ihr Jahr mit 365 Tagen Länge zu kurz war und die Sonne für einen scheinbaren Umlauf am Himmel längere Zeit braucht. Dieses natürliche Sonnenjahr bestimmten sie mit größter Genauigkeit. TEEPLE fand, daß in der gewaltigen Tempelstadt Copan, aus der unser Titelfoto stammt, die Mayas das Sonnenjahr mit einer verblüffenden Genauigkeit, mit nur wenigen Sekunden Fehler, berechneten! Doch dieses Wissen benutzten sie nicht, um ihren Kalender durch Schalttage zu reformieren, sondern sie setzten ihr Wissen ein, um die Abweichung des Kalenderjahres vom tatsächlichen Sonnenjahr genau zu berechnen; eben durch die Festlegung von "Determinanten-Daten". Dadurch waren sie in der Lage, den Bauern die genauen Zeiten für die Ernte und Aussaat anzugeben, obwohl sich diese Daten im unvollständigen Kalenderjahr natürlich ständig verschoben. Vielleicht beruhte auf dieser Fähigkeit sogar die enorme Macht, die die Mayapriester über ihre Völker ausübten?
Daraus aber nun zu folgern, daß der Kalender so sehr genau gewesen sei, ist nicht richtig. Auch EDGAR TEEPLE hat das nie getan, sondern nur festgestellt, daß die Mayas hervorragende Astronomen waren, die den scheinbaren Sonnenumlauf außergewöhnlich genau bestimmten. Doch der Kalender behielt seine falsche Länge von nur 365 Tagen und war kein bißchen genauer als etwa der der Ägypter oder gar unser heutiger mit seinen Schaltregeln.
Der gewaltigen Leistung der Mayapriester aber, die eine solch hervorragende Messung des Sonnenumlaufs mit primitivsten Methoden durchführten, und der großartigen Konstruktion der anderen Kalendereinrichtungen tut dies natürlich keinen Abbruch.

Der Kalenderstein der Azteken
 
Die beiden Grundeinheiten des Maya-Kalenders, den Tzolkin mit seinen 260 und den Haab mit seinen 365 Tagen, finden wir auch bei den anderen mittelamerikanischen Kulturvölkern. Diese begnügten sich jedoch mit beiden Einheiten, lediglich die Mayas entwickelten den Kalender weiter. Das neben den Mayas wohl bekannteste Volk Mittelamerikas, die Azteken, hinterließen uns dabei den in Bild 12 wiedergegebenen Kalender- oder Sonnenstein, einer der großartigsten Funde der Archäologie und gleichzeitig eine Möglichkeit, noch etwas über die Mythen Mittelamerikas zu berichten. Der Stein wurde (17.12.) 1790 bei Bauarbeiten entdeckt und ist heute das Prunkstück des mexikanischen Nationalmuseums in Mexiko-City. Er hat einen Durchmesser von fast 4 m und eine Dicke von 1 m. Um den in der Mitte abgebildeten Kopf des Sonnengottes und die ihn umgebenden Symbole legt sich ein geschlossener Ring, der in 20 gleich große Felder eingeteilt ist. Das sind die 20 Symbole des 260tägigen Kultkalenders, der genau so aufgebaut war wie der Tzolkin der Mayas und "tonalpohualli" hieß. Beginnen wir mit dem Feld links über der dem Sonnenkopf aufgesetzten Pfeilspitze, so erkennen wir gegen den Uhrzeiger betrachtet folgende Tageszeichen:

1. cipactli, das Seeungeheuer
2. ehecatl, der Wind, mit dem Kopf des Gottkönigs Quetzalcoatl
3. calli, das Haus
4. cuetzpalin, die Eidechse
5. coatl, die Schlange
6. miquitzli, der Tod
7. mazatl, der Hirsch
8. tochtli, das Kaninchen
9. atl, das Wasser
10. itzcuintli, der Hund
11. ozomatli, der Affe
12. malinalli, das Gras
13. acatl, das Rohr
14. ocelotl, der Jaguar
15. quauhtli, der Adler
16. cozcaquauhtli, der Königsgeier
17. olin, das Erdbeben
18. tecpatl, das Opfermesser
19. quiahuitl, der Regen
20. xochitl, die Blume
 

Bild 12. Der Kalenderstein der Azteken (nach P. J. Schmidt). Eine verkleinerte Nachbildung dieses Steins (15 cm Ø) bietet der KOSMOS-Service, 7 Stuttgart 1, Postfach 640, an. Preis DM19,80 zuzüglich Versandkosten
 
Schauen Sie nun bitte genau das 17. Zeichen, olin, an und vergleichen Sie es mit dem Motiv im Inneren des eben betrachteten Rings. Es entspricht ihm genau -- mit der nach oben weisenden Spitze, dem nach unten weisenden Gehänge, den waagerecht liegenden Ausbuchtungen und den diagonal angeordneten vier Rechtecken. Das Auge in der Mitte des Zeichens wird im Mittelpunkt des Steins durch das Gesicht des ganzen Sonnengottes wiedergegeben. Tatsächlich soll auch das stark vergrößerte und ausgeschmückte Zeichen im inneren Rund des Steins das Tageszeichen olin ergeben., und zwar genau den Tag 4 olin. Die Vier ist durch die je zwei Scheiben am rechten und linken Rand des Innenkreises bei den Ausbuchtungen wiedergegeben. Die Azteken dachten, daß unsere jetzige Welt, das jetzige Weltalter an einem  Tag names 4 olin zugrunde gehen sollte. Aber unsere Welt hatte bereits vier Vorgänger, vier andere Weltalter, die in den vier an den mächtigen Kopf des Sonnengottes anschließenden Rechtecken symbolisiert sind. Beginnen wir oben rechts, neben der nach oben weisenden Spitze, so ist dort das Weltalter 4 Jaguar oder 4 ocelotl wiedergegeben -- die Zahl Vier erscheint durch 4 Scheiben symbolisiert, das Tagessymbol Jaguar taucht im umgebenden Kreis an 14. Stelle auf. Die nächste Welt war die Windsonne (links oben neben der Pfeilspitze), die an einem Tag 4 ehecatl zugrunde ging (ehecatl als Tagessymbol Nr. 2 im Ring). Links unten neben dem Kopf des Sonnengottes das dritte Weltalter 4 Regen. Es zeigt den Kopf des Regengottes Tlaloc, der im umgebenden Kreis ebenfalls an 19. Stelle wiedergegeben ist. Und das letzte Weltalter schließlich unten rechts ist die Wassersonne, dargesteilt durch die aztekische Wassergöttin, die man im Kreis an 9. Stelle findet. Die beiden letzten Zeichen muß man übrigens von der Mitte her betrachten, also die Zeichnung am besten umdrehen. Aus den Namen erkennt man bereits das Schicksal, das der Welt an den jeweiligen Tagen drohte. Zuerst sollen Jaguare gekommen sein und die Urtiere aufgefressen haben, danach kam ein Sturm, der alle Menschen dahinraffte, dann ein verheerender Regen von Feuer und Steinen und schließlich eine riesige Überschwemmung. Die jetzige Welt 4 olin schließlich geht durch ein Erdbeben zugrunde.
Um den Kreis der Tageszeichen legt sich ein Schmuckband, das die Größe des Sonnengottes unterstreichen soll, und die äußere Begrenzung bilden zwei gewaltige Schlangenkörper. Wenn Sie zum untersten Rand des Steins schauen, so erkennen Sie dort zwei sich grimmig anschauende Köpfe, die aus den Schlangenköpfen herausblicken: links der Feuergott Xintheculi und rechts der Sonnengott Tonatiuh. Aus den Schlangenkörpern schlagen Flammenbündel nach oben als Symbol der heißen Sonne. Genau oben schließlich weisen die Schwänze der Schlangen auf ein Quadrat, in dessen Innerem ein letztes Tageszeichen erscheint: 13 Rohr oder 13 acatl.
Der Kalenderstein oder Sonnenstein der Azteken ist eines der bedeutendsten Beispiele für die alte Verbundenheit der Völker mit ihrem Kalender, mit dessen Tagen sie ihre Mythen und Götter verbanden.
 
Tafel 2: El Caracol, die Sternwarte der Mayas In Chichen Itza. Die Mayas waren hervorragende Astronomen, die den scheinbaren Sonnenumlauf sehr genau bestimmten. Aufnahme vom Verfasser

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